Annotationen zu den Zeugen Jehovas
Einleitung zu Rutherford "Religion"


Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht begreifen und die Zukunft nicht gestalten. Dies gilt auch für Jehovas Zeugen, die in der Gegenwart keine Skrupel haben sich der Dienste eines amtierenden Theologieprofessors, aus "Babylon der Großen", der Mutter aller Huren (in der Lesart der Zeugen Jehovas) zu bedienen. Wer da mehr skrupelloser ist, der Herr B. oder seine Auftraggeber in Selters mag dahingestellt bleiben.

Ein Schlaglicht der diesbezüglichen Problemlage ist zum Beispiel in dem "Mitteilungsblatt der deutschen Verbreitungsstelle des W. T." vom März 1943 enthalten. In Zusammenfassung der Entwicklung der letzten Jahre wurde darin ausgeführt:

"Im Jahre 1936 vernahmen die Zeugen Jehovas, dessen Befehl, wider Edom aufzustehen zum Kriege (Obadja 1). Edom bedeutet die Religion angeführt von der röm.-kath. Hierarchie. Sofort machten sich Jehovas Zeugen daran, diesen Befehl auszuführen durch schonungslose Bloßstellung der Religion. Die Enthüllung, dass die Nazi und die Hierarchie zusammenarbeiten ist ein wesentlicher Teil der Bloßstellung. Dieses Werk wurde und wird hauptsächlich in dem Gebiet des Südkönigs getan und begann gerade zu der Zeit, wo die Hierarchie glaubte, die Vereinigten Staaten von Amerika einsacken zu können. "

Weiter wurde ausgeführt: "Die Bloßstellung geschah in Form von Broschüren, Büchern, Sprechplatten, Radioansprachen usw. … jedoch die Bloßstellung geschah in immer schärferer Form. Die Broschüren 'Faschismus oder Freiheit', 'Schau den Tatsachen ins Auge', 'Fünfte Kolonne', 'Verschwörung gegen die Demokratie', das Buch 'Religion', 'Feinde' und anderes mehr fanden eine vielmillionenfache Verbreitung."

In jener Bestandsaufnahme wurde es bereits mit genannt; das Buch "Religion". Kannten es die deutschen Zeugen Jehovas in der Untergrundorganisation? Wie vorstehend zu lesen war, als Titel sicher. Ob aber auch als eigentlichen Buchtext, muß weiter mit einem Fragezeichen versehen bleiben. Immerhin, in dem gleichen Mitteilungsblatt konnte man in einer Polemik gegen die Abweichler von der offiziellen WTG-Linie auch lesen:

"Auch empfehlen wir allen Fragestellern … die Broschüre 'Die fünfte Kolonne' und 'Verschwörung gegen die Demokratie', nochmals zu lesen, und zwar gründlich." Lässt man sich jene Aussage "auf der Zunge zergehen", dann muss man dazu anmerken, genannte Broschüren wurden von der Schweizer WTG nicht veröffentlicht, aus Gründen die noch genannt werden.

Der zitierte Text aus der deutschen Untergrundorganisation hingegen erweckt durchaus den Eindruck, als wenn sie zumindest einigen, aus der deutschen Untergrundorganisation jener Jahre bekannt und zugänglich gewesen wären! Indes es gibt noch ein weiteres einschlägiges Dokument aus der deutschen Untergrundorganisation. Das sind die "Mitteilungen A" aus dem Jahre 1944. In ihnen konnte man lesen:

"Während die Total-Herrschaft die ganze Erde überrennt und Harmagedon eilends herannaht, verlangen die Verhältnisse jetzt, daß Jehovas beauftragtes Volk und seine Gefährten dem Beispiel des 'Jägers' folgen. Es wird Euch deshalb eine große Freude sein, zu erfahren, daß der Herr uns die Gelegenheit geschenkt hat, die beiden Bücher 'Kinder' und 'Reichtum' in der bisher verbreiteten Abzugsform des WT, illustriert, für die Arbeit des Jahres 1944 in größerer Auflage herzustellen. Sie erscheinen als Fortsetzungen in je sechs Teilen, halbmonatlich, also fortlaufend an jedem ersten und fünfzehnten des Monats, beginnend mit dem 1. Februar 1944. Das Buch 'Kinder' wird als erstes hergestellt.

Verschwendet Eure kostbare Zeit nicht mit Diskussionen bei 'langjährig Interessierten' oder 'Bibelforscher-Chronologen.'"

Auch dieses Dokument offenbart, dass in der deutschen Untergrundorganisation, sehr wohl einige WTG-Publikationen kursierten, die erst nach den Beginn der Verbotsjahre erschienen waren.

Ende der dreißiger, Anfang der vierziger Jahre, hatte sich das Verhältnis Zeugen Jehovas zu den Großkirchen besonders zugespitzt. Zeitgenössische Beobachter sprachen es aus, dass das Rutherford-Buch "Religion" (1940 in Englisch erschienen) mit eine der "giftigsten Blüten" der gesamten Rutherfordpublizistik darstellte. Günther Pape beispielsweise, hat in seinem Buch "Die Zeugen Jehovas - Ich klage an. Bilanz einer Tyrannei" einige aussagekräftige Karikaturen daraus reproduziert (S. 145, 146).

Kurt Nitzschke beruft sich in seiner 1949 erschienenen Broschüre: "Die Zeugen Jehovas. Eine kritische Betrachtung" auf eine amerikanische Publikation "'Jehova's Witnesses' von F. E. Mayer, Professor für Systematische Theologie am Concordia-Seminar St. Louis, Missouri, der der Verfasser Wertvolles verdankt."
Im fraglichen Kontext zitiert Nitschke:

"F. E. Mayer nennt dieses Buch (Rutherford "Religion") 'das schlimmste und giftigste seiner vielen Bücher' - the most vituperative and vitriolic of his many books - , das nur eine Melodie kenne: Alle Religionen sind durch Satan eingeführt worden um die Menschen zu umgarnen. Babylon ist die Mutter aller Religionen und Religion ist nichts weiter als Dämonenverherrlichung oder ein organisierter Versuch, Gottes theokratischer Regierung Trotz zu bieten und den Menschen über Gott zu erheben. … Deswegen schauen die 'Zeugen Jehovas' mit souveräner Verachtung auf die 'Religionisten' herab. Sie glauben statt dessen die reine Wahrheit zu bringen."

In der Tat, Rutherford erklärte in jenem Buch wörtlich:
"Babylon war von Dämonen beherrscht, und das Volk betete Dämonen an. Seine Religion war Dämonismus. Satan, der oberste Dämon, hat von damals an bis heute Babylon (einschließlich aller Regierungen der Erde) als sein eigen beansprucht, und diesen Anspruch hat Jesus zur Zeit, da er auf Erden war, nicht verneint, sondern gelten lassen …

Die Schrift zeigt, daß die organisierte 'Religion' vom Teufel stammt, der sie gerade zu dem Zwecke schuf und in Tätigkeit setzte, das Menschengeschlecht von Gott abspenstig zu machen. Die Schrift beweist ferner deutlich, daß alle Nationen - die sogenannte 'Christenheit' der Gegenwart inbegriffen - 'Babylon' bilden."

Schon mit der Rutherford-Broschüre (aus dem Jahre 1939) "Faschismus oder Freiheit", geriet die Schweizer WTG arg ins schlingern. Der Vorwurf von politischer Seite lautete: Verächtlichmachung eines ausländischen Staatsoberhauptes (namens Hitler). Die Schweiz, in Sorge um ihre territoriale Integrität, meinte sich das politisch nicht leisten zu können. Die Angst saß auch den dortigen Politikern im Nacken bei ihrer Beschwichtigungspolitik.

1939 kam die WTG in der Schweiz noch mal mit einem "blauen Auge" davon. 1940 sah es bereits erheblich anders aus. 1940 musste auch in der Schweiz der "Wachtturm" sein Erscheinen einstellen, weil man nicht bereit war, ihn der Vorzensur zu unterwerfen. Lediglich das "Trost" war man bereit dieser staatlichen Anordnung zu unterwerfen um so sein Weitererscheinen sichern zu können.

Just zu diesem Zeitpunkt kam das Rutherford-Buch "Religion" heraus. Es sollte eigentlich in deutscher Sprache, auch in der Schweiz erscheinen. Die Vorarbeiten dazu waren weitgehend abgeschlossen. Dennoch erfolgte eine deutsche Publikation seitens der WTG nicht. Die Gründe wurden schon vorstehend genannt. Die Chance dieses Buch, in der aktuellen politischen Situation durch die Zensur durchzubekommen, waren gleich Null. Wurde doch darin über weltliche Regierungen auch pauschal verkündet:

"Alle Regierungen der Erde bilden einen Teil der sichtbaren Organisation des Widersachers und befinden sich unter dem Einfluß, der Macht und Gewalt böser Geister; doch ist dies wenigen, wenn überhaupt welchen von ihnen bekannt. Die Organisation ist mit Satan verbunden, gleich wie eine Frau oder ein Weib mit einem Manne vereint ist".

Was hätten wohl die staatlichen Zensoren, die auch ein Teil des Regierungsapparates in der Schweiz waren, dazu als Kommentar sagen sollen?

Darüber war sich auch die WTG im Klaren. Und in diesem Bewusstsein unterließ sie es auch, den Druck in deutsch, in Szene zu setzen. Wenige Jahre später war Rutherford nicht mehr WTG-Präsident. Sein Nachfolger Knorr setzte durchaus andere Akzente. Mit Rutherford's Religion-Buch wollte er sich wohl nach 1945 nicht mehr belasten. Also fiel es dem vergessen anheim. Ohnehin war den WTG-Strategen die helle Aufregung durchaus noch in Erinnerung, die jenes Pamphlet allein schon in den englischsprachigen Ländern verursachte.

Zu jenem Buch sei mir eine Vorabbewertung gestattet in der Form eines Vergleiches.

Im politischen Bereich spaltete sich nach dem Ersten Weltkrieg die Sozialdemokratie. Ihr radikalster Flügel wurde die KPD. Historiker sind sich heute weitgehend darin einig, dass sie durchaus sektiererische Züge aufwies. Besonders der KPD-Administration vor Ernst Thälmann (Stichwort: Ruth Fischer). Auch wenn der Vergleich historisch belastet ist (durch die Verleumdungen der Bibelforscher in der NS-Zeit als kommunistisch "gesteuert" - diese Unterstellung weise ich selbstredend mit Entschiedenheit zurück).

Dennoch drängt sich auch mir der Vergleich auf, die Bibelforscher /Zeugen Jehovas in den Jahren vor 1945 als "Kommunismus der Religion" zu titulieren. Nicht im organisatorischen Sinne. Da bestanden nachweisbar keine Querverbindungen. Wohl aber im geistesgeschichtlichem Sinne.

Die KPD der zwanziger Jahre war aufgrund ihres Sektierertums weitgehend politikunfähig. Man wird analoges auch den Bibelforschern attestieren dürfen. Sollte es je ein Kardinaldokument dieser sektiererischen Haltung gegeben haben, so dürfte es ohne Zweifel im Falle der Bibelforscher/Zeugen Jehovas das Rutherford-Buch "Religion" sein!

Weiter mit:

Rutherford Religion Kapitel 1


Schweizer Vorzensur
 

"Faschismus oder Freiheit"

Die Ära Rutherford

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