Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Stasi und Religionsgemeinschaften

Es ist eine „heisses" Thema und bei etlichen liegen dabei die „Nerven blank". Das die Stasi auch Kirchen und Religionsgemeinschaften infiltrierte, dürfte wohl zwischenzeitlich unbestritten sein. Oder auch nicht. Es kommt vielfach auch auf die subjektive Sicht der Betroffenen an. Da gibt es beispielsweise Kirchenjuristen, die ihre Stasikontakte im Nachhinein verklären.

Im Dienst der Kirche sei man gewesen, habe die Interessen der Kirche vertreten usw. usf. Dies mag ihre subjektive Sicht sein. Aus der Sicht der Stasifunktionäre ergibt sich ein anderes Bild. Für die, waren auch diese Leute, hochkarätige IM, von denen diese Firma ja etliche mehr noch „führte". Die Möglichkeiten im Stasistaat DDR zum IM abzurutschen waren nicht gering. Jeder der auf einem speziellen Gebiet besonders von sich reden machte, lief Gefahr in diese „Laufbahn" eingeordnet zu werden. Eben auch solche, die in direkter oder indirekter Beziehung zu Kirchen und Religionsgemeinschaften standen.

Handelte es sich dabei noch um solche, wie die Zeugen Jehovas, die vom DDR-Staat nicht sonderlich „gut gelitten" waren, war diese „Laufbahn" schon so gut wie vorherbestimmt. Einige sind diesen Weg bis zum Ende mitgegangen. Andere - die Minderheit - haben schon früher die „Segel gestrichen". Verhielten sich diese Segelstreicher danach ruhig, hatten sie durchaus die Chance ein stilles Leben (relativ gesehen) auch unter den DDR-Verhältnissen zu führen. Blieben sie indes nicht bloss passiv, sondern wurden der Stasi vielleicht gar noch unbequem, konnte sich das Bild allerdings radikal wandeln. Ich weiss wovon ich rede.

Aber nicht nur die, die schon in gewisser Distanz zu den Zeugen Jehovas standen, waren für die Stasi interessant. Auch solche, die in ihrem eigenen Selbstverständnis aktive Zeugen Jehovas waren, sind in das Heer der Stasi-IM eingeordnet worden. Die Sachlage war eigentlich recht simpel. Aktive Zeugen Jehovas, besonders solche die höhere Funktionärsposten bekleideten, waren der Stasi in der Regel namentlich bekannt. Auch wenn in den achtziger Jahren nicht mehr unbedingt Verhaftungen von Zeugen Jehovas auf der Tagesordnung standen, so wurden sie dennoch unter die Lupe genommen. Mehr noch, in vielen Fällen, wurden diese ZJ-Funktionäre von der Stasi direkt und offiziell angesprochen.

Das Opfer stand nun in der Zwangslage, sich selbst zu dekonspirieren und damit Racheakte der Stasi zu gewärtigen, oder das Spiel mitzuspielen. Und das Spiel hieß: Schweigen über die angebahnten Stasikontakte und weiter mit der Stasi im „Gespräch" zu bleiben. Im persönlichen Gespräch zeigten sich die Stasifunktionäre von ihrer „Schokoladenseite". Man respektiere, dass der Betreffende Zeuge Jehovas sei; nur erbitte man für diesen „Respekt" ein paar kleine „Gefälligkeiten". Und tatsächlich haben auf dieser Basis einige hochrangige DDR-ZJ-Funktionäre, die Stasi mit internem Wissen versorgt, dass sie auf anderen Wegen (Auswertung der Veröffentlichungen usw.) niemals hätten bekommen können.

Peinlich nur für die Zeugen Jehovas, dass sie sich zu diesen Verstrickungen nur in höchst nebulösen Wendungen „bekennen". Es schadet offenbar ihrem Propagandaimage, nur sie seien eine „standhafte" Organisation gewesen. Der Fairneß halber muss auch gesagt werden, dass es anderswo, etwa in den Freikirchen, diesbezüglich auch nicht viel „besser" aussieht.

Ein Veranschaulichungsbeispiel dafür hat Andrea Strübind geliefert. In der freikirchlichen Zeitschrift: „Zeitschrift für Theologie und Gemeinde", hat sie in deren 2. Jg. 1997 ein Artikel veröffentlicht (S. 164-201). „Kennwort: 'Herbert aus Halle'. Ein Forschungsbericht über die Verbindungen zwischen Baptisten und dem Ministerium für Staatssicherheit in der DDR."

Ein ungewöhnliches Novum an diesem Artikel: Auf den Seiten 199 und 200 sind doch tatsächlich Textschwärzungen vorgenommen worden. Mit anderen Worten. Nach dem die Zeitschriftenausgabe schon gedruckt vorlag, wurde auf Veranlassung gewisser Kreise veranlasst, das bestimmte Passagen nicht mehr lesbar sind! Wenn, dass keine Zensur ist!

Diesen Kreisen reichte es offenbar nicht aus, auf eine eventuelle Gegendarstellung zu bestehen, nein, sie veranlassten darüber hinausgehend, dass keine Zeile der inkriminierten Passagen, das Auge der wissenschaftlich interessierten Welt erblickte. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Dieser Vorgang spielte sich nicht im Jahre 1934/35 oder 1988/89 ab. Nein, er spielte sich in der freiheitlichen Bundesrepublik des Jahres 1997 ab. Das müssen schon machtvolle Kreise gewesen sein, die eine unabhängige Zeitschriftenredaktion derart in die Knie zu zwingen vermochten.

Aber der Inhalt des Aufsatzes von Strübind macht den Hintergrund schon deutlicher. Sie referiert anhand der Auswertung von Stasiakten, den Fall des Baptistenpredigers Herbert Kautz aus Halle/S. Also Strübind arbeitet heraus, wie Kautz versuchte mittels Intrigen, seine Karriere zu DDR-Zeiten zu befördern. Kautz fühlte sich offenbar zu „höherem" berufen und hatte die Ambition, wenn möglich in die Führungsriege der DDR-Baptisten aufzusteigen. Dazu waren ihm die Stasikontakte auch recht. Er gab sich aus seiner subjektiven Sicht der Illusion hin, die Stasi als „Werkzeug" zur Beförderung seiner Ambitionen benutzen zu können. Allerdings ist ihm dabei entgangen, wer wen als Werkzeug benutzt, wurde nicht von Kautz oder Stolpe bestimmt, sehr wohl aber von der Stasi!

Nach dem DDR-Mauerfall veröffentlichten auch die DDR-Baptisten geschönte „Rechenschaftsberichte" darüber, was für „Widerstandkämpfer" sie doch zu DDR-Zeiten gewesen seien. Strübind, die diese Rechenschaftsberichte auch gelesen hat, bekam bei ihrer Lektüre (im Kontext ihrer Kenntnisse) einen Brechanfall und hat dies auch entsprechend deutlich in ihrem Aufsatz zur Kenntnis gegeben.

Nun bestand die Leitung der der DDR-Baptisten nicht aus diesem Kautz. Er wollte zwar immer dort in maßgeblicher Stelle hineinkommen, hat es aber faktisch nicht geschafft. In der Leitung der DDR-Bapisten saßen andere Personen. Nun hat Strübind den „unverzeilichen" Fehler gemacht, nicht nur den Fall Kautz zu thematisieren, sondern auch gleich noch ein paar mehr Namen mit zu nennen. Die Quittung hat sie unmittelbar darauf mit den schon genannten Schwärzungen, serviert bekommen.

Dieser Fall erinnert fatal, an ähnliche Vorgänge bei den Zeugen Jehovas. Der Stasifall „Hans Voss" bei den Zeugen Jehovas ist in seinen Grundzügen zwischenzeitlich erhellt. Man weiss, wer dieser „Hans Voss" (Stasiname) in Wirklichkeit war und kennt auch seine seinerzeitige Wohnanschrift in Zittau. Man weiss auch, dass er nahtlos, nach dem Fall der DDR seinen hohen Posten im Präsidium der „Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in der DDR" (jetzt Deutschland), fortsetzen konnte. Nachdem sein Fall ruchbar wurde, wurde er klammheimlich, ohne nähere Begründung für die Öffentlichkeit seines Postens enthoben. Also auch hierbei war bei den Zeugen Jehovas, wie auch so auf vielen anderen Gebieten, das „grosse unter den Teppich kehren" angesagt. Man weiß zwischenzeitlich noch mehr.

Als Anfang der achtziger Jahre die Pläne der Zeugen Jehovas spruchreif wurden, von Wiesbaden in ein neu zu errichtendes Objekt nach Selters umzuziehen, legte die Stasi, die darüber zutiefst beunruhigt war, einen neuen Aktenvorgang an mit dem bezeichenden Titel „Sumpf". Darin sind etliche Stasidokumente, höchst unterschiedlicher „Qualität" zu den Zeugen Jehovas, sozusagen in einer Art Sammelordner untergebracht.

Es gibt da auch einen Vorgang, der ein bezeichnendes Licht auf die Stasiinfiltration hoher ZJ-Funktionärschargen in der DDR wirft. Der Stasimajor Oskar Herbrich, zuständig für die Zeugen Jehovas in der Berliner Stasi-Hauptzentrale, verfasste am 27. 6. 1983 einen „Bericht über die Tätigkeit der Organisation 'Z. J.'"

Eingeleitet wird der Text: „Inoffiziell konnten aus der Konspiration der Organisation 'Z. J.' folgende Informationen erarbeitet werden."

Nach einer Information über den inzwischen angelaufenen Druckereibetrieb in Selters usw. wird dann allmählich zu den DDR Zeugen Jehovas übergeleitet:

„Mitarbeiter des Ostbüros der 'Z. J.' In Wiesbaden/BRD verweisen in einer Instruktion an die Spitzenfunktionäre der 'Z. J.' in der DDR darauf, daß 1983 kein Bezirkskongreß der 'Z. J.' In Berlin-West stattfindet und betonen, daß 'Z. J.' in der DDR auf die Bezirkskongresse der 'Z. J.' in der BRD orientiert werden sollten. Das Ostbüro informiert weiter dazu, daß die 'Z. J.' in Berlin-West am Bezirkskongreß in München (I. 28. - 31. 07. 1983 und II. 04. - 07. 08. 1983) teilnehmen.

Sie planen für die DDR-Bürger, denen eine Ausreise nur nach Berlin-West möglich sei, Voraussetzungen zu schaffen, daß sie von Berlin-West nach München ausgeflogen würden. Diese DDR-Bürger müßten jedoch rechtzeitig dem Ostbüro mitgeteilt werden um von ihnen weiteres veranlassen zu können. …

Zur Verstärkung des Einflusses des Ostbüros der 'Z. J.' in Wiesbaden/BRD auf die Organisation 'Z. J.' in der DDR planen sie, weitere Materialien in die DDR zu schleusen.

So werde der Dünndruck von 5.000 Exemplaren des Buches 'Organisiert unseren Dienst durchzuführen' vorbereitet. Die Verteilung dieser Bücher in der DDR soll an alle Ältesten und Dienstamtgehilfen der 'Z. J.' erfolgen. Dieses Buch in Dünndruck soll nur eine Auswahl des Originalbuches enthalten, was zur Verwendung für die illegale Tätigkeit der 'Z. J.' zutreffe. Sämtliche überörtlichen Funktionäre der 'Z. J.' in der DDR sollen davon die Originalbücher erhalten. …"

Herbrich schließt seinen Text mit der Anmerkung: „Da Quellengefährdung, keine Auswertung möglich." Womit er zum Ausdruck bringt; seine Information stammt von hochrangigen Zeugen Jehovas selbst, zum Beispiel vom „Hans Voss". Diese mimten jedoch nach außen weiterhin den „treuen Zeugen Jehovas", und Herbrich ist zum Zeitpunkt der Abfassung seines Schreibens nicht an deren Demaskierung interessiert. Er möchte ja diese „Kuh" auch weiterhin kräftig melken!

Jene Stasiakte „Sumpf" ist auch noch in anderer Beziehung aufschlussreich. Im Jahre 1983 herrschte in der Kirchenabteilung des MfS Alarmstimmung. Was war geschehen? Diesmal ging der Grund der Beunruhigung nicht von der DDR aus. Dafür aber um so misslicher von dem formal „befreundeten" Polen. Hatte man in der DDR auch - wie man meinte - „alles im Griff", so sah es bezüglich Polen anders aus. Schon die Schlagzeilen bewirkende polnische Gewerkschaftsbewegung „Solidarnosc" hatte die DDR Oberen zutiefst verunsichert. Nur hart war Polen an einer „tschechoslowakischen Lösung von 1968", dass heißt der Besetzung durch ausländische Militärtruppen, vorbeigeschrammt. Einen Dubcek in der Tschechoslowakei hatte man kurzerhand nach Moskau beordert. Aber was war nun mit Polen?

Es war ein lavieren, und zum Missvergnügen der SED-Hardliner blieben die erhofften Radikallösungen aus. In die Rubrik „lavieren" ist auch einzuordnen, dass Polen begann, seine Zeugen Jehovas-Politik radikal zu verändern. So konnten dort, ein Novum für Ostblockverhältnisse, die Zeugen Jehovas, seit Anfang der achtziger Jahre sogar wieder öffentliche Kongresse veranstalten. Sicherlich haben sie den kleinen Finger, den ihnen der polnische Staat bot, fest ergriffen und gleich die ganze Hand genommen. Aber man muss ja die gesamtpolitische Lage dabei in Betracht ziehen und konstatieren: Die Zeugen Jehovas hatten im Falle Polens damit Erfolg. Auch die Stasi musste diese neue Sachlage nunmehr zur Kenntnis nehmen.

Da schrieb also ein Hauptmann Krüger in einem Stasipapier vom 24. 11. 1983 (Bl. 71):

„Im Ostbüro der Organisation 'ZJ' in Wiesbaden/BRD betrachtet man die Situation und Entwicklung der 'ZJ' in der VR Polen mit Skepsis. Nach ihrer Meinung waren sie 'geschichtemachend'. Die Zulassung öffentlicher Kongresse der 'ZJ' sei darauf zurückzuführen, daß dem polnischen Staat die Kirche gegenwärtig zu stark sei. Die 'ZJ' würden gegenwärtig als 'kleineres Übel' angesehen und man erhoffe sich von ihren Kongressen ein Aufweichen und eine Abkehr von der Kirche. Danach käme für die 'ZJ' wieder eine Zeit der Verfolgung und Inhaftierung. Bis dahin erhofft man sich jedoch eine aktive Entwicklung der Organisation in der VR Polen.

Auf Grund dieser Lageeinschätzung orientiert das Ostbüro in Abstimmung mit der Hauptleitung der 'ZJ' in der VR Polen darauf, wieder tiefer in den Untergrund zu gehen. Besonderer Wert wird dabei darauf gelegt, daß die Funktionäre und deren konspirative Verbindungen weitgehend unerkannt bleiben. Es wird davor gewarnt, aus der gegenwärtigen Lage voreilige Schlüsse zu ziehen und mit einer vollständigen Legalisierung der Organisation in nächster Zeit zu rechnen. Davon sei man weit entfernt. Die polnischen Sicherheitsorgane würden die derzeitige Situation geschickt ausnutzen um möglichst viele 'ZJ' zu identifizieren und zu registrieren. Dem müsse man unbedingt durch strikte Einhaltung bestehender Weisungen und Verstärkung der Konspiration begegnen.

Sollte sich die Lage bis 1984 nicht wesentlich verschlechtern, wolle man in der VR Polen erneut die Chance nutzen und Kongresse durchführen.

Die Information kann wegen Quellengefährdung offiziell nicht ausgewertet werden."

Mag man in dieser Stasiinterpretation auch eine gehörige Portion von Zweckpessimismus erkennen, so ist jedoch unverkennbar, dass der Stasi die ganze diesbezügliche Entwicklung „gegen den Strich" ging. Symptom dafür ist auch, dass in dem gleichen Stasipapier auch missvergnüglich registriert wurde:

„Durch die Hauptleitung wurde unter Mitwirkung vor allem westeuropäischer Zweigbüros der Organisation 'ZJ', die Teilnahme zahlreicher 'ZJ' aus dem aus dem Ausland an den polnischen Kongressen organisiert. Dem MfS liegt die Kopie eines Schreibens des Zweigbüros in Belgien vor. Daraus geht hervor, daß bereits im Mai 1983 an die Versammlungen der 'ZJ' in Belgien, Einladungen zur Kongreßteilnahme in der VR Polen, versandt wurden. Weiterhin sind darin detaillierte Angaben über Kongreßorte, polnische Kontaktadressen sowie Hinweise zur Erlangung der Visa enthalten.

In ähnlicher Weise wurde durch andere Zweigbüros verfahren. Neben Einladung, Programm und Kontaktadresse erhielten ausländische Teilnehmer bereits vor ihrer Einreise in die VR Polen fotografisch vervielfältigte Auszüge aus polnischen Stadtplänen, in denen Kontaktadressen bzw. die genauen Kongreßorte bereits eingezeichnet waren.

Durch das MfS konnten Teilnehmer aus folgenden 20 Ländern festgestellt werden:

BRD, Westberlin, Österreich, Schweiz, Frankreich, Belgien, Niederlande, Italien, Spanien, Portugal, Finnland, Schweden, USA, Kanada, Tunesien, Algerien, Kamerun, Dänemark, Norwegen, Großbritannien.

Die meisten ausländischen Teilnehmer kamen aus den westeuropäischen Ländern. Ihre Unterbringung erfolgte über die Kontaktadressen in Privatquatieren und Hotels."

Im Anschluss an diese Ausführungen listet die Stasi dann auf: „Es wurden 9 Kongresse und Kontaktadressen bekannt." Im Detail werden dann diese Anschriften genannt. Unter anderem aus: Warszawa, Wroczlaw, Lodz, Jelina Gora-Cieplice, Katowice, Krakow, Poznan, Lublin, Sopot."

Der Stasi war damit klar, dass sich an ihrer Ostgrenze ein neues „Bedrohungspotential" von nicht zu unterschätzendem Ausmaße aufgetan hatte. Und so sind denn jene Jahre, Anfang der achtziger Jahre durch heftige Aktivierungsbestrebungen der Stasi gekennzeichnet. Im eigenen Lande versuchte man die Anti-ZJ-Publizistik weiter zu aktivieren. So wurde beispielsweise seit Anfang der 80er Jahre von einem ehemaligen ZJ eine religiöse „Ergänzungszeitschrift" zur „Christlichen Verantwortung" herausgeben. Herrschte sonst auch in der DDR chronischer Papiermangel und bedurften etwaige neue Zeitschriften, im Vorfeld einer langwierigen bürokratischen Genehmigungsprozedur, so war das in diesem Falle anders. Knall auf Fall wurde neben der „Christlichen Verantwortung" auch noch diese neue Zeitschrift namens „Weggefährte" auf den „Ententeich" gesetzt.

Aber nicht nur im Inland versuchte die Stasi zu aktivieren. Im Nachgang ihrer Polenrecherchen verfasste die Stasi noch eine „Information an die Sicherheitsorgane der UdSSR über vorliegende Erkenntnisse zu Kongressen der Organisation 'Zeugen Jehovas' 1983 in der VR Polen." Der Text führt aus:

„In der Anlage erhalten Sie eine Information über die dem MfS vorliegenden Erkenntnisse zu Kongressen der Organisation 'ZJ' 1983 in der VR Polen zur Kenntnisnahme und operativen Auswertung. Mehrere hundert 'ZJ' aus dem westlichen Ausland, die an Kongressen 1983 in der VR Polen teilnahmen, wurden namentlich bekannt und konnten gespeichert werden.

In diesem Zusammenhang konnte eine Gruppe von 'ZJ' herausgearbeitet werden, die sich selbst als Arbeitsgruppe der 'Zeugen Jehovas' bezeichnet, die für die VR Polen zuständig sei."

Es folgt dann eine Auflistung mit fünf Namen, inklusive Adressendetails. Davon zwei Belgier, zwei Holländer und ein Pole.

Weiter werden noch vier Schweizer, wiederum mit Adressendetails genannt, die den ZJ-Kongreß in Katowice besuchten.

In dem Schreiben an das KGB wird dann noch ausgeführt: „In Auswertung und Ergänzung der vorliegenden Information wird gebeten, dem MfS mitzuteilen, welche Erkenntnisse über Auftreten und Aktivitäten von Mitarbeitern des Ostbüros der Organisation 'Zeugen Jehovas' in Wiesbaden/BRD im Zusammenhang mit den polnischen Kongressen vorliegen."

Wie bereits ausgeführt, hatte die Stasi ihren Operativvorgang „Sumpf" im Vorfeld des beginnenden Aufbaues von Selters angelegt. Zwischenzeitlich war nun Selters inzwischen Realität geworden. Anlass genug für die Stasi dazu am 26. 4. 1985 einen „Sachstandsbericht über die Europazentrale der Organisation 'Zeugen Jehova' in Selters/Taunus (BRD)" abzufassen.

Die Stasi notiert darin:

„Die Europazentrale liegt am Rande des Naturparks 'Hochtaunus' in einem Landschaftsschutzgebiet. Das Grundstück umfaßt 300 000 m2. Davon sind 32 000 m2 Waldfläche, wozu auch zwei Steinbrüche gehören. Über 60 000 m2 wurden durch die 'Zeugen Jehova' aufgeforstet und ein weiterer Teil des Geländes zur gärtnerischen Nutzung umgestaltet. Seit Herbst 1984 wurden zur weiteren Verbesserung der Eigenversorgung zusätzlich (ca. 1,5 km vom Objekt entfernt) eine sogenannte 'Wachtturm-Farm' eingerichtet.

Die Lage der Europazentrale ist aus strategischer Sicht ideal. Zwischen den Ortsteilen Niederselters und Selters-Eisenbach in einer hügeligen Landschaft auf einem Berg (200 bis 235 m über N. N.) gelegen, ist sie schwer einsehbar und nach außen gut abzusichern. Die Gestaltung und Architektur der gesamten Anlage sind der parkähnlichen Landschaft angepasst und lassen Zweck und tatsächliches Ausmaß von außen nicht erkennen. Die einzige direkte Einsichtmöglichkeit bietet die oberhalb des Objektes gelegene Mittelpunktschule, um deren Erwerb (einschließlich des umliegenden Brachlandes) sich die 'Zeugen Jehovas' bemühen. Das Objekt ist eingezäunt und wird bewacht. Für Besucher gelten besondere Regelungen. … Sämtliche Gebäude sind durch über- und unterirdische Gänge miteinander verbunden."

Die Stasi notiert dann auch noch, dass beispielsweise die installierten Computeranlagen „strengen Sicherheitsvorkehrungen unterliegen. Die Computer-Anlage in Selters zum Beispiel darf von Besuchern nicht besichtigt werden" (Bl. 99).

Ein für die Stasi besonders wichtiger Aspekt, betraf auch das Ostbüro der Zeugen Jehovas. Dazu wurde von ihr ausgeführt: „Das Ostbüro untersteht direkt der Hauptleitung und ist ihr gegenüber rechenschaftspflichtig. Im Auftrag der Hauptleitung organisiert und kontrolliert das Ostbüro die gesamte illegale Tätigkeit der 'Zeugen Jehovas' in der DDR und den sozialistischen Ländern Europas. Der genaue Sitz im Verwaltungskomplex der Europazentrale wurde bisher nicht bekannt. Die Räumlichkeiten des Ostbüros unterliegen speziellen Sicherheitsvorschriften. Ohne Sondererlaubnis dürfen sie von Außenstehenden nicht betreten werden. Die genaue Anzahl und Tätigkeit der Mitarbeiter des 'Ostbüros' wird geheimgehalten.

Leiter des Ostbüros (E. Peters).

Bis 1980 war der Deutsch-Amerikaner Willy P. Leiter des Ostbüros. Er schied aus dieser Funktion angeblich wegen gesundheitlicher Gründe aus, ist aber Mitglied der Leitung der Europazentrale und zeichnet nach wie vor für die RIAS-Beiträge der 'Zeugen Jehovas' (vierteljährlich Morgenandachten) verantwortlich. Sein Nachfolger wurde Egon Peter. Dieser war unter Leitung des P. viele Jahre direkt an der Organisierung der illegalen Tätigkeit der 'Zeugen Jehovas' in der DDR beteiligt. Peter kennt die DDR-Spitzenfunktionäre der 'Zeugen Jehovas' alle persönlich und ist mit der konspirativen Arbeit vertraut. Von der Hauptleitung wird er als Ostexperte geschätzt und gefördert. … Nach bisherigen Erkenntnisen umfaßt das Ostbüro ca. 20-30 Mitarbeiter, wobei eine eindeutige Übersicht zur Zeit nicht vorliegt."

Im weiteren Verlauf dieser Stasidokumentation werden dann die geheimdienstlichen Praktiken der Zeugen Jehovas im Detail herausgearbreitet: „Registrierung und Archivierung des kompletten geheimdienstlich organisierten Schriftverkehrs mit den Spitzenfunktionären der sozialistischen Länder, einschließlich der angewandten Mittel und Methoden (Tarn- und Deckbezeichnungen, Erkennungszeichen, Identifikationskennzahlen und Schlüsselnummern, Code-Systeme zur Verschlüsselung statistischer Angaben, Deckadressen, spezielle Kurier- bzw. Verbindungssysteme, Geheimschriften, Mikrofilmmaterial, Container für Nachrichtentransport."

Zur DDR speziell wird noch ausgeführt:

Das Ostbüro fungiert als Koordinator zwischen der Hauptleitung und den 6 Spitzenfunktionären in der DDR (Leiter der 'Zeugen Jehovas' und 5 Bezirksaufseher). Das Gebiet der DDR wurde in 5 Bezirke aufgeteilt, die sich wiederum in Kreise, Gebiete, Versammlungen und Stubengruppen aufgliedern. Um zu garantieren, daß die Organisation auch unter komplizierten Bedingungen solange wie möglich funktionsfähig bleibt und zur Erhöhung der Konspiration, gibt es seit 1966 das Prinzip der dezentralisierten Anleitung durch das Ostbüro. Jeder Spitzenfunktionär verfügt über spezielle Verbindungssysteme zum Ostbüro und wird von dort gesondert angeleitet."

In Bezug auf Sicherheitsvorkehrungen für die eigenen Objekte war die Stasi Profi. Neidvoll registriert sie, dass ihr bei den Zeugen Jehovas genau solche Profis gegenüberstanden. Zitat:

„Das gesamte Objekt ist mit einem über 2 m hohen Maschendrahtzaun umgeben. Die beiden Eingänge werden von Pförtnern bewacht, die Kontrollen bei Betreten und Verlassen des Objektes durchführen. Besucher befinden sich im Objekt in ständiger Begleitung von Mitarbeitern. In regelmäßigen Abständen wurden am Zaun erhöhte Plattformen errichtet,von denen ein besserer Überblick möglich ist. Nachts patroullieren Streifen mit Hunden.

Weitere bisherige Aufklärungsergebnisse erbrachten Hinweise auf eine zusätzlich mögliche elektronische Außenabsicherung, mit deren Hilfe zum Beispiel auf ca. 2 km Entfernung Fotos von der Qualität eines Passfotos von sich nähernden Personen aufgenommen werden können.

Außerdem gibt es Hinweise auf eine mögliche, dem Objekt vorgelagerte Tiefensicherung ( z. B. Schäfer auf umliegendem Brachland).

Die Gegend mit kleinen Ortschaften bzw. Ortsteilen und wenigen Einwohnern sowie die abgeschiedene Lage des Objektes bieten für die Sicherung günstige Voraussetzungen. Hinzu kommt die Gestaltung des Objektes, z.B. Aufforstung zur weiteren Tarnung, und die Tatsache, dass alle Gebäude durch Gänge verbunden sind.

Das Ostbüro ist ständig auf größte Sicherheit bedacht. Wie inoffiziell zuverlässig erarbeitet werden konnte, wurde z. B. 1984 vom Ostbüro das Gerücht in Umlauf gesetzt, es wäre gelungen, einen Mitarbeiter des MfS im Objektgelände zu stellen und dessen Dienstauweis sicherzustellen. Der Mitarbeiter sei jedoch einem Blitzschlag erlegen.

Bekanntgewordene Versuche von 'Zeugen Jehovas' aus der DDR, die in die BRD übersiedelten, mit der Europazentrale direkt in Verbindung zu gelangen, wurden vom Ostbüro als Angriff des MfS gewertet und strikt abgelehnt.

Gegenwärtig Leben und arbeiten in der Europazentrale ca. 400 Mitarbeiter. Davon sind dem MfS 98 namentlich bekannt."

Auch dieser Stasibericht schließt mit der Floskel: „Der Bericht ist wegen Quellengefährdung nicht offiziell auswertbar."

Als Detailbegründung wird dazu noch ausgeführt: „Zur Erarbeitung des vorliegenden Sachstandsberichtes wurden Berichte von IM verwendet, die in das Operationsgebiet eingesetzt wurden und IM in der Konspiration der Organisation 'Zeugen Jehovas', Aufklärungsergebnisse der Hauptabteilung VIII, offizielle Materialien und Druckerzeugnisse aus dem Operationsgebiet sowie Druckerzeugnisse und Materialien der 'Zeugen Jehova.'"

Exkurs:

Nachstehend dann mal ein paar Repro-Auszüge aus dem
im Text genannten „Sachstandsbericht" der Stasi.
Ein besonderes Higlight ist da in meiner Sicht auch das Blatt 115

Sachstand Blatt 93
http://www.manfred-gebhard.de/Sachstand93.jpg

Sachstand Blatt 99
http://www.manfred-gebhard.de/Sachstand99.jpg

Sachstand Blatt 110
http://www.manfred-gebhard.de/Sachstand110.jpg

Sachstand Blatt 114
http://www.manfred-gebhard.de/Sachstand114.jpg

Sachstand Blatt 115
http://www.manfred-gebhard.de/Sachstand115.jpg

Sachstand Blatt 116
http://www.manfred-gebhard.de/Sachstand116.jpg

Sachstand Blatt 117
http://www.manfred-gebhard.de/Sachstand117.jpg
 

Am Rande vermerkt. Der weiter unten abgebildete Heinicke, befand sich zur Zeit des ZJ-Prozesses in seinem 32 Lebensjahr. (der Mitangeklagte Adler war damals bereits 61 Jahre alt). Beide Genannten erhielten Lebenslänglich. Folgt man Dirksen, so wurden sie beide Mitte der 60er Jahre entlassen. Adler's weiterer Part im Bethel Wiesbaden ist bekannt geworden. Da man dort "keine Rentner durchfüttert", gemäß dem WTG-eigenen, ihr in Fleisch und Blut übergegangenen Grundsatzes, extensivem Manchester-Kapitalismus; (lediglich dass Herr P. wohl keine Schreddermaschine betätigen muss. Welches Glück für ihn.)

Einer seiner Vorgänger, der Herr Erich Frost, wurde gar noch aus dem Bethel "hinauskomplimentiert". Durfte dort seine letzten Tage nicht verbringen. Das blieb ja dem Herrn P. offenbar erspart. Nun ja Herrn Frost's Gestapo-Akten hatten sich ja auch in WTG-Kreisen schon herum gesprochen. Das mag wohl mit dabei hineingespielt haben.

Herrn P.'s Vater, ein Schmied (Schulausbildung regulärer Art mit ordentlichem Abschluss war ihm nicht vergönnt), musste auch noch Gestapo-Bekanntschaft schließen. Jedenfalls sind seine Aussagen keineswegs mit denen des Herrn Frost vergleichbar. Der Schmied Pohl schlug sich für seine Verhältnisse wacker. Seinem Sohn Willy bescheinigt er aber, weiter WTG-hörig zu sein. Selbiges Attest wird allerdings den anderen Kindern des Schmied Pohl. so nicht ausgestellt.

Ein Zitat aus einer Gestapo-Akte:
"Hamburg am 22. Juli 1937
Nach der von ... angegebenen Personenbeschreibung kann als Verbreiter der Bibelforscher-Schriften der hier als Bibelforscher bekannte Schmied Fritz Pohl, geb. am 2. 1. 1890 zu Kurzmirafka/Ukraine, in Frage kommen. Pohl ist hier am 1. 7. 37 in der Sache II B1 - 2052/37, Flugblattaktion der Bibelforscher am 20. 6. 37 betr. Verbreitung des Flugblattes 'Offener Brief an das bibelgläubige und Christusliebende Volk Deutschlands' vernommen worden. In der Sache befindet sich sein Sohn Willi P. wegen Verbreitung von Flugschriften in Schutzhaft. Fritz Pohl konnte bisher jedoch nicht nachgewiesen werden, dass er an der Flugblattaktion beteiligt ist.
"

In dem Protokoll des Fritz Pohl wird von dessen drei Kindern (Werner, Willy, Hildegard) nur der Willy als im Sinne der ZJ weiter gläubig bezeichnet. Der Werner brachte es gar zum Ludendorff-Anhänger (Insider können wissen was der Name Ludendorff bedeutet. Unter anderem dieses. Ein programmatischer Buchtitel der Mathilde Ludendorff lautet: "Erlösung von Jesu Christo")

Selbstredend konnte die Gestapo im Jahre 1937 noch nicht erahnen, was aus P. junior in der WTG-Hierarchie dereinst noch werden würde. Offenbar hat sie ihn letztendlich in die Kategorie "kleiner Fisch" eingestuft.
P. junior 1919 geboren. Also schon vom Alter her, schätzte ihn die Gestapo nicht als "bedeutungsvoll" ein. Laut 99er ZJ Jahrbuch sei P. auch "ein KZ-Überlebender". So so. Und wo ist der Detailbeweis für diese Behauptung?

Dafür macht dann Willy P. nach 1945 seine bekannte WTG-Karriere in der WTG-Hierarchie. Da seine Gestapo-Vernehmungen offenbar nicht aus heutiger Sicht belastend sind wie die Protokolle des Erich Frost, wird ihm naturgemäß auch nicht nahe gelegt, das Bethel im hohen Alter zu verlassen, wie es Frost (faktisch) musste.
Der Wachtturm vom 1. Juli 1964 war der letzte, für den Frost noch als verantwortlicher deutscher WT-Redakteur zeichnete. Enthoben dieses Postens hatte man wohl keine rechte Verwendung mehr für ihn.

Man kennt zwar nicht die Detailbegründung mit der er dann wohl "hnauskomplementiert" wurde. Aber man kennt sehr wohl die letzte Wohnanschrift des Frost (außerhalb des "Bethels, Tuttlingen/Donau, Bruderhofstr. 32). Lapidar notiert das 99 ZJ-Jahrbuch, er habe sich veranlasst gesehen "aus gesundheitlichen Gründen" das Bethel zu verlassen. Seine Gesundheit ermöglichte es aber dem 1900 geborenen Frost immerhin noch, das Alter von 86 vollendeten Lebensjahren zu erreichen.

Auch braucht P. wohl nicht wie der "dumme" Adler, der sich für die WTG verheizen ließ) noch (wohl stundenweise) eine Schreddermaschine betätigen (welche alte Papiere zerkleinert). Nun rechne mal jeder sich selbst aus, wenn Adler 1950 schon 61jährig, in welchem Alter er dann jenem "Job" nachging.

Von Heinicke heißt es (ebenfalls nach Dirksen). Er litt unter TBC. Jedenfalls hatte er dann doch wohl die DDR-Haftanstalten noch lebend verlassen können.
Nach einer detaillierten weiteren Heinicke-Biographie (nach der Haftentlassung) sucht man im einschlägigem Schrifttum allerdings vergebens. Wozu auch. Seine Funktion als "Kanonenfutter" hat er ja erfüllt. Solch einem Mann noch nachträglich zu würdigen, dafür ist der WTG offenbar selbst das Druckpapier zu schade. Da hatte der "Hans Voss" offenbar mehr Glück. Der bekam sogar einen eigenen Artikel in der WTG-Literatur. Pech nur, dass die WTG und ihre Satrapen, wohl heute auch nicht mehr so gerne an diesen Artikel erinnert werden möchten.
"Hans Voss" von der WTG gewürdigt

Heinicke drehte das DDR-Regime insbesondere aus dem von ihm verantworteten "Kirchlichen Nachrichtendienst" (etwa mit "Unser Königreichsdienst" bezogen auf die frühen DDR-Verhältnisse) den Strick. Es waren also letztendlich politische Motivationen, die zum tragen kamen. Als "treuer Diener seines Herrn", setzte auch Heinicke nur jene Politik um, welche im fernen Brooklyn bestimmt wurde und wird.

Gravierend wurde auch das System der "Haus-zu-Haus-Notizen" bewertet, vielleicht auch überbewertet. Indes schon der Außenstehende Rolf Nobel rekapitulierte, dass jenes Notizsystem ungute Assoziationen hervorrufen könne.

Heute bestreitet man, dass solche Notizen weiter gegeben wurden. Indes in den ab 1945 verbreiteten "Organisations-Anweisungen für die Königreichsverkündiger" las sich das etwas anders. Zum Beispiel auf Seite 16 so:
" Wenn der Pionier abgelegenes Gebiet bearbeitet, so behält er alle Belege, die sich aus der richtigen Durcharbeitung des Gebietes ergeben, bei sich, zum Beispiel die Nachbesuchskartothek und Studienleiter-Berichte. Ist das Gebiet dann fertig bearbeitet und wünscht der Verkündiger in ein neues Gebiet zu gehen, so werden diese Belege, wenn keine Gruppe gegründet werden konnte, zusammen mit dem Bericht über die vollständige Durcharbeitung des Gebietes an die Gesellschaft gesandt"
"Gesellschaft" so ein zeitgenössisches Synonym für die WTG, wie auch in eben zitierter Schrift nachlesbar ist.

Zwei zeitgenössische Presseberichte dazu:


http://www.manfred-gebhard.de/NatZtg41050.jpg


http://www.manfred-gebhard.de/NatZtg51050.jpg
 

Wenn ich was zu sagen hätte, würde ich auch einem Herrn P. liebend gerne noch heute - unter Einhaltung Rechtsstaatlicher Konventionen - "den Strick drehen", und zwar für solche von ihm (beziehungsweise seinem Ostbüro-Chef, über den im Rang aber P. stand) verantworteten Dokumente. Zudem war P. in entscheidenden Jahren, selbst WTG-Ostbüro-Chef.

Aber das muss man realistischerweise auch noch sagen. Im Kirchenfilzstaat (namentlich dem CDU-geprägten, und davor von den USA protegierten Religionsfilz). Im Kirchenfilzstaat Bundesrepublik Deutschland, hat Herr P. wohl nichts zu befürchten. War und ist er doch allezeit im faktischem Einklang mit dem herrschenden Mainstream. Und die oberste Verdummungsparole in diesem Lande (schon von Bismarck formuliert) lautet ja. Die Religion müsse
- dem V o l k e -
erhalten bleiben. Genau dafür setzt sich ja auch Herr P. ein. Bekam Herr Engleitner kürzlich (ziemlich spät) noch ein paar Orden verpasst, würde es mich nicht wundern, sollte das Schicksal auch im Falle P. noch ähnliches bewirken.

http://www.manfred-gebhard.de/Verhaftung1a.jpg

http://www.manfred-gebhard.de/Verhaftung2a.jpg

Wie man sich auf eine Verhaftung vorbereitet

Diese Dokumente sind im Rang durchaus mit der Indoktrinierung zu islamistischen Selbstmordattentätern vergleichbar. Allenfalls ist einzuräumen. Die Islamisten nehmen billigend den Tod unschuldiger Drítter in Kauf, legen es gar darauf an.
Das Unschuldige Dritte durch die WTG-Doktrin bewusst tangiert würden, kann man so verallgemeinernd nicht sagen. Diese Einschränkung muss man ausdrücklich machen. Allenfalls wäre zum Beispiel über die Hinterbliebenen bei Blutdoktrins-Opfern noch zu reflektieren.

Solcherlei Anweisungen gab es keineswegs nur bezogen auf die DDR. Schon Jonak v. Freyenwald zitierte 1936 ein ähnliches Dokument.
Auch in den 1947 von der WTG Wiesbaden herausgebenen "Ratschlägen für Königreichsverkündiger", also zu einem Zeitpunkt, wo die Konfrontation mit Ostdeutschland noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hatte. In genannter WTG-Publikation las man allgemein gehalten, quasi für ganz Deutschland geltend beispielsweise auch die Sätze:

"Wir raten, daß die Brüder keine Geldstrafen bezahlen. Wenn das Gericht eine Geldstrafe festgesetzt hat, dann ziehe vor, selbst wenn sie rechtskräftig geworden ist, ins Gefängnis zu gehen."

Solcher Art von Aussagen kann man nur als bewusste Konfrontationsverschärfung - von Seiten der WTG - bewerten.

Das ganze hat durchaus System. William Schnell etwa berichtete in seinen Erinnerungen:
„Ich mochte etwa zehn Worte gesprochen haben, als zwei Kriminalbeamte auf mich zu traten und mich aufforderten, herunterzukommen. ,,Sie sind verhaftet" sagten sie. Um die Sache noch weiter aufzubauschen und möglichst viel Kapital daraus zu schlagen, hatte ich angeordnet, daß die Verkündiger im Augenblick meiner Verhaftung durch die Menge gehen und Flugblätter verteilen sollten, auf denen die Ansicht des Wachtturms über die Gründe der Verhaftung dargelegt waren. Daraufhin wurden siebzehn von ihnen verhaftet, darunter auch Frauen und Kinder.

Während wir auf das Eintreffen der grünen Minna warteten, wurden wir zu einem öffentlichen Schauspiel. Wenn das keine billige und ausgezeichnete Reklame war! ...

Das war aber keineswegs so gewesen. Ich hatte sie herausgefordert, einen ganz anderen Zweck verfolgt! Ich hatte die Verhaftung von siebzehn Menschen heraufbeschworen, unter denen sich Kinder befanden. Ich war keineswegs stolz auf meine Tat. Ich schämte mich, und meine Seele war ganz verwirrt. Mir war elend zumute, und ich hielt mich für ein ganz schlechtes Wesen."

Solche zuletzt zitierten Skrupel hat Herr P. in Sachen der DDR-Verhaftungen offenbar nicht!

Stasi-Diplomarbeiten

In der 1994 erschienenen Schrift von Günter Förster "Die Dissertationen an der 'Juristischen Hochschule' des MfS", war bezüglich der Zeugen Jehovas kein direkter Hinweis enthalten. Inzwischen hat sich jedoch herausgestellt, dass eine Stufe tiefer, bei den sogenannten Diplomarbeiten dieser Stasi-Kaderschmiede, sehr wohl Arbeiten mit Bezug zu den Zeugen Jehovas vorhanden sind. Der Zeuge Jehovas, Waldemar H. will in einer Studie darauf näher eingehen. Das was man von H. bisher kennengelernt hat, gibt Anlass zu der Einschätzung, dass darin wieder die apologetische Tendenz dominiert.

So sei denn einmal, unabhängig von H., eine solche Arbeit etwas näher dargestellt.

Circa im Jahre 1978 wurde an der oben genannten Stasi-"Hochschule" eine Arbeit mit dem Bandwurmtitel geschrieben: "Aufgaben der Kreisdienststellen zur Aufdeckung der subversiven Tätigkeit der Funktionäre der WTG mit dem Ziel ihrer Einschränkung und der Entwicklung von Ausgangsmaterialien für Operative Vorgänge". Entsprechend den Stasigepflogenheiten wurde sie als "Vertrauliche Verschlusssache" behandelt. Das heißt, nur eine kleine Zahl "handverlesener" Stasiisten konnte sie zur Kenntnis nehmen. Als Verfasser zeichneten die Stasimajore Kleinow und Wenzlawski. Die Vornamen genannter Herren sind aus der Arbeit nicht ersichtlich.

Grundtenor ist das Stasi-Zauberwort "Zersetzung". Das heißt ihre Einflussnahme durch ihre IMs auf den verschiedensten Ebenen, wobei sich die Stasifunktionäre als die "Strippenzieher" im Hintergrund wähnten.

Ihr Credo fassen die Autoren in dem Satz zusammen (S. 7):

"Ihre Endzeitlehre ist auf die Erzeugung von Zweifeln, Perspektivlosigkeit sowie Passivität bei den Mitgliedern der WTG gerichtet mit dem Ziel, sie von jeglicher gesellschaftlicher Tätigkeit auszuschließen. Die WTG ist ein eifriger Befürworter imperialistischer Kriegs- und Expansionspolitik. Jeder Krieg und jede Katastrophe ist für die Ideologen der WTG ein sogenannter göttlicher Beweis für ihre 'Harmagedon-Theorie', mit deren Hilfe ihre Anhänger zum bedingungslosen Gehorsam angehalten und alle Kritiken unterbunden werden. Als gesellschaftliche Erscheinung des Kapitalismus war die WTG stets eifriger Verfechter imperialistischer Klasseninteressen."

Vermag man vorstehendes als exponierte Außenansicht noch in etwa nachzuvollziehen, so gilt es jedoch zu betonen, dass dies eine reine Außensicht ist. Sie vermag die Befindlichkeit der Zeugen Jehovas in keiner Weise zu erreichen. Dies war schon bei den Nazis so und wiederholt sich hier bei den "Kommunisten", oder soll man besser sagen vorgebliche Kommunisten die in Terror ihr Heil suchen?!

So wundert es denn auch nicht, wenn man in den Auslassungen dieser Stasilakaien auch solche Vokabel findet wie: "Staatsverbrechen, Straftaten der allgemeinen Kriminalität sowie andere Rechtsverletzungen" (S. 8). Das also ist die Sicht der Stasifunktionäre, für die dann folgerichtig der Zweck alle Mittel heiligt.

Missmutig registrieren die Stasiisten, dass die interne Literaturversorgung der DDR Zeugen Jehovas nach wie vor gewährleistet sei, trotz Stasiattacken. So etwa, wenn sie auf S. 13 schreiben: "Dabei wird in zunehmendem Maße das Dünndruckverfahren angewandt, um Materialien in größeren Mengen einzuschleusen und weitestgehend auf die Vervielfältigung von Druckerzeugnissen auf dem Territorium der DDR verzichten zu können."

Es wirkt schon skurril wenn man zur Kenntnis nimmt, dass die Stasiisten einen Hauptschwerpunkt ihrer Tätigkeit in der "Unterbindung" der WTG-Literaturversorgung sahen. Sie haben sich damit selbst als eindeutige Terrorinstitution offenbart. Wenn ich das geschriebene Wort fürchte, statt mich mit ihm auseinanderzusetzen, offenbart dies nur die eigene geistige Unfähigkeit und Unbeweglichkeit.

Sie meinten sich damit aus der Affäre ziehen zu können, indem sie anstrebten eine Art DDR-höriger Zeugen Jehovas zu installieren (als Zielsetzung). Dies erinnert einen daran, dass man noch heute im Internet eine rumänische Abspaltung von den Zeugen Jehovas "bewundern" kann, die sich dort sinngemäß die "treuen Zeugen Jehovas" nennen. Obwohl sie mit der Brooklyner WTG offenbar über Kreuz liegen. So in etwa hatten sich die Stasiisten das wohl auch vorgestellt. Nur Pech für sie, dass ihre rumänischen Kollegen offenbar wohl etwas "erfolgreicher" waren. Man vergleiche mal:

THE ASSOCIATION THE TRUE FAITH JEHOVAH`S WITNESSES IN ROMANIA

Beziehungsweise: http://the-true-jw.oltenia.ro/index.html (Lange Ladezeiten wegen etlicher Bilddokumente beachten)

Einen besonders bedeutsamen Satz haben nach meiner Einschätzung die Autoren auf der Seite 41 zu Papier gebracht. Nachdem sie sich darüber ausgelassen haben, dass es notwendig sei , IM (Informelle Mitarbeiter) und GMS (Gesellschaftliche Mitarbeiter Sicherheit) auf die Zeugen Jehovas anzusetzen, lamentieren sie lang und breit wenn sie dafür als geeignet und weniger geeignet ansehen. In diesem Kontext fällt auch der Satz:

"Erhebliche Komplikationen und Probleme entstehen im Prozess der Gewinnung und späteren Zusammenarbeit mit ehemaligen Mitgliedern der WTG, die sich nicht nur von der Politik der WTG, sondern bereits im Ergebnis der Widersprüche und die Gewinnung persönlicher Erkenntnisse auch weltanschaulich prinzipiell von der WTG losgesagt haben. Diese Kandidaten kehren in der Regel nur widerwillig im Auftrage des MfS in die WTG zurück und neigen in der Zusammenarbeit ständig dazu, auszubrechen mit dem Ziel, sich sowohl von der WTG endgültig zu lösen als auch den Forderungen des MfS auszuweichen.

Aus dem Dargelegten ergibt sich die Schlussfolgerung, dass für eine dauerhafte hohe Effektivität der Aufdeckung der subversiven Tätigkeit der WTG durch die Kreisdienststellen solche Mitglieder der WTG als IM gewonnen werden müssen, die das volle Vertrauen der Funktionäre der WTG besitzen, weil es ihnen bisher gelang, der Familie zuliebe bzw. aus anderen Gründen ihre widersprüchliche Haltung zur WTG zu verbergen."

Diesen Satz sollte man sich mal "auf der Zunge zergehen lassen". Nicht diejenigen, die sich klar von der WTG abgewandt haben, waren also für die Stasi in erster Linie interessant, sondern interessant waren für sie die "U-Boote", die nach außen hin den treuen Zeugen Jehovas mimten. Und man weiß, dass die Stasi auch etliche dieser Kategorie, selbst in höheren Funktionärsschichten "geführt" hat. Aber darüber schweigen H., D. und andere dieses Kalibers lieber!

Welche Motivation bewog nun diese "U-Boote" (abgesehen vom Terrordruck der Stasi), über längere Zeit mit diesen Herren in "Kontakt" zu bleiben? Auch darauf gibt diese Studie eine Antwort. Im Stasijargon heißt es dazu auf S. 76:

"Ferner möchten wir auf folgende Erscheinungen aufmerksam machen. IM, die in der Konspiration der WTG tätig sind, stellen sich häufig die Frage, welche Perspektive in der sozialistischen Gesellschaft für ihre Religionsgemeinschaft besteht. Dessen muss man sich bewusst sein und bei der Erziehung der IM richtig einordnen … Davon ausgehend muss dem IM erklärt werden, dass das generelle Ziel all unserer Maßnahmen und insbesondere der Zusammenarbeit mit ihnen, auf die organisatorische und politisch-ideologische Trennung von der WTG und in der Verselbständigung innerhalb der DDR, verbunden mit einer Wiederzulassung als Religionsgemeinschaft, gerichtet ist. Das setzt die Unterbindung der subversiven Einwirkung durch die WTG gegen die sozialistische Gesellschaft voraus."

Mit anderen Worten. Wenn die Zeugenleitung heute die relativ umfängliche Infiltrierung ihrer Organisation mit IMs beklagt, dann ist die Ursache auch darin zu sehen, dass es ihre Politik war, die DDR-Zeugen Jehovas, politisch "gegen die Wand zu fahren". Wer meint sich rigoros über die politischen Eckwerte eines Staates wie die "DDR" hinwegsetzen zu können, der braucht sich nicht zu wundern, wenn dieser ihn unsanft und auch unredlich im Gegenzug behandelt. Ursache und Wirkung gilt es hier klar zu sehen.

Weitere Stasi-Diplomarbeiten

Es kann einem schon schlecht werden, bei der Lektüre dieser Stasiarbeiten. Fast in jeder zweiten Zeile schwingt ihr Zauberwort "Zersetzung" mit. Wo immer es im Leben Spannungen, Mißverständnisse und ähnliches gibt (und davon sind auch Jehovas Zeugen nicht ausgenommen) wähnten die Stasiisten den Ansatzpunkt zu haben. Möglichst diese Differenzen vertiefen, möglichst den Eindruck erwecken, die "Brüder" untereinander würden sich zerfleischen. Während man selbst möglichst als nicht entdeckter Strippenzieher im Hintergrund fungieren wollte. Davon zeugt auch eine Arbeit aus dem Jahre 1976, verfasst von einem Mitarbeiter der Bezirksverwaltung Gera der Stasi, die sich wenn ich das richtig sehe, in Sachen Zeugen Jehovas besonders hervorgetan hat. Ihr Verfasser ist ein Leutnant Heinz Bergner. Ihr Bandwurmtitel: "Die Erarbeitung geeigneter Anknüpfungspunkte für die Ausarbeitung und Anwendung von Zersetzungsmaßnahmen bei Gruppen mit antisozialistischer Zielsetzung (am Beispiel der in der DDR illegal tätigen Organisation "Zeugen Jehova"). Stolz geschwellter Brust berichtet er aus seiner Berufserfahrung, wie es gelang, vorhandene Differenzen unter den Zeugen zu vertiefen und dabei doch den Eindruck zu erwecken, als hätte die Stasi damit nichts zu tun. Nach der Lektüre dieser Stasidiplomarbeit sehe ich einige Artikel in den ersten Ausgaben der "Christlichen Verantwortung", namentlich solche über vorgebliche Vorgänge in Jena, durchaus mit anderen Augen. Obwohl, mir schon früher deutlich wurde, das gerade in Jena die Stasi kräftig mitgemischt hat. Aber Bergner liefert nun den definitiven Beweis, indem er sich auch rühmt, dass seine Zersetzungsstrategie auch einen publizistischen Niederschlag in der CV fand.

Bergner kommt auch darauf zu sprechen, dass seitens der Zeugen Jehovas in ihrer Korrespondenz Verschlüsselungstechniken angewandt wurden. Sein Kommentar dazu:
"Das hier beispielhaft angeführte ZJ-System zur Verschlüsselung von Nachrichten wurde ca. 1944 vom USA-Geheimdienst verwendet." Und damit seine Leser auch genau Bescheid wissen, entschlüsselt Bergner einen solchen Text in dem ausgeführt wurde:
"Dem stellvertretenden Versammlungsdiener aus Jena ist der Ausschluß aus der ZJ-Organisation auszusprechen, da dieser mit dem MfS zusammenarbeitet."

Sicherlich nicht uneigennützig offeriert Bergner diese Entschlüsselung. Will er doch damit seinen Stasikollegen signalisieren: "Seht - was ich für eine Koryphäe" bin". Offenbar ist sein Rechnung aufgegangen. Denn seine Diplomarbeit mit dem mageren Seitenumfang von 48 Seiten wurde von den Stasigutachtern mit "Sehr gut" bewertet

Noch so ein Bandwurmitel aus dem Jahre 1978:
"Einige Erfahrungen aus der politisch-operativen Arbeit zur Schaffung von zielgerichteten, dauerhaften und schwerpunktbezogenen inoffiziellen Kontakten zu ausgewählten Kandidaten aus der verbotenen WTG (Zeugen Jehovas) mit der Zielstellung der Erweiterung der inoffiziellen Basis des MfS".

Ihr Verfasser ein Hauptmann namens Eberhard Hinze von der Bezirksverwaltung Magdeburg der Stasi. Offenbar kann man die These aufstellen, je umfangreicher an Worten die Titel dieser Stasiarbeiten sind, um so dürftiger fällt ihr eigentlicher Inhalt aus. Auch am Beispiel der Arbeit von Hinze belegbar.
Die Stasi unterschied bei ihrer Arbeit im Prinzip zwei Arten von IMs. Einmal die aus der WTG-Organisation "herausgebrochenen" und zum anderen die "eingeschleusten". Zu letzteren vermag Hinze die dürre Erkenntnis mitzuteilen, dass die sich nicht "selbst bewerben" könnten. Sondern dass die Sache nur so laufen kann, dass wenn Zeugen Jehovas in ihrem Predigtdienst Menschen ansprechen, diese darauf einsteigen sollten und sich auf den Weg als zukünftiger Zeuge Jehovas in spee begeben. Im ständigen Kontakt mit der Stasi - versteht sich.

Solche Fälle gab es. Hinze nennt in seiner Arbeit keine Einzelbeispiele. So seien sie als Veranschaulichungsbeispiel mal aus einer anderen Stasiakte zitiert (MfS HA AKG Nr. 5510)
"Der IMS 'Michael Mildemann' wurde systematisch an die Aufgabenstellung herangeführt und nimmt derzeitig regelmäßig an den Schulungen teil und soll demnächst die Taufe erhalten. Durch ihn konnten bereits wertvolle Informationen über die Studiengruppenarbeit erarbeitet werden. Derzeit erfolgt eine verstärkte Qualifizierung, um ihn noch fester an das MfS zu binden und ihn an konkrete Aufgaben heranzuführen. Bisher kann der IM als ehrlich und zuverlässig eingeschätzt werden.

Der IMS 'Steffi Weber' wurde ebenfalls in die Schulungen aufgenommen und wird systematisch in die Studiengruppenarbeit herangeführt. Durch sie konnten operative Hinweise über Verbindungen nach der BRD herausgearbeitet und konkretisiert werden."

Ein Stasi-Paradebeispiel sei diesbezüglich mal genannt. Und zwar das aus der Außenstelle Dresden der Stasi. Da gab es einen Herrn Rolf Theinert alias "Theo", der von 1948-1961 SED Mitglied war und etliche Drückerposten aufgrund seiner SED-Mitgliedschaft bekleiden konnte. Im Jahre 1961 wurde er aus der SED ausgeschlossen. Warum, weshalb und wieso, ist aus der eingesehenen Akte nicht klar ersichtlich. Aber um mit dem SED-Staat in Konflikt zu geraten, dafür gab es sicherlich mehr als genug Gründe. Das erging auch etlichen anderen so. Nicht "nur" dem Herrn Theinert. Später dann, in den 80-er Jahren wurde er von einem Arbeitskollegen der Zeuge Jehovas ist, geworben. Und Theinert spielte das Spiel mit, hatte aber zugleich auch Kontakt mit der Stasi, die ihn entsprechend "qualifizierte". Offenbar erfolgreich "qualifiziert", denn die Stasi muss mit seinen gelieferten Informationen durchaus zufrieden gewesen sein. So qualifizierte in so weit, dass er schließlich FIM wurde. Will sagen Führungs-IM. Das heißt er leitete seinerseits im Stasiauftrag weitere IMs an.

Die Stasi ließ sich das auch was kosten. Und so kassierte denn auch der Herr Theinert eine geraume Zeit lang einen beachtlichen monatlichen Obolus von der Stasi. Theinert wurde aufgrund seiner "Qualifikation" nicht nur in Sachen Zeugen Jehovas eingesetzt. Nein, auch die katholische Kirche durfte sich seiner "Dienste" "erfreuen". Den Höhepunkt seiner diesbezüglichen Karriere erreichte er, indem er von der Stasi schließlich mit der Auszeichnung "Medaille für treue Dienste in der NVA" ausgezeichnet wurde.

Die Stasiisten hatten natürlich auch eine bestimmte Sicht, weshalb sie die Zeugen Jehovas als Feindorganisation betrachteten. Und das war nun mal bekannterweise ihr unterstellter oder auch tatsächlich vorhandener Antikommunismus. Dazu sei aus der Arbeit von Hinze mal der entsprechende Passus zitiert:

"In den Schriften der WTG kommt eindeutig diese feindliche politische Zielstellung zum Ausdruck. Die Politik der WTG basiert auf Hetze und Verleumdung gegen die sozialistischen Staaten, welche sich damit zum Handlanger der friedensfeindlichen imperialistischen Kräfte macht. Mit religiös verbrämten Phrasen wird der Kommunismus verteufelt und verleumdet und zum Haß gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung aufgerufen. In den entsprechenden Publikationen der WTG kommt diese feindliche politische Zielstellung offen und eindeutig zum Ausdruck.

Die WTG behauptet in ihren Schriften, das der Kommunismus für die Verderblichkeit der Welt verantwortlich ist: 'Die Idee der gottlosen Kommunisten wurde wie ein brennender Berg in das Meer der aufgewühlten Menschheit geschleudert, Tod und Vernichtung herbeiführen." 'Der Wachtturm' Nr. 5 vom 1. März 1970, Seite 140.

Der Kommunismus wird stets als eine Gesellschaftsordnung beschrieben, die eine menschenfeindliche Politik betreibt:
'… die Kommunisten bombardieren den Geist ihrer Gefangenen ständig mit kommunistischen Ideen und kommunistischen Gedankengut, und das hatte zur Folge, daß die Gefangenen Dinge taten, die sie sonst nicht getan hätten. Sehr viele unterlagen diesem Einfluß.'

Und wenn sich ein Mitglied der WTG mit der Ideologie des Kommunismus - 'dem geistigen Müll' - beschäftigt wird folgendes geschehen:
'Du läßt es zu, daß du in dieser Richtung einer 'Gehirnwäsche' unterzogen wirst. Deine Persönlichkeit wandelt sich allmählich, aber nicht im guten Sinne.'
'Erwachet' Nr. 21 vom 8. November 1969, Seite 7

Des weiteren wird der Kommunismus stets als Gefahr für die Welt bezeichnet:
'In Osteuropa hatte sich der 'rote Bär', 'Kommunismus' genannt, erhoben, der viele in seinen Bann zog, der immer stärker wurde und schließlich die ganze übrige Welt zu überrennen drohte.' 'Der Wachtturm' Nr. 23 vom 1. Dezember 1969, Seite 717
Der Kommunismus wird als das 'bedrückendste System, das es bis heute gegeben hat' bezeichnet.
'Der Wachtturm' Nr. 2 vom 15. Januar 1971, Seite 43

Die Hetze gegen die Sowjetunion ist emanenter Bestandteil der antikommunistischen Politik der WTG. Die UdSSR wird als Aggressor, Kriegsbrandstifter und Feind der 'demokratischen' Staaten in der Zeitschrift 'Der Wachtturm' Nr. 16 vom 15. August 1971, Seite 491, verleumdet.

Alle Menschen christlichen Glaubens werden in der UdSSR verfolgt und darum ist 'die Vernichtung all derer, die keine Achtung vor Gott und seinen Gesetzen haben, kein Unrecht' und Gott - Jehova - wird diese Macht auslöschen. 'Erwachet' Nr. 17 vom 8. September 1973, Seite 18 und 19

Ihre wahre feindliche politisch-ideologische Politik offenbarte die WTG in ihrem Traktat 'Jehovas Zeugen - Kommunisten oder Christen', in der die kommunistische Gesellschaftsordnung als totalitär und menschenverfolgend dargestellt wird.

Dieses Traktat stellt fest:
'Wer in den offiziellen Publikationen der Zeugen Jehovas nachforscht, wird finden, daß sie von den ersten waren, die den Irrtum des Kommunismus erkannten und die Menschen vor dessen Gefahren warnten.'

Weiter wird in diesem Traktat festgestellt, daß die 'Zeugen Jehovas' schon immer vor dem Kommunismus gewarnt haben, 'daß, wenn Klugheit, Sittlichkeit und Rechttun aus den Ratschlägen für die ruhelosen Massen' ausgeschaltet werden, dadurch 'Leben, Besitztum, Gesetze und Frieden vernichtet' würden, 'was eine Herrschaft der Anarchie großen Stils des Kommunismus' zur Folge hätte.
Daher 'warnte' der 'Wachtturm' schon 1884 davor, daß der 'atheistische Kommunismus das ganze System der Zivilisation, das im modernen Euopa nach und nach vervollkommnet worden ist, bis auf seine Grundlagen zu erschüttern drohe.'

Die WTG setzt den Kommunismus des weiteren mit dem Faschismus gleich und 'warnt' vor dem gottlosen Kommunismus, denn 'die Bibel lehrt nicht Kommunismus.'
Die WTG gibt unumwunden zu, daß 'ähnliche Warnungen gegen den Trug des Kommunismus' in anderen Publikationen der WTG erschienen sind."

Seine "Erfolgsmeldung" offeriert er zum Schluss, der Herr Major Erich Baenz von der Bezirksverwaltung Neubrandenburg der Stasi in seiner Arbeit von 1976 unter dem Titel:
"Die Gestaltung der Auftragserteilung und Instruierung an inoffizielle Mitarbeiter, die zur Durchführung von Maßnahmen der Zersetzung in der Vorgangsbearbeitung gegen staatsfeindliche Gruppen der verbotenen WTG (Zeugen Jehovas) zum Einsatz gelangen" (MfS JHS 23501).

Was vermag der Herr Baenz den so als großen "Erfolg" zu vermelden, mag man fragen. Nun man höre und staune. Unter der Gesamtüberschrift "Zentraler Operativer Vorgang Irrlehre 74" verkündet er seiner andächtig lauschenden MfS-Klientel:

"Im Ergebnis der Aktion 'Irrlehre 74' wurden 4 Vervielfältigungsgeräte, 7 Tonbandgeräte, 73 Tonbänder mit Reden und Predigten leitender Funktionäre der Zentrale Wiesbaden und RIAS-Sendungen für 'Zeugen Jehovas', 4 Schreibmaschinen, mit denen nachweislich illegale Vervielfältigungen vorgenommen wurden, 250 'ZJ'-Bücher westlicher Herkunft, 300 Exemplare 'Wachtturm' und 'Erwachet', 1500 illegale Vervielfältigungen und Materialien sowie diverse Aufzeichnungen sichergestellt und der Beschlagnahme zugeführt."

So nun weiß man es. Dafür ist also ein IM-Apparat notwendig. Dafür dürfen auch Rentnerreisen in den Westen (zu DDR-Zeiten konnten in der Regel nur die Rentner dorthin reisen) genutzt werden, um sich auf dem Zeugen Kongress als extra dazu aus dem Osten angereist, vorzustellen. Mit der Zielstellung, vielleicht bei den dortigen Funktionären weiter herumgereicht und neue Kontakte zu knüpfen, von dem auch das MfS zu profitieren gedachte. Für dieses magere Ergebnis muss der Herr Major seine Leserschaft auch darüber belehren:

"Es ist operativ von Bedeutung, solche IM-Kandidaten auszuwählen, die keine minderjährigen Kinder haben. Sie sind entsprechend der Fordeung der WTG verpflichtet, die Familienangehörigen in die WTG zu integrieren und darauf Einfluß zu nehmen, sie vom gesellschaftlichen Leben fernzuhalten und notfalls Mittel des Zwangs anzuwenden. Inoffizielle Mitarbeiter kommen hier oft in Widersprüche und Konflikte. Die operative Praxis beweist, daß derartige Probleme operativ sehr kompliziert lösbar sind und in der Regel der operativen Perspektive der IM entgegenwirken."

Jenes zuletzt genannte Zitat empfinde ich durchaus als interessant - allerdings in einer anderen Richtung als wie sie Baenz vorgeschwebt haben mag. Als Symptom dafür, das mit der WTG-Religion einiges nicht in Ordnung sein kann und ist.

Zu dieser Erkenntnis bedarf ich allerdings wahrhaftig keiner Baenz und Konsorten!

Im seinerzeitigen DDR-Bezirk Karl Marx Stadt waren (und sind) mit die größten Konzentierungen regionaler Art, von Zeugen Jehovas im DDR-Bereich anzutreffen. Die Stasi schätzte ihre dortige Zahl auf circa 7 000 bis 8 000 ein. Besonders die sogenannte "Königreichsdienstschule" für höhere Zeugenfunktionäre war der Stasi ein Dorn im Auge. Davon berichtet auch die Arbeit aus dem Jahre 1980 des Hauptmannes Joachim Riedel von der Bezirksverwaltung Karl Marx Stadt der Stasi.

Wie üblich wurde dafür wieder ein Bandwurmtitel gewählt: "Die Verallgemeinerung von Erfahrungen aus der operativen Bearbeitung von Funktionären der verbotenen Organisation "Zeugen Jehovas" in OV, insbesondere der Durchführung von Maßnahmen der Zersetzung, Verunsicherung und Differenzierung".

Auch dort hatte die Stasi ihre IMs im Einsatz. Zwei von ihnen sollten noch einen besonderen Part spielen. Die Stasi notiert: "Im Juli 1979 wurde der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt, Abteilung XX/4, durch den IMB 'Konrad' (Ältester einer ZJ-Versammlung) bekannt, daß er durch einen Beauftragten der WTG in die … 'Königreichsdienstschule' eingewiesen werden soll."
In einer drehbuchreifen Schilderung wird vermerkt, wie der Kandidat bei Dunkelheit, in einem PKW verfrachtet wurde, dessen Nummerschilder abgedeckt waren. Und wie er über diverse Nebenstraßen, die ihm die Orientierung verunmöglichen sollten, schließlich in das dafür vorgesehene Objekt gebracht wurde. Weiter wird notiert:

"In diesem Treffobjekt der WTG erhielt der IM von 'Demag' die zur Unterweisung der 'Königreichsdienstschule' notwendigen Lehrstücke zum Selbststudium. Bei der Übergabe wurde der IM darauf hingewiesen, diese keinem Außenstehenden zu zeigen, nicht mit seiner Ehefrau und mit anderen ihm bekannten 'Zeugen Jehovas' darüber zu sprechen. Der IM erfuhr lediglich, daß die konkrete Unterweisung 7 Wochen später stattfindet.

Beim kurzfristig realisierten Treff mit dem IMB 'Konrad' übergab dieser die Lehrstücke, die sofort während des Treffs dokumentiert wurden. Es wurde während des Treffs entschieden, daß keine Maßnahmen des MfS zur Unterweisung der 'Königreichsdienstschule' eingeleitet werden, um die Sicherheit des IM zu gewährleisten, den bisher noch nicht dem MfS bekannten Ablauf dieser speziellen Unterweisung durch den IM in Erfahrung zu bringen und im Ergebnis daran Maßnahmen der Zersetzung einleiten zu können."

In seinen Ausführungen berichtet Riedel weiter, dass die Stasi in der gleichen ZJ-Versammlung noch einen weiteren wichtigen IM hätte. Den IMB "Kreutzer", der als Funktionär dort fest verankert sei. Auch letzterer war offensichtlich für die Schulung durch die "Königreichsdienstschule" vorgesehen. Über "Kreutzer" erfuhren die Stasiisten auch die näheren Termindetails, inklusive der für diese Schulung vorgesehenen Örtlichkeit. Nunmehr wurde seitens der Stasi beschlossen, die Schulung doch "hochgehen" zu lassen.

Riedel vermerkt: "Mit dem IMB 'Kreutzer' wurde am erwähnten Sonnabendvormittag noch ein Treff durchgeführt, und im Ergebnis dieses Treffs wurde bestätigt, daß die Unterweisung zur 'Königreichsdienstschule' zum geplanten Zeitpunkt stattfinden wird. Er wurde so instruierrt, daß diese Unterweisung durch das MfS zerschlagen wird und er einer Befragung zugeführt wird. In dieser wird er sich so verhalten, wie es einem 'Zeugen Jehovas' von der Organisation auferlegt ist, und dabei hat er dem Vernehmer nichts von der inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS zu berichten."

Letzteres trat ein und die sieben Schulungskandidaten, zuzüglich des Unterweisers, wurden in der Form eines faktischen "Standgerichts" überrumpelt. Sofort wurden gegen sie zu zahlende Geldstrafen in Höhe von 1000,- Mark bzw. 500,- Mark als Ordnungsstrafen verhängt.

Das auffliegen dieser Schulung hatte noch die "Nebenwirkung", dass seitens der Zeugen ihre Organisation umstrukturiert würde. Einige langjährige ZJ-Funktionäre sahen sich plötzlich ihres Postens enthoben. Pikanterweise stieg aber der "Kreutzer" bei dieser Aktion auf!

Voller Stolz resümiert Riedel: "Die Konspiration beider IM blieb vollkommen gewahrt, und gleichzeitig konnten sie ihr Vertrauensverhältnis innerhalb der Organisation festigen. Durch diese politisch-operative Maßnahme konnten konkrete Maßnahmen der Überprüfung der IMB 'Konrad' und 'Kreutzer' auf Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit vorgenommen werden, und ihr Verhältnis zum MfS festigte sich noch mehr."

Ach ja, fast hätte ich es als Berichterstatter "vergessen", noch ein wichtiges Dokument aus der Arbeit von Riedel zu zitieren. Es ist von besagtem "Kreutzer" unterzeichnet und trägt die Überschrift: "Betrifft: Einstellung meiner Tätigkeit als ZJ"

"Nach 15-jähriger Tätigkeit als ZJ kam ich Mitte der 60-iger Jahre zu der Einsicht, daß dies eine Zwangsjacke war. Mein Entschluß stand fest, mich von dieser Anschauung zu trennen. Als ich Anfang 1966 von Mitarbeitern des MfS vernommen wurde und die Frage auftauchte, ob ich zu einer Zusammenarbeit bereit wäre, gab es für mich kein Zweifel dies zu tun. Da ich erkannt hatte, daß die Art der Darlegung des Inhalts der Bibel durch die Organisation der ZJ eine Demagogie ist, die versucht die Menschen hinter sich her zu ziehen. Ich habe infolgedessen alles unternommen, um dazu beizutragen diese Sache bloßzustellen. Die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des MfS war und ist in dieser Hinsicht sehr fruchtbringend und nützlich."

Man vergleiche auch:

Zusatzbemerkung zu Y...

Kriegslist zum Anfassen

Hans-Hermann Dirksen

Noch nicht enttarnt

Heilpraktikerszene

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