Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Oberstes Gericht der DDR

Aus der Urteilsbegründung im Zeugen Jehovas-Prozess (1950)

(Veröffentlicht in:

"Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR in Strafsachen"

Band I, Berlin 1951)

1. Die Tätigkeit der Funktionäre der Organisationen der Zeugen Jehovas ist Kriegs- und Boykotthetze im Sinne des Artikels 6 der Verfassung und verstößt außerdem gegen Abschnitt II Art. III A III der KRD Nr. 38.

2. Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik ist ein unmittelbar anzuwendendes Strafgesetz. Die in ihm aufgezählten Handlungen stellen keine einzelnen Tatbestände, sondern Begehungsformen e i n e s Tatbestandes dar.

1. Strafsenat, Urteil vom 4. Oktober 1950 - 1 Zst. (I) 3/50 -

Aus den Gründen:

I.

Die reaktionären Kreise des Auslandes und Westdeutschlands sind voll Hass gegen die schöpferischen Bemühungen und Erfolge des deutschen Volkes in der Deutschen Demokratischen Republik. Sie fürchten den nationalen Kampf des deutschen Volkes um Herstellung der Einheit Deutschlands und sie - die Kriegsbrandstifter und ihre Helfershelfer fürchten die Friedensbewegung in Deutschland in der Erkenntnis, dass Deutschland ein entscheidender Faktor in der Erhaltung des Friedens in Europa ist. Die Friedensbewegung in Deutschland, die Erfolge der friedlichen und fortschrittlichen Politik der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und die Vorbereitung der Wahlen vom 15. Oktober 1950 wollen sie auch durch breite Agitation stören. Durch Kriegshetze und Hetze gegen die Sowjetunion und die friedliebenden Völker suchen sie Unruhe in die Deutsche Demokratische Republik zu tragen; durch systematische Spionage suchen sie die eigenen Kriegsvorbereitungen zu fördern.

Zu den Organisationen, deren sich die ausländischen Reaktionäre zum Zwecke der Spionage und Wühlarbeit gegen die Deutsche Demokratische Republik bedienen, gehört nach der Anklage die Watch Tower Bible and Tract Society, auch "Wachtturmgesellschaft" genannt, mit dem Sitz in Brooklyn (USA) und deutschen Zweigbüros in Wiesbaden, West-Berlin und Magdeburg.

Ihre Mitglieder nennen sich "Zeugen Jehovas", über deren Organisation und Betätigung sich folgendes Bild ergab: In B r o o k 1 y n (USA) besteht die internationale Zentrale der Gesellschaft, an deren Spitze der Amerikaner K n o r r steht. Von dort aus werden die Zweigbüros in 65 Ländern auch die deutschen Zweigbüros, straff zentralistisch geleitet. Die organisatorischen Bestimmungen, von der Gesellschaft "theokratische Gesetze" genannt, sehen eine ständige Berichterstattung an die Brooklyner Zentrale vor. Die Weisungen der Zentrale werden von allen Zweigen befolgt.

Der deutsche Zweig hat seit langen Jahren seinen Sitz in Magdeburg. Der von der Zentrale in Brooklyn in Deutschland eingesetzte "Zweigdiener" F(rost) verlegte nach 1946 seinen Hauptsitz nach Wiesbaden. Dort konnte die Gesellschaft bevorzugte Rechte in Anspruch nehmen und im übrigen unter dem Schutz der amerikanischen Besatzungsmacht ungehindert ihre verbrecherische Tätigkeit entfalten. Der deutsche Zweig der Gesellschaft wurde in einem Ost- und einen Westbezirk unterteilt. Für den Ostbezirk, der des Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik umfasste, wurde in Magdeburg eine dem Büro Wiesbaden und dessen Leiter F(rost) unterstellte Leitung eingerichtet. Als vertretender Leiter für das Büro Magdeburg wurde ein Funktionär, W(auer), der nunmehr geflohen ist, eingesetzt. Zugleich wurde aber ein Büro in West-Berlin, Brunnenstraße eingerichtet, welches gleichfalls unter Leitung des F(rost) stand. Dieses Büro war nicht für die örtliche Berliner Organisation eingerichtet, sondern "vermittelte" den Verkehr vom Westen mit den Organisationen in den Bezirk "Ost". Dieses Berliner Büro diente zur Leitung und Durchführung von Tätigkeiten, die in Magdeburg und von Magdeburg aus nicht bewerkstelligt werden konnten; im besonderen konnte von Berlin aus der Vertrieb der in Amerika und der Schweiz gedruckten und hier nicht lizenzierten Literatur - illegal - in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik erfolgen. West-Berlin hat auch hier die Aufgabe als Störungszentrum gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik erfüllt.

Der gesamte Bezirk "Ost" war - wie jeder Bezirk - in Kreise aufgeteilt, an deren Spitze die hauptamtlich eingesetzten "Kreisdiener" standen. Die Kreise hatten eine Anzahl von Gruppen, denen die "Gruppendiener" vorstanden, die ihrerseits als Leitungskörperschaft ein "Dreibrüder-Komite" zur Seite hatten; die Gruppendiener hatten direkte Verbindung zum einfachen Mitglied der Organisation.

Diese zentralistisch nach unten sich vollkommen verzweigende Organisationsform ermöglicht der Leitung in Brooklyn unter dem Vorwand religiöser Betätigung die Funktionäre und die Masse der Anhänger der Sekte nach ihrem Belieben zu dirigieren. Über das Organisationsprinzip sind alle Funktionäre orientiert und bestätigen es. Weisungen der Zentrale müssen von allen "Zeugen", von den Funktionären bis zum einfachen Mitglied, nach den Prinzipien der Gesellschaft auch unbedingt erfüllt werden. Diese Prinzipien und Praktiken ermöglichen der Organisation unter Anwendung bestimmter Methoden bis in jede Familie und zu jedem einzelnen Menschen zu dringen, ohne dass die Menschen, denen das einfache Mitglied der Sekte, der "Zeuge" oder der "Prediger" entgegentritt, erkennen, dass dieser Zeuge über alle Wahrnehmungen systematische Aufzeichnungen macht, die durch die Organisation bearbeitet und ausgewertet werden, und dass die Berichte nach Amerika gehen, wo sie über Brooklyn dem amerikanischen Spionagedienst zur Verfügung stehen. Dadurch, dass jedem Mitglied die Befolgung der Weisungen und höchste Aktivität in der Verbreitung der Propaganda der Wachtturmgesellschaft und der Vorschriften derselben, fortgesetzte Agitation in Form von Richtlinien, Predigten und "Gottesdiensten" sowie "Dienstbesprechungen" zur Pflicht gemacht wird, dass jedes Mitglied angehalten wird, all seine Kräfte der Verbreitung der Ideen und Propaganda zu widmen, verfügt die Gesellschaft in jedem Lande über ein nach Tausenden und mehr zählendes Heer, welches sie zur Leistung der Spionagetätigkeit, Boykotthetze gegen die Demokratien, für Völkerhass und Kriegshetze befähigt. Die amerikanischen Hintermänner der Gesellschaft versehen durch die Brooklyner Zentrale die Sekte in Deutschland wie in anderen Ländern mit "Literatur", die in politischer Hinsicht jene üblen Quellen aufweist, die im RIAS-Sender und den schlimmsten gegen die Sowjetunion, die Volksdemokratien und die Deutsche Demokratische Republik gerichteten Hetzblättern ihren Niederschlag finden. Die Propaganda, die von der Sekte betrieben wurde, förderte daher unmittelbar die kriegstreiberischen imperialistischen Tendenzen und Einflüsse.

Nicht ohne Bedeutung ist auch, dass die Mitglieder der Sekte 'von Amerika in reichem Maße mit "Liebesgaben" bedacht wurden: allein im "Dienstjahr' 1948 kamen in den Bezirken Ostdeutschlands 22 000 CARE-Pakete und eine Kleidersendung von 220 Tonnen an sie zur Verteilung.

II.

Die Angeklagten sind Funktionäre dieser Organisation und haben sich in verantwortlicher Stellung für sie betätigt …

(Folgen Ausführungen über die Person und die Stellung der Angeklagten innerhalb der Organisation.)

III

Die in der Anklage als "Spionage" bezeichnete Tätigkeit der Angeklagten äußerte sich im Einzelnen wie folgt:

1. Die Bezirksleitung in Magdeburg forderte seit 1946 laufend auf Anordnung der Brooklyner Zentrale von den Funktionären (Kreis- und Gruppendienern) und den Mitgliedern im Gebiete der Deutschen Demokratischen Republik u. a. die Aufstellung von "Gebietskarten", das heißt von Straßen- oder Ortsskizzen des Gebietes, das einem "Zeugen" zur "Bearbeitung" übertragen war. In diese Karten sollten VVB-Betriebe, Post, Feuerwehr, Polizeigebäude, Sowjetische Kommandanturen, Brücken, Eisenbahnüberführungen, Flugplätze und Flugbetriebe, Fabriken und Werke eingezeichnet werden. Im Zusammenhang hiermit wurden sogenannte Haus-zu-Haus-Zettel angefertigt, welche die " "Interessierten" und die "Gegner' verzeichneten. Die Gebietskarten gingen nach B r o o k 1 y n ; soweit sie bei den Gruppen verblieben, gehörten sie zu dem Gruppenmaterial, das für den Fall des Verbotes der Organisation ausdrücklich sichergestellt werden sollte.

Es ist einleuchtend, dass die Gebietskarten zusammenfasst eine Sammlung wirtschaftlicher und militärischer Angaben darstellten, die für den amerikanischen Spionagedienst außerordentlich wertvolles Material enthielt.

2. Die Sammlung von politischen und militärischen Angaben wurde noch dadurch vervollständigt, dass auf Weisung der Zentrale Brooklyn die Leitung in Magdeburg im Einvernehmen mit der Leitung in West-Berlin und Wiesbaden die Erforschung von ihr wichtig erscheinenden Adressenmaterial veranlasste und dessen Übersendung nach Brooklyn vornahm.

Es sollten, wie es der Angeklagte H(einicke) in dem sogenannten Kirchlichen Nachrichtendienst vom 2. Juni 1949, der von dem Büro in Magdeburg regelmäßig an alle Funktionäre verschickt wurde, formulierte, die Adressen führender Persönlichkeiten, z. B. von Bürgermeistern, Polizeipräsidenten, Landgerichts- und Amtsgerichtspräsidenten, Richtern. Staatsanwälten, Kreispolizeiangestellten überhaupt möglichst viele Adressen von Volkspolizeioffizieren) gesammelt und mitgeteilt werden.

Solche Aufforderungen waren bereits im Jahre 1947 ergangen. Auch noch in diesem Jahre wurden Anschriften von höheren Staatsangestellten mit dem Bemerken verlangt, dass es sieh um die Anlage einer Kartei handle.

Tatsächlich wurde im Hause der Gesellschaft in Magdeburg ein Buch über Berichte der einzelnen Gruppen vorgefunden, in welchem Angaben über die Kommandanten der Sowjetischen Besatzungsmacht und über Dienststellen der Volkspolizei enthalten sind. Dabei wurde vom Angeklagten H(einicke) zugestanden, dass sich die Zentrale in Brooklyn für genaue Angaben über Dienststellen und Kommandanturen interessiert habe, welche gegen die Sekte aufgetreten seien, und dass W(auer), dessen Mitarbeiter er war, deren Weiterleitung nach Brooklyn veranlasst habe.

3. Des weiteren wurden Berichte über besondere Vorfälle - Schwierigkeiten mit Behörden - verlangt. Die Berichte wurden mit Kurieren nach Magdeburg gesandt, von dort weitergeleitet und gingen zum Hauptbüro nach Brooklyn.

Zu der Erforschung von Staatsgeheimnissen gehört auch die an einzelne Funktionäre, wie an den Angeklagten B(är), bereits im Jahre 1947 gerichtete Aufforderung, "plötzliche Vorkommnisse, wie politische Aufstände, Wahlen, religiöse Störungen oder Verwirrungen, Auseinandersetzungen, Revolutionen, Katastrophen, Flugzeuge und Fliegerei .... Verfolgungen, Oppositionen gegen die Wahrheit" u. a. festzuhalten und zu berichten. Es wurde dies zur Verwertung durch die Zeitschrift "Awake" mit dem Beifügen verlangt, dass "Awake" in Brooklyn großes Interesse an Vorgängen und Berichten aus Deutschland habe, was begreiflich sei, weil "das Augenmerk aller Welt auf Deutschland gerichtet" sei.

4. Die Leitung in Magdeburg forderte weiter im Nachrichtendienst vom 12. Juni 1950 Berichterstattung über die innerbetriebliche Schulung. Diese Berichterstattung wurde von der Leitung in Magdeburg im Einvernehmen mit W(auer) vom Angeklagten H(einicke) angeordnet, die Berichte selbst wurden über W(auer) und F(rost) an die Zentrale in Brooklyn weitergeleitet.

Die Aufforderung zur Erstattung dieser politischen Informationen wurde auch noch im August 1950 auf einer Tagung der Kreisdiener in Berlin wiederholt, weil den Berichten offensichtlich vom Standpunkt der Spionage aus erhebliche Bedeutung beigemessen wurde.

5. Schließlich beweist der Fund einer Zeichnung des ehemaligen Flugplatzes Quedlinburg-Quarmbeck, auf dem sich jetzt eine Unterkunft der Volkspolizei befindet, bei dem Angeklagten S. und der einer technischen Zeichnung aus einer volkseigenen Werft in W. bei dem Angeklagten Z(innall)., dass für die Beschaffung von Unterlagen über besonders, interessierende Objekte noch Sonderaufträge erteilt wurden. Auf die geschilderte Weise hat der amerikanische Imperialismus für ihn notwendiges, wichtiges Informationsmaterial erhalten; die "Zeugen Jehovas" haben durch die Angeklagten einen Beitrag zur Vorbereitung zu dem von den Imperialisten erstrebten Kriege geleistet.

IV.

Diesem Ziele diente aber auch die zum Teil in Form religiöser Agitation gehaltene Tätigkeit der Sekte und damit der Angeklagten, die die Hetze gegen die Einrichtungen und Maßnahmen unseres Staates zum Gegenstand hatte.

Alle Gruppen und Mitglieder der Sekte wurden instruiert, dass es den Auffassungen der "Zeugen Jehovas" entspreche, gegen die Unterzeichnung des Stockholmer Appells, gegen die am 15. Oktober 1950 durchzuführenden Volkswahlen und überhaupt gegen die Ziele der Nationalen Front in der Bevölkerung aufzutreten. Die Gruppen und Mitglieder erhielten fortlaufend antidemokratische, hetzerische, wie oben erwähnt, nicht lizensierte Zeitschriften, Bücher und Broschüren, Predigten, Rededispositionen Den Mitgliedern wurde von der Magdeburger Leitung und den anderen Funktionären zur Pflicht gemacht, die in diesen Schriften enthaltenen Hetzartikel und das sonstige Material zum Gegenstand ihrer Propaganda zu machen. Dies haben breite Massen der Mitgliedschaft und vor allem auch sämtliche Angeklagte getan. Dabei war das Agitieren der Sektenanhänger deshalb in seiner Auswirkung besonders gefährlich, weil es in religiöser Tarnung auftrat. Unter dem Vorgeben, dass die Zeugen Jehovas' gegenüber Politik und Staat Neutralität bewahrten, waren sie tatsächlich Gegner aller fortschrittlichen Bestrebungen, ergriffen dabei alle Gelegenheiten um zu agitieren und "predigten" vor allem in Haus-zu-Haus-Besuchen der Bevölkerung ihre "Auffassungen" …

Im Zusammenhang mit einer Darstellung über den Verlauf einer für die ehemalige Ostzone in West-Berlin, in der Waldbühne, durchgeführten Jahresversammlung vom 29. bis 31. Juli 1949 werden im "Jahrbuch" 1950 und im "Wachtturm" Nr. 7, 1950, durch Wiedergabe der auf der Versammlung gehaltenen Reden, einer dort gefassten Entschließung und weitere Hinzufügungen verleumdende und hetzerische Darstellungen gegeben …

Wenn auch keine ausdrücklichen Anweisungen gegeben waren, gegen die Volkswahlen aufzutreten, so wurden doch solche Empfehlungen und Hinweise - dass man persönlich gegen die Wahl sei - in so klarer und bestimmter Art gegeben, dass jeder "Zeuge Jehovas" sehr wohl verstand, dass er gegen die Wahl agitieren müsse, und das haben alle Angeklagten auch getan.

In gleicher Weise gingen alle Belehrungen und Instruktionen bezüglich der Unterzeichnung des Stockholmer Appells zur Achtung der Atombombe dahin, unter der Bevölkerung gegen die Unterzeichnung Stimmung zu machen. Diese Agitation wurde mit der Drohung verbunden, dass Jehova diesen Krieg wolle, damit die Menschen durch die Atombombe wie in einer Sintflut vernichtet werden, aber die Anhänger Jehovas übrig bleiben. Dieser Krieg, gegen den die Menschen sich nicht sträuben, sondern den sie hinnehmen sollten, wurde als der kommende "gerechte" Krieg dargestellt und wurde als real drohender Krieg verstanden, bei dem - nach der Agitation der Sekte - es falsch sei die Verwendung der Atombombe zu verbieten.

Im Auftrage von Brooklyn wurde von den verantwortlichen Personen der Leitung in Deutschland und den Funktionären die Überführung der gesamten Sekte in die Illegalität vorbereitet. Die Leitung in Magdeburg gab zentrale Richtlinien für den Übergang in die Illegalität aus. Hierzu diente insbesondere ein umfangreiches von Brooklyn stammendes Material mit dem Titel "Freiheit des Gottesdienstes". Es ist offensichtlich von allen Funktionären verwendet worden, spricht von dem Erfordernis "theokratischen Taktes", empfiehlt damit Doppelzüngigkeit und führt auch an, dass es Ratschläge für alle Verkündiger "der theokratischen Regierung enthält .... vertraulich ist und .... dem Feinde nicht gezeigt werden sollte".

Die Überleitung in die Illegalität erfolgte, um dadurch die verbrecherische Tätigkeit der Sekte tarnen und weiter ausüben zu können.

Der Beginn der Untergrundtätigkeit sollte auf eine herauszugebende Parole erfolgen. Man brachte den Zynismus auf, dazu die Worte "Beteiligt euch an den Friedenskundgebungen" festzusetzen.

V.

Die Angeklagten haben sich an diesen Verbrechen der "Zeugen Jehova" folgendermaßen beteiligt: …

(Folgt Darstellung.)

Der Bestrafung der Angeklagten liegt der Artikel 6 Abs. 2 der Verfassung der Deutschen DemokratischenRepublik, sowiee Abschnitt II Artikel III A III der Direktive 38 des Kontrollrats zugrunde. Artikel 6 Abs. 2 ist ein unmittelbar anzuwendendes Strafgesetz. Er enthält selbst zwar keine Strafandrohung spricht jedoch aus, dass die in ihm genannten Handlungen Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches sind. Die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik bringt im allgemeinen und im besonderen in ihrem Artikel 144 - zum Ausdruck, dass alle ihre Bestimmungen geltendes Recht sind. Es würde deshalb in Widerspruch zu entscheidenden Grundgesetz in unserer Verfassung stehen, wenn gerade dem Artikel 6 einem der wichtigsten Schutzgesetze unserer Ordnung unmittelbare Wirkung versagt würde.

Die in ihm selbst nicht enthaltenen Strafbestimmungen sind daher dem allgemeinen Strafgesetzbuch zu entnehmen. Dieses droht für Verbrechen als Strafe an: Todesstrafe, lebenslängliche Zuchthausstrafe und zeitliche Zuchthausstrafe. Alle diese Strafen finden für Verstöße gegen den Artikel 6 der Verfassung nach der Schwere der Tat Anwendung. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass Artikel 6 als Teil unserer Verfassung, des Grundgesetze unseres Staates, ein Gesetz ist, das nur für Straftaten solcher Schwere Anwendung zu finden hat, die den Charakter eines Verbrechen tragen.

Seiner Stellung innerhalb der Verfassung nach ist Artikel 6 ein Gesetz, das die Gleichberechtigung des Bürgers und zugleich aller Menschen (Grotewohl vor dem Deutschen Volksrat) schützt. Es ist aber damit zugleich eines der Grundgesetze die die Staatsordnung in der Deutschen Demokratischen Republik überhaupt schützen.

Es enthält e i n e n Tatbestand, der durch die aufgezählten verschiedenen Begehungsfornen: Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker Kriegshetze usw., verwirklicht werden kann.

Die im einzelnen festgestellten Handlungen der Angeklagten stellen nun diese Verletzung des Gesetzes in folgenden Formen dar:

1. "Spionage. Auch die mit dieser Bezeichnung gekennzeichneten Handlungen der Angeklagten enthalten einen Verstoß gegen Artikel 6 der Verfassung, ohne dass es in der rechtlichen Beurteilung einer Anlehnung an aufgehobene Bestimmungen des Strafgesetzbuches bedarf, und ohne dass eine solche in irgendeiner Weise, z. B. bezüglich des Inhalts des Vorsatzes, den Erfordernisses einer besonderen Absicht, oder des Strafmaßes vorzunehmen ist. Die Angeklagten, deren Handlungen als Spionage bezeichnet werden, haben im Dienste des amerikanischen Imperialismus gehandelt. Die Bedeutung dessen, was sie getan haben, kann nur erfasst werden, wenn die Rolle berücksichtigt wird, die die Vereinigten Staaten seit Jahren in der Weltpolitik spielen. Die letzten Ereignisse - die Konferenz der Außenminister in Neuyork, die unmittelbaren Kriegsvorbereitungen und Kriegsrüstungen im Gebiet Westdeutschlands - lassen klar erkennen, wie der amerikanische Imperialismus den Krieg gegen die friedliebenden Völker der Welt, die Sowjetunion, die Volksdemokratien, vorbereitet und wie nicht nur Westdeutschland, sondern ganz Deutschland Kriegsschauplatz werden soll. Es ist deshalb selbstverständlich dass alles, was im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik vor sieh geht, für ihn von Interesse ist: Bauten jeder Art, Straßen, Fabriken, die Organisation der Besatzungsmacht, die Stellung, Namen und Adressen führender Persönlichkeiten, und die Entwicklung und Haltung der Menschen überhaupt. Alles dies bedeutet für ihn wichtiges Informationsmaterial für seine Kriegsvorbereitungen, und deshalb beteiligt sich derjenige, der dieses Informationsmaterial liefert, selbst an der Vorbereitung zum Krieg, an der Hetze zum Krieg, treibt selbst Kriegshetze.

Hierzu gehört aber auch weiter die Kriegshetze in der Form, die in der Ablehnung der Unterschriftensammlung gegen die Atombombe zum Ausdruck gekommen ist.

Es ist selbstverständlich, dass nicht jeder, der die Unterschrift unter den Stockholmer Appell ablehnt, sich damit der Kriegshetze schuldig macht; wenn aber die Angeklagten als "Geweihte Jehovas", als Prediger zu den Menschen kommen, in Versammlungen zu ihnen sprechen, den kommenden "gerechten Krieg" ankündigen, werden die durch ihre Predigten unsicher gewordenen und erregten Menschen in Unruhe versetzt, und wenn ihre Antworten auf die brennendsten Lebensfragen: "Wie stellen wir uns zur Ächtung der Atombombe?" lautet: "Ich persönlich unterschreibe nicht", so machen sie nicht von ihrem verfassungsmäßigen Recht der freien Meinungsäußerung Gebrauch. Sie missbrauchen dieses Verfassungsrecht, halten die Menschen vom Friedenskampf ab und treiben damit Kriegshetze.

Das Gerede der "Zeugen Jehovas" vom gerechten Krieg, der kommen werde und müsse, stellt des weiteren ein Stück unmittelbar erkennbare Kriegshetze dar. Sie, die in der Hauptverhandlung auch bekannt haben, dass für "die Zeugen Jehovas" Teufel und Dämonen Wirklichkeit seien, können sich nicht darauf berufen, dass sie nur in religiösem, übertragenen Sinne von Krieg gesprochen haben. Entscheidend ist, wie ihre Worte auf die einfachen Menschen, die sie ansprachen, wirkten und die haben, wie auch das Gericht, ihre Ausführungen als eine ganz real zu verstehende Kriegsankündigung aufgefasst. Insbesondere diese letzte Form der Kriegshetze verstößt zugleich auch gegen den Artikel III A III der Kontrollratsdirektive; sie ist ein böswillig erfundenes Gerücht, das den Frieden gefährdet.

2. Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen ist von den Angeklagten in verschiedenen Formen begangen worden. Sie liegt einmal in der Verbreitung des "Wachtturms" Nr. 7 vom Jahre 1950 und der sogenannten Petition. Sie ist jedoch ebenfalls begangen in der Abhaltung der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik von den Volkswahlen am 15. Oktober 1950. Hier berufen sich die Angeklagten genau wie bei Begehung der Kriegshetze darauf, dass sie nur ihre persönliche Meinung geäußert hätten. Hier gilt das bezüglich der Kriegshetze Gesagte entsprechend.

Bei der rechtlichen Beurteilung des Verhaltens der Angeklagten stellt sich als eine ganz besonders hartnäckige und gefährliche Form der Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen die Gesamtheit und Vielheit der Handlungen dar, die in der Anklage unter dem Sammelbegriff "Vorbereitung der Illegalität' zusammengefasst sind. Sie enthalten nicht nur die Aufforderungen, Anordnungen der Staatsgewalt - also der höchsten demokratischen Einrichtung im Sinne des Artikels 6 - nicht zu beachten, sondern fordern darüber hinaus auf, aktiv Maßnahmen der verschiedensten Art treffen um die Durchsetzung staatlicher Anordnungen zun zu durchkreuzen und unmöglich zu machen, Maßnahmen, die zum Teil auch schon verwirklicht worden waren; dieser Komplex von Handlungen stellt eine besonders gefährliche Begehungsform des Tatbestandes des Artikels 6 dar …

Das Tatbestandsmerkmal des Völkerhasses kommt im besonderen in der Verbreitung der hetzerischen Artikel der Jahrbücher zum Ausdruck. Auch diese Handlungen stellen zugleich einen Verstoß gegen den Art. III A III der Kontrollratsdirektive Nr. 38 dar, das Erfinden von friedensgefährdenden Gerüchten.

Die Angeklagten haben alle vorsätzlich gehandelt; sie haben in Kenntnis der einzelnen Tatbestandsmerkmale das ihnen vorgeworfene Verbrechen begangen und haben den eingetretenen Erfolg auch gewollt. Dies gilt auch in vollem Umfange für die durch Spionagehandlungen begangene Kriegshetze. Alle Angeklagten wussten, dass wichtige Meldungen nach Brooklyn weitergegeben werden.

Das Geständnis des Angeklagten B(är), er habe bei den verlangten Berichten gewusst, dass es sich um politische Berichte handelt, und er habe gewusst, dass Berichte politischen Inhalts nach Brooklyn weitergegeben werden, lässt zwingend auch auf das Bewusstsein der anderen Angeklagten schließen, die entweder ihrer Funktion nach über ihm standen oder aber in ihrer Rolle innerhalb der "Zeugen Jehovas" ihm gleichzustellen waren.

Die Erkenntnis, dass die amerikanische Organisation dazu dienen sollte die Deutsche Demokratische Republik zu untergraben, bestand bei Vornahme ihrer Handlungen, da ihnen das Hetzerische der ganzen Propaganda und der besondere Charakter der Weisungen und "Empfehlungen" nicht entgangen ist.

Neben seiner Bedeutung als Ausführungshandlung der Boykotthetze kommt der Vorbereitung der Illegalität durch alle Angeklagten aber auch noch eine besondere Bedeutung zu, dass sie darauf schließen lässt, dass sie sich alle bewusst waren, dass ihr Treiben innerhalb ihrer Organisation gegen den Bestand unseres Staates gerichtet war und deshalb zu einem Verbot der Organisation im allgemeinen und einer Strafverfolgung gegen sie führen musste. Es ist ihr "schlechtes Gewissen", das Bewusstsein des Rechtswidrigen ihres Tuns, das durch diese Vorbereitung der Illegalität bewiesen wird.

Die Anklage ist damit in vollem Umfange bestätigt worden.

Die Weisungen der theokratischen "Regierung", die von der Brooklyner Leitung kamen, brachten die Angeklagten zu den festgestellten Betätigungen von Spionage, Boykotthetze und Kriegshetze als Verbrechen gegen Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik und den Artikel III A III der Direktive Nr. 38 des Kontrollrats.

VII.

Die Verfassung legt in Artikel 41 volle Glaubens- und Religionsfreiheit fest und schützt die ungestörte Religionsausübung. Sie legt aber ebenso fest, dass Einrichtungen von Religionsgemeinschaften, religiöse Handlungen und der Religionsunterricht nicht für verfassungswidrige Zwecke missbraucht werden dürfen. Das, was die Angeklagten getan haben und wofür sie bestraft werden, hat mit Religionsausübung nichts zu tun. Deshalb hat das Gericht auch während der Hauptverhandlung alle Erörterungen religiöser Fragen abgelehnt. Die Angeklagten, haben keine Glaubensgrundsätze bekannt und verbreitet, wenn sie gegen den Frieden und die Bemühungen des Volkes, den Frieden zu erhalten, und gegen die Demokratie agitieren. Es ist nicht Religionsbetätigung, wenn sie gegen die Freiheit des Volkes auftreten und damit gegen die friedfertige Politik Deutschlands, die eine Grundlinie unserer Verfassung bildet, und gegen das Wohl und die Freiheit des Volkes, die oberstes Prinzip der Verfassung sind, verstießen.

Es ist nicht Religionsausübung, wenn die Angeklagten Spionage trieben, Gebietskarten mit politisch und militärisch wichtigen Punkten und sonstigen Zeichnungen über strategisch wichtige Objekte herstellten oder beschafften.

Dass die hier Angeklagten als Anhänger einer religiösen Sekte auftraten, ändert nichts an dem Inhalt ihrer Tätigkeit; auf den Inhalt der Tätigkeit kommt es aber an.

Insoweit die Angeklagten sich in ihrem Auftreten religiöser Ausdrucksweise bedienten, sich im übrigen wahllos auf die Bibel beriefen, waren dies Tarnungen, wie dies am besten aus der bei dem Angeklagten A(dler) vorgefundenen, den kommenden Krieg darstellenden Rededisposition hervorgeht.

Es war dies ebenso wenig Religionsausübung, wie die in einem anderen demokratischen Lande, der Polnischen Volksrepublik, festgestellte Betätigung der "Zeugen Jehovas", die dort ebenfalls das Land bereisten und alle möglichen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Angaben sammelten, die sie dann nach Amerika weiterleiteten.

Dem Gericht ist aus diesbezüglichen Veröffentlichungen der polnischen Behörden bekannt, dass in der Polnischen Volksrepublik in Lokalen der Sekte und in den Wohnungen ihrer Mitglieder - ähnlich wie hier zahlreiche Landkarten mit eingezeichneten Rüstungs- und Industrieobjekten, Eisenbahnknotenpunkten und Kraftwerken entdeckt wurden; dass die Spionage treibenden Mitglieder der Sekte "Gottesbriefe" verbreiteten, iii denen ein baldiger Krieg prophezeit wurde, Verletzung der Arbeitsdisziplin empfohlen und gegen den Stockholmer Appell Propaganda betrieben wurde.

Auch in Polen wurde wie hier festgestellt, dass all dies von der Brooklyner Zentrale aus geleitet wurde.

VIII.

Die Angeklagten berufen sich darauf, nach Weisungen ihrer theokratischen "Regierung" gehandelt zu haben. Dies beweist, dass die "Zeugen Jehovas" einen Staat im Staate bilden wollen, und dass sie die Gesetze und die Ordnung unseres Staates nicht für sich als verbindlich anerkennen Sie stellen, wie vor allem die Beispiele der Zeugin Th., des Zeugen M., aber auch der Angeklagten W(agner) und Z(innall) zeigen, eine Gefahr für unsere Jugend dar, die durch die Irrlehren dieser Organisation von der Teilnahme an unserem Aufbau abgehalten werden soll.

Alle Angeklagten sind darauf ausgegangen, im Falle eines Verbote der Sekte deren Tätigkeit illegal fortzusetzen und haben daher eine besondere Hartnäckigkeit ihrer Gesinnung gezeigt.

Bei der Bemessung der Strafen aller Angeklagten muss daher gelten:

Die ihnen gegenüber ausgesprochenen Strafen müssen alle die, die etwa den "Zeugen Jehovas" und ihren Auftraggebern noch folgen wollen, eindringlich warnen - und zwar sowohl die, die ihnen bereits gefolgt sind wie auch die, die einem etwa versuchten illegalen Treiben ausgesetzt sein sollten. Der Fanatismus und die Hartnäckigkeit im Festhalten an den Weisungen ihrer theokratischen "Regierung", das ist an Brooklyn, beweisen die Gefährlichkeit jedes Einzelnen der Angeklagten für die Sicherung unserer Ordnung. Neben diesen allgemeinen Gesichtspunkten beruht die Strafzumessung für jeden einzelnen Angeklagten auf dem Umfang und der Intensität seiner individuellen Betätigung, wobei auch noch nach dem Grad ihrer Gefährlichkeit im einzelnen zu unterscheiden war …

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Aus dem Kommentar zu vorstehendem Urteil von Rudi Beckert in seinem 1995 erschienenen Buch: "Die erste und letzte Instanz. Schau- und Geheimprozesse vor dem Obersten Gericht der DDR"

Beckert war selbst zu DDR-Zeiten Richter am Obersten Gericht der DDR. Am vorliegenden Urteil hat er nach eigenem Bekunden nicht mitgewirkt. Nach der politischen Wende vom November 1989 "wendete" sich auch Beckert. Im genannten Buch bewertet er diverse vor genanntem Gericht durchgeführte Prozesse. An ihnen will er allesamt wiederum "nicht mit beteiligt" gewesen sein. Auch im Falle Zeugen Jehovas, interessieren Beckert in erster Linie die justizpolitischen Aspekte, die in jenem Urteil mit zum Ausdruck kamen. Eine besondere "Vertrautheit" mit dem Komplex Zeugen Jehovas wird man ihm mit Sicherheit absprechen dürfen. Wenn diese Juristenseele da also zu Papier gibt:

"Von den Nationalsozialisten wurden die Zeugen Jehovas verfolgt, in der BRD waren sie in den ersten Jahren verboten. In der DDR wurden sie im August 1950 als staatsfeindliche Untergrundorganisation, Diener der psychologischen Kriegsführung des US-Imperialismus und seiner Verbündeten gebrandmarkt und seitdem bestraft."

Wenn also Beckert, wie eben gelesen, auch unterstellt die Zeugen Jehovas seien auch in der BRD "in den ersten Jahren" verboten gewesen, dann fragt man sich, aus welchem seiner zehn Finger er sich wohl diese "Weisheit" gesogen hat. Mit diesem Zitat hat Beckert sich auch zugleich ein beachtliches Disqualifizierungszeugnis bei der Beurteilung des Zeugen Jehovas-Komplexes ausgestellt. Gleichwohl ist einzuräumen, dass sein Votum in erster Linie die justizpolitischen Aspekte anspricht. Aus diesem Grunde, nur aus diesem Grunde, sei sein Votum im weiteren, nachstehend noch zitiert:

Das vorliegende Verfahren vor dem OG war ein Pilotprozeß, dem an anderen Gerichten weitere folgen sollten. Alle Angeklagten hatten führende Positionen in der Sekte inne, Willi H. aus Magdeburg beispielsweise war Leiter der juristischen Abteilung der Wachtturmgesellschaft, Lothar W. fungierte als hauptamtlicher Kreisdiener in West-Mecklenburg. Die anderen übten ihre Tätigkeit bei den Zeugen Jehovas nebenberuflich aus.

Die Argumentation der Justiz klingt simpel: Angehörige der Zeugen Jehovas leisten gegen den Staat Widerstand; sie werden von den USA aus gelenkt und finanziert, arbeiten mit konspirativen Mitteln und sind daher Spione, Kriegs- und Boykotthetzer. Niemand konnte erwarten, daß die Angeklagten spektakuläre Geständnisse ablegen würden oder gar ihrer ablehnenden Haltung zu jedem irdischen Staat abschworen. Das verbietet ihr Glaube. Im Strafverfahren wollte man sich auch nicht mit der religiösen Einstellung der Angeklagten auseinandersetzen; es wäre sinnlos gewesen. Beweisaufnahme und Beweisführung richteten sich prononciert gegen den Imperialismus und dessen friedensgefährdende Politik.

Der Präsident des OG fand lobende Worte über den von seiner Stellvertreterin Benjamin geführten Prozeß. Sie hatte den entscheidenden Rechtssatz formuliert, in dem das OG zum erstenmal den Verfassungsartikel 6 interpretierte. Ausgerechnet eine religiöse Sekte mußte für diese für alle Gerichte des Landes gültige Orientierung herhalten:

"Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik ist ein unmittelbar anzuwendendes Strafgesetz. Die in ihm aufgezählten Handlungen stellen keine einzelnen Tatbestände, sondern Begehungsformen eines Tatbestandes dar."

Die Begründung des Urteils wurde so eingeleitet:

"Die reaktionären Kreise des Auslandes und Westdeutschlands sind voll Haß gegen die schöpferischen Bemühungen und Erfolge des deutschen Volkes in der Deutschen Demokratischen Republik … Durch Kriegshetze und Hetze gegen die Sowjetunion und die friedliebenden Völker suchen sie Unruhe in die Deutsche Demokratische Republik zu tragen; durch systematische Spionage suchen sie die eigenen Kriegsvorbereitungen zu fördern.

Zu den Organisationen, deren sich die ausländischen Reaktionäre zum Zwecke der Spionage und Wühlarbeit gegen die Deutsche Demokratische Republik bedienen, gehört nach der Anklage die WATCH TOWER AND TRACT SOCIETY, auch "Wachtturmgesellschaft" genannt, mit dem Sitz in Brooklyn (USA) und deutschen Zweigbüros in Wiesbaden, Westberlin und Magdeburg."

Man begegnet der großen Weltpolitik ebenso wie den aktuellen Ereignissen. Elf Tage nach dem Prozeß, am 15. Oktober 1950, sollten Wahlen sein; Leute wie die Angeklagten und deren Hintermänner wollten sie stören, behauptete man. Die als Spionage bezeichnete 'Tätigkeit der Angeklagten bestand nach den Urteilsfeststellungen insbesondere darin, daß sie "Gebietskarten" anfertigten, politische und militärische Angaben sammelten (beispielsweise Adressen führender Persönlichkeiten sowie deutscher und sowjetischer Dienststellen) und auch über besondere Vorkommnisse oder Schwierigkeiten mit Behörden berichteten. Das Material sei über die Magdeburger Leitung in die Zentrale nach Brooklyn geleitet worden. Damit hätte der amerikanische Imperialismus wichtiges Informationsmaterial erhalten, also - so das OG - hätten die Angeklagten dazu beigetragen, den von den Imperialisten erstrebten Krieg vorzubereiten. Diese hölzerne Erkenntnis wird überboten durch den anschließenden Abschnitt:

"Diesem Ziele diente aber auch die zum Teil in Form religiöser Agitation gehaltene Tätigkeit der Sekte und damit der Angeklagten, die die Hetze gegen die Einrichtungen und Maßnahmen unseres Staates zum Gegenstand hatte … Wenn auch keine ausdrücklichen Anweisungen gegeben waren, gegen die Volkswahlen aufzutreten, so wurden doch solche Empfehlungen und Hinweise - daß man persönlich gegen die Wahl sei - in so klarer und bestimmter Art gegeben, daß jeder 'Zeuge Jehovas' sehr wohl verstand, daß er gegen die Wahl agitieren müsse, und das haben alle Angeklagten auch getan.

In gleicher Weise gingen alle Belehrungen und Instruktionen bezüglich der Unterzeichnung des Stockholmer Appells zur Ächtung der Atombombe dahin, unter der Bevölkerung gegen die Unterzeichnung Stimmung zu machen …"

Hier wird der Begriff "Boykott" zur Farce. Die offen bekundete Ablehnung von Wahlen und anderen demokratisch verstandenen Aufrufen sollte ein Staatsverbrechen sein! Es entsprach dem Standpunkt des OG, daß nur das als Wahrnehmung demokratischer Rechte zu gelten hätte, was im Sinne der Verfassung der DDR unter Meinungs- und Glaubensfreiheit verstanden wurde. Wer darüber zu entscheiden hatte, zeigt dieses Urteil. Natürlich mußten die Richter wiederholt betonen, daß die als Spionage und Hetze bezeichneten Handlungen nichts mit Glaubens- und Religionsfreiheit im Sinne von Artikel 41 der Verfassung zu tun hätte:

"Es ist nicht Religionsbetätigung, wenn sie gegen die Freiheit des Volkes auftreten und damit gegen die friedfertige Politik Deutschlands … verstießen … Die Angeklagten berufen sich darauf, nach Weisungen ihrer theokratischen 'Regierung' gehandelt zu haben., Dies beweist, daß … sie die Gesetze und die Ordnung unseres Staates nicht für sich als verbindlich anerkennen … Die ihnen gegenüber ausgesprochenen Strafen müssen alle die, die etwa den ,Zeugen Jehovas' und ihren Auftraggebern noch folgen wollen eindringlich warnen … Der Fanatismus und die Hartnäckigkeit … beweisen die Gefährlichkeit jedes einzelnen der Angeklagten für die Sicherung unserer Ordnung … "

Es war nicht leicht, Politik und Religion zu trennen.

Das Urteil vom 4. Oktober 1950 lautete: Zwei lebenslange Zuchthausstrafen sowie dreimal 15 Jahre, einmal 12, zweimal 10 und einmal 8 Jahre Zuchthaus.

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