Schweizer Funktionäre

In der Schweiz waren die Bibelforscher mit als einem der ersten europäischen Länder präsent. Indes sieht man sich ihre dortige Geschichte vor 1945 an, so wird man sagen können, dass sie auf niedrigem Niveau vor sich "herdümpelten". Und dies, obwohl sie eine eigene Druckerei für ihre Schriften in Bern betrieben. Für 1928 wurde ihre Zahl mit 253 beziffert. 1938 sollen es dann 982 gewesen sein. Erst nach 1945 ging es auch bei ihnen aufwärts. Die entsprechende Ausgangszahl für 1948 nennt als Durchschnitt 3702 predigende Zeugen Jehovas und als entsprechende Höchstzahl für dieses Jahr: 4074.

In Deutschland hingegen, wo die Bibelforscher später starteten, wollte man Anfang 1933 schon rund 25 000 gehabt haben (wobei diese Zahl auch die nichtpredigenden Sympathisanten offensichtlich mit beinhaltet).

Warum tat man sich in der Schweiz so schwer? Geht man dieser Frage nach so ist man geneigt, als Kommentar an den Spruch von den "zehn kleinen Negerlein" zu denken, die durch widrige Umstände immer weniger wurden. Also ich will jetzt nicht von zehn, wohl aber von sieben symbolischen "Negerlein" reden.

Über einen von ihnen, Samuel Lauper, sind in einem Link am Textende, weitere Fakten zusammengetragen.

Dann gab es da schon relativ früh, noch zu Zeiten Russells, die Kontroverse um den Dr. Emil Lanz, über die ein Dokument berichtet, das nachstehend im vollen Wortlaut wiedergegeben sei:

Resolution
Die von 48 Geschwistern der Ortsgruppe Bern der Internationalen Vereinigung ernster Bibelforscher besuchte Versammlung zur Besprechung der Meinungsverschiedenheiten, die über die Frage der Leitung des schweizerischen Erntewerkes entstanden sind, faßt folgende
Resolution

1. Sie bedauert, dass Br. Russell über die Verhältnisse in der Schweiz nur einseitig und vielfach unrichtig Informiert worden ist;
2. Sie stellt fest, dass infolge dieses Umstandes die von Br. Russel getroffenen Verfügungen in Bezug auf die Leitung des schweizerischen Erntewerkes den in der heiligen Schrift niedergelegten Grundsätzen Über die göttliche Gerechtigkeit und Wahrheit nicht entsprechen;
3. Sie anerkennt die Richtigkeit das von Br. Lanz eingenommenen Standpunktes, dass er den Versammlungen Im Namen der I.V.E.B. nicht mehr dienen kann, weil er das Vertrauen von Br. Russel nicht mehr geniesst, und stellt fest, dass Br. Lanz und seine Handlungsweise durch die vorgelegten Dokumente in jeder Beziehung gerechtfertigt erscheinen;
4. Sie versichert Br. Russel Ihrer Liebe und aufrichtigen Dankbarkeit für seine grosse und hingebende Arbeit im Erntewerk, und zweifelt nicht daran, dass Br. Russell in Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse Br. Lanz wieder das alte, volle Vertrauen entgegenbringen werde;
5. Sie erklärt, an den Versammlungen der I.V.E.B. nicht mehr mit Segen teilnehmen zu können, solange die vorgekommenen Verletzungen der schriftgemässen Grundsätze über die göttliche Gerechtigkeit und Wahrheit nicht beseitigt worden sind;
6. Sie spricht Br. E. Lanz den Dank aus für seine aufopfernde Tätigkeit und für die grossen und segensreichen Dienste, die er je und je der Berner Versammlung geleistet hat, sowie auch die Guttaten, welche vielen Geschwistern aus der von Br. Lanz gegründeten «Hilfsaktion der S.V.E.B." zugekommen sind, und bittet Br. Lanz, dass er auch weiterhin, als Vertreter der in der heiligen Schrift niedergelegten göttlichen Wahrheiten, am Worte dienen möchte;
7. Sie beschliesst, dass diese Resolution mitzuteilen ist:
a. an Br. C. T. Russell,
b. an Br. E. Lanz,
c. an Br. C. C. Binkele, als neu eingesetzten Vertreter der Gesellschaft für die Schweiz,
d. an die sämtlichen schweizerischen Ortsgruppen der I.V.E.B.

Diese Resolution wurde bei sechs Enthaltungen mit zweiundvierzig Stimmen gegen keine Stimme an der Versammlung vom 10. September 1916 angenommen, wobei ausdrücklich festgestellt wird, dass sich die anwesenden auswärtigen Geschwister, die nicht der Ortsgruppe Bern angehören, bei der Abstimmung n i c h t beteiligt haben.
Bern , den 10. September 1916.
Namens der Versammlung
Der Tagespräsident
Die Stimmenzähler

Damit hatte Binkele, als neuer Repräsentant der WTG in der Schweiz, schon mal einen zünftigen "Begrüßungsspruch" erhalten. Sein Vorgänger, Emil Lanz hielt es für angebracht, die WTG-Gefilde alsbald endgültig zu verlassen. Von letzterem ist denn auch der "flotte" Spruch überliefert: "Ich ergreife mit Freude die Gelegenheit mein Zeugnis abzulegen und die aufwieglerischen und verderblichen Irrtümer der 'Vereinigung Ernster Bibelforscher' zurückzuweisen."

Auch Binkele sollte dereinst, noch ähnliche Statements von sich geben. Aber 1916 war er noch nicht so weit. Sein Lernprozess nahm noch einige Jahre in Anspruch. Binkele versuchte erst einmal in einem Schreiben an Russell vom 19. 8. 1916 auf die vorbeschriebene missliche Situation zu reagieren. Letzterer antwortete ihm mit Schreiben vom 27. 9. 1916. Der Beachtung wert erscheint mir darin auch die angegebene Adresse in Zürich, die zu jenem Zeitpunkt zugleich die dortige offizielle WTG-Anschrift war. Auch der spätere "Dissident" Samuel Lauper, sollte noch dort residieren

Auch dieses Dokument nachstehend:
Brooklyn, den 27. September 1916.
Herrn C. C. Binkele
Hönggerstr. 12
Zürich VI, 17, Suisse.

Lieber Bruder Binkele:
Antwortend auf Dein Schreiben vom 19. August, welches mich etwas verspätet erreichte, bemerke ich was Du sagst in Betreff der Empfindung von Bruder Lanz, dass Du seinen Einfluss bei mir geschädigt habest. Bitte versichere ihm und allen Geschwistern in Deutschland, dass Bruder Lanz noch immer hoch steht in meiner Achtung. Wenn ich aus persönlicher Bekanntschaft einen Bruder als einen Geweihten des Herrn kenne, würde es in der Tat für irgend jemand sehr schwer sein, jene Liebe und jenes Vertrauen zu brechen (zu schädigen) die ich schicklicherweise für alle solche hege. Ich nehme diese Gelegenheit wahr, um allen zu versichern, dass Du nicht den Stand der Achtung von Br. Lanz bei mir gebrochen, noch einen Versuch gemacht hast es zu tun.

Ich verstehe, dass Bruder Lanz von zwei Briefen redet, die er mir in 1915 und 1916 geschrieben habe und dass einer derselben offenbar verloren ging und der andere erhalten worden sei (ein Brief wurde im Kontor abgegeben und gelangte später erst in Br. Russell's Hände, wie wir inzwischen von ihm erfahren haben. Der Uebersetzer). Bruder Lanz scheint aber meinen Wunsch missverstanden zu haben. Nicht ein oder zwei Briefe jährlich erwünschte ich mir, sondern jeden Monat einen B e r i c h t, wie wir solche wünschen und von andern Zweigen des Werkes erhalten. Ich erhielt nicht, noch habe ich je zu irgend einer Zeit von Bruder Lanz die Art von Bericht erhalten, die zu überkommen ich begierig bin - die Art welche ich von Dir zu erhalten suche. Die Berichte kommen von dem Werke in der Schweiz und Deutschland ungefähr seit der Zeit Du dort ankamst, aber selbst diese, wie ich Dir angedeutet habe, können noch vervollkommnet werden, und ich hoffe ohne viel Mühe für den Bruder der sie verfasst. Durch diese werde ich genauer erfahren was vorgeht. Bruder Lanz mag gedacht haben mir Mühe zu ersparen in Bezug auf solche Berichte, aber es bemühte mich mehr sie nicht zu haben, und wunderte mich, und wunderte mich.

Du kannst den lieben Geschwistern sagen, dass die Totalsumme der Unterhaltung zwischen Dir und mir von der Zeit da Du Deutschland verliessest bis zu Deiner Rückkehr fünf Stunden nicht überschritten hat. Und in diesen Unterredungen von zusammen fünf Stunden hast Du nichts von irgend einer Art in Betreff von Bruder Lanz berichtet, obwohl Du gesagt hast Du könntest nicht verstehen warum er die Stellung einnahm betreffs des Bruder Koetitz, die er eingenommen habe; genau wie ich in derselben Weise überrascht war.

Ich begehrte nie Bruder Koetitz irgendwie zu schaden. Ich bin sein treuer Freund. Indessen, ich bemerkte dass sein Verhalten in Deutschland einen solchen Bruch bewirkt dass so lange er an der Spitze des Werkes der Gesellschaft verblieb, Nachteile sein wurden, und ein Gefühl als ob die Gesellschaft Unmoralität billigen würde.

Um dieser Ursache willen geschah es, dass ich das Werk, in Deutschland in den Händen eines Komitees haben wollte; Du Bruder Binkele, solltest Vorstand dieses Komitees sein. Wie ich mich der Sache entsinne, fand sich Br. Lanz ausserstande in den Dingen leitend zu sein und Du warst die einzige Person im Komitee, die es tun konnte. … Es geschah dann, dass Bruder Koetitz zu verstehen gegeben wurde, entgegen meinen Wünschen, meinem Urteil und Anweisung, dass er als Vertreter der Gesellschaft fortbestehen solle - das ist zum wenigsten mein Verständnis in der Sache aus Briefen von Bruder Koetitz, dass er so Bruder Lanz verstanden habe und dass Bruder Lanz damit übereinstimme, dass er fortfahre in Barmen an der Spitze des Werkes zu sein, entgegen meinen Wünschen und Instruktionen;

So verstehe ich die Angelegenheit obgleich Bruder Lanz sie nicht erklärt hat, es ist nicht notwendig, dass er sie jetzt erklären solle. … Jetzt ist die Sache auf eine Art bestimmt wie ich glaube dass sie dem Herrn gefalle und vorteilhaft sein wird für sein Werk. Ich hoffe Bruder Lanz und alle lieben Geschwister in der Schweiz und Deutschland werden irgendwelche Gefühle des Verletztseins von sich tun und sich von Herzen mit Br. Binkele und der Gesellschaft verbinden in dem herrlichen Werke an welchem unser Grosser Herr uns das Vorrecht gab teilzunehmen. Nach meiner Meinung geschieht der grösste Teil des Erntewerkes in der nahen Zukunft, und ich wünsche sehr, dass alte lieben, treuen Kinder Gottes Schulter an Schulter in der Sache stehen. Gewisslich schliesst das Br. Lanz mit ein, den ich sehr liebe und bewundere. Auch schliesst es die Brüder Zaugg u. Lauper u. Schutzbach ein, u. Br. Koetitz ebenfalls - jawohl, alle die dem Herrn von Herzen getreu und willens sind in seinem Dienste mitzuwirken.

Bitte grüsse mir alle Lieben in Deutschland wo Du Gelegenheit hast. Ich liebe sie alle und begehre ihre innigste Gemeinschaft u. Mitarbeit. Möge des Herrn reicher Segen mit Dir sein, lieber Br. Binkele, Dir Weisheit und Gnade gebend zum Dienste. Erinnere mich auch der Schwester Binkele.
Immerdar, Dein Bruder u. Diener im Herrn
C. T. Russell.

Die Schweiz war ja eigentlich "dass" Einfallstor für das Bibelforschertum in Europa. Schon um die Jahrhundertwende hatte man dort den "Fuß in der Tür". Allein die Schweizer, sich ihrer demokratischen Traditionen besinnend, waren nicht so recht zu "Obrigkeitshörigen" Lakaien (sprich Lakaien der Wachtturmgesellschaft) zu bekehren. Das fing schon damit an, dass etliche von ihnen, die durch Russells Lehren beeindruckt waren, eine eigene, zusätzliche Zeitschrift zum "Wachtturm" herausbrachten und auch über eine beachtlich lange Zeit am Leben hielten. Diese in Thun erscheinende "Aussicht" wollte zwar auch Russells Gedankengut verbreiten, aber schon nach wenigen Jahren wurde sie von der WTG vor die Alternative gestellt: "Wir oder ihr". Das Tischtuch war damit zerschnitten.

Der nächste der die harte Hand der WTG zu spüren bekam, war F. L. Alexandre Freytag. Das Zeugen Jehovas "Jahrbuch" (1987 S. 127) vermerkt über ihn:

"Viel schlimmer war jedoch die von L. A. Freytag verursachten Schwierigkeiten. Als der verantwortliche Leiter des Büros in Genf war er bevollmächtigt gewesen, eine französische Übersetzung der englischen Ausgabe des Wachtturms und der einzelnen Bände der Schriftstudien zu veröffentlichen. Doch er missbrauchte seine Stellung, indem er seine eigenen Gedanken publizierte. Als Bruder Rutherford, der Präsident der Gesellschaft, davon erfuhr, enthob er Freytag unverzüglich, und das Büro in Genf wurde geschlossen. Doch Freytag bemächtigte sich des Eigentums der Gesellschaft in Genf und verweigerte einen Rechenschaftsbericht über finanzielle Angelegenheiten. Überdies wollte er eine eigene Zeitschrift unter dem Namen 'La Tour de Garde' (Der Wacht-Turm) herausbringen. Er entstellte die Tatsachen und behauptete, die Gesellschaft beanspruche Dinge, die sein persönliches Eigentum seien.

Deshalb wurde es nötig, gerichtlich gegen ihn vorzugehen. Freytag verlor alle drei Fälle und musste der Gesellschaft sowohl die Einrichtungen und die Literatur … zurückgeben. Auch wurde er gezwungen, über die finanziellen Mittel Rechenschaft abzulegen. Daraufhin wurden alle Verbindungen zu ihm abgebrochen, und er gründete eine eigene Bewegung.

Obwohl die Versammlungen ausdrücklich gewarnt … worden waren, folgte eine ganze Anzahl Personen Freytag nach. Bedauerlicherweise blieben von den 304 Personen, die 1919 dem Gedächtnismahl in französischer Sprache beigewohnt hatten, nur 75 mit der Gesellschaft verbunden, und von diesen wiederum kehrten später viele in die Welt zurück."

Symbolisches "Negerlein Nr. 5" war dann der schon genannte Conrad Binkele. In seiner Glanzzeit stand er dem "Zentraleuropäischen Büro" der Bibelforscher vor. Letzteres "hatte die Aufsicht über das Werk in der Schweiz, in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, Österreich, Italien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, der Tschechoslowakei, Jugoslawien, Polen, und zeitweilig auch über … Deutschland". Binkele geriet auch in nahezu spektakulärer Weise in die Schlagzeilen der Presse, als er als Kläger in Sachen Bibelforscherfinanzierung (von der Gegner behaupteten sie erfolge durch "Juden und Freimaurer") in Erscheinung getreten war. Kaum waren diese Schlagzeilen verebbt erinnerte sich Binkele, dass es ihm gesundheitlich nicht so besonders gut ging. Sein Chef Rutherford war der Meinung, Binkele solle seine gesundheitlichen Probleme in den USA auskurieren - als wenn es in der Schweiz keine Ärzte geben würde! Binkele schwankte. Anfänglich wagte er es Rutherford nicht zu widersprechen und versprach seinem Ansinnen zu entsprechen. Je mehr er über seinen Fall nachdachte, kam er jedoch zu dem Resultat, dass seines Bleibens nunmehr die Schweiz sei. Also nichts mit der Rückreise über den "großen Teich". Inzwischen hatte ihm Rutherford schon alle Machtpositionen wieder entzogen und neue Funktionäre dafür benannt. Als Alibi konnte er auf die von Binkele selbst gemachte Krankmeldung verweisen. Nachdem Binkele auch diesen Schock "verdaut" hatte, wurde er plötzlich wieder so gesund um als Vortragsredner in Erscheinung zu treten. Allerdings lagen seine Ausführungen nicht mehr auf WTG-Kurs. Die Antwort sollte nicht allzu lange auf sich warten lassen. Er wurde förmlich exkommuniziert. Siehe auch: Conrad C. Binkele's Pilgrim

Über das symbolische "Negerlein Nr. 6" vermerkt das ZJ-Jahrbuch (1987 S. 132):
"Jakob
Weber, der im Bethel für die Dienstabteilung verantwortlich war, gehörte zu denen, die sich nicht warnen ließen. Er war so sicher, dass alle Gesalbten bis zum Jahresende im Himmel verherrlicht wären, dass er einen 'Torschlusskurs' einschlug. Ohne Bestellungen dafür erhalten zu haben, versandte er große Mengen Literatur an die Versammlungen mit der Anweisung, diese Publikationen vor Ende 1925 kostenlos in ihren Gebieten zu verteilen. Alle Bemühungen der Brüder im Bethel, ihn zur Vernunft zu bringen, fruchteten nichts. Schließlich verließ er nicht nur das Bethel, sondern auch die Wahrheit und verursachte viel Kummer unter den Brüdern, weil er eine ganze Anzahl mitriss. In einigen Versammlungen ging die Zahl der Verkündiger um mehr als die Hälfte zurück."

Zum Fall Weber berichtete das interne Blatt "Bulletin" (Schweizer Ausgabe) in der November-Ausgabe 1925 noch:
"Angesichts dieser äußersten Zwangslage, die Bruder Weber durch sein unverantwortliches Vorgehen geschaffen hatte, ersuchte Bruder Zaugg, Bruder Balzereit telegraphisch, sich sofort herzubemühen um auch seinen Rat in dieser Angelegenheit zu hören. In Gegenwart der Brüder Zaugg, Balzereit, Buchholz und Weber wurde gestern, Mittwochvormittag, die ganze Angelegenheit behandelt. Es zeigte sich, dass Bruder Weber offensichtlich seine Kompetenzen im Dienstzweig weit überschritten und die Anordnungen Bruder Rutherfords, wie die Arbeit getan werden sollte, nicht beachtet hatte. Ferner musste festgestellt werden, dass er Ansichten vertritt und verbreitet, welche Spaltungen im Haushalte des Glaubens anrichten und die schwachen Schafe des Herrn vollständig entmutigen, statt sie zu ermuntern und zu stärken. Alle Versuche, Bruder Weber vom Irrtum seines Weges zu überzeugen, blieben völlig erfolglos. Er konnte sich nicht dazu verstehen, auch nur ein Jota zuzugeben und blieb unbeugsam, hart wie Stein.

Während wir heute, Donnerstagmorgen, bei der Hausandacht in Gegenwart von Bruder Balzereit den Sachverhalt der Bibelhausfamilie erklärten, kam, wie durch eine wunderbare Führung, ein Telegramm unseres lieben Bruders Rutherford, der inzwischen ebenfalls von allen Seiten Bericht erhalten hatte. Der Inhalt dieses Telegramms lautete: 'Enthebe Weber von aller Tätigkeit im Dienstzweig. Rutherford.' Damit wird Bruder Jakob Weber durch Bruder Rutherford aller seiner Funktionen im Werke des Herrn enthoben."

Symbolisches "Negerlein Nr. 7" ist Ernst Zaugg der ja auch schon beiläufig mit erwähnt wurde.

Auch zu Zaugg gibt es eine Vorgeschichte, über die der "Wachtturm" (1914 S. 31f.) berichtet. Offenbar machte Zaugg, in Abwandlung seines Namens als "Zauderer", sich alle "Ehre". Er schwankte hin und her, zwischen der "Aussicht" und dem "Wachtturm". Wie das bei Zauderern so üblich ist, registrierte er seismographisch genau, dass es eigentlich mit der "Aussicht" nur noch bergab gehen könne. Als gestandener Opportunist zog er für sich die Schlussfolgerung, dass nunmehr ein "Fahnenwechsel" angesagt sei. Hoch erfreut druckte der "Wachtturm" sein diesbezügliches Unterwerfungsschreiben ab. Nachstehend zitiert:

"Geliebter Bruder Otto Koetitz!

Du wirst wohl schon etwas gehört haben von dem, was in der letzten Zeit bei mir vorgegangen ist, und ich muß mich vorerst entschuldigen, daß ich Dir nicht in erster Linie geschrieben habe. Seit mir die Augen aufgegangen sind über all die Punkte, an denen wir uns in so unglücklicher Weise jahrelang gestoßen haben (Mittler, Sündopfer und Bündnisse), habe ich sehr viel Arbeit gehabt. Von allen Seiten will man Aufschluß von mir haben, wie ich dazu gekommen sei, meine Überzeugung so vollständig zu ändern. Ich benutzte auch die vor 14 Tagen stattgefundene Thuner Hauptversammlung als Anlaß, mein Zeugnis öffentlich vor allen anwesenden Geschwistern abzulegen.

Ich bat und ermahnte alle dringend und herzlich, doch ja diese differierenden Punkte doch noch einmal gründlich und vorurteilslos nachzuprüfen, die vor vier Jahren in einer wüsten Streitversammlung als gefährliche Irrtümer verworfen wurden. Warum? Weil wir alle verblendet waren, weil wir alle schon lange vorher eine bittere Wurzel in unserem Herzen gegen unsern lieben Bruder Russell hatten aufkommen lassen.

Heute ist mir alles klar vor Augen. Was vor vier Jahren geschehen, war nur das offene Zutagetreten eines längst gehegten Widerstandes. Die drei oben angeführten Punkte offenbarten auf einmal den wahren Herzenszustand. Man suchte Beweise daß Bruder Russell sich irre, und man fand sie. Erst heute sehe ich, welch eine feine List Satan damals anwandte. Gerade diese drei Punkte, die wir als gefährlichen Irrtum hielten, erwiesen sich als tiefste Offenbarung des Heilsplanes und als eine wunderbare Vertiefung des nun geoffenbarten Geheimnisses des Christus.

Ich staune immer wieder, wenn ich jetzt erkenne, welch gewaltige Fortschritte das Licht der Wahrheit gemacht hat, seit wir uns von Euch trennten. Oh, möchten es doch die Lieben alle erkennen, daß wir uns tatsächlich von dem hellen Licht der Wahrheit abgeschnitten haben. Dieses war nicht sofort erkenntlich, langsam, erst nach Jahren ist der Stillstand unleugbar und deutlich bemerkbar, es war kein wachsendes Licht mehr. Die erste Liebe, der Zeugenmut und der Opfersinn sind langsam abgeflaut, sodaß wohl jeder das Gefühl hat, es sei etwas nicht mehr in Ordnung, es sei nicht mehr wie ehedem. Wie oft hörte ich in den letzten Jahren in unsern Kreisen solche klagen: Den fehlenden Impuls, den verloren gegangenen heiligen Eifer für die Wahrheit, beklagen die meisten.

Mit Wehmut, aber die Ursache erkennen sie nicht, und es schnitt ihnen tief ins Herz, als ich auf der Thuner Hauptversammlung den Finger auf diesen wunden Punkt legte und an Hand von Hebräer 10:32-33 den Geschwistern zeigte, daß unsere Genossen, die also mit uns einhergingen (und von denen wir uns vor Jahren lostrennten), heute noch die volle Freude den lebendigen Zeugenmut und den wahren Opfersinn bis in den Tod besitzen. Ein Sturm der Entrüstung entfesselte sich gegen mich; einige meiner einst liebsten Brüder waren außer sich, und ich wurde mit großer Entrüstung aus dem Aussichtskomitee ausgestoßen.

Du kannst Dir denken, lieber Bruder Koetitz, daß es außerordentlich schmerzlich für mich war, mit einem Schlage alle die Brüder, mit denen ich 18 Jahre lang Hand in Hand in der Wahrheit gestanden und gearbeitet hatte, nun so gegen mich zu haben.

Nun lieber Bruder Koetitz, was mich persönlich anbetrifft, so habe ich Dir gegenüber auch eine alte Rechnung zu begleichen. Bin ich es doch gewesen, der Dir seiner Zeit, zu Beginn Deiner Tätigkeit in der Schweiz, die Arbeit recht erschwert hat. Ich bedaure es heute tief! Wegen einiger rechthaberischer Punkte ließ ich mich wirklich dazu verleiten, der Wahrheit hindernd in den Weg zu stehen, statt mich zu freuen, daß die Wahrheit auf jede Weise und überall verbreitet werde, und solche Bestrebungen nach Kräften zu unterstützen. Wir haben auf diese Weise fraglos das ganze Erntewerk gehindert, statt daß wir, die wir die Wahrheit erkannt hatten, diese auf jede nur mögliche Weise förderten.

Ich hoffe also zuversichtlich, lieber Bruder, du werdest mir alles vergeben, wo ich je in Wort und Schrift gegen Dich gearbeitet habe. Bitte dieselbe Bitte von mir auch unserem lieben Bruder Russell zu übermitteln; ihn habe ich ja mit meinem Widerstand am ersten getroffen."

Wie aus seinen Ausführungen auch ersichtlich, gehörte er mit zum Redaktionskreis der Zeitschrift "Die Aussicht". Selbige 1902 in der Schweiz gegründet, zu einem Zeitpunkt, wo der deutsche "Wachtturm" in einer tiefen Krise sich befand, dieweil sein Absatz keineswegs so war, wie Russell es sich erhofft hatte. Dieweil der deutsche "Wachtturm" zeitweilig nicht mehr erschien, machten eben Schweizer Bibelforscher-Kreise ihre eigene Zeitschrift auf, welche sie "Die Aussicht" nannten.

Das wiederum war Russell nun überhaupt nicht recht, und so gab er sich einen entscheidenden Ruck, und stellte ab 1904 mit Koetitz als nunmehr in Deutschland ansässigen WT-Redakteur, selbigen auf eine neue Grundlage. Ab 1904 erschien der deutsche WT auch monatlich, was davor eben nicht der Fall war.

Die "Aussicht", einmal gegründet, erschien aber auch weiter. Faktisch lief das auf ein zunehmendes Konkurrenzverhältnis hinaus.

Der WT war ohne Zweifel finanzkräftiger. Große Werbeaktionen, etwa als kostenlose Zeitungsbeilagen wurden mit ihm gestartet. Da konnte die "Aussicht" in der Tat nicht mithalten. Und nun um 1914, wie gelesen, trat besagter Zaugg die reumütige Rückkehr zur WTG an. Er blieb allerdings einstweilen, ein Einzelfall.

So wie Russell einst in den USA den "Herald of the Morning" von Barbour im Konkurrenzkampf das "Wasser abdrehte", so wiederholte sich selbiges auch im Falle der "Aussicht".

(Einfügung.
Was die von Zaugg genannten Kontroversen anbelangt, kamen die besonders im Jahre 1910 zum Tragen.
In der Einleitung zum Jahrgang 1910 der "Aussicht" werden sie mit angesprochen. Massgeblich befördert vom Russell-Schwiegersohn Henninges, im fernen Australien, und seinen Wiederkäuern auch in Europa.
Ich hatte diese Kontroversen schon mal mit der Einschätzung bedacht "theologisches Hinterhofkellergezänk, wo wahrscheinlich nur die Götter wissen, wer da recht hat. Und die wissen es wohl auch noch nicht."
Zum Verständnis ist besonders auf die "Aussicht" vom April 1910 hinzuweisen
In der April-Ausgabe 1910 (S. 737f.) ragt besonders der "Enttäuscht! Zum 13. April 1910" überschriebene Artikel hervor.
Er berichtet über einen Besuch Russells in Bern (Schweiz). ...
Die Enttäuschung des "Aussichts"-kreises äußert sich dann besonders in dem Satz:
"Wir haben einen Meister (Russell) erhalten, der allein gehört werden soll ..."
Und auch weiter den Satz:
"Für manche unter uns war Br. Russell's Verhalten freilich keine Enttäuschung; sie hatten das Gefühl schon lange, daß dem so sei."

http://forum.mysnip.de/read.php?27094,70367,86934#msg-86934

Die von Henninges maßgeblich ausgelösten Kontroversen müssen aber auch so gedeutet werden:
Ein gewisser Frust gegenüber Russell kanalisiert sich. Und die "Verpackung" dabei, sind eben jene theologischen Kontroversen; aber eben nur die "Verpackung".

Konflikte der Art werden sich immer dann wiederholen, wenn namentlich wegen materieller Interessen, das Bestreben Weggefährten "wegzubeissen" übermächtig wird. Man kann es symptomatisch auch am Konflikt Russell versus "Aussicht" ablesen. Eigentlich wäre Russell ja dem "Aussichtskreis" zu Dank verpflichtet gewesen. Das die Bände 2, 3 und 4 seiner "Schriftstudien" vom Englischen ins Deutsche übersetzt wurden, und er somit in Deutschsprachigen Kreisen erst mal Fuß fassen konnte, verdankt er wesentlich diesem Kreis. Auch wenn er später, um die Erinnerung an diese Hilfe wieder zu löschen, jene vier ersten Bände in eigener Regie "neu" übersetzen ließ. Analoges gilt auch für Band 1, dessen Übersetzer von Zech, auch in Ungnade bei Russell fiel.
Um es mit einem polemischen Spruch zu sagen, welchen Walter Küppers alias Johannes Walther, als Motto einem seiner Bücher voranstellte;
"Phytagoras, der Philosoph, ersann
Ein neues Lehrgesetz und brachte dann,
Da er doch nur ein Heide war,
Den Göttern hundert Opferstiere dar.
Is's da ein Wunder, dass die Ochsen zittern,
Sobald sie eine neue Wahrheit wittern?"

Diese Einfügung verlassend, zum Fall Zaugg zurückkehrend.)


Die damaligen WTG-Fürsten befanden, den Zaugg sollte man mal bei ihnen Karriere machen lassen, um so vielleicht das eingehen der "Aussicht" beschleunigen zu können.

Die erste Chance bot sich dazu im Falle des F. L. A. Freytag. Im deutschen "Wachtturm" (1919, S. 150f.) kann man dazu lesen:

"Die Lieben Geschwister allerwärts, einschließlich sämtlicher Leser des Wachtturms sind gebeten zu beachten, dass das Büro unserer Gesellschaft in Genf aufgehoben wurde, und statt dessen ein anderes in Büro in Bern unter Leitung unseres lieben Bruder E. Zaugg, eingerichtet und eröffnet wurde. Wie aus nachsehenden Erklärung ersichtlich ist, wurde der bisherige Leiter des französischen-belgischen Werkes seines Amtes entlassen, und es ist der Wille und Auftrag des Präsidenten der Gesellschaft, diese Erklärungen im Wachtturm bekannt zu geben. ..."

Das 1974er ZJ-Jahrbuch notiert dazu noch:

"Bruder Russell hatte einige Jahre zuvor A. Freytag beauftragt, sich des französisch-belgischen Werkes vom Büro der Gesellschaft in Genf aus anzunehmen. Dies schloß die Vollmacht ein, eine französische Übersetzung des englischen Wacht- Turms sowie der Schriftstudien herauszugeben. Er mißbrauchte jedoch seine Vollmacht und begann, eigene Schriften zu veröffentlichen, wodurch unter den Brüdern beträchtliche Verwirrung entstand.

Freytag wurde aus seiner Stellung entlassen, das Büro der Gesellschaft aufgelöst, und ein neues Büro wurde in Bern unter der Leitung von Bruder E. Zaugg und unter der Gesamtaufsicht von Bruder Binkele eröffnet."

Im 1980er ZJ-Jahrbuch kann man weiter lesen (und das nimmt auf den mit genannten Binkele bezug):

"Im Juli 1925 wurde Bruder Binkele, der Leiter des Zentraleuropäischen Büros, aus gesundheitlichen Gründen von Bruder Zaugg abgelöst. Im darauffolgenden Jahr wandte sich Binkele gegen die Gesellschaft und gründete eine eigene Sekte, die er "Die freien Bibelforscher" nannte.

Was die vorgeschobenen "gesundheitlichen Gründe" anbelangt, darf man selbige getrost auf "ideologische Gesundheit" im WTG-Sinne reduzieren.

Nicht erwähnt indes wird in den neueren WTG-Jahrbüchern, dass es noch eine weitere Karrierestufe des E. Zaugg gab. Und zwar die, dass er erster Redakteur der Schweizer Ausgabe des "Goldenen Zeitalters" wurde. Als zum Ende dieser Phase dann Franz Zürcher die Redaktion übernahm, wurde Zaugg im Impressum des Schweizer GZ weiter genannt, nunmehr unter dem Begriff "Direktion".

Sang- und klanglos jedoch verschwand sein Name aus dem GZ-Impressum mit der Schweizer GZ-Ausgabe vom 15. Mai 1926. Ab dieser Ausgabe taucht der Name M. C. Harbeck erstmals für die "Direktion" auf. Den Lesern wurde keinerlei Erklärung geliefert, weshalb nun der Name Zaugg verschwand. Eine ehrenvolle "Verabschiedung" erhielt er jedenfalls nicht.

Lapidar liest man dazu im 1980er ZJ-Jahrbuch:

"Wurde Bruder Zaugg von Bruder Martin Harbeck abgelöst, den Bruder Rutherford aus Brooklyn schickte. Bruder Zaugg gab den Vollzeitdienst auf und verließ schließlich die Wahrheit."

Ende der WTG-Durchsage. Etwas "auskunftsfreudiger" in der Sache Zaugg war offenbar aber die Schweizer Tageszeitung "Der Bund" in ihrer Ausgabe vom 2. 4. 1926. Handelt es sich dabei zwar um eine Kurznotiz, so konnte man in ihr immerhin soviel lesen:

"Die Untersuchung gegen Mitglieder der Ernsten Bibelforscher"
Wie uns gesagt wird, ist eine der sechs Verhaftungen zu Schutzzwecken erfolgt. Es ist unter den Bibelforschern längst schon gemunkelt worden, daß etwas Unsauberes vorliege, und der aus seinen Weltuntergangsprophezeiungen (für die Jahre 1924 und 1925) bekannte Amerikaner Rutherford in Brooklyn hat den "Bruder" Donald zur Untersuchung hergeschickt; doch führten diese Nachforschungen, wie im (Schweizer) Wachtturm" zu lesen, zu nichts.
Damit waren aber offenbar einige "Brüder" nicht beruhigt, und die Polizei hat nun ein positiveres Ergebnis herausgebracht, das sich auch auf Aussagen der Beschuldigten selber stützen soll. Gegen Zaugg soll die Beschuldigung auf unzüchtige Handlungen mit jungen Leuten lauten; auch sei widernatürliche Unzucht in Frage. Unter den Verhafteten befinden sich Ausländer. Die Gesellschaft hat an der Allmendstraße eine eigene Druckerei und scheint vom Ausland her finanzielle Unterstützung zu beziehen. Die Akten wurden vom Regierungsstatthalteramt dem Untersuchungsrichter überwiesen."

Wer nun hofft, irgendwo in der WTG-Literatur eine nähere Erläuterung zu dem vom "Bund" ausgeführten, vorzufinden, der hofft allerdings wieder mal vergebens. Offenbar hieß die Devise für die WTG auch in diesem Fall: "Deckeln", vertuschen, nicht mehr ruchbar werden lassen, als wie die Presse bereits berichtet hat. Jedenfalls gibt es kein Dementi in der WTG-Literatur zu den Ausführungen des "Der Bund", womit im Umkehrschluss dessen Aussagen bestätigt wird.

Über den Verbleib von Zaugg hüllt sie die WTG in Schweigen. Lediglich ein Satz im 1987-er ZJ-Jahrbuch gibt eine Andeutung in welche Richtung man denn da weiter zu recherchieren hätte. Da heißt es lapidar:
"Ein anderer trauriger Zustand kam innerhalb der Bethelfamilie ans Licht. Einige wenige hatten unmoralische Handlungen begangen. Die Reaktion aus dem Büro des Präsidenten erfolgte blitzartig. Anschließend wurde Martin C. Harbeck von Brooklyn nach Bern entsandt, um die Leitung der Zweigstelle zu übernehmen. Das war im Februar 1926."

Samuel Lauper

1925er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

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