Annotationen zu den Zeugen Jehovas
Hans-Hermann Dirksen
1) Gesellschaftliche Rahmenbedingungen
2) Fallbeispiel: Werner L. und Co
3) Fallbeispiel Egon R.
4) Dirksen Referat in Berlin
5) Bayernallee 49 in Berlin
6) Erste Stellungnahme zum Dirksen-Buch
7) Anmerkungen zum Hauptinhalt des Dirksen-Buches
8) Fallbeispiel Horst S.
9) Anmerkungen zur 2. Auflage des Dirksen-Buches
10) Was Dirksen so "nebenbei" mitteilt
11) Anke S. über das Buch von Dirksen
12) Vollnhals und Dirksen
13) Der abgelegte BND-Verschüsselungs-Code
1) Gesellschaftliche Rahmenbedingungen
Vor einiger Zeit
konnte man eine knappe adn-Meldung zur Kenntnis nehmen, dass der Rechtsanwalt H. D. mit
einer Vortragsserie über die DDR-Verfolgung der Zeugen Jehovas beginnt. Er beruft sich
darauf, letztere im Auftrag des Landesbeauftragten für die Stasi-Akten durchführen zu
können. Sicherlich wird ihm die Gauck-Behörde einen entsprechenden
Forschungsantrag positiv beschieden haben.
Schon einmal hat sich D. in
ähnlicherweise verlautbart. In dem 1998 in Bremen von Hans Hesse herausgegebenen
Sammelband über die Zeugen Jehovas ist auf den Seiten 256-276 auch ein Beitrag von ihm
abgedruckt. Vergleicht man seinen sich auf bloß 72 Anmerkungs-Nummern beschränkenden
wissenschaftlichen Anhang, so findet man dort auch einige Quellenverweise auf Bestände
aus der Gauckbehörde (BStU).
Aber vielleicht noch eine
kleine Abschweifung. Hans Hesse heißt der Herausgeber des Buches, wo auch D. mit seinem
genannten Beitrag vertreten ist. Es gibt aber noch einen anderen Hans Hesse, der auch mit
einem kleinen, 1997 im Berliner Spottless-Verlag erschienenen Büchlein in Erscheinung
getreten ist. Jener zweite Hans Hesse gab seinem Büchlein den Titel: Ich war beim
MfS". Ich könnte mir vorstellen, dass auch der Herr D. dort noch Anregungen vor
seine Vorträge vorfinden könnte. Vielleicht noch ein paar Zitate aus dem Anhang zu jenem
MfS-Hesse-Buch:
Frage: 'Jede Frage an einen ehemaligen Mitarbeiter des MfS ist
heute mit dem Problem verbunden, dass der Fragesteller entweder die Berechtigung dieser
Institution bejaht oder sie als Machtinstrument der Unterdrückung verdammt. Würden Sie
heute
noch einmal den gleichen Weg gehen?'
Hans Hesse: 'Ja. Das mag verwegen klingen oder auch stur oder uneinsichtig, aber ich
bleibe bei diesem 'Ja'. Es war damals das Resultat meiner Lebenserfahrungen und die habe
ich inzwischen nicht korrigieren müssen.
Aber es gibt auch bei der Beurteilung der
Tätigkeit des MfS nicht nur schwarz oder weiß. Als man mich dorthin schickte, hatte die
andere Seite längst ihre Offensive entfaltet und wir hatten zunächst zu tun, sie zu
stoppen.'"
Eine Kernthese der Zeugen
Jehovas nach 1945 bestand in der suggestiven Frage: Auf welche
Weise sollen denn die Leiden der Menschen beendet werden?" Die Antwort darauf lautete: Nicht durch allmähliche
Entwicklung, Reformen, Parteiprogramme! Nicht durch Menschenmacht! Wenn Jehova das
Haus nicht baut, vergeblich arbeiten daran die Bauleute; wenn Jehova die Stadt nicht
bewacht, vergeblich wacht der Wächter. (Psalm 127:1)"
(Die Leiden der Menschen werden enden! Auf welche Weise?" 1946, S. 5)
Im Angesicht der Trümmerberge
des Zweiten Weltkrieges verkündeten die WTG-Funktionäre weiter: Weltliche
Eiferer befremdet dieses Verhalten. Sie fragen; soll man die Hände in den Schoß legen
und auf Gott warten? Diese Frage kann nun durch die passende Gegenfrage erledigt werden:
Soll man ein sinkendes Schiff verlassen und auf die Errettung durch fremde Hilfe warten?
Oder soll man nutzlose Anstrengungen machen, dass Unvermeidliche mit ganz unzulänglichen
Mitteln aufzuhalten?" (Ebenda S. 6,7.)
Mit ihrem auf den Sankt
Nimmerleinstag orientierenden Warten auf ein göttliches Eingreifen", hatten
die Zeugen-Funktionäre außer geistigem Rauschgift nichts für die Menschen in ihren
realen Nöten anzubieten. Darüber hinaus machten sie sich eine Publizistik zu eigen, die
davon ausging, dass der Zweite Weltkrieg lediglich eine Unterbrechung erfahren habe, eine
kurze Atempause zum Luft holen". Das er aber noch keineswegs als beendet
betrachtet werden könne.
In der Lesart der
amerikanischen Zeugenfunktionäre verkündeten sie im Jahre 1946:
Jehova Gott erklärt in seinem Wort: 'Alles hat eine bestimmte Zeit, und jedes
Vornehmen unter dem Himmel hat seine Zeit, und Hassen hat seine Zeit; Krieg hat seine
Zeit, und Frieden hat seine Zeit (Prediger 3:1,8). Die jetzige Zeit hat Gott nicht für
Frieden auf der Erde vorgesehen. Das wissen wir, weil sein prophetisches Wort uns sagt,
was im jetzigen Zeitabschnitt der Menschheitsgeschichte geschehen muss. Der Friede wird
nicht eher kommen, bis er ihn durch seinen Friedefürsten schafft." (Fürst des Friedens" 1946, S. 11).
Was hier theologisch
verklausuliert formuliert war, hatte seinen tieferen Hintergrund in der Einschätzung der
weltpolitischen Lage durch maßgebliche US-amerikanische Kreise. In säkularer Form konnte
man die diesbezüglichen Überlegungen beispielsweise in der Zeitschrift
Newsweek" vom 17. 5. 1948 nachlesen.
Dort wurde ausgeführt: Letzte Woche hielt der Chef der strategischen Luftkommandos, General George
C. Kenney
eine wenig beachtete Rede.
Der gegenwärtige Friede, so sagte er
sei 'kaum mehr als ein künstlicher Waffenstillstand.' Es ist nicht mehr notwendig,
danach zu fragen, ob wir an eine Kriegsgefahr glauben, sagte er. 'Die Frage lautet heute
einfach und direkt: Wann werden die kommunistischen Massen die 'Operation Amerika'
beginnen?' Obwohl es Kenney ablehnte, den Zeitpunkt zu bestimmen ('es wird soweit sein,
sobald sie das Gefühl haben, sie könnten gewinnen.'), so enthüllte er, wie die
Vereinigten Staaten dem Angriff begegnen würden mit den Luftstreitkräften. Mit dem
größten Bombenvorrat der Welt und den erforderlichen Luftstreitkräften um die Bomben
zum Gegner zu tragen."
Der Hintergrund jener Thesen
ist in der am 12. 3. 1947 verkündeten sogenannten Truman-Doktrin" zu sehen.
Sie besagte, dass nach der zeitweiligen Zusammenarbeit zwischen den USA und der UdSSR
während des Zweiten Weltkrieges, nunmehr dem Kommunismus ideologisch und geographisch der
Krieg zu erklären sei; dass die USA überall dort ihre eigenen Lebensinteressen bedroht
sehen, wo die Freiheit in Gefahr ist" und sich deshalb das Recht vorbehielten,
dort einzugreifen.
Schon vor dem DDR-Verbot der
Zeugen Jehovas ist eine kritische Publizistik über sie feststellbar. Etwa, wenn Wiesner
über sie äußerte, dass die Zeugen Jehovas-Verkündigung des
kommenden Paradieses auf Erden am Ende der Tage weithin dem Glückseligkeitsstreben des
modernen Menschen entgegenkommt, gleichzeitig aber auch die bei ihm herrschende
Weltuntergangsstimmung ausnutzt und sich propagandistisch zu eigen macht. Wenn außerdem
für die Zeugen Jehovas Politik, Religion und Handel 'Teufelsorganisationen' sind, so
untergraben sie damit jegliches Gemeinschaftsleben und verkünden die Anarchie."
Wenn man der Verbotsgeschichte
der Zeugen Jehovas in der DDR nachgeht, dann kann man feststellen, dass schon vor dem
Gesamtverbot von 1950 örtliche Verbote nachweisbar sind. So wurde beispielsweise ein für
den 23.- 25. Januar 1948 geplanter Kongress in Dresden von der Sowjetischen
Militäradministration verboten. Ein weiteres Verbot für den Landkreis Bautzen wurde von
der Volkspolizei am 9. 7. 1949 ausgesprochen. Dieses von der Landesregierung Sachsen zu
verantwortende Verbot war sozusagen ein erster Testballon". Den Kommunisten
waren die Zeugen Jehovas verschiedentlich schon unangenehm aufgefallen.
So notierte das Kriminalamt
Bautzen am 10. 6. 1948: Hiesige Dienststelle kam in den Besitz
einer Anzeige eines Herrn Blumenstein, Bautzen, worin dieser das Auftreten eines
Agitatoren der Sekte 'Zeugen Jehovas' darlegt. Laut der Anzeige tragen die Äußerungen
des Sektenvertreters dazu bei, die Kriegspsychose zu schüren."
In Vorbereitung ihres Verbotes
richtete das Kriminalamt Bautzen am 9. 6. 1949 an die Landespolizeibehörde Sachsen in
Dresden die Anfrage, ob der nachstehend aufgeführte Verstoß
(als Verstoß) gegen den § 107 des Strafgesetzbuches angesehen werden kann: Ein Prediger
der Zeugen Jehovas fordert in einer Versammlung dieser Sekte die Anhänger auf, sich nicht
an der Wahl zu beteiligen mit der Begründung, das auch eine Wahlbeteiligung gegen Jehova
Stellung nehmen bedeuten würde, in dem sie Einfluss auf eine Neuordnung der Welt durch
Menschen Kraft bewirken.
Dabei ist festzuhalten, das die Zeugen Jehovas öffentlich predigen, dass jeder, der sich
am politischen Leben beteiligt, die Macht Gottes nicht anerkennt, die allein nur befähigt
und das Recht habe, die Welt neu zu gestalten, und somit dem Untergang geweiht ist. Die
Worte des Predigers sind demzufolge eine Drohung: Wer sich an der Wahl beteiligt, ist dem
Untergang verfallen."
Bereits am 23. 5. 1949 hatte
das Kreispolizeiamt Bautzen einen Bericht zu den Zeugen Jehovas verfasst und der
Kommandantur Bautzen der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland zugeleitet: Aus ihrem angeblichen Wort Gottes, das sie verkünden sich berufen fühlen
geht ganz einwandfrei hervor, das nur Gott berechtigt ist, eine neue Welt zu
erschaffen die sein Königreich sein wird. Alle Kräfte, die jetzt versuchten, entgegen
den Willen Gottes, eine neue Ordnung zu errichten, wären teuflische Dämone und Satane,
die Gott zermalmen und vernichten würde. Sie betrachten es daher als ihre höchste
Aufgabe, die Menschen von der Beteiligung an der Erschaffung einer neuen Ordnung
abzuhalten um sie vor dem Untergang zu bewahren, der allen beschieden ist, die sich an
dieser Neugestaltung beteiligen."
Als Beispiel wird angeführt
das ein Referent der Zeugen Jehovas anlässlich einer
Gebietsversammlung in
Bautzen am 27. 8, 48 vor ungefähr 200 Personen (erklärte):
'Die Erde gehört keinem Menschen, die gehört dem, der sie gemacht hat. Daran ändern
auch nichts die Weltherrschaftspläne und teuflischen Dämone und Satane. Der Herr, der
Friedenbringende, wird diesen ganzen Haufen wegräumen zur bestimmten Stunde. Das Reich
Gottes wird alle diese irdischen Reiche vernichten und zermalmen. Dann wird die letzte
Währungsreform vorgenommen werden, der wir jetzt schon mit Ruhe entgegensehen.'"
Kommentiert wird das mit den
Worten: Dieser Ausspruch allein schon zeigt in aller
Deutlichkeit, dass ihre Lehre eine vollkommene Kampfansage gegen die fortschrittlichen,
friedliebenden und demokratischen Kräfte, nicht nur in unserer Zone, sondern darüber
hinaus in der gesamten Welt und vor allem gegen die Sowjet-Union, dem ersten
sozialistischen Staat der Erde ist. Es macht sich unbedingt erforderlich, darauf
hinzuweisen, das die ideologische Ausrichtung und Aufklärung des Volkes noch sehr zu
wünschen übrig lässt und ein sehr großer Teil an die Botschaft des Himmels glaubt.
Ganz besonders muss in Betracht gezogen werden, das vor allem Umsiedler zum überwiegenden
Teil streng religiös sind. Es ist daher nicht verwunderlich, das die Worte des Predigers
in diesen Volksschichten großen Anklang finden und ihr Handeln sich nach diesen Predigern
richtet.
Das dieser Fall nun nicht eine Ausnahme ist, beweisen weitere Vorkommnisse. So zum
Beispiel brachte zu einer Versammlung dieser Sekte im Januar 1948 der Leiter der Zeugen
Jehovas Gruppe Bautzen, der Prediger Espenhain, Walter
der von Beruf Heilpraktiker
ist, zum Ausdruck: 'Die Vergangenheit hat gezeigt, das alle politischen Menschen bzw.
Männer, gleich welche politische Richtung sie anstreben, den wahren Frieden des Herzens
nie gebracht haben und nie bringen werden, das nur Jehova und seine Lehre den
Herzensfrieden bringen wird.'
Zu dieser Versammlung waren ungefähr 100 Personen anwesend. Damit hat er in deutlicher
Form gezeigt und versucht zu beweisen, das selbst die größte Wissenschaft, die uns den
einzigen Weg zum Weltfrieden zeigt, der Marxismus eine Irrlehre sei, da ja nur die Lehre
Jehovas, wie er sich ausdrückte, den wirklichen Frieden zu bringen in der Lage sei."
Dies sind nur einige Zitate
dessen, was D. in dieser Deutlichkeit nicht anspricht, bzw. unter dem Tisch fallen lässt.
Es macht sich in der heutigen Zeit gut, Jehovas Zeugen als Opfer der kommunistischen
Repression darzustellen. Ohne Zweifel waren sie solche Opfer. Ohne Zweifel standen die
kommunistischen Gegenmassnahmen in ihrer Drastigkeit in keinem Verhältnis zum
inkriminierten Tatbestand. Die Nerven der Kommunisten lagen ganz offensichtlich blank.
Aber auch die Zeugen Jehovas
waren keine Engel" wie z. B. ihre Ausschlußpraxis beweist. Im Fall Horst Kühn
offenbart sich dies. Nachdem er durch die Überforderungen des ZJ-Pionierdienstes
zusammengebrochen war, wurde er ausgeschlossen. Später bemühte er sich reumütig um
Wiederaufnahme. Erneut von den DDR-Behörden als Aktivist registriert, wandert er
langjährig ins Gefängnis. Seine Frau lässt sich mit moralischer Unterstützung der
Zeugen Jehovas von ihm scheiden. Nach der Gefängnisentlassung ist er erneut für die
Zeugen Jehovas persona non grata". Etwaige Unterstützungen erhält er
jedenfalls nicht von ihnen, wohl aber von Weltmenschen", denen die extreme
Tragik dieses Falles doch noch nahe geht.
Möge doch der Herr D. auch mal
dazu einen Kommentar abgeben. D. weiß genauso gut wie ich, dass beim 1950-er
Zeugenverbot, der Spionagevorwurf eine formal herausgehobene Stellung einnahm. Ich bin
mutmaßlich wenigstens in diesem Punkt, mit D. einer Meinung, dass er an den Haaren
herbeigezogen wurde. Aber vielleicht sollte auch D. mal darüber nachdenken, dass auch
Datenschützern in der Gegenwart, die Kartographierungsarbeiten der Zeugen Jehovas
äußerst suspekt sind.
1975 artikulierte Horst Knaut
dieses Unbehagen mal mit den Worten: Nach einem
missionsinternen Schema werden mit dieser Methode Millionen von Menschen irgendwie und
irgendwann 'erfaßt' - in Eisenach und in Prag, in Kitzbühel, in Lyon, in Dallas oder auf
den finnischen Inseln.
Etwas Unheimliches liegt in diesem weltweiten System der
Registrierung von Menschen, dass die Prediger der 'wahren Religion' ausgeklügelt haben.
Schon ganz flüchtige Gedanken an die Existenz solcher Notizen aus den privaten Sphären
und über persönliche Anschauungen, die womöglich irgendwo zusammengetragen werden, sind
gräßlich. Sie lassen viele Überlegungen offen, denn nirgendwo befasst sich eine
Organisation mit Erhebungen solcher Art und in diesem Ausmaßen." (Knaut, Horst Propheten der Angst", Percha 1975 S. 9.)
Vielleicht noch ein Zitat aus
dem Beitrag von D. im Hesse-Buch. Dort schreibt er (S. 268,259): Man
startete den Versuch, informelle Mitarbeiter nicht nur an beliebiger Stelle in die
Organisation einzuschleusen, sondern sie gezielt auf die Übernahme von
Führungsfunktionen vorzubereiten, um auf diese Weise noch besser in die Organisation
eindringen zu können. Schließlich funktionierte dieses System so gut (Infiltration der
DDR Zeugen Jehovas durch die Stasi), dass man sich ausrechnete, dass verschiedene dieser
informellen Mitarbeiter durchaus die Chance hatten, im Falle der Verhaftung der bisherigen
Leitung in hochverantwortliche Funktionen aufzurücken und man so die gesamte Organisation
der Zeugen Jehovas in der DDR kontrollieren könne."
D. dürfte der Fall Hans
Voss" und ähnlich gelagerte Fälle, die schon B. beiläufig nannte, sicher bekannt
sein. Da er für sich in Anspruch nimmt, zum Thema Stasi und DDR-Zeugen Jehovas in der
Öffentlichkeit zu referieren, so aufgefordert, sein diesbezügliches Detailwissen auch
einmal der Öffentlichkeit darzulegen. Ich jedenfalls habe bislang den Eindruck gewonnen,
dass es auch bei den Zeugen Jehovas etliche über die Gauckbehörde
ermittelbare Fakten gibt, die letztere auch nicht in einem Heldenlicht"
erscheinen lassen.
Inzwischen haben sich nähere
Erkenntnisse über diesen Hans Voss" ergeben. Danach handelt es sich um den
Zeugen Jehovas Hermann Laube aus Zittau. Übrigens, auch Horst Kühn wohnte in Zittau.
Welchen Anteil hat wohl Laube am Fall Kühn? Besagter Laube gehörte mit zum Präsidium
der von der Modrowregierung anerkannten Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in
der DDR, heute Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland". Sein
Fall wird von den Zeugen Jehovas, weitgehend, unter den Teppich gekehrt"!
Nun ist ohne
Zweifel die Geschichte der Zeugen Jehovas, Ende der 1940-er Jahre in der DDR, eine
Geschichte der Tragödien. Wenn der Mitarbeiter der Gauckbehörde ausführte,
dass der Aktenbestand dazu schier unendlich sei, dann wäre hier ein Herr D. gefordert.
Nicht unendliches Aktenmaterial", sondern nur ein Bruchteil von ihm liegt den
nachfolgenden Ausführungen - unabhängig von Herrn D. - zugrunde:
Wie man weiß erfolgte das 1950-er Verbot nicht aus heiterem Himmel. Die Konfrontation
hatte sich schon früher deutlich angezeigt. In den Stasiakten (MfS Allg. S. 940/67) gibt
es beispielsweise die nachfolgende Notiz:
In der am 6. 3. 50 in Görlitz, Restaurant 'Stadt Löbau'
stattgefundenen Zusammenkunft der Bibelforscher wurde den Anwesenden ein Protestschreiben
der Bibelforschervereinigung in Magdeburg an den Ministerpräsidenten vorgelesen, in dem
es u. a. heißt:
'Wir protestieren auf das schärfste gegen die verleumderische Glaubenshetze, die von
einer grossen Anzahl führender extremer SED-Funktionäre betrieben wird. Wir verlangen
sofortige Wiederherstellung der Glaubensfreiheit!
Im 'Funktionär' Nr. 1 1950 ist ein Artikel über die Zeugen Jehovas enthalten, der einen
wüsten Glaubenshass entfacht. Wir fordern die sofortige Ergreifung von Massnahmen der
Gleichberechtigung der Zeugen Jehovas als Religionsgemeinschaft. Wir fordern die sofortige
Einstellung der Entlassung aus Staat,
kommunalen, volkseigenen und privaten Betrieben unserer Glaubensgenossen!
Wir fordern die sofortige Gleichstellung von Schulräumen für Versammlungszwecke, wir
dies die anderen Organisationen erhalten! Wir haben nichts mit dem Imperialismus gemein!
Wo bleibt die in der Verfassung zugesicherte Gleichberechtigung? Warum dürfen sogenannte
demokratische Beamte, die von der Demokratie keine Ahnung haben (Volkspolizei) es wagen, unsere Versammlungen in Wohnungen
aufzulösen, unsere Schriften zu beschlagnahmen, ja selbst Brieftaschen (Pfuirufe aus der
Menge).
Wir fordern die sofortige entsprechende Anweisung an alle demokratischen Beamten, an alle
Polizeistellen, dass sie kein Recht haben uns in unserer Glaubensausübung zu hindern!
Den extremen SED-Funktionären die Glaubenshetze zu verbieten. Wir fordern im Namen aller
Zeugen Jehovas unser Recht!"
Das war also die zeitgenössische Sicht der damaligen Zeugen Jehovas. Indes auch die
angegriffenen SED-Funktionäre hatten sich inzwischen eine klare Meinung zu dem Zeugen
Jehovas-Problem gebildet. In der gleichen Akte kommt dies z. B. in den Sätzen zum
Ausdruck:
Man operiert in den meisten Fällen sehr geschickt zum anderen
direkt aggressiv." Und den wesentlichen Kern der SED-Einschätzung der damaligen
Zeugen Jehovas bringt man in dem Satz zum Ausdruck: Man übt eine Suggestion auf
große Teile der Bevölkerung aus, indem man ihnen erklärt: 'Nicht ihr selbst könnt die
Dinge verändern, nur der Gott Jehova ist dazu in der Lage.'" An anderer Stelle (MfS
Allg. S. 182/76 Bl. 81) wird das mit den Worten beschrieben: Sie fühlen sich, wie
sie es selbst ausdrücken, 'neutral', tatsächlich in der Sprache des Rechts
gewissermaßen 'exterritorial'.
Diese ihre Auffassung wird begreiflicherweise von den irdischen Staaten nicht anerkannt
und so kommen die Mitglieder der genannten Religionsgemeinschaft mit den jeweiligen
Regierungen in vielfache Gegensätze."
Damit ist die eigentliche Konfliktursache zutreffend beschrieben.
Aber es ist ganz offensichtlich, dass sich die Lage emotional stark hochgeschaukelt hatte.
Auf beiden Seiten. Ihre Emotionen in öffentlichen Reaktionen bzw. Stellungnahmen zu
unterdrücken, fiel beiden Seiten zunehmend schwerer. Symptom dafür ist auch das
nachfolgende Zitat. Bezugnehmend auf eine Veranstaltung der Zeugen Jehovas am 13. 4. 1950
in Schönebeck/Elbe wird der dortige Prediger mit seiner Äußerung wiedergegeben:
Wie ich gehört habe, hat man euch sogar Liederbücher
weggenommen. Geschwister, ihr müsst sie versteckt halten. In der Ostzone herrschen jetzt
viel schlimmere Zustände als wie in der Nazizeit. Wir haben keine Angst vor diesen
Hampelmännern wie Pieck und Grotewohl. Wir sagen ihnen den Kampf an, wenn sie es durchaus
wollen. Wir brennen darauf, wir haben keine Angst vor ihren Maschinengewehren, Pistolen
oder Atombomben. Wir brauchen vor ihnen keine Angst zu haben, denn sie gehen an ihrer
eigenen Dummheit zugrunde."
Man hat zu konstatieren. Die Kampfansage wurde von der SED akzeptiert". Das
Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1949" vermeldet und dieser Fakt wird in den
Stasiakten erneut rezitiert, dass sich besonders die Länder Mecklenburg und Sachsen im
Anti-Zeugen Jehovas-Kampf hervorgetan hätten. Soweit es Sachsen anbelangt ist die Ursache
auch darin zu sehen, dass dort die Zeugen Jehovas besonders konzentriert waren (und sind).
Dies macht auch eine Stasiinformation aus dem Jahre 1971 deutlich. In ihr wird die
numerische Zahl der Zeugen Jehovas in der DDR auf rund 20 000 eingeschätzt.
Die SED hatte Anfang der 50-er Jahre damit begonnen, die bisherigen Aufgliederung ihres
Territoriums in Länder (wie zum Beispiel Sachsen) aufzuheben. Hintergrund dessen war ihr
Bestreben, dem Föderalismus" den Genickschuss zu verpassen", auf
das sie in der Lage sei, zentral die Politik der DDR zu bestimmen. Im Zuge dieser Politik
trat an Stelle der vormaligen Länder eine Aufgliederung in Bezirke". Ihr
politisches Gewicht war völlig bedeutungslos. Genau das wollte auch die SED mit dieser
Änderung erreichen. In der schon genannten Information" (MfS HA XX/4 Nr. 1246)
aus dem Jahre 1971 wird die Verteilung der Zeugen Jehovas in einigen einzelnen
DDR-Bezirken wie folgt eingeschätzt:
Karl Marx Stadt ca. 7000
Dresden ca. 4500
Halle ca. 1000
Magdeburg ca. 1000
Hauptstadt (Ost) Berlin ca. 700.
Nachdem das 1950-er Verbot dann eingetreten war, setzte die Justizmaschinerie drastische
Urteile in Szene. 10, 12, 15 Jahre. Ja, sogar lebenslängliche Urteile waren keine
Seltenheit.
Das Stichwort lebenslängliche Urteile aufgreifend sei dies an zwei Beispielen
verdeutlicht. (MfS Allg. S. 185/76)
Da wurde unter anderem ein 39-jähriger Lichtbildner verurteilt. (Da dieser Begriff heute
so nicht mehr gebräuchlich ist, darf man ihn wohl mit Recht mit einem berufsmäßigen
Fotografen gleichsetzen). Als seine Funktion bei den Zeugen Jehovas wird angegeben:
Hilfsgruppendiener und im Dreibrüderkomitee". Er wird mit den Worten
eingeschätzt:
Der Angeklagte überragt, was den Intelligenzgrad anbetrifft,
alle übrigen Angeklagten. Er rückte von der Berliner Resolution und dem Wachtturm (Nr.)
7 (1950 - mit dem Bericht über die 1949-er Berliner Waldbühnenveranstaltung unter dem
Motto Es ist später als du denkst" ab. Gesamteindruck: fanatisch."
Schon seitens der Staatssicherheit, wurde von letzterer vorgeschlagen, er sollte zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt werden. In der eigentlichen Gerichtsverhandlung beantragte dann der Staatsanwalt als Strafe 15 Jahre Zuchthaus. Indes des Gericht verkündete dann als Endurteil für ihn lebenslängliches Zuchthaus!
2) Fallbeispiel: Werner L. und Co
Ein zweites Beispiel bezieht sich auf einen damals 22 Jahre alten kaufmännischen Angestellten. Seine Funktion bei den Zeugen Jehovas wird mit den Worten beschrieben: Gruppendiener und Verkündiger. Aus dem Sachzusammenhang ist klar ersichtlich, um wem es sich hier handelt. Und zwar um dem Zeugen Jehovas Werner L. aus Dresden über den weiter unten noch weiteres zu sagen sein wird. Über L. vermerkt das Gericht, dass er bereits durch die Sowjetische Militär Administration im Jahre 1949 ein Redeverbot erhielt das er nicht einhielt, er behauptete damals, 14, 33 und 49 'das Volk schreit immer.'"
In einer anderen L. bezüglichen Akte liest man:
Dresden 13. 6. 49
Prediger der ZJ. L. Werner, geb. 8. 5. 28
Am 17. 5. 49 trat in einer Versammlung der ZJ, Gruppe Cotta, der Prediger L., Werner, in agressiver Form gegen unseren demokratischen Neuaufbau auf.
Er sprach über das vielfache "Ja", welches im Ablauf der Weltgeschichte von den Menschen gesprochen worden sei. Er zog u. a, eine Paralelle von dem "Ja", das 1933 geschrien wurde, zu dem "Ja" für die Wahl 1949.
Eine Charakteristik über L. ergab nichts wesentlich Belastendes. Er lebt sehr zurückgezogen und hat im allgemeinen einen guten Leumund.
Am 30. 5. 1949 wurde im Auftrag der Zentralkommandantur durch die Abt. Versammlungswesen über L., Werner, auf die Dauer von 3 Monaten ein Redeverbot ausgesprochen.
Weiter vermerkt das
Gericht: Infolge seiner Aktivität wurde er nach Magdeburg
berufen, nur das Dazwischentreten seiner Inhaftnahme verhindert dies. Gesamteindruck: Er
zeigt einen ausserordentlichen Fanatismus, ist sehr redegewandt, hat während der
Hauptverhandlung mit Bibelsprüchen geantwortet." Sein Urteil: lebenslängliches Zuchthaus.
Im Prinzip basierten die
Urteilsbegründungen immer wieder auf den Vorgaben, die das Oberste Gericht der DDR dazu
schon im ersten Schauprozess gegen die Zeugen Jehovas gemacht hatte.
Zusätzliche, individuelle
Urteilsbegründungen waren eigentlich relativ selten. Eine dieser seltenen zusätzlichen
Urteilsbegründungen ist mir aber doch aufgefallen. Da fand am 28. 12. 1950 vor der
Großen Strafkammer des Landgerichts Rudolfstadt auch ein Prozess gegen mehrere Zeugen
Jehovas statt. Unter den Verurteilten befand sich auch ein Kreisdiener von ihnen, der zu
15 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Ein anderer Angeklagter im gleichen Prozess wurde
bezichtigt Berichterstatter zum Westberliner Radiosender
Rias" zu sein. Sein Urteil
gleichfalls 15 Jahre Zuchthaus und Vermögenseinziehung. Über einen dritten Angeklagten
heißt es, er sei Verbindungsmann der Sekte zum englischen
Geheimdienst". Sein Urteil: Zuchthaus auf Lebenszeit und Ehrverlust (MfS Allg. S.
182/76).
Der Gerichte hatten sich auch mit der
für sie misslichen Lage auseinanderzusetzen, dass etliche ihrer Angeklagten bereits im
Naziregime drastische Strafen verbüßen mußten. Mit dem Naziregime verglichen zu werden,
dass sah man nicht so gerne, und wertete es prompt als Hetze". Da mussten schon
allerlei Zirkusreife Verrenkungen veranstaltet werden um diesen Sachverhalt
wegzuerklären". Nun wäre hier noch zu differenzieren, zwischen
diesbezüglichen Erklärungen von DDR-Propagandisten, und den Erklärungen der Justiz, die
sich ja immer noch genötigte sah, ihre Wortwahl in einer justizgemäßen Form
einzukleiden. Ein solches Beispiel sei noch aus der zuletzt zitierten Akte genannt. Dort
wird über einen der Angeklagten vermerkt (Bl. 58):
Bezüglich des Angeklagten
hat das Gericht mit Rücksicht
darauf, dass er bereits 8 Jahre Konzentrationslager in der Nazizeit durchgemacht hat, die
von der StA beantragte Zuchthausstrafe von 8 Jahren auf 6 Jahren herabgesetzt. Auf der
anderen Seite konnte das Gericht nicht weiter heruntergehen, weil der Angeklagte
seiner ganzen Einlassung nach einen so fanatischen Eindruck machte, dass seine
Persönlichkeit auf freiem Fuss für die DDR eine gewisse Gefahr in sich schliesst. Dies
zu verhindern ist einer der Hauptzwecke der vorliegenden Entscheidung."
Wurde eben noch von einem Fall
berichtet, wo der betreffende anstatt 8 Jahren nur" 6 Jahre Zuchthaus
aufgebrummt bekam, so gibt es durchaus noch andere Beispiele. So verurteilte das
berüchtigte Dresdner Gericht einen 55 Jahre alten Schneidermeister. Über ihn wird noch
vermerkt, dass er von 1943-45 im KZ und Zuchthaus saß, im
Jahre 1945 durch die Nazis zum Tode verurteilt, zwei Brüder hingerichtet, seine Ehefrau
zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt, sein Schwager hingerichtet" wurde. Das hinderte jenes DDR Gericht jedoch nicht
daran, auch ihm 10 Jahre Zuchthaus aufzubrummen!
Es wurde ein bedeutsames Stichwort
schon mit genannt. Das etliche der damaligen Zeugen Jehovas einen fanatischen Eindruck hinterließen. Dieser Einschätzung wird man
weitestgehend beipflichten müssen. Jene, die in der Lage waren, in sachlicher, auch für
Außenstehende nachvollziehbaren Art und Weise, ihren Glauben zu artikulieren, waren
eigentlich in der Minderheit. Wenn man Rutherford's Buch Religion" aus dem
Jahre 1940 kennt dann wundert man sich darüber nicht mehr.
Aber natürlich gewannen die Zeugen
Jehovas nach 1945 auch Neuzugänge und das in beträchtlicher Zahl, auch unter der
damaligen Jugend. Einer auf den das offensichtlich auch zutrifft, war der schon genannte
Werner L. aus Dresden, Hebbelstraße
Das Gericht bescheinigt ihm, wie schon
zitiert, dass er als intelligent und redegewandt eingeschätzt wurde. In seiner Stasiakte
(MfS HA XX/4 Nr. 2338) findet sich zu seiner schon genannten inkriminierten Äußerung
noch die Ausführung:
Aus einem Bericht der Landespolizeibehörde Sachsen vom 7. 6. 1949 an
die Deutsche Verwaltung des Innern, Hauptabteilung K (Vorläufer der Stasi) geht über den
Obengenannten folgendes hervor:
'Seit 2 Jahren tritt L. als Prediger der Zeugen Jehovas auf. In einer
Rede am 17. 5. 1949 äußerte er sich, daß die Weltlage mit einem Kaspertheater zu
vergleichen ist und tat verhöhnende Äußerungen über das vielfache Ja, das in der
Weltgeschichte verlangt worden wäre. Er zog eine Parallele zwischen 1933, wo daß Ja, wie
er sich äußerte, nicht nur geschrieben, sondern gebrüllt worden wäre, und 1949, wo
dasselbe getan wurde.
L. ist ein typischer Vertreter der Zeugen Jehovas, die für sich
jegliches Recht aller menschlichen Einrichtungen in Anspruch nehmen, aber nicht deren
Gesetze anerkennen und nur die theokratische Herrschaft der Zeugen Jehovas als bindend
erklären.'"
Am 30. 8. 1950 wurde dann auch L.
verhaftet und bekam dann perspektivisch sein schon genanntes Urteil. Am 16. 5. 1959 wurde
er allerdings vorzeitig" aus der Haft entlassen, aufgrund einer Amnestie durch
den damaligen DDR-Präsidenten Pieck. Bevor es zu dieser Entlassung kam, wurden über L.
auch eine Reihe von Einschätzungen abgefasst. In einer dieser konnte man lesen:
Wie aus den beigezogenen Beurteilungen zu ersehen ist, hat er sich
während des gesamten Strafvollzuges stets einwandfrei und diszipliniert geführt. Wenn er
auch nach wie vor an seinem Glauben (Zeugen Jehova) festhält, so bemüht er sich doch
durch gute Arbeitsleistungen zu zeigen, daß er am, Aufbau mithelfen will. Er hat eine
durchschnittliche Normerfüllung von 130 % und beteiligt sich laufend an freiwilligen
Arbeitseinsätzen. Er studiert interessiert das 'Neue Deutschland'. In seinen Gesprächen
mit anderen Strafgefangenen kommt zum Ausdruck, daß er die Politik der Adenauer-Regirung
verurteilt. Es kann erwartet werden, daß er in Zukunft die Gesetze unseres Arbeiter- und
Bauernstaates achten wird.
Auf Grund dieser gesamten Entwicklung sieht der Senat gleich wie die
Staatsanwaltschaft den Strafzweck für erreicht an und es wird ihm gen. § 346 StPO
bedingte Strafaussetzung gewährt."
Später wurde diese 3-jährige
Bewährungsfrist auch noch aufgehoben. Die Stasiakte vermerkt dazu: Gemäß
Beschluss des Staatsrates vom 1. 10. 60 wurde dem L. die Ableistung der Bewährungszeit
erlassen. Seine diesbezügliche Verpflichtung, die Gesetze der DDR stets einzuhalten,
unterschrieb L. am 21. 12. 1960 mit einem schriftlichen Vermerk: 'Unter Berücksichtigung
der Glaubensfreiheit unterschrieben - L.'".
Am 17. 7. 1959 heiratete dann L.. Die
Stasi vermerkt, dass seine Frau als fanatische Zeugin Jehovas bekannt sei und sich unter
anderem in der Strafvollzugsanstalt Brandenburg befand.
Zu den internen Grundsätzen der
Zeugen Jehovas gehörte es auch, möglichst keine bereits inhaftierten Zeugen Jehovas auf
verantwortlichen Funktionärsposten zu setzen. Im Hintergrund stand dabei die Angst, dass
die vielleicht von der Stasi umgedreht" sein könnten, und dieses Risiko wollte
man vermeiden.
Schon im Jahre 1960 hatten die Zeugen
Jehovas über ihre internen Gewährsmänner in US-amerikanischen Politkerkreisen Wind
davon bekommen, dass die DDR, aufgrund ihrer zunehmend desolater werdenden
innenpolitischen Situation, genötigt sein könnte, eines Tages ihre Grenzen dicht zu
machen. Wie man weiß, trat dieser Fall dann im August 1961 auch tatsächlich ein. Nach
1950 waren die ostdeutschen Zeugen Jehovas von Wiesbaden, aber immer mehr auch von
Westberlin angeleitet worden, wo sie seit 1955 auch ein eigenes offizielles Zweigbüro
hatten. Dessen Leitung hatte der heutige Präsident der deutschen Wachtturmgesellschaft,
Herr P. inne. Über letzteren vermerkt die Stasi, dass er aufgrund seiner Annahme der
amerikanischen Staatsbürgerschaft, nunmehr Deutschamerikaner sei: Charles Will Pohl
alias Ferdinand Reuter".
In Vorahnung der politischen
Entwicklung in der DDR, wie sie 1961 dann eintrat, hatte die deutsche Zeugenführung
beschlossen, für den Ernstfall eine separate eigene Führungsoligarchie aufzubauen, die
nur aus DDR-Bürgern bestand. Offenbar muss ihr Herr L. als vertrauenswürdig genug
erschienen sein, sodass sie in seinem Fall davon absah, keine bereits inhaftierten Zeugen
Jehovas, mit verantwortlichen Posten zu bekleiden. L. wurde von ihr für den Ernstfall zum
Leiter der Zeugen Jehovas in der DDR bestimmt. Schon vorher wurde er in Westdeutschland in
die entsprechenden konspirativen Taktiken eingeweiht und seine Verbindung zu Wiesbaden
über entsprechende Deckadressen usw. in Szene gesetzt. Der Ernstfall trat ein und L.
waltete nunmehr seines vorgesehenen Amtes. Dazu gehörte auch, entsprechende Kontakte zu
anderen wichtigen Funktionären in der DDR zu aktivieren. Unter anderem auch zu dem Herrn
Wolfgang Kirchhof aus Gera, der schon damals (was L. allerdings nicht wusste) mit der
Stasi zusammenarbeitete.
Die Stasi war nunmehr über Kirchhoff,
Laube und andere sehr wohl darüber informiert, was sich da in der Zeugen Jehovas-Szene
abspielte. Insbesondere die Anfang der 60-er Jahre aufgenommene Schulung führender
DDR-Zeugen Jehovas mittels der sogenannten Königreichsdienstschule" erregte
ihr besonderes Missfallen. Mehr noch, nachdem sie sich über ihre IMs einen genauen
Überblick über die damaligen verantwortlichen Zeugen Jehovas verschafft hatte, beschloss
sie zu einem vermeintlichen Enthauptungsschlag überzugehen, der dann im November 1965 in
die Tat umgesetzt wurde. Unter den Verhafteten befand sich selbstredend auch L.
L. hatte nicht nur Kenntnis von der
Königreichsdienstschule". Er wandte ihre Empfehlungen auch in der Praxis an;
namentlich der Grundsatz der theokratischen Kriegslist". In einem
Vernehmungsprotokoll der Stasi wird er auch diesbezüglich angesprochen und der Fakt
registriert, dass er sich unter den örtlichen Dresdner Zeugen Jehovas weitgehend
zurückhielt, sodass kaum einer dort wusste, welche tatsächliche Position er bekleidete.
Mehr noch. Zu den Grundsätzen der Zeugen Jehovas gehört auch die Nichtteilnahme an
politischen Wahlen. Aus dem genannten Grundsatz der theokratischen Kriegslist",
setzte L. für sich diesen Grundsatz außer Kraft, wie dies das Stasiblatt
Christliche Verantwortung" auch ausdrücklich der Erwähnung wert fand (CV 11).
Nach seiner 1965-er Verhaftung wurde
L´. erneut zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt. Aber nicht nur er allein. Es wurde schon
angedeutet, dass die Stasi sehr wohl ihre IMs auch bei den Zeugen Jehovas platziert hatte;
auch unter denen, die sich gleichfalls in Haft befanden. In der Haftanstalt in der L´.
sich nun befand, gab es einen weiteren Zeugen Jehovas, der dort die Funktion eines
Friseurs wahrnahm. Mit diesem hatte L. bei einem solchen Friseur-Termin ein Unter vier
Augen Gespräch. Die Stasi notiert:
Sie sprachen über ihre Straftaten. L. als Chef der ZJ der DDR konnte
sich an den Namen des
erinnern und wußte, daß dieser als Kreisdiener innerhalb
der Organisation ZJ im Raum Magdeburg tätig war."
Jenes Stasiprotokoll vermerkt auch
noch, dass L. seinem Gesprächspartner gegenüber geäußert haben soll:
Ich habe mir Gedanken gemacht, wer uns hat hochgehen lassen, auf eine
bestimmte Person bin ich bisher nicht gekommen. Eines würde jedoch klar sein, unser
Hochgehen kommt nicht von der DDR, sondern von der Zentrale in Wiesbaden. Das MfS muß in
Wiesbaden einen Mann haben, der zu den Spitzenfunktionären unserer Organisation gehört.
Die 'Stasi' scheint in unserer Organisation fest verwurzelt zu sein und mich sollte es
nicht wundern, wenn die einen Spitzel im Hauptbüro in Brooklyn - USA - haben."
Dank der Intervention der
Bundesrepublik Deutschland, brauchte L. seine erneuten zwölf Jahre nicht voll abzusitzen.
Er konnte 1967 in die BRD übersiedeln.
Eine makabre Nachmeldung in Sachen L.
gilt es noch zu machen. Die Stasi hatte verschiedene Dienstabteilungen. Deren Abteilung
XXII/2 richtete an die Abteilung XX/4 am 22. 4. 1987 ein Auskunftsersuchen. Es ging darum,
dass aus der seinerzeitigen BRD angeblich eine schriftliche, anonyme Gewaltandrohung gegen
den SED Generalsekretär Honecker eingegangen sei. Bei ihren Recherchen (Vergleich der
Schriftproben und ähnliches) stieß die Stasi-Abteilung XXII/2 auf das Aktenzeichen des
Falles L. und bat nun die XX/4 um nähere Auskunft. Letztere antworte darauf, es handle
sich um den 1967 in die BRD nach Lahr (Schwarzwald) ausgereisten" Werner L..
Was die XXII/2 mit dieser Auskunft
dann anfing, ist nicht näher bekannt. Herr L., der sich in seinem Selbstverständnis
weiter als treuer Zeuge Jehovas sieht, bemerkte auf eine telefonische Anfrage meinerseits
(28. 11. 2000) dazu, dass ihm dieser vorgetragene Fakt unbekannt sei. Da ich mich jedoch
nicht unbedingt als Lobsänger" der WTG verstehe, ist es vielleicht
verständlich, dass es zu keinem wirklich vertieften Gespräch kam. Aber festzuhalten
bleibt auf jeden Fall der Fakt, dass Herr L. diese Stasikonstruktion zurückweist.
Ein Dokument sei auch noch hier
wiedergegeben. Es sagt letztlich auch einiges über den Stasistaat DDR aus. Im Jahre 1960
führte der Stasifunktionär Seltmann auch ein von ihm protokolliertes Gespräch mit einem
Zeugen Jehovas. Der war, wie etliche seiner Leidensgenossen zu 10 Jahren Zuchthaus
verurteilt. Zum Zeitpunkt des Gespräches hatte er sieben Jahre davon bereits verbüßt.
Seltmann wähnte wohl, dass jener Zeuge Jehovas vielleicht nicht ganz so fanatisch sei und
er sich vielleicht für die Stasiinteressen gebrauchen ließe. Zu dieser Erkenntnis ist er
aber erst gelangt, nachdem der derart von ihm Begünstigte" bereits sieben
lange Jahre seiner Strafe abgesessen hatte. Ein merkwürdiges psychologisches
Fingerspitzengefühl" mag man da als Kommentar nur zu sagen. In seinem Protokoll
führte Seltmann aus (MfS-HA XX/4 Nr. 2304):
Weiterhin führte er aus, daß er sich auf keinen Fall zur Zersetzung
der Organisation hergeben wird. Auch hier wurde versucht, ihm klarzulegen, daß wir nicht
an einer Zersetzung interessiert sind. Er wurde beauftragt bis in 3 Wochen eine
Ausarbeitung anzufertigen was nach seiner Meinung verändert werden müsse und wie."
Und in der Tat, diese Ausarbeitung
wurde tatsächlich gemacht. Seltmann hatte sie nicht nur entgegengenommen. Nein, auch
aufmerksam gelesen, was er dadurch zum Ausdruck brachte, dass er bestimmte Stellen dieses
Textes seinerseits durch Unterstreichungen hervorhob. Also um es vorweg zu sagen. Der
fragliche Zeuge Jehovas hat sich meines Erachtens durchaus wacker geschlagen. Aber bilde
sich jeder sein eigenes Urteil dazu. Nachstehend dieser Text, einschließlich der von
Seltmann vorgenommenen Unterstreichungen:
Aus dem Verbot der Organisation der Zeugen Jehovas im Jahre
1950 in der DDR hat sich die unnormale Situation ergeben, daß die Organe des MfS
fortlaufend Verhaftungen vornehmen muß, da ja die Organisation weiterhin illegal besteht.
Da jedoch die Organe des MfS nach Wegen suchen, dies zu
ändern und sich weitere Klarheit verschaffen wollen, ist es angebracht einiges zu
betrachten.
Die Tatsache, daß das weltleitende Büro der
internationalen Wachtturm-Bibel-und Traktatgesellschaft sich in den USA befindet,
erregte natürlich das Mißtrauen der Länder, die sich mit diesem Land in einem
Nervenkrieg befinden. Hinzu kamen noch Verdachtsmomente, wie das Anfertigen von
Gebietskarten, woran man jedoch jahrelang vorher keinen Anstoß nahm.
Die ganzen Jahre hindurch fand man aber so gut wie keine
Beweise mehr, daß sich die Organisation mit solchen Dingen beschäftigt, wohingegen man
doch bei den wirklichen Spionagediensten und ihren Deckorganisationen täglich die
gegenteiligen Erfahrungen machte. Außerdem wurden und werden Dinge, wie das Anfertigen
von Gebietskarten, in der ganzen Welt gemacht, auch in den USA, worauf letztere auch den
Vorwurf erheben könnten, Karten von Städten der USA seien dazu bestimmt, den östlichen
Geheimdiensten für strategische Zwecke zugeleitet zu werden.
Jedoch werden Anschuldigungen heute noch wenig erhoben. Wenn
man vom Ort des Sitzes der Organisation auf eine Sympathie mit irgendeiner weltlichen
Mächtegruppierung schließen will, so klingt dies ebenso hohl, als würde man das
Internationale Rote Kreuz als Schweizerische Organisation bezeichnen.
Zudem wurde die Organisation der Zeugen Jehovas"
zu einer Zeit gegründet, wo die Aufteilung der Welt in die Gesellschaftssysteme wie sie
jetzt bestehen, noch garnicht abzusehen war.
Trotzdem blieb ein ungeheures Mißtrauen der Organe des MfS
der DDR insbesondere gegen die leitenden Personen des Werkes Z. J. zurück. Dies ist
meines Erachtens auch erklärlich.
Die weltanschaulichen Differenzen sind zu groß, was den Weg
zur künftigen Gesellschaftsordnung anbelangt. Allerdings in der Zielstellung besteht eine
gewisse Gemeinsamkeit. Dies betrifft besonders das klassen- und geldlose Zusammenleben der
Menschen nach ihren Bedürfnissen auf der ganzen Erde vereint nur mit natürlichen
Grenzen, die auch noch durch die vereinten technischen Austragungen überwunden würden.
Da man so viele Erfahrungen mit rein gegen den Sozialismus gerichteten Organisationen
machte, übertrug man dies einfach auf die Z. J. Bei den anderen besteht doch nur meist
ein materieller Anreiz. Ist dieser weg, bricht auch alles andere ein.
Bei den Z. J. kommt finanziell nur sehr wenig ein, weil es
sich auf freiwillige Spenden fundiert. Die Mittel reichen nur zur Finanzierung der
Druckereien und sonstigen Einrichtungen. Die Taschengelder der hauptamtlichen Mitarbeiter
in den Bethels sind sehr niedrig, und die Unterhaltsbedürfnisse der Menschen werden meist
aus gesellschaftlichen Mitteln, wie der Musterfarm, gedeckt. Außerdem haben die Z. J. in
den Ländern, die zum Faschismus gehörten, schwer gelitten. Sie brachten Opfer und nahmen
Entbehrungen in Kauf, bewahrten eine gerade Linie durch sämtliche Regierungsformen.
In den USA war das Werk 1919 auch schlimmsten Anfeindungen
ausgesetzt, und zu dieser Zeit bis hinab in die Nazizeit Deutschlands bezeichnete man Z.J.
in der ganzen Welt als Wegbereiter des Kommunismus.
In der jüngsten Zeit findet man sogar in Ländern, wie
Schweiz, Prozesse gegen Z.J., die zwar privater Natur sind (man macht aus dem Abgeben der
Literatur zum Selbstkostenpreis einen gewerbsmäßigen Buchhandel), jedoch eindeutig
zeigen, daß die herrschenden Kreise in diesen Ländern an einer Tätigkeit der Z.J. nicht
interessiert sind.
Jeder aufrichtige Z.J. hat jedoch vor Gott ein Gewissen.
Wenn er sich nun mit in Reihe stellen würde, die die Welt in einen Zustand der Hysterie
versetzen, würde er sich schuldig machen vor Gott und somit seines Herzensverhältnisses
zu Gott verlustig gehen, alle Opfer und Mühen manchmal eines ganzen Lebens wären umsonst
gewesen.
Dies mag für den, der es nicht versteht, absurd und
lächerlich klingen. Wenn sich die Z.J. für eine weltliche Mächtegruppierung betätigen
würden, so hätten sie keine Garantie, denn diese haben sich innerhalb von zwanzig Jahren
zwei- bis dreimal verändert.
Daß die Z.J. in den USA auch nicht gerne gesehen werden,
beweist ein Ausspruch Trumans zu den Vorbereitungen des Weltkongresses 1950 in New York,
daß der Kongreß nur über seine Leiche stattfinden würde. Dies wurde dann in Berlin auf
einem Kongreß bekanntgegeben. Außerdem wissen Z.J. durch die Heilige Schrift, daß in
Zukunft eine weltweite Behinderung der Tätigkeit eintreten wird. Es liegt ihnen also
nichts daran, jemanden im Kapitalismus zu gefallen.
Nun geht es den Organen der DDR hauptsächlich darum, zu
wissen, ob im Hauptbüro Personen sind, die aus dem Lager der dem Sozialismus
entgegengesetzten Mächtegruppierung stammen. Anders erklären sich die Organe nicht eine gewisse
Opposition in den Publikationen der Wachtturm-Bibel-und Traktatgesellschaft gegen sie.
Meines Wissens werden die Artikel vielfach ohne eigene
Stellungnahme geschrieben und nicht nur gegen sozialistische Länder. Der Stich ins eigene
Fleisch tut natürlich sehr weh, als wenn man es beim Nachbarn sieht. Zum anderen ist
natürlich eine besondere Reibung durch den dauernden Kampf entstanden. Da Z.J. auch nur
Menschen sind, weisen sie auch menschliche Merkmale und Schwächen auf.
Wenn man nun alles von Seiten der Organe der DDR nochmal
prüfen und versuchen würde, ob nicht doch eine friedliche Koexistenz im eigenen Lande
mit diesen Menschen möglich wäre, dann würde sich vieles auch auf der Gegenseite
verändern.
Die Z. J. sind nun einmal da und solange sie da sind, wird
auch eine gewisse Betätigung nicht aufhören. Deshalb wird man sich auch mit diesem
Problem auseinandersetzen müssen. Man kann dies nicht mit ein paar Federstrichen oder
Festnahmen abtun. Die endgültigen Entscheidungen treffen sowieso der Lauf der Zeit,
übertreffen also das Wirkungsvermögen der jetzt funktionstragenden Menschen.
Die Z.J. sind überdies dem Bestand der DDR nicht gefährlich.
Man kann sie ruhig als ein Übel, über welches ja jeder (Staats)-Körper mehrfach
verfügt, betrachten. Es gibt andere Glaubensorganisationen, die weit mehr Schaden der DDR
zufügen.
Die Evangelische Kirche geht im aufrüstenden
Westdeutschland mit der Armee einen Seelsorgevertrag ein. So etwas kann man von den
Z.J.nicht sagen, sie treten sogar noch gegen die Wehrpflicht auf.
Sobald eine tolerantere Haltung gegenüber den Z.J. gewahrt
würde, würde man sicher von Seiten der Gesellschaft der Z.J. in den internationalen
Artikeln auch eine andere Haltung angenommen werden. Es wäre auch gut, wenn man
vollständig offen in brieflichen Wechsel mit dem Zweigbüro sprechen würde. Oder man
könnte auch eine oder mehrere Personen, die die Verhältnisse hier eingehend kennen,
hinfahren, um mit den leitenden Personen auch die Sorgen und Wünsche, die die Organe des
MfS bewegen, zu erörtern. Es ließe sich auf diese Weise viel Gemeinsames machen.
Im allgemeinen sind die Z.J. vernünftige, arbeitsame Menschen
und das Prestige der DDR steigt mehr, wenn die Festnahmen wegfallen.
Die Organe des MfS sind nun der Ansicht, durch eine
Durchsetzung der Zweigbüros mit vertrauten Personen eine bessere Übersicht zu bekommen,
um so durch Wissen der Beweggründe der Organisation einen eventuellen Stop in den
Verhaftungen zu veranlassen. Mißtrauen wird jedoch wieder zu Mißtrauen führen und der
Geist in der Organisation ist so beschaffen, daß sich Personen mit unaufrichtigen
Gefühlen nicht lange halten können.
Dies wird absurd anmuten, jedoch die Erfahrung wird es
bestätigen. Obwohl ich der Ansicht bin, daß man Verschiedenes durch gegenseitiges
Entgegenkommen und durch Absprachen verändern kann, kann ich aus Gewissensgründen jedoch
nicht den Wünschen der Organe des MfS so weit entgegenkommen. Außerdem ist durch die
fast siebenjährige Haft mein psychischer Zustand nicht der beste, und nach meiner
Haftentlassung besteht daher erst einmal der Drang nach Entspannung und Enthaltung
jeglicher Verpflichtung.
3) Fallbeispiel Egon R.
Einer der höheren Funktionäre der Zeugen Jehovas, ist der Tischler Egon R.. Zusammen mit Hermann Laube brachte er es bis ins Präsidium der von der Modrowregierung genehmigten Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in der DDR"; respektive der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland." Während Laube seinen Posten, aufgrund seiner Doppelrolle als Hans Voss" klammheimlich wieder verlor, ist R. dort nach wie vor vertreten. Die Stasiakten vermerken (MfS HA XX/4 2447 Bl. 205) dass er nicht mit in die Maßnahmen vom 23. 11. 1965 einbezogen" wurde.
Im Klartext. Im
November 1965 wurde die damalige DDR-Führung der Zeugen Jehovas unter dem Dresdner Werner
L. verhaftet. R., obwohl der Stasi bereits als Funktionär bekannt, blieb von dieser
Verhaftungsaktion verschont. Im weiteren stieg er in höhere Funktionärsfunktionen auf.
Die Stasi notiert (Bl. 207):
Seit 1966 ist R als Kreisdiener für den Kreis
verantwortlich
und trägt den Decknamen 'Berthold'. Seit Januar 1969 ist er gleichzeitig amtierender
Bezirksdiener für den Bezirk 2 und steuert dadurch 3 Kreise. Er ist sogen. Unterweiser
der 'Königreichsdienstschule' tätig. Seit August 1968 ist er der Organisator der Aktion
'Thüringer Wald' in der DDR. Seine Aufgaben löst mit einer großen Aktivität und
Selbstsicherheit. Von Seiten der Sekte und ihrer Funktionäre genießt er großes
Vertrauen. Durch seine Funktionen und Aktivität hat er Kenntnis über die Tätigkeit des
Leiters der Sekte, Helmut Martin, Limbach-Oberfrohna, die vorhandenen Bezirksdiener, deren
Decknamen und Tätigkeit"
usw. usf.
Die eben mit genannte Aktion
Thüringer Wald" bezog sich auf das Einschleusen größerer Mengen von Original
WTG-Literatur in die DDR. Während anderen erwischten Kurieren, die Literatur
einschleusten, sogar die zu ihrer Straftat" benutzten Pkws beschlagnahmt wurden
(solche Fälle sind bekannt), traute sich die Stasi in Sachen Thüringer Wald"
nicht so recht zuzuschlagen. Sie hätte dann nämlich einen Westberliner
Berufskraftfahrer, der Kies aus der DDR für Bauvorhaben nach Westberlin fuhr, ebenfalls
belangen müssen. Dieser Kiesexport war für die chronisch devisenschwache DDR aber
zugleich auch ein beachtlicher wirtschaftlicher Posten. Schlug die Stasi zu, hätte das
auch Auswirkungen auf dieses Wirtschaftsgeschäft. Also mehr zähneknirschend sah sie
davon ab. Aber auf Dauer wollte die Stasi schon etwas in Sachen R. bewegen. Die
Stasifunktionäre kamen daher zu dem Ergebnis, R. als IMF (dass heißt IM mit
Feindberührung) anwerben zu wollen.
Die Stasi notiert:
Am 26. 9. 1967 erfolgte mit R. ein einstündiges Gespräch. Dabei
wurden ihm die Aufgaben des MfS dargelegt und empfohlen sich diese gründlich zu
überlegen. Dazu wollten wir ihm Zeit lassen und später das Gespräch fortsetzen. Im
persönlichen Gespräch war er zugänglich und es entwickelt sich eine flüssige
Unterhaltung. Ansonsten war er ein ruhiger Zuhörer, der nicht widersprach. Er war sehr
aufgeregt und konnte dies nur wenig verbergen. Das mit ihm geführte Gespräch wurde unter
den 'Zeugen Jehovas' nicht bekannt."
Über letzteres war die Stasi sehr
erfreut, bot dies doch den Ansatzpunkt um weiter an der Sache" dranbleiben zu
können. Seine Persönlichkeit meint sie davor schon genügend aufgeklärt" zu
haben. Ein Satz aus dieser Aufklärung:
R. hängt an seiner Freiheit und an seiner Familie. Das bringt er
damit zum Ausdruck, daß er angeblich gebraucht wird, vor allem aber in der Versorgung der
Offiziell dem MfS gegenüber spielt er den Gleichgültigen. In seiner inneren
Einstellung ist er jedoch tief beeindruckt und klammert sich an jede Möglichkeit, in
seiner Tätigkeit für die 'ZJ' nicht überführt zu werden." Lässt man sich diese Aufklärung" mal
auf der Zunge zergehen", kann man als Kommentar dazu nur sagen: Übelste
Erpressermentalität!
Noch ein Satz aus dem Stasiprotokoll
in dieser Richtung:
Die langjährige aktive illegale Tätigkeit hat besonders stark seine
Nerven angegriffen. Er leidet an Verfolgungswahn. Jede unbekannte Erscheinung bringt er
mit seiner Person in Verbindung. Er stürzt nachts aus dem Bett, wenn er verdächtige
Geräusche hört. Mehrmals glaubte er schon, man würde ihn verhaften. Dabei stellte es
sich heraus, daß es angetrunkene Personen waren, die seinen Verdacht erregten. Bei der
Aussprache am 26. 9. 1967 zitterte er am ganzen Körper; er hatte sich nicht mehr in der
Gewalt, so daß seine Zähne aufeinanderschlugen."
Einen solchen Mann gedachte die Stasi
nun anzuwerben". Man mag dazu als Kommentar nur sagen: Die Herren Herbrich und
Konsorten von der Stasi haben in der Tat ein bemerkenswertes Maß an Weltfremdheit
offenbart. Aber vielleicht sollte man diesen Aspekt noch dahingehend zuspitzen: Und nicht
zuletzt auch ihre Auftraggeber im Zentralkomitee der SED. Schönen Gruß" an
den seligen" Herrn Honecker, der in den ersten Jahren nach 1945 auch mal eine
Liaison mit einer von den Zeugen Jehovas beeinflussten Frau hatte. Einige behaupten sogar,
besagte Charlotte Grund sei sogar Zeugin Jehovas gewesen!
Am 21. 5. 1969 versuchte die Stasi
nochmals ihr Glück. Minutiös vorbereitet, wurde R. auf seinem Weg zur Arbeitsstelle
abgefangen und zu einem längeren Gespräch mit der Stasi genötigt. Die Stasi notiert in
ihrem Planungsprotokoll dazu:
Zunächst werden wir ihm nur einzelne Anlagekarten aus der
Dokumentation 'Thüringer Wald' vorgelegt. Dann wird er aufgefordert, doch einmal von sich
aus unsere Arbeit einzuschätzen. Entsprechend seiner Reaktion wird ihm deutlich gemacht,
daß die Bilder das Ergebnis seiner Überprüfung seit dem 26. 9. 1967 sind.
Dem Kandidaten wird anhand der Dokumente nachgewiesen, daß seine
Überwachung und seine teilweise unvorsichtige Handlungsweise das MfS auf die Spur der
Zentrale gebracht hat. Durch seine Unvorsichtigkeit und unsere gute Arbeit war es
möglich, auch auf die illegale Leitung innerhalb unserer Republik zu stoßen.
Dem Kandidaten wird zu verstehen gegeben, daß er der erste 'ZJ' ist,
mit dem wir so offen über diese Dinge sprechen. Trotz unserer Kenntnis und der heute
geführten Aussprache läuft die Aktion nach wie vor.
Sodann wird auf das Programm der KRDS (Königreichsdienstschule)
eingegangen und besonders ihr Verhältnis zu unserem Organ hervorgehoben. Trotz der im
Programm enthaltenen Verhaltenshinweise, die er in seiner Funktion als sogen. Unterweiser
vermittelte, war es uns möglich, dieses Material zu erarbeiten. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, daß trotz aller
Vorsichtsmaßnahmen der Sekte das MfS über deren illegale Tätigkeit informiert ist.
Gewisse Kreise glauben, alles im Untergrund erledigen zu können, ohne dabei erkannt zu
werden. Dieser Meinung ist vor allem
Er glaubt, den Kiesfahrer in völliger
Sicherheit eingesetzt zu haben und über ihn einen 100 % sicheren Weg in die DDR benutzen
zu können. Daß dem nicht so ist, zeugen die vorliegenden Dokumente.
Auch die ehemaligen Kuriere
und
mußten ihre Tätigkeit
einstellen, weil sie erkannt waren (1. 3. 1967 und 26. 4. 1968). Bei beiden waren keine
größeren Maßnahmen notwendig, weil sie nicht den Umfang und die Bedeutung hatten. Der
Kiesfahrer und seine Verbindungen in die DDR müßten jedoch eine großangelegte Aktion
zur Liquidierung auslösen, wenn kein anderer Weg gefunden wird.
Dem Kandidaten werden nun einige Dokumente der ehemaligen Kuriere
und
vorgelegt. Das vorher Gesagte muß damit unterstrichen und gezeigt
werden, daß die benutzten Begriffe bzw. Decknamen uns nicht unbekannt sind. Daraus ist auch die Rolle des ehemaligen Bezirksdieners
und
die des Kandidaten zu erklären. Die Ablösung des
im Januar 1969
ist so hinzustellen, daß es nicht um die Angelegenheit
gegangen ist, sondern um
die Interessen der WTG. Diesen Interessen diente
seit längerer Zeit nicht mehr.
Die entscheidende Konsequenz, die sich in den letzten Jahren
herausgebildet hat, ist, daß der Kandidat die ganze Verantwortung dieser umfangreichen
Tätigkeit zu tragen hat. Auch die Verantwortung über die evtl. Maßnahmen des MfS zur
Liquidierung der Aktion 'Thüringer Wald'. Damit werden einzelne Maßnahmen notwendig, wie
ca. 15 Festnahmen mit Hausdurchsuchungen, Zeugenvernehmungen und Einziehung aller
eingeschleusten Materialien. Auch werden verschiedene Probleme, die in den betroffenen
Familien dadurch entstehen würden, stark ausgemalt.
Daß wir bisher noch zu keinen weiteren Maßnahmen geschritten sind als zu
dieser Aussprache, zeigt unser Bestreben, diese komplizierten Aufgaben anderweitig zum
Nutzen aller Beteiligten zu lösen. Die Lösung kann nur darin bestehen, daß wir einen
gemeinsamen Weg finden, ohne daß einer seine Position aufgeben muß. Zur Zeit sollte alles wie bisher weitergehen.
Durch gemeinsame Gespräche könnte die Lösung gefunden werden. Damit würden dann auch
alle Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen von uns eingestellt.
Entsprechend der Reaktion des Kandidaten muß jeweils verfahren
werden."
Soweit diese Stasiplanung.
Die Stasi notierte auch noch, dass sie
es für unbedingt wichtig erachtete, herauszubekommen, wie R. nach diesem Gespräch
reagieren würde. Der diesbezügliche Passus im Stasiprotokoll vermerkt:
Daher werden folgende operative Maßnahmen nach dem Gespräch mit dem
Kandidaten durchgeführt:
Wenige Tage später werden Treffs mit dem IM Hans Voß"
und Walter" durchgeführt und konkret über die Situation gesprochen. Jede
Reaktion des Kandidaten haben die IM sofort mitzuteilen" usw. usf.
Für den Eventualfall, dass diese
geplante Werbevorgang nicht im Stasisinne ausgeht wird festgelegt:
Sollte die Werbung des als IMF vorgesehenen Kandidaten
nicht
erfolgreich verlaufen, werden folgende Maßnahmen durchgeführt:
Der Westberliner Kiesfahrer wird bei seiner nächsten Einreise in die
DDR am 22. 5. 1969, 4,45 Uhr G(renz)Ü(bergangs)St(elle) Drewitz, einer Befragung
zugeführt.
Das operative Material über den Kiesfahrer wird auszugsweise den
zuständigen Organen für die Durchführung dieser Maßnahme übergeben.
Der
wird dem Westberliner Kiesfahrer gegenübergestellt. Damit
wird die Dekonspiration des
erreicht und seine weitere leitende Tätigkeit
unmöglich gemacht.
Die Befragung des Westberliner Kiesfahrers soll dazu genutzt werden,
ca. 10 Vervielfältigungsapparate zu beschlagnahmen."
Nach diesem vorstehend skizzierten
Gespräch erfolgte am 5. 6. 1969 noch ein zweites. Aus ihm sei noch der folgende
Protokollabsatz zitiert:
Es wurde festgestellt, daß R. nur mit Mühe seine innere Erregung
und Enttäuschung des Bekanntwerdens seiner verantwortlichen Tätigkeit verbergen konnte.
Er war nicht in der Lage in einer gewissen Zeit irgend eine Antwort zu geben.
Nachdem er sich etwas gefangen hatte, sagte er, er sei erschüttert,
er könne es nicht verstehen, warum wir ihn nicht inhaftierten, da uns alles bekannt ist.
Er habe sich schon in der letzten Woche vielseitige Gedanken gemacht und stehe auf dem
Standpunkt, Kompromisse könne er nicht eingehen, da er in den letzten Jahren bis 1975
nicht das Leben verlieren möchte. (R. glaubt fest daran, daß 1975 die sogenannte
Schlacht Gottes kommt, wo alles vernichtet wird und nur die 'ZJ' das ewige Leben
behalten)."
Der Protokollierende Stasimajor
Meffert bemerkt dann noch:
Bei dem am 6. 6. 1969 durchgeführten Treff mit Hans Voss"
wurde festgestellt, daß R. Hans Voss" noch nicht informiert hatte, obwohl er
sich sonst sofort über viele wichtige Fragen mit ihm ausspricht."
Am 19. 6. 1969 fand dann ein drittes
Gespräch der Stasi mit R. statt. Dazu wird vermerkt:
Es war ihm die große Enttäuschung über das bisher von der Sekte
gehörte zu unserer Tätigkeit anzumerken.
nahm bei diesem Gespräch eine etwas
aufgelockerte Haltung ein. Er brachte jedoch wiederum zum Ausdruck, daß er auf keine
Kompromisse eingehen könne. Er glaubt ehrlich und fest an die Propaganda der WTG, daß
bis 1975 die sogenannte Schlacht Gottes kommt.
Ein weiterer Diskussionspunkt war der Gedanke von ihm, daß wir ihn
und alle 'ZJ' grundsätzlich nur von ihrem Glauben abbringen wollen. Eine
Glaubensdiskussion wurde abgelehnt."
Ein weiterer Stasibericht vermerkt,
dass ein für den 2. 7. 1969 festgelegter Gesprächstermin von R. nicht wahrgenommen
wurde. Daraufhin lauerte die Stasi ihm am 8. 7. 1969 auf dem Nachhauseweg auf. Noch einmal
erklärte sich R. zu einem Gespräch bereit", dass circa eine Stunde nach jenem
Überfall dann auch stattfand. Allerdings erklärte er dort laut Stasiprotokoll:
Er erklärte sofort, daß er auf freiwilliger Basis nicht mehr bereit
wäre, sich mit Vertretern des MfS zu Aussprachen zu treffen."
Herbrich verfasste dann noch eine
Einschätzung über R.. Daran brachte er zum Ausdruck, trotz des bisherigen Fehlschlages,
dass seiner Meinung nach, weitere Gespräche doch noch zum MfS-Ziel führen könnten. Der
hochbürokratische Stasiapparat lebte auch davon, dass alles und jedes protokolliert
wurde. Die einzelnen Stasifunktionäre wollten weitere Karriere machen. So auch Herbrich.
Eine Absage, wie sie von R. nunmehr vorlag passte nicht so richtig ins Konzept seiner
Karriereambitionen. Also musste er seinen Vorgesetzten lang und breit erläutern, weshalb
er immer noch glaubte R. dereinst mal umdrehen" zu können.
Diesbezüglich führt er aus:
Durch eingesetzte IM wurde innerhalb der ZJ-Organisation noch nichts
über seine Gespräche mit dem MfS bekannt. Auch wurden in diesem Zusammenhang noch keine
Veränderungen o. ä. von der Zentrale oder der Leitung in der DDR vorgenommen.
Demzufolge hat der IM-Kandidat die Leitung der Sekte in der DDR noch
nicht - wie es seine Pflicht wäre - informiert.
Die letzte vorliegende Information der Zentrale vom 31. 5. 69 an
einen Bezirksdiener in der DDR gibt u. a. Auskunft über eine neue Orientierung der Aktion
'Thüringer Wald'. Von dieser Seite her wird die Aktion bzw. Verbindung in die DDR nach
wie vor als äußerst zuverlässig betrachtet. Die Zentrale kann demzufolge noch nicht
über die Gespräche mit dem IM-Kandidaten unterrichtet worden sein."
Herbrich versuchte es dann noch mal am
17. 10 und 30. 10. 69 indem er jeweils seinem Opfer nach Arbeitsschluss auflauerte. Sein
nicht karriereförderndes Protokoll lies Herbrich denn auch nur in Handschriftfassung zu
den Akten legen (ohne es eigens nochmals per Schreibmaschine anzufertigen). Findet sich
doch darin beispielsweise auch der Satz:
R. weigerte sich der Aufforderung Folge zu leisten. Er verlangte
einen Haftbefehl."
Noch ein Protokoll sei zum Abschluss
zitiert.
Das vom 4. 12. 1970:
R. ist nach wie vor der verantwortliche 'Bezirksdiener' für den
'ZJ'-Bezirk 2 und hat auch noch den Decknamen 'Zaver'. Obwohl der Zentrale Wiesbaden
bekannt ist, daß
im Zusammenhang mit der Liquidierung der Materialschleuse 'Aktion
Thüringer Wald' mit den Sicherheitsorganen der DDR zu tun hatte, gilt er weiter als
zuverlässig. Ihm wurde von der Zentrale empfohlen, sich vorübergehend zurückzuziehen
und einen Vertreter die wichtigsten organisatorischen Aufgaben durchführen zu lassen,
ohne aber die Kontrolle und Übersicht zu verlieren. Erst wenn er der Meinung sei, daß
sich die Situation wieder beruhigt habe, solle er selbst wieder aktiver werden, ohne dabei
die Absicherungsmaßnahmen zu vernachlässigen (dieses Verhalten ist unter der von der
Zentrale herausgegebenen Hase-Igel-Methode bekannt und trifft auch für andere
'ZJ'-Funktionäre zu, wenn sie 'gefährdet' sind)."
4) Dirksen Referat in Berlin
Hans-Hermann D.,
referierte im Auftrag der Gauckbehörde am 10. 3. 99 in Berlin über die Verfolgung der
Zeugen Jehovas in der DDR. Darüber existiert auch eine Kassettenaufzeichnung, auf der die
nachfolgende Annotation beruht.
Eingeleitet wurde diese
Veranstaltung von einem Mitarbeiter der Gauckbehörde. Er vermerkte auch, dass die
Aktenbestände des MfS über die Zeugen, schier unendlich seien. Angesichts dieses
Umstandes kommt man nicht umhin, die Aussagekraft dieser Veranstaltung als dürftig
einzuschätzen. Geboten wurde eine mehr aus Überschriften, aber nicht aus wirklichen
Detailerläuterungen bestehende Darstellung.
Bild: Dirksen bei einem Referat in Dresden
Um nicht falsch
verstanden zu werden. Das SED-Regime stellt sich auch in meinen Augen als ein totalitäres
Regime dar. Gestützt auf die Bajonetten Moskaus installierte es sich, verfuhr mit seinen
Gegnern nicht zimperlich. Der Mitarbeiter der Gauckbehörde nannte auch den Fall der
Sozialdemokraten, die gleichfalls Opfer jener Diktatur wurden. Er vermerkt weiter, dass
die Zeugen Jehovas bereits seit 1948 von der K 5, dem Vorläufer der Stasi, systematisch
überwacht wurden. Seine Formulierung dazu, dass Verbot erfolgte nicht
weil sich die Zeugen um die Politik kümmerten, die Politik kümmerte sich um sie."
D. leitete seinen Vortrag mit
einem Zitat aus der Chemnitzer Volkszeitung" vom 5. 9. 1950 ein: Die Feinde des Aufbaus werden uns nicht hemmen". Genau diese Formulierung gibt die
Befindlichkeit der kommunistischen Machthaber markant wieder. Die politische Abstinenz der
Zeugen meinte der SED-Staat nicht tolerieren zu können. Dies meinten so auch schon die
Nazis und so wiederholte sich, mit Nuancen, die ganze Geschichte.
Eine Reflektion darüber, ob
nicht doch gerade angesichts der erwiesenenen geschichtlichen Endzeitillusionen der Zeugen
Jehovas, eine Modifizierung dieser These angezeigt sei, findet bei D., und nicht nur bei
ihm, nicht statt. So nahm denn das Schicksal der von Endzeitnaherwartung motivierten
Zeugen Jehovas seinen unvermeidlichen Lauf. Auch D. zitiert jene Petition der Zeugen
Jehovas an die DDR-Regierung in der man auch vermeldete, keine Menschenfurcht zu haben.
Sicherlich war dem so. Nur eben die Machthaber in der DDR hatten auch keine Furcht,
gegebenenfalls auch unpopuläre Antworten auf diese Herausforderung durchsetzen.
Das Resultat hat auch D.
registriert, in dem er zum Schluss vermerkt, dass es insgesamt zu insgesamt circa 5 000
Verhaftungen in der DDR gekommen sei, davon 15 lebenslänglich.
Ich muss mich noch mal
wiederholen. Ich kann die Ausführungen von D. lediglich als die Aneinanderreihung von
plakativen Überschriften, verbunden mit einigen verbindenden Worten ansehen. Dort, wo es
vielleicht hätte interessant werden können, schwieg bei ihm des Sängers
Höflichkeit". So vermerkt er z. B., dass das MfS schon frühzeitig begann seine IM
in der Zeugenorganisation zu platzieren. Er vermerkt auch weiter, dass diese Strategie
besonders seit den 60-er Jahren weiter intensiviert wurde.
Was D. gesagt hat, konnte ich
auch in anderen einschlägigen Büchern, schon vor langen Jahren nachlesen. Zwar in
anderen Worten formuliert, auch mit der Betonung anderer Prioritäten, aber in der
sachlichen Substanz schon dort dargelegt. Man analysiere mal beispielsweise das Buch von
Kurt Hutten Seher, Grübler, Enthusiasten" unter diesem Gesichtspunkt. Man wird
dann im Vergleich feststellen können, dass D. nichts wesentlich neues gesagt hat.
D. hatte die Chance auch die
Bestände der Gauckbehörde auszuwerten. Das, was er unter Beachtung dieser Sachlage hier
der Öffentlichkeit offeriert hat, ist mehr als dürftig!
Ein Fall, über den D. sich in
der oben genannten Veranstaltung des Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen, auch
nicht weiter verbreitet hat, ist der folgende:
5) Bayernallee 49 in Berlin
Schlägt man im
Berliner Telefonbuch unter Jehovas Zeugen nach, so findet man dort unter anderem auch die
obige Anschrift. Genutzt von zwei Versammlungen. Charlottenburg Süd und Charlottenburg
West. Diese Anschrift hatte in früheren Jahren, insbesondere in den Jahren vor dem
berüchtigten DDR-Mauerbau noch eine größere Bedeutung. Dort befand sich auch das
Berliner Büro der Wachtturmgesellschaft, unter der Leitung von Willi P., speziell auch
als Anlaufpunkt für die Kuriere aus dem Bereich der DDR gedacht.
Auf den Berliner Kongressen der Zeugen Jehovas der Jahre 1957/58 wurden auch immer
Anforderungslisten vorgelesen, von Bauhandwerkern, die man unter anderem auch für den
Ausbau jener Immobilie benötigte. Man war nicht wählerisch: Wer sich als kostenlose
Arbeitskraft anbot wurde genommen. Nachweisbar waren dort auch Arbeitskräfte tätig, die
ihren Wohnsitz beispielsweise in Ostberlin hatten. Es reichte aus, dass der Betreffende
anderen dort tätigen Zeugen Jehovas bekannt war und die Sache war gelaufen".
Vielleicht hat diese Sachlage auch noch eine andere Institution genutzt, die
bekanntermaßen auf die Zeugen Jehovas nicht gut zu sprechen war.
Nachdem das Objekt Bayernallee so ziemlich vollendet war, inklusive
Wachtturmzinnen" über dem Eingang zum Königreichssaal, ging die Aufforderung
an die Handwerker für die Realisation eines weiteren Objektes heraus. Diesmal in
Berlin-Wedding.
Eines schönen Wochenendes gab es dort ein bemerkenswertes Gesprächsthema. Einige der
Westberliner Zeugen Jehovas wussten zu berichten, dass an besagtem Tage in den
Westberliner Zeitungen eine schockierende Meldung zu lesen war. Diese Meldung sei hier
einmal nach der Berliner Tageszeitung Der Tagesspiegel" vom 28. 12. 1958
wiedergegeben. Es wurde dort notiert:
In dem West-Berliner Sitz der religiösen Sekte 'Zeugen
Jehovas' in Charlottenburg ist, vermutlich im Auftrage des sowjetzonalen
Staatssicherheitsdienstes eingebrochen und die Besucherkartei mit etwa 1200 Namen und
Adressen von Bürgern aus der Sowjetzone geraubt worden. Wie die Polizei erst am Sonnabend
bekanntgab, ist der Einbruch bereits in der Nacht zum vergangenen Sonntag geschehen.
Die Sekte der 'Zeugen Jehovas' ist in der Sowjetzone verboten. Ihre Mitglieder werden
verfolgt. Viele von ihnen wurden bereits zu hohen Zuchthaus- und Gefängnisstrafen
verurteilt. Die Einbrecher sind nach Meinung der Kriminalpolizei mit der Lage der in einer
renovierten Villa in der Bayernallee in Charlottenburg untergebrachten Büroräume der
Sekte eng vertraut gewesen, denn sie gingen zielsicher durch mehrere Zimmer, bis sie in
den Raum kamen, indem die Besucherkartei
aufbewahrt wurde. Sie ließen alle Wertgegenstände, darunter mehrere neue
Schreibmaschinen und einen größeren Geldbetrag, unberührt und nahmen nur die aus etwa
300 Karten bestehende Besucherkartei mit.
In dieser Kartei registrierte die Sekte die Namen von Besuchern aus der Sowjetzone. Auf
jeder Karteikarte waren etwa vier bis fünf Namen und Ortsangaben verzeichnet. Ein
Sprecher der Sekte wies nachdrücklich darauf hin, dass es sich bei diesen Namen nicht um
Mitglieder der 'Zeugen Jehovas' handle.
Die Mitgliederkartei werde in einem anderen, Tag und Nacht bewachten Raum aufbewahrt.
Wie die Polizei erklärte, sind die Einbrecher äußerst geschickt und leise vorgegangen.
Sie wurden von den etwa 30 in der Villa lebenden 'Zeugen Jehovas' nicht gehört. Die
Polizei fand auch keine Fingerabdrücke oder Zeichen dafür, dass die Verbrecher mit
Handschuhen gearbeitet haben. Dafür lagen am Tatort das Einbruchwerkzeug, mehrere Zangen
und Stemmeisen, dass vermutlich zum ersten male benutzt wurden. Außerdem fand die Polizei
mehrere neue Staublappen, die sich die Einbrecher offenbar bei der Arbeit um die Hände
gewickelt hatten, um Fingerabdrücke zu vermeiden. Bei der West-Berliner Polizei herrscht
kein Zweifel, dass die Besucherkartei der Sekte von den Einbrechern nach Ost-Berlin
gebracht worden ist."
Auch andere, überregionale Tageszeitungen nahmen das Thema auf, so z. B. die
Stuttgarter Zeitung" vom 29. 12. 58. In Ergänzung des vorher zitierten
Berichtes sei aus ihr noch der Passus zitiert:
Der Einbruch in das Westberliner Büro in Charlottenburg
verrät nach Ansicht der Polizei eine genaue Kenntnis der Räumlichkeiten. Die Einbrecher
drangen mit der Hilfe einer Leiter in das erste Stockwerk des Hauses und ließen in den
Büroräumen fast alles unberührt. Zielbewusst drangen sie in den Raum mit den Akten und
Karteikarten der Religionsgemeinschaft vor. Gestohlen wurden nur der Karteikasten mit den
Namen der Ost-Mitglieder der Religionsgemeinschaft."
Aus den Kreisen jener, die Stasidokumente zu jenem Fall auch in der Gauckbehörde
eingesehen haben, wurde verlautbart:
Vor 1958 wurden Personaldaten im Büro Berlin gesammelt, über
alle Personen, die irgendwie mit den Gruppen in Verbindung standen. Dies entsprach nicht
den einfachsten Sicherheitsregeln. Da waren Kuriere unterwegs, die immer wieder die Kartei
zu vervollständigen hatten." Einer jener, der diese Dokumente eingesehen hat,
vermerkt weiter, dass er Stasipläne eingesehen habe, aus denen hervorging, dass
bereits einige Jahre vor 1958 die 'Entnahme' - (d. h. dieser Kartei) geplant war. IM Max
war eifrig am Werk. Das solcher Art Einbruch Maßnahmen geplant wurden, war ja klar, warum
aber hat sich die Wachtturmorganisation überhaupt mit so einer solchen Sammlung
beschäftigt?"
Fazit: Offenbar beinhaltet der Passus Besucherkartei", dass damit der Stasi
insbesondere die Namen der ostdeutschen Kuriere ihrer Organisation in die Hände gefallen
sind. Sie wird dieses Wissen dann in den späteren Jahren noch zielgerichtet verwertet
haben. Nicht umsonst rühmt sich die Stasi in ihrem Operativvorgang Sumpf",
dass alle wichtigen Kurierverbindungen aufgeklärt worden seien. Offenbar, hat das
Berliner Büro der Zeugen Jehovas, unfreiwillig, seinen Teil zu dieser Stasiaufklärung
beigetragen. In einer späteren Veröffentlichung bagatellisiert D. jenen Fall. Er nannte
auch den Namen des mutmaßlichen Einbrechers im Stasiauftrag, aufgrund seiner
Aktenkenntnis. Dennoch können auch diese Angaben von D. (in einer beiläufigen Anmerkung
verpackt) keinesfalls befriedigen. Zur Aufklärung der Sachlage hätte es jener Fall
verdient, durchaus detaillierter dargestellt zu werden und nicht nur in einer die Zeugen
Jehovas verteidigenden apologetischen Wendung.
Man wird sagen können, dass die Zeugen Jehovas in den nachfolgenden Jahren aus diesem
Fehler gelernt haben. Nicht ohne Grund beklagt sich die Stasi in ihrer schon Akte
Sumpf", dass die neue Liegenschaft in Selters, aus ihrer Sicht einer fast nicht
einnehmbaren Festung gleicht. Man wird auch bestätigen können, dass der
Festungscharakter neuer Gebäude der Zeugen Jehovas, sich auch an ihrer Immobilie in der
Grünauer Str. in Berlin (Sitz der sogenannten Religionsgemeinschaft der Zeugen
Jehovas in Deutschland") manifestiert. Es steht also ohne Zweifel fest, dass sie
diesbezüglich aus einem Fehler gelernt haben. Das ändert aber nichts an der Sachlage,
dass seinerzeit dieser gravierende Fehler möglich war!
Übrigens in der Christlichen Verantwortung" Nr. 10 wurde mal der Bericht eines
Betroffenen veröffentlicht, der von dieser Stasiaktion auch tangiert war. Dort unter der
Überschrift Ich wollte nicht wie ein Mietling in den Westen fliehen".
Das was der Herr D. der Öffentlichkeit an Fakten in Sachen Zeugen Jehovas zugänglich
gemacht hat, die so vorher nicht bekannt waren, darf man getrost als mager bezeichnen.
6) Erste Stellungnahme zum Dirksen-Buch
Jusline, nennt sich eine im Internet vertretene Webseite in der zeitweilig (?) auch ein Adressenverzeichnis von Rechtsanwaltskanzleien mit integriert war..
In 56457 Westerburg, dort nicht irgendwo, sondern im Schloß Westerburg, früher wohl mal Burg Westerburg genannt, hatte auch ein Rechtsanwalt seine bei Jusline verzeichnete Anschrift. Eigentlich sollte man nicht unbedingt von einem" Rechtsanwalt reden. Das ist sicher unpassend. Zwar residieren noch einige weitere Rechtsanwälte in Westerburg; wohl insgesamt dreizehn. Die haben dann aber bis auf drei, gewöhnliche bürgerliche Anschriften. Der im Schloß Westerburg residierte (zumindest zeitweilig), heißt Armin P. Möglicherweise hat sich dessen Anschrift zwischenzeitlich verändert. Zeitweilig war das jedenfalls zutreffend.
Wer sich für Jehovas Zeugen in Deutschland interessiert, der weiß, dass Herr P. diesbezüglich eine herausgehobene Stellung bekleidet. Offenbar hat er sich zumindest zeitweise, auch die standesmäßige Unterstützung eines weiteren Rechtsanwaltes, mit Doktortitel gesichert. Dessen (vorletzte?) Anschrift dieses Rechtsanwaltes mit jetzigem Doktortitel war dann Bad Camberg. Möglicherweise auch nicht mehr aktuell. Vielleicht ersetzt durch eine Anschrift innerhalb der deutschen Zeugen Jehovas Zentrale, wofür eine seinerzeitige Forumsmitteilung zu sprechen scheint.
Damit wären wir nun angelangt bei dem Dr. Hans-Hermann D.; der im Jahre 2000 an der Universität Greifswald zum Dr. jur. promovierte.
Die Strafverfolgung der Zeugen Jehovas in der DDR" lautet der Titel der Dissertation von Dr. D.. Nunmehr liegt sie in etwas überarbeiteter Form auch als Buch vor unter dem Titel: Keine Gnade den Feinden unserer Republik". Die Verfolgung der Zeugen Jehovas in der SBZ/DDR 1945-1990"
Mein Verhältnis zu dieser Publikation ist ambivalent. Einerseits konzediere ich, dass D. die Möglichkeit hatte einschlägige Bestände der "Gauck"behörde einzusehen. Andererseits registriere ich auch gewisse nicht zu übersehende apologetische Tendenzen, vielfach am unpassenden Objekt. Naturgemäß bin ich Partei in dieser Sache, dieweil ich da indirekt mit tangiert bin. So sei es mir gestattet, diesen mehr persönlichen Aspekt zuerst anzusprechen.
Es ist durchaus verständlich und legitim, dass die DDR-Propagandaschrift von 1970 (Uraniabuch) auch von D. kritisch bewertet wird. Andere Autoren (G. und H.) haben zu der Verfasserfrage diesbezüglich, detailliert Stellung genommen. Nicht so D.. Liest man nur sein Buch, muss man den Eindruck gewinnen, als sei der Herausgeber zugleich auch der Hauptverfasser" mit irgendwelchen Zuarbeitern im Hintergrund. Es wäre fair gewesen, hätte D. mit angemerkt, dass Gebhard sich schon zu DDR-Zeiten davon aktiv distanziert hat und das nach Ablehnung seines eigenen Manuskriptes zum Thema Zeugen Jehovas, durch den Ostberliner Union-Verlag Ende der 1960-er Jahre (respektive in dessen Auftrag durch die Zensurbehörde der sogenannte Hauptverwaltung Verlage und Buchwesen im Ministerium für Kultur), dem Gebhard seitens der Stasi jenes KuckusEi untergeschoben wurde.
Diese differenzierte Darstellung der Sachlage indes findet man bei D. nicht. Wie auch, er braucht einen Buhmann und glaubt ihn diesbezüglich gefunden zu haben.
Kein Wort von dem Forscher" D. auch darüber, dass im Berliner Bundesarchiv (Bestand vormaliges Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR) drei dicke Akten über Gebhard vorliegen (DO 4 1179-1181). Einer der Mentoren von D., der Herr W. vom Geschichtsarchiv der WTG, hat schon einmal (wenn auch tendenziös) daraus zitiert. In dem entsprechenden W.-Beitrag im Hesse-Buch nachlesbar. W. zitiert (Hesse-Buch S. 376 Anmerkung 40):
Am 26. Dezember 1984 schrieb Manfred Gebhard: 'Das Uraniabuch verdient eingestampft bzw. Papiermühlen zugeführt zu werden! Das sind harte Worte, ich bin mir dessen durchaus bewußt, zumal ich umständehalber auch mit dem Uraniabuch verquickt bin.'"
Diese und andere einschlägige Aussagen hätte der Forscher" D. im Bundesarchiv selbst eruieren können, wenn er denn wollte. Letzteres ist allerdings der entscheidende Punkt. Er braucht einen Buhmann und ist an sachgemäßer Aufklärung an diesem Punkt, nicht interessiert.
In seiner Einleitung betont D., dass es vor ihm", noch keine umfassende Auseinandersetzung zur DDR-Geschichte der Zeugen Jehovas gegeben hätte. Wenn der Wunsch Vater des Gedankens ist, kann man dazu nur sagen. Bezeichnenderweise hält D. es nicht für nötig, meine seit 1999 vorliegende Geschichte der Zeugen Jehovas. Mit Schwerpunkt der deutschen Geschichte" (Webseite; respektive Buchausgabe) auch nur eines Wortes zu würdigen". Gebhard" existiert für ihn nur in der Form des Uraniabuches. Eine solche Strategie nennt man die des Prokrustesbettes. Etwas was einem nicht passt wird so hin und hergezerrt bis es passt". Das Verschweigen wesentlicher Tatbestände nennt man desweiteren Klitterung. Der Geschichtsklitterer D. hat es diesbezüglich zu einer beachtlichen Meisterschaft" gebracht.
In seiner Einleitung (S. 28) schreibt D.
Die zusätzliche strikte Neutralität bzw. ihre politische Abstinenz" führte zum Verbot. Schon diese von ihm gewählte Formulierung macht den grundsätzlichen Dissens deutlich. Umgekehrt wird ein Schuh draus, sage ich dazu kommentierend. In der Tat, faktisch war die politische Abstinenz (dieser Teilsatz ist richtig) d a s s wesentliche Element für die Verbotsentwicklung.
Wenn D. weiter die WTG-Phrase von der Neutralität" bemüht, dann ist mein Kommentar dazu, dies ist und bleibt eine Phrase. Die Zeugen Jehovas erwiesen sich mit ihrer Mixtur von überspannten Weltendevorstellungen und politischer Abstinenz als eine scharfe Waffe zu Destabilisierung des kommunistischen und davor schon des nazistischen Regimes. Für die Zeit nach 1945 war dafür die Vokabel kalter Krieg" geläufig. Die von D. verteidigte WTG war eines ihrer wesentlichen Instrumentarien. Es gibt und gab faktisch keine Neutralität". Dies ist meine Widerspruchsthese zu D..
Eine zweite Frage ist, ob die Reaktion des kommunistischen Regimes auf die ZJ-Herausforderung angemessen" war. Da gebe ich D. recht. Sie war es nicht. Das DDR-Regime hat sich auch dadurch dauerhaft diskreditiert. Das gilt es in gleicher Deutlichkeit zu sagen. Soweit D. letzteres thematisiert, habe ich keine wesentlichen Dissens zu ihm. Den für mich wichtigen Kritikpunkt habe ich bereits genannt.
Auf die Gebrüder Pape kommt D. auch zu sprechen. Hahnebüchend seine Fehleinschätzung die Westausgabe von Günther Pape Ich war Zeuge Jehovas" wurde von der evangelischen Kirche gesponsert". Herr D.. Wie naiv sind sie eigentlich, dass sie nicht zwischen evangelischer und katholischer Kirche zu unterscheiden vermögen. Pape-West ist zur katholischen Kirche konvertiert. Wie wagen Sie es da von der evangelischen Kirche zu reden? Die Antwort dürfte darin bestehen, dass D. die beiden Pape-Bücher (Ost und Westausgabe) überhaupt nicht ernsthaft gelesen hat. Sonst hätte er nicht die gleichfalls als Fehlurteil zu bewertende Behauptung aufstellen können (S. 33) das West-Pape-Buch unterscheide sich vom Ost-Pape-Buch lediglich durch ein angehängtes Kapitel über die Konversion des Pape (West) zur Kirche.
Wer die beiden Bücher wirklich selbst gelesen hat, wird bestätigen können, dass es tatsächlich zwei über weite Strecken völlig unabhängige Bücher sind. Pape-Ost bietet ganz andere Argumente und gleiches trifft auch umgekehrt zu. Ein markanter weiterer Beleg für die groteske Oberflächlichkeit des Doktor" D..
Der Name Y. ist in die ZJ-Geschichtsschreibung bekanntlich unrühmlich eingegangen. Namentlich durch ihren weinerlichen Versuch, der Zeugenfunktionär Frost einen Persilschein zu verpassen. Aus einem Referat von Dietrich Hellmund kann man gar entnehmen, dass Angehörige des ZJ-Informationsdienstes mit der These zu glänzen" suchten, die veröffentlichten Gestapoakten über Frost seien möglicherweise gefälscht". Es ist nicht uninteressant zu sehen, wie D. sich diesbezüglich verhält. Von vorgeblich gefälschten" Gestapoakten ist jedenfalls bei ihm nicht die Rede, etwa wenn er auf S. 584 schreibt:
Ein herausragendes Beispiel des Versuchs einer Anwerbung eines Zeugen Jehovas in führender Position für eine Tätigkeit im Dienstes des MfS war der Operative Vorgang 'Winter'. Ziel dieses operativen Vorgangs sollte es sein, Erich Frost zu einem inoffiziellen Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes zu machen. Am 2. Juni 1955 hatte Leutnant Petzhold von der Hauptabteilung V/4/C des Staatssekretariates für Staatssicherheit in Ost-Berlin über 'kompromitierendes Material' des Zweigdieners der Zeugen Jehovas berichtet:
'Die HA V/4/C ist bei der Durchsicht von Gestapoakten in den Besitz von Originalvernehmungsprotokollen der Gestapo von F. gekommen, welche die eigenhändige Unterschrift des F. tragen. In diesen Vernehmungsprotokollen gibt F. als sog. Reichsdiener, welcher für das gesamte damalige Deutschland verantwortlich war, die gesamte Struktur, Illegalität, Funktionäre, die Verbindungen, die Anleitung und Aufträge, welche er von der Zentrale erhalten hat, der Gestapo preis.'"
Weiter interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Angabe von D., dass die Stasi mit dem Leiter des Westberliner ZJ-Büros, Ernst Wauer, ähnliche Pläne hatte. Nach seiner Angabe beabsichtigte sie, Wauer gewaltsam in den Osten zu entführen. Indes misslang dieser Plan. Frost und Wauer sind in der Tat hochkarätige" Namen im Pokerspiel der Stasi. Indes es gibt noch ein paar mehr. Über sie herrscht bei D., abgesehen von den Fällen Hans Voss" und IM Albert" (Wolfgang Kirchhoff), dezentes Schweigen!
7) Anmerkungen zum Hauptinhalt des Dirksen-Buches
Der Klappentext des Schutzumschlages zum Buch zitiert ein Urteil vom 12. 8. 1961 des Landgerichtes Cottbus, indem sich auch der Satz befindet: daß die Verurteilung des Angeklagten nicht etwa wegen eines religiösen Glaubens, sondern einzig und allein wegen der staatsgefährdenden Propaganda und Hetze" erfolgte. Weiter heißt es in diesem Urteil, dass den Zeugen vorgeworfen werde: Bürger vom gesellschaftlichen Leben fernzuhalten und zum anderen gegen die sozialistische Ordnung aufzuwiegeln."
Soweit es sich um die Behauptung Aufwiegelung" handelt, bestreite auch ich dies vehement. Dies ist in der Tat eine parteiliche, jedoch keine objektive Einschätzung der Zeugen Jehovas. Anders hingegen sehe ich die Feststellung, dass die Zeugen Bürger vom gesellschaftlichen Leben fernhalten." Die ist meines Erachtens durchaus zutreffend und dies keinesfalls nur" in der DDR.
Aufgrund des vorhergesagten kann ich mich daher der weitergehenden Wertung des Klappentextes, dass die Zeugen eine völlig ungefährliche Religionsgemeinschaft" seien, so nicht anschließen.
Die Einschätzung als ungefährlich" setzt gesellschaftspolitische Verhältnisse nach westlichem Pluralismusvorbild voraus. Aber auch dort gibt es Konflikte. Nun war die sogenannte SBZ/DDR eben nicht unter dem westlichem Pluralismusideal angetreten, sondern, wie wir es heute formulieren. Unter der Zielstellung einer totalitären Gesellschaftsordnung mit scheindemokratischer Kosmetik.
Die Frage ist hierbei. Ist es Aufgabe einer Religionsgemeinschaft, namentlich einer extensiv endzeitlich ausgerichteten, mit zur Destabilisierung eines solches Systems beizutragen? Aus der Sicht der US-amerikanischen Hegemoniepolitik mit Sicherheit ja.
Aus der Sicht der betroffenen Regime nein.
Auch andere Kirchen und Religionsgemeinschaften in der SBZ/DDR standen im Prinzip vor der gleichen Problemlage. Aber dort wurden andere Entscheidungen getroffen. Auf Konfrontation setzten namentlich auch Teile der evangelischen Kirche. Allen voran der sogenannte Dibeliusflügel. Letzterer ist durchaus mit den Zeugen vergleichbar. Im laufe der Jahre wurde indes diese Strömung der evangelischen Kirche relativ schwächer. Einer der letzten DDR-Bischöfe dort (Albrecht Schönherr) ist z. B. in keiner Weise mehr mit Dibelius vergleichbar. Gerade das von Schönherr geprägte Wort von der Kirche im Sozialismus - nicht gegen ihn", machen ja einige heutige neunmalkluge Pharisäer westlicher Provenienz ihm zum Vorwurf.
Man kann desweiteren auch besonders auf das Beispiel der Religionsgemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten noch verweisen. Letztere hat, vielleicht noch stärker als die evangelische Kirche, auf die Ost-CDU gesetzt. Die STA erreichten damit, dass sie auch innerhalb der DDR, ihr eigenes Schrifttum im umfänglicher Weise drucken konnten. Der CDU-Buchverlag Union-Verlag" Berlin, hat nachweisbar etliche Buchtitel für die STA realisiert. Auch wenn ich aus dem Stegreif dazu keine verbindliche Zahl nennen kann, so würde ich doch einschätzen, dass es sich dabei um mindestens fünfzig Buchtitel (wenn nicht gar noch mehr) handelt. Darunter auch solche, wie den für die STA besonders wichtigen von Ellen G. White Der große Kampf zwischen Licht und Finsternis."
Wie man weiß, ist religiöse Literatur auch und besonders für die Zeugen Jehovas wichtig. Das Beispiel der STA belegt, dass es bei anderer Weichenstellung durchaus Perspektiven gegeben hätte.
Eines steht jedoch meines Erachtens fest. Sowohl dem Schönherr-Flügel der evang. Kirche als auch den STA (die hier stellvertretend nur als Beispiele auch für andere genannt wurden) würde ich durchaus konzedieren, dass sie es mit der Neutralität hielten. Im tiefsten Innern waren auch sie keine Bejubler des DDR-Systems. Aber sie vermieden die Konfrontation. Nicht so die Zeugen Jehovas. Wenn letztere das Wort Neutralität" in den Mund nehmen, ist das eine glatte Lüge!
Auf Seite 7 seines Buches redet D. von insgesamt 6000 Zeugenverhaftungen in der DDR und desweiteren von 3000 dort in Sachen Wehrdienst. Auch diese Zahlen sind kritisch zu hinterfragen. Namentlich in der Wehrdienstproblematik gab es auch in der alten Bundesrepublik rechtskräftige Urteile mit Gefängnisfolge. In der Anfangszeit gar Zweit- und Drittverurteilungen für das gleiche Delikt. Ursache für letzteres war in der alten Bundesrepublik insbesondere auch die Verweigerung des Wehrersatzdienstes.
Urteile in Sachen Wehrdienst daher als besonders DDR-spezifisch darzustellen, erscheint mir daher unangebracht.
Zum zweiten. Auf Seite 30 berichtet D. dann, dass es zwischen 1950 und 1966 insgesamt 2300 Verurteilungen von Zeugen Jehovas zu Zuchthausstrafen außerhalb des Wehrdienstkomplexes gegeben habe. Die Nennung von 1966 als diesbezüglicher Zäsur ist sachlich richtig. In jenem Jahre erfolgte der letzte relevante Zeugenprozeß in der DDR (gegen L. und andere). Nachfolgend war das Instrumentarium Gefängnisstrafen außer Kurs gesetzt worden. Es wurde nunmehr über Geldstrafen agiert.
Die von D. getätigte marktschreierische Zahl von 6000 Verhaftungen von 20 000 DDR-Zeugen, reduziert sich so schon mal auf die genannten 2300. Zuzüglich reduziert er selbst die 3000 Zahl auf Seite 749 auf 2700. Wie man sieht, ist er bei seinen Aufrundungen ziemlich großzügig.
Auf Seite 25 zitiert D. einige Beispiele von Doppelverurteilungen (NS-Regime und DDR). Als Quelle dafür gibt er an: Berliner Zeitung" vom 26. 5. 1964. Abgesehen davon das der Fakt von nachweisbaren Doppelverurteilungen sachlich richtig ist, richtet sich meine Kritik hierbei besonders an den angegebenen Quellenbeleg. Leider fehlt mir derzeit die Zeit dazu, mich in die Berliner Staatsbibliothek zu setzen, und in der dortigen Zeitungsabteilung die angegebene Ausgabe der Berliner Zeitung einzusehen. Aber trotz dieser Einschränkung halte ich es für äußerst unwahrscheinlich, dass gerade in einer kommunistischen Tageszeitung aus dem Jahre 1964 jene Angabe enthalten sein soll. D. ist aufgefordert, seine Quelle zu überprüfen, respektive zu korrigieren. (Diesen und noch einige andere Lapsusse hat er dann in der zweiten Auflage stillschweigend korrigiert)
Zu S. 34. D. ist von Beruf Rechtsanwalt. Wer seine Dienste in Anspruch nimmt, hat in der Regel die in diesen Kreisen üblichen Honorare zu zahlen, die sich oftmals nach der Höhe des Streitwertes bemessen. Je höher der ist, um so kräftiger klingelt seine Kasse". Aber schon für eine simple Erstberatung ist in der Regel ein saftiges Honorar fällig. Das er etwa seine Dienste zum Nulltarif" anbietet ist nicht bekannt. Auf der genannten Seite schießt D. nun eine Breitseite gegen den ehemaligen Zeugen Jehovas Manfred Gebhard ab, dem er unterstellt gegen Bezahlung" seinen Namen als Herausgeber des Uraniabuches hergegeben zu haben.
Zur vollen Wahrheit gehört auch, dass Gebhard , ohne Bezahlung, ein eigenes Manuskript zum Thema Zeugen Jehovas beim Ostberliner Union-Verlag eingereicht hatte, zum Thema Zeugen Jehovas (Arbeitstitel Kreuzfahrer der Gegenwart"). Letzteres wurde von den dafür Zuständigen in der DDR abgelehnt. Die Unterlagen zur Vorladung in die Zensurbehörde habe ich heute noch. Danach übermittelte von dort ein Herr Tietz oder Tiedt mit der (damaligen) Berliner Rufnummer 22068293 vom Ministerium für Kultur, Hauptverwaltung Verlage und Buchwesen, über einen Postvordruck die Aufforderung zu einem Gespräch". Dieser Postvordruck, durch einen Eilzusteller zugestellt beinhaltete (falls es sich um ein Ferngespräch handeln würde; was nicht der Fall war.) Das der Aufforderer die Kosten dafür übernehmen würde.
Die Gesprächsaufforderung war für den 1. 2. 1968 terminiert. Offensichtlich hat man sich im Vorfeld da schon über meine Person sachkundig gemacht. Den parallel bekam ich über die Vorgesetzten auf meiner Arbeitsstelle gleichfalls mit Datum vom 29. 1. 68 eine Notiz zugestellt, dass ich besagten Herrn unbedingt anrufen solle.
Der Union-Verlag hat meinerseits keinerlei Kenntnis über meine Arbeitsstelle erhalten. Daraus ist eindeutig ersichtlich, das man sich hinter meinen Rücken sachkundig gemacht hat, wer dieser Gebhard den sei.
Das eigentliche Telefonat war substanzlos. Es drehte sich nur darum einen konkreten Termin festzulegen, wenn ich in der Zensurbehörde erscheinen könnte. Beim eigentlichen Gespräch, das mündlich gehalten wurde, wurde mir mein Manuskript zurückgegeben und dazu eine Stellungnahme vorgelesen. Etwas schriftliches diesbezüglich habe ich nicht erhalten. Tenor der Ausführungen dieses Herrn war, dass man mir mein Manuskript mit dem Bemerken zurückgebe, man wolle es nicht verwenden. Weiter wurde dazu mündlich ergänzend erklärt: (Sinngemäß) Man akzeptiere das Manuskript als Erstlingsleistung. Man meine aber es müsste weiter ausgefeilt werden. Man schlage Gebhard vor. Er solle doch bei der Christlichen Verantwortung" mitarbeiten. Letzteres erfolgte dann auch für einen gewissen Zeitraum (ohne Bezahlung). Das diese CV-Mitarbeit dann meinerseits beendet wurde, hat mit Sicherheit nichts mit Bezahlung" zu tun.
Das KucksEi Uraniabuch" war zum Zeitpunkt der Manuskriptablehnung dem Gebhard in keiner Weise bekannt. Das sollte erst kurze Zeit später der Fall sein, als die Stasi in der Tat (erstmals) offiziell auf den Gebhard zukam.
Neben dem Herbrich (Stasifunktionär) gab es damals noch einen weiteren Stasifunktionär (kurz vom Rentneralter), der sich als Meißner" (Legendenname) vorstellte. Letzterer übergab das Manuskript (Uraniabuch) zum lesen, mit einer kurzen Frist. Dann lauerte er dem Gebhard eines Tages auf dem Nachhauseweg auf, nahm ihn (in dieser Sache) in seinen Dienst-PKW und fuhr mit ihm (ohne vorherige Ankündigung) in ein menschenleeres Waldgebiet. Dort legte er dem Gebhard ein Revers zur Unterschrift vor, die Sache als Herausgeber zu spielen. So sah die Freiwilligkeit" diesbezüglich aus.
Offenbar spielt D. auf ein Schreiben meinerseits an das Staatssekretariat für Kirchenfragen an, in der berichtet wurde, dass die Stasi auch einen kleinen Anteil vom Gesamthonorar des Uraniabuches dem Gebhard zubilligte. Wenn er das für Thematisierenswert hält, dann sollte er auch das weitere eben genannte mit hinzufügen.
Auf Seite 71,72 kommt D. auf die WTG-Schwankungen in der Obrigkeitslehre zu sprechen. In diesem Zusammenhang fällt auch bei ihm der Satz: Das falsche Verständnis mag Jehovas Zeugen durchaus geholfen haben, in den Jahren des NS-Regimes und den Anfangsjahren der DDR kompromisslos zu sein."
Soweit dieser Feststellung zuzustimmen ist, muss sie doch als halbe Wahrheit bezeichnet werden. Überspannte Endzeiterwartungen in immer neuen Variationen gehörten unweigerlich wesentlich mit dazu. D. spricht zwar auch das Jahr 1975 mit an, dass er (geb. 1966) noch als Kind miterlebte. Ich habe hingegen als Kind durchaus noch das Klima der 50-er Jahre unter den DDR-Zeugen Jehovas miterlebt. Und ich weiß, dass die authentisch überlieferte Aussage des DDR-Zeugen Jehovas Fritz Adler, bei der Kenntnisnahme seines Gerichtsurteils (lebenslänglich): Meine Herren, sie meinen wohl ein Jahr", durchaus das tatsächliche Bewusstsein der zeitgenössischen Zeugen Jehovas widerspiegelt.
Adler verbrachte seine letzten Lebensjahre (nach seiner späten Haftentlassung) im WTG-Zweigbüro. Insiderberichte machen glaubwürdig deutlich. Es war danach nur noch ein gebrochener Mann. Nichts wurde aus dem nur einen Jahr".
Zu Seite 529. Dort ist aus dem Munde D.'s die Bestätigung eines Sachverhaltes der zwar schon vorher bekannt, der aber als Bestätigung durch ihn durchaus noch notiert sei. Er schreibt über die Kreisdiener der Zeugen in der DDR:
Teilweise mussten Kreisdiener auch zu dem Mittel greifen, sich andere Ausweisdokumente zu besorgen, mit denen sie sich im Gebiet der DDR aufhielten." Weiter hängt D. an diesem Satz allerdings die Legende an:
Sie verwendeten dazu oftmals Ausweise bereits verhafteter Glaubensbrüder, mit denen sie gewisse Ähnlichkeiten hatten."
Wie dies? Kann man da nur zurückfragen. Kreisdiener haben den Zugriff auf die Ausweispapiere bereits Verhafteter? Das glaubt doch D. wohl selbst nicht. Das bedeutete ja, dass die Stasi die Ausweispapiere bereits Verhafteter freigab. Weiter. Wo wollen die fraglichen Kreisdiener nun so genau wissen, wer von den Verhafteten ihnen am ähnlichsten sei und genau diese Papiere an sich nehmen? Eine wahrhaft abenteuerliche Konstruktion, die ein praktizierender Rechtsanwalt da zum besten gibt. Grimms Märchenbuch hat bei ihm da wohl Pate gestanden.
Näher dürfte man der Sache allerdings kommen, wenn man die Vokabel von Ausweispapiere besorgen, zugrunde legt. Da steckt eine gewisse Logistik hinter. Da solche Papiere in der Regel nicht auf der Straße zu liegen pflegen. Da sind Verbindungen zu entsprechend einflußreichen Dienststellen unabdingbar. D. selbst nennt den DDR-Fall Karl-Heinz Simdorn, alias Wolfgang Daum, dem die DDR-Stasi eine neue Identität als Wolfgang Daum" verschaffte. Damit ist schon mal klar, in welcher Richtung die Recherchen laufen müssen. Statt der Stasi, muss man in diesem Zusammenhang wohl eher von westlichen Geheimdiensten reden.
Die Christliche Verantwortung" warf dem Zeugen Jehovas-Funktionär Willi P. einmal vor (sicherlich Stasi-gesponsert), dass P. Verbindungen zum britischen Geheimdienst in Westberlin unterhielt. Nun, die Stasi muss das ja wohl wissen, wenn sie solche Thesen auf den Ententeich setzt, die von P. bis heute nicht dementiert wurden. Damit dürfte die Richtung klar sein, wenn man die Absicht hat, diesbezüglich Ross und Reiter zu nennen.
Zum Fall Ernst Pietzko (S. 536) will D. wissen, dass er die Ausweispapiere eines nach Westberlin geflohenen vormaligen DDR-Zeugen Jehovas übernahm. Selbst wenn dem so ist, setzt auch dies eine gewisse Logistik voraus. Zum Beispiel das auswechseln des Passbildes. Und ein 1,80 m. Mann dürfte wohl kaum geeignet sein die Papiere eines nur 1,60 m großen zu übernehmen. Letzteres nur mal als Veranschaulichungsbeispiel. Im Falle Pietzko auch noch bemerkenswert (S. 537), dass auch seine Ehefrau über einen fremden Ausweis verfügte. Das sind in der Tat ein bisschen zuviel Zufälle".
Auf Seite 545 redet er auch davon, dass der vom DDR-Regime zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilte Kreisdiener Gotthold Quandt gleichfalls über einen gefälschten Personalausweis verfügte. Zitat:
"Da er zum Zeitpunkt der sogenannten Personakausweis-Aktion (von D. nicht näher erläutert) im Jahre 1953/54 aufgrund seiner reisenden Tätigkeit keinen festen Wohnsitz hatte und in sofern damit rechnen mußte, daß er bei Antreffen ohne gültigen Ausweis verhaftet würde, wurde ihm ein anderer Personalausweis beschafft (Hervorhebung von mir)."
Wie dieses "beschaffen eines Personalausweises" in der Praxis vor sich ging, darüber zieht es D. allerdings vor zu schweigen. Schon verständlich: Pfeifen es doch die Spatzen von den Dächern. So etwas ist nur durch aktive Verbindung zu Geheimdienstkreisen möglich!
Schon das Uraniabuch hatte diesen Fakt mit angesprochen:
"Kreis und Bezirksdiener wurden von Ernst Wauer mit gefälschten DDR-Personalausweisen versehen und in Westberlin stationiert, was ohne Abdeckung durch zuständige Dienststellen schwerlich möglich war. Derart gefälschte Ausweise erhielten u. a. der Bezirksdiener Ernst Pietzko aus Weimar und der Kreisdiener Holdi Quandt aus Grünhainichen" (S. 259, 260).
8) Fallbeispiel Horst S.
Noch so ein fragwürdige Stelle. Vor einiger Zeit behauptete der (vormalige) MfS-Funktionär Herbrich, Herr Horst Sch., den die CV Nr. 58 einmal ziemlich direkt nannte (inklusive seines weltlichen Berufes als Werkzeugmacher) und zugleich verantwortlicher Zeugenfunktionär für den gesamten Nordbereich der DDR. Herbrich behauptete also, dass Sch. von der Stasi schließlich auch umgedreht" wurde. Belege nannte er dazu zwar nicht. Aber immerhin. Die Behauptung steht bis heute, von Sch. nicht dementiert im Raum.
Letzteres sei vielleicht dahingehend erklärt, dass er kein Internet-Nutzer ist. Auf Seite 563 zitiert D. als Unterlagen aus Privatbesitz" jenen Herrn Sch. zugleich mit einer Zitatenstelle aus Akten der "Gauck"behörde. Indes ist das dazu gebrachte Zitat meiner Erinnerung nach in der Sache schon bei B./Wolf nachweisbar. Es ist also keineswegs neu.
Auf Seite 691 erwähnt D., dass Sch., anlässlich der Verhaftungsaktion vom 23. 11. 1965 (L. und andere). Das anlässlich dieser Aktion, bei der auch bei Sch. eine Hausdurchsuchung durchgeführt wurde (wie er dies selbst im Wachtturm einmal berichtete). Das trotzdem Sch. nur" zeugenschaftlich vernommen wurde. Das Schicksal von L. und andere, ihm zu diesem Zeitpunkt erspart blieb. Wie auch immer. Auch der diesbezügliche Fakt ist meines Erachtens von D. unpräzise und unklar formuliert.
Da nun schon mal der Fall Sch. mit angesprochen wurde, sei noch eine mehrdeutige Passage aus D. zitiert. Ich erkläre dazu ausdrücklich. Eine verbindliche Bewertung meinerseits dazu erfolgt nicht. Ich erkläre lediglich dass ich sie als mehrdeutig auslegbar bezeichne. D. schreibt auf Seite 716:
Einige Jahre später wurden personelle Änderungen vorgenommen, wodurch Horst Sch. und Egon R. als Bezirksdiener eingesetzt wurden. Keines dieser Leitungsmitglieder wurde wegen seiner religiösen Tätigkeit verhaftet und verurteilt. Die 1956/57 vom MfS begonnene Vorgehensweise zur inneren Zersetzung der Zeugen Jehovas war durch die Einsetzung einer eigenen Leitung in der DDR nach dem Mauerbau zunächst etwas abgeändert worden. Hatte man sich vorher vor allem auf die Bearbeitung des Büros in Westberlin und dessen Verbindungswege konzentriert, so musste sich nun mit der Ausschaltung der neuen Leitung befasst werden. Der eingeschlagene Kurs der inneren Zersetzung wurde allerdings weitergefahren. Mehr noch gab die Einsetzung eines Führungsgremiums der Zeugen Jehovas in der DDR die Möglichkeit durch ein Eindringen in dieses Gremium die gesamte Tätigkeit in der DDR zu kontrollieren, was vorher nicht möglich gewesen war. Deshalb wurde auch schon vor der Verhaftungsaktion im November 1965 genau ausgewählt und zu werben versucht, wer nach der Aktion vielleicht eine verantwortlichere Stellung erhalten würde. "
Ein Satz muss in Sachen Sch. noch zitiert werden. Es wird auch bei D. darüber berichtet, dass Sch. schließlich über den Hebel Wehrdienstproblematik zeitweilig außer Gefecht gesetzt wurde. In diesem Zusammenhang äußert D. unter Bezugnahme auf eine entsprechende Stasiakte (S. 771):
Zusätzlich sollte S, kompromittiert werden, indem der Verdacht einer Zusammenarbeit mit dem MfS unter den Zeugen Jehovas ins Gespräch gebracht werden sollte."
Was ist die tatsächliche Wahrheit in dieser Sache?
In seiner Zeugen Jehovas bezüglichen Dissertation, hatte der Robert Schmidt auch diverse Zeugen Jehovas aus dem Bereich der früheren DDR interviewt. In der Regel wird von ihm der Familienname der Interviewten nicht ausgeschrieben. Die Struktur der Befragten kann man als Quer beet bezeichnen. Von klein" (im Organisationsgetriebe) bis ganz groß".
Unter den von Schmidt befragten auch ein gewisser Horst S.
Bei der Sichtung von dessen Aussagen, ergibt sich allerdings der nicht zu verwischende Eindruck; dass ist wohl einer der Großen" aus der verflossenen DDR-Zeit. Wenn auch Schmidt die Familiennamen, wie gesagt, grundsätzlich nicht ausschreibt, würde ich sehr wohl die These wagen. Bei dem Horst S." handelt es sich um den Horst Sch.. Gegenteilige Meinungen bedürfen der Beweiserbringung desjenigen, der dieser gegenteiligen Meinung ist.
Aus den Interview-Bruchstücken des letztgenannten scheint mir beispielsweise die Aussage im Kontext der CV interessant sein. Nachdem Schmidt auch andere Interviewpartner bestätigen lässt (S. 269f.), dass die WTG-Anweisung dazu lautete: Ungelesen vernichten, lässt er auch Horst S. zu dem Thema äußern:
Dennoch wurden Inhalte aus der CV, wie der ZJ Horst S. berichtet, zeitweise zum Gesprächsthema der Gläubigen:
H.S.: "(...)es war schon so ne Sache, manche die schwach waren, das gelesen hatten - haben darüber gesprochen - und war schon manchmal so, dass das zum Gespräch wurde, aber man konnte dann sagen, dass die einem nichts Gutes bringen wollten."
An anderer Stelle (S. 278f.) heißt es weiter über selbigen:
Als "vorsitzführender Aufseher" und Ältester seiner Versammlung traf sich der ZJ Horst S. einmal monatlich mit den Studiengruppenleitern zum Informationsaustausch. Parallel zu diesen Aufgaben betreute er zu einem späteren Zeitpunkt, in einer ganz anderen Region, vier Versammlungen in seiner Position als Wohnblockaufseher. Die Aufgabengebiete in der eigenen Gemeinde und im auswärtigen Gebiet stellten an ihn hohe seelsorgerische Anforderungen. Die zeitlichen, konspirativen und mentalen Erfordernisse musste Horst S. zudem mit seiner Familie und der täglichen Berufsarbeit in Einklang bringen. So nimmt Horst S. im folgenden auf die religiöse Tragweite und die Erfahrungen seiner seelsorgerischen Aktivitäten Bezug, und betont hierbei auch die zeitlichen und persönlichen Belastungen dieser Tätigkeiten:
H.S.: "(...) eine dieser Versammlungen war in einem ganz schlechten geistigen Zustand gab es viel Streit, und das hat - du hattest ein bisschen das Gefühl, dass du alleine stehst, du hattest das vor Ort, wenn du die Versammlung dann besucht hast, weil der VA [vorsitzführender Ältester] da nicht zurechtkam, da hattest du kaum eine Möglichkeit, noch jemanden mitzunehmen, das war ganz ganz selten, das war manchmal ein bisschen schwer (...) das hat mich manchmal auch so stark beschäftigt - wenn man nicht dort war, wie kann man da Frieden stiften.(.") du hast dann praktisch an jeder Zusammenkunft mit den Studienleitern dann schon mit teilgenommen, damit es dort ein bisschen vorwärts ging, und dort musstest du jedes Mal was anderes. Bibelstellen und sagen wir, einen kleinen Vortrag ausarbeiten, der auch greift und der auch die Herzen erreicht - und das war schon ein bisschen an der Grenze. Das waren so Situationen, die aber an sich mit der Konstellation zusammenhingen: wenn das vier Versammlungen sind, wo alles gut läuft, dann war das eigentlich nicht so."
Und weiter in dem Interview:
Zudem hatten die Altesten der Versammlungen auch einige unbequeme Entscheidungen zu treffen. So betrafen beispielsweise organisatorische und personelle Veränderungen innerhalb der Studiengruppen unmittelbar auch immer die jeweiligen Vertrauensbeziehungen der Gläubigen:
F: Gab es Veränderungen in den Studiengruppen oder hattet Ihre über die Jahre die gleichen Bezugspersonen?
H.S. [Entscheidung der Ältesten]: "das hat manche ganz schön erschüttert, wenn die Studiengruppe geändert wurde, weil das die einzigen Bindungen waren, - aber diese Veränderungen gab es schon, weil man mit den Veränderungen bestimmte Dinge im Sinn hatte."
Gemäß Schmidt war dieser Horst S. von den höheren WTG-Chargen" so ziemlich der einzigste, der in den Interviews dem Außenstehenden Schmidt gegenüber, auch offenkundige interne Probleme innerhalb der WTG-Organisation (geographischer Bereich DDR) mit beim Namen nannte. Berücksichtigt man eben diesen Umstand, erklären sich vielleicht auch die unterschiedlichen Wertungen, die gerade beim Fall Horst Sch., noch heute zu registrieren sind.
Unpräzise auch die Angabe der Anschrift des vormaligen Westberlin Büros der Zeugen in der Brunnenstr. Auf Seite 516 wird dazu die Nummer 26 genannt. Auf Seite 566 dagegen die Nummer 73. Letztere ist mir so auch aus etlichen DDR-Presseartikeln in Erinnerung. Da D. jedoch noch eine zweite Nummer nennt, muss man zurückfragen. weshalb? wieso?
Abschließend sei noch ein Zitat aus D. gebracht. Nachdem er referiert hatte, wie die Stasi selbst die DDR-Zeugenleitung (Hans Voß" alias Hermann Laube) infiltriert hatte, schreibt er auf Seite 724:
Den Schwerpunkt der gesamten IM-Arbeit sollten nun das Eindringen in die Zentrale in Wiesbaden und deren Verbindungen in die DDR bilden. Die bisherigen politisch-operativen Maßnahmen hätten vor allem der allseitigen Aufklärung der vorliegenden operativen Informationen über die Mitarbeiter der Zentrale und deren Kuriere bzw. über operativ interessante Personen gedient. Die Ergebnisse dieser Arbeit könnten aber nur als Vorlaufmaterial gewertet werden."
Mein Kommentar dazu. Zu letzterem Aspekt ist D. für mein Empfinden, ziemlich kleinlaut. Kann oder will er diesbezüglich nichts weiteres sagen?
D. hat meines Erachtens mit der Wahl seines Buchtitels (wenn auch vielleicht nicht mit Bewusstheit) einen durchaus guten Griff getan. Keine Gnade den Feinden unserer Republik" impliziert vom säkularen Standpunkt auch, faktische politische Feindschaft der Zeugen gegen das kommunistische Regime. Nun macht sich eine solche Feststellung zwar in der heutigen Zeit gut. Sie hat aber auch den Nebeneffekt" die Farce der angeblichen politischen Neutralität" zu demaskieren.
Was will man eigentlich mehr?
9) Anmerkungen zur 2. Auflage des Dirksen-Buches
Er hält seine streng parteiliche Linie weiter ein. Wer? Der Hans-Hermann-D´.. Das Verschweigen unbequemen ist ein Ausdruck von Parteilichkeit. In der unseligen DDR wurde das auch so gehandhabt. In d i e s e m Punkt ist D. nicht anders zu bewerten.
Geredet werden soll über die zweite Auflage seines Buches Keine Gnade den Feinden unserer Republik". Gegenüber der ersten Auflage hat er beispielsweise sein Literaturverzeichnis etwas überarbeitet. So findet man dort an mehreren Stellen den Hinweis auf ein in Vorbereitung befindliches Buch; herausgegeben von den Herren B. und Vollnhals mit dem Titel Repression und Selbstbehauptung". Dabei handelt es sich offensichtlich um einen Sammelband von Aufsätzen; aber keine in sich geschlossene Monographie.
D. reicht es nicht nur auf dieses noch nicht erschienene Buch hinzuweisen. Nein, er tut diesbezüglich mehr. Er nennt einzelne Aufsatzthemen, die darin vorkommen sollen im Detail. So einen Aufsatz seiner Frau Annegret. Einen Aufsatz des WTG-Mitarbeiters Slupina. Und natürlich, seine eigenen darin vorgesehenen Beiträge.
Nun kann man solche Selbstreklame durchaus nachsichtig werten. Kein Autor ist frei von gewissen Eitelkeiten. Das sei auch D. zugestanden. Indes ist dieser Fall doch etwas anders zu werten. Beispielsweise wird von der aktuell über den Buchhandel beziehbaren Literatur über Jehovas Zeugen, sofern sie kritisch akzentuiert ist, nur ein einziges Buch bei ihm genannt. Das des Herrn Gassmann. Und das auch nur deshalb, weil er meint einen von ihm kritisierten Tatbestand dort auch vorzufinden.
Das auch genannte Buch des Herrn Pape kann man da schon nicht mehr mit heranziehen. Das ist zwar antiquarisch nach wie vor erhältlich, aber eben nicht mehr als Neubuch.
Nun ist es klar. Herr D. hat ein klar umrissenes Thema: Jehovas Zeugen und die DDR.
Ich erwarte von Herrn D. nicht, dass er bezüglich meines Buches Geschichte der Zeugen Jehovas. Mit Schwerpunkt der deutschen Geschichte" Beifall" klatscht. Dazu ist er nicht genötigt. Es wäre aber für einen seriösen Autor durchaus angemessen, in einer ihm beliebigen Weise dazu Stellung zu nehmen. D.s Thematik ist darin auch abgehandelt. Und wenn ihm das aus grundsätzlichen Gründen nicht zusagt, zumindest im Literaturverzeichniss anzudeuten, dass man dort auch eine Auseinandersetzung mit der Thematik vorfinden kann. Nichts von alledem bei D.. Das das Internet in seinem Gesichtskreis gleichfalls nicht mit vorkommt sei am Rande noch ebenfalls mit vermerkt.
In der ersten Auflage seines Buches hatte sich D. mit der Behauptung lächerlich gemacht (S. 33), dass Buch des Günther Pape (Ich war Zeuge Jehovas") sei im Westen von der evangelischen Kirche gesponsert". Wirklich eine bahnbrechende" Erkenntnis für einen Doktor jur. In der zweiten Auflage nimmt er nun diese These zurück und merkt richtig an; dass Pape (West) der katholischen Kirche zuzuordnen ist. D. möchte aber im Falle Pape mehr. Ihm ist es ins besondere ein Dorn im Auge, dass es von diesem Buch im Jahre 1961 einmal eine umgearbeitete Auflage davon von Dieter Pape gab. In dieser Ostausgabe gibt es in der Tat nicht jenes Kapitel dass davon redet, wie Pape (West) in den Schoß" der katholischen Kirche gekrochen ist.
Nun behauptet D. frisch von der Leber. Der Dieter Pape habe jenes Kapitel einfach blos für die Ost-Ausgabe weggelassen. Falsch Herr D.. Ihre Wortwahl offenbart, dass sie bis heute noch nicht beide (oder zumindest) eine Ausgabe diesen für sie so umstrittenen Buches gelesen haben. Jeder der beide Pape-Buchausgaben wirklich gelesen hat wird bestätigen können, dass beide Ausgaben in fast nichts übereinstimmen. Von eine Umarbeitung nur zu reden ist eine Untertreibung sondergleichen. Ausser der Titelgleichheit handelt es sich faktisch in Form und Diktion um zwei grundverschiedene Bücher.
Aber D. möchte bewusst auf diesem Irrtum herumreiten, weil er ihm ins Konzept passt. Dazu zitiert er jetzt in der zweiten Auflage via Gauckbehörde den MfS-Funktionär Teichmann. D. räumt ein dass Teichmann sich auf ein mündliches Gespräch beruft, des GM 'Rolf' (Willy Müller) mit Dieter Pape".
Zitat aus der "Gauck"akte:
Darüber habe er auch mit dem Bruder des Günter Pape gesprochen, dießer habe ihm erklärt, das Pape dieses Buch nie schreiben konnte [,] dazu fehlten ihm die finanziellen Mittel. Die Finanzierung übernahm die Kathl. Kirche (Jesuiten) und um das dießes Buch zum Druck kam baute er diesen Artikel ein. Jedoch habe Pape als die Bücher ausverkauft (vergriffen) waren den Schritt zur Kath. Kirche zu gehen nicht getan. Dieses Buch wurde durch die Kath. Kirche in großen Auflagen gedruckt u. verkauft, so das sich Pape auch finanziell gehoben ist und jetzt sein 2. Buch schreibt. Ohne diesen Artikel 'Auf dem Weg zur Kirche' wäre das Buch eine gute aufklärende Schrift die auch ihre Wirkung bei den 'Zeugen Jehovas' erreichen würde."
Was besagt dieser Text. Doch wohl dies. Dass auch Müller Vorbehalte hat gegen das in der Westausgabe enthaltene Kapitel Der Weg zur Kirche". Weiter, dass er meint, ohne dieses Kapitel wäre das auch aus seiner Sicht ein gutes Buch.
Weiter. Das Müller glaubt vom Hörensagen zu wissen, Pape habe wohl etwas geschwankt den Schritt zu tun in die katholische Kirche einzutreten.
Fakt ist aber. Letztendlich ist Pape (West) dort eingetreten. Dies alles in der Form einer mündlichen Unterhaltung.
Inwiefern die Herren D. und B. aus diesem dürren Tatbestand glauben ableiten zu können; Pape (Ost) habe genau das gleiche Buch blos ohne das Kirchenkapitel publiziert. Dazu muss man wohl sagen. Bei einer juristischen Aueinandersetzung mit Sachverständigen Gutachtern, ist ihnen eine glatte Bauchlandung" dazu vorprogrammiert.
Auch in der zweiten Auflage, die über weite Strecken unverändert mit der ersten Auflage identisch ist, kommt D. natürlich auch auf das von ihm mit Sicherheit nicht geliebte Uraniabuch" von 1970 zu sprechen.
Auf Seite 730 (Fußnoten) meint er nun in der zweiten Auflage seine Ausführungen über Gebhard auch mit den Sätzen ergänzen zu sollen:
Gebhard unterstützte den Verlag bei der Bearbeitung des Manuskripts zur Druckreife, bei Fahnenkorrekturen und Umbrucharbeiten 'mit großem Zeitaufwand in dankenswerter Weise'. Gebhard möchte nicht mehr mit dem Werk in Verbindung gebracht werden."
Abgesehen davon, dass ich mit einer solchen Aussage leben kann, ist jedoch auch klarzustellen. Die von D. gewählte Vokabel nicht mehr in Verbindung gebracht werden", trifft so nicht zu. Ich habe wesentliche Vorbehalte gegen dieses Buch. Unbestritten. Dennoch habe ich es Online für jedermann zugänglich auf meiner Webseite eingestellt. Das einzigste was ich dabei noch getan habe ist, ein kritisches Vorwort hinzuzufügen. Und desweiteren den Hinweis bei jedem einzelnen Kapitel, der Zufallsbesucher möge sich doch bitte auch dieses kritische Vorwort ansehen.
Das alles verschweigt D.. Das spricht nicht gerade für die Seriosität eines Dr. jur.
Die zweite Auflage wurde um sechzig Seiten inhaltlich erweitert. Von einer generellen Überarbeitung des Buches bis auf wenige schon genannte Passagen, kann man wohl nicht sprechen. Lediglich die Seite 748 wurde noch etwas im Detail ausgebaut. Ansonsten gilt zu 95 %. Fast keine Veränderungen gegenüber der ersten Auflage. Die 60 Seiten sind somit mehr oder weniger nur zusätzlicher Text.
Diese zusätzliche Einfügung beginnt im Prinzip auf der Seite 806f. Dort sieht man als neueingefügtes Bild Zeugen Jehovas in der DDR auf einem getarnten Camping-Treffen". Trifft sicherlich das Selbstbewußtsein der Zeugen. Weiter geht es neu eingefügt mit Ausführungen über die Bezirksverwaltung Rostock der Stasi.
Selbige ging geschickt vor. In einem Betrieb trat ein Kriminalfall auf. Die Ermittlungen ergaben, dass der Täter auch berufliche Kontakte mit einem höheren Zeugenfunktionär hatte. Dies nutzte die Stasi aus, um so bei dem Zeugen auch eine Hausdurchsuchung durchzuführen. In Sachen Kriminalfall ergab sich dabei zwar nichts Belastendes. Aber man fand im gewollten Zufall" Materialien der Zeugen Jehovas. Nicht blos Literatur derselben, sondern auch Aufzeichnungen, die es der Stasi ermöglichten, weiter in die Zeugenorganisation einzudringen, und unter anderem einige Literaturverfielfältigungsstellen lahmzulegen.
Einen solchen Erfolg glaubte die Stasi wohl würdig feiern" zu müssen. So sind bei D. jetzt Bilder wiedergegeben, wo man sehen kann, wie die Stasi eigens anlässlich dieses Erfolges, eine spezielle Ausstellung in Sachen Zeugen Jehovas inszenierte. In seinem Bildtext merkt D. dazu noch an: Wer die Besucher dieser Ausstellung waren, ließ sich nicht feststellen."
Weiter kommt D. dann neu noch besonders auf die Versuche der Stasi zu sprechen, möglichst in die westdeutsche Zeugenzentrale einzudringen. Die Stasi war im besonderen an der Ostabteilung der Zeugen interessiert. Über ihre hochrangigen IM glaubte sie zu wissen, die Ostabteilung sei gar nicht in der Wiesbadener Zentrale, sondern örtlich anders angesiedelt. Diese fixe Idee ließ die Stasi nicht los und sie versuchte allerhand, um diese These auch dokumentenfest zu machen, was ihr aber nicht gelungen ist.
Dazu führt D. aus (S. 822, 823):
Einen Hinweis bekam das MfS von dem IM 'Hans Voß', der bei einem Treffen mit Herbrich am 26. Oktober 1973 über ein externes 'Ostbüro' berichtete:
'Ihre Tätigkeit üben sie in einem westdeutschen Zweigbüro der Sekte 'ZJ' in Wiesbaden streng getrennten Ostbüro, welches mit einem PKW vom Zweigbüro in ca 5 Minuten zu erreichen ist, aus. Die Wohnanschrift wurde bisher nicht bekannt. Besucher des Zweigbüros, die Mitarbeiter der 'Ostabteilung' sprechen möchten, werden gebeten, einen Augenblick zu warten. Nach etwa 10-15 Minuten erscheinen dann die gewünschten Mitarbeiter. D. h. sie werden telefonisch in ihrem Ostbüro benachrichtigt und mit ihrem PKW waren sie sofort im Zweigbüro erschienen."
Fieberhaft versuchte die Stasi diese Angabe näher zu präzisieren. Besonders hatte sie ein abgelegenes Forsthaus in Verdacht, das gesuchte Objekt zu sein. Bedauernd musste die Stasi registrieren, es sei nicht möglich sich dem Objekt unbemerkt zu nähern, weil dessen Besitzer Wachhunde auf seinem Grundstück hat. Der Stasi gelang es nicht ihren Verdacht zu erhärten und D. bestreitet, dass es sich so wirklich verhalten habe.
Inzwischen kam der Zeitpunkt der Errichtung der Anlage in Selters heran; und damit wurde dann die Forsthausstory endgültig zu den Akten gelegt.
Auch in Selters setzte die Stasi einiges daran, fündig zu werden. Glaubt man indes D., gelang es ihr auch dort nicht.
Bei D. liest sich das so (S. 840):
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Planung für die weitere IM-Arbeit, denn sie sah die Suche und Auswahl von Kandidaten unter den Zeugen Jehovas aus der Versammlung Selters oder aus dem Operationsgebiet vor, die in die Feindzentrale und in deren Verbindungssysteme eindringen sollten. Dieser Plan läßt darauf schließen, daß bislang kein Zeuge Jehovas aus dem Zweigbüro oder dem 'Ostbüro' als IM für das MfS gewonnen war. Ein weiterer Beweis dafür ist die Tatsache, daß der Bericht ansonsten alle bekannten Informanten des MfS aufführt, so den IMB 'Hans Voß', den IMB 'Robert', den IMS 'Horst Krause', den IMS 'Elsbeth', den IMS 'Bernd Richter', den IM-Vorlauf 'Richard', den IM 'Hilde', den IM 'Steno' und den IM 'Günter'. Bei keinem dieser IM ergibt sich der Hinweis auf eine direkte Tätigkeit als Mitarbeiter im Zweigbüro in Selters."
D. war, wie eben zu lesen, mal so frei ein paar einschlägige IM-Namen zu nennen. Des Sängers Höflichkeit" verbot es ihm aber auch ein paar nähere Details zu den Betreffenden hinzuzufügen. Er schützt sie also und sagt bestenfalls dann etwas konkretes, wenn das ganze ohnehin schon anderweitig ruchbar geworden ist, wie beispielsweise im Fall Hans Voss". Ob seine Spekulation, dass kein Zeuge aus dem Zweigbüro für das MfS gewonnen wurde, noch in einigen Jahrzehnten aufrechtzuerhalten ist???
10) Was Dirksen so "nebenbei" mitteilt
D´. geht in seinem Buch Keine Gnade den Feinden unserer Republik" auf den Fall Fritz Adler ein, aber eher nebensächlich. Indes gibt es von D. noch einen weiteren Aufsatz, der schon in seiner Überschrift auf Adler direkt bezug nehmen will (Friedrich Adler - Vom 'religiösen Geschäftemacher' zum 'imperialistischen Kriegsbrandstifter'") in dem vom B. herausgegebenen Tagungsband Repression und Selbstbehauptung" S. 283f.. Aber auch dessen Informationsgehalt hält sich in Grenzen. So wird etwa die Phase seines Lebens nach der Abschiebung in die alte BRD mit dem lapidaren Satz wiedergegeben:
Adler verbüßte die Haft im Zuchthaus Brandenburg, die ein unmenschliches Pendant zu seiner Haft in der NS-Zeit darstellte. Die Strafe wurde 1957 herabgesetzt, so daß er schliesslich nach 14 Jahren Haftzeit im August 1964 auf Bewährung entlassen wurde. Nach seiner Abschiebung in die Bundesrepublik war er im Zweigbüro der Wachtturm-Gesellschaft in Wiesbaden tätig. Er verstarb kinderlos am 2. Dezember 1970 im Alter von 81 Jahren."
Mehr vermag D. über die Westphase von Adler offenbar nicht mitzuteilen.
Der genannte Aufsatz von D., ist eigentlich nicht mal so sehr wegen Adler interessant. Hervorhebenswert erscheinen mir eher einige der darin beiläufig genannte Fakten. Das alles ist aber so arrangiert, dass der Durchschnittsleser eher über diese Dinge hinwegliest, zumal sie ja auch nicht unbedingt kongruent mit der gewählten Aufsatz-Überschrift sind. Deshalb mag es mal angebracht sein, diese von D. mit genannten Fakten, etwas mehr herauszukristallisieren.
Wenn heutzutage von Jehovas Zeugen im NS-Regime die Rede ist, dann fällt sofort erst mal das Stichwort Hitlerverbot. Dennoch muss dieser Tatbestand durchaus differenzierter gesehen werden. Bei D. liest man dazu beispielsweise die nachfolgenden Details:
"Dem Bibelhaus in Magdeburg war nämlich nach dem Verbot der Bibelforscher in Preußen und der Vermögensbeschlagnahme am 24. Juni 1933 wieder eine gewisse Tätigkeit erlaubt worden. So hatte das Preußische Ministerium des Innern mit einer Verfügung vom 28. September 1933 das Vermögen freigegeben und mit einer weiteren Verfügung am 13. September 1934 den Druck von Bibeln und sonstiger 'unbedenklicher Schriften' gestattet."
Hier wäre ergänzend einzufügen: Bei Roser "Widerstand als Bekenntnis" S. 47f. ist beispielsweise ein Abrisskalender für das Jahr 1935 abgebildet, der offenbar in der WTG-Druckerei hergestellt und über die eigenen Vetriebswege zum Verkauf gelangte. Roser verwendet dabei sogar in seinem Bildtext die Formulierung: "Von den Bibelforschern an der Haustüre verkaufter Abreißkalender".
Weiter geht's bei D. mit der Aussage:
"Da sich aber dadurch der Zusammenhalt und die religiöse Verkündigung wieder verstärkten, wies der Reichs- und Preußische Minister des Innern den Regierungspräsidenten in Magdeburg am 1. April 1935 an, die Wachtturm-Gesellschaft in Magdeburg aufzulösen und zu verbieten, was dieser mit Verfügung vom 27. April 1935 umsetzte. Als Begründung führte der Regierungspräsident aus, das Vermögen sei zwar freigegeben worden, die Herstellung von Schriften, Flugblättern sowie die Lehr- und Versammlungstätigkeit jedoch weiterhin verboten gewesen. Daran habe sich die 'Bibel- und Traktatgesellschaft' aber nicht gehalten, sondern sie sei vielmehr an 'ehemalige Mitglieder der verbotenen IBV' herangetreten, um diese zum Bezug von Zeitschriften und Büchern anzuregen. Daraus ergebe sich, dass die Gesellschaft im organisatorischen Zusammenhang mit den Glaubensangehörigen der verbotenen IBV stehe und deshalb selbst als staatsfeindliche Organisation anzusehen sei. Tags zuvor war der Justiziar des Magdeburger Bibelhauses, Hans Dollinger, verhaftet worden, und am 10. Mai 1935 wurde der Leiter des deutschen Zweiges, Paul Balzereit inhaftiert."
Zu Dollinger's persönlicher Stellungnahme
dazu kann man auch vergleichen:
Dollinger
In der Folge kam es gar zu Verhandlungen zwischen der WTG und der Gestapo. Selbst der Amerikaner Anton Koerber wurde dazu nach Deutschland in Marsch gesetzt. Weder G. noch D. erwähnen aber diesen Umstand, und dies obwohl man im Wachtturm 1968 (S. 507, 508) dazu lesen konnte:
"Im Jahre 1935 wurde er (Koerber) nach Deutschland gesandt, um zu versuchen, die Rotationsmaschinen im Zweigbüro der Watch Tower Society in Magdeburg, die Hitler hatte beschlagnahmen lassen, herauszubekommen und sie nach Russland zu befördern, in der Hoffnung dort ein Zweigbüro eröffnen zu können. Das war eine zuerst schwierige Aufgabe, denn er wurde ständig von Agenten der Nationalsozialisten oder der Kommunisten beobachtet"
Es mutet schon abenteuerlich an, was da für Überlegungen da in
WTG-Kreisen so rumspukten. Die Maschinen nach Russland verbringen. Und dies obwohl man
schon im voraus wissen konnte, auch dort nicht gerade mit offenen Armen erwartet zu
werden. Das Russlandprojekt musste deshalb in der Tat begraben werden. Immerhin sollte es
eine Nachwirkung dergestalt noch haben, als publizistische Waffe gegen die WTG verwendet
zu werden. Dazu kann man vergleichen:
19402Also
Etwas realistischer ging da der in der Schweiz stationierte
WTG-Funktionar Harbeck an die Sache heran. Der verhandelte aber mit den Nazibehörden
nicht nur im Jahre 1935, sondern auch die beiden Jahre davor. Man vergleiche
dazu auch
19372Harbeck
D.
indes beschränkt sich bei seinem Harbeck bezüglichen Part nur auf dessen letzten
missglückten Verhandlungsversuch, wenn er schreibt:
"Zwischenzeitlich hatten auch Verhandlungen der
amerikanischen Watch-Tower Society mit dem Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa) über eine
neuerliche Freigabe des Besitztums in Magdeburg begonnen. M. C. Harbeck, der Leiter des
Zentraleuropäischen Büros der Zeugen Jehovas in der Schweiz, wurde eingeschaltet. Die
Verhandlungen zogen sich in die Länge, da Harbeck unglücklicherweise bei einem Besuch in
Berlin von der Gestapo zunächst verhaftet wurde. Schließlich schloß das Gestapa am 10.
Oktober 1935 mit der amerikanischen Watch-Tower Society einen dahingehenden Vergleich,
dass die beiden Verwaltungsklagen gegen die Verfügungen des Regierungspräsidenten
zurückgenommen und dafür die Vermögensbeschlagnahme aufgehoben wurden. Für die
Verwaltung der Gebäude und des Vermögens in Magdeburg wurden zwei Treuhänder
eingesetzt."
Letzteren
die Treuhänder betreffenden Punkt ergänzt er dann noch in einer Fußnote, unter
Bezugnahme auf Aktenbestände im Bundesarchiv, mit der Angabe:
"Das Gestapa benannte den Bücherrevisor Dr.
Wendt in Magdeburg, die Watch-Tower Society den Sekretär der Amerikanischen Handelskammer
in Berlin, Arthur E. Dunning. Diese treuhänderische Verwaltung bestand bis 1945 und
ermöglichte, dass einige Zeugen Jehovas auf dem Grundstück wohnen bleiben konnten."
Zur
Wirksamkeit eines dieser Treuhänder, notierte das Uraniabuch (S. 221-223) dazu einmal,
und das ist von der WTG bis heute nicht widerlegt worden:
"Im März 1941 hatte man nämlich in
Verhandlungen zwischen dem WTG-Hauptbüro in Brooklyn, vertreten durch die amerikanische
Handelskammer in Berlin - Bevollmächtigter Arthur Dunning, Berlin, Unter den Linden 38 -,
und dem faschistischen Kommando des Rüstungsbereichs Magdeburg das Eigentum der WTG in
Magdeburg dieser faschistischen Kriegsinstitution für 178 300 RM zum Kauf überlassen.
Frost erklärte dazu im Jahrbuch 1947 der Zeugen Jehovas, S. 114, die deutsche Wehrmacht
habe sich das Grundstück in Magdeburg zu eigen gemacht. Es bestand somit auf Grund dieses
Geschäfts mit den Nazis an dem Magdeburger Grundstück überhaupt kein eindeutiges
Eigentumsrecht der WTG an dem Magdeburger Grundstück, während man von den deutschen und
sowjetischen Behörden seine Überlassung forderte."
An anderer Stelle äußert D., einige der Beträge welche die Treuhänder erwirtschafteten, landeten auf einem Sperrkonto. Er gebraucht aber auch die Formulierung, ein solcher Käufer habe nach 1945 im Ausgleich sein auf dem Sperrkonto liegendes Geld zurückbekommen, nachdem der WTG ihre Immobilien wieder zugestanden wurden. Allerdings äußert er sich nicht zu den 178 300 RM gezahlt vom "Kommando des Rüstungsbereichs Magdeburg" . Das war ja wohl kaum eine natürliche Person, der man nach 1945 ihr Sperrgeldkonto wiedergeben konnte.
Bei D. liest man zu diesen Aspekten lediglich:
"Einige Schwierigkeiten bereitete die Rückübertragung des ehemaligen Grundbesitzes der Wachtturm-Gesellschaft in Magdeburg. Während der Zeit des Nationalsozialismus war der Grundbesitz unter die Verwaltung eines Treuhänders, der kein Zeuge Jehovas sein durfte, gestellt worden. Dieser hatte unter dem Druck der Gestapo einen Teil des Grundstückes veräußert.
Das Hauptgebäude Wachtturmstraße 17/19 war außerdem von der Stadtverwaltung unter dem damaligen, später verhafteten Oberbürgermeister Bär in Besitz genommen worden. Die SMA veranlaßte im Winter 1945/46, daß diese Teile des Grundstückes zurückgegeben werden mußten. Im März 1946 konnte dort wieder ein Büro eingerichtet werden. Es wurde begonnen, nun so schnell wie möglich die Gebäude wieder herzurichten, wozu sich viele Zeugen Jehovas freiwillig meldeten. Schon bald waren die meisten Gebäude wieder instand gesetzt und benutzbar.
Der Käufer der weiterverkauften Grundstücksteile weigerte sich jedoch, den Besitz herauszugeben. Da die Zeugen Jehovas auch nicht an die in der NS-Zeit bezahlte und jetzt auf einem Sperrkonto liegende Kaufsumme herankamen, wurde im Jahr 1949 ein Antrag auf Wiedergutmachung gestellt. Schließlich beschloß die Landesregierung von Sachsen-Anhalt am 24. Juni 1949 in Durchführung des SMAD-Befehls Nr. 82 vom 29. April 1948 die Rückgabe der Grundstücke."
Als Kontrast sei auch noch eine diesbezügliche Passage aus der Dissertation von Jens-Uwe Lahrtz zitiert:
Interessanterweise wurde 1935 noch insofern Rücksicht auf die außenpolitischen Interessen des Deutschen Reiches genommen, als man den Bedenken, die von der Seite des Auswärtigen Amtes aus vorgetragen wurden, Rechnung getragen hatte. Danach konnte man aufgrund der Eigentumsverhältnisse keine endgültige Vermögenseinziehung zulassen. Das Auswärtige Amt hatte sogar in deutlichen Worten auf einen möglichen politischen Nutzen hingewiesen, der sich aus einer weiterhin gestatteten Tätigkeit der Wachtturmgesellschaft in Magdeburg ergeben könnte:
"Angesichts des starken Interesses, das in den Vereinigten Staaten der Frage der religiösen Toleranz im neuen Deutschland entgegengebracht wird, und im Hinblick auf den (...) nicht zu unterschätzenden Einfluß, den die Muttergesellschaft in Brooklyn, (...), auf die amerikanische öffentliche Meinung ausübt, dürfte sich jedes Entgegenkommen (...) politisch bezahlt machen"
Unter Beachtung dieser Interessen des Auswärtigen Amtes, jedoch unter Federführung des Gestapa, ergriff man folgend die Initiative, um mit neuen Maßnahmen die noch mögliche Arbeit der Wachtturmgesellschaft immer mehr einschränken und knebeln zu können. Diese Federführung zeigt sich rund zwei Wochen später darin, daß der gleiche Vertreter des Auswärtigen Amtes anläßlich der Besprechung von Referenten über Maßnahmen gegen die Wachtturmgesellschaft im Februar 1935 erklärte,
"(...) trotz gewisser Bedenken, da Deutschland eben mit Amerika in Verhandlungen wegen Abschluss eines neuen Handelsvertrages stehe, sich [sie! J.-U.L.] einem Eingreifen aus staatspolizeilicher Notwendigkeit nicht widersprechen zu wollen." .
Daraufhin heißt es im Aktenvermerk lakonisch:
"Es wurde ihm zugesichert, dass das Auswärtige Amt im weiteren Fortgang der Sache beteiligt bleibe".
Um den ... Runderlaß Dalueges vom 13. Juli 1935 in einem außenpolitisch besserem Lieht erscheinen zu lassen - und das scheint der einzige Grund für eine derart ungewöhnliche wie die folgende Konstruktion zu sein - wurde am 10. Oktober 1935 sogar ein Abkommen zwischen der Wachtturmgesellschaft und dem Gestapa in Berlin ermöglicht. Der von Dr. Werner Best für das Gestapa unterzeichnete, drei Punkte umfassende Vertrag gestand der Wachtturmgesellschaft zu, ihr in Deutschland befindliches Vermögen von einem Treuhänder verwalten zu lassen. Der damit betraute Mitarbeiter der amerikanischen Handelskammer in Berlin, Executive Secretary Arthur E. Dunning, wurde jedoch angewiesen,
"(...) "vor sämtlichen Maßnahmen und Handlungen" die Zustimmung eines vom Gestapa eingesetzten Revisors einzuholen. Grundlage dieser Vereinbarung war die Tatsache, daß die Wachtturmgesellschaft zwei im Mai und Juli des Jahres 1935 vor dem Bezirksverwaltungsgericht in Magdeburg erhobene Klagen gegen das Verbot vom 27. April und die Vermögensbeschlagnahme von Anfang Juli 1935 zurücknahm. Außerdem ließ sie "(...) den Klageanspruch auf Feststellung, dass keine staatsfeindliche Betätigung der Wachtturm Bibel- und Traktatgesellschaft in Deutschland vorgelegen hatte, fallen."
Die Begründung hierfür ist in Form eines Schreibens an Dr. Best erhalten, das von Anton Koerber, dem das Abkommen vom 10. Oktober unterzeichnenden Vertreter der Wachtturmgesellschaft, am selben Tage übergeben wurde. Darin wird unter anderem betont: "Die Watch Tower Bible & Tract Society legt Wert darauf, Ihnen ihren in der mündlichen Verhandlung wiederholt betonten Standpunkt noch einmal schriftlich niederzulegen: dass sie mit Rücknahme des Klageanspruchs auf Feststellung, dass ihre Tätigkeit nicht staatsfeindlich sei, natürlich in keiner Weise zugibt, dass sie staatsfeindlich gehandelt habe oder eingestellt sei, dass sie vielmehr lediglich den Anspruch auf gerichtliche Feststellung dieser Tatsache angesichts des nunmehr geschlossenen Abkommens, durch welches ihre Eigentumsrechte wiederhergestellt werden, fallen läßt".
Mit diesem zwischen einer Institution wie dem Gestapa und den faktisch mit gebundenen Händen agierenden Vertretern der Zeugen Jehovas erstaunlicherweise trotz des Druckes der bisher beschriebenen damaligen Umstände geschlossenen Vertrag gelang es der Wachtturmgesellschaft, den Nationalsozialisten einen Aufschub der drohenden Enteignung bis zum April des Jahres 1937 abzutrotzen. Die einzig hierfür ausschlaggebende außenpolitische Rücksichtnahme der Nationalsozialisten bot somit in materieller Hinsicht für kurze Zeit einen gewissen Schutz. Die noch mehr als ein Jahr lang mögliche Einführ der englischsprachigen Zeitschrift "Watch Tower" nach Deutschland zählt ebenso zu den zusätzlichen Indizien für die erwähnte außenpolitische Rücksichtnahme.
Als vorletzter Beschluß in der Kette sich ergänzender Beschlüsse ist der von Dr. Werner Best in seiner Funktion als Stellvertreter Reinhard Heydrichs am 20. Januar 1936 unterzeichnete Vorschlag zum Verbot von Druck und Vertrieb von Bibeln und anderen Schriften durch ehemalige Mitglieder der IBV anzusehen. Damit war das völlige Tätigkeitsverbot der Wachtturmgesellschaft gegeben, deren Mitarbeiter man faktisch als stellvertretend für die Interessen der Zeugen Jehovas stehend ansah.
Um zu D. zurückzukehren.
Als nächstes kommt D. auch auf die gegen Balzereit und Dollinger
durchgeführten Gerichtsverfahren zu sprechen. Interessant, wie er deren Ablauf schildert,
wenn er erklärt:
Es handelte sich um einen öffentlichen
Schauprozeß in Anwesenheit der Presse. Die Taktik der meisten Angeklagten zielte darauf
ab, dem Gericht keine Ansatzpunkte für eine Verurteilung zu geben, indem jegliche
religiöse Betätigung abgestritten wurde. Man hoffte, dadurch einen Freispruch zu
erzielen. So erklärte Balzereit, dass es stets das Bemühen der Leitung gewesen sei,
alles zu verhindern, was gegen das Verbot verstößt, und dass sie sich mit guter
Genauigkeit an das Verbot gehalten habe. Zur Wehrpflicht erklärte er wörtlich, er wäre
zur Verteidigung des Vaterlandes bereit.
Balzereit wurde zu zweieinhalb Jahren,
Dollinger zu zwei Jahren Haft verurteilt."
Offensichtlich gehörte der genannte Fritz Adler auch mit zu den in jenem Verfahren gegen Balzereit/Dollinger, Mitangeklagten. War doch Adler bereits seit 1925 hauptamtlicher WTG-Mitarbeiter. Rutherford, der nach D. eine Stenogramm jener Gerichtsverhandlung bekommen hatte, war erzürnt darüber, das Balzereit/Dollinger ihre Haut in jenem Verfahren zu retten versuchten. Und weil schon vorher klar war, dass die Wehrdienstfrage in entscheidender Weise mit in jenes Verfahren hineinspielen würde, stellten sie sich entsprechend darauf ein.
Eigentlich wäre auch Adler von dem gleichen Rutherford'schen Anathema mitbetroffen. Letzterer berief sich dann aber darauf. Obwohl sein Fall mitverhandelt, war er doch zur Randfigur in diesem Verfahren degradiert. Demzufolge konnte er auch vor Gericht kein entsprechendes "Zeugnis" ablegen. So kam es, dass Adler bei der WTG in Gnade blieb. Balzereit/Dollinger hingegen nicht.
Wobei nach wie vor die Frage offen bleibt, ob eine Organisation, die mit der Gestapo wegen der Rettung ihrer materiellen Besitztümer verhandelt, die den Balzereit'schen Konfrontationsvermeidungskurs, anfänglich sehr wohl aktiv mitgetragen hat. Ob eine solche Organisation wirklich so viel besser ist als wie die nunmehr zu Sündenböcken degradierten Balzereit und Dollinger!
11) Anke S. über das Buch von Dirksen
In einer Mailingliste für historisch Interessierte wurde eine Rezension von Dr. Anke S. über das D.-Buch publiziert.
Die Autorin, dem Bereich Evangelische Kirche zugehörig, setzt selbstredend andere Prioritäten, als ich das beispielsweise tun würde.
Sie urteilt unter anderem auch:
"D. hat eine ungemein materialreiche und als Bestandsaufnahme zu würdigende Untersuchung vorgelegt. Die grundlegenden Fragen, warum die ZJ in der DDR verfolgt wurden und wie ihr Verhalten in der DDR zu bewerten sei, beantwortet D. jedoch auf nicht einmal 10 von fast 1000 Seiten, die sich wie eine Ode an die Lehre der ZJ lesen."
Weiter:
"D.s Arbeit haftet ein Makel an: Seine Perspektive ist - nahezu ohne jeden vergleichenden Seitenblick auf die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften oder gar die zahlreichen Gruppen in der DDR - streng auf die "Verfolgung" der ZJ konzentriert, so daß ein Gesamtbild gezeichnet wird, das den generellen (!) Umgang der SED mit "Andersdenkenden" nicht adäquat wiedergibt."
12) Vollnhals und Dirksen
In einem einfühlsamen einleitenden Beitrag referiert Stefan Wolle über die Befindlichkeit der Ostdeutschen. Man merkt diesem Beitrag an, da schrieb einer (ohne zu verklären), der selbst eine ostdeutsche Biographie hat. Das Wolle nicht zu den PDS-nahen "Bejublern" das SED-Regimes gehört, wurde schon 1990 deutlich, als er zusammen mit Armin Mitter als Herausgeber des Buches: "Ich liebe euch doch alle! Befehle und Lageberichte des MfS Januar-November 1990" in Erscheinung trat. In genannten Buch wurde die "Widerstandskraft der Zeugen Jehovas gegen das DDR-Regime" mit folgendem aus den Stasiakten entnommenen Zitat charakterisiert:
"Die Mitglieder der verbotenen Sekte 'Zeugen Jehovas' beteiligten sich wie in der Vergangenheit nicht an der Wahl. Störungen gingen von ihnen nicht aus " (S. 105).
Das die Tage des SED-Regimes im Jahre 1989 gezählt waren, ist sehr wohl dem Umstand zuzuschreiben, dass namentlich im kirchlichem Umfeld vorhandene Kreise, dem SED-Regime "Störungen" verursachten. Aber wie man liest, die Stasi bescheinigt den Zeugen, eben keine Störer gewesen zu sein. Soviel zum Thema "Widerstandskämpfer" Made in Zeugen Jehovas.
Zwei weitere Autorennamen in dem Sammelband "Der Schein der Normalität. Alltag und Herrschaft in der SED-Diktatur", verdienen noch gesondert hervorgehoben zu werden.
Da ist einmal der Name des Mitherausgebers dieses Buches, Clemens Vollnhals.
Zu Vollnhals ist anzumerken, dass er auch einer jener "Westimporte" ist, die nach 1989 den universitären Überbau ehemaliger DDR-Koryphäen systematisch kalt stellten.
Die ehemaligen DDRler, in der Regel SED-Mitglieder, wenn nicht gar darüber hinausgehend "Stasibelastet", waren nach 1989 nicht mehr sonderlich gefragt. In das diesbezüglich entstandene Vakuum pflegten in der Hauptsache "Alt-Bundesrepublikaner" einzutreten, die den Ostdeutschen nunmehr beibrachten, wohin die Reise zu gehen habe. In früheren Zeiten hätte man dafür die Vokabel "Kolonisierung" verwandt. Nicht aber so im Falle ehemalige DDR.
Es steht außer Frage, daß Vollnhals sich schon in Alt-Bundesrepublikanischen Zeiten als renommierter Wissenschaftler ausgewiesen hat. Er, wie auch andere haben lediglich die Chance genutzt, durch den Fall der DDR, ihre ganz persönliche Karriere zu beschleunigen. Unter westlichen Voraussetzungen wäre ihr Karrierebedürfnis, aufgrund des hohen Konkurrenzdruckes, doch eher wohl in gemäßigteren Bahnen verlaufen. Das "Vakuum" Ostdeutschland bot ihnen d i e Chance ihres Lebens, die sie hätte es den ostdeutschen Crash so nicht gegeben, wohl kaum erhalten hätten.
Wie gesagt, die wissenschaftliche Reputation von Vollnhals soll mit vorstehendem in keiner Weise angezweifelt werden. Einer seiner ersten hiesigen Arbeitgeber war denn auch die sich neu im Aufbau befindliche "Gauck"behörde. Heute ist er stellvertretender Leiter des Dresdner Totalitarismusinstitutes. Jenes Institutes, dem bekanntlich auch die Studie zum Thema Zeugen Jehovas in der DDR von Gerald Hacke zuzuordnen ist.
In seiner "Gauck"behördenzeit veröffentlichte Vollnhals auch einige durchaus bedeutsame Schriften. Ich nenne da besonders sein zusammen mit Siegfried Bräuer (einem "Ostdeutschen") herausgegebenes Buch "In der DDR gibt es keine Zensur". Wer sich für die DDR-Kirchenpolitik interessiert, wird dieses Buch mit Gewinn gelesen haben. Es offenbart die feinverästelten Zensurstrukturen des SED-Staates. Namentlich, wie alle in der DDR erschienene Literatur, vor Drucklegung, prinzipiell hausinternen und externen "Gutachten" unterworfen wurde. Wobei sich die externen Gutachter oftmals noch als die schlimmeren erwiesen. Ich kann es mir nicht verkneifen. "Einen schönen Gruß" an den DDR-Theologieprofessor Bassarak, auch einer jener externen Gutachter-Zensoren der schlimmeren Art, über die man dank der vorgenannten Studie nun näher informiert ist.
Erwähnenswert auch die von Vollnhals für die "Gauck"behörde herausgegebene Studie: "Die kirchenpolitische Abteilung des Ministeriums für Staatssicherheit." Zwar in der Substanz nicht sonderlich überragend aussagekräftig. Dennoch durchaus lesenswert.
Lesenswert ist meines Erachtens auch sein für die gleiche Dienststelle herausgegebenes Buch: "Die Kirchenpolitik von SED und Staatssicherheit".
Bedeutsam erscheint mir besonders darin der Satz:
"Es fällt darum schwer, diese Dienststelle (Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR) als eigenständige staatliche Behörde zu begreifen. Zutreffender wäre seine Bezeichnung als Dependance des MfS." Letztere Einschätzung kann ich nur bestätigen. Mir hatte sich schon zeitgenössisch, aus einem anderen Blickwinkel selbstredend, ein ähnlicher Eindruck aufgedrängt.
Ansonsten ist mein Eindruck zu dieser Studie von Vollnhals. Sie bleibt vielfach im Oberflächlichen stecken. Dort wo es für unserein interessant werden könnte, bietet er auch nur Allgemeinplätze und wenig zusätzliche Details. Vollnhals saß da nun an den Quellen (sprich Stasiakten). Das was er z. B. zu dem durchaus interessanten Thema Stasi-Kircheninstitut "Wandlitz" zu berichten weiß, ich kann meine Enttäuschung nicht verhehlen, ist für meine Begriffe dürftig. Er nennt da zwar ein paar Namen. Unter anderem die Namen Trebs, Dressler und Pape. Schön und gut. Nun weiß man's. Die waren auch in diesem "illustren" Institut beschäftigt. Und ist das alles, was es dazu zu sagen gibt? Ich meine, wer die Chance hatte diese Stasiakten einzusehen. Der hätte und müsste diesbezüglich durchaus detaillierter werden. Fehlanzeige bei Vollnhals.
Über genannten Pape weiß er lediglich zu berichten:
"Verdient machte sich auch der Diplom-Historiker Dieter Pape (IM 'Wilhelm'). Er war im Auswerterobjekt für die Zeugen Jehovas zuständig und organisierte im Auftrag des MfS die Studiengruppe 'Christliche Verantwortung' mit gleichnamiger Zeitschrift." Ende der Durchsage bei Vollnhals.
In dem vorliegenden Sammelband ist Vollnhals auch mit einem eigenen Beitrag vertreten, der dem Thema Stasi gewidmet ist. Da wird es vielleicht auf Seite 132 seiner Ausführungen interessant. Nachdem er mitteilt, dass (bezogen auf das Jahr 1998) die Stasi-IM auf der "Kirchenlinie" abgerechnete Beträge zwischen 4,70 Mark bis 9735 Mark kassiert hätten, nennt er zugleich auch den Stasinamen dieses "Spitzenverdieners". Danach kassierte der IM "Max" die 9735 Mark. Keine weiteren Angaben bei Vollnhals, wer denn nun der IM "Max" sei. Zieht man das Y.-Buch "Im Visier der Stasi" mit zu Rate, wird das ganze noch "rätselhafter". Y. berichtet auf S. 196 von dem Wolfgang Kirchhof, seinen "Leistungen" für den DDR-Staat und seinen IM Namen. Nach Y. war er mal als GI Max registriert, wurde später von der Stasi als IM Albert umbenannt, ab 1987 gar noch als IM Alex.
Hat die Stasi also nach vorgenannter Umbenennung den Ursprungsnamen anderweitig weiter verwendet? Oder lief ein und dieselbe Person in den Stasiakten unter mehreren Namen? Es wäre Sache jener, die diese Akten einsehen konnten, hierüber nähere Klarheit zu schaffen.
Ein weiterer "Westimport", der es verdient besonders hervorgehoben zu werden, sei jetzt noch genannt. Sein Name: Hans-Hermann D.. Das D´. eine Alt-Bundesrepublikanische Biographie hat, dürfte er doch wohl kaum bestreiten. Gleichwohl hat sein von der Universität Greifswald (ehemals DDR) angenommenes Dissertationsthema sehr wohl Ostbezug. Es ist den Zeugen Jehovas in der DDR gewidmet. Seine voluminöse Arbeit, auch im Buchhandel erhältlich, habe ich an anderer Stelle schon kommentiert.
Es interessiert hier besonders, was D. zum Thema Zeugen Jehovas in dem hier zu referierenden Sammelband zu berichten weiß. Sein zusammen mit Annegret D. verfassten Beitrag, einer der umfangreicheren in diesem Buche ist überschrieben: "Die Kinder der Zeugen Jehovas - Staatliche Ausgrenzung und soziale Repression."
Neben der weitgehend der Tendenz seines Buches folgenden Selbstdarstellung, kommt er auf die verschiedenen Phasen des MfS-Kampfes gegen die Zeugen Jehovas zu sprechen. So zitiert auch D. jene nach 1966 gültige Stasidirektive, in der diese als ihre jetzige Zielstellung formulierte:
"Besonderer Wert ist auf die Werbung von befähigten Anhängern sowie auf mittlere und leitende Funktionäre der Zeugen Jehovas zu legen. [ ] Es sind ferner alle geeigneten Maßnahmen zu organisieren, die gewährleisten, dass jetzt vertrauensvolle IM in Schlüsselpositionen der Organisation aufrücken" (S. 232).
D. stellt Stichpunktartig einige Fälle von Zeugen Jehovas-Kindern in der DDR vor, die staatlicherseits benachteiligt wurden. Dieser Sachverhalt ist auch meinerseits unbestritten und wird ebenso verurteilt. Der Knackpunkt indes liegt auf einer anderen Ebene. In der Datei "Kindererziehung" auf der Gebhard-Webseite findet man diverse Links die belegen, dass Jehovas Zeugen (endzeitlich motiviert) ein sehr gebrochenes Verhältnis zu weltlicher Bildung hatten und man kann vielleicht sogar wagen zu behaupten, vielleicht noch haben. Dies gilt auch für freiheitliche Gesellschaften und keineswegs nur für totalitäre wie die DDR.
Genau diesen Punkt versucht D. nun apologetisch zu entkräften. Sein Kronzeuge ist ihm dafür der Lobbyist B., den er mit der Aussage zitiert:
"Dass Kinder von Zeugen Jehovas keinen privaten Umgang mit Klassenkameraden anderen Glaubens haben dürften, trifft ebensowenig zu wie die Behauptung, sie dürften keinen Sport treiben, nicht musizieren und nicht an Klassenfahrten teilnehmen."
Dieses B.'sche Statement ist das typische Beispiel einer halben Wahrheit. Und von solchen üblen Verdrehungen ist die B.'sche Apologie auch auf anderen Gebieten reichlich gesegnet.
Formal ist bei den Zeugen Jehovas nichts verboten. Auch nicht höhere Bildung. Auch nicht Umgang mit Andersgläubigen. Indes in der Praxis ist es sehr wohl so, dass die inkriminierten Tatbestände bestehen.
D. selbst ist, man kann es kaum anders nennen, eine Art "exotischer Paradiesvogel" unter den Zeugen Jehovas; dieweil seine Laufbahn als Jurist, heute dazu herhalten muss, als "Paradebeispiel" für die "Weltoffenheit" der Zeugen Jehovas zu dienen. Wie sagt man so schon: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer! Gemessen daran sind "im Sommer der Zeugen Jehovas", die "Schwalben" nach wie vor fast ausgestorben.
Der DDR-Staat war auf die Zeugen Jehovas nicht "gut" zu sprechen. Eine Binsenweisheit. Und auch in der DDR wurde bei den Bildungsperspektiven der Jugend "gesiebt". Parteilichkeit im Sinne des SED-Staates stand für diejenigen die dort das sagen hatten, ganz hoch im Kurs. Es versteht sich fast selbstredend, dass Zeugen Jehovas-Kinder da vom Prinzip her, erst mal schlechte Karten hatten. Auch unter freiheitlichen Bedingungen kann nicht jeder werden, was er gerne möchte. Auch da gibt es einen Selektionsprozess (unter anderen Kriterien). Ähnliches spielte sich auch in der DDR ab.
Wenn D. also Fälle beklagt, wo Zeugen Jehovas es in der DDR nur zum Hilfsarbeiterdasein bringen konnten, mit den damit verbundenen erheblichen sozialen Einschränkungen, so berichtet er nichts neues. Vor ihm hat das (beispielsweise) Marko Martin, mit einer anderen Motivation allerdings, bereits getan. Und selbst im Internet kann man sich über einen, der es unter DDR-Bedingungen nur zum Hilfsarbeiter bringen konnte, und seinen nachfolgenden Kampf (ob er gelungen ist oder nicht will ich nicht bewerten), sich aus diesem Odium zu befreien, informieren. Man sehe sich nur die Webseite des Thomas Pape im Detail an. Dann hat man auch hierfür ein Veranschaulichungsbeispiel.
D. legt den Akzent auf das Weinerliche. Seht wie schlecht der DDR-Staat doch die Zeugen Jehovas behandelt hat. Er hat recht. Sie wurden schlecht behandelt. Dies ist und bleibt jedoch die halbe Wahrheit. Gerade auf der Bildungsebene haben sich Zeugen Jehovas und DDR-Staat gegenseitig (zugebenermaßen nicht mit Bewusstheit) die Bälle zugeschossen. Des einen soziale Diskriminierung- des anderen Freud über die sich daraus speisende religiöse Fanatisierung!
Wer sich bezüglich Details beruflicher und sozialer Diskriminierung von Zeugen Jehovas in der DDR weiter sachkundig machen möchte; der sollte auch die Ausführungen von Annegret Dirksen und Johannes W. in dem von Y. herausgegebenen Buch "Im Visier der Stasi" (S. 231) heranziehen. Mancher Sachverhalt ist dort meines Erachtens deutlicher auf den Punkt gebracht worden
13) Der abgelegte BND-Verschüsselungs-Code
Übrigens, auch nicht uninteressant, was man in der Studie von Gerald Hacke Zeugen Jehovas in der DDR" lesen kann; S. 63f.
Hacke erwähnt dort auch den Stasi-Aktenbestand der Bezirksverwaltung Dresden selbiger. Und zitiert aus diesem Aktenkonvolut auch ein Blatt 502.
Zwar setzt Hacke den Begriff Beweis" in Anführungsstriche, und bringt so seine eigene Distanz dazu zum Ausdruck.
Wenn Hacke also diese Stasi-Interpretation sich so nicht zu eigen macht, ändert das ja nichts an dem Umstand, dass die zeitgenössische Stasi der Auffassung war, die Zeugen Jehovas würden zur chiffrierten Weiterleitung ihrer Informationen, einen abgelegten Schlüssel des BND" benutzen.
Nun mag es in der Tat in Geheimdienstkreisen Usus sein, ihre Chriffrierungsmethoden nach einer gewissen Zeit auszuwechseln, weil sie befürchten, die Gegenseite habe die ja enttarnt, oder könnte sie enttarnen.
Dennoch dürften dann solch abgelegte Schlüssel", kaum auf dem offenen Markt" im Angebot sein.
Bezichtigte die Stasi also die Zeugen Jehovas, sie nutzten solch einen abgelegten Schlüssel des BND, lässt das ja durchaus tief blicken.
Wie nicht anders zu erwarten, hüllt der Zeugen Jehovas-Apologet Dirksen sich auch zu diesem Aspekt in wohldosiertes Schweigen"!
Man vergleiche auch die Detailangabe in Christina Masuch Doppelstaat DDR" S. 184f.
Es ist
spaeter als du denkst
Rutherford Religion
Stasi
und Religionsgemeinschaften
Kriegslist
zum Anfassen
Heilpraktikerszene
CV 10
CV 11
Oberstes Gericht der DDR Aus der Urteilsbegründung im Zeugen Jehovas-Prozess (1950)
1949er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte
1950er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte
1951er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte