Vor Einhundert Jahren

Im "Wachtturm" 1910 gelesen

Einige Stichworte in diesem Jahrgang (in Auswahl)

Carl Schutzbach, Ernest C. Henninges - Sohn Timotheus, Rose Ball, „Die Aussicht", „Botschafter für den Haushalt des Glaubens", Friedrich Engels - Kriegsprognose, Rudolf Steiner, Pyramiden, Monistenbund, Ernst Haeckel, Russell - Europatour, Schwester Rutherford, John Edgar, Emil Lanz, Fritz Christmann, Heinrich M. Cordes, König Eduard VII. verstorben, Höllenlehre, Karl Wellershaus, Max Maurenbrecher, Weltkongress für freies Christentum, Acta Pilati, Samuel Lauper, Friedrich Kunkel

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In der Rubrik "Briefliches von Eurer Bruderschaft in der Welt" (S. 22) liest man auch einen, datiert "Zurzach (Schweiz), 30. November 1909" adressiert an den damaligen deutschen WT-Redakteur Koetitz.
Unterschrieben mit Carl Schutzbach.

Des weiteren begegnet man in dergleichen WT-Ausgabe bei einigen Artikeln auch der Angabe "Übersetzt von C. Schutzbach"
Auch in der Juni-Ausgabe 1910 begegnet man einem namentlich mit Karl Schutzbach gezeichneten Berichts-Artikel im "Wachtturm".

Jener genannte Leserbrief ragt dergestalt heraus, dass er sich nicht auf die allgemein üblichen Akklamationen beschränkt, sondern einen darüber hinausgehenden Sachverhalt mitteilt. In den Worten von Schutzbach an WT-Redakteur Koetitz:


"Aus dem Dir kürzlich zugesandten Artikel 'Zur Orientierung' wirst Du ersehen haben, was in der Schweiz vor sich geht, nämlich dass einige l. Freunde die Darlegungen Br. Russell über Sündopfer, Bündnisse, Mittler ect. nicht annehmen können und sich zu Äußerungen hinreißen ließen, die ich sehr bedauern muss."

Nun ja, die Auseinandersetzungen zwischen WT und der in der Schwächephase des deutschen WT (1902) entstandenen Konkurrenz-Zeitschrift in der Schweiz mit dem Titel "Die Aussicht", hatten in der Tat um 1910 einen gewissen Höhepunkt erreicht.

Dem wiederum lag der Umstand zugrunde, dass Russells Schwiegersohn, der Herr Henniges
(Ehemann von Russells Stieftochter Rose Ball), der ja nach Australien als dortiger Statthalter Russells abkommandiert war. Das der just in den Jahren 1909/1910 besonders dadurch von sich reden machte. Er habe sich mit Russell wegen theologischer Differenzen überworfen, und in der Folge dort auch eine von der WTG (nunmehr) unabhängige Zeitschrift gegründet.

Was jene theologischen Differenzen anbelangt, erwecken sie bei mir allerdings eher den Eindruck von "Hinterhofkeller-Gezänk". Wer da Recht hat und wer nicht, dass wissen
(vielleicht) die Götter; und die wissen es wohl auch nicht.
Immerhin ist im "Wachtturm" vom Juli 1910 eine indirekte Stellungnahme zu diesen Disputen registrierbar.

Auf Seite 120 der Juli-Ausgabe 1910 des "Wachtturms" wird dann auch deutlich, weshalb Russell glaubt, seinen Kritikern nicht entgegenkommen zu können. Es wird unterstellt, deren Thesen hätten zugleich auch Auswirkungen auf das kunstvolle Chronologiesystem von Russell. Es wird weiter unterstellt; es würde eine Verschiebung um 50 Jahre bewirken.
Die ominösen "Sechstausend Jahre Menschheitsgeschichte" würden so nicht "1872" sondern bereits 1822 "zu Ende sein".
Russells Chronologie in Gesamtheit käme damit ins Rutschen.

Da "nicht sein kann, was nicht sein soll", nahm er lieber ein Schisma in Kauf, als denn seinen Kritikern entgegen zu kommen, wegen der skizzierten Folgewirkungen.

Exemplare der nunmehr neuen Zeitschrift von Henniges gelangten dann auch in die Hände des Kreises um die "Aussicht" und bewirkten, dass man dort verstärkt, sich diesen Schismatischen Tendenzen anschloss.

Das war der Sachverhalt, von dem auch Schutzbach in seinem Briefe letztendlich berichtet.

Im allgemeinen suchte der deutsche WT die "Aussicht" totzuschweigen, getreu dem eigenen Alleinvertretungsanspruch. Gab es Ausnahmen von dieser Regel waren die in der Tat rar gesät. Eine dieser Ausnahmen ist eben die deutsche WT-Ausgabe vom Januar 1910.


Noch war nicht "aller Tage Abend".
So kann man etwa auf Seite 24 auch die Angabe vorfinden: "In der Schweiz kann man auch an Bruder
S(amuel) Lauper, Höngerstr. 12, Zürich adressieren."
In der Dezember-Ausgabe 1910 des "Wachtturms", ist der dort abgedruckte Kassenbericht für die Schweiz, der im Gegensatz zu Deutschland ausgeglichen ist, wenngleich auf weit niedrigerem Niveau als der deutsche, namentlich von Samuel Lauper unterzeichnet. Das wiederum ist auch ein Indiz für den Stellenwert des Lauper in der WTG-Organisation zu der Zeit.

Also auch Lauper war um 1910 noch auf WT-Kurs, was sich später noch drastisch ändern sollte.
Befragt man etwa die WTG CD-ROM nach Lauper, bekommt man ja mit Mühe und Not ein paar magere Angaben. Etwa, dass er so um die Jahrhundertwende schon im WTG-Sog war. Über den späteren Lauper, unter anderem Herausgeber der deutschen Variante der in Opposition zur WTG stehenden Zeitschrift "Der Herold des Königreiches Jesu Christi". Oder auch über den Umstand das Lauper dann gar noch als Verleger für WTG-unabhängiges Schrifttum fungierte. Über diesen späteren Lauper indes erfährt man von WTG-Seite nichts!

Ganz anders "erwischte" es dann den bereits genannten Carl Schutzbach. Bejubelte er zwar in seinem Brief im WT vom Januar 1910 noch die WTG, so ist auch in seinem Falle feststellbar. Es ist noch nicht aller Tage Abend!

Wie bereits notiert, übersetzte er Artikel aus dem englischen "Watchtower" für die deutsche Ausgabe.
Wer nun denkt, deshalb wird man auch einige Angaben zu ihm in der deutschen WTG-CD-ROM vorfinden, der denkt falsch. Bei Eingabe seines Namens wird man dort durch das gähnende Schweigen dazu "beglückt".

Zumindest an anderer Stelle wird dieses permanente Schweigen in Ansätzen durchbrochen. Und zwar in einem von Regin Weinreich herausgegebenen Tagungsband.
Gemäss eigenen Angaben betrieb Weinreich
(regionale) Forschungstudien. Bei den Wurzelerforschungen deutscher Bibelforschergruppen in der Hochrhein-Region, stieß Weinreich dabei auch auf die Gruppe Zurzach im Schweizerischen Kanton Aargau, die von dort auch nach Deutschland ausstrahlte. Und so blieb es nicht aus, dass Weinreich jene Zurzacher Gruppe etwas näher thematisierte, selbst Bilder aus ihrem Kreis (aus den 1920er Jahren) in seinen Tagungsband-Text mit einfügte (S. 54f.).
Bei diesen Bildern ist schon mal auffällig; es werden zwar einige Namen genannt. Ein Name Schutzbach indes, ist nicht dabei.

Dieser Umstand wird dann im eigentlichen Text mit der lapidaren Aussage beschrieben:

"Andere Mitverbundene der 'Ersten Stunde', Herr Schutzbach, ... verließen nach kurzer Zeit die Gruppe wieder, da sie sich mit der Arbeit der Bibelforscher nicht längerfristig identifizieren konnten. Die Zurzacher Gruppe missionierte erfolgreich auch im benachbarten deutschen Gebiet."

Also der Zeitraum, auf den Weinreich besonders abstellt, waren die frühen 1920 Jahre. In denen indes gehörte Herr Schutzbach "von der ersten Stunde", schon nicht mehr zur WTG-Organisation!

Indes im "Wachtturm" vom Mai 1912 (S. 78) wird jener Herr Schutzbach immer noch namentlich mit genannt.

Auch in der Juli-Ausgabe 1912 des "Wachtturm" gibt es noch einen Leserbrief von ihm. 

Die Juli-Ausgabe 1913 des "Wachtturms" kredenzt einen Bericht über eine Tagung der Bibelforscher in Zürich. Und selbiger ist unterschrieben mit:

"Im Auftrage: Carl Schutzbach"

Dann gehört wohl jenes Jahr 1913 in der Lesart von Herrn Weinreich, immer noch "zur ersten Stunde".

Exkurs
Um auf das Russell'sche Schisma nochmals zurückzukommen.
Wohl mehr "zerredend" als erklärend, ist zu registrieren, dass Russell in der "Wachtturm"-Ausgabe vom November 1909
(soweit es deutschsprachige Quellen anbelangt), erstmals auf das eingetretene Schisma, seinen Schwiegersohn Henniges (und seiner Stieftochter Rose Ball), die im fernen Australien zeitweise als seine Statthalter fungierten, zu sprechen kommt.
"Klarnamen" werden in dem Artikel zwar nicht genannt. Indes wer auch andere Quellen mit heranzieht
(etwa "Die Aussicht") weis sehr wohl, was da ablief.

Nachstehend dann mal ein paar Auszüge (kommentarlos) aus Russells "Zerredungsmeisterstück" diesen Disput betreffend.



Auch das muss man da wohl noch sagen. Was da vom fernen Australien auch in Deutschsprachige Kreise an Schismatischen Tendenzen ausstrahlte, fand wohl nicht überall volle und ungeteilte Zustimmung.
"Die Aussicht" ist ja das älteste Organ, dass letztendlich in Opposition zur WTG geriet
(bezogen auf Deutschsprachiges). Gleichwohl nicht das einzigste.
Da gab es unter anderem auch den "Botschafter für den Haushalt des Glaubens"
(seit Mitte 1915 erscheinend). Wie es zu dessen Gründung kam (die formale Ursache dafür) ist so heutzutage nicht mehr rekonstruierbar, aus dem Grunde, diweil der erste Jahrgang dieses Blattes als dauerhaft verschollen bewertet werden muss. Immerhin, ab 2. Jahrgang ist die Einsichtnahme möglich.
Nun muss man schon die Frage stellen, weshalb sein Gründer Bösenberg, denn seinen "eigenen Laden aufmachte" und sich nicht einfach mit der auch in Deutschland Abonnementsmäßig erhältlichen "Aussicht" begnügte.

Immerhin begegnet man im "Botschafter" vom August 1917, auch einem Votum, welches vorsichtige Kritik an diesem "Hinterhofkellergezänk" zum Ausdruck brachte.
Da war zu lesen:


"Wie vielen Lesern des "Botschafter" bekannt, ist seit Jahren, ganz besonders aber im letzten Jahrzehnt, viel über Bündnisse, Sundopfer und Lösegeld philosophiert worden. Wie immer, so ist auch in diesem Punkte irreführendes mit unterlaufen, was dann in der ersten Freude über das hellere Licht ebenfalls eine Zeitlang als Wahrheit, an- und aufgenommen worden ist. So sind außer dem Schreiber dieses auch viele andere Kinder Gottes längere Jahre in diesem vermischten Wasser von Wahrheit und Irrtum mitgeschwommen, haben sich hin und wieder gegen das allzu Auffallende gestemmt, fanden aber bei der größeren Anzahl bisheriger Freunde kein Verständnis und waren so gezwungen, ob einzeln oder zu wenigen, sich durch recht nüchternes Nachprüfen dessen was uns vorgelegt wurde, wieder vom neu angeklebten Schmutz zu reinigen ..."

Siehe auch die Titelblätter der "Die Aussicht" vom Oktober und November 1909

Titelblatt November 1908

Dann noch: Als "alternatives Kontrastprogramm" (ohne inhaltliche Bewertung)

"Die Aussicht" Januar-Heft 1910


Wasser auf die Mühlen der Russell-Anhänger war sicherlich auch nachfolgende Pressemeldung "Freiburger Zeitung" 19. Januar 1910 (hier nur als Detailausriß wiedergegeben)


Oder auch die einige Tage früher (im gleichen Monat) lesbare Meldung.
Im russisch-Japanischen Kriegvon 1904/05 seien erstmals Maschinengewehre in größerem Umfange eingesetzt worden. Nun als Folge dessen betrachteten auch andere Armeen es als "Ehrensache" sich vermehrt mit Maschinengewehren auszurüsten.

Wikipedia-Zitierung:

"Der Russisch-Japanische Krieg wird als ein Vorläufer des Ersten Weltkriegs betrachtet, weil hier zahlreiche militärtechnische Neuerungen erstmals in einem Krieg in großem Maßstab eingeführt wurden: der Grabenkrieg mit Maschinengewehrstellungen und Stacheldraht Gefechtsfeldbeleuchtung, Feldtelefon, Hochsee-Funktelegraphie. Er zeigte erstmals, wie tödlich Massenangriffe mit aufgepflanztem Bajonett enden konnten gegenüber einem Gegner, der über Maschinengewehre verfügte."
http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=01&day=19b&year=1910&month=01&project=3&anzahl=4

Zitat von Friedrich Engels, aus dem Jahre 1887:
"Und endlich ist kein andrer Krieg für Preußen-Deutschland mehr möglich, als ein Weltkrieg, und zwar ein Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit. Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet Zusammenbruch der alten Staaten und ihrer traditionellen Staatsweisheit, derart, daß die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und niemand sich findet, der sie aufhebt; absolute Unmöglichkeit, vorauszusehn, wie das alles enden und wer als Sieger aus dem Kampf hervorgehen wird.
Das ist die Aussicht, wenn das auf die Spitze getriebene System der gegenseitigen Überbietung in Kriegsrüstungen endlich seine unvermeidlichen Früchte trägt.
Das ist es, meine Herren Fürsten und Staatsmänner, wohin Sie in ihrer Weisheit das alte Europa gebracht haben."

Die Vorläufer der Nazis (die sich damals zwar so noch nicht nannten, es aber waren), inserieren in der "Freiburger Zeitung" 22. Januar 1910

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=03&day=22a1&year=1910&month=01&project=3&anzahl=4

Rudolf Steiner ("Ein Schwindler wie keiner", nach der Formulierung des Nazi-Autor Schwartz-Bostunitsch, die ich mir ja nicht unbedingt zueigen machen will. Obwohl man ihre Prägnanz nicht ganz verkennen kann).
Besagter Herr Steiner ("Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten"), laut Inserat der "Freiburger Zeitung" vom 24. Januar 1910 in Freiburg/Br. auf Dummenfang.

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=04&day=24a2&year=1910&month=01&project=3&anzahl=4

Und da die Dummen nicht auszusterben pflegen, konnte er wohl schon damals eine beachtliche Ernte einfahren.

Zu dem Slogan "Erkenntnisse der höheren Welten" wurde wohl Immanuel Kant nur kommentieren
(und er hat es bereits in einem ähnlichen Fall getan).
Die könne man nur dann erlangen, wenn man den Verstand, den man für's Leben eigentlich benötigt, dafür opfert!


Parsimony.15681

Lesenswert auch ("Freiburger Zeitung" vom 27. Januar 1910) ein Artikel über "Kometen und Kometenfurcht"

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=02&day=27a2&year=1910&month=01&project=3&anzahl=4

Re: Vor Einhundert Jahren
geschrieben von: Drahbeck
Datum: 03. März 2010 01:45
Im "Wachtturm" vom März 1910 gelesen

Drei "Wachtturm"-Nummern nur, wurde die "Eintagsfliege" alt. Die Ausgaben Dezember 1909, Januar 1910 und Februar 1910 hatten einen Umfang von jeweils 24 Seiten, während ansonsten 16 Seiten der Standard zu damaliger Zeit ist.
Noch in der Ausgabe vom Februar 1910 gab es da die Notiz; man erwarte noch eine endgültige Entscheidung von Russell.

Und der Herr jenseits des großen Teiches, hatte da offenbar seinen Daumen nach unten gesenkt!

Zur Begründung dazu liest man in der Märzausgabe 1910; die Anzahl der "Wachtturm"-Abonnenten sei Russell zu wenig, um einer inhaltlichen Erweiterung, die ja auch mit zusätzlichen Kosten verbunden ist, zuzustimmen

Schon mal war Russell wegen der für ihn wirtschaftlich unbefriedigenden Situation kräftig dabei, sein Deutschsprachiges "Wachtturm"-Unternehmen zurückzufahren. Beleg dafür sind auch die in der Frühzeit erschienenen "Wachtturm"-Ausgaben (in Deutschland).

Im Jahre 1897 immerhin neun Ausgaben. (Davon eine als Doppelnummer bezeichnete Ausgabe).
1898 waren es dann noch 4 ½ Ausgaben. (Zwei als Doppelnummern bezeichnete, und eine die datiert ist für Dezember 1898 und Januar 1899. Deshalb die Wertung als "halbe Ausgabe").
1899 dann 5 ½ Ausgabe (davon zwei "Doppelnummern".
1900 dann vier Ausgaben (darunter eine "Doppelnummer")

Und nun kommt eine große Lücke.
Die Ausgabe Juli - September 1900 war bezeichnet als Nummer 26 (in fortlaufender Zählung)
Die nächste Ausgabe mit der Ortsangabe Allegheny und Elberfeld, welche nachweisbar ist, datiert vom Juli-September 1902 (mit der fortlaufenden Nummer 34
Nachweisbar ist für 1902 auch eine als Nr. 33 bezeichnete Ausgabe (April - Juni 1902)
Die aber hatte nicht das übliche "Wachtturm"-Format (DIN A 4) sondern nur Broschürenformat. Auch wies ihr Titelblatt nicht die übliche "Wachtturm"-Grafik auf, sondern erweckte den Eindruck einer thematischen Broschüre mit dem Titel "Welches ist das wahre Evangelium?"
In deren Impressums-Angaben auf Seite 16 liest man auch:
"Probeexemplare dieser kleinen Broschüre zum Verteilen an Freunde werden ums Fragen portofrei zugesandt ... Unser Verein (die Bibel & Traktat Gesellschaft) ...
Adressiere: "In Amerika - wie auf Seite 1 (Allegheny)
Schweiz- G. & A. Baumann, Thun
" A. Weber, Convers, Berner Jura
Deutschland - M. E. Giesecke, Harburg a. E., Kanalplatz 6 ..."

Wurde in der Nummer 26 im dortigen Impressum Kötitz noch als "Hilfsredakteur dieser deutschen Ausgabe" bezeichnet, so erscheint sein Name in der vorbeschriebenen Nr. 33 nicht. Erst ab Nummer 34 taucht sein Name wieder im Impressum auf.
Die Lücke der fortlaufenden Nummerierung (Nr. 27 - 32) lässt sich jedenfalls in deutschen einschlägigen Sammlerbeständen, nicht nachweisen. Mir ist jedenfalls kein Sammler bekannt, der über sie verfügen würde.
Und wie bereits vermerkt erschien ja die Ausgabe Nr. 33 völlig untypisch, im anderen Format, ohne Kötitz Namen im Impressum, und ohne "Wachtturm"-Grafik auf dem Titelblatt
Zählt man jene beschriebene Nr. 33 mit, gab es also 1902 drei WT-Ausgaben in Deutschland, die nachweisbar sind.

Für 1901 indes gibt es überhaupt keine Nachweise (bisher). Wer das Gegenteil behauptet, ist beweispflichtig. Bisher wurde ein solcher Beweis auch nicht angetreten.

Ergo ist der Einschätzung des "Aussichts"-Kreises zuzustimmen, dass der Start der "Aussicht" im Herbst 1902, jener unübersehbaren Schwächephase des deutschen "Wachtturms" zuzuschreiben ist. Und da ja im Impressum der Nr. 33 auch die Gebrüder Baumann genannt werden, die dann die "Aussicht" wirtschaftlich realisierten, ist als zusätzliches Indiz zu werten.
Man vergleiche auch den in der deutschen "Wachtturm"-Ausgabe August - November 1898 (15) abgedruckten Leserbrief von Gustav Baumann. Aus selbigen ist entnehmbar, dass er zu jener Zeit - zumindest zeitweilig - bei Russell in den USA weilte.

Weiter waren es die "Aussichts"-Kreise, die vordem schon Russells "Schriftstudien" (Band 2, 3 4 und fünf der frühen Ausgaben, noch als "Millenium-Tagesnbruch"-Serie bezeichnet) ins Deutsche übersetzten.
Ohne deren Hilfe hätte Russell auch nie so im Deutschsprachigen Teil Europas, Fuss fassen können.

Für 1903 sind dann drei WT-Ausgaben nachweisbar.
Der inzwischen etablierten "Aussicht" wollte Russell aber nicht das Feld überlassen; und so begann er ab 1904 zu "klotzen", mit monatlicher Erscheinungsweise des Deutschsprachigen "Wachtturms". Auch und bewusst in Konkurrenz zur "Aussicht".

"Alternatives Kontrastprogramm" (ohne inhaltliche Bewertung)

"Die Aussicht" März 1910


Inserat in der "Freiburger Zeitung" vom 14. 3. 1910 gelesen.
"Der frisch fröhliche Krieg"

Was die Amis können, können die Deutschen dann schon lange, so der Tenor.

Über die ägyptischen Pyramiden gibt es in der "Freiburger Zeitung" vom 30. und 31. März 1910, einen zweiteiligen Bericht.
Die Pyramidentheorien etwa von C. T. Russell werden darin zwar nicht mit erwähnt. Gleichwohl ist es ein Überblick darüber, wie sich das Pyramidenthema, außerhalb der religiösen Pyramidenspinner darstellt.

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=01&day=30b&year=1910&month=03&project=3&anzahl=4

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=01&day=31a1&year=1910&month=03&project=3&anzahl=4

Re: Vor Einhundert Jahren
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 03. April 2010 06:47
Gelesen im "Wachtturm" vom April 1910

Mitgeteilt wird, unter dem Motto
"Der Tag der Rache 1915" habe man im März eine öffentlich angekündigte Veranstaltung in einem Hotel in Barmen veranstaltet. Die Resonanz sei überaus groß gewesen. Erheblich mehr als der Konferenzsaal des Hotels zu fassen vermochte, seien erschienen.

Und sogar einer Regionalzeitung war jenes Spektakel einen Bericht wert.. Hocherfreut zitiert der WT dazu den "Barmer Anzeiger" auch mit den Sätzen:

"Einen Blick in die Zukunft zu tun, ohne den üblichen Obolus für das Orakel erlegen zu müssen, diese Gelegenheit musste ausgenutzt werden, und so war zur festgesetzten Zeit der großen Saal des Zentral-Hotels schon überfüllt. Viele, die einen Stehplatz nicht zu erringen vermochten, verließen die Stätte, ohne eine Erklärung über das bedeutsame Jahr "1915" erlangt zu haben. Der Redner Herr Redakteur Koetitz vom Volkskanzel und Zions-Wachtturm-Verlag, verkündigte unter Hinweis auf zahlreiche Bibelstellen und an der Hand zweier mit geheimnisvollen Figuren bedeckten Karten eine Botschaft, deren Schlußakkorde reichlich versöhnlich und harmonisch ausklangen.

Nur wenige Jahre noch, dann soll eine weltweite Anarchie und Revolution hereinbrechen. Zu gleicher Zeit werden große Naturereignisse dazu beitragen, die allgemeine Verwirrung der Menschheit und die Ratlosigkeit der Nationen zu verstärken.

Der Ausbruch eines großen Weltkrieges um den Zankapfel "Palästina" wurde in Aussicht gestellt.

Diese gewaltige Episode des Menschheitsgeschichte soll mit einer Vernichtung der jetzigen unzulänglichen Ordnungen Staatseinrichtungen, Kirchensysteme u. dgl. Enden.

Mit dem Jahr 1915 soll dann für die übriggebliebene Menschheit eine glückliche Zeit hereinbrechen, der Kampf um die Existenz wird mildere Formen annehmen, die Kriege hören auf. Der Streit um "Jesus" ist vorbei, denn jeder wird zugeben müssen, daß er lebt und regiert. Alles in allem - schöne Zukunftsmusik -.

Unter den zahlreichen Zuhörern dürfte trotz der vom Redner mit großer Überzeugung vorgetragen Ausführungen manch ungläubiger Thomas das bekannte Zitat gebraucht haben: "Die Botschaft höre ich wohl; allein mir fehlt der Glaube."


An anderer Stelle unterstreicht diese WT-Ausgabe ihre eschatologiosche Weltsicht, die sich wie vernommen, auch in einem "Weltkrieg um Palästina" manifestieren sollte, auch mit der selektiv der Tagespresse entnommenen Notiz:

"Die Ausweisungen von Juden aus dem russischen Start erreichen eine Höhe, wie nie zuvor. Während früher sogar zuzeiten Plehwes, die mit Ausweisung Bedrohten gegen die Willkür der letzten Administration durch das Ministerium des Innern häufig geschützt wurden, gehen jetzt die Ausweisungen von dem Ministerium aus. Augenblicklich werden hunderte von Familien aus Riga, Kaan und Woronesch ausgewiesen die zum Teil Jahrzehnte dort gewohnt haben" - So berichtet eine Zeitung, und so erfüllt sich Jer. 16,16"

In der Rubrik Leserbriefe vernimmt man auch den eines Heinrich Wendt. Folgt man seinen Ausführungen ist er offenbar von den USA nach Deutschland zurückgekehrt, um weiter für die WTG-Interessen als Kolporteur tätig zu sein. Die dabei gesammelten Erfahrungen waren wohl eher ernüchternd.
Auf den Fall wurde schon früher mal hingewiesen.

Siehe dazu:
19102Deutschland

Als Vorankündigung vermimmt man auch, dass Russell eine Europareise plane (eher eine halbe Weltreise, denn auch die Ägyptischen Pyramiden ständen mit auf seinem Sightseeing-Programm).

Was diesbezügliche Kontaktadressen in der Schweiz anbelangt, werden weiterhin die Herren Samuel Lauper und Karl Schutzbach genannt.
Auch diese Herren sollten dann ja - zu einem noch etwas späteren Zeitpunkt, den Staub der WTG von ihren Füssen abgeschüttelt haben.

Das "alternative Kontrastprogramm" (ohne inhaltliche Bewertung)
"Die Aussicht" April 1910

Aufschlußreich die in dieser Ausgabe enthaltenen Artikel: "Enttäuscht. Zum 15. April 1910" und "Brief der Berner Versammlung an Bruder Russell".
Sie ermöglichen einige Details besser zu erkennen, bezüglich des inzwischen eingetretenen Schismas zwischen WTG-Hörigen und dem "Aussichts"-Kreise.

In der Form eines Inserates in der "Freiburger Zeitung" vom 5. April 1910 liest man, dass eine Schriftstellerin und Mutter, wie sie nicht versäumt mit anzumerken, eine Protestversammlung gegen Ernst Haeckel und den Monistenbund einberuft.
"Selbstlos" wie sie denn so ist, versäumt sie es auch nicht gleich noch mit anzugeben, welche Eintrittspreise denn für ihre Veranstaltung gefordert werden.
Nun hat sie ja sicherlich Kosten, etwa die Saalmiete usw.
Wäre sie denn ihrer Sache wirklich sicher, hätte sie ja auch mitteilen können, es werden freiwillige Spenden für die Veranstaltung erbeten. Das aber, erschien ihr wohl zu unsicher, deshalb wählte sie lieber gleich den Weg, feste Eintrittspreise zu verlangen.
Es bleibt also dem Beobachter selbst überlassen, zu urteilen, worum es dieser Dame in erster Linie ging. Um die Sache? Oder ums Geschäft!

Ach ja, aufgrund ihrer "Antenne" zu den höheren Sphären, meint sie gar noch dieser Veranstaltung den Titel geben zu können:
"Also spricht Jesus Christus".
Es reicht ihr also nicht, dass sie nur spricht.
Nein, Jesus muss ihr zusätzlicher Steigbügelhalter sein.
Und da sie ja offensichtlich von ihrer eigenen Wichtigkeit maßlos überzeugt ist, lässt sie am 8. April 1910 in genannter Zeitung das gleiche Inserat nochmals abdrucken.

Zu dem Gegenstand des Protestes, dem Monistenbund, wäre noch anzumerken.
Das war zu damaliger Zeit (in deren Selbstverständnis) eine Art "Intellektuellenverein" mit atheistischer Tendenz.
Nun gab es damals schon, atheistische Kreise auch andernorts, etwa in der Sozialdemokratie (damaliger Prägung). Das jedoch war in der Sicht jener Herren "Intellektuellen" der "Pöbel" mit dem man ja nichts zu tun haben möchte. Ergo zog man es vor sich lieber unter Seinesgleichen nur zu bewegen.
Was insbesondere den Protestgegenstand des Ernst Haeckel anbelangt, kann man zu letzterem auch vergleichen:
Parsimony.10678
Sowie
Poppenberg
Dort insbesondere der Punkt 5, nimmt zu Haeckel Stellung.

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=04&day=05a1&year=1910&month=04&project=3&anzahl=4

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=04&day=08a1&year=1910&month=04&project=3&anzahl=4

Offenbar liefen ihre Geschäfte nicht so gut wie erwartet. Zumindest scheint der Eintrittskartenvorverkauf wohl nicht die erwartete Nachfrage bewirkt zu haben. Denn schon am 10. Mai 1910 findet man ein neues Inserat von ihr in der "Freiburger Zeitung" vor.
Diesmal offeriert besagte Dame einen "Rezitationsabend mit eigenen Balladen und Romanzen mit Lichtbildern"

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=04&day=10a1&year=1910&month=05&project=3&anzahl=4

Den Herrn Haeckel und die Monisten, erwähnt sie in diesem neuerlichen Inserat allerdings nicht mehr.

Besonders aufschlußreich das Kleingedruckte in diesem Inserat.
Da liest man jener "Also sprach Jesus Christus"-Vortrag sei nunmehr auf den Oktober verschoben.
Und welche Großzügigkeit; die für diesen Vortrag gelösten Eintrittskarten können nunmehr zurückgegeben, oder gegen Karten für die Rezitationsveranstaltung umgetauscht werden.

Lernfähig wie sie wohl inzwischen ist, hat sie noch ein zusätzliches Schmankerl in ihre Preisgestaltung mit eingebaut. Akademikern und Schülern, offeriert sie eine deutliche Preisermäßigung, gegenüber den Kartenkosten fürs allgemeine Publikum ...

"Das Jahr des Heils 1910 wird als großes Kometenjahr in der Erinnerung fortleben".
Dies die einleitenden Sätze eines Artikels in der "Freiburger Zeitung" vom 15. 4. 1910
Der Autor jenes Artikels zugleich auch bekannt als Verfasser eines Buches mit dem Titel:
"Der Komet und der Weltuntergang" ...

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=01&day=15a1&year=1910&month=04&project=3&anzahl=4

Siehe zu diesem Thema auch die "Freiburger Zeitung" vom 18. 5. 1910

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=01&day=18a2&year=1910&month=05&project=3&anzahl=4
Re: Vor Einhundert Jahren
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 03. Mai 2010 03:46
Über Russell's Europareise-Pläne erfährt man in der "Wachtturm"-Ausgabe für Mai 1910 weiteres.
Danach will der Vielreisende Russell am 4. Mai 1910 in Warschau sein. Sonderlich viel Getreue, dürfte er dort nicht angetroffen haben, obwohl das Einzugsgebiet für diesen Termin bis nach dem (heutigen) Russland ausstrahlt. Allerdings muss der "Wachtturm" selbst einräumen, die Leute würden halt zu weit verstreut wohnen, die wenigsten davon in Warschau. Und so ist denn für seinen Warschau-Termin nur eine Privatwohnung bei einem E. Bente anvisiert.

Davor erwähnt der "Wachtturm" auch noch einen Russell-Termin für Wien am 3. Mai (eher beiläufig), was wohl auch für den Umstand spricht, die Hoffnung "auf große Volksmengen" die zu "beglücken" er sich auserkoren sieht, besteht wohl eher weniger.
Folgt man den Ausführungen von Bernhard Brabenec, kam es in Wien gar nicht zu einem Zusammentreffen mit den Getreuen.

Zitat:

"Da aber kein vereinbartes Treffen in Wien zustande kam, begab er sich von dort weiter nach Warschau, Russland, in Begleitung von Br. Rutherford und Br. Koetitz, der als Übersetzer fungierte."

Weitaus mehr sein Ego streichelte dann sein für den 5. Mai 1910 angesetzter Termin in Berlin.
Bernhard Buchholz (mit Adresse angegeben, Berlin N 20, Exerzierstraße 8 II) organisierte eigens eine Zusammenkunft im Saale "Festsäle Marienbad", Berlin-N., Badstr. 35/36".

Ein Bild von Buchholz ist aud der Seite von Carlo Vegelahn vorfindlich, der aber keine anderweitige Verwendung wünscht.
Ergo ist Buchholz als Russells Statthalter zu damaliger Zeit in Berlin anzusehen.
Folgt man den Ausführungen von William Schnell, stand er auch auf der Kandidatenliste, als für Rutherford nach Ende des ersten Weltkrieges, die Bestallung eines neuen deutschen Statthalters auf der Tagesordnung stand. Schnell will gar wissen, in einer sogenannt geheimen Wahl entfielen die meisten Stimmen auf Buchholz (Buchholz 1884 geboren). Indes Rutherford, in seiner Cäsarenwillkür, habe einfach den Balzereit den Vorzug gegeben, weil ihm dessen Nase besser passte.
Dazu kann man das "Uraniabuch" vergleichen (S. 126, 127).

Das "alternative Kontrastprogramm" (ohne inhaltliche Bewertung)
"Die Aussicht" Mai 1910


War Russell mit seinem "Photodrama der Schöpfung", auf welches er sich bekanntlich sehr viel zu gute hielt, eigentlich sonderlich originell?
Das wird man wohl weniger sagen können, liest man in der "Freiburger Zeitung" vom 10. 5. 1910 beispielsweise ein Inserat der "Heilsarmee" gekoppelt mit der Angabe, bei jener Veranstaltung würde auch ein Lichtbildervortrag mit 68 Lichtbildern gezeigt, über "das Leben Jesu".
http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=04&day=10b&year=1910&month=05&project=3&anzahl=4

Es ist nicht wahr das die Durchschnittsmenschheit dumm ist, sie ist noch viel dümmer!
Dies soll laut einem Bericht der "Freiburger Zeitung" vom 14. 10. 1910, der amerikanische Schriftsteller Mark Twain einmal geäußert haben.
Auch wenn ich diese Twain'sche Aussage jetzt nicht näher verifizieren kann, spätestens auch seit seinen Äußerungen über die Religionsgemeinschaft der "Christlichen Wissenschaft", kann ich als Kommentar dazu nur sagen: Der Mann (Mark Twain) blickt durch!

Der Bericht der "Freiburger Zeitung" nahm Bezug auf einen Vorgang, welcher überschrieben ist:
"Der heilige Petrus als Platzagent".
http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=02&day=14a2&year=1910&month=05&project=3&anzahl=4

Ein paar Tage später, am 20. Mai 1910, gab es in der "Freiburger Zeitung" einen Bericht aus Italien über Zahlenaberglauben. Artikelüberschrift:
"Eine Tragödie des Aberglaubens".
Auch zu ihm kann man dann nur sagen. Auch er bestätigt die These von Mark Twain!
http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=02&day=20b&year=1910&month=05&project=3&anzahl=4

Siehe auch:
http://forum.mysnip.de/read.php?27094,51228,52241#msg-52241

Re: Vor Einhundert Jahren
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 03. Juni 2010 03:59
Eine eher seltene Meldung ist im "Wachtturm" vom Juni 1910 zu registrieren. Russell berichtet über seine Europareise, und wer ihn da so alles mit begleitete. Ein sicherlich nicht unbekannter Herr Rutherford wird da auch genannt.
Aber weitaus interessanter wohl die Angabe von einer

"Schwester Rutherford, die, während unserer Reise nach Palästina in Deutschland blieb."

Ende der Durchsage.
Weshalb besagte Schwester Rutherford die Sightseeing-Tour zu den Pyramiden in Ägypten, nicht mitmachte wird nicht näher erläutert. Herr Rutherford indes, so sieht es jedenfalls aus, reiste durchaus mit zu den Pyramiden. Was besagte "Schwester Rutherford" dann in Deutschland hielt, wird auch nicht erläutert.

Das "alternative Kontrastprogramm" (ohne inhaltliche Bewertung)
"Die Aussicht" Juni 1910


Durch eine sogenannte Borromäus-Enzyklika werde der konfessionelle Friede in höchstem Maße gefährdet.
Dieser Auffassung waren zumindest einige, welche sich außerhalb der Catholica mit dem päpstlichen Kloakenerguss auch etwas näher beschäftigt hatten.
Die "Freiburger Zeitung" vom 3. 6. 1910 berichtet in kommentierter Form auch darüber.

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=01&day=03a1&year=1910&month=06&project=3&anzahl=4

Thematische Fortsetzung (8. 6. 1910) dann auch noch in:

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=01&day=08a1&year=1910&month=06&project=3&anzahl=4

Am 9. 6. 1910 wird gemeldet, jene unsägliche Enzyklika sei nun mittlerweile auch Gegenstand einer Sitzung des Preussischen Abgeordnetenhauses geworden.

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=03&day=09b&year=1910&month=06&project=3&anzahl=4

Eine Evangelisch-kirchliche Stellungnahme zu jener päpstlichen Enzyklika, dann in der "Freiburger Zeitung" vom 13. Juni 1910

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=02&day=13a1&year=1910&month=06&project=3&anzahl=4

Am 14. Juni 1910 meldet die "Freiburger Zeitung".
Unter anderem der "katholische König von Sachsen, die sächsische Regierung" und noch ein paar mehr, hätten sich nun auch gegen diese Papst-Enzyklika erklärt:
http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=01&day=14a1&year=1910&month=06&project=3&anzahl=4

Siehe auch:
http://de.wikipedia.org/wiki/Editae_saepe#Zum_Gedenken_an_den_Heiligen_Borrom.C3.A4us

Vor Einhundert Jahren
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 04. Juli 2010 04:48
Im "Wachtturm" vom Juli 1910 gelesen:

"Viele Jahre lang sind die lieben Freunde, welche sich regelmäßig in der ganzen Welt zum Studium des Wortes Gottes versammeln und die Wachtturm-Schriften als Handleitung gebrauchen, in Verlegenheit gewesen, wie sie sich nennen sollen. Wir haben fortdauernd vor allem gewarnt, was dem Sektenwesen oder Kirchentum ähnlich sein würde, aber wir haben nicht gewusst, was wir den Freunden vorschlagen sollten sollten...."

Dann aber hatte die WTG "die Erleuchtung". Weiteres Zitat:

"Wir haben jetzt durch das Herrn Vorsehung eine Bezeichnung gefunden, die, wie wir glauben, dem Volke des Herrn überall annehmbar sein wird, in jeder Beziehung - die Bezeichnung in der Überschrift dieses Artikels.
( Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher )
Sie repräsentiert völlig unsere Gefühle und Bestrebungen."

So so, dazu war also "des Herrn Vorsehung" nötig.
Etwas weniger prosaisch formuliert.
Der WTG-Funktionärskaste drängte sich der Eindruck auf, dass mit dem abkassieren der Betörten, klappt wohl nur in festen Organisationsformen so richtig, Ergo musste der "Herr" wieder mal seine "Vorsehung" spielen lassen!

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Re: BIBELFORSCHER
geschrieben von:  X ~ mysnip
Datum: 13. Juli 2010 23:54

Im "Wachtturm" vom Juli 1910 gelesen:

"Viele Jahre lang sind die lieben Freunde, welche sich regelmäßig in der ganzen Welt zum Studium des Wortes Gottes versammeln und die Wachtturm-Schriften als Handleitung gebrauchen, in Verlegenheit gewesen, wie sie sich nennen sollen. Wir haben fortdauernd vor allem gewarnt, was dem Sektenwesen oder Kirchentum ähnlich sein würde, aber wir haben nicht gewusst, was wir den Freunden vorschlagen sollten sollten...."

Dann aber hatte die WTG "die Erleuchtung". Weiteres Zitat:

"Wir haben jetzt durch das Herrn Vorsehung eine Bezeichnung gefunden, die, wie wir glauben, dem Volke des Herrn überall annehmbar sein wird, in jeder Beziehung - die Bezeichnung in der Überschrift dieses Artikels.
( Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher )
Sie repräsentiert völlig unsere Gefühle und Bestrebungen."

War der Name BIBELFORSCHER möglicherweise keine "Vorsehung", sondern eher eine Assoziation?
Ließ Russell sich von gewissen Schriften inspirieren?

DER GROSSE KAMPF ZWISCHEN LICHT UND FINSTERNIS - E. G. WHITE Erste Veröffentlichung 1888 Kapitel 39 (Englisch Seite 624, 625)
,,Nur die, welche eifrig in der Bibel geforscht und die Liebe zur Wahrheit angenommen haben, werden vor gewaltigen Taeschung, die die Welt gefangen nimmt, geschuetzt sein."

Es gibt weitere Ausgaben: Dort steht:

DER GROSSE KONFLIKT - E. G. WHITE S. 700 (625/626)
,,Nur die, welche eifrige Bibelforscher waren und die Liebe zur Wahrheit angenommen haben, werden vor der gewaltigen Täuschung, die die Welt gefangennimmt, geschützt sein."

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In einer eher knapp gehaltenen Mitteilung teilt der "Wachtturm" vom Juli 1910 den Tod des "Starbibelforschers" Dr. John Edgar am 10. Juni 1910 "nach kurzer aber ernster Krankheit" mit.
Gerade mal 48 Jahre alt wurde er. Bei Russell hatte er besonders dergestalt "einen Stein im Brett", dass von Edgar die Russell'sche Pyramidenthorie, noch weiter ausgestaltet wurde. Eigene Expeditionen zur Pyramide von Gizeh hin, war Edgar der ganze "Spass" wert.

Namentlich sein Bruder Morton Edgar, setzte dann das Werk fort. Neben der Pyramidologie, seinem eigentlichen Markenzeichen, ragt unter seinen Schriften, besonders die mit dem Titel "Der Sozialismus und die Bibel" hervor. "Eigenständig" in ihr ist er sicherlich nicht. Aber er wiederkäute "gekonnt" das, was bereits Russell im Band 4 der "Schriftstudien" dazu meinte publizieren zu sollen.

Nach dem Tode des John Edgar allerdings, erlosch das Interesse der WTG an ihm zusehends. Umso mehr nahmen die Splittergruppen ihn in ihr Programm auf.
Egal ob nun Friedrich Kunkel, Samuel Lauper oder auch Fritz Christmann.
Letztere wollte gar eine Schriftenreihe von Edgar neu verlegen. Wohl drei Hefte davon erschienen. Heft 3 im Jahre 1922 mit dem Titel Morton Edgar "Mythologie und Bibel", Edgars Miniatur-Bibliothek 3.
Und stolz liest man in letzterer auch die Angabe:
"Edgar's deutscher Verlag, Gera-Reuß
Fritz Christmann, Wettiner Str. 30".

Alle drei Namen (Kunkel, Lauper, Christmann) kennt man ja bereits aus WTG-Tagen, was eben nicht ausschloss, dass ihre späteren Wege sich von der WTG trennten.
Was die Christmann'sche "Edgar's Minatur-Bibliothek" anbelangt, dürfte ihr namentlich die in Deutschland hereinbrechende Inflation, dann einen Strich durch die Rechnung gemacht haben.
Lauper lebte ja in der Schweiz; den traf es so nicht. Kunkel mit seinem Zeitschriftenprojekt "Die Neue Zeit" konnte bei seinen Stamm-Abonnenten, Inflationsbedingte Preiserhöhungen, sicherlich kurzfristiger umsetzen, als etwa Christmann, mit einem eher "klassischen Buchverlag" ohne festen Abnehmerstamm. Mehr oder weniger aufs "Laufpublikum" angewiesen.

Das bedeutete dann in der Inflationszeit das "Aus". Eine Vorangekündigte Edgar'sche Pyramidenschrift in deutscher Übersetzung erschien dann auch gar nicht mehr.
In Heft 1 von Edgar's Miatur-Bibliothek mit dem Titel
Morton Edgar "Das Gebet oder der Heilige Kampf im Himmel", mit der weiteren Angabe "Übersetzt von Elise Schutzbach" (Zur Erinnerung, auch der Name Schutzbach ist ja bereits aus WTG-Tagen bekannt), liest man auf den Seiten 64 - 66 auch die folgenden Angaben:

"Weitere Exemplare dieses Büchleins sind zu beziehen von
Hans Kaulvers, Gera-Reuß, Wettiner Straße 7
Postscheckkonto Leipzig Nr. 90524

Keine Reklame, nur ein Fingerzeig!!
Der Göttliche Plan der Zeitalter
Zu beziehen von der
Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft, Barmen
Unterdörner Straße 76

Bitte beachten!
In Vorbereitung ist das bekannte Werk von John und Morton Edgar über die
große Pyramide in Ägypten
ein Buch mit vielen interessanten Abbildungen und einem Nachtrage über die Entdeckungen in der Pyramide nach 1914.
Die Herausgabe in Deutsch erfolgt mit Genehmigung des Verfassers und zwar in einigen Lieferungen mit einem Einbanddeckel am Schluß. Das erste Heft soll schon bald herauskommen. Bestellungen hierauf wolle man bitte einsenden an:
Fritz Christmann, Kiel, Schloßstraße 6
oder
Hans Kaulvers, Gera-Reuß, Wettiner Str. 7
Damit nicht zu wenig Exemplare gedruckt werden und der Preis ein möglichst niedriger werden möchte, sind schnelle und viele Aufträge erwünscht. Ein eventueller Profit soll dem Erntewerke zugute kommen.
Besteller der ersten Lieferung erhalten die weiteren Hefte ohne weiteres zugesandt, sofern sie nicht rechtzeitig ihren Verzicht anmelden. Die Herausgeber hoffen aber sämtliche Besteller durch Ausstattung und Inhalt der Hefte zufriedenzustellen.
Der Preis wird mit der ersten Lieferung bekanntgegeben."

Was die Edgar'sche Schrift "Der Sozialismus und die Bibel" anbelangt, ist auch deren Impressum aufschlußreich:

"Der Sozialismus und die Bibel
Eine soziale Studie
Von Professor Dr. med et phil John Edgar.
Mitglied der königlichen Fakultät der Ärzte und Chirurgen, Glasgow
Zweite Auflage 6 bis 25.000.
Verlag: Ernst Haendler Elberfeld-Sonnborn o. J. (1913).

Ihr vorangestellt ist ein Vorwort.

"Basel, Sommer 1913 Dr. Emil Lanz"

Auch von Lanz sind dann noch ähnliche Wandlungen bekannt, wie in den Fällen der bereits vorgenannten Namen.
Der Zahnarzt Dr. Emil Lanz war offenbar "ganz hin- und hergerissen" Der "Wachtturm" Dezember 1910 veröffentlichte noch, einen "Abbitte-Leserbrief" von ihm. Offenbar waren die schismatischen Tendenzen um "Die Aussicht" auch an ihm, nicht vorübergegangen. Meine Meinung zu ihnen hatte ich ja schon mal mit dem Begriff theologisches Hinterhofkellergezänk" zusammengefasst. Nun also war auch Lanz soweit, sich dazu eine Meinung zu bilden. In seinem abgedruckten "Abbittebrief" formuliert er dazu:

"Ich ließ mich durch Einflüsterungen des Feindes dazu verleiten, die Haushalterschaft Bruder Russells in Frage zu ziehen und ich erkenne es jetzt deutlich, dass genau dort die Verschleierung einsetzte.
Oh, dass ich nur allen lieben Brüdern und Geschwistern zur Warnung dienen möchte, die sich in diesen Punkte so gerne verleiten lassen. Von dem Moment an, wo mir der Herr diese Sünde aufdeckte und ich Busse tat, wurde der Schleier entfernt, und nun sich all die herrlichen Wahrheiten wieder in ihrem vollen Glanze.
Deine diesbezügliche Vermutung ist also Gott sei Dank nicht vorhanden. Die ernsten Fragen über Lösegeld, Mittler, Bündnis usw., welche einige der einst Unsrigen so heftig bekämpfen, sind für mich, Gott sei gepriesen, gelöst! Auch darin hat der Herr es verstanden, aus dem bösen Gutes hervorgehen zu lassen. Bei einer eingehenden Prüfung der gegnerischen Schriften fiel mir wie Schuppen von den Augen, und ich erkannte deutlich und klar, dass die Wahrheit auf der anderen Seite lag."

Das war dann sicherlich "Balsam" für die angekratzte Seele der WTG.
Nur muss man auch das sehen.
Mit Russell wähnt also Lanz wieder in Einklang zu sein. Indes, dessen Tage währten wohl so übermässig lange nicht mehr.
Und der neue Herr der WTG pflegte da einen ganz anderen Wind "pfeifen zu lassen".
Ergo bedeutete dies auch, dass der spätere Lanz keinesfalls einen "Freibrief" für den späteren neuen Herrn damit aussprach.
Lanz war sicherlich nicht der "einzigste", der durch die Praxis des neuen Herrn, dann auch noch aus der WTG-Organisation "herausgeschüttelt" wurde.

Um auf die Schrift "Der Sozialismus und die Bibel" zurückzukommen.
Immerhin verlegte auch die Wachtturmgesellschaft diese Schrift.
Im wissenschaftlichen Bibliothekswesen ist eine Ausgabe nachweisbar.
Johannes Edgar
Der Sozialismus und die Bibel
Wachtturm Bibel- und Traktatgesellschaft Barmen o. J.
gleiche Vorwort aber ohne dessen Verfassernamen (Emil Lanz).

Dann gab es noch eine 5. Aufl. dieser Schrift. In ihr liest man Impressumsmäßig die Angaben:
"5 Aufl. 1922
Edgars deutscher Verlag Gera-Reuß
Fritz Christmann, Wettinerstr. 30
(gleiche Text, aber neu gesetzt und damit andere Seitenzählung).
Sämtliche Schriften sind zu beziehen von Edgar's deutscher Verlag, Fritz Christmann, Gera-Reuß, Wettinerstr. 30
Oder von
Lorenz Asmussen, Schleswig, Lollfuß 98
Heinrich M. Cordes, Stuttgart, Moltkestr. 106
Für die deutsche Schweiz:
Hans Frey, Bern, Dalmazirain 11"

Das "alternative Kontrastprogramm" (ohne inhaltliche Bewertung)
"Die Aussicht" Juli 1910

Erneut ist in der "Freiburger Zeitung" vom 24. 7. 1910 ein Inserat abgedruckt, davor schon in gewissen Zeitintervallen einige Male. Das nächste inhaltlich identische Inserat dann in der Ausgabe vom 14. 8. 1910 der "Freiburger Zeitung". Dieses häufige insererieren offenbart wohl auch, das Geschäft lief!
An seinem Schluss liest man eine Adresse in England, an welche die Betörten ihre erwünschte Antwort zu richten hätten.
Also ein in England ansässiger geht in Deutschland auf Dummenfang.
Das er wahrscheinlich reiche Beute einfuhr, erscheint so unwahrscheinlich nicht.
Direkt Geld fordern tut er in seinem Inserat (noch) nicht. Es ist lediglich davon die Rede 50 Pfg in Briefmarken mit beizulegen, für die "Antwort".
Im eigentlichen Text liest man noch einen "Idiotentext" welche die Betörten doch bitte mit abschreiben mögen. Wer sich auf dieses Idiotenexperiment schon mal einlässt, beweist allein durch diesen Umstand, wie es denn um seines "Geistesstübchen" so bestellt ist.
Da soll also der/die Betörte abschreiben:

Ich habe von ihrer Gabe gehört
Im Buches des Schicksals zu lesen
Und möchte von Ihnen hören den Rat
Den Sie mir haben zu geben.

Und überschrieben ist dieses Inserat mit dem Fragesatz:

"Kann dieser Mann Ihr Lebensschicksal voraussagen?"

Das daran angehängt ? übersehen die auf solche Rattenfänger hereinfallenden schon mal prinzipiell.
Weiter geht es mit der Behauptung:

"Viele sagen, er habe Ihr Leben mit bewunderswürdiger Genauigkeit enthüllt."

Geblendet vom Wunschdenken, und unfähig zu rationalem Denken, läuft dann dessen Geschäft am Schnürchen.
Alles weitere ist dann wohl nur eine Frage der Zeit. Der Fisch hat jedenfalls erstmal den Köder geschluckt. Und viel mehr "Intelligenz" als wie ein Fisch, haben die darauf reagierenden sicherlich nicht.
Rorroy nennt jener Herr aus England, der da auf eine Baroneß Blanquet als Revevrenz verweist, der da auch im deutschen Unterbemittelten-Milieu reichen Fischfang einfahren möchte.
http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=04&day=24r2&year=1910&month=07&project=3&anzahl=4

Re:Vor Einhundert Jahren
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 11. August 2010 04:36
In Fortsetzung des Berichtes über seine Europatournee teilt Russell mit, das die darin mit enthaltene Station Rom (Italien) enttäuschend war. Zwar wurde im Vorfeld "ein großes, zentrales Auditorium gemietet und sehr sorgfältig annonciert".
Allein die Akzeptanz des Publikums blieb aus; und so fanden denn Russell und Getreue sich ziemlich verloren in dem angemieteten Etablishment wieder. Das Ergebnis dort sei "weit hinter der Voraussage zurückgeblieben."

Da war die Station Warschau (damals politisch noch zu Russland gehörend) schon besser abgelaufen. Da wurde erst gar keine Versammlungsstätte angemietet, was bei der Kopfzahl von 20 Getreuen, die da Rusell begrüßen konnte, wohl auch wenig Sinn gemacht hätte.
Bezüglich Wien heisst es:
"Wir hatten keine Verabredung für ... Wien".

So kann man dann im Nachhinein, enttäuschende Ergebnisse auch beschreiben!
Ein "Event" der bisher eher trostlosen Ergebnisse war dann Berlin.
Da hatten sich in der tat etwa zweihundert Getreue eingefunden.
Noch besser lief es dann in Barmen ab, mit 800 dort Anwesenden bei einem öffentlichen Vortrag.

Bei der Station London (England) erfährt man unter anderem dieses Detail:

"Nach einer vorher getroffenen Verabredung unterließen die Freunde es diesmal, die Hand zu schütteln, damit wir nicht ermüdet werden möchten."

Das sind dann wohl so die Sorgen der Stars (und seien es nur Religionsstars). Aber wie vernommen, hatte man ja "alles im Griff".
Das Thema "Händeschütteln" wird dann noch weiter ausgebreitet, und das andächtig lesende "Wachtturm"-Publikum auch darüber belehrt, bei einem Händedruck "nicht zu hart pressen".

Der arme Russell mag man da ja nur sagen. Da sollen es ja spätere Religionsfürsten, etwa Bhagwan, besser getroffen haben. Die kutschierten dann schon mal im Rolls Royce. Wer zu nahe kam musste sich einer Geruchskontrolle durch die Bodyguards unterziehen; denn Herr Bhagwan pflegte bezüglich gewisser Gerüche doch sehr empfindsam zu sein.

Bei den dann öffentlichen Versammlungen in London, drei an der Zahl, wird in einem Nebensatz auch mitgeteilt dass ein Oberstleutnant Namens Sawyer, als Versammlungsvorsitzender fungierte.
Also auch in diesem Fall hatte Russell keinerlei Skrupel sich Militärvertreter als Stafette zu bedienen.

Just zum Zeitpunkt des Russellbesuches war der englische König Eduard VII. verstorben.
Artig reagierte Russell auf diesen Umstand, indem er die Versammlungsteilnehmer mit den Worten ansprach:

"Daß wir, ehe wir mit Gebet beginnen, unsere Teilnahme für die Königliche Familie an ihrem Verlust durch Erheben von den Sitzen bezeugen. Nach einem kurzen Gebet, in welchem die Königliche Familie erwähnt wurde, stimmte die Versammlung das Lieblingslied des verstorbenen Königs an: 'Näher, mein Gott, zu dir.' Einige Minuten lang, ehe wir beteten, betete die Versammlung still mit gesenkten Häuptern. Es machte tiefen Eindruck."

Letzteren Satzteil "Es machte tiefen Eindruck" wiederholend, stellt sich da wohl noch die Frage, was es denn da wohl für Unterschiede zu anderen Zweigen der Religionsindustrie gab?
Die agierten doch ähnlich Königstreu!

Einen gewissen Ärger kann Russell allerdings nicht verbergen. Die Zeitungen seien voll gewesen mit der Berichterstattung über diesen Todesfall. Und sein eigenes Auftreten fand daher in ihnen, bestenfalls unter "ferner liefen" einen Platz. Gerne hätte er es andersrum gesehen, was ihm jedoch nicht vergönnt war.

Das "alternative Kontrastprogramm" (ohne inhaltliche Bewertung)
"Die Aussicht" August 1910

Genüsslich zelebrierend, liest man in der "Freiburger Zeitung" vom 14. 8. 1910, unter der Überschrift
"Ein Augenzeuge über die Kapitulation von Sedan" Details, wie Frankreich als Folge des Deutsch-Französischen Krieges von 1870 gedemütigt wurde.
Was man nicht liest, wäre etwa ein Kommentar über die Folgewirkungen. Sie sollten sich dann noch im Ersten Weltkrieg, und namentlich im Vertrag von Versailles, an dessen Ende offenbaren.
Beklagten also die Heißsporne, allen voran die Nazis und ihre Vorläufer, dass für Deutschland eher ungünstige Ergebnis des Vertrages von Versailles. Und registrierte man weiter, besonders Frankreich habe sich in genannten Vertrag als Scharfmacher gegen Deutschland geoutet, so ist das vom Prinzip her nicht unrichtig.
Aber wer die Vorgeschichte dabei bewusst ausblendet, der darf sich wahrlich nicht wundern, folgt einer Ursache die Wirkung!

Bemerkenswert auch die Angabe in der Wikipedia:

"Im späteren Deutschen Reich wurde am 2. September der "Sedantag" als patriotischer Feiertag an Stelle eines noch nicht existierenden Nationalfeiertages gefeiert."

Man legte also wert auf die zusätzlicher Erhöhung dieser Geschehnisse. Dieses Klima war dann in der Tat, mit einer der wesentlichen Wegbereiter für die Nazis.

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=01&day=14r1&year=1910&month=08&project=3&anzahl=4

Re: Re:Vor Einhundert Jahren
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 12. September 2010 03:16
Als Doppelnummer (32 statt ansonsten 16 Seiten) kommt die "Wachtturm"-Ausgabe für September 1910 daher. Ihr Hauptinhalt, zwei ansonsten von der WTG auch mal (vordem) verbreitete Broschüren mit dem Titel:
"Wo sind die Toten?"
Und
"Was sagt die Heilige Schrift über die Hölle";
sowie ergänzend, entsprechend thematische Auszüge aus den Russellschen "Schriftstudien".
(Für diese Referierung unter Zugrundelegung auch der genannten Seperat-Broschüren).

In dem ersteren Text stellt Russell auch die rhetorische Frage:

"Wir fangen damit an, unseren glaubenslosen Freunden, die sich ihrer unbeschränkten Freiheit des Denkens rühmen, die Frage vorzulegen: was sagt ihr "Freidenker" auf unsere Frage: "Wo sind die Toten?"
Sie antworten: "Wir wissen es nicht."
Wir danken unseren ungläubigen Freunden für die höfliche Antwort, haben aber das Gefühl, dass sie wieder unseren Verstand noch unsere Herzen befriedigt, beide rufen aus, dass es ein zukünftiges Leben geben muss oder geben sollte."

Also hier schon mal das in der Religionsindustrie (nicht nur bei den Russellianern) übliche Wunschdenken.
Es sei, was man wünscht, unbeschadet dessen ob es denn auch tatsächlich so ist.
Der "Streit um des Kaisers Bart" dreht sich dann darum, wie denn nun die "tatsächliche" Ausgestaltung dieses Wunschdenkens auszusehen habe.
Nun aber, gibt es in der Religionsindustrie dazu durchaus unterschiedliche Antworten, die sich zum Teil erheblich "beissen".
Sei es die Lehre einer unsterblichen Seele, sei es ein Fegefeuer, und anderes mehr.
Das "genaues weis man nicht" wollen die Geschäftemacher der Religionsindustrie ja nicht wahrhaben, dieweil sie ja ansonsten keine echte Geschäftsgrundlage zum melken der Betörten haben.
Sie meinen daher es "ganz genau" zu wissen, wo unsereiner eher dazu sagen würde:
Was wissen sie denn nachweisbar - Nichts!

Wie auch immer. Auch Russell meint es "ganz genau" zu wissen. Vor allem was denn seiner Meinung nach, die Konkurrenz alles falsch sieht. Zum Beispiel auch dieses:

"Wir können unseren katholischen Freunden für eine so freundliche Darlegung dieser Sachen nur danken. Wir wollen sie nicht fragen, wo ihr Fegefeuer ist, auch nicht, wie sie die Einzelheiten hierüber erfahren haben, weil sie sich durch solche Fragen beleidigt fühlen würden, und weil wir sie nicht zu beleidigen wünschen. Wir wünschen ja nur, ihre reifsten, klarsten und gediegensten Gedanken über unsere Frage. Wir bedauern sagen zu müssen, dass die Antwort nicht das bietet, was wir an Klarheit, Vermittelbarkeit und Schriftgemäßheit hätten hoffen dürfen."

(Zwischenbemerkung: Bemerkenswert die zurückhaltende Wortwahl. Russell's ungeahnter Nachfolger Rutherford, pflegte dann ja diesbezüglich "ganz andere Töne aufzuziehen).

Bei dem zweiten abgehandeltem Thema:
"Was sagt die Heilige Schrift über die Hölle?" wähnt sich Russell noch mehr als beim ersten, der religiösen Konkurrenz überlegen. Das äußert sich dann in Aussagen wie:

"Jahrhundertelang ist es die Lehre der "Orthodoxie" gewesen, dass Gott, ehe er den Menschen schuf, einen großen Abgrund von Feuer und Schrecken geschaffen habe, der all die Milliarden der menschlichen Familie fassen könne, welche er ins Dasein bringen würde, dass er diesen Abgrund "Hölle" genannt habe, und dass alle Verheißungen und Drohungen der Bibel bestimmt wären, soviel als mögliche (eine kleine Herde") von solchen Übeltaten zurückzuhalten, welche diesem schrecklichen Ort zu ihren dauernden Heim machen würden.
In dem Maße, als Erkenntnis zunimmt und Aberglaube schwindet, verliert diese ungeheuerliche Vorstellung der göttlichen Einrichtung und des göttlichen Charakters ihre Kraft, und denkende Leute können nicht umhin, die "Erzählung" infrage zu stellen, die man mit großer Malerkunst an Kirchenwänden zu schildern pflegte.
Während wir uns freuen, dass der Aberglaube fällt, und die Erkenntnis der Allmacht, Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe des Schöpfers zunimmt, sehen wir mit Schrecken, dass alle, welche diese lang verehrte Höllenlehre verlassen, sich den Zweifel oder dem Unglauben zu neigen. Warum sollte das der Fall sein, wenn das Gemüt nur von einem Irrtum befreit wird, fragst du?

Weil uns solange gelehrt worden ist, dass die Grundlage für diese schreckliche Lästerung des Charakters und Walten Gottes in dem Worte Gottes liege. In dem selben Maße wie der Glaube an die "Hölle" erschüttert wird, so wird auch der Glaube an die Bibel als die Offenbarung vom Baum des wahren Gottes erschüttert. Und diejenigen welche ihren Glauben an einer "Hölle" oder eine rund einem Ort endloser Qual verloren haben, sind oftmals ausgesprochene Ungläubige und Spötter.
Durch die Vorsehung Gottes zu der Erkenntnis geleitet, dass die Bibel und ihr göttlicher Autor verleumdet worden sind, und das recht verstanden, die Bibel nichts lehrt, was für Gottes Charakter oder für eine intelligente Vernunft nachteilig ist, wollen wir versuchen, die Lehre der Heiligen Schrift über diesen Gegenstand klar zulegen, damit dadurch der Glaube an Gott und sein Wort in den Herzen neue befestigt werden möge auf einer vernünftigen Grundlage.

Der WT beruhigt sich dann mit der These:

Es ist in der Tat unsere Meinung, dass jeder, der hierdurch finden wird, dass seine falsche Anschauung auf menschlichen Missverständnissen und Missdeutungen beruhte, zugleich lernen wird, weniger auf seiner und anderer Menschen Vorstellung zu vertrauen und im Glauben das Wort Gottes fester zu ergreifen, das fähig ist, weise zu machen zur Seligkeit.

Ja, wir geben zu, dass das Thema, wie es im allgemeinen dargestellt und angenommen wird, ein Schreckliches ist, dass in großem Maße die glorreiche Anschauung der Liebe und Macht und Weisheit Gottes ausschließt, die sein heiliges Wort darbietet.

Das an der allgemeinen geltenden Lehre von der Strafe der Bösen etwas grundfalsch sein muss, ist vom Standpunkte der Vernunft völlig klar, denn sie stellt, anstatt die Gerechtigkeit Gottes zu offenbaren, seinen glorreichen Charakter der Liebe Gerechtigkeit, Weisheit und Macht völlig falsch dar. Und von einem schriftgemäßen Standpunkt aus zögern wir nicht, zu behaupten, was zu beweisen, wir völlig in der Lage sind, dass sie weit ab von der Wahrheit liegt, und dass der Standpunkt ihre Verteidiger völlig unhaltbar ist.

Dass die Verteidiger der Lehre von der ewigen Qual selbst wenig oder gar nicht an sie glauben, ist offenbar durch die Tatsache, dass ihr Leben nicht durch sie beeinflusst wird.

Weiter im WT-Statement:

Die einfachste Folgerung ist, dass sie die Lehre nicht glauben. Die einzige Klasse von Leuten, die einem in gewissen Grade ihren Glauben daran durch ihre Werke kundgeben ist die Heilsarmee, und diese Leute sind für fast alle anderen Christen ein Gegenstand des Spottes, weil sie in etwa ihren Glauben entsprechend handeln. Ihr sonderbares und oft unsinniges Treiben, das so grundverschieden ist von dem Wesen des Herrn, von dem geschrieben steht: "Er wird nicht schreien und nicht erheben, noch hören lassen seine Stimme auf der Straße" (Jes. 42,2), ist sehr milde im Vergleich mit dem, was man erwarten möchte, wenn sie völlig von der Lehre überzeugt wären.

Es ist seltsam, dass sonst verständige Männer und Frauen, die ihre Mitmenschen lieben, die Hospitäler, Waisenhäuser, Asyle und Vereine zur Verhütung von Grausamkeit selbst gegen die tierische Schöpfung gründen, so wenig geistiges Gleichgewicht haben, dass sie eine solche Lehre glauben und mit unterschreiben können, und doch so gleichgültig sind hinsichtlich der Erforschung ihrer Berechtigung.

Wir kennen nur eine Ausnahme, die Anhänger der streng calvinistischen Lehre, diejenigen, welche glauben, dass Gott es so bestimmt habe, so dass alle ihre Anstrengungen das Resultat für einen einzigen Menschen ändern könnten, und dass alle Gebote kein Jota an dem furchtbaren Plane ändern würden, den, wie sie glauben, Gott zu seinen und ihren ewigen Vergnügen ersonnen habe.
Warum nicht lieber unbefangen, diese "Lehre des Teufels" zu bezweifeln, diese Lästerung des großen Gottes, die in den "dunklen Jahrhunderten" ausgebrütet wurde, wo eine listige Priesterschaft lehrte, dass es recht sei, Böses zu tun, damit Gutes daraus folge?

Dann meint man zu wissen:

Die Lehre von der ewigen Qual wurde von dem Papsttum eingeführt, um die Heiden zu veranlassen, sich ihm anzuschließen und sein System zu unterstützen. Sie blühte zu derselben Zeit, wo "Stierkämpfe" und Gladiatorenkämpfe die beliebtesten öffentlichen Vergnügungen waren, wo die Kreuzzüge "heilige Kriege" genannt wurden, und wo Männer und Frauen "Ketzer" genannt und oft hingemordet wurden, weil sie nicht in Übereinstimmung mit den Lehren des Papsttums dachten und redeten, zu einer Zeit, wo die Sonne des Evangeliums Wahrheit dunkel war, wo das Wort Gottes außer Gebrauch gekommen und jedermann verboten war, es zu lesen, außer der Geistlichkeit, deren Liebe zu Ihren Nächsten oft darin gezeigt wurde, dass sie "Ketzer" folterten, um sie zu zwingen, ihren Glauben und ihre Bibel zu widerrufen und zu verleugnen, um sie, wie sie erklärten, womöglich von der noch schrecklichen Zukunft der "Ketzer", der ewigen Qual zu retten. Sie entlehnten diese Lehre nicht in Heiden, denn kein Heidenvolk der Welt als eine so grausame, so teuflische und so ungerechte Lehre.

Aber wir wiederholen, dass in dem Licht und der moralischen Entwicklung unserer Zeit verständige Leute diese Lehre nicht glauben. Da sie jedoch meinen, sie sei biblisch, so bedeutet ihr Fortschritt in wahrer Intelligenz und brüderlicher Liebe, welche einen solchen Glauben unmöglich machen, in den meisten Fällen eine Anzweiflung des Wortes Gottes, welches sie fälschlich dieser Lehre beschuldigen.

Der Zweifel ist daher die zweite Ernte böser Frucht, welche das Einsetzen des Irrtums seitens Satans hervorbringt. Die intelligenten, aufrichtigen Denker werden so von der Bibel hinweg getrieben in eitle Philosophien, so genannte Wissenschaft und Unglauben. Auch die "Welt" glauben diese Lehre nicht recht und lässt sich nicht an Verbrechen hindern.

Als Detail wird ausgeführt:

... Stellen in denen "Scheol" von Luther mit "Hölle" übersetzt wurde, in der Elberfelder Bibel Scheol steht und in denen De Wette und Van Eß meistens die heidnischen Bezeichnungen "Unterwelt" und "Totenreich" gebrauchen, die Hirschberger Bibel aber oft als Randbemerkung die Bedeutung von "Grab" und "Zustand der Toten" setzt.

Nachdem wir das Wort "Scheol" geprüft haben, das einzige Wort im Alten Testament, das mit "Hölle übersetzt ist, und das Wort Hades", dass im Neuen Testament mit "Hölle" übersetzt ist, betrachten wir nun jedes übrige Beispiel das deutschen Wortes "Hölle" in der Schrift.
Im Neuen Testament sind zwei andere Worte mit "Hölle übersetzt, nämlich: "Gehenna" und "Tartarus".

Der Punkt, auf den es ankommt, ist, dass Gehenna den zweiten Tod, völlige, gänzliche und ewige Vernichtung darstellt.

Zum Gleichnis vom reichen Mann und Lazarus. Lukas 16,19 bis 31 gibt es dann die Ausführung:

Die große Schwierigkeit für viele, die diese Schriftstelle lesen, ist, dass obwohl sie dieselbe als ein Gleichnis betrachten, sie doch darüber urteilen und Schlüsse daraus ziehen, als ob sie eine buchstäbliche Darlegung wäre. Sie als eine buchstäbliche Darlegung zu betrachten, schließt verschiedene Ungereimtheiten ein.

Aber wozu Ungereimtheiten betrachten? Als ein Gleichnis ist es leicht auszulegen. In ein Gleichnis ist das was gesagt wird, niemals das was gemeint ist. So stellt der "reiche Mann" in diesem Gleichnis eine Klasse, und "Lazarus" stellt eine andere Klasse dar.

Unserem Verständnis gemäß repräsentierte Abraham Gott selbst, und der reiche Mann repräsentierte die jüdische Nation. Sowohl zu der Zeit, dann der Herr dieses Gleichnis gab, als auch eine Zeit lang vorher hatten die Juden alle Tage herrlich und in Freuden gelebt, den die waren die besonderen Empfänger der Gnade Gottes gewesen.
Lazarus stellte die vom göttlichen Gnade unter dem Gesetz Ausgestoßenen dar, welche, obwohl sündenkrank, nach Gerechtigkeit hungerten und dürsteten. Obgleich darin Zöllner und Sünder von Israel inbegriffen waren, so waren es in der Hauptsache doch Heiden, alle Nationen der Welt, die abseits von den Israeliten standen.

Übergeleitet wird dann zu Philosemitischen Thesen:

Die Auflösung des jüdischen Staatswesens und die Entziehung der Gnade, deren Israel sich so lange erfreut hatte, konnte nicht besser dargestellt sein, als wie in dem "Tod" des Reichen. So wurden die Juden ausgestoßen, und es ist ihnen seitdem "keine Gnade" erzeugt worden, während die armen / Heiden, welche vorher dem "Bürgerrecht Israel" nicht zugehörig und betreffs der Bündnisse und Verheißungen, die bis dahin nur den Israeliten gegeben worden waren, Fremdlinge gewesen waren, keine Hoffnung haben und ohne Gott in der Welt, dann "durch das Blut Christi nahe gebracht" und mit Gott versöhnt wurden. Eph. 2,12.13

Und die Geschichte hat die im Gleichnis enthaltene Weissagung bestätigt. Seit achtzehnhundert Jahren haben die Juden nicht nur tiefe seelische Trauer über ihre Verwerfung von der Gnade Gottes und der Verlust ihres Tempels und anderen Notwendigkeiten zur Darbringung ihre Opfer empfunden, sondern sind von allem Klassen, einschließlich der sogenannten Christen, unbarmherzig verfolgt worden. Von der letzteren haben die Juden, wie das Gleichnis es ausspricht, Barmherzigkeit erwartet.
Diese "Qualen" sind die Strafen für die Verletzung ihres Bundes gewesen und mussten so gewiss über sie kommen, wie die für Gehorsam verheißenen Segnungen. 3. Mose 2:6.

Obgleich die Juden jahrhundertelang von Heiden, Mohammedaner und angeblichen Christen bitter verfolgt worden sind, so erheben sie sich doch nun stufenweise zur politischen Freiheit uns Einfluss, und als Volk werden sie am Beginn des Milleniums (obgleich viel von Jakobs Drangsal" noch zukünftig ist) unter den Völkern sehr hervorragend sein. Die Decke (2. Kor, 13-16) des Vorurteils existiert noch, aber sie wird beim Dämmerlicht des Millenium-Morgens allmählich hinweg genommen werden. Auch sollten wir nicht überrascht sein, von großen Erweckungen unter den Juden zu hören, und davon, dass viele zu Erkenntnis Christi kommen.

Sie werden so ihren Hadeszustand (nationaler Tod) und ihre Qual verlassen, und die erste Nation sein, die von dem wahren Samen Abrahams welcher ist Christus, Haupt und Leib gesegnet wird. Ihre Verschanzung in Gestalt von Rassenvorurteil und Stolz fällt an einigen Orten und die Demütigen, die Armen im Geist, beginnen schon, auf den zu schauen, den sie durchstochen haben, und zu fragen: Ist das nicht der Christus?

Resümierend dann:

Im Hinweis auf unsere Darlegung, dass die Lehre von der ewigen Qual den Lehren der christlichen Kirche während der Periode des Abfalls vom Glauben eingepfropft wurde, des großen Abfalls, der im Papsttum gipfelte, haben einige gefragt, ob es nach den Worten des Joseph nicht scheine, dass diese Lehre schon von den Juden festgehalten wurde, und fragten sie weiter, sollen wir nicht annehmen, dass die ersten Christen, die hauptsächlich aus dem Judentum Bekehrte waren, diese Lehre gleich im Anfang mit sich brachten?
Wir antworten: Nein, die Lehre von der ewigen Qual entwickelte sich naturgemäß aus der Lehrer von der menschlichen Unsterblichkeit, welche als eine philosophische Frage zuerst in einer der gegenwärtigen Form ähnlichen Weise von der platonischen Schule der griechischen Philosophie erörtert wurde.

Und doch waren die Essäer eine so unbedeutende Sekte, dass das Neue Testament sie nicht einmal erwähnt, und Josephus selbst gibt zu, daß sie wenige waren. Welche Ansichten sie auch über irgend einen Gegenstand gehabt haben mögen, so kann noch nicht behauptet werden, dass sie dem Beifall der Juden genossen, die in der großen Mehrzahl entgegengesetzter Meinung waren. Schon die Tatsache, dass unser Herr und die Apostel nicht auf sie hingewiesen, ist ein hinreichender Beweis, dass die Philosophie der Essäer durchaus nicht die jüdischen Ideen repräsentierte. Diese kleine Sekte entstand wahrscheinlich später, und entnahm der griechischen Philosophie ihre Ideen der Unsterblichkeit und ewige Qual der Bösen.

Kernsätze Russells sind dann wohl auch:

"Die Übersetzer der Elberfelder Bibel waren in dieser Hinsicht anscheinend aufrichtiger, indem sie Scheol und Hades nie übersetzten."

Oder auch beim Thema "Der Schächer im Paradies"
"Man wird bemerken", so Russell,

"dass diese verschiedene Auslegung es nötig macht, dass Komma nach "heute" zu stellen, anstatt vor dasselbe. Wir behaupten, dass die Interpunktion in unseren Text sicher nicht inspiriert war, denn die Interpunktion wurde erst Jahrhunderte später erfunden, nachdem unsere Bibel geschrieben war. Unsere Auslegung, welche das Komma, nach "heute" stellt, macht die ganze Schriftstelle vernünftig und harmonisch - übereinstimmend mit der Bibel im ganzen - und logisch
Das Erlangen ewigen Lebens wird nicht durch eine Sache des Glückes sein sondern eine Sache des Charakters."

Insbesondere letzteren Satzteil "eine Sache des Charakters", kippte der ungeahnte Russell-Nachfolger Rutherford dann noch.
Je länger je mehr lautete seine Form der "Antwort" darauf. Wer sich für die WTG nach Strich und Faden ausnutzen lässt: seelisch, materiell, als "Treppenterier", nur der könne den imaginären "Lohn" dereinst mal "erhalten."
Kontrastierend zu dieser Weltsicht dann etwa
Ludwig Feuerbach

Das "alternative Kontrastprogramm" (ohne inhaltliche Bewertung)
"Die Aussicht" September 1910

Dem Eintausendsten Jahrestag der Gründung des Benediktiner-Klosters Cluny, widmet die "Freiburger Zeitung" vom 2. 9. 1910 einige Reflexionen. Selbige Gründung wird als "eine der gewaltigsten kirchlichen Erscheinungen des Mittelalters" gewertet.
http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=01&day=02b&year=1910&month=09&project=3&anzahl=4

In Berichterstattung über eine Generalversammmlung des "Evangelischen Bundes" in der "Freiburger Zeitung" vom 29. 9. 1910 liest man dort auch; ein Geschäftsführender Reichstagsabgeodneter (jenes kirchlichen Vereins) habe dort das Wort ergriffen. Selbiger wird mit den Sätzen zitiert:

"Aus der Menge der Widersacher ... des Glaubens erhoben vor allem zwei Gegner aufweckenden Streitruf. Gegen zwei Fronten mußten wir kämpfen. Da war der deutsche Gelehrte, der in Wort und Schrift rief. Jesus hat nicht gelebt! Und da war der römische Priester, der seine Borromäusenzyklika in die Welt hinaussandte. Jenem Gelehrten traten alle Führer der protestantischen Bewegung entgegen und wider die Herausforderung des Papstes erhob sich in hellem Zorn das protestantische Volk zum Schutze seiner Helden."

Zwar noch nicht 1910, wohl aber Mitte der 1920er Jahre, spielte dann der vorgenannte "Evangelische Bund" in der Anti-Bibelforscher-Agitation, personalisiert auf den Namen Paul Braeunlich, auch eine relevante Rolle. Ohne Bräunlichs Thesen zu "unterschreiben", muss man ihm dennoch zugestehen, er argumentierte vielleicht etwas qualitativer, als so manches anderes zeitgenössisches Anti-Bibelforschergewäsch, für die eigentlich der Papierkorb, noch zuviel der unverdienten Ehre ist.
http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=01&day=29a2&year=1910&month=09&project=3&anzahl=4

Re: Re:Vor Einhundert Jahren
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 07. Oktober 2010 00:27
Euphorisch fühlt sich der "Wachtturm" vom Oktober 1910 bemüßigt, eine Meldung über die "Bodenreform in Palästina" auch seiner Leserschaft zur Kenntnis zu bringen. Danach soll "der bekannte Nationalökomom Dr. Franz Oppenheimer, Privatdozent an der Berliner Universität" den Plan einer "großen genossenschaftlichen Ackerbausiedlung" in Palästina, entwickelt haben, für welche jüdische Kreise, entsprechende Finanzmittel zu ihrer Realisierung aufbringen würden.

Im 1987er ZJ-Jahrbuch kann man unter anderem auch den Satz lesen:

"Bruder Wellershaus hatte ein Steckenpferd die Chronologie. Er hielt jeweils ... ausführliche Ansprachen, die so eindrucksvoll waren, das seine Zuhörer von damals heute noch sofort daran erinnern ..."

Zeitweilig wurde dann besagter Karl Wellershaus, noch von Russell, zusammen mit Fritz Christmann und Hermann Herkendell, E. Wetzel und A. Zimmer als Leitungsgremium der deutschen WTG berufen (das war dann im ersten Halbjahr 1916. Der Name Balzereits als deutscher WT-Redakteur taucht erstmals im Herbst 1916 auf, verschwand aber alsbald wieder. Etwa ab Herbst 1920 wurde dann gar kein Name eines in Deutschland ansässigen WT-Redakteurs mehr genannt; sieht man von dem in der Schweiz stationierten Binkele einmal ab. Ab Januar 1921 dann ist Balzereits Name im Impressum des deutschen WT Standard).

Eine Kostprobe der eher wirren Thesen des Wellershaus, kann man auch in einem im "Wachtturm" Oktober 1910 (S. 192) veröffentlichten Leserbrief entnehmen.

Das "alternative Kontrastprogramm" (ohne inhaltliche Bewertung)
"Die Aussicht" Oktober 1910

Auf ein in zeitgenössischer Sicht den Rang eines Weltgeschichtlichen Vorganges einnehmendes Geschehnis, kommt auch die "Freiburger Zeitung" vom 8. 10. 1910 zu sprechen.
Und zwar die Begründung der ersten Demokratie in Portugal

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=01&day=08a1&year=1910&month=10&project=3&anzahl=4

Nun war sicherlich in den ersten Tagen noch nicht absehbar, wie das alles sich so weiter entwickeln würde.
Da hat es die Wikipedia schon mal leichter. Sie kann das alles aus der rückblickenden Sicht beschreiben. Und da wird wohl auch deutlich, es war eine "Berg- und Talfahrt" die da ihren Anfang nahm.
Einige Sätze dazu aus der Wikipedia:

"Die neue Regierung ist strikt antiklerikal, sämtliche Jesuitenklöster werden aufgelöst, die Gefängnisse in Lissabon füllen sie mit katholischen Priestern und Ordensbrüdern. König Emanuel II. verlässt das Land ... Der Religionsunterricht wird verboten, ebenso alle religiösen Bezüge bei Staatsakten, die Adelstitel werden aufgehoben. Der apostolische Nuntius verlässt unter Protest Lissabon. Das Tragen religiöser Habits in der Öffentlichkeit wird verboten, die Zivilehe und die Ehescheidung eingeführt."

Aber "Stabilität" war damit im Lande nicht eingekehrt. Schon einige Zeit später vernimmt man die Kunde von neuen Militärputschen. Nur, das jene Putschisten eben andere Intentionen hatten, als die vorbeschriebenen.
Inzwischen brach dann noch der Weltkrieg aus. In seinen Sog sah sich letztlich auch Portugal mit hineingezogen. Seit jeher ein Kolonialreich betreibend, waren diesbezügliche Entscheidungen im Versailler Vertrag, am Ende des Weltkrieges, für Portugal nicht unbedingt "berauschend".
Das wiederum trug wohl auch wesentlich, zur zusätzlichen innenpolitischen Destabilisierung bei.

Und so ist dann schon in den zwanziger Jahren, das vorläufige Ende der portugiesischen Demokratie zu registrieren.
http://de.wikipedia.org/wiki/Erste_Portugiesische_Republik

Über Kinderarbeit in den USA, als Auswuchs der Profitgier, berichtet die "Freiburger Zeitung" vom 20. 10. 1910 einige Details
http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=01&day=20b&year=1910&month=10&project=3&anzahl=4

Man vergleiche dazu auch
GZZeitreise23
07. Oktober 2008 05:24
Dort etwas weiter herunterscrollen bis zu dem Absatz:
"Flankierend sei vielleicht auch noch jener Artikel zitiert aus der Magdeburger Ausgabe des "Goldenen Zeitalters" vom 15. 3. 1924, überschrieben:
"Das Elend arbeitender Kinder in Amerika".

Re: Re:Vor Einhundert Jahren
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 18. November 2010 03:18
Bei seiner Presseschau erschien dem "Wachtturm" vom November 1910 eine aus den "Dresdner Nachrichten" vom 4. 9. 1010 entnommene Meldung als an die eigene Anhängerschaft auch weitergebens wert. Als eigene Überschrift wählte der WT dazu: "der Dreieinigkeitsglaube ein Malzeichen".
Zitiert wird eine Verlautbarung der Preußischen Landeskirche zu einem "Weltkongreß für freies Christentum" welcher im August 1910 in Berlin stattfand.
Besagtes Preußische Landeskirche hatte sich nun in einer eigenen Erklärung zu diesem Spektakel auch kritisch geäußert. Zum einen war sie ja nicht der Veranstalter, zum anderen aber bestanden da auch inhaltliche Differenzen.

Diese etwa wurden in dem Satz zusammengefasst:

"Das Bekenntnis der evangelischen Kirche ist und bleibt das Bekenntnis zum dreieinigen Gott ... Eine Kirche, welche von diesem Bekenntnis weicht, hört auf eine christliche Kirche zu sein ..."

Offenbar hatte es dem WT insbesondere der in dieser Meldung mit vorkommende Aspekt der Trinitätslehre angetan.
Da man selbige auch ablehnt, wähnt man jene Meldung auch zur Bekräftigung des eigenen Standpunktes nutzen zu können.

Von dieser Position ausgehend kommentiert der WT dann seinerseits dazu:

"Wo bleibt aber die heilige Pflicht, in Gnade und Erkenntnis zu wachsen und die Zeit zu erkennen, in welcher wir leben? Hat die Feindseligkeit gegen Kirche und gegen die katholischen Orden nicht ihren guten Grund? Sollte angesichts dessen die protestantische "Orthodoxie" nicht bald einlenken? Wie wir oben sehen, ist sie leider blind und sie wird dem Schicksal des Verlassenseins anheimfallen."

Nun mag man ja die zitierte WTG-Kritik an der Preußischen Landeskirche, aufgrund der eigenen geschichtlichen Entwicklung, durchaus nachvollziehen können.
Der Aspekt indes der hier herausgestellt werden soll, liegt wohl auf einer anderen Ebene.
Kirche pflegt durchaus nicht gleich Kirche zu sein, da kann es schon mal erhebliche Unterschiede geben. Das war übrigens auch 1910 schon so.
Der Aufhänger, jener "Weltkongress für freies Christentum" erweist sich - für die WTG-Interessen - doch als ziemlich "schillernd".

Das was gemeinhin unter dieser Rubrik sich da versammelte, lag in ideologischer Hinsicht, ziemlich verquer zur WTG-Ideologie. Ja man kann sogar sagen. Da wäre die Preußische Landeskirche noch näher an der WTG-Ideologie dran, als wie ausgerechnet jener "Weltkongress für freies Christentum".

Neben Vertretern jener Kreise, welche man heutzutage als "klassische Freikirchen" bezeichnet, zu denen die WTG sicherlich gewisse "Schnittmengen" hat, gab es auf diesem "Weltkongreß" noch ganz andere Strömungen.
Laut einem Tagungsband (S. 25.f) liest man da auch nachfolgende Sätze:

"Gleichfalls mit Beifall begrüßt, ergriff der Theologe und Sozialdemokrat Dr. Maurenbrecher aus Erlangen das Wort zu dem Thema: "Der Sozialismus als eine neue Stufe der Religion." Den Kreisen, denen heute der Sozialismus eine neue Hoffnung gibt und neues Leben weckt, leistet er dasselbe, was früheren Geschlechtern die Religion gegeben hat. Unsere Arbeiter sind nicht als freie Menschen aufgewachsen wie die Amerikaner. Sie haben in Wahrheit gar keine Religion gehabt. Sie sind aufgewachsen als ostelbische Landarbeiter, und die Kirche hat sie etwas auswendig lernen lassen. Aus dieser Finsternis und Tiefe fangen sie seit einem Menschenalter an zu erwachen und sich zu heben. Mehr als ein Jahrtausend hat die Kirche sich um das Problem vergeblich bemüht, diesen Schichten klarzumachen, daß all ihr Elend einen jenseitigen Sinn habe; sie hat es ihnen nicht lösen können. Der Sozialismus antwortet ihnen: das Elend hat gar keinen Sinn, wenn du Elender selbst nicht einen hineinlegst; wenn du nicht die Mahnung hineinlegst, für die Gesamtheit deiner Elendsgenossen zu kämpfen und zu wirken.

Auf die Frage nach dem Zwecke des menschlichen Lebens antwortet der Sozialismus: der Zweck des Lebens ist der, den du für dich daraus erarbeitest. Das Problem des heutigen Abends lautet im Grunde: Lassen Sozialismus und christliche Religion sich vereinigen? Maurenbrecher antwortet im wesentlichen: Wenn für die christliche Religion der Zukunft Sozialismus oder Sozialreform nur ein Faktor neben anderen Faktoren sein soll — dann nein! Wenn der Sozialismus der ganze Inhalt der christlichen Religion werden kann — dann ja!"

Nun ja wäre dazu noch anzumerken. Herr Maurenbrecher machte noch einige Wandlungen durch. Der spätere Maurenbrecher, den vor allem ein Problem umtrieb, wie er einen möglichst lukrativen Funktionärsposten besetzen könne. Und der bei seiner diesbezüglichen Suche auch noch "fündig" wurde. Allerdings, um den Preis, das Gegenteil zu sagen, von dem was er 1910 sagte. Dieser spätere Maurenbrecher kann ja jetzt und hier nicht Gegenstand der Betrachtung sein. Ergo gilt im jetzigen Kontext nur seine Aussage von 1910.

Siehe zu Maurenbrecher auch noch:
http://forum.mysnip.de/read.php?27094,30866,30867#msg-30867
Posting vom 07. Juli 2009 07:07
Dort aber mehr in der zweiten Hälfte selbigen mit erwähnt.

Im gleichen Tagungsband liest man in einem weiteren Referat von einem Professor D. Caspar Schieter aus Danzig auch nachfolgende Sätze:

"Wir, die wir aus der Kirche geschieden sind und außerhalb der Kirche für religiöses Leben und religiösen Fortschritt arbeiten, sind ganz frei, sind an keinen Zwang und an keine Schranken gebunden; über unserem Haupte schwebt nicht das Damoklesschwert des Irrlehregesetzes, keine irgendwie geartete Anklage bei einer kirchlichen oder kirchlich-staatlichen Behörde. Wir können ganz deutlich reden, daß eine übernatürliche Offenbarung nicht wirklich und nicht notwendig ist, daß der Mensch keiner übernatürlichen Hilfe eines Gottes bedarf, um sein Ziel zu erreichen, daß die Bibel ein rein menschliches Buch ist, dem die Fehler und Mängel der Menschen seiner Zeit anhaften und keinesfalls die abgeschlossene göttliche Offenbarung enthält; wir können offen sagen, daß Jesus ein bloßer Mensch war, ohne mit dem Ausdruck der Einzigartigkeit seine vermeintliche Gottheit zu verdecken, können die Erlösung des Menschen durch sich selber als einzig mögliche Erlösung darstellen, den ganzen Jenseitsglauben als überwundenen Glauben früherer Jahrhunderte und Völker bekämpfen und den Menschen auf das Diesseits hinweisen, als sein eigentliches wirkliches Gebiet. Wir kommen nicht in Verlegenheit bei unseren Predigten an Weihnachten, Ostern und Pfingsten und Himmelfahrt, sondern können offen die diesen Festen zugrunde liegenden biblischen Erzählungen mit dem ganzen Wunderglauben, auch samt den biblischen Wundern, in das Reich wohlgemeinter Mythe verweisen. ..."

Ob, hätte die WT-Redaktion nicht blos einen oberflächlichen Zeitungarttikel gelesen, sondern eben jenen auch 1910 erschienen Tagungsband über jenen Kongress.
Ob sie dann sich seiner noch als Kronzeugen gegenüber der Preußischen Landeskirche bedient hätte, ist doch sehr die Frage!

Das "alternative Kontrastprogramm" (ohne inhaltliche Bewertung)
"Die Aussicht" November 1910

In einem Bericht vom 12. November 1910 notiert die "Freiburger Zeitung" über den Ausgang der Wahlen in den USA, dass dieser nach der Einschätzung einiger Beobachter, wohl eine vollständige Änderung der bisherigen Politik der USA zur Folge haben werde.

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=01&day=12a1&year=1910&month=11&project=3&anzahl=4

Re: Re:Vor Einhundert Jahren
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 04. Dezember 2010 03:47
Im "Wachtturm" vom Dezember 1910 gelesen

"Ist das lesen der "Schriftstudien" Bibelforschung?"

Dieser scheinbar "neutralen" Frage kann man in der "Wachtturm"-Ausgabe vom Dezember 1910 begegnen. Allerdings, sie sollte sich als eine Frage mit "Nachfolgewirkung" erweisen.

Etliche spätere Kritiker der WTG (unter anderem Rogerson, und vom "Wachtturm" vom 1. 9. 1957 selbst zitiert, der in den USA lebende Autor van Baalen in seinem Buch "The Chaos of Cults") pflegten sie dann noch "genüsslich" zu zerlegen.
Zu van Baalen siehe auch Niederlage in Siege umgefälscht
Die WTG meinte in ihrer 1957er Replik, jene inkriminierte Aussage erschiene ja nicht in den "Schriftstudien" sondern "nur" im "Wachtturm".
Als ob das nun ein "wesentlicher" Unterschied wäre!

Den in Frage stehenden Passus begegnet man also in der deutschen "Wachtturm"-Ausgabe vom Dezember 1910 (In Wiederholung auch im "Wachtturm" des Jahrganges 1919).

Darin verbreitete sich Russell mit der Aussage:

"Der Plan, jeden Tag zwölf Seiten der Schriftstudien zu lesen, denn so viele versucht haben ergibt mehr Bibel-Studium, als jede andere Weise, die wir kennen. Wir glauben, das es nicht so wohl auf die Zeit ankommt, die für das Bibel-Studium verwandt wird, als vielmehr auf das Maß der Belehrung, die gewonnen wird.
Wir alle kennen Leute, welche Tage und Wochen und Jahre für Bibel-Studien verwendet haben, und wenig oder nichts gelernt haben. Wir meinen, dass die Idee, es sei Bibel-Studium, wenn nur die Zeit verwendet ist eine Bibel in der Hand zu halten und einige Verse zu lesen. eine verkehrte Idee ist.

So glauben wir, daß weil wir jetzt in dieser besonderen Zeit leben, am Ende dieses Zeitalters, wir mit einer klaren Entfaltung geistiger Dinge gesegnet sind.

Und als "Schmankerl" weshalb das denn so sei, meint er auch noch mit einflechten zu sollen:

Wir meinen auch, dass die gegenwärtigen Segnungen zeitlicher Art, wie das elektrische Licht aus ähnlichen Gründen vorhanden sind.

Also nicht schnöde technische Gründe, sondern "Gottes Walten, gemäß seinem Zeitplan" sei ursächlich dafür.
Weiter geht es bei ihm mit der Aussage:

Daher ist der einfachste Weg die Sache zu erklären der, anzuerkennen, dass des Herrn bestimmte Zeit gekommen ist, und dass er zum richtigen Verständnis geführt hat. Wenn uns also der Herr in unserer Zeit etwas gegeben hat, was andere Zeiten, als die der Apostel, nicht kannten, wie gute weise sie auch gewesen sein mögen, und wir die Methoden der Belehrung ignorieren wollten, welche so entwickelt worden ist, so würde das nach unserm Urteil ein Ignorieren der Vorsehung des Herrn bedeuten. Indes, jeder muss für sich selbst denken und sein Verhalten auf jede Weise danach einrichten.

Und allmählich zum Kern kommend, was er denn eigentlich "rüberbringen" will, geht es bei ihm weiter mit der Aussage:

Wenn die sechs Bände Schriftstudien praktisch eine nach den Gegenständen eingerichtete Bibel sind, mit den biblischen Beweisstellen versehen, so möchten wir die Bände wohl "eine Bibel in arrangierter Form" nennen. Das heißt, sie sind nicht nur Kommentare zur Bibel, sondern sind praktisch die Bibel selbst, da kein Verlangen besteht, irgend eine Lehre oder einen Gedanken nach individuellen Wunsch zu bilden, oder auf individuelle Weisheit zu gründen sondern die ganze Sache nach der Richtschnur des Wortes Gottes darzustellen. Wir halten es daher für richtig, dieser Art des Lesens, dieser Art der Unterweisung, dieser Art von Bibelstudium zu folgen.

Ferner, wir finden nicht nur, dass die Leute den göttlichen Plan nicht sehen können, wenn sie die Bibel allein studieren, sondern wir sehen auch, dass wenn jemand die Schriftstudien beiseite legt, nachdem er sie gebraucht hat, nachdem er wohl bekannt mit ihnen geworden ist, dem er sie zehn Jahre gelesen hat - wenn er sie dann beiseite legt, und sie ignoriert und zur Bibel allein geht, obwohl er seine Bibel zehn Jahre lang verstanden hat, unsere Erfahrung zeigt, das er binnen zwei Jahren in die Finsternis geht.

Sein Sendungsbewusstsein geht weiter mit der Passage:

Auf der anderen Seite, wenn er nur die Schrift-Studien mit ihren Hinweisen gelesen hätte, und hätte nicht eine Seite der Bibel als solche gelesen, so wurde er am Ende der zwei Jahre im Lichte sein, dass Licht der Heiligen Schrift besitzen.

Unser Gedanke ist daher, dass diese Schrift-Studien eine große Hilfe sind, eine sehr wertvolle Hilfe für das Verständnis des Wortes Gottes. Wenn diese Bücher von irgend einem Wert für uns sind, so muss es sein, weil wir in ihnen die Treue für das Wort Gottes sehen, um so weit unser Urteil geht sie in voller Harmonie mit dem Worte sind und nicht dem Wort zuwider. Daher, wenn wir sie zum ersten Mal lesen und vielleicht zum zweitenmal, und ehe wir irgend etwas annehmen, als unseren eigenen, persönlichen Glauben und Überzeugung, sollten wir sagen: "Ich will es nicht annehmen, weil diese Studien es sagen, ich will sehen was meine Bibel sagt." Und so würden wir die Bibel im Licht dieser Schrift-Studien studieren, wir würden jeden Punkt prüfen oder widerlegen, wie der Fall sein mag. Wir würden mit nichts geringerem zufrieden sein, als mit einer gründlichen Prüfung der Bibel von diesem Standpunkt aus.
Wenn nachdem das geschehen ist, wir finden sollten, dass die Bücher mit der Bibel übereinstimmen, dann sollten wir glauben, das wir sagen können:

"Ich werde nicht nötig haben jedes Mal die Untersuchung zu machen, sooft ich die Schrift-Studien lese, denn ich habe diese Bibeltexte nachgelesen und weiß genau, dass das Neue Testament alle diese Punkte bestätigt.

Der de facto Papst Russell verkündet dann weiter:

Wir sollten praktisch schließen, daß wir nichts in der Bibel verstehen könnten, es sei denn uns offenbart worden. Wir würden daher nicht viel Zeit vergeuden, wie es einige Leute machen, um Kapitel nach Kapitel zu lesen, ohne Nutzen. Wir würden nicht daran denken das zu tun. Wir würden nicht meinen, dass wir die Bibel studieren. Wir würden meinen dass wir dasselbe tun, was alles andere gewesen ist, als etwas Nutzbringendes für uns selbst und viele andere in der Vergangenheit - nur ein über die Schrift - hinlesen. Wir würden sagen, dass derselbe himmlische Vater, der uns in diese Wahrheit geleitet hat, in dieses Verständnis der Schrift, als seine Kinder, uns auch die weitere Informationen auf irgendeine Weise geben würde, wenn er mehr für uns hat, und darum würden wir nicht die Notwendigkeit sehen, das Neue Testament jeden Tag oder jedes Jahr durchlesen.

Wir wurden es nicht für nötig halten, wir würden annehmen, dass die Schriftstelle welche sagt "Sie werden alle von Gott gelehrt sein", den Gedanken einschließt, dass Gott auf seine eigene bestimmte Weise zu unserer Kenntnis bringen würde, was immer an Göttlicher Wahrheit "Speise zur rechten Zeit" sein würde.

Ferner würden wir sagen, dass jetzt, wo wir wissen, was der göttliche Plan ist, wir verstehen würden, dass wir den Standpunkt erreicht haben, von dem der Apostel spricht, dass wir geeignete Boten Gottes, tüchtige Diener des neuen Bundes sind und das wir jetzt eine Verantwortlichkeit haben, diese Dinge bekannt zumachen, die wir gelernt haben, dass wir nicht in erster Reihe dazu da sind, die Bibel zu lesen, sondern vor allem dem Herrn und seiner Wahrheit zu dienen. Es war indes sehr richtig, dass, ehe wir zur Erkenntnis der Wahrheit kamen und als wir in beträchtlichem Maße unbefriedigten Geistes waren über das, was die Wahrheit ist, wir davon abstanden, irgend jemanden davon zu sagen.

Das heißt also nicht, die Schrift-Studien als ein Ersatz für die Bibel ansehen, denn fern davon, die Bibel ersetzen zu wollen, weisen die Studien im Gegenteil fortdauernd auf die Bibel hin, und wenn jemand einen Zweifel über eine Hinweisung, oder wenn jemandes Erinnerung in irgend einem Grade versagen sollte, so sollte er sein Gedächtnis auffrischen und tatsächlich sehen, dass jeder seiner Gedanken in Harmonie mit der Bibel ist, nicht nun Übereinstimmung mit den Schrift-Studien, sondern in Übereinstimmung mit der Bibel."

Damit, mit diesen Ausführungen, war in der WTG-Organisation endgültig der Punkt erreicht, Papstgleiche Machtansprüche zu stellen. Aus einem losen Haufen religiöser Narren, wurde so faktisch eine neue "Kirche" etabliert (auch wenn der Begriff "Kirche" andernorts ja weitaus mehr in Verwendung war und ist). Nicht also die Verwendung eines Begriffes ist das an sich relevante, sondern das, was er denn zum Ausdruck zu bringen beabsichtigt.

Das "alternative Kontrastprogramm" (ohne inhaltliche Bewertung)
"Die Aussicht" Dezember 1910

Rückblickend gedenkt die "Freiburger Zeitung" vom 2. 12. 1910 des 75jährigen Jubiläums der Eröffnung der ersten Dampfeisenbahn in Deutschland.
Und wiederum ist zu registrieren, Widerspruch kommt namentlich aus der religiösen Ecke, da in deren Lesart, Gott wieder mal ins Handwerk gepfuscht wurde. Man hätte es ja auch bei der Pferdekutschentechnik belassen können. Eine Eisenbahn ist da in deren Sicht wohl überflüssig. Ist man gar noch so angehaucht wie gewisse religiöse Kreise in den USA, dann versteht sich, mit zünftigen Eisenrädern. Gummibereifung ist ja in deren Lesart auch Teufelszeug.

So deutlich spricht das der fragliche Artikel zwar nicht aus, aber auch den Passus gibt es in ihm, dass es etwa drei Jahre später, eine weitere Eisenbahnstrecken-Eröffnung gab. Die erste war zwischen Nürnberg und Fürth, und jene andere zwischen Berlin und Potsdam.
Und da konnte sich ein Pfarrer der böhmischen Kirche (heute eher als Herrnhuter bekannt) nicht versagen zu kommentieren:
Um ihrer Seligkeit willen, möchten sich doch seine Gemeindeglieder vor dem "höllischen Drachen", eben jener Eisenbahn, fernhalten

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=01&day=02b&year=1910&month=12&project=3&anzahl=4

Wohl passend zum letzten Tag des Jahres ist die "Freiburger Zeitung" vom 31. 12. 1910, "auf den Hund gekommen".
Das ist nicht unbedingt doppeldeutig gemeint.
Sie vermag ihrem Publikum den Bericht über einen "sprechenden Hund" zu offerieren.

http://az.ub.uni-freiburg.de/show/fz.cgi?cmd=showpic&ausgabe=02&day=31a1&year=1910&month=12&project=3&anzahl=3

Re:"Die Aussicht" Jahrgang 1910
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 05. Dezember 2010 01:33
Da nun der Jahrgang 1910 der "Aussicht" fertig eingescannt ist, sei auf einige Aspekte in ihm nochmals hingewiesen.
Die Januar-Ausgabe (S. 711) teilt mit:

"Acta Pilati" ein im Jahre 1907 (Nr. 8 und 9) erschienener Artikel, der leider längst vergriffen ist, wird von unseren Lesern immer wieder gewünscht, so daß wir geneigt sind, bei genügender Nachfrage den Artikel in Traktatform wieder herauszugeben. Bestellungen sind also möglichst bald an die Expedition zu richten."

In der Mai-Ausgabe 1910 wird dann erfreut mitgeteilt:

"Acta Pilati" ist nun wieder vorrätig ...."

Zu diesem Thema kann man auch vergleichen.
Acta Pilati

Und ergänzend auch
http://forum.mysnip.de/read.php?27094,57342,57342#msg-57342

In der April-Ausgabe 1910 (S. 737f.) ragt besonders der "Enttäuscht! Zum 13. April 1910" überschriebene Artikel hervor.
Er berichtet über einen Besuch Russells in Bern (Schweiz). Und da sich der Kreis um die "Aussicht" in seiner Gründungsphase auch als Jünger Russell's verstand, war nun jenes Event quasi ein Kulminationspunkt. Die Gründungsphase (um 1902) lag nun schon einige Jahre zurück. Und sowohl in den "Flüssen" von Brooklyn als auch Bern (respektive Umgebung) war inzwischen einiges Wasser "heruntergeflossen".
Intention der "Aussicht" - in einer Schwächephase des deutschen "Wachtturms" gegründet -, war ja mal gewesen, vielleicht zum Sprachrohr Russell's im Deutschsprachigen Raum aufzusteigen. Russell wollte damals seine Deutschsprachige Ausgabe des "Wachtturms" fast eines sanften Todes entschlafen lassen, dieweil sich seine wirtschaftlichen Intentionen, keineswegs erfüllt hatten.
Wie er nun sah, da macht die "Aussicht" als ein von ihm relativ unabhängiger Verein, ihr Blatt auf, da vergaß er seine Einschlaf-Absichten wieder. Seine Strategie ab 1904 war dann klotzen statt kleckern.

Da die "Aussicht"-Redaktion es abgelehnt hatte, nur Russell-Artikel und ansonsten Null komma nichts eigenständiges in ihrem Blatt abzudrucken, entwickelte sich das zusehends zum ausgesprochenen Konkurrenzkampf.
Unfraglich hatte Russell dabei mehr Money zur Verfügung, und damit letztendlich auch den längeren Atem. Da konnte die "Aussicht" einfach nicht mithalten.
Just im Jahre 1910 sollte nun dieser Dissenz einen vorläufigen Höhepunkt erreichen.
Auch die Naivsten aus dem "Aussichtskreis" mussten sich nunmehr eingestehen. Die Zeiten wo eine Koexistenz vielleicht noch möglich war, gehören wohl endgültig der Vergangenheit an. Einige aus dem "Aussichtskreis" suchten dann ja "die Kurve noch hinzubekommen", so etwa der zum ersten Chefredakteur der Schweizer Ausgabe des "Goldenen Zeitalters" dann noch im Jahre 1922 aufgestiegene Ernst Zaugg (bis dann auch seine Tage dort, eines Tages gezählt sein sollten). Namentlich erwies sich Zaugg bei der Rutherford'schen 1925-These als nicht "wendig genug". Im Jahre 1910 aber, gehörte auch Zaugg zu den Mitunterzeichnern, der in der April-Ausgabe 1910 der "Aussicht" abgedruckten Erklärung.

Man wird da in gewisser Hinsicht an den Fall Konrad Franke erinnert.
Beide Herrschaften pflegten ja besonders vollmundig die jeweils aktuellen Endzeitthesen zu verkünden, und bekamen ihrem geistigen Level entsprechend, nicht mit.
Sitz ein Fisch erst an der Angel, herrschen andere Gesetzmäßigkeiten, als zu dem Zeitpunkt, wo er eben noch nicht an der Angel hing.

Um 1910 indes, votierte die Mehrheit des "Aussichts"-kreises für ein "Weitermachen"; auch wenn ihnen nun bewusst wurde, dieses "Weitermachen" wird primär zu getrennten Wegen führen.
Der "Katzenjammer" welchen da die "Aussichts-Weitermacher" beseelte, kommt sicherlich besonders deutlich in jener April 1910-Ausgabe zum Ausdruck.
Aus diesem Artikel nachstehend dann noch einiges Auszüge.
Einleitend wird vermerkt:

"Mit recht gemischten Gefühlen sahen die schweizerischen Geschwister dem auf obiges Datum angesagten Besuch von Br. C. T. Russell aus Brooklyn in Bern entgegen.
Die Berner Geschwister, denen die Organisation einer Begrüßungsversammlung oblag, hatten unlängst im englischen "Watch Tower" gelesen, daß es um ihren Glauben leider schlecht stehe. Es war ihre Stellungnahme vom 7. November 1909 die ihnen dieses Kompliment zugezogen hatte, und nun sollten sie gleichwohl für eine Bewillkommnung ihres Richters sorgen."

Weiter geht der Bericht mit der Aussage:

"Sie taten es in durchaus loyaler Weise und scheuten keine Mühe, das Ihrige beizutragen, daß die Geschwister im Lande herum von der Durchreise Bruder Russells hörten und Gelegenheit erhielten, ihn - wie sie glaubten - begrüßen zu können.
Auf der andern Seite aber galt es für sie, den Standpunkt, auf den sich die Berner Versammlung stellt, ihrem Richter in würdiger Weise und Sprache bekannt zu geben, wobei natürlich auch das Gastrecht nicht verletzt werden durfte."

Ergo versuchte man also, die "Quadratur des Kreises" doch noch hinzubekommen, mißachtend den Umstand, dass kein Papst jemals, auch nur einen Jota seines Machtanspruches je freiwillig abgetreten hätte.
Das also musste auch der "Aussichts"kreis dann noch bei ihrem "Papst Russell", nunmehr auf etwas handgreiflichere Weise lernen.

"Sie war(en) mißbilligt worden, ohne gehört worden zu sein, d. H. der Gast war nur von denen benachrichtigt worden, welche die Stellungnahme der Berner Geschwister nicht begreifen, und nun sollte dieser auch die andere Glocke vernehmen.
"Eines Mannes Red' ist kein Red. Man soll sie hören alle bead".
Mit Rücksicht auf die kurze zur Verfügung stehende Zeit, und das ziemlich umfangreiche Material wurde beschlossen, Br. Russell in einem Briefe die Stellung der Berner klarzulegen und ihn so auf alle diejenigen Punkte aufmerksam zu machen, in denen sie nicht mit ihm einig gehen können.
Ein Bruder wurde beauftragt, den Brief zu verlesen als ein Zeugnis für die einmal erkannte Wahrheit. ..."
Aber diese Planung ging nicht auf.
"Er (der besagte Brief) konnte nämlich trotz rechtzeitig erfolgter Anmeldung nicht verlesen werden. Br. R(ussell) gewährte nicht eine Minute zu einer freien Aussprache der Brüder, um so, aus ihrem eigenen Munde, ihre Meinung zu hören, was die Berner Versammlung nötigt, den Brief der Redaktion der "Aussicht" zur Veröffentlichung zu übergeben, damit die schweiz. Geschwister auf diesem Wege erfahren, warum der größte Teil der Interessenten in Bern und Thun sich zur Begrüßung Bruder Russells nicht einfanden."

Weiter berichtet der Artikel:

(Auf den Seiten 739, 740) druckt den die "Aussicht" jenen Brief ab, und man kann ihn sich somit dort selbst ansehen.
Weiter vermerkt der Bericht:

"Die Enttäuschung der Berner war die, konstatieren zu müssen, daß auch bei uns für eine gegenseitige Aussprache nicht mehr Raum ist.
Wir haben einen Meister erhalten, der allein gehört werden soll.
Br. Russell sprach nämlich den ganzen Tag von seinen Bündnis x Theorien; obschon er dieselben aber in der aller "mildesten" und geschicktesten Form präsentierte, bleibt doch immer der für uns durchaus unannehmbare Grundton ..."

Hier an dieser Stelle muss man wohl einfügen, dass der Schweizer "Aussichts"kreis bei seiner Kritik an Russell, besonders von den Oppositionsthesen mit motiviert worden war, wie sie aus dem fernen Australien, von dem dort sich auch im Schisma zu Russell befindenden Schwiegersohn Russells, dem Herrn Henniges, nunmehr auch in die Schweiz überschwappten.
Resümierend mussten die Berner weiter feststellen:

"Einwände und Widersprüche will er (Russell) aber, wie es scheint, überhaupt nicht hören, darum ließ er auch nicht einen Bruder zum Worte kommen. Nach seiner Meinung soll man sich ohne "Murren" oder Widerspruch mit seinen Erklärungen zufrieden geben, sonst ist man ein widerspenstiger Abgefallener."

Auch diesen Kommentarsatz liest man dann noch:

"Für manche unter uns war Br. Russell's Verhalten freilich keine Enttäuschung; sie hatten das Gefühl schon lange, daß dem so sei, und da war die Erfahrung vom 13. April für sie bloß eine handgreifliche Bestätigung von dem, was sie sich längst mit trauerndem Herzen gesagt, daß in der Behandlung der Geschwister durch die Wachtturm-Gesellschaft eine Wandlung eingetreten sei. ..."

Nochmals betont der "Aussichts"-Kommentar bezugnehmend auf das Schisma:

"Allein die Gelegenheit (Russell) Fragen zu stellen, kam nicht, und als ein l. Bruder aus Russells ergebenem Anhängerkreise dem verehrten Gaste mitteilte, es seien einige Fragen notiert worden, auf die man gerne Bescheid hören würde, wurde der betr. Bruder benachrichtigt, er kenne ihre Fragen schon und habe sie den ganzen Tag beantwortet; im übrigen werde er seinen Begleiter (!) dalassen, der könne ihnen dann antworten."

Weiter die "Aussicht":

"Wir hatten längst das Gefühl, daß in der Wachtturm-Gesellschaft Leute mitzureden angefangen hatten, denen wir nicht das gleiche Maß Zutrauen, wie dem Verfasser von "Tagesanbruch" zuzuerkennen entschlossen waren."

Und dann nennt die "Aussicht" einen Namen:

"Die Verweisung von Br. Lauper an einen dieser bisher unbekannten Mitarbeiter bestätigte uns unseren Verdacht in vollem Umfang."

Besagter Samuel Lauper nahm zu jenem Zeitpunkt (um 1910) durchaus noch die Position des Russell gegenüber loyalen Statthalters der WTG in der Deutschsprachigen Schweiz wahr.
Auch im Falle Lauper, sollte sich das in späteren Jahren noch verändern.
Lapidar etwa teilt der Deutschsprachige "Wachtturm" vom Mai 1919 mit:

"Zur gefälligen Beachtung für Geschwister und Leser des Wachtturms in der Schweiz. Wir teilen allen Geschwistern und Lesern des Wachtturms in der Schweiz mit, daß Bruder Samuel Lauper sein Lager an Büchern und Schriften aus dem Verlage der Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft sowie den von ihm seit Jahren selbstständig betriebenen Versand dieser Schriften in entgegenkommender Weise an Bruder C. C. Binkele, dem Hauptbevollmächtigten der Gesellschaft, abgetreten hat. ..."

Sieht man sich Lauper's weiteres Wirken dann näher an, kommt man wohl nicht umhin der Floskel von der "entgegenkommenden Weise" als maßlose Schönrederei einzustufen.
Siehe dazu unter anderem:
Samuel Lauper

Und auch
"Zehn kleine Negerlein"

Wenn nun das Tischtuch zwischen den Russellianern und der "Aussicht" als weitgehend zerschnitten bewertet werden muss, so schaute man trotzdem mal über den "Gartenzaun" um zu beobachten, was denn der nunmehr nicht mehr so geschätzte Nachbar tut.
Und da erlangte auch die "Aussicht" (via eines Kommentares in der zionistischen Zeitschrift "Die Welt") auch Kenntnis davon, dass Herr Russell mit seinem Hippodrom-Auftritt vor jüdischen Kreisen, offenbar um weitere Geschäftsausweitung sich bemühte.
Auch die "Aussicht" war dabei nun "ganz hin- und hergerissen", wie denn wohl dieser Umstand am besten zu kommentieren sei.
Nach einigem "Rätselraten" meinte man dann in der Oktober-Ausgabe 1910 sich darüber wie folgt verbreiten zu sollen:

"Ob Pastor Russell Mission treiben will oder es mit dem Zionismus aufrichtig meint, darüber ist sich keiner vollständig klar. Sehr leicht möglich, daß auch dieser den andern zwei Geistlichen (gemäß dem Kommentar in "Die Welt") folgen und aus der Kutte springen, dann Bücher mit jüdischen Inhalt (den 7. Band Tagesanbruch?) herausgeben und mit Juden Privatgeschäfte machen wird. Jedenfalls hat das Land der unbegrenzten Möglichkeiten noch eine Sensation, die es dieses Namens würdig macht."

Jenes Zitat eben, war dann wohl ein Detailzitat aus der "Die Welt". Indes die "Aussicht" übernahm es ja ein zu eins wörtlich, ohne sich von ihm inhaltlich abzusetzen.
Siehe zu der Quelle aus "Die Welt" auf welche sich die Aussicht bezieht:
http://www.compactmemory.de/library/seiten.aspx?context=pages&ID_0=2&ID_1=24&ID_2=2321&ID_3=1000000000&ID_4=z_welt_140479r.tif

Auf einen weiteren Kommentar der "Aussicht" in der Mai-Ausgabe 1910 sei noch hingewiesen.
Wie auch die sonstigen Bibelforscher-Kreise, suchte auch der "Aussichts"-Kreis, das jeweils aktuelle Weltgeschehen, fieberhaft in vermeintlichen Bibelaussagen "entdeckt" zu haben.
Vielleicht atmet jener Kommentar vom Mai 1910 aber schon einen gewissen Geist der Ernüchterung, vernimmt man in ihm auch:

"Als z. B. (um nicht zu weit zurückzugreifen) der Spanisch-amerikanische Krieg ausbrach, erblickten viele Bibelforscher darin den Anfang der Haupt- und Schlußkrisis. Der südafrikanische Krieg erweckte ähnliche Befürchtungen; auch der gewaltige russisch-japanische Krieg rief unter Menschen gespannte Erwartungen hervor, während er bei andern, der großen Entfernung wegen, als "Furcht-Erreger" nicht so sehr in Betracht fiel.
Seither haben zahlreiche "Revolutionssünden", friedliche und andere, stattgefunden - in einigen hervorragenden Fällen, wie z. B. in der Türkei und Persien, ist ziemlich Blut geflossen und die hartnäckigsten Aristokraten mußten große Demütigungen erleben, so daß es für diese ohne Zweifel eine Zeit ernster Trübsal war.
Eines muß dem ruhigen Beobachter sehr auffallen - nämlich, daß vielen Bibelforschern beim Beurteilen der Weltverhältnisse und -Ereignisse der richtige Weitblick gänzlich fehlt.
Ein Streik in seiner eigenen Stadt, durch den vielleicht einige hundert Hände arbeitslos werden, gilt für ihn als sicherer, ganz unmittelbarer Vorbote der von ihm erwarteten weltenweiten Anarchie, während er eine zwei Monate früher oder später auf einem anderen Erdteil stattfindende, ein ganzes Volk erschütternde Revolution kaum beachtet."

Und diesen Satz in dem Kommentar, konnte dann wohl auch die Russell-Bewegung als auf sie bezogen deuten:

"Der Alarmist nimmt vielleicht öfters Bezug auf das Wachstum des Sozialismus und auf anarchistische Treibereien, als ob nun alle Menschen aller Länder auf dem Punkte wären, sich aufzulehnen und die ganze bürgerliche Ordnung über den Haufen zu werfen.
Diejenigen, welche die Zukunft voraussagen, nehmen eine große Verantwortung auf sich. Durch deren Willen können der sittliche Halt und die Lebensgrundsätze von Tausenden erschüttert oder gestärkt werden. Die Geschichte der ersten adventistischen Bewegungen wiederholt sich immer wieder:
Mangelhafte Fürsorge für die Familie, Vernachlässigung der Kindererziehung und -Bildung.
Man unterläßt es, die Knaben und Mädchen einen geeigneten Beruf erlernen zu lassen, durch welchen sie sich später ein anständiges Auskommen verdienen könnten, man entschlägt sich der Verantwortung hinsichtlich der Pflege von Eltern und Verwandten und gewöhnt sich die leichtfertige Denk- und Redeweise an, daß nichts mehr der Mühe wert, weil die Zeit nur mehr kurz ist."

Und zu jenem eben zitierten Kommentar, der inhaltlich noch weiter geht, gibt es dann noch eine Quellenangabe. Als Übersetzung entnommen dem N(ew) C(ovenant) A(dvocate). (The New Covenant Advocate and Kingdom Herald)
Das war jene Zeitschrift, welche der sich nun im Schisma zu Russell befindliche Russell-Schwiegersohn Henninges, im fernen Australien herausgab.
Auch unter diesem Gesichtspunkt, ist jener Kommentar als durchaus beachtlich einzustufen!
Am 3. 2. 1939 soll: Ernest Charles Henninges verstorben sein.
Siehe auch
http://pastorrussell.blogspot.com/2009/04/ernest-c-henninges_25.html

Dortselbst auch ein Bild des Genannten.
Russells Stieftochter Rose Ball soll der Arztsohn Henninges im Jahre 1897 geheiratet haben.
Siehe auch
http://users.adam.com.au/bstett//JwHenningesRoseBall130.html

In der Ausgabe vom September 1910 verweist die "Aussicht" dann empfehlend, auf die in Deutschland erscheinende von Friedrich Kunkel (wohl seit dem Jahre 1909) herausgegebene Schwesterzeitschrift "Beiträge zum Schriftverständnis".
Eine weitere Empfehlung für das Kunkel'sche Schrifttum dann auch in der Oktober-Ausgabe 1910 der "Aussicht"
Jene frühen Jahrgänge indes von eben genanntem Blatt, sind heutzutage im wissenschaftlichen Bibliothekswesen nicht mehr auftreibbar. Mit wissenschaftlichem Bibliothekswesen, haben religiöse Narrenkreise ohnehin nicht sonderlich "viel am Hut". Insofern ist der Fall der "Aussicht" welche die Schweizerische Landesbibliothek (bis auf die Lücke des ersten Jahrganges) in ihrem Bestand hat, schon mal eine positive Ausnahme von der Regel.
Auch Kunkel hatte ja bereits eine WTG-Karriere hinter sich, und war von selber nun "restlos bedient."
Zu Kunkel siehe auch:
Forumsarchiv 253

Verstreut in selbigem auch einige Angaben zu Kunkel
Auch noch
http://forum.mysnip.de/read.php?27094,4501,4713#msg-4713

Die Aussicht Jahrgang 1910

1910er Jahrgang zur Zeugen Jehovas-Geschichte

Kommentarserie 1911 zusammengefasst

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