Annotationen zu den Zeugen Jehovas
Heilpraktikerszene

Kein Geringerer als der es bis zum Präsidenten der Wachtturmgesellschaft gebracht habende Fred W. Franz war es, der sich durchaus eindeutig für den "Berufszweig der Heilpraktiker" verwandte. Meinte er doch sogar, mittels einer "Weintraubenkur" die Krebskrankheit bekämpfen zu können. Auch das die Bibelforscher/Zeugen Jehovas sich in den dreißiger Jahren, besonders stark in einer Anti-Aluminiumkampagne engagierten, darf man wohl in den gleichen Zusammenhang einordnen.

Der Zeuge Jehovas Max Hollweg berichtet in seinem Erlebnisberichtsbuch auch davon, dass er zu dieser Berufszunft hinzugestoßen ist und sie etliche Jahre lang ausübte.

Und so ist denn bis in die Gegenwart feststellbar, dass etliche Zeugen Jehovas nicht übermäßig viel Vertrauen in die klassische "Schulmedizin" haben. Dafür aber um so mehr Vertrauen zu einigen sogenannten "Heilpraktikern", die offenbar davon ganz gut leben können. Natürlich wird seitens der Zeugen Jehovas offiziell auch die "Schulmedizin" anerkannt. Auch sind in der offiziösen Literatur der Zeugen Jehovas keine Artikel in der Art des "Weintraubenkur"-Artikels mehr nachweisbar. Dennoch ist durchaus zu differenzieren. Auf der internen Ebene, der Ebene der "Flüsterpropaganda" lebt die Begünstigung von Heilpraktikern bei ihnen fort.

In ihrem Buch "Mißbraucht, benutzt und weggeworfen im Namen Jehovas" berichtet Margaret Huber auch darüber (man vergleiche in ihrem Buch die Seiten 124-126 bzw. die Internetausgabe davon. Dort das Kapitel "Der Sündenfall").

Nicht nur in der alten Bundesrepublik ist das Phänomen des "Heilpraktikertums" zu registrieren. Auch in der seinerzeitigen DDR gab es ähnliches. Zwar waren die dort nicht übermäßig gut gelitten. Soweit sie aber bereits etabliert waren, ließ der Staat sie weitestgehend gewähren; sofern sie nicht irgendwelche gravierende "Kunstfehler" machten.

Einer aus dieser Sparte machte allerdings einen solchen. Ein Fehler, der sich sogar für einen Propagandaartikel in der DDR-Presse ausnutzen ließ. Und zwar in der in Gera erschienenen Tageszeitung "Volkswacht", in der man am 15. April 1980 die nachfolgenden Ausführungen lesen konnte:

Ein "bescheidener" Bürger
Gerechte Bestrafung zur zügellosen Gewinnsucht
Aus dem Gerichtssaal
"… ich bin ein Mann der Bescheidenheit, denn Geld ist die Wurzel allen Übels" sagte der Angeklagte Albin K., Heilpraktiker aus Oberböhmsdorf, Kreis Schleiz, am 7. 3. 1980 vor dem Kreisgericht Schleiz.

Obwohl dieser Ausspruch für den Angeklagten zu sprechen scheint, zeigte sich in der Verhandlung, daß hinter der Miene eines Biedermannes verbrecherische Gewinnsucht und hinter vorgetäuschter Nächstenliebe nur der eigene Verdienst gesucht wurde. Wenn K. beteuerte, daß er stets bemüht war, dem Staat zu geben, was des Staates war, so zeigte die Beweisaufnahme, daß der Angeklagte vor allem seinen persönlichen Vorteil im Auge hatte und selbst bestimmte, was er für den Staat und die Gesellschaft als ausreichend betrachtete.

Der sozialistische Staat bringt dem selbstständigen Gewerbetreibenden das Vertrauen entgegen, die Einnahmen aus seiner beruflichen Tätigkeit aufzuzeichnen und entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen seine Steuererklärung eigenverantwortlich zu erarbeiten. Diese Praxis unseres sozialistischen Rechts hat sich bewährt und ermöglicht eine unbürokratische Berechnung und Zahlung fälliger Steuerbeträge. Die Vielzahl der Gewerbetreibenden nutzt diese Vorteile und bezahlt ehrlich, entsprechend den gesetzlichen Festlegungen die Steuern.

Nicht so der Angeklagte! Schon in der Vergangenheit gab es verschiedentlich Unstimmigkeiten in den Steuererklärungen des K. und er wurde darauf aufmerksam gemacht, wie und in welcher Form Steuern zu berechnen und zu zahlen sind. Dies hinderte den Angeklagten aber nicht, in der Zeit von 1974 bis 1978 seine Steuererklärung derart zu frisieren, daß eine Steuerverkürzung von 125 586 Mark entstand.

Mittel, die also vielen Bürgern unseres Staates zugute gekommen wären, wurden durch den Angeklagten nur zu seinem persönlichen Vorteil und zu seiner persönlichen Bereicherung verwendet. Schließlich wollen ein Lada 1600, ein Wartburg Tourist und ein Trabant unterhalten und der aufwendige, ungenehmigte Umbau seines ehemaligen Wohnhauses finanziert sein. Die zwischen verschmutzten und selbstgefertigten Medikamenten in der jeder Hygienevorschrift widersprechenden Praxis gefundenen 33 000 M. runden das Bild des Angeklagten in der Art ab, daß er seine Umwelt mit großen Sprüchen zu beeindrucken wußte, sein Leben aber in keiner Weise nach diesen Grundsätzen gestaltete.
Bei dem vorgefundenen Geld handelt es sich unter anderem um den Erlös aus dem Verkauf ungesetzlich hergestellter und von dem Angeklagten zu Überpreisen abgegebener sogenannter Heilmittel.

Die dem Angeklagten zur Last gelegten Steuerverkürzungen kamen dadurch zustande, daß er über Jahre hinaus einen festen Betrag als zu versteuernde Summe angab und alle diesen Betrag übersteigenden Einnahmen als "Trinkgelder" bezeichnete, die nach seiner Ansicht nicht zu versteuern seien. Dadurch entstand eine zunehmend höhere Steuerschuld, bis zu der im Strafverfahren relevanten Summe. Hinzu kommt noch, daß K. keine ordentliche Buchführung über seine Einnahmen aufzuweisen hatte und dadurch die Steuerprüfung wesentlich erschwerte.

In der mit viel Geduld seitens des Gerichtes geführten Beweisaufnahme, in der der Angeklagte kaum zur Aufklärung seiner strafbaren Handlungen beitrug, wurden die Verbrechen des K. aufgeklärt und herausgearbeitet, daß er bewußt und in Kenntnis gesetzlicher Vorschriften gehandelt hat. Unter Berücksichtigung der Schwere des Verbrechens beantragte der Staatsanwalt nach § 176 Abs. 1 und 2 StGB zwei Jahre und drei Monate Haftstrafe, 10 000 M Geldstrafe und fünf Jahre Tätigkeitsverbot. Außerdem ist K. zur Nachzahlung der verkürzten Steuern in Höhe von 125 586 M. gesetzlich verpflichtet. Dem beantragten Strafmaß schloß sich das Gericht in voller Höhe an. Das Urteil wurde dem K. am 10. 3. 1980 verkündigt und ausgehändigt. Der Angeklagte nahm das Urteil an.

Soweit dieser für die Öffentlichkeit bestimmte Pressebericht. Mit keinem Wort wird in ihm auf die religiöse Bindung des Albin K. eingegangen. An anderer Stelle indes sehr wohl. Wahre Kübel voll Krokodilstränen vergoss dazu das DDR Blatt "Christliche Verantwortung", die zu seinem Fall eigens einen sogenannten "Sonderdienst Nr. 1" veröffentlichte. Es reichte ihr also nicht aus, innerhalb ihrer regulären Spalten darüber zu berichten. Nein, es mußte eigens dafür eine Zusatzpublikation unter dem Titel "Sonderdienst" sein.

Wenn man die angespannte Lage der DDR auf dem Papiersektor kennt, wenn man weiß, wie Verlage um jedes Gramm Papier äußerst aufwendig feilschen mußten. Und im Endeffekt vielfach doch nicht die Menge erhielten, die sie eigentlich haben wollten. Wenn man das alles kennt, dann bewertet man den Fakt, dass darüber eigens ein "Sonderdienst" in Szene gesetzt wurde, allerdings mit anderen Augen. Und in jetziger Kenntnis der entsprechenden Stasiakte kann ich nur sagen. Mein damaliges Misstrauen hat sich durchaus bestätigt.

Jener "Sonderdienst" berichtet nun auch, hocherfreut, dass neben der "Volkswacht" selbst die westdeutsche "Frankfurter Allgemeine Zeitung" über diesen Fall berichtet haben soll. Ferner in einer eigenen redaktionellen Stellungnahme unter der Überschrift: "Notizen und Meinungen zu den Praktiken des Heilpraktikers Albin K." Dort liest man:

"Geh' doch mal zu Bruder Albin dem Heilpraktiker. Er wohnt in der Nähe von Schleiz und hat mit Jehovas Hilfe schon vielen Kranken geholfen!" So wurde von vielen für Bruder Albin geworben. Das Gericht war offensichtlich sehr großzügig und hat nur die Jahre 1974 bis 1978 zugrunde gelegt. Es kam auf eine Steuerschuld von 125 586 Mark die entstand, weil Albin K. in der Steuererklärung jeweils nur eine von ihm selbst festgesetzte Summe angab, die sich in den Jahren kaum veränderte. Hatte er bei seinen Einnahmen diesen Betrag jeden Monat erreicht, so behandelte er 'kostenlos', das heißt, er verlangte kein Honorar, lehnte aber Trinkgelder nicht ab, Trinkgelder, die in der Regel höher lagen als die üblichen Honorare, die er für die Pulverchen und Tränke verlangte. So waren die Einnahmen vielfach höher als die versteuerten Beiträge.

Er gab sich zwar als Bruder aus, mir als Rentnerin aber nahm er trotzdem für jeden Besuch 15,-- Mark ab. Mit dieser Reminiszenz würzt dieser "Sonderdienst" noch seinen Bericht.

Hatte der Albin K. nur "Freunde"? Mit Sicherheit nicht. Es gab offenbar einige, die aus durchaus unterschiedlichen Gründen nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen waren. Und es gab auch das Faktum, dass die DDR-Staatssicherheit in seinem Fall kräftig im Hintergrund mitmischte. In den Stasiakten findet sich beispielsweise ein anonymes, handschriftliches Schreiben. (MfS-HA IX Nr. 51 Bl. 23). Man kann darüber rätseln, ob es authentisch ist, oder von der Stasi selbst fabriziert wurde. Beide Möglichkeiten sind meines Erachtens denkbar.

Ich möchte diese Frage daher sehr wohl offen lassen. Obwohl mir bekannt ist, dass die Stasi in seinem Fall aktiv im Hintergrund wirkte, worüber weiter unten noch zu sprechen sein wird. Obwohl dieser Sachverhalt besteht, halte ich es durchaus nicht für ausgeschlossen, dass jenes anonyme Schreiben einen tatsächlichen Verfasser, außerhalb der Stasi hatte. In ihm wurde ausgeführt:

Werte Herren!
Ich möchte hiermit eine Anzeige erstatten.
Ich weiß, daß seit Jahren in regelmäßigen Abständen bei Herrn … in Waltershausen ein Heilpraktiker … tätig wird. Ich selbst war dort ebenfalls in "Behandlung", was Sie am Rezept auch sehen können. Ich empfinde es als Scharlatanerie und Kurpfuscherei, was einem dort geboten wird! Ich selbst habe mehrmals 20,- Mark bezahlt und habe keinen Nutzen gehabt. Ich habe sogar von einem Selbstmord in Potsdam gehört, weil die Medizin nicht geholfen hat. Da ich keine Selbstmordabsichten habe, aber möchte, daß diesem Schindluder mit dem Gewissen von Glaubensbrüdern endlich ein Ende bereitet wird, wende ich mich an ihre Institution. Ich verurteile diese Gesetzesverletzung und schließe nicht aus, daß der … vielleicht noch woanders seine "Stunden abhält".

Er wird reich und reicher und braucht womöglich dafür keine Steuern zahlen und wir müssen uns das Geld sauer verdienen. Von einer Glaubensschwester erfuhr ich, dass der … am 29. Juli vormittags wieder praktiziert. Ich werde nicht dort sein. Ich bitte Sie hiermit, gegen diese Scharlatanerie energisch vorzugehen. Sollten Sie meinen Worten keinen Glauben schenken, überzeugen Sie sich am 29. Juli. Sie haben Gelegenheit dazu.
Im Interesse meines Glaubens und des Schutzes meiner Person gegenüber den Brüdern bitte ich von Recherchen zu meiner Person abzusehen.

Auch wenn man dieses Schreiben als von der Stasi selbst fabriziert ansehen sollte um einen formalen Grund zu haben, weshalb man gegen den Albin K. vorgehe. Selbst wenn man dies so einschätzen sollte (und diese Möglichkeit kann nicht ausgeschlossen werden), gilt es doch noch mal auf die Frage zurückzukommen, die da im Umkehrschluß lautete: Ob Albin K. nur Feinde hatte?

Er hatte auch Freunde. Und einen unter ihnen gilt es besonders namhaft zu machen. Nämlich die Organisation der Zeugen Jehovas. Wie war denn die Sachlage. Gemessen an der Einkommenssituation anderer, "schwomm" der Freiberufler Albin K. förmlich im Geld. Sein Vermögen war er aber auch bereit - in gewissem Rahmen - mit für die Interessen der Zeugenorganisation zu verwenden.

Man kennt auch aus der Gegenwart ähnliche "Geschäftsfälle". In einer der vielen "Standhaft"-Veranstaltungen, über die auch ein Video vorliegt, und zwar über die Veranstaltung in Mauthausen. Dort konnte man registrieren, dass der den Zeugen Jehovas zuzuordnende Reiseunternehmer Proske, auch als Moderator auftrat. Und Herr W. von der WTG bedankte sich artig bei Proske für dessen logistisches und vielleicht auch finanzielles Engagement dabei. Also auch da war eine Liaison zwischen den Interessen eines Unternehmers und den Interessen der WTG gegeben.

Analog verhielt es sich (im bescheideneren Rahmen) auch im Fall Albin K. über den die Stasi notiert, dass er "Inhaber eines konspirativen Stützpunktes der illegalen Sekte 'Zeugen Jehovas' sei."

Sie notiert weiter:
"Es konnte herausgearbeitet werden, daß seit dem 16. 11. 1977 bis 17. 06. 1979 zehn Zusammenkünfte von jeweils 40-60 Zeugen Jehovas aus mehreren Bezirken der DDR im Objekt des … stattfanden. Die Abdeckung dieser Zusammenkünfte erfolgte mittels der Durchführung einer staatlicherseits nicht genehmigten Heilpraxis durch den Heilpraktiker …"

Damit war der Albin K. der Stasi unbequem geworden. Ihre berüchtigten Zersetzungsmaßnahmen wurden auch ihm gegenüber zur Anwendung gebracht. Das Endergebnis dessen, wurde vorstehend beschrieben.




Weintraubenkur


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