Annotationen zu den Zeugen Jehovas
Hans-Hermann Dirksen

1) Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

2) Fallbeispiel: Werner L. und Co

3) Fallbeispiel Egon R.

4) Dirksen Referat in Berlin

5) Bayernallee 49 in Berlin

6) Erste Stellungnahme zum Dirksen-Buch

7) Anmerkungen zum Hauptinhalt des Dirksen-Buches

8) Fallbeispiel Horst S.

9) Anmerkungen zur 2. Auflage des Dirksen-Buches

10) Was Dirksen so "nebenbei" mitteilt

11) Anke S. über das Buch von Dirksen

12) Vollnhals und Dirksen

13) Der abgelegte BND-Verschüsselungs-Code

1) Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Vor einiger Zeit konnte man eine knappe adn-Meldung zur Kenntnis nehmen, dass der Rechtsanwalt H. D. mit einer Vortragsserie über die DDR-Verfolgung der Zeugen Jehovas beginnt. Er beruft sich darauf, letztere im Auftrag des Landesbeauftragten für die Stasi-Akten durchführen zu können. Sicherlich wird ihm die „Gauck„-Behörde einen entsprechenden Forschungsantrag positiv beschieden haben.

Schon einmal hat sich D. in ähnlicherweise verlautbart. In dem 1998 in Bremen von Hans Hesse herausgegebenen Sammelband über die Zeugen Jehovas ist auf den Seiten 256-276 auch ein Beitrag von ihm abgedruckt. Vergleicht man seinen sich auf bloß 72 Anmerkungs-Nummern beschränkenden wissenschaftlichen Anhang, so findet man dort auch einige Quellenverweise auf Bestände aus der „Gauck„behörde (BStU).

Aber vielleicht noch eine kleine Abschweifung. Hans Hesse heißt der Herausgeber des Buches, wo auch D. mit seinem genannten Beitrag vertreten ist. Es gibt aber noch einen anderen Hans Hesse, der auch mit einem kleinen, 1997 im Berliner Spottless-Verlag erschienenen Büchlein in Erscheinung getreten ist. Jener zweite Hans Hesse gab seinem Büchlein den Titel: „Ich war beim MfS". Ich könnte mir vorstellen, dass auch der Herr D. dort noch Anregungen vor seine Vorträge vorfinden könnte. Vielleicht noch ein paar Zitate aus dem Anhang zu jenem MfS-Hesse-Buch:

„Frage: 'Jede Frage an einen ehemaligen Mitarbeiter des MfS ist heute mit dem Problem verbunden, dass der Fragesteller entweder die Berechtigung dieser Institution bejaht oder sie als Machtinstrument der Unterdrückung verdammt. Würden Sie heute … noch einmal den gleichen Weg gehen?'

Hans Hesse: 'Ja. Das mag verwegen klingen oder auch stur oder uneinsichtig, aber ich bleibe bei diesem 'Ja'. Es war damals das Resultat meiner Lebenserfahrungen und die habe ich inzwischen nicht korrigieren müssen. … Aber es gibt auch bei der Beurteilung der Tätigkeit des MfS nicht nur schwarz oder weiß. Als man mich dorthin schickte, hatte die andere Seite längst ihre Offensive entfaltet und wir hatten zunächst zu tun, sie zu stoppen.'"


Eine Kernthese der Zeugen Jehovas nach 1945 bestand in der suggestiven Frage: „Auf welche Weise sollen denn die Leiden der Menschen beendet werden?" Die Antwort darauf lautete: „Nicht durch allmähliche Entwicklung, Reformen, Parteiprogramme! Nicht durch Menschenmacht! „Wenn Jehova das Haus nicht baut, vergeblich arbeiten daran die Bauleute; wenn Jehova die Stadt nicht bewacht, vergeblich wacht der Wächter. (Psalm 127:1)" („Die Leiden der Menschen werden enden! Auf welche Weise?" 1946, S. 5)

Im Angesicht der Trümmerberge des Zweiten Weltkrieges verkündeten die WTG-Funktionäre weiter: „Weltliche Eiferer befremdet dieses Verhalten. Sie fragen; soll man die Hände in den Schoß legen und auf Gott warten? Diese Frage kann nun durch die passende Gegenfrage erledigt werden: Soll man ein sinkendes Schiff verlassen und auf die Errettung durch fremde Hilfe warten? Oder soll man nutzlose Anstrengungen machen, dass Unvermeidliche mit ganz unzulänglichen Mitteln aufzuhalten?" (Ebenda S. 6,7.)

Mit ihrem auf den Sankt Nimmerleinstag orientierenden Warten auf ein „göttliches Eingreifen", hatten die Zeugen-Funktionäre außer geistigem Rauschgift nichts für die Menschen in ihren realen Nöten anzubieten. Darüber hinaus machten sie sich eine Publizistik zu eigen, die davon ausging, dass der Zweite Weltkrieg lediglich eine Unterbrechung erfahren habe, eine kurze Atempause „zum Luft holen". Das er aber noch keineswegs als beendet betrachtet werden könne.

In der Lesart der amerikanischen Zeugenfunktionäre verkündeten sie im Jahre 1946: „Jehova Gott erklärt in seinem Wort: 'Alles hat eine bestimmte Zeit, und jedes Vornehmen unter dem Himmel hat seine Zeit, und Hassen hat seine Zeit; Krieg hat seine Zeit, und Frieden hat seine Zeit (Prediger 3:1,8). Die jetzige Zeit hat Gott nicht für Frieden auf der Erde vorgesehen. Das wissen wir, weil sein prophetisches Wort uns sagt, was im jetzigen Zeitabschnitt der Menschheitsgeschichte geschehen muss. Der Friede wird nicht eher kommen, bis er ihn durch seinen Friedefürsten schafft." („Fürst des Friedens" 1946, S. 11).

Was hier theologisch verklausuliert formuliert war, hatte seinen tieferen Hintergrund in der Einschätzung der weltpolitischen Lage durch maßgebliche US-amerikanische Kreise. In säkularer Form konnte man die diesbezüglichen Überlegungen beispielsweise in der Zeitschrift „Newsweek" vom 17. 5. 1948 nachlesen.

Dort wurde ausgeführt: „Letzte Woche hielt der Chef der strategischen Luftkommandos, General George C. Kenney … eine wenig beachtete Rede. … Der gegenwärtige Friede, so sagte er … sei 'kaum mehr als ein künstlicher Waffenstillstand.' Es ist nicht mehr notwendig, danach zu fragen, ob wir an eine Kriegsgefahr glauben, sagte er. 'Die Frage lautet heute einfach und direkt: Wann werden die kommunistischen Massen die 'Operation Amerika' beginnen?' Obwohl es Kenney ablehnte, den Zeitpunkt zu bestimmen ('es wird soweit sein, sobald sie das Gefühl haben, sie könnten gewinnen.'), so enthüllte er, wie die Vereinigten Staaten dem Angriff begegnen würden mit den Luftstreitkräften. Mit dem größten Bombenvorrat der Welt und den erforderlichen Luftstreitkräften um die Bomben zum Gegner zu tragen."

Der Hintergrund jener Thesen ist in der am 12. 3. 1947 verkündeten sogenannten „Truman-Doktrin" zu sehen. Sie besagte, dass nach der zeitweiligen Zusammenarbeit zwischen den USA und der UdSSR während des Zweiten Weltkrieges, nunmehr dem Kommunismus ideologisch und geographisch der Krieg zu erklären sei; dass die USA überall dort ihre eigenen Lebensinteressen bedroht sehen, wo „die Freiheit in Gefahr ist" und sich deshalb das Recht vorbehielten, dort einzugreifen.
Schon vor dem DDR-Verbot der Zeugen Jehovas ist eine kritische Publizistik über sie feststellbar. Etwa, wenn Wiesner über sie äußerte, „dass die Zeugen Jehovas-Verkündigung des kommenden Paradieses auf Erden am Ende der Tage weithin dem Glückseligkeitsstreben des modernen Menschen entgegenkommt, gleichzeitig aber auch die bei ihm herrschende Weltuntergangsstimmung ausnutzt und sich propagandistisch zu eigen macht. Wenn außerdem für die Zeugen Jehovas Politik, Religion und Handel 'Teufelsorganisationen' sind, so untergraben sie damit jegliches Gemeinschaftsleben und verkünden die Anarchie."

Wenn man der Verbotsgeschichte der Zeugen Jehovas in der DDR nachgeht, dann kann man feststellen, dass schon vor dem Gesamtverbot von 1950 örtliche Verbote nachweisbar sind. So wurde beispielsweise ein für den 23.- 25. Januar 1948 geplanter Kongress in Dresden von der Sowjetischen Militäradministration verboten. Ein weiteres Verbot für den Landkreis Bautzen wurde von der Volkspolizei am 9. 7. 1949 ausgesprochen. Dieses von der Landesregierung Sachsen zu verantwortende Verbot war sozusagen ein „erster Testballon". Den Kommunisten waren die Zeugen Jehovas verschiedentlich schon unangenehm aufgefallen.

So notierte das Kriminalamt Bautzen am 10. 6. 1948: „Hiesige Dienststelle kam in den Besitz einer Anzeige eines Herrn Blumenstein, Bautzen, worin dieser das Auftreten eines Agitatoren der Sekte 'Zeugen Jehovas' darlegt. Laut der Anzeige tragen die Äußerungen des Sektenvertreters dazu bei, die Kriegspsychose zu schüren."

In Vorbereitung ihres Verbotes richtete das Kriminalamt Bautzen am 9. 6. 1949 an die Landespolizeibehörde Sachsen in Dresden die Anfrage, „ob der nachstehend aufgeführte Verstoß (als Verstoß) gegen den § 107 des Strafgesetzbuches angesehen werden kann: Ein Prediger der Zeugen Jehovas fordert in einer Versammlung dieser Sekte die Anhänger auf, sich nicht an der Wahl zu beteiligen mit der Begründung, das auch eine Wahlbeteiligung gegen Jehova Stellung nehmen bedeuten würde, in dem sie Einfluss auf eine Neuordnung der Welt durch Menschen Kraft bewirken.

Dabei ist festzuhalten, das die Zeugen Jehovas öffentlich predigen, dass jeder, der sich am politischen Leben beteiligt, die Macht Gottes nicht anerkennt, die allein nur befähigt und das Recht habe, die Welt neu zu gestalten, und somit dem Untergang geweiht ist. Die Worte des Predigers sind demzufolge eine Drohung: Wer sich an der Wahl beteiligt, ist dem Untergang verfallen."


Bereits am 23. 5. 1949 hatte das Kreispolizeiamt Bautzen einen Bericht zu den Zeugen Jehovas verfasst und der Kommandantur Bautzen der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland zugeleitet: „Aus ihrem angeblichen Wort Gottes, das sie verkünden sich berufen fühlen … geht ganz einwandfrei hervor, das nur Gott berechtigt ist, eine neue Welt zu erschaffen die sein Königreich sein wird. Alle Kräfte, die jetzt versuchten, entgegen den Willen Gottes, eine neue Ordnung zu errichten, wären teuflische Dämone und Satane, die Gott zermalmen und vernichten würde. Sie betrachten es daher als ihre höchste Aufgabe, die Menschen von der Beteiligung an der Erschaffung einer neuen Ordnung abzuhalten um sie vor dem Untergang zu bewahren, der allen beschieden ist, die sich an dieser Neugestaltung beteiligen."

Als Beispiel wird angeführt das „ein Referent der Zeugen Jehovas anlässlich einer Gebietsversammlung in … Bautzen am 27. 8, 48 vor ungefähr 200 Personen (erklärte): 'Die Erde gehört keinem Menschen, die gehört dem, der sie gemacht hat. Daran ändern auch nichts die Weltherrschaftspläne und teuflischen Dämone und Satane. Der Herr, der Friedenbringende, wird diesen ganzen Haufen wegräumen zur bestimmten Stunde. Das Reich Gottes wird alle diese irdischen Reiche vernichten und zermalmen. Dann wird die letzte Währungsreform vorgenommen werden, der wir jetzt schon mit Ruhe entgegensehen.'"

Kommentiert wird das mit den Worten: „Dieser Ausspruch allein schon zeigt in aller Deutlichkeit, dass ihre Lehre eine vollkommene Kampfansage gegen die fortschrittlichen, friedliebenden und demokratischen Kräfte, nicht nur in unserer Zone, sondern darüber hinaus in der gesamten Welt und vor allem gegen die Sowjet-Union, dem ersten sozialistischen Staat der Erde ist. Es macht sich unbedingt erforderlich, darauf hinzuweisen, das die ideologische Ausrichtung und Aufklärung des Volkes noch sehr zu wünschen übrig lässt und ein sehr großer Teil an die Botschaft des Himmels glaubt. Ganz besonders muss in Betracht gezogen werden, das vor allem Umsiedler zum überwiegenden Teil streng religiös sind. Es ist daher nicht verwunderlich, das die Worte des Predigers in diesen Volksschichten großen Anklang finden und ihr Handeln sich nach diesen Predigern richtet. …

Das dieser Fall nun nicht eine Ausnahme ist, beweisen weitere Vorkommnisse. So zum Beispiel brachte zu einer Versammlung dieser Sekte im Januar 1948 der Leiter der Zeugen Jehovas Gruppe Bautzen, der Prediger Espenhain, Walter … der von Beruf Heilpraktiker ist, zum Ausdruck: 'Die Vergangenheit hat gezeigt, das alle politischen Menschen bzw. Männer, gleich welche politische Richtung sie anstreben, den wahren Frieden des Herzens nie gebracht haben und nie bringen werden, das nur Jehova und seine Lehre den Herzensfrieden bringen wird.'

Zu dieser Versammlung waren ungefähr 100 Personen anwesend. Damit hat er in deutlicher Form gezeigt und versucht zu beweisen, das selbst die größte Wissenschaft, die uns den einzigen Weg zum Weltfrieden zeigt, der Marxismus eine Irrlehre sei, da ja nur die Lehre Jehovas, wie er sich ausdrückte, den wirklichen Frieden zu bringen in der Lage sei."

Dies sind nur einige Zitate dessen, was D. in dieser Deutlichkeit nicht anspricht, bzw. unter dem Tisch fallen lässt. Es macht sich in der heutigen Zeit gut, Jehovas Zeugen als Opfer der kommunistischen Repression darzustellen. Ohne Zweifel waren sie solche Opfer. Ohne Zweifel standen die kommunistischen Gegenmassnahmen in ihrer Drastigkeit in keinem Verhältnis zum inkriminierten Tatbestand. Die Nerven der Kommunisten lagen ganz offensichtlich blank.

Aber auch die Zeugen Jehovas waren keine „Engel" wie z. B. ihre Ausschlußpraxis beweist. Im Fall Horst Kühn offenbart sich dies. Nachdem er durch die Überforderungen des ZJ-Pionierdienstes zusammengebrochen war, wurde er ausgeschlossen. Später bemühte er sich reumütig um Wiederaufnahme. Erneut von den DDR-Behörden als Aktivist registriert, wandert er langjährig ins Gefängnis. Seine Frau lässt sich mit moralischer Unterstützung der Zeugen Jehovas von ihm scheiden. Nach der Gefängnisentlassung ist er erneut für die Zeugen Jehovas „persona non grata". Etwaige Unterstützungen erhält er jedenfalls nicht von ihnen, wohl aber von „Weltmenschen", denen die extreme Tragik dieses Falles doch noch nahe geht.

Möge doch der Herr D. auch mal dazu einen Kommentar abgeben. D. weiß genauso gut wie ich, dass beim 1950-er Zeugenverbot, der Spionagevorwurf eine formal herausgehobene Stellung einnahm. Ich bin mutmaßlich wenigstens in diesem Punkt, mit D. einer Meinung, dass er an den Haaren herbeigezogen wurde. Aber vielleicht sollte auch D. mal darüber nachdenken, dass auch Datenschützern in der Gegenwart, die Kartographierungsarbeiten der Zeugen Jehovas äußerst suspekt sind.

1975 artikulierte Horst Knaut dieses Unbehagen mal mit den Worten: „Nach einem missionsinternen Schema werden mit dieser Methode Millionen von Menschen irgendwie und irgendwann 'erfaßt' - in Eisenach und in Prag, in Kitzbühel, in Lyon, in Dallas oder auf den finnischen Inseln. … Etwas Unheimliches liegt in diesem weltweiten System der Registrierung von Menschen, dass die Prediger der 'wahren Religion' ausgeklügelt haben. Schon ganz flüchtige Gedanken an die Existenz solcher Notizen aus den privaten Sphären und über persönliche Anschauungen, die womöglich irgendwo zusammengetragen werden, sind gräßlich. Sie lassen viele Überlegungen offen, denn nirgendwo befasst sich eine Organisation mit Erhebungen solcher Art und in diesem Ausmaßen." (Knaut, Horst „Propheten der Angst", Percha 1975 S. 9.)

Vielleicht noch ein Zitat aus dem Beitrag von D. im Hesse-Buch. Dort schreibt er (S. 268,259): „Man startete den Versuch, informelle Mitarbeiter nicht nur an beliebiger Stelle in die Organisation einzuschleusen, sondern sie gezielt auf die Übernahme von Führungsfunktionen vorzubereiten, um auf diese Weise noch besser in die Organisation eindringen zu können. Schließlich funktionierte dieses System so gut (Infiltration der DDR Zeugen Jehovas durch die Stasi), dass man sich ausrechnete, dass verschiedene dieser informellen Mitarbeiter durchaus die Chance hatten, im Falle der Verhaftung der bisherigen Leitung in hochverantwortliche Funktionen aufzurücken und man so die gesamte Organisation der Zeugen Jehovas in der DDR kontrollieren könne."

D. dürfte der Fall „Hans Voss" und ähnlich gelagerte Fälle, die schon B. beiläufig nannte, sicher bekannt sein. Da er für sich in Anspruch nimmt, zum Thema Stasi und DDR-Zeugen Jehovas in der Öffentlichkeit zu referieren, so aufgefordert, sein diesbezügliches Detailwissen auch einmal der Öffentlichkeit darzulegen. Ich jedenfalls habe bislang den Eindruck gewonnen, dass es auch bei den Zeugen Jehovas etliche über die „Gauck„behörde ermittelbare Fakten gibt, die letztere auch nicht in einem „Heldenlicht" erscheinen lassen.

Inzwischen haben sich nähere Erkenntnisse über diesen „Hans Voss" ergeben. Danach handelt es sich um den Zeugen Jehovas Hermann Laube aus Zittau. Übrigens, auch Horst Kühn wohnte in Zittau. Welchen Anteil hat wohl Laube am Fall Kühn? Besagter Laube gehörte mit zum Präsidium der von der Modrowregierung anerkannten „Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in der DDR, heute „Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland". Sein Fall wird von den Zeugen Jehovas, weitgehend, „unter den Teppich gekehrt"!

Nun ist ohne Zweifel die Geschichte der Zeugen Jehovas, Ende der 1940-er Jahre in der DDR, eine Geschichte der Tragödien. Wenn der Mitarbeiter der „Gauck„behörde ausführte, dass der Aktenbestand dazu schier unendlich sei, dann wäre hier ein Herr D. gefordert.
Nicht „unendliches Aktenmaterial", sondern nur ein Bruchteil von ihm liegt den nachfolgenden Ausführungen - unabhängig von Herrn D. - zugrunde:

Wie man weiß erfolgte das 1950-er Verbot nicht aus heiterem Himmel. Die Konfrontation hatte sich schon früher deutlich angezeigt. In den Stasiakten (MfS Allg. S. 940/67) gibt es beispielsweise die nachfolgende Notiz:
„In der am 6. 3. 50 in Görlitz, Restaurant 'Stadt Löbau' stattgefundenen Zusammenkunft der Bibelforscher wurde den Anwesenden ein Protestschreiben der Bibelforschervereinigung in Magdeburg an den Ministerpräsidenten vorgelesen, in dem es u. a. heißt:

'Wir protestieren auf das schärfste gegen die verleumderische Glaubenshetze, die von einer grossen Anzahl führender extremer SED-Funktionäre betrieben wird. Wir verlangen sofortige Wiederherstellung der Glaubensfreiheit!
Im 'Funktionär' Nr. 1 1950 ist ein Artikel über die Zeugen Jehovas enthalten, der einen wüsten Glaubenshass entfacht. Wir fordern die sofortige Ergreifung von Massnahmen der Gleichberechtigung der Zeugen Jehovas als Religionsgemeinschaft. Wir fordern die sofortige Einstellung der Entlassung aus Staat, kommunalen, volkseigenen und privaten Betrieben unserer Glaubensgenossen!

Wir fordern die sofortige Gleichstellung von Schulräumen für Versammlungszwecke, wir dies die anderen Organisationen erhalten! Wir haben nichts mit dem Imperialismus gemein! Wo bleibt die in der Verfassung zugesicherte Gleichberechtigung? Warum dürfen sogenannte demokratische Beamte, die von der Demokratie keine Ahnung haben (Volkspolizei) es wagen, unsere Versammlungen in Wohnungen aufzulösen, unsere Schriften zu beschlagnahmen, ja selbst Brieftaschen (Pfuirufe aus der Menge).

Wir fordern die sofortige entsprechende Anweisung an alle demokratischen Beamten, an alle Polizeistellen, dass sie kein Recht haben uns in unserer Glaubensausübung zu hindern!
Den extremen SED-Funktionären die Glaubenshetze zu verbieten. Wir fordern im Namen aller Zeugen Jehovas unser Recht!"

Das war also die zeitgenössische Sicht der damaligen Zeugen Jehovas. Indes auch die angegriffenen SED-Funktionäre hatten sich inzwischen eine klare Meinung zu dem Zeugen Jehovas-Problem gebildet. In der gleichen Akte kommt dies z. B. in den Sätzen zum Ausdruck:

„Man operiert in den meisten Fällen sehr geschickt zum anderen direkt aggressiv." Und den wesentlichen Kern der SED-Einschätzung der damaligen Zeugen Jehovas bringt man in dem Satz zum Ausdruck: „Man übt eine Suggestion auf große Teile der Bevölkerung aus, indem man ihnen erklärt: 'Nicht ihr selbst könnt die Dinge verändern, nur der Gott Jehova ist dazu in der Lage.'" An anderer Stelle (MfS Allg. S. 182/76 Bl. 81) wird das mit den Worten beschrieben: „Sie fühlen sich, wie sie es selbst ausdrücken, 'neutral', tatsächlich in der Sprache des Rechts gewissermaßen 'exterritorial'.

Diese ihre Auffassung wird begreiflicherweise von den irdischen Staaten nicht anerkannt und so kommen die Mitglieder der genannten Religionsgemeinschaft mit den jeweiligen Regierungen in vielfache Gegensätze."

Damit ist die eigentliche Konfliktursache zutreffend beschrieben.

Aber es ist ganz offensichtlich, dass sich die Lage emotional stark hochgeschaukelt hatte. Auf beiden Seiten. Ihre Emotionen in öffentlichen Reaktionen bzw. Stellungnahmen zu unterdrücken, fiel beiden Seiten zunehmend schwerer. Symptom dafür ist auch das nachfolgende Zitat. Bezugnehmend auf eine Veranstaltung der Zeugen Jehovas am 13. 4. 1950 in Schönebeck/Elbe wird der dortige Prediger mit seiner Äußerung wiedergegeben:

„Wie ich gehört habe, hat man euch sogar Liederbücher weggenommen. Geschwister, ihr müsst sie versteckt halten. In der Ostzone herrschen jetzt viel schlimmere Zustände als wie in der Nazizeit. Wir haben keine Angst vor diesen Hampelmännern wie Pieck und Grotewohl. Wir sagen ihnen den Kampf an, wenn sie es durchaus wollen. Wir brennen darauf, wir haben keine Angst vor ihren Maschinengewehren, Pistolen oder Atombomben. Wir brauchen vor ihnen keine Angst zu haben, denn sie gehen an ihrer eigenen Dummheit zugrunde."

Man hat zu konstatieren. Die Kampfansage wurde von der SED „akzeptiert". Das „Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1949" vermeldet und dieser Fakt wird in den Stasiakten erneut rezitiert, dass sich besonders die Länder Mecklenburg und Sachsen im Anti-Zeugen Jehovas-Kampf hervorgetan hätten. Soweit es Sachsen anbelangt ist die Ursache auch darin zu sehen, dass dort die Zeugen Jehovas besonders konzentriert waren (und sind). Dies macht auch eine Stasiinformation aus dem Jahre 1971 deutlich. In ihr wird die numerische Zahl der Zeugen Jehovas in der DDR auf rund 20 000 eingeschätzt.
Die SED hatte Anfang der 50-er Jahre damit begonnen, die bisherigen Aufgliederung ihres Territoriums in Länder (wie zum Beispiel Sachsen) aufzuheben. Hintergrund dessen war ihr Bestreben, dem „Föderalismus" den „Genickschuss zu verpassen", auf das sie in der Lage sei, zentral die Politik der DDR zu bestimmen. Im Zuge dieser Politik trat an Stelle der vormaligen Länder eine Aufgliederung in „Bezirke". Ihr politisches Gewicht war völlig bedeutungslos. Genau das wollte auch die SED mit dieser Änderung erreichen. In der schon genannten „Information" (MfS HA XX/4 Nr. 1246) aus dem Jahre 1971 wird die Verteilung der Zeugen Jehovas in einigen einzelnen DDR-Bezirken wie folgt eingeschätzt:

Karl Marx Stadt ca. 7000
Dresden ca. 4500
Halle ca. 1000
Magdeburg ca. 1000
Hauptstadt (Ost) Berlin ca. 700.

Nachdem das 1950-er Verbot dann eingetreten war, setzte die Justizmaschinerie drastische Urteile in Szene. 10, 12, 15 Jahre. Ja, sogar lebenslängliche Urteile waren keine Seltenheit.
Das Stichwort lebenslängliche Urteile aufgreifend sei dies an zwei Beispielen verdeutlicht. (MfS Allg. S. 185/76)

Da wurde unter anderem ein 39-jähriger Lichtbildner verurteilt. (Da dieser Begriff heute so nicht mehr gebräuchlich ist, darf man ihn wohl mit Recht mit einem berufsmäßigen Fotografen gleichsetzen). Als seine Funktion bei den Zeugen Jehovas wird angegeben: Hilfsgruppendiener und im „Dreibrüderkomitee". Er wird mit den Worten eingeschätzt:

„Der Angeklagte überragt, was den Intelligenzgrad anbetrifft, alle übrigen Angeklagten. Er rückte von der Berliner Resolution und dem Wachtturm (Nr.) 7 (1950 - mit dem Bericht über die 1949-er Berliner Waldbühnenveranstaltung unter dem Motto „Es ist später als du denkst" ab. Gesamteindruck: fanatisch."

Schon seitens der Staatssicherheit, wurde von letzterer vorgeschlagen, er sollte zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt werden. In der eigentlichen Gerichtsverhandlung beantragte dann der Staatsanwalt als Strafe 15 Jahre Zuchthaus. Indes des Gericht verkündete dann als Endurteil für ihn lebenslängliches Zuchthaus!

2) Fallbeispiel: Werner L. und Co

Ein zweites Beispiel bezieht sich auf einen damals 22 Jahre alten kaufmännischen Angestellten. Seine Funktion bei den Zeugen Jehovas wird mit den Worten beschrieben: Gruppendiener und Verkündiger. Aus dem Sachzusammenhang ist klar ersichtlich, um wem es sich hier handelt. Und zwar um dem Zeugen Jehovas Werner L. aus Dresden über den weiter unten noch weiteres zu sagen sein wird. Über L. vermerkt das Gericht, dass er bereits durch die Sowjetische Militär Administration im Jahre 1949 ein Redeverbot erhielt „das er nicht einhielt, er behauptete damals, 14, 33 und 49 'das Volk schreit immer.'"

In einer anderen L. bezüglichen Akte liest man:

Dresden 13. 6. 49

Prediger der ZJ. L. Werner, geb. 8. 5. 28

Am 17. 5. 49 trat in einer Versammlung der ZJ, Gruppe Cotta, der Prediger L., Werner, in agressiver Form gegen unseren demokratischen Neuaufbau auf.

Er sprach über das vielfache "Ja", welches im Ablauf der Weltgeschichte von den Menschen gesprochen worden sei. Er zog u. a, eine Paralelle von dem "Ja", das 1933 geschrien wurde, zu dem "Ja" für die Wahl 1949.

Eine Charakteristik über L. ergab nichts wesentlich Belastendes. Er lebt sehr zurückgezogen und hat im allgemeinen einen guten Leumund.

Am 30. 5. 1949 wurde im Auftrag der Zentralkommandantur durch die Abt. Versammlungswesen über L., Werner, auf die Dauer von 3 Monaten ein Redeverbot ausgesprochen.

Weiter vermerkt das Gericht: „Infolge seiner Aktivität wurde er nach Magdeburg berufen, nur das Dazwischentreten seiner Inhaftnahme verhindert dies. Gesamteindruck: Er zeigt einen ausserordentlichen Fanatismus, ist sehr redegewandt, hat während der Hauptverhandlung mit Bibelsprüchen geantwortet." Sein Urteil: lebenslängliches Zuchthaus.
Im Prinzip basierten die Urteilsbegründungen immer wieder auf den Vorgaben, die das Oberste Gericht der DDR dazu schon im ersten Schauprozess gegen die Zeugen Jehovas gemacht hatte.

Zusätzliche, individuelle Urteilsbegründungen waren eigentlich relativ selten. Eine dieser seltenen zusätzlichen Urteilsbegründungen ist mir aber doch aufgefallen. Da fand am 28. 12. 1950 vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Rudolfstadt auch ein Prozess gegen mehrere Zeugen Jehovas statt. Unter den Verurteilten befand sich auch ein Kreisdiener von ihnen, der zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Ein anderer Angeklagter im gleichen Prozess wurde bezichtigt „Berichterstatter zum Westberliner Radiosender Rias" zu sein. Sein Urteil gleichfalls 15 Jahre Zuchthaus und Vermögenseinziehung. Über einen dritten Angeklagten heißt es, er sei „Verbindungsmann der Sekte zum englischen Geheimdienst". Sein Urteil: Zuchthaus auf Lebenszeit und Ehrverlust (MfS Allg. S. 182/76).

Der Gerichte hatten sich auch mit der für sie misslichen Lage auseinanderzusetzen, dass etliche ihrer Angeklagten bereits im Naziregime drastische Strafen verbüßen mußten. Mit dem Naziregime verglichen zu werden, dass sah man nicht so gerne, und wertete es prompt als „Hetze". Da mussten schon allerlei Zirkusreife Verrenkungen veranstaltet werden um diesen Sachverhalt „wegzuerklären". Nun wäre hier noch zu differenzieren, zwischen diesbezüglichen Erklärungen von DDR-Propagandisten, und den Erklärungen der Justiz, die sich ja immer noch genötigte sah, ihre Wortwahl in einer justizgemäßen Form einzukleiden. Ein solches Beispiel sei noch aus der zuletzt zitierten Akte genannt. Dort wird über einen der Angeklagten vermerkt (Bl. 58):

„Bezüglich des Angeklagten … hat das Gericht mit Rücksicht darauf, dass er bereits 8 Jahre Konzentrationslager in der Nazizeit durchgemacht hat, die von der StA beantragte Zuchthausstrafe von 8 Jahren auf 6 Jahren herabgesetzt. Auf der anderen Seite konnte das Gericht nicht weiter heruntergehen, weil der Angeklagte … seiner ganzen Einlassung nach einen so fanatischen Eindruck machte, dass seine Persönlichkeit auf freiem Fuss für die DDR eine gewisse Gefahr in sich schliesst. Dies zu verhindern ist einer der Hauptzwecke der vorliegenden Entscheidung."

Wurde eben noch von einem Fall berichtet, wo der betreffende anstatt 8 Jahren „nur" 6 Jahre Zuchthaus aufgebrummt bekam, so gibt es durchaus noch andere Beispiele. So verurteilte das berüchtigte Dresdner Gericht einen 55 Jahre alten Schneidermeister. Über ihn wird noch vermerkt, dass er „von 1943-45 im KZ und Zuchthaus saß, im Jahre 1945 durch die Nazis zum Tode verurteilt, zwei Brüder hingerichtet, seine Ehefrau zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt, sein Schwager hingerichtet" wurde. Das hinderte jenes DDR Gericht jedoch nicht daran, auch ihm 10 Jahre Zuchthaus aufzubrummen!

Es wurde ein bedeutsames Stichwort schon mit genannt. Das etliche der damaligen Zeugen Jehovas einen fanatischen Eindruck hinterließen. Dieser Einschätzung wird man weitestgehend beipflichten müssen. Jene, die in der Lage waren, in sachlicher, auch für Außenstehende nachvollziehbaren Art und Weise, ihren Glauben zu artikulieren, waren eigentlich in der Minderheit. Wenn man Rutherford's Buch „Religion" aus dem Jahre 1940 kennt dann wundert man sich darüber nicht mehr.

Aber natürlich gewannen die Zeugen Jehovas nach 1945 auch Neuzugänge und das in beträchtlicher Zahl, auch unter der damaligen Jugend. Einer auf den das offensichtlich auch zutrifft, war der schon genannte Werner L. aus Dresden, Hebbelstraße … Das Gericht bescheinigt ihm, wie schon zitiert, dass er als intelligent und redegewandt eingeschätzt wurde. In seiner Stasiakte (MfS HA XX/4 Nr. 2338) findet sich zu seiner schon genannten inkriminierten Äußerung noch die Ausführung:

„Aus einem Bericht der Landespolizeibehörde Sachsen vom 7. 6. 1949 an die Deutsche Verwaltung des Innern, Hauptabteilung K (Vorläufer der Stasi) geht über den Obengenannten folgendes hervor:
'Seit 2 Jahren tritt L. als Prediger der Zeugen Jehovas auf. In einer Rede am 17. 5. 1949 äußerte er sich, daß die Weltlage mit einem Kaspertheater zu vergleichen ist und tat verhöhnende Äußerungen über das vielfache Ja, das in der Weltgeschichte verlangt worden wäre. Er zog eine Parallele zwischen 1933, wo daß Ja, wie er sich äußerte, nicht nur geschrieben, sondern gebrüllt worden wäre, und 1949, wo dasselbe getan wurde.

L. ist ein typischer Vertreter der Zeugen Jehovas, die für sich jegliches Recht aller menschlichen Einrichtungen in Anspruch nehmen, aber nicht deren Gesetze anerkennen und nur die theokratische Herrschaft der Zeugen Jehovas als bindend erklären.'"

Am 30. 8. 1950 wurde dann auch L. verhaftet und bekam dann perspektivisch sein schon genanntes Urteil. Am 16. 5. 1959 wurde er allerdings „vorzeitig" aus der Haft entlassen, aufgrund einer Amnestie durch den damaligen DDR-Präsidenten Pieck. Bevor es zu dieser Entlassung kam, wurden über L. auch eine Reihe von Einschätzungen abgefasst. In einer dieser konnte man lesen:

„Wie aus den beigezogenen Beurteilungen zu ersehen ist, hat er sich während des gesamten Strafvollzuges stets einwandfrei und diszipliniert geführt. Wenn er auch nach wie vor an seinem Glauben (Zeugen Jehova) festhält, so bemüht er sich doch durch gute Arbeitsleistungen zu zeigen, daß er am, Aufbau mithelfen will. Er hat eine durchschnittliche Normerfüllung von 130 % und beteiligt sich laufend an freiwilligen Arbeitseinsätzen. Er studiert interessiert das 'Neue Deutschland'. In seinen Gesprächen mit anderen Strafgefangenen kommt zum Ausdruck, daß er die Politik der Adenauer-Regirung verurteilt. Es kann erwartet werden, daß er in Zukunft die Gesetze unseres Arbeiter- und Bauernstaates achten wird.
Auf Grund dieser gesamten Entwicklung sieht der Senat gleich wie die Staatsanwaltschaft den Strafzweck für erreicht an und es wird ihm gen. § 346 StPO bedingte Strafaussetzung gewährt."

Später wurde diese 3-jährige Bewährungsfrist auch noch aufgehoben. Die Stasiakte vermerkt dazu: „Gemäß Beschluss des Staatsrates vom 1. 10. 60 wurde dem L. die Ableistung der Bewährungszeit erlassen. Seine diesbezügliche Verpflichtung, die Gesetze der DDR stets einzuhalten, unterschrieb L. am 21. 12. 1960 mit einem schriftlichen Vermerk: 'Unter Berücksichtigung der Glaubensfreiheit unterschrieben - L.'".

Am 17. 7. 1959 heiratete dann L.. Die Stasi vermerkt, dass seine Frau als fanatische Zeugin Jehovas bekannt sei und sich unter anderem in der Strafvollzugsanstalt Brandenburg befand.

Zu den internen Grundsätzen der Zeugen Jehovas gehörte es auch, möglichst keine bereits inhaftierten Zeugen Jehovas auf verantwortlichen Funktionärsposten zu setzen. Im Hintergrund stand dabei die Angst, dass die vielleicht von der Stasi „umgedreht" sein könnten, und dieses Risiko wollte man vermeiden.
Schon im Jahre 1960 hatten die Zeugen Jehovas über ihre internen Gewährsmänner in US-amerikanischen Politkerkreisen Wind davon bekommen, dass die DDR, aufgrund ihrer zunehmend desolater werdenden innenpolitischen Situation, genötigt sein könnte, eines Tages ihre Grenzen dicht zu machen. Wie man weiß, trat dieser Fall dann im August 1961 auch tatsächlich ein. Nach 1950 waren die ostdeutschen Zeugen Jehovas von Wiesbaden, aber immer mehr auch von Westberlin angeleitet worden, wo sie seit 1955 auch ein eigenes offizielles Zweigbüro hatten. Dessen Leitung hatte der heutige Präsident der deutschen Wachtturmgesellschaft, Herr P. inne. Über letzteren vermerkt die Stasi, dass er aufgrund seiner Annahme der amerikanischen Staatsbürgerschaft, nunmehr Deutschamerikaner sei: „Charles Will Pohl alias Ferdinand Reuter".

In Vorahnung der politischen Entwicklung in der DDR, wie sie 1961 dann eintrat, hatte die deutsche Zeugenführung beschlossen, für den Ernstfall eine separate eigene Führungsoligarchie aufzubauen, die nur aus DDR-Bürgern bestand. Offenbar muss ihr Herr L. als vertrauenswürdig genug erschienen sein, sodass sie in seinem Fall davon absah, keine bereits inhaftierten Zeugen Jehovas, mit verantwortlichen Posten zu bekleiden. L. wurde von ihr für den Ernstfall zum Leiter der Zeugen Jehovas in der DDR bestimmt. Schon vorher wurde er in Westdeutschland in die entsprechenden konspirativen Taktiken eingeweiht und seine Verbindung zu Wiesbaden über entsprechende Deckadressen usw. in Szene gesetzt. Der Ernstfall trat ein und L. waltete nunmehr seines vorgesehenen Amtes. Dazu gehörte auch, entsprechende Kontakte zu anderen wichtigen Funktionären in der DDR zu aktivieren. Unter anderem auch zu dem Herrn Wolfgang Kirchhof aus Gera, der schon damals (was L. allerdings nicht wusste) mit der Stasi zusammenarbeitete.

Die Stasi war nunmehr über Kirchhoff, Laube und andere sehr wohl darüber informiert, was sich da in der Zeugen Jehovas-Szene abspielte. Insbesondere die Anfang der 60-er Jahre aufgenommene Schulung führender DDR-Zeugen Jehovas mittels der sogenannten „Königreichsdienstschule" erregte ihr besonderes Missfallen. Mehr noch, nachdem sie sich über ihre IMs einen genauen Überblick über die damaligen verantwortlichen Zeugen Jehovas verschafft hatte, beschloss sie zu einem vermeintlichen Enthauptungsschlag überzugehen, der dann im November 1965 in die Tat umgesetzt wurde. Unter den Verhafteten befand sich selbstredend auch L.

L. hatte nicht nur Kenntnis von der „Königreichsdienstschule". Er wandte ihre Empfehlungen auch in der Praxis an; namentlich der Grundsatz der „theokratischen Kriegslist". In einem Vernehmungsprotokoll der Stasi wird er auch diesbezüglich angesprochen und der Fakt registriert, dass er sich unter den örtlichen Dresdner Zeugen Jehovas weitgehend zurückhielt, sodass kaum einer dort wusste, welche tatsächliche Position er bekleidete. Mehr noch. Zu den Grundsätzen der Zeugen Jehovas gehört auch die Nichtteilnahme an politischen Wahlen. Aus dem genannten Grundsatz der „theokratischen Kriegslist", setzte L. für sich diesen Grundsatz außer Kraft, wie dies das Stasiblatt „Christliche Verantwortung" auch ausdrücklich der Erwähnung wert fand (CV 11).

Nach seiner 1965-er Verhaftung wurde L´. erneut zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt. Aber nicht nur er allein. Es wurde schon angedeutet, dass die Stasi sehr wohl ihre IMs auch bei den Zeugen Jehovas platziert hatte; auch unter denen, die sich gleichfalls in Haft befanden. In der Haftanstalt in der L´. sich nun befand, gab es einen weiteren Zeugen Jehovas, der dort die Funktion eines Friseurs wahrnahm. Mit diesem hatte L. bei einem solchen Friseur-Termin ein Unter vier Augen Gespräch. Die Stasi notiert:

„Sie sprachen über ihre Straftaten. L. als Chef der ZJ der DDR konnte sich an den Namen des … erinnern und wußte, daß dieser als Kreisdiener innerhalb der Organisation ZJ im Raum Magdeburg tätig war."
Jenes Stasiprotokoll vermerkt auch noch, dass L. seinem Gesprächspartner gegenüber geäußert haben soll:

„Ich habe mir Gedanken gemacht, wer uns hat hochgehen lassen, auf eine bestimmte Person bin ich bisher nicht gekommen. Eines würde jedoch klar sein, unser Hochgehen kommt nicht von der DDR, sondern von der Zentrale in Wiesbaden. Das MfS muß in Wiesbaden einen Mann haben, der zu den Spitzenfunktionären unserer Organisation gehört. Die 'Stasi' scheint in unserer Organisation fest verwurzelt zu sein und mich sollte es nicht wundern, wenn die einen Spitzel im Hauptbüro in Brooklyn - USA - haben."

Dank der Intervention der Bundesrepublik Deutschland, brauchte L. seine erneuten zwölf Jahre nicht voll abzusitzen. Er konnte 1967 in die BRD übersiedeln.

Eine makabre Nachmeldung in Sachen L. gilt es noch zu machen. Die Stasi hatte verschiedene Dienstabteilungen. Deren Abteilung XXII/2 richtete an die Abteilung XX/4 am 22. 4. 1987 ein Auskunftsersuchen. Es ging darum, dass aus der seinerzeitigen BRD angeblich eine schriftliche, anonyme Gewaltandrohung gegen den SED Generalsekretär Honecker eingegangen sei. Bei ihren Recherchen (Vergleich der Schriftproben und ähnliches) stieß die Stasi-Abteilung XXII/2 auf das Aktenzeichen des Falles L. und bat nun die XX/4 um nähere Auskunft. Letztere antworte darauf, es handle sich um den 1967 in die BRD nach Lahr (Schwarzwald) „ausgereisten" Werner L..
Was die XXII/2 mit dieser Auskunft dann anfing, ist nicht näher bekannt. Herr L., der sich in seinem Selbstverständnis weiter als treuer Zeuge Jehovas sieht, bemerkte auf eine telefonische Anfrage meinerseits (28. 11. 2000) dazu, dass ihm dieser vorgetragene Fakt unbekannt sei. Da ich mich jedoch nicht unbedingt als „Lobsänger" der WTG verstehe, ist es vielleicht verständlich, dass es zu keinem wirklich vertieften Gespräch kam. Aber festzuhalten bleibt auf jeden Fall der Fakt, dass Herr L. diese Stasikonstruktion zurückweist.

Ein Dokument sei auch noch hier wiedergegeben. Es sagt letztlich auch einiges über den Stasistaat DDR aus. Im Jahre 1960 führte der Stasifunktionär Seltmann auch ein von ihm protokolliertes Gespräch mit einem Zeugen Jehovas. Der war, wie etliche seiner Leidensgenossen zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. Zum Zeitpunkt des Gespräches hatte er sieben Jahre davon bereits verbüßt. Seltmann wähnte wohl, dass jener Zeuge Jehovas vielleicht nicht ganz so fanatisch sei und er sich vielleicht für die Stasiinteressen gebrauchen ließe. Zu dieser Erkenntnis ist er aber erst gelangt, nachdem der derart von ihm „Begünstigte" bereits sieben lange Jahre seiner Strafe abgesessen hatte. Ein merkwürdiges „psychologisches Fingerspitzengefühl" mag man da als Kommentar nur zu sagen. In seinem Protokoll führte Seltmann aus (MfS-HA XX/4 Nr. 2304):

„Weiterhin führte er aus, daß er sich auf keinen Fall zur Zersetzung der Organisation hergeben wird. Auch hier wurde versucht, ihm klarzulegen, daß wir nicht an einer Zersetzung interessiert sind. Er wurde beauftragt bis in 3 Wochen eine Ausarbeitung anzufertigen was nach seiner Meinung verändert werden müsse und wie."

Und in der Tat, diese Ausarbeitung wurde tatsächlich gemacht. Seltmann hatte sie nicht nur entgegengenommen. Nein, auch aufmerksam gelesen, was er dadurch zum Ausdruck brachte, dass er bestimmte Stellen dieses Textes seinerseits durch Unterstreichungen hervorhob. Also um es vorweg zu sagen. Der fragliche Zeuge Jehovas hat sich meines Erachtens durchaus wacker geschlagen. Aber bilde sich jeder sein eigenes Urteil dazu. Nachstehend dieser Text, einschließlich der von Seltmann vorgenommenen Unterstreichungen:

Aus dem Verbot der Organisation der Zeugen Jehovas im Jahre 1950 in der DDR hat sich die unnormale Situation ergeben, daß die Organe des MfS fortlaufend Verhaftungen vornehmen muß, da ja die Organisation weiterhin illegal besteht.
Da jedoch die Organe des MfS nach Wegen suchen, dies zu ändern und sich weitere Klarheit verschaffen wollen, ist es angebracht einiges zu betrachten.

Die Tatsache, daß das weltleitende Büro der internationalen Wachtturm-Bibel-und Traktatgesellschaft sich in den USA befindet, erregte natürlich das Mißtrauen der Länder, die sich mit diesem Land in einem Nervenkrieg befinden. Hinzu kamen noch Verdachtsmomente, wie das Anfertigen von Gebietskarten, woran man jedoch jahrelang vorher keinen Anstoß nahm.
Die ganzen Jahre hindurch fand man aber so gut wie keine Beweise mehr, daß sich die Organisation mit solchen Dingen beschäftigt, wohingegen man doch bei den wirklichen Spionagediensten und ihren Deckorganisationen täglich die gegenteiligen Erfahrungen machte. Außerdem wurden und werden Dinge, wie das Anfertigen von Gebietskarten, in der ganzen Welt gemacht, auch in den USA, worauf letztere auch den Vorwurf erheben könnten, Karten von Städten der USA seien dazu bestimmt, den östlichen Geheimdiensten für strategische Zwecke zugeleitet zu werden.
Jedoch werden Anschuldigungen heute noch wenig erhoben. Wenn man vom Ort des Sitzes der Organisation auf eine Sympathie mit irgendeiner weltlichen Mächtegruppierung schließen will, so klingt dies ebenso hohl, als würde man das Internationale Rote Kreuz als Schweizerische Organisation bezeichnen.
Zudem wurde die Organisation der „Zeugen Jehovas" zu einer Zeit gegründet, wo die Aufteilung der Welt in die Gesellschaftssysteme wie sie jetzt bestehen, noch garnicht abzusehen war.

Trotzdem blieb ein ungeheures Mißtrauen der Organe des MfS der DDR insbesondere gegen die leitenden Personen des Werkes Z. J. zurück. Dies ist meines Erachtens auch erklärlich.
Die weltanschaulichen Differenzen sind zu groß, was den Weg zur künftigen Gesellschaftsordnung anbelangt. Allerdings in der Zielstellung besteht eine gewisse Gemeinsamkeit. Dies betrifft besonders das klassen- und geldlose Zusammenleben der Menschen nach ihren Bedürfnissen auf der ganzen Erde vereint nur mit natürlichen Grenzen, die auch noch durch die vereinten technischen Austragungen überwunden würden. Da man so viele Erfahrungen mit rein gegen den Sozialismus gerichteten Organisationen machte, übertrug man dies einfach auf die Z. J. Bei den anderen besteht doch nur meist ein materieller Anreiz. Ist dieser weg, bricht auch alles andere ein.

Bei den Z. J. kommt finanziell nur sehr wenig ein, weil es sich auf freiwillige Spenden fundiert. Die Mittel reichen nur zur Finanzierung der Druckereien und sonstigen Einrichtungen. Die Taschengelder der hauptamtlichen Mitarbeiter in den Bethels sind sehr niedrig, und die Unterhaltsbedürfnisse der Menschen werden meist aus gesellschaftlichen Mitteln, wie der Musterfarm, gedeckt. Außerdem haben die Z. J. in den Ländern, die zum Faschismus gehörten, schwer gelitten. Sie brachten Opfer und nahmen Entbehrungen in Kauf, bewahrten eine gerade Linie durch sämtliche Regierungsformen.

In den USA war das Werk 1919 auch schlimmsten Anfeindungen ausgesetzt, und zu dieser Zeit bis hinab in die Nazizeit Deutschlands bezeichnete man Z.J. in der ganzen Welt als Wegbereiter des Kommunismus.
In der jüngsten Zeit findet man sogar in Ländern, wie Schweiz, Prozesse gegen Z.J., die zwar privater Natur sind (man macht aus dem Abgeben der Literatur zum Selbstkostenpreis einen gewerbsmäßigen Buchhandel), jedoch eindeutig zeigen, daß die herrschenden Kreise in diesen Ländern an einer Tätigkeit der Z.J. nicht interessiert sind.

Jeder aufrichtige Z.J. hat jedoch vor Gott ein Gewissen. Wenn er sich nun mit in Reihe stellen würde, die die Welt in einen Zustand der Hysterie versetzen, würde er sich schuldig machen vor Gott und somit seines Herzensverhältnisses zu Gott verlustig gehen, alle Opfer und Mühen manchmal eines ganzen Lebens wären umsonst gewesen.
Dies mag für den, der es nicht versteht, absurd und lächerlich klingen. Wenn sich die Z.J. für eine weltliche Mächtegruppierung betätigen würden, so hätten sie keine Garantie, denn diese haben sich innerhalb von zwanzig Jahren zwei- bis dreimal verändert.

Daß die Z.J. in den USA auch nicht gerne gesehen werden, beweist ein Ausspruch Trumans zu den Vorbereitungen des Weltkongresses 1950 in New York, daß der Kongreß nur über seine Leiche stattfinden würde. Dies wurde dann in Berlin auf einem Kongreß bekanntgegeben. Außerdem wissen Z.J. durch die Heilige Schrift, daß in Zukunft eine weltweite Behinderung der Tätigkeit eintreten wird. Es liegt ihnen also nichts daran, jemanden im Kapitalismus zu gefallen.
Nun geht es den Organen der DDR hauptsächlich darum, zu wissen, ob im Hauptbüro Personen sind, die aus dem Lager der dem Sozialismus entgegengesetzten Mächtegruppierung stammen. Anders erklären sich die Organe nicht eine gewisse Opposition in den Publikationen der Wachtturm-Bibel-und Traktatgesellschaft gegen sie.

Meines Wissens werden die Artikel vielfach ohne eigene Stellungnahme geschrieben und nicht nur gegen sozialistische Länder. Der Stich ins eigene Fleisch tut natürlich sehr weh, als wenn man es beim Nachbarn sieht. Zum anderen ist natürlich eine besondere Reibung durch den dauernden Kampf entstanden. Da Z.J. auch nur Menschen sind, weisen sie auch menschliche Merkmale und Schwächen auf.

Wenn man nun alles von Seiten der Organe der DDR nochmal prüfen und versuchen würde, ob nicht doch eine friedliche Koexistenz im eigenen Lande mit diesen Menschen möglich wäre, dann würde sich vieles auch auf der Gegenseite verändern.
Die Z. J. sind nun einmal da und solange sie da sind, wird auch eine gewisse Betätigung nicht aufhören. Deshalb wird man sich auch mit diesem Problem auseinandersetzen müssen. Man kann dies nicht mit ein paar Federstrichen oder Festnahmen abtun. Die endgültigen Entscheidungen treffen sowieso der Lauf der Zeit, übertreffen also das Wirkungsvermögen der jetzt funktionstragenden Menschen.

Die Z.J. sind überdies dem Bestand der DDR nicht gefährlich. Man kann sie ruhig als ein Übel, über welches ja jeder (Staats)-Körper mehrfach verfügt, betrachten. Es gibt andere Glaubensorganisationen, die weit mehr Schaden der DDR zufügen.
Die Evangelische Kirche geht im aufrüstenden Westdeutschland mit der Armee einen Seelsorgevertrag ein. So etwas kann man von den Z.J.nicht sagen, sie treten sogar noch gegen die Wehrpflicht auf.

Sobald eine tolerantere Haltung gegenüber den Z.J. gewahrt würde, würde man sicher von Seiten der Gesellschaft der Z.J. in den internationalen Artikeln auch eine andere Haltung angenommen werden. Es wäre auch gut, wenn man vollständig offen in brieflichen Wechsel mit dem Zweigbüro sprechen würde. Oder man könnte auch eine oder mehrere Personen, die die Verhältnisse hier eingehend kennen, hinfahren, um mit den leitenden Personen auch die Sorgen und Wünsche, die die Organe des MfS bewegen, zu erörtern. Es ließe sich auf diese Weise viel Gemeinsames machen.
Im allgemeinen sind die Z.J. vernünftige, arbeitsame Menschen und das Prestige der DDR steigt mehr, wenn die Festnahmen wegfallen.

Die Organe des MfS sind nun der Ansicht, durch eine Durchsetzung der Zweigbüros mit vertrauten Personen eine bessere Übersicht zu bekommen, um so durch Wissen der Beweggründe der Organisation einen eventuellen Stop in den Verhaftungen zu veranlassen. Mißtrauen wird jedoch wieder zu Mißtrauen führen und der Geist in der Organisation ist so beschaffen, daß sich Personen mit unaufrichtigen Gefühlen nicht lange halten können.

Dies wird absurd anmuten, jedoch die Erfahrung wird es bestätigen. Obwohl ich der Ansicht bin, daß man Verschiedenes durch gegenseitiges Entgegenkommen und durch Absprachen verändern kann, kann ich aus Gewissensgründen jedoch nicht den Wünschen der Organe des MfS so weit entgegenkommen. Außerdem ist durch die fast siebenjährige Haft mein psychischer Zustand nicht der beste, und nach meiner Haftentlassung besteht daher erst einmal der Drang nach Entspannung und Enthaltung jeglicher Verpflichtung.


3) Fallbeispiel Egon R.

Einer der höheren Funktionäre der Zeugen Jehovas, ist der Tischler Egon R.. Zusammen mit Hermann Laube brachte er es bis ins Präsidium der von der Modrowregierung genehmigten „Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in der DDR"; respektive der „Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland." Während Laube seinen Posten, aufgrund seiner Doppelrolle als „Hans Voss" klammheimlich wieder verlor, ist R. dort nach wie vor vertreten. Die Stasiakten vermerken (MfS HA XX/4 2447 Bl. 205) dass er „nicht mit in die Maßnahmen vom 23. 11. 1965 einbezogen" wurde.

Im Klartext. Im November 1965 wurde die damalige DDR-Führung der Zeugen Jehovas unter dem Dresdner Werner L. verhaftet. R., obwohl der Stasi bereits als Funktionär bekannt, blieb von dieser Verhaftungsaktion verschont. Im weiteren stieg er in höhere Funktionärsfunktionen auf. Die Stasi notiert (Bl. 207):

„Seit 1966 ist R als Kreisdiener für den Kreis … verantwortlich und trägt den Decknamen 'Berthold'. Seit Januar 1969 ist er gleichzeitig amtierender Bezirksdiener für den Bezirk 2 und steuert dadurch 3 Kreise. Er ist sogen. Unterweiser der 'Königreichsdienstschule' tätig. Seit August 1968 ist er der Organisator der Aktion 'Thüringer Wald' in der DDR. Seine Aufgaben löst mit einer großen Aktivität und Selbstsicherheit. Von Seiten der Sekte und ihrer Funktionäre genießt er großes Vertrauen. Durch seine Funktionen und Aktivität hat er Kenntnis über die Tätigkeit des Leiters der Sekte, Helmut Martin, Limbach-Oberfrohna, die vorhandenen Bezirksdiener, deren Decknamen und Tätigkeit" usw. usf.

Die eben mit genannte Aktion „Thüringer Wald" bezog sich auf das Einschleusen größerer Mengen von Original WTG-Literatur in die DDR. Während anderen erwischten Kurieren, die Literatur einschleusten, sogar die zu ihrer „Straftat" benutzten Pkws beschlagnahmt wurden (solche Fälle sind bekannt), traute sich die Stasi in Sachen „Thüringer Wald" nicht so recht zuzuschlagen. Sie hätte dann nämlich einen Westberliner Berufskraftfahrer, der Kies aus der DDR für Bauvorhaben nach Westberlin fuhr, ebenfalls belangen müssen. Dieser Kiesexport war für die chronisch devisenschwache DDR aber zugleich auch ein beachtlicher wirtschaftlicher Posten. Schlug die Stasi zu, hätte das auch Auswirkungen auf dieses Wirtschaftsgeschäft. Also mehr zähneknirschend sah sie davon ab. Aber auf Dauer wollte die Stasi schon etwas in Sachen R. bewegen. Die Stasifunktionäre kamen daher zu dem Ergebnis, R. als IMF (dass heißt IM mit Feindberührung) anwerben zu wollen.

Die Stasi notiert:
„Am 26. 9. 1967 erfolgte mit R. ein einstündiges Gespräch. Dabei wurden ihm die Aufgaben des MfS dargelegt und empfohlen sich diese gründlich zu überlegen. Dazu wollten wir ihm Zeit lassen und später das Gespräch fortsetzen. Im persönlichen Gespräch war er zugänglich und es entwickelt sich eine flüssige Unterhaltung. Ansonsten war er ein ruhiger Zuhörer, der nicht widersprach. Er war sehr aufgeregt und konnte dies nur wenig verbergen. Das mit ihm geführte Gespräch wurde unter den 'Zeugen Jehovas' nicht bekannt."

Über letzteres war die Stasi sehr erfreut, bot dies doch den Ansatzpunkt um weiter an der „Sache" dranbleiben zu können. Seine Persönlichkeit meint sie davor schon genügend „aufgeklärt" zu haben. Ein Satz aus dieser „Aufklärung:
„R. hängt an seiner Freiheit und an seiner Familie. Das bringt er damit zum Ausdruck, daß er angeblich gebraucht wird, vor allem aber in der Versorgung der … Offiziell dem MfS gegenüber spielt er den Gleichgültigen. In seiner inneren Einstellung ist er jedoch tief beeindruckt und klammert sich an jede Möglichkeit, in seiner Tätigkeit für die 'ZJ' nicht überführt zu werden." Lässt man sich diese „Aufklärung" mal „auf der Zunge zergehen", kann man als Kommentar dazu nur sagen: Übelste Erpressermentalität!

Noch ein Satz aus dem Stasiprotokoll in dieser Richtung:
„Die langjährige aktive illegale Tätigkeit hat besonders stark seine Nerven angegriffen. Er leidet an Verfolgungswahn. Jede unbekannte Erscheinung bringt er mit seiner Person in Verbindung. Er stürzt nachts aus dem Bett, wenn er verdächtige Geräusche hört. Mehrmals glaubte er schon, man würde ihn verhaften. Dabei stellte es sich heraus, daß es angetrunkene Personen waren, die seinen Verdacht erregten. Bei der Aussprache am 26. 9. 1967 zitterte er am ganzen Körper; er hatte sich nicht mehr in der Gewalt, so daß seine Zähne aufeinanderschlugen."

Einen solchen Mann gedachte die Stasi nun „anzuwerben". Man mag dazu als Kommentar nur sagen: Die Herren Herbrich und Konsorten von der Stasi haben in der Tat ein bemerkenswertes Maß an Weltfremdheit offenbart. Aber vielleicht sollte man diesen Aspekt noch dahingehend zuspitzen: Und nicht zuletzt auch ihre Auftraggeber im Zentralkomitee der SED. Schönen „Gruß" an den „seligen" Herrn Honecker, der in den ersten Jahren nach 1945 auch mal eine Liaison mit einer von den Zeugen Jehovas beeinflussten Frau hatte. Einige behaupten sogar, besagte Charlotte Grund sei sogar Zeugin Jehovas gewesen!

Am 21. 5. 1969 versuchte die Stasi nochmals ihr Glück. Minutiös vorbereitet, wurde R. auf seinem Weg zur Arbeitsstelle abgefangen und zu einem längeren Gespräch mit der Stasi genötigt. Die Stasi notiert in ihrem Planungsprotokoll dazu:
„Zunächst werden wir ihm nur einzelne Anlagekarten aus der Dokumentation 'Thüringer Wald' vorgelegt. Dann wird er aufgefordert, doch einmal von sich aus unsere Arbeit einzuschätzen. Entsprechend seiner Reaktion wird ihm deutlich gemacht, daß die Bilder das Ergebnis seiner Überprüfung seit dem 26. 9. 1967 sind.

Dem Kandidaten wird anhand der Dokumente nachgewiesen, daß seine Überwachung und seine teilweise unvorsichtige Handlungsweise das MfS auf die Spur der Zentrale gebracht hat. Durch seine Unvorsichtigkeit und unsere gute Arbeit war es möglich, auch auf die illegale Leitung innerhalb unserer Republik zu stoßen.
Dem Kandidaten wird zu verstehen gegeben, daß er der erste 'ZJ' ist, mit dem wir so offen über diese Dinge sprechen. Trotz unserer Kenntnis und der heute geführten Aussprache läuft die Aktion nach wie vor.

Sodann wird auf das Programm der KRDS (Königreichsdienstschule) eingegangen und besonders ihr Verhältnis zu unserem Organ hervorgehoben. Trotz der im Programm enthaltenen Verhaltenshinweise, die er in seiner Funktion als sogen. Unterweiser vermittelte, war es uns möglich, dieses Material zu erarbeiten. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, daß trotz aller Vorsichtsmaßnahmen der Sekte das MfS über deren illegale Tätigkeit informiert ist. Gewisse Kreise glauben, alles im Untergrund erledigen zu können, ohne dabei erkannt zu werden. Dieser Meinung ist vor allem … Er glaubt, den Kiesfahrer in völliger Sicherheit eingesetzt zu haben und über ihn einen 100 % sicheren Weg in die DDR benutzen zu können. Daß dem nicht so ist, zeugen die vorliegenden Dokumente.

Auch die ehemaligen Kuriere … und … mußten ihre Tätigkeit einstellen, weil sie erkannt waren (1. 3. 1967 und 26. 4. 1968). Bei beiden waren keine größeren Maßnahmen notwendig, weil sie nicht den Umfang und die Bedeutung hatten. Der Kiesfahrer und seine Verbindungen in die DDR müßten jedoch eine großangelegte Aktion zur Liquidierung auslösen, wenn kein anderer Weg gefunden wird.

Dem Kandidaten werden nun einige Dokumente der ehemaligen Kuriere … und … vorgelegt. Das vorher Gesagte muß damit unterstrichen und gezeigt werden, daß die benutzten Begriffe bzw. Decknamen uns nicht unbekannt sind. Daraus ist auch die Rolle des ehemaligen Bezirksdieners … und … die des Kandidaten zu erklären. Die Ablösung des … im Januar 1969 ist so hinzustellen, daß es nicht um die Angelegenheit … gegangen ist, sondern um die Interessen der WTG. Diesen Interessen diente … seit längerer Zeit nicht mehr.

Die entscheidende Konsequenz, die sich in den letzten Jahren herausgebildet hat, ist, daß der Kandidat die ganze Verantwortung dieser umfangreichen Tätigkeit zu tragen hat. Auch die Verantwortung über die evtl. Maßnahmen des MfS zur Liquidierung der Aktion 'Thüringer Wald'. Damit werden einzelne Maßnahmen notwendig, wie ca. 15 Festnahmen mit Hausdurchsuchungen, Zeugenvernehmungen und Einziehung aller eingeschleusten Materialien. Auch werden verschiedene Probleme, die in den betroffenen Familien dadurch entstehen würden, stark ausgemalt.

Daß wir bisher noch zu keinen weiteren Maßnahmen geschritten sind als zu dieser Aussprache, zeigt unser Bestreben, diese komplizierten Aufgaben anderweitig zum Nutzen aller Beteiligten zu lösen. Die Lösung kann nur darin bestehen, daß wir einen gemeinsamen Weg finden, ohne daß einer seine Position aufgeben muß. Zur Zeit sollte alles wie bisher weitergehen. Durch gemeinsame Gespräche könnte die Lösung gefunden werden. Damit würden dann auch alle Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen von uns eingestellt.
Entsprechend der Reaktion des Kandidaten muß jeweils verfahren werden."
Soweit diese Stasiplanung.

Die Stasi notierte auch noch, dass sie es für unbedingt wichtig erachtete, herauszubekommen, wie R. nach diesem Gespräch reagieren würde. Der diesbezügliche Passus im Stasiprotokoll vermerkt:
„Daher werden folgende operative Maßnahmen nach dem Gespräch mit dem Kandidaten durchgeführt:
Wenige Tage später werden Treffs mit dem IM „Hans Voß" und „Walter" durchgeführt und konkret über die Situation gesprochen. Jede Reaktion des Kandidaten haben die IM sofort mitzuteilen" usw. usf.

Für den Eventualfall, dass diese geplante Werbevorgang nicht im Stasisinne ausgeht wird festgelegt:
„Sollte die Werbung des als IMF vorgesehenen Kandidaten … nicht erfolgreich verlaufen, werden folgende Maßnahmen durchgeführt:
Der Westberliner Kiesfahrer wird bei seiner nächsten Einreise in die DDR am 22. 5. 1969, 4,45 Uhr G(renz)Ü(bergangs)St(elle) Drewitz, einer Befragung zugeführt.
Das operative Material über den Kiesfahrer wird auszugsweise den zuständigen Organen für die Durchführung dieser Maßnahme übergeben.

Der … wird dem Westberliner Kiesfahrer gegenübergestellt. Damit wird die Dekonspiration des … erreicht und seine weitere leitende Tätigkeit unmöglich gemacht.

Die Befragung des Westberliner Kiesfahrers soll dazu genutzt werden, ca. 10 Vervielfältigungsapparate zu beschlagnahmen."
Nach diesem vorstehend skizzierten Gespräch erfolgte am 5. 6. 1969 noch ein zweites. Aus ihm sei noch der folgende Protokollabsatz zitiert:

„Es wurde festgestellt, daß R. nur mit Mühe seine innere Erregung und Enttäuschung des Bekanntwerdens seiner verantwortlichen Tätigkeit verbergen konnte. Er war nicht in der Lage in einer gewissen Zeit irgend eine Antwort zu geben.

Nachdem er sich etwas gefangen hatte, sagte er, er sei erschüttert, er könne es nicht verstehen, warum wir ihn nicht inhaftierten, da uns alles bekannt ist. Er habe sich schon in der letzten Woche vielseitige Gedanken gemacht und stehe auf dem Standpunkt, Kompromisse könne er nicht eingehen, da er in den letzten Jahren bis 1975 nicht das Leben verlieren möchte. (R. glaubt fest daran, daß 1975 die sogenannte Schlacht Gottes kommt, wo alles vernichtet wird und nur die 'ZJ' das ewige Leben behalten)."

Der Protokollierende Stasimajor Meffert bemerkt dann noch:
„Bei dem am 6. 6. 1969 durchgeführten Treff mit „Hans Voss" wurde festgestellt, daß R. „Hans Voss" noch nicht informiert hatte, obwohl er sich sonst sofort über viele wichtige Fragen mit ihm ausspricht."

Am 19. 6. 1969 fand dann ein drittes Gespräch der Stasi mit R. statt. Dazu wird vermerkt:
„Es war ihm die große Enttäuschung über das bisher von der Sekte gehörte zu unserer Tätigkeit anzumerken. … nahm bei diesem Gespräch eine etwas aufgelockerte Haltung ein. Er brachte jedoch wiederum zum Ausdruck, daß er auf keine Kompromisse eingehen könne. Er glaubt ehrlich und fest an die Propaganda der WTG, daß bis 1975 die sogenannte Schlacht Gottes kommt.

Ein weiterer Diskussionspunkt war der Gedanke von ihm, daß wir ihn und alle 'ZJ' grundsätzlich nur von ihrem Glauben abbringen wollen. Eine Glaubensdiskussion wurde abgelehnt."

Ein weiterer Stasibericht vermerkt, dass ein für den 2. 7. 1969 festgelegter Gesprächstermin von R. nicht wahrgenommen wurde. Daraufhin lauerte die Stasi ihm am 8. 7. 1969 auf dem Nachhauseweg auf. Noch einmal erklärte sich R. zu einem Gespräch „bereit", dass circa eine Stunde nach jenem Überfall dann auch stattfand. Allerdings erklärte er dort laut Stasiprotokoll:

„Er erklärte sofort, daß er auf freiwilliger Basis nicht mehr bereit wäre, sich mit Vertretern des MfS zu Aussprachen zu treffen."
Herbrich verfasste dann noch eine Einschätzung über R.. Daran brachte er zum Ausdruck, trotz des bisherigen Fehlschlages, dass seiner Meinung nach, weitere Gespräche doch noch zum MfS-Ziel führen könnten. Der hochbürokratische Stasiapparat lebte auch davon, dass alles und jedes protokolliert wurde. Die einzelnen Stasifunktionäre wollten weitere Karriere machen. So auch Herbrich. Eine Absage, wie sie von R. nunmehr vorlag passte nicht so richtig ins Konzept seiner Karriereambitionen. Also musste er seinen Vorgesetzten lang und breit erläutern, weshalb er immer noch glaubte R. dereinst mal „umdrehen" zu können.

Diesbezüglich führt er aus:
„Durch eingesetzte IM wurde innerhalb der ZJ-Organisation noch nichts über seine Gespräche mit dem MfS bekannt. Auch wurden in diesem Zusammenhang noch keine Veränderungen o. ä. von der Zentrale oder der Leitung in der DDR vorgenommen.

Demzufolge hat der IM-Kandidat die Leitung der Sekte in der DDR noch nicht - wie es seine Pflicht wäre - informiert.
Die letzte vorliegende Information der Zentrale vom 31. 5. 69 an einen Bezirksdiener in der DDR gibt u. a. Auskunft über eine neue Orientierung der Aktion 'Thüringer Wald'. Von dieser Seite her wird die Aktion bzw. Verbindung in die DDR nach wie vor als äußerst zuverlässig betrachtet. Die Zentrale kann demzufolge noch nicht über die Gespräche mit dem IM-Kandidaten unterrichtet worden sein."

Herbrich versuchte es dann noch mal am 17. 10 und 30. 10. 69 indem er jeweils seinem Opfer nach Arbeitsschluss auflauerte. Sein nicht karriereförderndes Protokoll lies Herbrich denn auch nur in Handschriftfassung zu den Akten legen (ohne es eigens nochmals per Schreibmaschine anzufertigen). Findet sich doch darin beispielsweise auch der Satz:
„R. weigerte sich der Aufforderung Folge zu leisten. Er verlangte einen Haftbefehl."
Noch ein Protokoll sei zum Abschluss zitiert.
Das vom 4. 12. 1970:

„R. ist nach wie vor der verantwortliche 'Bezirksdiener' für den 'ZJ'-Bezirk 2 und hat auch noch den Decknamen 'Zaver'. Obwohl der Zentrale Wiesbaden bekannt ist, daß … im Zusammenhang mit der Liquidierung der Materialschleuse 'Aktion Thüringer Wald' mit den Sicherheitsorganen der DDR zu tun hatte, gilt er weiter als zuverlässig. Ihm wurde von der Zentrale empfohlen, sich vorübergehend zurückzuziehen und einen Vertreter die wichtigsten organisatorischen Aufgaben durchführen zu lassen, ohne aber die Kontrolle und Übersicht zu verlieren. Erst wenn er der Meinung sei, daß sich die Situation wieder beruhigt habe, solle er selbst wieder aktiver werden, ohne dabei die Absicherungsmaßnahmen zu vernachlässigen (dieses Verhalten ist unter der von der Zentrale herausgegebenen Hase-Igel-Methode bekannt und trifft auch für andere 'ZJ'-Funktionäre zu, wenn sie 'gefährdet' sind)."

4) Dirksen Referat in Berlin

Hans-Hermann D., referierte im Auftrag der Gauckbehörde am 10. 3. 99 in Berlin über die Verfolgung der Zeugen Jehovas in der DDR. Darüber existiert auch eine Kassettenaufzeichnung, auf der die nachfolgende Annotation beruht.
Eingeleitet wurde diese Veranstaltung von einem Mitarbeiter der Gauckbehörde. Er vermerkte auch, dass die Aktenbestände des MfS über die Zeugen, schier unendlich seien. Angesichts dieses Umstandes kommt man nicht umhin, die Aussagekraft dieser Veranstaltung als dürftig einzuschätzen. Geboten wurde eine mehr aus Überschriften, aber nicht aus wirklichen Detailerläuterungen bestehende Darstellung.

Bild: Dirksen bei einem Referat in Dresden

Um nicht falsch verstanden zu werden. Das SED-Regime stellt sich auch in meinen Augen als ein totalitäres Regime dar. Gestützt auf die Bajonetten Moskaus installierte es sich, verfuhr mit seinen Gegnern nicht zimperlich. Der Mitarbeiter der Gauckbehörde nannte auch den Fall der Sozialdemokraten, die gleichfalls Opfer jener Diktatur wurden. Er vermerkt weiter, dass die Zeugen Jehovas bereits seit 1948 von der K 5, dem Vorläufer der Stasi, systematisch überwacht wurden. Seine Formulierung dazu, dass Verbot erfolgte „nicht weil sich die Zeugen um die Politik kümmerten, die Politik kümmerte sich um sie."

D. leitete seinen Vortrag mit einem Zitat aus der „Chemnitzer Volkszeitung" vom 5. 9. 1950 ein: „Die Feinde des Aufbaus werden uns nicht hemmen". Genau diese Formulierung gibt die Befindlichkeit der kommunistischen Machthaber markant wieder. Die politische Abstinenz der Zeugen meinte der SED-Staat nicht tolerieren zu können. Dies meinten so auch schon die Nazis und so wiederholte sich, mit Nuancen, die ganze Geschichte.

Eine Reflektion darüber, ob nicht doch gerade angesichts der erwiesenenen geschichtlichen Endzeitillusionen der Zeugen Jehovas, eine Modifizierung dieser These angezeigt sei, findet bei D., und nicht nur bei ihm, nicht statt. So nahm denn das Schicksal der von Endzeitnaherwartung motivierten Zeugen Jehovas seinen unvermeidlichen Lauf. Auch D. zitiert jene Petition der Zeugen Jehovas an die DDR-Regierung in der man auch vermeldete, keine Menschenfurcht zu haben. Sicherlich war dem so. Nur eben die Machthaber in der DDR hatten auch keine Furcht, gegebenenfalls auch unpopuläre Antworten auf diese Herausforderung durchsetzen.

Das Resultat hat auch D. registriert, in dem er zum Schluss vermerkt, dass es insgesamt zu insgesamt circa 5 000 Verhaftungen in der DDR gekommen sei, davon 15 lebenslänglich.
Ich muss mich noch mal wiederholen. Ich kann die Ausführungen von D. lediglich als die Aneinanderreihung von plakativen Überschriften, verbunden mit einigen verbindenden Worten ansehen. Dort, wo es vielleicht hätte interessant werden können, schwieg bei ihm „des Sängers Höflichkeit". So vermerkt er z. B., dass das MfS schon frühzeitig begann seine IM in der Zeugenorganisation zu platzieren. Er vermerkt auch weiter, dass diese Strategie besonders seit den 60-er Jahren weiter intensiviert wurde.

Was D. gesagt hat, konnte ich auch in anderen einschlägigen Büchern, schon vor langen Jahren nachlesen. Zwar in anderen Worten formuliert, auch mit der Betonung anderer Prioritäten, aber in der sachlichen Substanz schon dort dargelegt. Man analysiere mal beispielsweise das Buch von Kurt Hutten „Seher, Grübler, Enthusiasten" unter diesem Gesichtspunkt. Man wird dann im Vergleich feststellen können, dass D. nichts wesentlich neues gesagt hat.

D. hatte die Chance auch die Bestände der Gauckbehörde auszuwerten. Das, was er unter Beachtung dieser Sachlage hier der Öffentlichkeit offeriert hat, ist mehr als dürftig!
Ein Fall, über den D. sich in der oben genannten Veranstaltung des Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen, auch nicht weiter verbreitet hat, ist der folgende:


5) Bayernallee 49 in Berlin

Schlägt man im Berliner Telefonbuch unter Jehovas Zeugen nach, so findet man dort unter anderem auch die obige Anschrift. Genutzt von zwei Versammlungen. Charlottenburg Süd und Charlottenburg West. Diese Anschrift hatte in früheren Jahren, insbesondere in den Jahren vor dem berüchtigten DDR-Mauerbau noch eine größere Bedeutung. Dort befand sich auch das Berliner Büro der Wachtturmgesellschaft, unter der Leitung von Willi P., speziell auch als Anlaufpunkt für die Kuriere aus dem Bereich der DDR gedacht.
Auf den Berliner Kongressen der Zeugen Jehovas der Jahre 1957/58 wurden auch immer Anforderungslisten vorgelesen, von Bauhandwerkern, die man unter anderem auch für den Ausbau jener Immobilie benötigte. Man war nicht wählerisch: Wer sich als kostenlose Arbeitskraft anbot wurde genommen. Nachweisbar waren dort auch Arbeitskräfte tätig, die ihren Wohnsitz beispielsweise in Ostberlin hatten. Es reichte aus, dass der Betreffende anderen dort tätigen Zeugen Jehovas bekannt war und die „Sache war gelaufen".

Vielleicht hat diese Sachlage auch noch eine andere Institution genutzt, die bekanntermaßen auf die Zeugen Jehovas nicht gut zu sprechen war.
Nachdem das Objekt Bayernallee so ziemlich vollendet war, inklusive „Wachtturmzinnen" über dem Eingang zum Königreichssaal, ging die Aufforderung an die Handwerker für die Realisation eines weiteren Objektes heraus. Diesmal in Berlin-Wedding.

Eines schönen Wochenendes gab es dort ein bemerkenswertes Gesprächsthema. Einige der Westberliner Zeugen Jehovas wussten zu berichten, dass an besagtem Tage in den Westberliner Zeitungen eine schockierende Meldung zu lesen war. Diese Meldung sei hier einmal nach der Berliner Tageszeitung „Der Tagesspiegel" vom 28. 12. 1958 wiedergegeben. Es wurde dort notiert:

„In dem West-Berliner Sitz der religiösen Sekte 'Zeugen Jehovas' in Charlottenburg ist, vermutlich im Auftrage des sowjetzonalen Staatssicherheitsdienstes eingebrochen und die Besucherkartei mit etwa 1200 Namen und Adressen von Bürgern aus der Sowjetzone geraubt worden. Wie die Polizei erst am Sonnabend bekanntgab, ist der Einbruch bereits in der Nacht zum vergangenen Sonntag geschehen.

Die Sekte der 'Zeugen Jehovas' ist in der Sowjetzone verboten. Ihre Mitglieder werden verfolgt. Viele von ihnen wurden bereits zu hohen Zuchthaus- und Gefängnisstrafen verurteilt. Die Einbrecher sind nach Meinung der Kriminalpolizei mit der Lage der in einer renovierten Villa in der Bayernallee in Charlottenburg untergebrachten Büroräume der Sekte eng vertraut gewesen, denn sie gingen zielsicher durch mehrere Zimmer, bis sie in den Raum kamen, indem die Besucherkartei aufbewahrt wurde. Sie ließen alle Wertgegenstände, darunter mehrere neue Schreibmaschinen und einen größeren Geldbetrag, unberührt und nahmen nur die aus etwa 300 Karten bestehende Besucherkartei mit.

In dieser Kartei registrierte die Sekte die Namen von Besuchern aus der Sowjetzone. Auf jeder Karteikarte waren etwa vier bis fünf Namen und Ortsangaben verzeichnet. Ein Sprecher der Sekte wies nachdrücklich darauf hin, dass es sich bei diesen Namen nicht um Mitglieder der 'Zeugen Jehovas' handle. Die Mitgliederkartei werde in einem anderen, Tag und Nacht bewachten Raum aufbewahrt.

Wie die Polizei erklärte, sind die Einbrecher äußerst geschickt und leise vorgegangen. Sie wurden von den etwa 30 in der Villa lebenden 'Zeugen Jehovas' nicht gehört. Die Polizei fand auch keine Fingerabdrücke oder Zeichen dafür, dass die Verbrecher mit Handschuhen gearbeitet haben. Dafür lagen am Tatort das Einbruchwerkzeug, mehrere Zangen und Stemmeisen, dass vermutlich zum ersten male benutzt wurden. Außerdem fand die Polizei mehrere neue Staublappen, die sich die Einbrecher offenbar bei der Arbeit um die Hände gewickelt hatten, um Fingerabdrücke zu vermeiden. Bei der West-Berliner Polizei herrscht kein Zweifel, dass die Besucherkartei der Sekte von den Einbrechern nach Ost-Berlin gebracht worden ist."


Auch andere, überregionale Tageszeitungen nahmen das Thema auf, so z. B. die „Stuttgarter Zeitung" vom 29. 12. 58. In Ergänzung des vorher zitierten Berichtes sei aus ihr noch der Passus zitiert:
„Der Einbruch in das Westberliner Büro in Charlottenburg verrät nach Ansicht der Polizei eine genaue Kenntnis der Räumlichkeiten. Die Einbrecher drangen mit der Hilfe einer Leiter in das erste Stockwerk des Hauses und ließen in den Büroräumen fast alles unberührt. Zielbewusst drangen sie in den Raum mit den Akten und Karteikarten der Religionsgemeinschaft vor. Gestohlen wurden nur der Karteikasten mit den Namen der Ost-Mitglieder der Religionsgemeinschaft."

Aus den Kreisen jener, die Stasidokumente zu jenem Fall auch in der Gauckbehörde eingesehen haben, wurde verlautbart:
„Vor 1958 wurden Personaldaten im Büro Berlin gesammelt, über alle Personen, die irgendwie mit den Gruppen in Verbindung standen. Dies entsprach nicht den einfachsten Sicherheitsregeln. Da waren Kuriere unterwegs, die immer wieder die Kartei zu vervollständigen hatten." Einer jener, der diese Dokumente eingesehen hat, vermerkt weiter, dass er Stasipläne eingesehen habe, aus denen hervorging, „dass bereits einige Jahre vor 1958 die 'Entnahme' - (d. h. dieser Kartei) geplant war. IM Max war eifrig am Werk. Das solcher Art Einbruch Maßnahmen geplant wurden, war ja klar, warum aber hat sich die Wachtturmorganisation überhaupt mit so einer solchen Sammlung beschäftigt?"

Fazit: Offenbar beinhaltet der Passus „Besucherkartei", dass damit der Stasi insbesondere die Namen der ostdeutschen Kuriere ihrer Organisation in die Hände gefallen sind. Sie wird dieses Wissen dann in den späteren Jahren noch zielgerichtet verwertet haben. Nicht umsonst rühmt sich die Stasi in ihrem Operativvorgang „Sumpf", dass alle wichtigen Kurierverbindungen aufgeklärt worden seien. Offenbar, hat das Berliner Büro der Zeugen Jehovas, unfreiwillig, seinen Teil zu dieser Stasiaufklärung beigetragen. In einer späteren Veröffentlichung bagatellisiert D. jenen Fall. Er nannte auch den Namen des mutmaßlichen Einbrechers im Stasiauftrag, aufgrund seiner Aktenkenntnis. Dennoch können auch diese Angaben von D. (in einer beiläufigen Anmerkung verpackt) keinesfalls befriedigen. Zur Aufklärung der Sachlage hätte es jener Fall verdient, durchaus detaillierter dargestellt zu werden und nicht nur in einer die Zeugen Jehovas verteidigenden apologetischen Wendung.

Man wird sagen können, dass die Zeugen Jehovas in den nachfolgenden Jahren aus diesem Fehler gelernt haben. Nicht ohne Grund beklagt sich die Stasi in ihrer schon Akte „Sumpf", dass die neue Liegenschaft in Selters, aus ihrer Sicht einer fast nicht einnehmbaren Festung gleicht. Man wird auch bestätigen können, dass der Festungscharakter neuer Gebäude der Zeugen Jehovas, sich auch an ihrer Immobilie in der Grünauer Str. in Berlin (Sitz der sogenannten „Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland") manifestiert. Es steht also ohne Zweifel fest, dass sie diesbezüglich aus einem Fehler gelernt haben. Das ändert aber nichts an der Sachlage, dass seinerzeit dieser gravierende Fehler möglich war!

Übrigens in der „Christlichen Verantwortung" Nr. 10 wurde mal der Bericht eines Betroffenen veröffentlicht, der von dieser Stasiaktion auch tangiert war. Dort unter der Überschrift „Ich wollte nicht wie ein Mietling in den Westen fliehen".
Das was der Herr D. der Öffentlichkeit an Fakten in Sachen Zeugen Jehovas zugänglich gemacht hat, die so vorher nicht bekannt waren, darf man getrost als mager bezeichnen.

6) Erste Stellungnahme zum Dirksen-Buch

Jusline, nennt sich eine im Internet vertretene Webseite in der zeitweilig (?) auch ein Adressenverzeichnis von Rechtsanwaltskanzleien mit integriert war..

In 56457 Westerburg, dort nicht irgendwo, sondern im Schloß Westerburg, früher wohl mal Burg Westerburg genannt, hatte auch ein Rechtsanwalt seine bei Jusline verzeichnete Anschrift. Eigentlich sollte man nicht unbedingt von „einem" Rechtsanwalt reden. Das ist sicher unpassend. Zwar residieren noch einige weitere Rechtsanwälte in Westerburg; wohl insgesamt dreizehn. Die haben dann aber bis auf drei, gewöhnliche bürgerliche Anschriften. Der im Schloß Westerburg residierte (zumindest zeitweilig), heißt Armin P. Möglicherweise hat sich dessen Anschrift zwischenzeitlich verändert. Zeitweilig war das jedenfalls zutreffend.

Wer sich für Jehovas Zeugen in Deutschland interessiert, der weiß, dass Herr P. diesbezüglich eine herausgehobene Stellung bekleidet. Offenbar hat er sich zumindest zeitweise, auch die standesmäßige Unterstützung eines weiteren Rechtsanwaltes, mit Doktortitel gesichert. Dessen (vorletzte?) Anschrift dieses Rechtsanwaltes mit jetzigem Doktortitel war dann Bad Camberg. Möglicherweise auch nicht mehr aktuell. Vielleicht ersetzt durch eine Anschrift innerhalb der deutschen Zeugen Jehovas Zentrale, wofür eine seinerzeitige Forumsmitteilung zu sprechen scheint.

Damit wären wir nun angelangt bei dem Dr. Hans-Hermann D.; der im Jahre 2000 an der Universität Greifswald zum Dr. jur. promovierte.

„Die Strafverfolgung der Zeugen Jehovas in der DDR" lautet der Titel der Dissertation von Dr. D.. Nunmehr liegt sie in etwas überarbeiteter Form auch als Buch vor unter dem Titel: „Keine Gnade den Feinden unserer Republik". Die Verfolgung der Zeugen Jehovas in der SBZ/DDR 1945-1990"

Mein Verhältnis zu dieser Publikation ist ambivalent. Einerseits konzediere ich, dass D. die Möglichkeit hatte einschlägige Bestände der "Gauck"behörde einzusehen. Andererseits registriere ich auch gewisse nicht zu übersehende apologetische Tendenzen, vielfach am unpassenden Objekt. Naturgemäß bin ich Partei in dieser Sache, dieweil ich da indirekt mit tangiert bin. So sei es mir gestattet, diesen mehr persönlichen Aspekt zuerst anzusprechen.

Es ist durchaus verständlich und legitim, dass die DDR-Propagandaschrift von 1970 (Uraniabuch) auch von D. kritisch bewertet wird. Andere Autoren (G. und H.) haben zu der Verfasserfrage diesbezüglich, detailliert Stellung genommen. Nicht so D.. Liest man nur sein Buch, muss man den Eindruck gewinnen, als sei der Herausgeber zugleich auch der Haupt„verfasser" mit irgendwelchen Zuarbeitern im Hintergrund. Es wäre fair gewesen, hätte D. mit angemerkt, dass Gebhard sich schon zu DDR-Zeiten davon aktiv distanziert hat und das nach Ablehnung seines eigenen Manuskriptes zum Thema Zeugen Jehovas, durch den Ostberliner Union-Verlag Ende der 1960-er Jahre (respektive in dessen Auftrag durch die Zensurbehörde der sogenannte Hauptverwaltung Verlage und Buchwesen im Ministerium für Kultur), dem Gebhard seitens der Stasi jenes KuckusEi untergeschoben wurde.

Diese differenzierte Darstellung der Sachlage indes findet man bei D. nicht. Wie auch, er braucht einen Buhmann und glaubt ihn diesbezüglich gefunden zu haben.

Kein Wort von dem „Forscher" D. auch darüber, dass im Berliner Bundesarchiv (Bestand vormaliges Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR) drei dicke Akten über Gebhard vorliegen (DO 4 1179-1181). Einer der Mentoren von D., der Herr W. vom Geschichtsarchiv der WTG, hat schon einmal (wenn auch tendenziös) daraus zitiert. In dem entsprechenden W.-Beitrag im Hesse-Buch nachlesbar. W. zitiert (Hesse-Buch S. 376 Anmerkung 40):

„Am 26. Dezember 1984 schrieb Manfred Gebhard: 'Das Uraniabuch verdient eingestampft bzw. Papiermühlen zugeführt zu werden! Das sind harte Worte, ich bin mir dessen durchaus bewußt, zumal ich umständehalber auch mit dem Uraniabuch verquickt bin.'"

Diese und andere einschlägige Aussagen hätte der „Forscher" D. im Bundesarchiv selbst eruieren können, wenn er denn wollte. Letzteres ist allerdings der entscheidende Punkt. Er braucht einen Buhmann und ist an sachgemäßer Aufklärung an diesem Punkt, nicht interessiert.

In seiner Einleitung betont D., dass es „vor ihm", noch keine umfassende Auseinandersetzung zur DDR-Geschichte der Zeugen Jehovas gegeben hätte. Wenn der Wunsch Vater des Gedankens ist, kann man dazu nur sagen. Bezeichnenderweise hält D. es nicht für nötig, meine seit 1999 vorliegende „Geschichte der Zeugen Jehovas. Mit Schwerpunkt der deutschen Geschichte" (Webseite; respektive Buchausgabe) auch nur eines Wortes zu „würdigen". „Gebhard" existiert für ihn nur in der Form des Uraniabuches. Eine solche Strategie nennt man die des Prokrustesbettes. Etwas was einem nicht passt wird so hin und hergezerrt bis es „passt". Das Verschweigen wesentlicher Tatbestände nennt man desweiteren Klitterung. Der Geschichtsklitterer D. hat es diesbezüglich zu einer beachtlichen „Meisterschaft" gebracht.

In seiner Einleitung (S. 28) schreibt D.

„Die zusätzliche strikte Neutralität bzw. ihre politische Abstinenz" führte zum Verbot. Schon diese von ihm gewählte Formulierung macht den grundsätzlichen Dissens deutlich. Umgekehrt wird ein Schuh draus, sage ich dazu kommentierend. In der Tat, faktisch war die politische Abstinenz (dieser Teilsatz ist richtig) d a s s wesentliche Element für die Verbotsentwicklung.

Wenn D. weiter die WTG-Phrase von der „Neutralität" bemüht, dann ist mein Kommentar dazu, dies ist und bleibt eine Phrase. Die Zeugen Jehovas erwiesen sich mit ihrer Mixtur von überspannten Weltendevorstellungen und politischer Abstinenz als eine scharfe Waffe zu Destabilisierung des kommunistischen und davor schon des nazistischen Regimes. Für die Zeit nach 1945 war dafür die Vokabel „kalter Krieg" geläufig. Die von D. verteidigte WTG war eines ihrer wesentlichen Instrumentarien. Es gibt und gab faktisch keine „Neutralität". Dies ist meine Widerspruchsthese zu D..

Eine zweite Frage ist, ob die Reaktion des kommunistischen Regimes auf die ZJ-Herausforderung „angemessen" war. Da gebe ich D. recht. Sie war es nicht. Das DDR-Regime hat sich auch dadurch dauerhaft diskreditiert. Das gilt es in gleicher Deutlichkeit zu sagen. Soweit D. letzteres thematisiert, habe ich keine wesentlichen Dissens zu ihm. Den für mich wichtigen Kritikpunkt habe ich bereits genannt.

Auf die Gebrüder Pape kommt D. auch zu sprechen. Hahnebüchend seine Fehleinschätzung die Westausgabe von Günther Pape „Ich war Zeuge Jehovas" „wurde von der evangelischen Kirche gesponsert". Herr D.. Wie naiv sind sie eigentlich, dass sie nicht zwischen evangelischer und katholischer Kirche zu unterscheiden vermögen. Pape-West ist zur katholischen Kirche konvertiert. Wie wagen Sie es da von der evangelischen Kirche zu reden? Die Antwort dürfte darin bestehen, dass D. die beiden Pape-Bücher (Ost und Westausgabe) überhaupt nicht ernsthaft gelesen hat. Sonst hätte er nicht die gleichfalls als Fehlurteil zu bewertende Behauptung aufstellen können (S. 33) das West-Pape-Buch unterscheide sich vom Ost-Pape-Buch lediglich durch ein angehängtes Kapitel über die Konversion des Pape (West) zur Kirche.

Wer die beiden Bücher wirklich selbst gelesen hat, wird bestätigen können, dass es tatsächlich zwei über weite Strecken völlig unabhängige Bücher sind. Pape-Ost bietet ganz andere Argumente und gleiches trifft auch umgekehrt zu. Ein markanter weiterer Beleg für die groteske Oberflächlichkeit des „Doktor" D..

Der Name Y. ist in die ZJ-Geschichtsschreibung bekanntlich unrühmlich eingegangen. Namentlich durch ihren weinerlichen Versuch, der Zeugenfunktionär Frost einen Persilschein zu verpassen. Aus einem Referat von Dietrich Hellmund kann man gar entnehmen, dass Angehörige des ZJ-Informationsdienstes mit der These zu „glänzen" suchten, die veröffentlichten Gestapoakten über Frost seien „möglicherweise gefälscht". Es ist nicht uninteressant zu sehen, wie D. sich diesbezüglich verhält. Von vorgeblich „gefälschten" Gestapoakten ist jedenfalls bei ihm nicht die Rede, etwa wenn er auf S. 584 schreibt:

„Ein herausragendes Beispiel des Versuchs einer Anwerbung eines Zeugen Jehovas in führender Position für eine Tätigkeit im Dienstes des MfS war der Operative Vorgang 'Winter'. Ziel dieses operativen Vorgangs sollte es sein, Erich Frost zu einem inoffiziellen Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes zu machen. … Am 2. Juni 1955 hatte Leutnant Petzhold von der Hauptabteilung V/4/C des Staatssekretariates für Staatssicherheit in Ost-Berlin über 'kompromitierendes Material' des Zweigdieners der Zeugen Jehovas berichtet:

'Die HA V/4/C ist bei der Durchsicht von Gestapoakten … in den Besitz von Originalvernehmungsprotokollen der Gestapo von F. gekommen, welche die eigenhändige Unterschrift des F. tragen. In diesen Vernehmungsprotokollen gibt F. als sog. Reichsdiener, welcher für das gesamte damalige Deutschland verantwortlich war, die gesamte Struktur, Illegalität, Funktionäre, die Verbindungen, die Anleitung und Aufträge, welche er von der Zentrale erhalten hat, der Gestapo preis.'"

Weiter interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Angabe von D., dass die Stasi mit dem Leiter des Westberliner ZJ-Büros, Ernst Wauer, ähnliche Pläne hatte. Nach seiner Angabe beabsichtigte sie, Wauer gewaltsam in den Osten zu entführen. Indes misslang dieser Plan. Frost und Wauer sind in der Tat „hochkarätige" Namen im Pokerspiel der Stasi. Indes es gibt noch ein paar mehr. Über sie herrscht bei D., abgesehen von den Fällen „Hans Voss" und „IM Albert" (Wolfgang Kirchhoff), dezentes Schweigen!

7) Anmerkungen zum Hauptinhalt des Dirksen-Buches

Der Klappentext des Schutzumschlages zum Buch zitiert ein Urteil vom 12. 8. 1961 des Landgerichtes Cottbus, indem sich auch der Satz befindet: „daß die Verurteilung des Angeklagten nicht etwa wegen eines religiösen Glaubens, sondern einzig und allein wegen der staatsgefährdenden Propaganda und Hetze" erfolgte. Weiter heißt es in diesem Urteil, dass den Zeugen vorgeworfen werde: „Bürger vom gesellschaftlichen Leben fernzuhalten und zum anderen gegen die sozialistische Ordnung aufzuwiegeln."

Soweit es sich um die Behauptung „Aufwiegelung" handelt, bestreite auch ich dies vehement. Dies ist in der Tat eine parteiliche, jedoch keine objektive Einschätzung der Zeugen Jehovas. Anders hingegen sehe ich die Feststellung, dass die Zeugen „Bürger vom gesellschaftlichen Leben fernhalten." Die ist meines Erachtens durchaus zutreffend und dies keinesfalls „nur" in der DDR.

Aufgrund des vorhergesagten kann ich mich daher der weitergehenden Wertung des Klappentextes, dass die Zeugen eine „völlig ungefährliche Religionsgemeinschaft" seien, so nicht anschließen.

Die Einschätzung als „ungefährlich" setzt gesellschaftspolitische Verhältnisse nach westlichem Pluralismusvorbild voraus. Aber auch dort gibt es Konflikte. Nun war die sogenannte SBZ/DDR eben nicht unter dem westlichem Pluralismusideal angetreten, sondern, wie wir es heute formulieren. Unter der Zielstellung einer totalitären Gesellschaftsordnung mit scheindemokratischer Kosmetik.

Die Frage ist hierbei. Ist es Aufgabe einer Religionsgemeinschaft, namentlich einer extensiv endzeitlich ausgerichteten, mit zur Destabilisierung eines solches Systems beizutragen? Aus der Sicht der US-amerikanischen Hegemoniepolitik mit Sicherheit ja.

Aus der Sicht der betroffenen Regime nein.

Auch andere Kirchen und Religionsgemeinschaften in der SBZ/DDR standen im Prinzip vor der gleichen Problemlage. Aber dort wurden andere Entscheidungen getroffen. Auf Konfrontation setzten namentlich auch Teile der evangelischen Kirche. Allen voran der sogenannte Dibeliusflügel. Letzterer ist durchaus mit den Zeugen vergleichbar. Im laufe der Jahre wurde indes diese Strömung der evangelischen Kirche relativ schwächer. Einer der letzten DDR-Bischöfe dort (Albrecht Schönherr) ist z. B. in keiner Weise mehr mit Dibelius vergleichbar. Gerade das von Schönherr geprägte Wort von der „Kirche im Sozialismus - nicht gegen ihn", machen ja einige heutige neunmalkluge Pharisäer westlicher Provenienz ihm zum Vorwurf.

Man kann desweiteren auch besonders auf das Beispiel der Religionsgemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten noch verweisen. Letztere hat, vielleicht noch stärker als die evangelische Kirche, auf die Ost-CDU gesetzt. Die STA erreichten damit, dass sie auch innerhalb der DDR, ihr eigenes Schrifttum im umfänglicher Weise drucken konnten. Der CDU-Buchverlag „Union-Verlag" Berlin, hat nachweisbar etliche Buchtitel für die STA realisiert. Auch wenn ich aus dem Stegreif dazu keine verbindliche Zahl nennen kann, so würde ich doch einschätzen, dass es sich dabei um mindestens fünfzig Buchtitel (wenn nicht gar noch mehr) handelt. Darunter auch solche, wie den für die STA besonders wichtigen von Ellen G. White „Der große Kampf zwischen Licht und Finsternis."

Wie man weiß, ist religiöse Literatur auch und besonders für die Zeugen Jehovas wichtig. Das Beispiel der STA belegt, dass es bei anderer Weichenstellung durchaus Perspektiven gegeben hätte.

Eines steht jedoch meines Erachtens fest. Sowohl dem Schönherr-Flügel der evang. Kirche als auch den STA (die hier stellvertretend nur als Beispiele auch für andere genannt wurden) würde ich durchaus konzedieren, dass sie es mit der Neutralität hielten. Im tiefsten Innern waren auch sie keine Bejubler des DDR-Systems. Aber sie vermieden die Konfrontation. Nicht so die Zeugen Jehovas. Wenn letztere das Wort „Neutralität" in den Mund nehmen, ist das eine glatte Lüge!

Auf Seite 7 seines Buches redet D. von insgesamt 6000 Zeugenverhaftungen in der DDR und desweiteren von 3000 dort in Sachen Wehrdienst. Auch diese Zahlen sind kritisch zu hinterfragen. Namentlich in der Wehrdienstproblematik gab es auch in der alten Bundesrepublik rechtskräftige Urteile mit Gefängnisfolge. In der Anfangszeit gar Zweit- und Drittverurteilungen für das gleiche Delikt. Ursache für letzteres war in der alten Bundesrepublik insbesondere auch die Verweigerung des Wehrersatzdienstes.

Urteile in Sachen Wehrdienst daher als besonders DDR-spezifisch darzustellen, erscheint mir daher unangebracht.

Zum zweiten. Auf Seite 30 berichtet D. dann, dass es zwischen 1950 und 1966 insgesamt 2300 Verurteilungen von Zeugen Jehovas zu Zuchthausstrafen außerhalb des Wehrdienstkomplexes gegeben habe. Die Nennung von 1966 als diesbezüglicher Zäsur ist sachlich richtig. In jenem Jahre erfolgte der letzte relevante Zeugenprozeß in der DDR (gegen L. und andere). Nachfolgend war das Instrumentarium Gefängnisstrafen außer Kurs gesetzt worden. Es wurde nunmehr über Geldstrafen agiert.

Die von D. getätigte marktschreierische Zahl von 6000 Verhaftungen von 20 000 DDR-Zeugen, reduziert sich so schon mal auf die genannten 2300. Zuzüglich reduziert er selbst die 3000 Zahl auf Seite 749 auf 2700. Wie man sieht, ist er bei seinen Aufrundungen ziemlich großzügig.

Auf Seite 25 zitiert D. einige Beispiele von Doppelverurteilungen (NS-Regime und DDR). Als Quelle dafür gibt er an: „Berliner Zeitung" vom 26. 5. 1964. Abgesehen davon das der Fakt von nachweisbaren Doppelverurteilungen sachlich richtig ist, richtet sich meine Kritik hierbei besonders an den angegebenen Quellenbeleg. Leider fehlt mir derzeit die Zeit dazu, mich in die Berliner Staatsbibliothek zu setzen, und in der dortigen Zeitungsabteilung die angegebene Ausgabe der Berliner Zeitung einzusehen. Aber trotz dieser Einschränkung halte ich es für äußerst unwahrscheinlich, dass gerade in einer kommunistischen Tageszeitung aus dem Jahre 1964 jene Angabe enthalten sein soll. D. ist aufgefordert, seine Quelle zu überprüfen, respektive zu korrigieren. (Diesen und noch einige andere Lapsusse hat er dann in der zweiten Auflage stillschweigend korrigiert)

Zu S. 34. D. ist von Beruf Rechtsanwalt. Wer seine Dienste in Anspruch nimmt, hat in der Regel die in diesen Kreisen üblichen Honorare zu zahlen, die sich oftmals nach der Höhe des Streitwertes bemessen. Je höher der ist, um so kräftiger „klingelt seine Kasse". Aber schon für eine simple Erstberatung ist in der Regel ein saftiges Honorar fällig. Das er etwa seine Dienste zum „Nulltarif" anbietet ist nicht bekannt. Auf der genannten Seite schießt D. nun eine Breitseite gegen den ehemaligen Zeugen Jehovas Manfred Gebhard ab, dem er unterstellt „gegen Bezahlung" seinen Namen als Herausgeber des Uraniabuches hergegeben zu haben.

Zur vollen Wahrheit gehört auch, dass Gebhard , ohne Bezahlung, ein eigenes Manuskript zum Thema Zeugen Jehovas beim Ostberliner Union-Verlag eingereicht hatte, zum Thema Zeugen Jehovas (Arbeitstitel „Kreuzfahrer der Gegenwart"). Letzteres wurde von den dafür Zuständigen in der DDR abgelehnt. Die Unterlagen zur Vorladung in die Zensurbehörde habe ich heute noch. Danach übermittelte von dort ein Herr Tietz oder Tiedt mit der (damaligen) Berliner Rufnummer 22068293 vom Ministerium für Kultur, Hauptverwaltung Verlage und Buchwesen, über einen Postvordruck die „Aufforderung zu einem Gespräch". Dieser Postvordruck, durch einen Eilzusteller zugestellt beinhaltete (falls es sich um ein Ferngespräch handeln würde; was nicht der Fall war.) Das der Aufforderer die Kosten dafür übernehmen würde.

Die Gesprächsaufforderung war für den 1. 2. 1968 terminiert. Offensichtlich hat man sich im Vorfeld da schon über meine Person sachkundig gemacht. Den parallel bekam ich über die Vorgesetzten auf meiner Arbeitsstelle gleichfalls mit Datum vom 29. 1. 68 eine Notiz zugestellt, dass ich besagten Herrn unbedingt anrufen solle.

Der Union-Verlag hat meinerseits keinerlei Kenntnis über meine Arbeitsstelle erhalten. Daraus ist eindeutig ersichtlich, das man sich hinter meinen Rücken sachkundig gemacht hat, wer dieser Gebhard den sei.

Das eigentliche Telefonat war substanzlos. Es drehte sich nur darum einen konkreten Termin festzulegen, wenn ich in der Zensurbehörde erscheinen könnte. Beim eigentlichen Gespräch, das mündlich gehalten wurde, wurde mir mein Manuskript zurückgegeben und dazu eine Stellungnahme vorgelesen. Etwas schriftliches diesbezüglich habe ich nicht erhalten. Tenor der Ausführungen dieses Herrn war, dass man mir mein Manuskript mit dem Bemerken zurückgebe, man wolle es nicht verwenden. Weiter wurde dazu mündlich ergänzend erklärt: (Sinngemäß) Man akzeptiere das Manuskript als Erstlingsleistung. Man meine aber es müsste weiter ausgefeilt werden. Man schlage Gebhard vor. Er solle doch bei der „Christlichen Verantwortung" mitarbeiten. Letzteres erfolgte dann auch für einen gewissen Zeitraum (ohne Bezahlung). Das diese CV-Mitarbeit dann meinerseits beendet wurde, hat mit Sicherheit nichts mit „Bezahlung" zu tun.

Das KucksEi „Uraniabuch" war zum Zeitpunkt der Manuskriptablehnung dem Gebhard in keiner Weise bekannt. Das sollte erst kurze Zeit später der Fall sein, als die Stasi in der Tat (erstmals) offiziell auf den Gebhard zukam.

Neben dem Herbrich (Stasifunktionär) gab es damals noch einen weiteren Stasifunktionär (kurz vom Rentneralter), der sich als „Meißner" (Legendenname) vorstellte. Letzterer übergab das Manuskript (Uraniabuch) zum lesen, mit einer kurzen Frist. Dann lauerte er dem Gebhard eines Tages auf dem Nachhauseweg auf, nahm ihn (in dieser Sache) in seinen Dienst-PKW und fuhr mit ihm (ohne vorherige Ankündigung) in ein menschenleeres Waldgebiet. Dort legte er dem Gebhard ein Revers zur Unterschrift vor, die Sache als Herausgeber zu spielen. So sah die „Freiwilligkeit" diesbezüglich aus.

Offenbar spielt D. auf ein Schreiben meinerseits an das Staatssekretariat für Kirchenfragen an, in der berichtet wurde, dass die Stasi auch einen kleinen Anteil vom Gesamthonorar des Uraniabuches dem Gebhard zubilligte. Wenn er das für Thematisierenswert hält, dann sollte er auch das weitere eben genannte mit hinzufügen.

Auf Seite 71,72 kommt D. auf die WTG-Schwankungen in der Obrigkeitslehre zu sprechen. In diesem Zusammenhang fällt auch bei ihm der Satz: „Das falsche Verständnis mag Jehovas Zeugen durchaus geholfen haben, in den Jahren des NS-Regimes und den Anfangsjahren der DDR … kompromisslos zu sein."

Soweit dieser Feststellung zuzustimmen ist, muss sie doch als halbe Wahrheit bezeichnet werden. Überspannte Endzeiterwartungen in immer neuen Variationen gehörten unweigerlich wesentlich mit dazu. D. spricht zwar auch das Jahr 1975 mit an, dass er (geb. 1966) noch als Kind miterlebte. Ich habe hingegen als Kind durchaus noch das Klima der 50-er Jahre unter den DDR-Zeugen Jehovas miterlebt. Und ich weiß, dass die authentisch überlieferte Aussage des DDR-Zeugen Jehovas Fritz Adler, bei der Kenntnisnahme seines Gerichtsurteils (lebenslänglich): „Meine Herren, sie meinen wohl ein Jahr", durchaus das tatsächliche Bewusstsein der zeitgenössischen Zeugen Jehovas widerspiegelt.

Adler verbrachte seine letzten Lebensjahre (nach seiner späten Haftentlassung) im WTG-Zweigbüro. Insiderberichte machen glaubwürdig deutlich. Es war danach nur noch ein gebrochener Mann. Nichts wurde aus dem nur „einen Jahr".

Zu Seite 529. Dort ist aus dem Munde D.'s die Bestätigung eines Sachverhaltes der zwar schon vorher bekannt, der aber als Bestätigung durch ihn durchaus noch notiert sei. Er schreibt über die Kreisdiener der Zeugen in der DDR:

„Teilweise mussten Kreisdiener auch zu dem Mittel greifen, sich andere Ausweisdokumente zu besorgen, mit denen sie sich im Gebiet der DDR aufhielten." Weiter hängt D. an diesem Satz allerdings die Legende an:

„Sie verwendeten dazu oftmals Ausweise bereits verhafteter Glaubensbrüder, mit denen sie gewisse Ähnlichkeiten hatten."

Wie dies? Kann man da nur zurückfragen. Kreisdiener haben den Zugriff auf die Ausweispapiere bereits Verhafteter? Das glaubt doch D. wohl selbst nicht. Das bedeutete ja, dass die Stasi die Ausweispapiere bereits Verhafteter freigab. Weiter. Wo wollen die fraglichen Kreisdiener nun so genau wissen, wer von den Verhafteten ihnen am ähnlichsten sei und genau diese Papiere an sich nehmen? Eine wahrhaft abenteuerliche Konstruktion, die ein praktizierender Rechtsanwalt da zum besten gibt. Grimms Märchenbuch hat bei ihm da wohl Pate gestanden.

Näher dürfte man der Sache allerdings kommen, wenn man die Vokabel von Ausweispapiere besorgen, zugrunde legt. Da steckt eine gewisse Logistik hinter. Da solche Papiere in der Regel nicht auf der Straße zu liegen pflegen. Da sind Verbindungen zu entsprechend einflußreichen Dienststellen unabdingbar. D. selbst nennt den DDR-Fall Karl-Heinz Simdorn, alias Wolfgang Daum, dem die DDR-Stasi eine neue Identität als „Wolfgang Daum" verschaffte. Damit ist schon mal klar, in welcher Richtung die Recherchen laufen müssen. Statt der Stasi, muss man in diesem Zusammenhang wohl eher von westlichen Geheimdiensten reden.

Die „Christliche Verantwortung" warf dem Zeugen Jehovas-Funktionär Willi P. einmal vor (sicherlich Stasi-gesponsert), dass P. Verbindungen zum britischen Geheimdienst in Westberlin unterhielt. Nun, die Stasi muss das ja wohl wissen, wenn sie solche Thesen auf den Ententeich setzt, die von P. bis heute nicht dementiert wurden. Damit dürfte die Richtung klar sein, wenn man die Absicht hat, diesbezüglich Ross und Reiter zu nennen.

Zum Fall Ernst Pietzko (S. 536) will D. wissen, dass er die Ausweispapiere eines nach Westberlin geflohenen vormaligen DDR-Zeugen Jehovas übernahm. Selbst wenn dem so ist, setzt auch dies eine gewisse Logistik voraus. Zum Beispiel das auswechseln des Passbildes. Und ein 1,80 m. Mann dürfte wohl kaum geeignet sein die Papiere eines nur 1,60 m großen zu übernehmen. Letzteres nur mal als Veranschaulichungsbeispiel. Im Falle Pietzko auch noch bemerkenswert (S. 537), dass auch seine Ehefrau über einen fremden Ausweis verfügte. Das sind in der Tat ein bisschen zuviel „Zufälle".

Auf Seite 545 redet er auch davon, dass der vom DDR-Regime zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilte Kreisdiener Gotthold Quandt gleichfalls über einen gefälschten Personalausweis verfügte. Zitat:

"Da er zum Zeitpunkt der sogenannten Personakausweis-Aktion (von D. nicht näher erläutert) im Jahre 1953/54 aufgrund seiner reisenden Tätigkeit keinen festen Wohnsitz hatte und in sofern damit rechnen mußte, daß er bei Antreffen ohne gültigen Ausweis verhaftet würde, wurde ihm ein anderer Personalausweis beschafft (Hervorhebung von mir)."

Wie dieses "beschaffen eines Personalausweises" in der Praxis vor sich ging, darüber zieht es D. allerdings vor zu schweigen. Schon verständlich: Pfeifen es doch die Spatzen von den Dächern. So etwas ist nur durch aktive Verbindung zu Geheimdienstkreisen möglich!

Schon das Uraniabuch hatte diesen Fakt mit angesprochen:

"Kreis und Bezirksdiener wurden von Ernst Wauer mit gefälschten DDR-Personalausweisen versehen und in Westberlin stationiert, was ohne Abdeckung durch zuständige Dienststellen schwerlich möglich war. Derart gefälschte Ausweise erhielten u. a. der Bezirksdiener Ernst Pietzko aus Weimar und der Kreisdiener Holdi Quandt aus Grünhainichen" (S. 259, 260).

8) Fallbeispiel Horst S.

Noch so ein fragwürdige Stelle. Vor einiger Zeit behauptete der (vormalige) MfS-Funktionär Herbrich, Herr Horst Sch., den die CV Nr. 58 einmal ziemlich direkt nannte (inklusive seines weltlichen Berufes als Werkzeugmacher) und zugleich verantwortlicher Zeugenfunktionär für den gesamten Nordbereich der DDR. Herbrich behauptete also, dass Sch. von der Stasi schließlich auch „umgedreht" wurde. Belege nannte er dazu zwar nicht. Aber immerhin. Die Behauptung steht bis heute, von Sch. nicht dementiert im Raum.

Letzteres sei vielleicht dahingehend erklärt, dass er kein Internet-Nutzer ist. Auf Seite 563 zitiert D. als „Unterlagen aus Privatbesitz" jenen Herrn Sch. zugleich mit einer Zitatenstelle aus Akten der "Gauck"behörde. Indes ist das dazu gebrachte Zitat meiner Erinnerung nach in der Sache schon bei B./Wolf nachweisbar. Es ist also keineswegs neu.

Auf Seite 691 erwähnt D., dass Sch., anlässlich der Verhaftungsaktion vom 23. 11. 1965 (L. und andere). Das anlässlich dieser Aktion, bei der auch bei Sch. eine Hausdurchsuchung durchgeführt wurde (wie er dies selbst im Wachtturm einmal berichtete). Das trotzdem Sch. „nur" zeugenschaftlich vernommen wurde. Das Schicksal von L. und andere, ihm zu diesem Zeitpunkt erspart blieb. Wie auch immer. Auch der diesbezügliche Fakt ist meines Erachtens von D. unpräzise und unklar formuliert.

Da nun schon mal der Fall Sch. mit angesprochen wurde, sei noch eine mehrdeutige Passage aus D. zitiert. Ich erkläre dazu ausdrücklich. Eine verbindliche Bewertung meinerseits dazu erfolgt nicht. Ich erkläre lediglich dass ich sie als mehrdeutig auslegbar bezeichne. D. schreibt auf Seite 716:

„Einige Jahre später wurden personelle Änderungen vorgenommen, wodurch Horst Sch. und Egon R. als Bezirksdiener eingesetzt wurden. Keines dieser Leitungsmitglieder wurde wegen seiner religiösen Tätigkeit … verhaftet und verurteilt. Die 1956/57 vom MfS begonnene Vorgehensweise zur inneren Zersetzung der Zeugen Jehovas war durch die Einsetzung einer eigenen Leitung in der DDR nach dem Mauerbau zunächst etwas abgeändert worden. Hatte man sich vorher vor allem auf die Bearbeitung des Büros in Westberlin und dessen Verbindungswege konzentriert, so musste sich nun mit der Ausschaltung der neuen Leitung befasst werden. Der eingeschlagene Kurs der inneren Zersetzung wurde allerdings weitergefahren. Mehr noch gab die Einsetzung eines Führungsgremiums der Zeugen Jehovas in der DDR die Möglichkeit durch ein Eindringen in dieses Gremium die gesamte Tätigkeit in der DDR zu kontrollieren, was vorher nicht möglich gewesen war. Deshalb wurde auch schon vor der Verhaftungsaktion im November 1965 genau ausgewählt und zu werben versucht, wer nach der Aktion vielleicht eine verantwortlichere Stellung erhalten würde. …"

Ein Satz muss in Sachen Sch. noch zitiert werden. Es wird auch bei D. darüber berichtet, dass Sch. schließlich über den Hebel Wehrdienstproblematik zeitweilig außer Gefecht gesetzt wurde. In diesem Zusammenhang äußert D. unter Bezugnahme auf eine entsprechende Stasiakte (S. 771):

„Zusätzlich sollte S, kompromittiert werden, indem der Verdacht einer Zusammenarbeit mit dem MfS unter den Zeugen Jehovas ins Gespräch gebracht werden sollte."

Was ist die tatsächliche Wahrheit in dieser Sache?

In seiner Zeugen Jehovas bezüglichen Dissertation, hatte der Robert Schmidt auch diverse Zeugen Jehovas aus dem Bereich der früheren DDR interviewt. In der Regel wird von ihm der Familienname der Interviewten nicht ausgeschrieben. Die Struktur der Befragten kann man als Quer beet bezeichnen. Von „klein" (im Organisationsgetriebe) bis „ganz groß".

Unter den von Schmidt befragten auch ein gewisser Horst S.

Bei der Sichtung von dessen Aussagen, ergibt sich allerdings der nicht zu verwischende Eindruck; dass ist wohl einer der „Großen" aus der verflossenen DDR-Zeit. Wenn auch Schmidt die Familiennamen, wie gesagt, grundsätzlich nicht ausschreibt, würde ich sehr wohl die These wagen. Bei dem „Horst S." handelt es sich um den Horst Sch.. Gegenteilige Meinungen bedürfen der Beweiserbringung desjenigen, der dieser gegenteiligen Meinung ist.

Aus den Interview-Bruchstücken des letztgenannten scheint mir beispielsweise die Aussage im Kontext der CV interessant sein. Nachdem Schmidt auch andere Interviewpartner bestätigen lässt (S. 269f.), dass die WTG-Anweisung dazu lautete: Ungelesen vernichten, lässt er auch Horst S. zu dem Thema äußern:

„Dennoch wurden Inhalte aus der CV, wie der ZJ Horst S. berichtet, zeitweise zum Gesprächsthema der Gläubigen:

H.S.: "(...)es war schon so ne Sache, manche die schwach waren, das gelesen hatten - haben darüber gesprochen - und war schon manchmal so, dass das zum Gespräch wurde, aber man konnte dann sagen, dass die einem nichts Gutes bringen wollten."

An anderer Stelle (S. 278f.) heißt es weiter über selbigen:

„Als "vorsitzführender Aufseher" und Ältester seiner Versammlung traf sich der ZJ Horst S. einmal monatlich mit den Studiengruppenleitern zum Informationsaustausch. Parallel zu diesen Aufgaben betreute er zu einem späteren Zeitpunkt, in einer ganz anderen Region, vier Versammlungen in seiner Position als Wohnblockaufseher. Die Aufgabengebiete in der eigenen Gemeinde und im auswärtigen Gebiet stellten an ihn hohe seelsorgerische Anforderungen. Die zeitlichen, konspirativen und mentalen Erfordernisse musste Horst S. zudem mit seiner Familie und der täglichen Berufsarbeit in Einklang bringen. So nimmt Horst S. im folgenden auf die religiöse Tragweite und die Erfahrungen seiner seelsorgerischen Aktivitäten Bezug, und betont hierbei auch die zeitlichen und persönlichen Belastungen dieser Tätigkeiten:

H.S.: "(...) eine dieser Versammlungen war in einem ganz schlechten geistigen Zustand gab es viel Streit, und das hat - du hattest ein bisschen das Gefühl, dass du alleine stehst, du hattest das vor Ort, wenn du die Versammlung dann besucht hast, weil der VA [vorsitzführender Ältester] da nicht zurechtkam, da hattest du kaum eine Möglichkeit, noch jemanden mitzunehmen, das war ganz ganz selten, das war manchmal ein bisschen schwer (...) das hat mich manchmal auch so stark beschäftigt - wenn man nicht dort war, wie kann man da Frieden stiften.(.") du hast dann praktisch an jeder Zusammenkunft mit den Studienleitern dann schon mit teilgenommen, damit es dort ein bisschen vorwärts ging, und dort musstest du jedes Mal was anderes. Bibelstellen und sagen wir, einen kleinen Vortrag ausarbeiten, der auch greift und der auch die Herzen erreicht - und das war schon ein bisschen an der Grenze. Das waren so Situationen, die aber an sich mit der Konstellation zusammenhingen: wenn das vier Versammlungen sind, wo alles gut läuft, dann war das eigentlich nicht so."

Und weiter in dem Interview:

„Zudem hatten die Altesten der Versammlungen auch einige unbequeme Entscheidungen zu treffen. So betrafen beispielsweise organisatorische und personelle Veränderungen innerhalb der Studiengruppen unmittelbar auch immer die jeweiligen Vertrauensbeziehungen der Gläubigen:

F: Gab es Veränderungen in den Studiengruppen oder hattet Ihre über die Jahre die gleichen Bezugspersonen?

H.S. [Entscheidung der Ältesten]: "das hat manche ganz schön erschüttert, wenn die Studiengruppe geändert wurde, weil das die einzigen Bindungen waren, - aber diese Veränderungen gab es schon, weil man mit den Veränderungen bestimmte Dinge im Sinn hatte."

Gemäß Schmidt war dieser Horst S. von den „höheren WTG-Chargen" so ziemlich der einzigste, der in den Interviews dem Außenstehenden Schmidt gegenüber, auch offenkundige interne Probleme innerhalb der WTG-Organisation (geographischer Bereich DDR) mit beim Namen nannte. Berücksichtigt man eben diesen Umstand, erklären sich vielleicht auch die unterschiedlichen Wertungen, die gerade beim Fall Horst Sch., noch heute zu registrieren sind.

Unpräzise auch die Angabe der Anschrift des vormaligen Westberlin Büros der Zeugen in der Brunnenstr. Auf Seite 516 wird dazu die Nummer 26 genannt. Auf Seite 566 dagegen die Nummer 73. Letztere ist mir so auch aus etlichen DDR-Presseartikeln in Erinnerung. Da D. jedoch noch eine zweite Nummer nennt, muss man zurückfragen. weshalb? wieso?

Abschließend sei noch ein Zitat aus D. gebracht. Nachdem er referiert hatte, wie die Stasi selbst die DDR-Zeugenleitung („Hans Voß" alias Hermann Laube) infiltriert hatte, schreibt er auf Seite 724:

„Den Schwerpunkt der gesamten IM-Arbeit sollten nun das Eindringen in die Zentrale in Wiesbaden und deren Verbindungen in die DDR bilden. Die bisherigen politisch-operativen Maßnahmen hätten vor allem der allseitigen Aufklärung der vorliegenden operativen Informationen über die Mitarbeiter der Zentrale und deren Kuriere bzw. über operativ interessante Personen gedient. Die Ergebnisse dieser Arbeit könnten aber nur als Vorlaufmaterial gewertet werden."

Mein Kommentar dazu. Zu letzterem Aspekt ist D. für mein Empfinden, ziemlich kleinlaut. Kann oder will er diesbezüglich nichts weiteres sagen?

D. hat meines Erachtens mit der Wahl seines Buchtitels (wenn auch vielleicht nicht mit Bewusstheit) einen durchaus guten Griff getan. „Keine Gnade den Feinden unserer Republik" impliziert vom säkularen Standpunkt auch, faktische politische Feindschaft der Zeugen gegen das kommunistische Regime. Nun macht sich eine solche Feststellung zwar in der heutigen Zeit gut. Sie hat aber auch den „Nebeneffekt" die Farce der angeblichen politischen „Neutralität" zu demaskieren.

Was will man eigentlich mehr?

9) Anmerkungen zur 2. Auflage des Dirksen-Buches

Er hält seine streng parteiliche Linie weiter ein. Wer? Der Hans-Hermann-D´.. Das Verschweigen unbequemen ist ein Ausdruck von Parteilichkeit. In der unseligen DDR wurde das auch so gehandhabt. In d i e s e m Punkt ist D. nicht anders zu bewerten.

Geredet werden soll über die zweite Auflage seines Buches „Keine Gnade den Feinden unserer Republik". Gegenüber der ersten Auflage hat er beispielsweise sein Literaturverzeichnis etwas überarbeitet. So findet man dort an mehreren Stellen den Hinweis auf ein in Vorbereitung befindliches Buch; herausgegeben von den Herren B. und Vollnhals mit dem Titel „Repression und Selbstbehauptung". Dabei handelt es sich offensichtlich um einen Sammelband von Aufsätzen; aber keine in sich geschlossene Monographie.

D. reicht es nicht nur auf dieses noch nicht erschienene Buch hinzuweisen. Nein, er tut diesbezüglich mehr. Er nennt einzelne Aufsatzthemen, die darin vorkommen sollen im Detail. So einen Aufsatz seiner Frau Annegret. Einen Aufsatz des WTG-Mitarbeiters Slupina. Und natürlich, seine eigenen darin vorgesehenen Beiträge.

Nun kann man solche Selbstreklame durchaus nachsichtig werten. Kein Autor ist frei von gewissen Eitelkeiten. Das sei auch D. zugestanden. Indes ist dieser Fall doch etwas anders zu werten. Beispielsweise wird von der aktuell über den Buchhandel beziehbaren Literatur über Jehovas Zeugen, sofern sie kritisch akzentuiert ist, nur ein einziges Buch bei ihm genannt. Das des Herrn Gassmann. Und das auch nur deshalb, weil er meint einen von ihm kritisierten Tatbestand dort auch vorzufinden.

Das auch genannte Buch des Herrn Pape kann man da schon nicht mehr mit heranziehen. Das ist zwar antiquarisch nach wie vor erhältlich, aber eben nicht mehr als Neubuch.

Nun ist es klar. Herr D. hat ein klar umrissenes Thema: Jehovas Zeugen und die DDR.

Ich erwarte von Herrn D. nicht, dass er bezüglich meines Buches „Geschichte der Zeugen Jehovas. Mit Schwerpunkt der deutschen Geschichte" „Beifall" klatscht. Dazu ist er nicht genötigt. Es wäre aber für einen seriösen Autor durchaus angemessen, in einer ihm beliebigen Weise dazu Stellung zu nehmen. D.s Thematik ist darin auch abgehandelt. Und wenn ihm das aus grundsätzlichen Gründen nicht zusagt, zumindest im Literaturverzeichniss anzudeuten, dass man dort auch eine Auseinandersetzung mit der Thematik vorfinden kann. Nichts von alledem bei D.. Das das Internet in seinem Gesichtskreis gleichfalls nicht mit vorkommt sei am Rande noch ebenfalls mit vermerkt.

In der ersten Auflage seines Buches hatte sich D. mit der Behauptung lächerlich gemacht (S. 33), dass Buch des Günther Pape („Ich war Zeuge Jehovas") sei im Westen „von der evangelischen Kirche gesponsert". Wirklich eine „bahnbrechende" Erkenntnis für einen Doktor jur. In der zweiten Auflage nimmt er nun diese These zurück und merkt richtig an; dass Pape (West) der katholischen Kirche zuzuordnen ist. D. möchte aber im Falle Pape mehr. Ihm ist es ins besondere ein Dorn im Auge, dass es von diesem Buch im Jahre 1961 einmal eine umgearbeitete Auflage davon von Dieter Pape gab. In dieser Ostausgabe gibt es in der Tat nicht jenes Kapitel dass davon redet, wie Pape (West) in den „Schoß" der katholischen Kirche gekrochen ist.

Nun behauptet D. frisch von der Leber. Der Dieter Pape habe jenes Kapitel einfach blos für die Ost-Ausgabe weggelassen. Falsch Herr D.. Ihre Wortwahl offenbart, dass sie bis heute noch nicht beide (oder zumindest) eine Ausgabe diesen für sie so umstrittenen Buches gelesen haben. Jeder der beide Pape-Buchausgaben wirklich gelesen hat wird bestätigen können, dass beide Ausgaben in fast nichts übereinstimmen. Von eine Umarbeitung nur zu reden ist eine Untertreibung sondergleichen. Ausser der Titelgleichheit handelt es sich faktisch in Form und Diktion um zwei grundverschiedene Bücher.

Aber D. möchte bewusst auf diesem Irrtum herumreiten, weil er ihm ins Konzept passt. Dazu zitiert er jetzt in der zweiten Auflage via Gauckbehörde den MfS-Funktionär Teichmann. D. räumt ein dass Teichmann sich auf ein mündliches Gespräch beruft, des „GM 'Rolf' (Willy Müller) mit Dieter Pape".

Zitat aus der "Gauck"akte:

„Darüber habe er auch mit dem Bruder des Günter Pape gesprochen, dießer habe ihm erklärt, das Pape dieses Buch nie schreiben konnte [,] dazu fehlten ihm die finanziellen Mittel. Die Finanzierung übernahm die Kathl. Kirche (Jesuiten) und um das dießes Buch zum Druck kam baute er diesen Artikel ein. Jedoch habe Pape als die Bücher ausverkauft (vergriffen) waren den Schritt zur Kath. Kirche zu gehen nicht getan. Dieses Buch wurde durch die Kath. Kirche in großen Auflagen gedruckt u. verkauft, so das sich Pape auch finanziell gehoben ist und jetzt sein 2. Buch schreibt. Ohne diesen Artikel 'Auf dem Weg zur Kirche' wäre das Buch eine gute aufklärende Schrift die auch ihre Wirkung bei den 'Zeugen Jehovas' erreichen würde."

Was besagt dieser Text. Doch wohl dies. Dass auch Müller Vorbehalte hat gegen das in der Westausgabe enthaltene Kapitel „Der Weg zur Kirche". Weiter, dass er meint, ohne dieses Kapitel wäre das auch aus seiner Sicht ein gutes Buch.

Weiter. Das Müller glaubt vom Hörensagen zu wissen, Pape habe wohl etwas geschwankt den Schritt zu tun in die katholische Kirche einzutreten.

Fakt ist aber. Letztendlich ist Pape (West) dort eingetreten. Dies alles in der Form einer mündlichen Unterhaltung.

Inwiefern die Herren D. und B. aus diesem dürren Tatbestand glauben ableiten zu können; Pape (Ost) habe genau das gleiche Buch blos ohne das Kirchenkapitel publiziert. Dazu muss man wohl sagen. Bei einer juristischen Aueinandersetzung mit Sachverständigen Gutachtern, ist ihnen eine glatte „Bauchlandung" dazu vorprogrammiert.

Auch in der zweiten Auflage, die über weite Strecken unverändert mit der ersten Auflage identisch ist, kommt D. natürlich auch auf das von ihm mit Sicherheit nicht geliebte „Uraniabuch" von 1970 zu sprechen.

Auf Seite 730 (Fußnoten) meint er nun in der zweiten Auflage seine Ausführungen über Gebhard auch mit den Sätzen ergänzen zu sollen:

„Gebhard unterstützte den Verlag bei der Bearbeitung des Manuskripts zur Druckreife, bei Fahnenkorrekturen und Umbrucharbeiten 'mit großem Zeitaufwand in dankenswerter Weise'. … Gebhard möchte nicht mehr mit dem Werk in Verbindung gebracht werden."

Abgesehen davon, dass ich mit einer solchen Aussage leben kann, ist jedoch auch klarzustellen. Die von D. gewählte Vokabel „nicht mehr in Verbindung gebracht werden", trifft so nicht zu. Ich habe wesentliche Vorbehalte gegen dieses Buch. Unbestritten. Dennoch habe ich es Online für jedermann zugänglich auf meiner Webseite eingestellt. Das einzigste was ich dabei noch getan habe ist, ein kritisches Vorwort hinzuzufügen. Und desweiteren den Hinweis bei jedem einzelnen Kapitel, der Zufallsbesucher möge sich doch bitte auch dieses kritische Vorwort ansehen.

Das alles verschweigt D.. Das spricht nicht gerade für die Seriosität eines Dr. jur.

Die zweite Auflage wurde um sechzig Seiten inhaltlich erweitert. Von einer generellen Überarbeitung des Buches bis auf wenige schon genannte Passagen, kann man wohl nicht sprechen. Lediglich die Seite 748 wurde noch etwas im Detail ausgebaut. Ansonsten gilt zu 95 %. Fast keine Veränderungen gegenüber der ersten Auflage. Die 60 Seiten sind somit mehr oder weniger nur zusätzlicher Text.

Diese zusätzliche Einfügung beginnt im Prinzip auf der Seite 806f. Dort sieht man als neueingefügtes Bild Zeugen Jehovas in der DDR auf einem getarnten „Camping-Treffen". Trifft sicherlich das Selbstbewußtsein der Zeugen. Weiter geht es neu eingefügt mit Ausführungen über die Bezirksverwaltung Rostock der Stasi.

Selbige ging geschickt vor. In einem Betrieb trat ein Kriminalfall auf. Die Ermittlungen ergaben, dass der Täter auch berufliche Kontakte mit einem höheren Zeugenfunktionär hatte. Dies nutzte die Stasi aus, um so bei dem Zeugen auch eine Hausdurchsuchung durchzuführen. In Sachen Kriminalfall ergab sich dabei zwar nichts Belastendes. Aber man fand im gewollten „Zufall" Materialien der Zeugen Jehovas. Nicht blos Literatur derselben, sondern auch Aufzeichnungen, die es der Stasi ermöglichten, weiter in die Zeugenorganisation einzudringen, und unter anderem einige Literaturverfielfältigungsstellen lahmzulegen.

Einen solchen Erfolg glaubte die Stasi wohl „würdig feiern" zu müssen. So sind bei D. jetzt Bilder wiedergegeben, wo man sehen kann, wie die Stasi eigens anlässlich dieses Erfolges, eine spezielle Ausstellung in Sachen Zeugen Jehovas inszenierte. In seinem Bildtext merkt D. dazu noch an: „Wer die Besucher dieser Ausstellung waren, ließ sich nicht feststellen."

Weiter kommt D. dann neu noch besonders auf die Versuche der Stasi zu sprechen, möglichst in die westdeutsche Zeugenzentrale einzudringen. Die Stasi war im besonderen an der Ostabteilung der Zeugen interessiert. Über ihre hochrangigen IM glaubte sie zu wissen, die Ostabteilung sei gar nicht in der Wiesbadener Zentrale, sondern örtlich anders angesiedelt. Diese fixe Idee ließ die Stasi nicht los und sie versuchte allerhand, um diese These auch dokumentenfest zu machen, was ihr aber nicht gelungen ist.

Dazu führt D. aus (S. 822, 823):

„Einen Hinweis bekam das MfS von dem IM 'Hans Voß', der bei einem Treffen mit Herbrich am 26. Oktober 1973 über ein externes 'Ostbüro' berichtete:

'Ihre Tätigkeit üben sie in einem westdeutschen Zweigbüro der Sekte 'ZJ' in Wiesbaden streng getrennten Ostbüro, welches mit einem PKW vom Zweigbüro in ca 5 Minuten zu erreichen ist, aus. Die Wohnanschrift wurde bisher nicht bekannt. … Besucher des Zweigbüros, die Mitarbeiter der 'Ostabteilung' sprechen möchten, werden gebeten, einen Augenblick zu warten. Nach etwa 10-15 Minuten erscheinen dann die gewünschten Mitarbeiter. D. h. sie werden telefonisch in ihrem Ostbüro benachrichtigt und mit ihrem PKW waren sie sofort im Zweigbüro erschienen."

Fieberhaft versuchte die Stasi diese Angabe näher zu präzisieren. Besonders hatte sie ein abgelegenes Forsthaus in Verdacht, das gesuchte Objekt zu sein. Bedauernd musste die Stasi registrieren, es sei nicht möglich sich dem Objekt unbemerkt zu nähern, weil dessen Besitzer Wachhunde auf seinem Grundstück hat. Der Stasi gelang es nicht ihren Verdacht zu erhärten und D. bestreitet, dass es sich so wirklich verhalten habe.

Inzwischen kam der Zeitpunkt der Errichtung der Anlage in Selters heran; und damit wurde dann die Forsthausstory endgültig zu den Akten gelegt.

Auch in Selters setzte die Stasi einiges daran, fündig zu werden. Glaubt man indes D., gelang es ihr auch dort nicht.

Bei D. liest sich das so (S. 840):

„Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Planung für die weitere IM-Arbeit, denn sie sah die Suche und Auswahl von Kandidaten unter den Zeugen Jehovas aus der Versammlung Selters oder aus dem Operationsgebiet vor, die in die Feindzentrale und in deren Verbindungssysteme eindringen sollten. Dieser Plan läßt darauf schließen, daß bislang kein Zeuge Jehovas aus dem Zweigbüro oder dem 'Ostbüro' als IM für das MfS gewonnen war. Ein weiterer Beweis dafür ist die Tatsache, daß der Bericht ansonsten alle bekannten Informanten des MfS aufführt, so den IMB 'Hans Voß', den IMB 'Robert', den IMS 'Horst Krause', den IMS 'Elsbeth', den IMS 'Bernd Richter', den IM-Vorlauf 'Richard', den IM 'Hilde', den IM 'Steno' und den IM 'Günter'. Bei keinem dieser IM ergibt sich der Hinweis auf eine direkte Tätigkeit als Mitarbeiter im Zweigbüro in Selters."

D. war, wie eben zu lesen, mal so frei ein paar einschlägige IM-Namen zu nennen. „Des Sängers Höflichkeit" verbot es ihm aber auch ein paar nähere Details zu den Betreffenden hinzuzufügen. Er schützt sie also und sagt bestenfalls dann etwas konkretes, wenn das ganze ohnehin schon anderweitig ruchbar geworden ist, wie beispielsweise im Fall „Hans Voss". Ob seine Spekulation, dass kein Zeuge aus dem Zweigbüro für das MfS gewonnen wurde, noch in einigen Jahrzehnten aufrechtzuerhalten ist???

10) Was Dirksen so "nebenbei" mitteilt

D´. geht in seinem Buch „Keine Gnade den Feinden unserer Republik" auf den Fall Fritz Adler ein, aber eher nebensächlich. Indes gibt es von D. noch einen weiteren Aufsatz, der schon in seiner Überschrift auf Adler direkt bezug nehmen will („Friedrich Adler - Vom 'religiösen Geschäftemacher' zum 'imperialistischen Kriegsbrandstifter'") in dem vom B. herausgegebenen Tagungsband „Repression und Selbstbehauptung" S. 283f.. Aber auch dessen Informationsgehalt hält sich in Grenzen. So wird etwa die Phase seines Lebens nach der Abschiebung in die alte BRD mit dem lapidaren Satz wiedergegeben:

„Adler verbüßte die Haft im Zuchthaus Brandenburg, die ein unmenschliches Pendant zu seiner Haft in der NS-Zeit darstellte. Die Strafe wurde 1957 herabgesetzt, so daß er schliesslich nach 14 Jahren Haftzeit im August 1964 auf Bewährung entlassen wurde. Nach seiner Abschiebung in die Bundesrepublik war er im Zweigbüro der Wachtturm-Gesellschaft in Wiesbaden tätig. Er verstarb kinderlos am 2. Dezember 1970 im Alter von 81 Jahren."

Mehr vermag D. über die Westphase von Adler offenbar nicht mitzuteilen.

Der genannte Aufsatz von D., ist eigentlich nicht mal so sehr wegen Adler interessant. Hervorhebenswert erscheinen mir eher einige der darin beiläufig genannte Fakten. Das alles ist aber so arrangiert, dass der Durchschnittsleser eher über diese Dinge hinwegliest, zumal sie ja auch nicht unbedingt kongruent mit der gewählten Aufsatz-Überschrift sind. Deshalb mag es mal angebracht sein, diese von D. mit genannten Fakten, etwas mehr herauszukristallisieren.

Wenn heutzutage von Jehovas Zeugen im NS-Regime die Rede ist, dann fällt sofort erst mal das Stichwort Hitlerverbot. Dennoch muss dieser Tatbestand durchaus differenzierter gesehen werden. Bei D. liest man dazu beispielsweise die nachfolgenden Details:

"Dem Bibelhaus in Magdeburg war nämlich nach dem Verbot der Bibelforscher in Preußen und der Vermögensbeschlagnahme am 24. Juni 1933 wieder eine gewisse Tätigkeit erlaubt worden. So hatte das Preußische Ministerium des Innern mit einer Verfügung vom 28. September 1933 das Vermögen freigegeben und mit einer weiteren Verfügung am 13. September 1934 den Druck von Bibeln und sonstiger 'unbedenklicher Schriften' gestattet."

Hier wäre ergänzend einzufügen: Bei Roser "Widerstand als Bekenntnis" S. 47f. ist beispielsweise ein Abrisskalender für das Jahr 1935 abgebildet, der offenbar in der WTG-Druckerei hergestellt und über die eigenen Vetriebswege zum Verkauf gelangte. Roser verwendet dabei sogar in seinem Bildtext die Formulierung: "Von den Bibelforschern an der Haustüre verkaufter Abreißkalender".

Weiter geht's bei D. mit der Aussage:

"Da sich aber dadurch der Zusammenhalt und die religiöse Verkündigung wieder verstärkten, wies der Reichs- und Preußische Minister des Innern den Regierungspräsidenten in Magdeburg am 1. April 1935 an, die Wachtturm-Gesellschaft in Magdeburg aufzulösen und zu verbieten, was dieser mit Verfügung vom 27. April 1935 umsetzte. Als Begründung führte der Regierungspräsident aus, das Vermögen sei zwar freigegeben worden, die Herstellung von Schriften, Flugblättern sowie die Lehr- und Versammlungstätigkeit jedoch weiterhin verboten gewesen. Daran habe sich die 'Bibel- und Traktatgesellschaft' aber nicht gehalten, sondern sie sei vielmehr an 'ehemalige Mitglieder der verbotenen IBV' herangetreten, um diese zum Bezug von Zeitschriften und Büchern anzuregen. Daraus ergebe sich, dass die Gesellschaft im organisatorischen Zusammenhang mit den Glaubensangehörigen der verbotenen IBV stehe und deshalb selbst als staatsfeindliche Organisation anzusehen sei. Tags zuvor war der Justiziar des Magdeburger Bibelhauses, Hans Dollinger, verhaftet worden, und am 10. Mai 1935 wurde der Leiter des deutschen Zweiges, Paul Balzereit inhaftiert."

Zu Dollinger's persönlicher Stellungnahme dazu kann man auch vergleichen:
Dollinger

In der Folge kam es gar zu Verhandlungen zwischen der WTG und der Gestapo. Selbst der Amerikaner Anton Koerber wurde dazu nach Deutschland in Marsch gesetzt. Weder G. noch D. erwähnen aber diesen Umstand, und dies obwohl man im Wachtturm 1968 (S. 507, 508) dazu lesen konnte:

"Im Jahre 1935 wurde er (Koerber) nach Deutschland gesandt, um zu versuchen, die Rotationsmaschinen im Zweigbüro der Watch Tower Society in Magdeburg, die Hitler hatte beschlagnahmen lassen, herauszubekommen und sie nach Russland zu befördern, in der Hoffnung dort ein Zweigbüro eröffnen zu können. Das war eine zuerst schwierige Aufgabe, denn er wurde ständig von Agenten der Nationalsozialisten oder der Kommunisten beobachtet"

Es mutet schon abenteuerlich an, was da für Überlegungen da in WTG-Kreisen so rumspukten. Die Maschinen nach Russland verbringen. Und dies obwohl man schon im voraus wissen konnte, auch dort nicht gerade mit offenen Armen erwartet zu werden. Das Russlandprojekt musste deshalb in der Tat begraben werden. Immerhin sollte es eine Nachwirkung dergestalt noch haben, als publizistische Waffe gegen die WTG verwendet zu werden. Dazu kann man vergleichen:
19402Also

Etwas realistischer ging da der in der Schweiz stationierte WTG-Funktionar Harbeck an die Sache heran. Der verhandelte aber mit den Nazibehörden nicht nur im Jahre 1935, sondern auch die beiden Jahre davor. Man vergleiche dazu auch
19372Harbeck

D. indes beschränkt sich bei seinem Harbeck bezüglichen Part nur auf dessen letzten missglückten Verhandlungsversuch, wenn er schreibt:
"Zwischenzeitlich hatten auch Verhandlungen der amerikanischen Watch-Tower Society mit dem Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa) über eine neuerliche Freigabe des Besitztums in Magdeburg begonnen. M. C. Harbeck, der Leiter des Zentraleuropäischen Büros der Zeugen Jehovas in der Schweiz, wurde eingeschaltet. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge, da Harbeck unglücklicherweise bei einem Besuch in Berlin von der Gestapo zunächst verhaftet wurde. Schließlich schloß das Gestapa am 10. Oktober 1935 mit der amerikanischen Watch-Tower Society einen dahingehenden Vergleich, dass die beiden Verwaltungsklagen gegen die Verfügungen des Regierungspräsidenten zurückgenommen und dafür die Vermögensbeschlagnahme aufgehoben wurden. Für die Verwaltung der Gebäude und des Vermögens in Magdeburg wurden zwei Treuhänder eingesetzt."

Letzteren die Treuhänder betreffenden Punkt ergänzt er dann noch in einer Fußnote, unter Bezugnahme auf Aktenbestände im Bundesarchiv, mit der Angabe:
"Das Gestapa benannte den Bücherrevisor Dr. Wendt in Magdeburg, die Watch-Tower Society den Sekretär der Amerikanischen Handelskammer in Berlin, Arthur E. Dunning. Diese treuhänderische Verwaltung bestand bis 1945 und ermöglichte, dass einige Zeugen Jehovas auf dem Grundstück wohnen bleiben konnten."

Zur Wirksamkeit eines dieser Treuhänder, notierte das Uraniabuch (S. 221-223) dazu einmal, und das ist von der WTG bis heute nicht widerlegt worden:
"Im März 1941 hatte man nämlich in Verhandlungen zwischen dem WTG-Hauptbüro in Brooklyn, vertreten durch die amerikanische Handelskammer in Berlin - Bevollmächtigter Arthur Dunning, Berlin, Unter den Linden 38 -, und dem faschistischen Kommando des Rüstungsbereichs Magdeburg das Eigentum der WTG in Magdeburg dieser faschistischen Kriegsinstitution für 178 300 RM zum Kauf überlassen. Frost erklärte dazu im Jahrbuch 1947 der Zeugen Jehovas, S. 114, die deutsche Wehrmacht habe sich das Grundstück in Magdeburg zu eigen gemacht. Es bestand somit auf Grund dieses Geschäfts mit den Nazis an dem Magdeburger Grundstück überhaupt kein eindeutiges Eigentumsrecht der WTG an dem Magdeburger Grundstück, während man von den deutschen und sowjetischen Behörden seine Überlassung forderte."

An anderer Stelle äußert D., einige der Beträge welche die Treuhänder erwirtschafteten, landeten auf einem Sperrkonto. Er gebraucht aber auch die Formulierung, ein solcher Käufer habe nach 1945 im Ausgleich sein auf dem Sperrkonto liegendes Geld zurückbekommen, nachdem der WTG ihre Immobilien wieder zugestanden wurden. Allerdings äußert er sich nicht zu den 178 300 RM gezahlt vom "Kommando des Rüstungsbereichs Magdeburg" . Das war ja wohl kaum eine natürliche Person, der man nach 1945 ihr Sperrgeldkonto wiedergeben konnte.

Bei D. liest man zu diesen Aspekten lediglich:

"Einige Schwierigkeiten bereitete die Rückübertragung des ehemaligen Grundbesitzes der Wachtturm-Gesellschaft in Magdeburg. Während der Zeit des Nationalsozialismus war der Grundbesitz unter die Verwaltung eines Treuhänders, der kein Zeuge Jehovas sein durfte, gestellt worden. Dieser hatte unter dem Druck der Gestapo einen Teil des Grundstückes veräußert.

Das Hauptgebäude Wachtturmstraße 17/19 war außerdem von der Stadtverwaltung unter dem damaligen, später verhafteten Oberbürgermeister Bär in Besitz genommen worden. Die SMA veranlaßte im Winter 1945/46, daß diese Teile des Grundstückes zurückgegeben werden mußten. Im März 1946 konnte dort wieder ein Büro eingerichtet werden. Es wurde begonnen, nun so schnell wie möglich die Gebäude wieder herzurichten, wozu sich viele Zeugen Jehovas freiwillig meldeten. Schon bald waren die meisten Gebäude wieder instand gesetzt und benutzbar.

Der Käufer der weiterverkauften Grundstücksteile weigerte sich jedoch, den Besitz herauszugeben. Da die Zeugen Jehovas auch nicht an die in der NS-Zeit bezahlte und jetzt auf einem Sperrkonto liegende Kaufsumme herankamen, wurde im Jahr 1949 ein Antrag auf Wiedergutmachung gestellt. Schließlich beschloß die Landesregierung von Sachsen-Anhalt am 24. Juni 1949 in Durchführung des SMAD-Befehls Nr. 82 vom 29. April 1948 die Rückgabe der Grundstücke."

Als Kontrast sei auch noch eine diesbezügliche Passage aus der Dissertation von Jens-Uwe Lahrtz zitiert:

Interessanterweise wurde 1935 noch insofern Rücksicht auf die außenpolitischen Interessen des Deutschen Reiches genommen, als man den Bedenken, die von der Seite des Auswärtigen Amtes aus vorgetragen wurden, Rechnung getragen hatte. Danach konnte man aufgrund der Eigentumsverhältnisse keine endgültige Vermögenseinziehung zulassen. Das Auswärtige Amt hatte sogar in deutlichen Worten auf einen möglichen politischen Nutzen hingewiesen, der sich aus einer weiterhin gestatteten Tätigkeit der Wachtturmgesellschaft in Magdeburg ergeben könnte:

"Angesichts des starken Interesses, das in den Vereinigten Staaten der Frage der religiösen Toleranz im neuen Deutschland entgegengebracht wird, und im Hinblick auf den (...) nicht zu unterschätzenden Einfluß, den die Muttergesellschaft in Brooklyn, (...), auf die amerikanische öffentliche Meinung ausübt, dürfte sich jedes Entgegenkommen (...) politisch bezahlt machen"

Unter Beachtung dieser Interessen des Auswärtigen Amtes, jedoch unter Federführung des Gestapa, ergriff man folgend die Initiative, um mit neuen Maßnahmen die noch mögliche Arbeit der Wachtturmgesellschaft immer mehr einschränken und knebeln zu können. Diese Federführung zeigt sich rund zwei Wochen später darin, daß der gleiche Vertreter des Auswärtigen Amtes anläßlich der Besprechung von Referenten über Maßnahmen gegen die Wachtturmgesellschaft im Februar 1935 erklärte,

"(...) trotz gewisser Bedenken, da Deutschland eben mit Amerika in Verhandlungen wegen Abschluss eines neuen Handelsvertrages stehe, sich [sie! J.-U.L.] einem Eingreifen aus staatspolizeilicher Notwendigkeit nicht widersprechen zu wollen." .

Daraufhin heißt es im Aktenvermerk lakonisch:

"Es wurde ihm zugesichert, dass das Auswärtige Amt im weiteren Fortgang der Sache beteiligt bleibe".

Um den ... Runderlaß Dalueges vom 13. Juli 1935 in einem außenpolitisch besserem Lieht erscheinen zu lassen - und das scheint der einzige Grund für eine derart ungewöhnliche wie die folgende Konstruktion zu sein - wurde am 10. Oktober 1935 sogar ein Abkommen zwischen der Wachtturmgesellschaft und dem Gestapa in Berlin ermöglicht. Der von Dr. Werner Best für das Gestapa unterzeichnete, drei Punkte umfassende Vertrag gestand der Wachtturmgesellschaft zu, ihr in Deutschland befindliches Vermögen von einem Treuhänder verwalten zu lassen. Der damit betraute Mitarbeiter der amerikanischen Handelskammer in Berlin, Executive Secretary Arthur E. Dunning, wurde jedoch angewiesen,

"(...) "vor sämtlichen Maßnahmen und Handlungen" die Zustimmung eines vom Gestapa eingesetzten Revisors einzuholen. Grundlage dieser Vereinbarung war die Tatsache, daß die Wachtturmgesellschaft zwei im Mai und Juli des Jahres 1935 vor dem Bezirksverwaltungsgericht in Magdeburg erhobene Klagen gegen das Verbot vom 27. April und die Vermögensbeschlagnahme von Anfang Juli 1935 zurücknahm. Außerdem ließ sie "(...) den Klageanspruch auf Feststellung, dass keine staatsfeindliche Betätigung der Wachtturm Bibel- und Traktatgesellschaft in Deutschland vorgelegen hatte, fallen."

Die Begründung hierfür ist in Form eines Schreibens an Dr. Best erhalten, das von Anton Koerber, dem das Abkommen vom 10. Oktober unterzeichnenden Vertreter der Wachtturmgesellschaft, am selben Tage übergeben wurde. Darin wird unter anderem betont: "Die Watch Tower Bible & Tract Society legt Wert darauf, Ihnen ihren in der mündlichen Verhandlung wiederholt betonten Standpunkt noch einmal schriftlich niederzulegen: dass sie mit Rücknahme des Klageanspruchs auf Feststellung, dass ihre Tätigkeit nicht staatsfeindlich sei, natürlich in keiner Weise zugibt, dass sie staatsfeindlich gehandelt habe oder eingestellt sei, dass sie vielmehr lediglich den Anspruch auf gerichtliche Feststellung dieser Tatsache angesichts des nunmehr geschlossenen Abkommens, durch welches ihre Eigentumsrechte wiederhergestellt werden, fallen läßt".

Mit diesem zwischen einer Institution wie dem Gestapa und den faktisch mit gebundenen Händen agierenden Vertretern der Zeugen Jehovas erstaunlicherweise trotz des Druckes der bisher beschriebenen damaligen Umstände geschlossenen Vertrag gelang es der Wachtturmgesellschaft, den Nationalsozialisten einen Aufschub der drohenden Enteignung bis zum April des Jahres 1937 abzutrotzen. Die einzig hierfür ausschlaggebende außenpolitische Rücksichtnahme der Nationalsozialisten bot somit in materieller Hinsicht für kurze Zeit einen gewissen Schutz. Die noch mehr als ein Jahr lang mögliche Einführ der englischsprachigen Zeitschrift "Watch Tower" nach Deutschland zählt ebenso zu den zusätzlichen Indizien für die erwähnte außenpolitische Rücksichtnahme.

Als vorletzter Beschluß in der Kette sich ergänzender Beschlüsse ist der von Dr. Werner Best in seiner Funktion als Stellvertreter Reinhard Heydrichs am 20. Januar 1936 unterzeichnete Vorschlag zum Verbot von Druck und Vertrieb von Bibeln und anderen Schriften durch ehemalige Mitglieder der IBV anzusehen. Damit war das völlige Tätigkeitsverbot der Wachtturmgesellschaft gegeben, deren Mitarbeiter man faktisch als stellvertretend für die Interessen der Zeugen Jehovas stehend ansah.

Um zu D. zurückzukehren.

Als nächstes kommt D. auch auf die gegen Balzereit und Dollinger durchgeführten Gerichtsverfahren zu sprechen. Interessant, wie er deren Ablauf schildert, wenn er erklärt:
„Es handelte sich um einen öffentlichen Schauprozeß in Anwesenheit der Presse. Die Taktik der meisten Angeklagten zielte darauf ab, dem Gericht keine Ansatzpunkte für eine Verurteilung zu geben, indem jegliche religiöse Betätigung abgestritten wurde. Man hoffte, dadurch einen Freispruch zu erzielen. So erklärte Balzereit, dass es stets das Bemühen der Leitung gewesen sei, alles zu verhindern, was gegen das Verbot verstößt, und dass sie sich mit guter Genauigkeit an das Verbot gehalten habe. Zur Wehrpflicht erklärte er wörtlich, er wäre zur Verteidigung des Vaterlandes bereit. … Balzereit wurde zu zweieinhalb Jahren, Dollinger zu zwei Jahren Haft verurteilt."

Offensichtlich gehörte der genannte Fritz Adler auch mit zu den in jenem Verfahren gegen Balzereit/Dollinger, Mitangeklagten. War doch Adler bereits seit 1925 hauptamtlicher WTG-Mitarbeiter. Rutherford, der nach D. eine Stenogramm jener Gerichtsverhandlung bekommen hatte, war erzürnt darüber, das Balzereit/Dollinger ihre Haut in jenem Verfahren zu retten versuchten. Und weil schon vorher klar war, dass die Wehrdienstfrage in entscheidender Weise mit in jenes Verfahren hineinspielen würde, stellten sie sich entsprechend darauf ein.

Eigentlich wäre auch Adler von dem gleichen Rutherford'schen Anathema mitbetroffen. Letzterer berief sich dann aber darauf. Obwohl sein Fall mitverhandelt, war er doch zur Randfigur in diesem Verfahren degradiert. Demzufolge konnte er auch vor Gericht kein entsprechendes "Zeugnis" ablegen. So kam es, dass Adler bei der WTG in Gnade blieb. Balzereit/Dollinger hingegen nicht.

Wobei nach wie vor die Frage offen bleibt, ob eine Organisation, die mit der Gestapo wegen der Rettung ihrer materiellen Besitztümer verhandelt, die den Balzereit'schen Konfrontationsvermeidungskurs, anfänglich sehr wohl aktiv mitgetragen hat. Ob eine solche Organisation wirklich so viel besser ist als wie die nunmehr zu Sündenböcken degradierten Balzereit und Dollinger!

11) Anke S. über das Buch von Dirksen

In einer Mailingliste für historisch Interessierte wurde eine Rezension von Dr. Anke S. über das D.-Buch publiziert.

Die Autorin, dem Bereich Evangelische Kirche zugehörig, setzt selbstredend andere Prioritäten, als ich das beispielsweise tun würde.

Sie urteilt unter anderem auch:

"D. hat eine ungemein materialreiche und als Bestandsaufnahme zu würdigende Untersuchung vorgelegt. Die grundlegenden Fragen, warum die ZJ in der DDR verfolgt wurden und wie ihr Verhalten in der DDR zu bewerten sei, beantwortet D. jedoch auf nicht einmal 10 von fast 1000 Seiten, die sich wie eine Ode an die Lehre der ZJ lesen."

Weiter:

"D.s Arbeit haftet ein Makel an: Seine Perspektive ist - nahezu ohne jeden vergleichenden Seitenblick auf die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften oder gar die zahlreichen Gruppen in der DDR - streng auf die "Verfolgung" der ZJ konzentriert, so daß ein Gesamtbild gezeichnet wird, das den generellen (!) Umgang der SED mit "Andersdenkenden" nicht adäquat wiedergibt."

12) Vollnhals und Dirksen

In einem einfühlsamen einleitenden Beitrag referiert Stefan Wolle über die Befindlichkeit der Ostdeutschen. Man merkt diesem Beitrag an, da schrieb einer (ohne zu verklären), der selbst eine ostdeutsche Biographie hat. Das Wolle nicht zu den PDS-nahen "Bejublern" das SED-Regimes gehört, wurde schon 1990 deutlich, als er zusammen mit Armin Mitter als Herausgeber des Buches: "Ich liebe euch doch alle! Befehle und Lageberichte des MfS Januar-November 1990" in Erscheinung trat. In genannten Buch wurde die "Widerstandskraft der Zeugen Jehovas gegen das DDR-Regime" mit folgendem aus den Stasiakten entnommenen Zitat charakterisiert:

"Die Mitglieder der verbotenen Sekte 'Zeugen Jehovas' beteiligten sich wie in der Vergangenheit nicht an der Wahl. Störungen gingen von ihnen nicht aus …" (S. 105).

Das die Tage des SED-Regimes im Jahre 1989 gezählt waren, ist sehr wohl dem Umstand zuzuschreiben, dass namentlich im kirchlichem Umfeld vorhandene Kreise, dem SED-Regime "Störungen" verursachten. Aber wie man liest, die Stasi bescheinigt den Zeugen, eben keine Störer gewesen zu sein. Soviel zum Thema "Widerstandskämpfer" Made in Zeugen Jehovas.

Zwei weitere Autorennamen in dem Sammelband "Der Schein der Normalität. Alltag und Herrschaft in der SED-Diktatur", verdienen noch gesondert hervorgehoben zu werden.

Da ist einmal der Name des Mitherausgebers dieses Buches, Clemens Vollnhals.

Zu Vollnhals ist anzumerken, dass er auch einer jener "Westimporte" ist, die nach 1989 den universitären Überbau ehemaliger DDR-Koryphäen systematisch kalt stellten.

Die ehemaligen DDRler, in der Regel SED-Mitglieder, wenn nicht gar darüber hinausgehend "Stasibelastet", waren nach 1989 nicht mehr sonderlich gefragt. In das diesbezüglich entstandene Vakuum pflegten in der Hauptsache "Alt-Bundesrepublikaner" einzutreten, die den Ostdeutschen nunmehr beibrachten, wohin die Reise zu gehen habe. In früheren Zeiten hätte man dafür die Vokabel "Kolonisierung" verwandt. Nicht aber so im Falle ehemalige DDR.

Es steht außer Frage, daß Vollnhals sich schon in Alt-Bundesrepublikanischen Zeiten als renommierter Wissenschaftler ausgewiesen hat. Er, wie auch andere haben lediglich die Chance genutzt, durch den Fall der DDR, ihre ganz persönliche Karriere zu beschleunigen. Unter westlichen Voraussetzungen wäre ihr Karrierebedürfnis, aufgrund des hohen Konkurrenzdruckes, doch eher wohl in gemäßigteren Bahnen verlaufen. Das "Vakuum" Ostdeutschland bot ihnen d i e Chance ihres Lebens, die sie hätte es den ostdeutschen Crash so nicht gegeben, wohl kaum erhalten hätten.

Wie gesagt, die wissenschaftliche Reputation von Vollnhals soll mit vorstehendem in keiner Weise angezweifelt werden. Einer seiner ersten hiesigen Arbeitgeber war denn auch die sich neu im Aufbau befindliche "Gauck"behörde. Heute ist er stellvertretender Leiter des Dresdner Totalitarismusinstitutes. Jenes Institutes, dem bekanntlich auch die Studie zum Thema Zeugen Jehovas in der DDR von Gerald Hacke zuzuordnen ist.

In seiner "Gauck"behördenzeit veröffentlichte Vollnhals auch einige durchaus bedeutsame Schriften. Ich nenne da besonders sein zusammen mit Siegfried Bräuer (einem "Ostdeutschen") herausgegebenes Buch "In der DDR gibt es keine Zensur". Wer sich für die DDR-Kirchenpolitik interessiert, wird dieses Buch mit Gewinn gelesen haben. Es offenbart die feinverästelten Zensurstrukturen des SED-Staates. Namentlich, wie alle in der DDR erschienene Literatur, vor Drucklegung, prinzipiell hausinternen und externen "Gutachten" unterworfen wurde. Wobei sich die externen Gutachter oftmals noch als die schlimmeren erwiesen. Ich kann es mir nicht verkneifen. "Einen schönen Gruß" an den DDR-Theologieprofessor Bassarak, auch einer jener externen Gutachter-Zensoren der schlimmeren Art, über die man dank der vorgenannten Studie nun näher informiert ist.

Erwähnenswert auch die von Vollnhals für die "Gauck"behörde herausgegebene Studie: "Die kirchenpolitische Abteilung des Ministeriums für Staatssicherheit." Zwar in der Substanz nicht sonderlich überragend aussagekräftig. Dennoch durchaus lesenswert.

Lesenswert ist meines Erachtens auch sein für die gleiche Dienststelle herausgegebenes Buch: "Die Kirchenpolitik von SED und Staatssicherheit".

Bedeutsam erscheint mir besonders darin der Satz:

"Es fällt darum schwer, diese Dienststelle (Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR) als eigenständige staatliche Behörde zu begreifen. Zutreffender wäre seine Bezeichnung als Dependance des MfS." Letztere Einschätzung kann ich nur bestätigen. Mir hatte sich schon zeitgenössisch, aus einem anderen Blickwinkel selbstredend, ein ähnlicher Eindruck aufgedrängt.

Ansonsten ist mein Eindruck zu dieser Studie von Vollnhals. Sie bleibt vielfach im Oberflächlichen stecken. Dort wo es für unserein interessant werden könnte, bietet er auch nur Allgemeinplätze und wenig zusätzliche Details. Vollnhals saß da nun an den Quellen (sprich Stasiakten). Das was er z. B. zu dem durchaus interessanten Thema Stasi-Kircheninstitut "Wandlitz" zu berichten weiß, ich kann meine Enttäuschung nicht verhehlen, ist für meine Begriffe dürftig. Er nennt da zwar ein paar Namen. Unter anderem die Namen Trebs, Dressler und Pape. Schön und gut. Nun weiß man's. Die waren auch in diesem "illustren" Institut beschäftigt. Und ist das alles, was es dazu zu sagen gibt? Ich meine, wer die Chance hatte diese Stasiakten einzusehen. Der hätte und müsste diesbezüglich durchaus detaillierter werden. Fehlanzeige bei Vollnhals.

Über genannten Pape weiß er lediglich zu berichten:

"Verdient machte sich auch der Diplom-Historiker Dieter Pape (IM 'Wilhelm'). Er war im Auswerterobjekt für die Zeugen Jehovas zuständig und organisierte im Auftrag des MfS die Studiengruppe 'Christliche Verantwortung' mit gleichnamiger Zeitschrift." Ende der Durchsage bei Vollnhals.

In dem vorliegenden Sammelband ist Vollnhals auch mit einem eigenen Beitrag vertreten, der dem Thema Stasi gewidmet ist. Da wird es vielleicht auf Seite 132 seiner Ausführungen interessant. Nachdem er mitteilt, dass (bezogen auf das Jahr 1998) die Stasi-IM auf der "Kirchenlinie" abgerechnete Beträge zwischen 4,70 Mark bis 9735 Mark kassiert hätten, nennt er zugleich auch den Stasinamen dieses "Spitzenverdieners". Danach kassierte der IM "Max" die 9735 Mark. Keine weiteren Angaben bei Vollnhals, wer denn nun der IM "Max" sei. Zieht man das Y.-Buch "Im Visier der Stasi" mit zu Rate, wird das ganze noch "rätselhafter". Y. berichtet auf S. 196 von dem Wolfgang Kirchhof, seinen "Leistungen" für den DDR-Staat und seinen IM Namen. Nach Y. war er mal als GI Max registriert, wurde später von der Stasi als IM Albert umbenannt, ab 1987 gar noch als IM Alex.

Hat die Stasi also nach vorgenannter Umbenennung den Ursprungsnamen anderweitig weiter verwendet? Oder lief ein und dieselbe Person in den Stasiakten unter mehreren Namen? Es wäre Sache jener, die diese Akten einsehen konnten, hierüber nähere Klarheit zu schaffen.

Ein weiterer "Westimport", der es verdient besonders hervorgehoben zu werden, sei jetzt noch genannt. Sein Name: Hans-Hermann D.. Das D´. eine Alt-Bundesrepublikanische Biographie hat, dürfte er doch wohl kaum bestreiten. Gleichwohl hat sein von der Universität Greifswald (ehemals DDR) angenommenes Dissertationsthema sehr wohl Ostbezug. Es ist den Zeugen Jehovas in der DDR gewidmet. Seine voluminöse Arbeit, auch im Buchhandel erhältlich, habe ich an anderer Stelle  schon kommentiert.

Es interessiert hier besonders, was D. zum Thema Zeugen Jehovas in dem hier zu referierenden Sammelband zu berichten weiß. Sein zusammen mit Annegret D. verfassten Beitrag, einer der umfangreicheren in diesem Buche ist überschrieben: "Die Kinder der Zeugen Jehovas - Staatliche Ausgrenzung und soziale Repression."

Neben der weitgehend der Tendenz seines Buches folgenden Selbstdarstellung, kommt er auf die verschiedenen Phasen des MfS-Kampfes gegen die Zeugen Jehovas zu sprechen. So zitiert auch D. jene nach 1966 gültige Stasidirektive, in der diese als ihre jetzige Zielstellung formulierte:

"Besonderer Wert ist auf die Werbung von befähigten Anhängern sowie auf mittlere und leitende Funktionäre der Zeugen Jehovas zu legen. […] Es sind ferner alle geeigneten Maßnahmen zu organisieren, die gewährleisten, dass jetzt vertrauensvolle IM in Schlüsselpositionen der Organisation aufrücken" (S. 232).

D. stellt Stichpunktartig einige Fälle von Zeugen Jehovas-Kindern in der DDR vor, die staatlicherseits benachteiligt wurden. Dieser Sachverhalt ist auch meinerseits unbestritten und wird ebenso verurteilt. Der Knackpunkt indes liegt auf einer anderen Ebene. In der Datei "Kindererziehung" auf der Gebhard-Webseite findet man diverse Links die belegen, dass Jehovas Zeugen (endzeitlich motiviert) ein sehr gebrochenes Verhältnis zu weltlicher Bildung hatten und man kann vielleicht sogar wagen zu behaupten, vielleicht noch haben. Dies gilt auch für freiheitliche Gesellschaften und keineswegs nur für totalitäre wie die DDR.

Genau diesen Punkt versucht D. nun apologetisch zu entkräften. Sein Kronzeuge ist ihm dafür der Lobbyist B., den er mit der Aussage zitiert:

"Dass Kinder von Zeugen Jehovas keinen privaten Umgang mit Klassenkameraden anderen Glaubens haben dürften, trifft ebensowenig zu wie die Behauptung, sie dürften keinen Sport treiben, nicht musizieren und nicht an Klassenfahrten teilnehmen."

Dieses B.'sche Statement ist das typische Beispiel einer halben Wahrheit. Und von solchen üblen Verdrehungen ist die B.'sche Apologie auch auf anderen Gebieten reichlich gesegnet.

Formal ist bei den Zeugen Jehovas nichts verboten. Auch nicht höhere Bildung. Auch nicht Umgang mit Andersgläubigen. Indes in der Praxis ist es sehr wohl so, dass die inkriminierten Tatbestände bestehen.

D. selbst ist, man kann es kaum anders nennen, eine Art "exotischer Paradiesvogel" unter den Zeugen Jehovas; dieweil seine Laufbahn als Jurist, heute dazu herhalten muss, als "Paradebeispiel" für die "Weltoffenheit" der Zeugen Jehovas zu dienen. Wie sagt man so schon: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer! Gemessen daran sind "im Sommer der Zeugen Jehovas", die "Schwalben" nach wie vor fast ausgestorben.

Der DDR-Staat war auf die Zeugen Jehovas nicht "gut" zu sprechen. Eine Binsenweisheit. Und auch in der DDR wurde bei den Bildungsperspektiven der Jugend "gesiebt". Parteilichkeit im Sinne des SED-Staates stand für diejenigen die dort das sagen hatten, ganz hoch im Kurs. Es versteht sich fast selbstredend, dass Zeugen Jehovas-Kinder da vom Prinzip her, erst mal schlechte Karten hatten. Auch unter freiheitlichen Bedingungen kann nicht jeder werden, was er gerne möchte. Auch da gibt es einen Selektionsprozess (unter anderen Kriterien). Ähnliches spielte sich auch in der DDR ab.

Wenn D. also Fälle beklagt, wo Zeugen Jehovas es in der DDR nur zum Hilfsarbeiterdasein bringen konnten, mit den damit verbundenen erheblichen sozialen Einschränkungen, so berichtet er nichts neues. Vor ihm hat das (beispielsweise) Marko Martin, mit einer anderen Motivation allerdings, bereits getan. Und selbst im Internet kann man sich über einen, der es unter DDR-Bedingungen nur zum Hilfsarbeiter bringen konnte, und seinen nachfolgenden Kampf (ob er gelungen ist oder nicht will ich nicht bewerten), sich aus diesem Odium zu befreien, informieren. Man sehe sich nur die Webseite des Thomas Pape im Detail an. Dann hat man auch hierfür ein Veranschaulichungsbeispiel.

D. legt den Akzent auf das Weinerliche. Seht wie schlecht der DDR-Staat doch die Zeugen Jehovas behandelt hat. Er hat recht. Sie wurden schlecht behandelt. Dies ist und bleibt jedoch die halbe Wahrheit. Gerade auf der Bildungsebene haben sich Zeugen Jehovas und DDR-Staat gegenseitig (zugebenermaßen nicht mit Bewusstheit) die Bälle zugeschossen. Des einen soziale Diskriminierung- des anderen Freud über die sich daraus speisende religiöse Fanatisierung!

Wer sich bezüglich Details beruflicher und sozialer Diskriminierung von Zeugen Jehovas in der DDR weiter sachkundig machen möchte; der sollte auch die Ausführungen von Annegret Dirksen und Johannes W. in dem von Y. herausgegebenen Buch "Im Visier der Stasi" (S. 231) heranziehen. Mancher Sachverhalt ist dort meines Erachtens deutlicher auf den Punkt gebracht worden

13) Der abgelegte BND-Verschüsselungs-Code

Übrigens, auch nicht uninteressant, was man in der Studie von Gerald Hacke „Zeugen Jehovas in der DDR" lesen kann; S. 63f.

Hacke erwähnt dort auch den Stasi-Aktenbestand der Bezirksverwaltung Dresden selbiger. Und zitiert aus diesem Aktenkonvolut auch ein Blatt 502.

Zwar setzt Hacke den Begriff „Beweis" in Anführungsstriche, und bringt so seine eigene Distanz dazu zum Ausdruck.

Wenn Hacke also diese Stasi-Interpretation sich so nicht zu eigen macht, ändert das ja nichts an dem Umstand, dass die zeitgenössische Stasi der Auffassung war, die Zeugen Jehovas würden zur chiffrierten Weiterleitung ihrer Informationen, einen „abgelegten Schlüssel des BND" benutzen.

Nun mag es in der Tat in Geheimdienstkreisen Usus sein, ihre Chriffrierungsmethoden nach einer gewissen Zeit auszuwechseln, weil sie befürchten, die Gegenseite habe die ja enttarnt, oder könnte sie enttarnen.

Dennoch dürften dann solch „abgelegte Schlüssel", kaum auf dem „offenen Markt" im Angebot sein.

Bezichtigte die Stasi also die Zeugen Jehovas, sie nutzten solch einen abgelegten Schlüssel des BND, lässt das ja durchaus tief blicken.

Wie nicht anders zu erwarten, hüllt der Zeugen Jehovas-Apologet Dirksen sich auch zu diesem Aspekt in „wohldosiertes Schweigen"!

Man vergleiche auch die Detailangabe in Christina Masuch „Doppelstaat DDR" S. 184f.

Es ist spaeter als du denkst
Rutherford Religion
Stasi und Religionsgemeinschaften
Kriegslist zum Anfassen
Heilpraktikerszene
CV 10
CV 11

Oberstes Gericht der DDR Aus der Urteilsbegründung im Zeugen Jehovas-Prozess (1950)

1949er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

1950er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

1951er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

Kindererziehung und Totalitär

Ostdeutschland

Waldemar Hirch

Der Fall Yonan

Hermann Laube alias Hans Voss

Die Fälle Bachmann und Schroedl

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