Der vorangegangene Jahrgang    1909

Vor (mehr als) 50 Jahren

Was 1910 Wahrheit war

Deutschland ein "hartes Pflaster"

Zur Ausbreitung seiner Lehre setzte Russell in besonderem Maße auf die sogenannten Kolporteure. Das waren faktisch Bücherverkäufer, die in Klinkenputzermanier versuchten, an den Haustüren ihre Ware loszuwerden. In den USA scheint das auch einigermaßen geklappt zu haben; zumal der Kolporteur mit jedem Buch das er los werden konnte, für sich persönlich auch eine gewisse Provision mit erwirtschaftete. In Deutschland hingegen, in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, sah das etwas anders aus. Beleg dafür auch jener im "Wachturm" (1910 S. 79) abgedruckte Klagebericht von Heinrich Wendt, worin man lesen konnte:

"Ehe ich von Amerika, wo ich, nebenbei gesagt binnen 3 Jahren ungefähr 8000 Bände Schriftstudien absetzte, nach Deutschland kam, wußte ich ja schon von Eurem alljährlichen Bericht durch den Wachtturm, daß es hier sehr schwer sein muß, weil so wenig Bücher abgesetzt wurden. Jetzt, wenn ich morgens anfange und bin schon ein paar Stunden von Tür zu Tür gegangen und habe nichts verkauft, so denke ich manchmal: wirst du heute überhaupt ein Buch los werden? Ich muß mich wirklich hier in Deutschland sehr verwundern; ich dachte, ich würde hier blinden Glauben und Sektenknechtschaft vorfinden, aber nichts dergleichen. Ganz H. ist mit Unglauben durchseucht, und das erklären sie mir mit solcher Offenheit, die wirklich bewunderungswürdig ist, wenn es nicht so traurig wäre.

"Näääää", sagen sie, in ihrem Dialekt "für so etwas sind wir jetzt nicht mehr; früher waren wir auch mal fromm, aber darüber sind wir jetzt hinweg." Klapp, fliegt die Tür zu. Manchmal muß ich mitten im Satz abbrechen, weil die Tür zufliegt (oder auch manchmal zugemacht wird, ohne daß sie ein Wort sagen). Sie sind hier nicht gegen die Wahrheit allein, sondern gegen irgend eine Religion."

In dieser Konstellation vermerkt denn auch der finanzielle Jahresbericht im Wachtturm (1910 S. 215), dass die jährlichen Gesamtkosten (1909) für die WTG

47.953, 54 Mark betrugen. Davon wurden in Deutschland aus eigenen Einnahmen 17.123,549 Mark erwirtschaftet. Das restliche Defizit von 30 830,05 Mark musste von Brooklyn gedeckt werden.

Tag der Rache - 1915

Einen Einblick in die zeitgenössische Bibelforscherverkündigung gibt auch ein Pressebericht der vom Wachtturm (1910 S. 77) nachgedruckt wurde. In Barmen hatten die Bibelforscher einen groß angekündigten öffentlichen Vortrag veranstaltet. Der "Barmer Anzeiger" berichtete darüber:

"Die Ankündigungen eines Vortrages im Zentral-Hotel am 3. d. Mts. (März) über das Thema: "Der Tag der Rache - 1915" hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Einen Blick in die Zukunft zu tun, ohne den üblichen Obulus für das Orakel erlegen zu müssen, diese Gelegenheit mußte ausgenutzt werden, und so war denn zur festgesetzten Zeit der große Saal des Zentral-Hotels schon überfüllt … Der Redner, Herr Redakteur Koetitz vom Volks-Kanzel- und Zions-Wachtturm-Verlag, verkündigte unter Hinweis auf zahlreiche Bibelstellen und an der Hand zweier mit geheimnisvollen Figuren bedeckten Karten eine Botschaft, deren Schlußakkorde recht versöhnlich und harmonisch ausklangen. Nur wenige Jahre noch, dann soll eine weltweite Anarchie und Revolution hereinbrechen. Zu gleicher Zeit werden große Naturereignisse dazu beitragen, die allgemeine Verwirrung der Menschheit und die Ratlosigkeit der Nationen zu verstärken.

Der Ausbruch eines großen Weltkrieges um den Zankapfel 'Palästina' wurde in Aussicht gestellt. diese gewaltige Episode der Menschheitsgeschichte soll mit einer Vernichtung der jetzigen unzulänglichen Ordnungen, Staatseinrichtungen, Kirchensysteme u. dgl. enden. Mit dem Jahr 1915 soll dann für die übriggebliebene Menschheit eine glücklichere Zeit hereinbrechen, der Kampf um die Existenz wird mildere Formen annehmen, die Kriege hören auf, der Streit um 'Jesus' ist vorbei, denn jeder wird zugeben müssen, daß er lebt und regiert. Alles in allem - schöne Zukunftsmusik! - Unter den zahlreichen Zuhörern dürfte trotz der vom Redner mit großer Überzeugung vorgetragenen Ausführungen manch ungläubiger Thomas das bekannte Zitat gebraucht haben: 'Die Botschaft hör' ich wohl; allein mir fehlt der Glaube.'"

Wie aus Russellaner "Bibelforscher" wurden

Der Wachtturm (1910 S. 27) beklagt:

"Von verschiedenen Seiten erhielten wir Nachricht, daß die Leiter von Bibelstunden dagegen protestieren, wenn in den Versammlungen auf Wachtturm-Artikel hingewiesen wurde; es sollte nur auf die Bibel Bezug genommen werden. Das sah aus wie Treue gegen das Wort Gottes, aber es war nicht so. Es war nur das Bestreben dieser Lehrer, sich zwischen das Volk Gottes und das von Gott vorgesehene Licht über Gottes Wort zu stellen."

Dieser für die WTG mißlichen Lage, suchte sie mit einem Grundsatzartikel in der Juli-Ausgabe 1910 des Wachtturms entgegenzuwirken. Darin konnte man lesen:

"Viele Jahre lang sind die lieben Freunde, welche sich regelmäßig in der ganzen Welt zum Studium des Wortes Gottes versammeln und die Wachtturm-Schriften als Handleitung gebrauchen, in Verlegenheit gewesen, wie sie sich nennen sollen. Wir haben fortdauernd und vor allem gewarnt, was dem Sektenwesen oder Kirchentum ähnlich sein würde, aber wir haben nicht gewußt, was wir den Freunden vorschlagen sollten.

Wo zwei oder drei versammelt sind in des Herrn Namen, da haben sie allerdings das Recht, sich als eine Kirche zu bezeichnen, wenn sie wollen. Aber wenn der Name Kirche gebraucht wird, so fragen unsere Freunde und Nachbarn: Welche Kirche? Welche Denomination? Und wir finden es unmöglich, ihnen in angemessener Zeit zu erklären, daß wir nicht eine Sekte oder Partei zum Unterschied von anderen Christen meinen. …

Wir haben jetzt durch des Herrn Vorsehung eine Bezeichnung gefunden, die, wie wir glauben, dem Volk des Herrn überall annehmbar sein wird, in jeder Beziehung - die Bezeichnung in der Überschrift dieses Artikels. Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher."

Glatte Worte zur Täuschung der Arglosen, kann man dazu nur als Kommentar sagen. Deutlicher wird der Wachtturm in der Dezemberausgabe des gleichen Jahres. dort liest man unter der Überschrift "Ist das Lesen der 'Schriftstudien' Bibelforschung?"

"Der Plan, jeden Tag zwölf Seiten der Schrift-Studien zu lesen, den so viele versucht haben, ergibt mehr Bibel-Studium, als jede andere Weise, die wir kennen. Wir glauben, daß es nicht so wohl auf die Zeit ankommt, die für Bibel-Studium verwendet wird, als vielmehr auf das Maß von Belehrung, die gewonnen wird. Wir alle kennen Leute, welche Tage und Wochen und Jahre für Bibel-Studium verwendet haben, und wenig oder nichts gelernt haben. Wir meinen, daß die Idee, es sei Bibel-Studium, wenn nur die Zeit verwendet ist, eine Bibel in der Hand zu halten und einige Verse zu lesen, eine verkehrte Idee ist.

So glauben wir, daß, weil wir jetzt in dieser besonderen Zeit leben, am Ende dieses Zeitalters, wir mit einer klaren Entfaltung geistiger Dinge gesegnet sind. Wir meinen auch, daß die gegenwärtigen Segnungen zeitlicher Art, wie das elektrische Licht, aus ähnlichen Gründen vorhanden sind. (Hervorhebung von mir. M. G.) Daher ist der einfachste Weg, die Sache zu erklären der, anzuerkennen, daß des Herrn bestimmte Zeit gekommen ist, und daß er zum richtigen Verständnis geführt hat.

Wenn uns also der Herr in unserer Zeit etwas gegeben hat, was andere Zeiten, als die der Apostel, nicht kannten, wie gut und weise sie auch gewesen sein mögen - und wir die Methode der Belehrung ignorieren wollten, welche so entwickelt worden ist, so würde das nach unserem Urteil ein Ignorieren der Vorsehung des Herrn bedeuten. Indes, jeder muß sich selbst denken, und sein Verhalten auf jede Weise einrichten.

Wenn die sechs Bände Schrift-Studien praktisch eine nach den Gegenständen eingerichtete Bibel sind, mit den biblischen Beweisstellen versehen, so möchten wir die Bände wohl 'eine Bibel in arrangierter Form' nennen. Das heißt, sie sind nicht nur Kommentare zur Bibel, sondern sie sind praktisch die Bibel selbst, da kein Verlangen besteht, eine Lehre oder einen Gedanken nach individuellem Wunsch zu bilden, oder auf individuelle Weisheit zu gründen, sondern die ganze Sache nach der Richtschnur des Wortes Gottes darzustellen. Wir halten es daher für richtig, die Art des Lesens, dieser Art der Unterweisung, dieser Art von Bibelstudium zu folgen.

Ferner, wir finden nicht nur, daß die Leute den Göttlichen Plan nicht sehen können, wenn sie die Bibel allein studieren, sondern wir sehen auch, daß, wenn jemand die Schriftstudien beiseite legt, nachdem er sie gebraucht hatte, nachdem er wohl bekannt mit ihnen geworden ist, nachdem er sie zehn Jahre gelesen hat - wenn er sie dann beiseite legt, und sie ignoriert und zur Bibel allein geht, obwohl er seine Bibel zehn Jahre lang verstanden hat, unsere Erfahrung zeigt, daß er binnen zwei Jahren in die Finsternis geht.

Auf der anderen Seite, wenn er nur die Schrift-Studien mit ihren Hinweisen gelesen hätte, und nicht eine Seite der Bibel als solche gelesen, so würde er am Ende der zwei Jahre im Licht sein, das Licht der Heiligen Schrift besitzen."

Theologische Israel-Verklärung

Kriegerischen Spannungen in Nahost machen es deutlich. Es gibt auch solche, die das alles (wieder einmal) in ein biblisches Korsett hineinpressen möchten. Und die Geschichte der Bibelforscher/Zeugen Jehovas scheint begünstigend für solche Anfälligkeit zu sein. Werner Hodler beispielsweise interpretierte dass Juden durch "in der Bibel prophezeite Jäger", die im konkreten auf den Nazismus gedeutet wurden, nach Palästina getrieben würden. Oder der amerikanische Evangelikale Hal Lindsey, der einen dritten Weltkrieg wegen Israel, verursacht durch die Sowjetunion, glaubte ankündigen zu können.

Franz Delitzsch, der z.B. in seinen „Schriften des Institutum Judaicum in Leipzig" im Jahre 1885 schrieb:

„Als Kinder der deutschen Reformation stehen wir auf dem Standpunkt des Paulus, dessen heilsgeschichtliches und erfahrungsgemäßes Recht Luther wie kein anderer vor ihm durchschaut und verteidigt hat. Aber mit Paulus, in dessen Römerbrief nicht bloß Kap. 1-8, sondern auch Kap. 9-11 ein integrierender Bestandteil ist, halten wir auch fest an dem prophetischen Worte von Israels Wiederbringung, blicken auf Israel mit hoffender Liebe und freuen uns in der Gesinnung, welche Luther in seiner Schrift 'das Jesus ein geborener Jude sei' (1523) ausgesprochen hat." [Delitzsch, "Fortgesetzte Dokumente der national-jüdischen christgläubigen Bewegung in Südrussland", Erlangen 1885 S. V]

1887 schrieb er:

„Eines ist und bleibt gewiss: die Geschichte der Kirche kommt nicht eher zum Abschluss als bis nach prophetisch-apostolischer Weissagung der Rest Israels sich bekehrt und mit dem Reichtum seiner Kräfte und Gaben das innere und äußere Leben der Kirche von neuem befruchtet. Bei dem jetzt herrschenden antisemitischen Zuge, welcher auch die schriftgläubige Theologie beeinflusst, wird dies vielen als eine abenteuerliche Erwartung erscheinen. Aber man beschimpft das Christentum, wenn man ihm die Macht aberkennt, wie das Heidentum so auch das Judentum geistig zu überwinden." [Derselbe "Dokumente der südrussischen Christentumsbewegung. Selbstbiographie und Predigten von Joseph Rabinowitsch", Leipzig 1887, S. 16, 24]

Der Fehler von Delitzsch (und auch von Russell) war die Überbewertung des Wirkens des jüdischen Rechtsanwaltes Joseph Rabinowitsch in Kischinew (Moldawien) im Sinne der These vom Judenchristentum. Delitzsch selbst sah sich gezwungen, eine jüdische Stellungnahme zum „Fall Rabinowitsch" abzudrucken, in der äußerst scharf polemisiert wurde. Unter anderem konnte man darin lesen:

„Nachdem die Hand des Herrn unser Volk in unserem Geburtslande hart betroffen und der Pöbel zur Zornesgeißel gegen unsere Brüder im Süden geworden ist, ihre Wohnstätten in Trümmern zu legen, hat sich der Schlag gegen das Haus Gottes in ihrer Mitte gewendet, und es sind einige frevlerisch Abtrünnige daraus hervorgegangen, welche die ererbte Religion abgeschüttelt haben, in der Hoffnung, dadurch sich bei der Welt Gunst und Ansehen zu erwerben. Unter diesen Zerstörern befindet sich auch ein alter Mann, welcher vergessen hat, was er gelernt hat, Joseph Rabinowitsch, welcher sich vermessen hat, eine Sekte 'christgläubiger Juden' zu schaffen.

Lass den Trunkenen laufen, er wird schon von selber fallen. Aber mit Recht hat uns der Zorn ergriffen, als wir sahen, dass es ihm gelungen ist, bis in die weite Ferne Staub aufzuwerfen.
Nach der Angabe der 'Times' hätten sich dieser Bewegung schon 250 hebräische Familien angeschlossen, aber wir können versichern, dass ein zuverlässiger Forscher auch nicht eine Familie finden wird, die sich den Träumen und Reden des in Kischinew hervorgetretenen neuen Propheten Israels zugewendet. … Ich vermute fast, dass die aus der 'Times' stammende Nachricht ihn selber zum Urheber hat, und was die 250 Familien betrifft, wer kennt da nicht die Träume und Phantasiebilder die ein solcher Glaubensmacher träumt und sich einbildet, wenn er sich vermisst, Seelen zu schaffen, indem seine eigene Seele ihm abhanden kommt?" [Delitzsch, Fortgesetzte Dokumente S. 10-12]

In einer Selbstbiographie berichtet dieser Rabinowitsch, unter Bezugnahme auf eine Judenhetze welche 1871 in Odessa losbrach:

„Da stürmte man los auf alle jüdischen Einwohner, riss ihre Häuser nieder und plünderte am lichten Tage ihr Eigentum, und die Christen, ihre Mitbürger, ließen in schweigsamer Ruhe den fanatischen Pöbel gewähren. Da ward ich inne, dass die Aufklärung, weit entfernt, die Juden aus der Hand ihrer Feinde zu retten, im Gegenteil sie ihren christlichen Gegnern um so verhasster macht und ihre Nationalität als nicht existenzberechtigt erscheinen lässt.

Die Juden Odessas waren die ersten in Russland, welche sich der europäischen Aufklärung untergraben und um brüderlichen und freundlichen Verhältnissen zu den Christen willen, ihre Sprache, ihre Kleidung, ihren Namen änderten, und nun waren sie auch die ersten, welche mit Schmach überhäuft und mit Vertilgung bedroht wurden. … Diese Zeitereignisse trugen das Ihrige dazu bei, mich denjenigen erkennen zu lassen, von welchem Mose und die Propheten geschrieben haben, Jesus von Nazareth." [Delitzsch, "Neue Dokumente der südrussischen Christentumsbewegung", Leipzig 1887 S. 16, 24]

Gewisse christliche Kreise, unter ihnen auch Russell, meinten in Rabinowitsch ein „göttliches Signal" zu erkennen. Russell dokumentierte das auch dadurch, dass er auf seiner 1891-er Weltreise, Kischinew ausdrücklich mit in sein Besuchsprogramm aufnahm. Es lassen sich auch noch andere Vertreter einer solchen Position namhaft machen. Beispielsweise die von der frühen (deutschen) Bibelforscherbewegung als Konkurrenz empfundene sogenannte "Allversöhnungs"-Bewegung um E. F. Ströter (1846 - 1922).

1869 war Ströter von Deutschland mach den USA ausgewandert. Dort stand er in Verbindung zu den Methodisten, amtierte auch als einer ihrer Prediger. Zuletzt war er dort auf verschiedenen kirchlichen Hochschulen der Methodisten tätig. Deutsche Landeskirchliche Gemeinschaftskreise, auf Ströter aufmerksam geworden, warben ihn ab und so war er ab 1899 wieder in Deutschland. In Deutschland wirkte Ströter, der nicht mehr im Dienste der Methodistenkirche stand, als unabhängiger Schriftausleger besonders innerhalb der Gemeinschaftsbewegung und der Evangelischen Allianz. Von 1898 bis 1908 nahm er an acht Blankenburger Konferenzen der Evangelischen Allianz als gern gehörter Redner teil. Gleichwohl kristallisierten sich zunehmend theologische Differenzen zu den Deutschen Landeskirchlichen Gemeinschaften heraus. Im besonderen war man dort nicht bereit seiner sogenannten Allversöhnungslehre zu folgen. Mit der Gründung der Zeitschrift "Das Prophetische Wort" schuf sich aber Ströter ein eigenes "Standbein".

Ströter schrieb z. B.:

„Denn Judenbekehrung zu Christo und nationale Hoffnung für Israel als Volk sind nicht gegenseitig fremde oder gar einander ausschließende Begriffe, sondern sie fordern und setzen einander vielmehr voraus." [Ströter, Ernst F. "Die Judenfrage und ihre göttliche Lösung nach Römer Kapitel 11" Kassel o. J. (1903) S. 29]

Weiter meint er:

„Das dis bisherigen Versuche eines Joseph Rabinowitsch in Kischinew und einiger anderer, judenchristliche Gemeinden jetzt schon zu bilden noch keinen dauernden Erfolg gehabt haben, will nichts sagen. Wir erblicken in Männern wie Rabinowitsch … die Wykliffe und Huss'e einer neuen Zeit für das Volk der Wahl. Sie tun Vorläuferdienste. Aber ihre Arbeit und ihr Zeugnis sind darum nicht vergebens. Wenn die Zeit gekommen, wenn z. B. ein völkerrechtlich anerkannter jüdischer Volksboden wieder gegeben, wenn Israel wieder ein Heimatland sein eigen nennen kann, sei es unter dem Sultan oder irgend einer anderen Weltmacht - dann wird sich's finden, dass Gott nicht unvorbereitet war, sondern für ausgiebiges Material schon gesorgt hat, zum Aufbau einer judenchristlichen Synagoge oder Gemeine, deren Zeugnis von Christo dem Gekreuzigten und Auferstandenen dann wieder in Jerusalem in die Ohren des ganzen Hauses Israel gegeben wird. Gott kann sie wohl wieder einpfropfen in 'ihren eigenen Ölbaum.'" [Ebenda S. 126]

Das hier eine bestimmte Konjunktursituation bestand, offenbarte Ströter auch, wenn er anmerkt:

„Noch vor zwanzig Jahren konnte man sich mit ernsthaften Reden von der nahen Möglichkeit der Aufrichtung eines jüdischen Staates und der Wiederherstellung einer israelitischen Nation höchstens lächerlich machen. Die Juden je wieder eine Nation, im eigenen Lande, unter eigener Obrigkeit? Darob haben sie selbst damals noch ungläubig den Kopf geschüttelt und die Christen sich lustig gemacht. Unterdessen hat man fortgefahren zu weissagen über die toten Gebeine. Und siehe da, ein Rauschen! Gott der Herr lässt die Geisel des Antisemitismus schwingen. Im Judentum fängt's an sich gewaltig zu regen. Die zionistische Bewegung entsteht." [Ströter, Ernst F. "Israel das Wundervolk" Zürich o. J. (1903) S. 28]

Es blieb nicht aus, dass der zeitweilig mit zum Mitarbeiterstab der Ströter'schen Zeitschrift das „Prophetische Wort" gehörende „Johannes Walther", gleichzeitig mit ins Horn der Zionismusbegünstigung hineinblies. Bei „Walther" standen im Hintergrund noch Pate seine einschlägigen Endzeitberechnungen. Etwa, wenn er äußert:

„Nur soviel sei gesagt, dass Leute, die durch die Bibel Einblick gewonnen haben in Gottes Weltregierungspläne, nicht nur glauben, sondern geradezu wissen, dass die Zeit für Israels Heimkehr endlich wirklich gekommen ist. Immer deutlicher und unverkennbarer werden die Zeichen der Zeit, und eines der deutlichsten und unverkennbarsten dieser Zeichen ist eben die beginnende Heimkehr Israels ins Land seiner Väter. So wie damals vor mehr als drei Jahrtausenden Moses auftrat um sein Volk zu retten, so ist im Jahre 1897 Theodor Herzl, der vornehmste und gebildeste Jude unserer Tage, aufgestanden mit einem Aufruf an sein Volk, es solle sich von neuem ein Heim im Lande seiner Väter schaffen." [Walther, Johannes "Israels Heimkehr. Ein Wunder Gottes in unseren Tagen", Königsberg 1911 S. 13].

Walther machte Russell und denn Bibelforschern dann noch dergestalt Konkurrenz, indem er "genauer" ein analoges Endzeitdatum publizierte. Russell sagte 1914. Der "genauere" "Johannes Walther: 1912. Gleichwohl waren Russell, Walther, Ströter allesamt "Pioniere" für die theologische Aufwertung Israels. Ihre dabei auch nachweisbaren Fehlprophezeiungen werden indes schamhaft verschwiegen.

Nochmals rekapitulierend. Als die Bibelforscher in Deutschland Fuß zu fassen begonnen, in der Zeit kurz vor dem ersten Weltkrieg, setzte sich ihre hiesige Klientel aus jenen zusammen, die die entweder mit "Freikirchen" oder "Landeskirchlichen Gemeinschaften" oder anderen im kirchlichen Jargon "Sekten" sympathisierten. Einen analogen Kreis sprach auch Ströter an. Die deutschen Anfänge waren keineswegs so zentralistisch wie man das von den heutigen Zeugen Jehovas kennt. Das kam erst später. Erst war ein noch durchaus pluralistisch zu nennendes Spektrum. Wer der "Wachtturm" der Bibelforscher las, war nicht selten zugleich auch Abonnent des "Prophetischen Wortes". Oder gar noch Sympathisant des "Johannes Walther" (alias Walter Küppers), der noch "genauer" als Russell meinte für 1912 Endzeitereignisse voraussagen zu können (vor Tisch). Nach Tisch dann auch bei ihm das große lavieren, Wegerklären und Umdeuten.

Nehmen wir mal die Zeitschrift "Das Prophetische Wort" von Ernst F. Stroeter. Seit 1907 erscheinend. Schon in deren ersten Jahrgang findet sich die Klage (S. 202):

"Das Verständnis für Israel und seine Bedeutung im göttlichen Reichsplan schwand (in den Großkirchen). Man wurde Antisemit und trieb christlich-nationale Reichspolitik und Weltverbesserung."

Dies war in Ströters Sicht ein Fehler, den er nicht wiederholen wollte.

Gleichfalls im ersten Jahrgang genannter Zeitschrift, begegnet er einem auch schon, der bereits genannte "Johannes Walther". In seinem Aufsatz berichtet er euphorisch, nachdem er die sogenannte "höhere Bibelkritik", die er am Falle des Theologen Wellhausen festmacht, kritisiert hat:

"Das Jahr 1906 hat gläubigen Bibelforschern … hochbedeutsame Ereignisse gebracht. Im März eröffnete ein Erlaß des Sultans offiziell dem wandernden Israel die Pforten Palästinas. Seitdem ist der Zionismus aus dem Stadium der Warte in das der systematischen Besiedlung übergegangen. Die Revolution in Rußland sorgte für fortgesetzten Zuzug, und Gott gibt sichtbar seinen Segen dazu; denn wunderbarer Weise stellen sich in Palästina, über dem der Himmel seit Jahrhunderten wie Erz war, seit einigen Jahren ungewöhnlich häufig Regengüsse ein." (S. 262).

Und seinen sich über mehrere Fortsetzungen hinziehenden Aufsatz schließt er mit dem Ausruf:

"Ja; Gottes Wort über Israel ist wunderbar, und alle Welt wird sich verwundert ansehen, wenn über kurz oder lang die Gebrüder Ismael und Israel als die gesegnetsten und angesehensten Völker der Erde sich die Hände reichen werden, wenn Gott den Mittelpunkt der Erde wieder dorthin verlegt, wo er vor alters war, und wo er geographisch hingehört." (S. 315).

Im dritten Jahrgang (1909) verbreitet sich "Walther" erneut mit einer Art Grundsatzartikel. Jedenfalls wird dieser in der redaktionellen Einleitung durch Ströter, entsprechend hochgelobt. Zitat:

"Kein Schriftgläubiger wird ohne reichen Gewinn diesen Ausführungen folgen."

Als Ausgangspunkt nutzt "Walther" das Kapitel 19 des Bibelbuches Jesaja, um dann auszuführen:

"Der dritte Abschnitt dieses Teiles (V. 19-22) ist der umfangreichste unter den fünfen. Sein Inhalt ist sehr beachtenswert. 'An jenem Tage' heißt es da, 'soll ein Altar Jehovas mitten im Lande Aegypten stehen und ein Denkmal aus Stein für Jehova am Rande der Einfassung.'

Also zur Zeit der Wiederkunft Christi soll in Aegypten ein Steindenkmal und Zeuge für den neuen König der Erde dastehen. Er soll nicht erst gebaut werden, sondern schon dastehen, während Aegypten noch nicht dem Herrn gehört.

Tatsächlich steht nun solch ein Steinzeuge für den Herrn schon seit Jahrtausenden an dem so eigenartig bezeichneten Platze, ohne daß die Menschheit es gewußt hat. Unsrer Zeit war es vorbehalten, ihn erst zu erkennen als das, wozu ihn Gott von Anfang an bestimmt hat.

alle andern Pyramiden Aegyptens, soweit sie später als diese gebaut sind, sollen nur Nachahmungsversuche dieser größten und wunderbarsten aller Pyramiden sein, - sie ist nur sieben Meter niedriger als der Kölner Dom - und während von allen andern feststeht, daß sie Grabstätten für irgend einen König waren, scheint diese Pyramide nie zu einem solchen Zweck bestimmt zu sein" (S. 77, 78).

Bei den weiteren Verlauf seiner Ausführungen zum Thema Pyramide hat man allerdings den dringlichen Verdacht, dass die eigentlich gar nicht auf dem "Mist" von "Walther" gewachsen sein können. Denn indem er weiter ins Detail geht, auch auf die neuere Pyramidenforschung zu sprechen kommt, wobei er auch den Namen Piazzi Smith nennt. Bei diesen Detailerläuterungen erhärtet sich der Verdacht, "Walther" hat mehr oder weniger nur gekonnt "ab- bzw. umgeschrieben". Seine diesbezügliche Quelle nennt er zwar nicht. Indes wer Russells Schriftstudien", namentlich dessen dritten Band kennt, der ist auch in der Lage den Nachweis zu führen, dass "originell" "Walther" eigentlich nicht ist.

Dennoch ist es zu einfach ihn nur einfach als Plagiator hinzustellen. Er setzt durchaus auch eigenständige Akzente. Dieser Akzent kommt besonders im abschließenden Resümee seiner Ausführungen zum Ausdruck. Nachdem er vorangehend mit Zirzensischer Leichtigkeit mit allerlei Zahlen herumjongliert hat belehrt er seine Leser nun dahingehend:

"Wenn wir nun da das Maß der Pyramide anlegen, so kommen wir auf die erste Hälfte des Jahres 1912. Um diese Zeit also müßte die Entrückung stattfinden; und dafür sprechen auch andere sehr triftige Gründe, auf die wir bei der Besprechung der Worte Ezechiels über Aegpten noch werden hinweisen müssen; denn 1912 ist der erste Endpunkt der 'Zeit der Heiden', und gerade 3 ½ Jahr später, gegen Ende des Jahres 1915, liegt der Hauptendepunkt der 'Zeit der Heiden', der aller Wahrscheinlichkeit nach mit der Wiederkunft Christi und der Aufrichtung seines Reiches zusammenfallen wird." (S. 83)

Bei dieser Aussage wurde offenbar auch dem Zeitschriftenherausgeber Ströter etwas mulmig. Zwar bot er dem Pfarrer der altkatholischen Kirche Walter Küppers (alias Johannes Walther), in seiner Zeitschrift wiederholt und umfänglich eine entsprechende Tribüne. Bei der letzteren Aussage sah er sich aber doch genötigt redaktionell hinzuzufügen:

"Zu dieser, wie zu allen ähnlichen Berechnungen der Zeit für die Entrückung der Gemeine setzen wir ein ernstes Fragezeichen."

Gleichwohl verbreitete sich "Walther" auch nach dieser redaktionellen Distanzierung, weiterhin massiv in dieser Zeitschrift. Der gemeinsame Boden, auf dem sich sowohl "Walther" als auch Ströter immer wieder trafen, war die theologische Verklärung Israels. So etwa im Jahrgang 1910, der auch wieder von ellenlangen Artikeln des "Walther" nur so strotzt.

Ein weiterer gemeinsamer Punkt, wo beide sich immer wieder trafen bestand in der Aussage (von "Walther" jetzt zitiert) (1910, S. 88):

"Wenn man uns fragen würde, wen wir zur Zeit für den gefährlichsten unter den äußeren Feindes des Werkes Christi halten, so würden wir antworten: - Die moderne Theologie."

Nicht uninteressant festzustellen, dass auch "Walther" analog zu Russell, den wissenschaftlich-technischen Fortschritt mit in sein System einbaut. So liest man etwa im Jahrgang 1910 des "Prophetischen Wortes" S. 120, 124):

"Es scheint vielmehr daraus hervorzugehen, daß wir die Entdeckungen und Erfindungen und all die vielen großen Fortschritte, die uns die letzten vier Jahrhunderte gebracht haben, schon als Vorbereitungen für das kommende Reich betrachten dürfen. Dampferlinien und Eisenbahnen, Telefon und Luftschifffahrzeuge sind offenbar Dinge, die für die kommende Herrschaft Christi und alles, was dann werden soll, im Ratschluß Gottes für nötig erfunden worden sind; denn eine irdische Herrschaft braucht auch irdische Herrschaftsmittel, und jedes Verkehrsmittel ist ein Herrschaftsmittel. Wie soll man irdische Wüsten in irdische Paradiesgärten verwandeln ohne Wissenschaft und Technik? Und unsere verwüstete Erde soll doch trotz Sünde und Satan durch Christi Herrschaft in ein neues Paradies verwandelt werden.

… Alle Politiker und alle großen Kaufleute merken es, daß bald Europa nicht mehr der Mittelpunkt des Weltgeschehens sein wird, daß eine Zeit beginnt, in der der Stille Ozean nicht weniger belebt sein wird als der Atlantische Ozean und daß der Mittelpunkt sich anders wohin verlegen wird. Wir, die wir Daniel verstehen, wir wissen, wo der Mittelpunkt sich hin verlegen wird. Das Volk des Herrn wird sich in Palästina sammeln, und von Jerusalem aus wird der Messias, unser Herr, die Könige und Völker dieser Erde regieren. Wir aber, die wir jetzt schon ihn als unsern Herrn und König anerkennen, wir werden dann bei ihm sein und in verklärten Leibern, in Leibern, mit denen wir, wie er nach seiner Auferstehung, erscheinen und verschwinden können, mit ihm in seinem Namen herrschen und regieren auf dieser Erde, um endlich das verheißene Reich des Friedens und der Gerechtigkeit zu gründen."

Es wäre zuviel gesagt, wollte man behaupten, die Ströter'sche Zeitschrift und die Bibelforscher würden in allen Punkten auf einer Linie liegen. In einigen wesentlichen Punkten wohl. In anderen wohl nicht. Ein solcher Streit (aus meiner Sicht ein "Streit um des Kaisers Bart") bestand wohl darin, dass die Bibelforscher den Kreis um Ströter als "Allversöhnler" hinstellten. Ich vermag diese Etikettierung zwar nicht ganz nachzuvollziehen. Immerhin zeitgenössisch tauchte dieser Vorwurf auf.

Eine Erklärung dafür findet man vielleicht auch in jener im Jahrgang 1911 (S. 31) abgedruckten Fragebeantwortung:

"Ist es angezeigt, bei dem gegenwärtigen betrübenden Zustande der Gemeine Gottes die Endlichkeit der Höllenstrafen zu betonen?

Antwort: Wir glauben entschieden Ja! …"

Und dann folgen wieder ellenlange Ausführungen. In diesem Punkt vertraten die Bibelforscher in der Tat eine andere Position.

1912 war nun das von "Walther" anvisierte Jahr. Nolens volens musste zu jenem Zeitpunkt das "Prophetische Wort" erneut "Farbe" bekennen. Ströter tat es wieder einmal über das Instrumentarium einer "Fragenbeantwortung". In der Januarausgabe 1912 (S. 64) liest man:

"Was ist Ihre Stellung zu der Bestimmtheit, mit welcher Johannes Walther in seiner neuesten Schrift 'Auf Gottes Wunderwegen' sich berufen glaubt zu verkündigen, daß die Entrückung der Gläubigen geschehen wird vom 20. auf den 21. März 1912?

Antwort:

Wir beklagen dieselbe tief als eine sehr bedenkliche Entgleisung des uns so teuren Bruders und Mitarbeiter. Wir lehnen seine 'Weissagung' entschieden ab. Aber wir lassen nicht ab, zu bitten, daß dem teuren Bruder eine sehr gefährliche innere Katastrophe erspart bleiben möge, wenn nun der 21. März 1912 vorübergehen sollte, ohne die Erfüllung seiner Vorhersagung. Alle, die ihn lieben und schätzen gelernt wegen seiner köstlichen Arbeiten auf dem Gebiet der Schriftdeutung, werden uns darin gewiß gern unterstützen. Der Bruder steht vor einem furchtbaren Zusammenbruch, wenn er sich täuschen sollte."

Formal war "Walther" beim "Prophetischen Wort" nun "weg vom Fenster". War er es wirklich? Als Person vielleicht. Indes was sein "Geistesgut" anbelangte durchaus nicht. Zwar vermied Ströter sattsam bekannte Spitzen. Indes das Grundgerüst als solches feierte bei ihm weiter "fröhlichen Urstand". So auch im Jahrgang 1913, wo man in dieser Zeitschrift (S. 48) lesen konnte:

"Sieben Zeiten haben die Dauer von 2520 Jahren, und sie beginnen mit dem allmählichen Zerfall des Königreichs Juda, der 19 Jahre (606 bis 587 v. Chr.) in Anspruch nahm, sodaß das Ende dieser sieben Zeiten, 2520 Jahre später zu erwarten ist, also vom Jahre 1915 bis 1934.

Wir dürfen somit annehmen, daß die bedeutsamen Jahre des Untergangs des Reiches Juda, nach Ablauf der sieben Zeiten, auch wichtige Ereignisse für das Fallen der Herrschaft der Heiden einerseits, und der Wiederherstellung des Volkes Israel als selbständige Nation in Palästina andererseits bringen werden. Aber erst nach dem völligen Ablauf dieser sieben Zeiten, oder 2520 Jahre, von der vollständigen Zerstörung Jerusalems und des Tempels des Herrn an berechnet, können wir auch das Ende der Herrschaft der Heiden und die Befreiung des Volkes Gottes vom fremden Joch und seine Wiederherstellung im heiligen Lande erwarten.

Diese letzten hochwichtigen Ereignisse werden sich durch göttliches Eingreifen, nämlich durch das herrliche Kommen des Menschensohnes vom Himmel mit seinen Heiligen, vollziehen. Dieses sichtbare, sieghafte Kommen des Herrn darf aber nicht mit seinem Kommen in den Lüften zur Abholung seiner Gemeine und zur ersten Auferstehung verwechselt werden. Für diese, die vorher stattfinden wird, haben wir gar keine chronologische Angaben in der Bibel."

Auch den Bibelforschern war es nicht entgangen, dass von Ströter und "Walther"; abgesehen von einigen doch wohl eher marginalen theologischen Unterschieden, da in hohem Maße ihr Geistesgut kopiert, respektive verfremdet wurde. "Was tun sprach Zeus?" Nun, die zeitgenössischen Bibelforscher zogen es offenbar vor, "gute Miene zum bösen Spiel" zu machen. Beleg dafür ist auch ihre Ausführung in ihrem eigenen Wachtturm (1911 S. 107):

"Man schreibt uns: 'Lieber Herr Koetitz! Es dürfte Ihnen wohl nicht unbekannt sein, daß Pastor Ströter Ihre Schriftstudien … in einigen wichtigen Punkten für irrtümlich erklärt … ist es mir unendlich Leid, daß zumal Pastor Ströter in vielen Punkten mit Ihnen eins ist, diese beiden Auslegungen nicht miteinander gehen können."

In der Antwort wird dann auf die theologischen Differenzen eingegangen. Am bedeutungsvollsten ist vielleicht der Satz im "Wachtturm":

"Dies kann man nicht anders verstehen, als daß sich Bruder Ströter und seine Mitarbeiter …zum Universalismus bekennen, das heißt, an keine Vernichtung der Unverbesserlichen glauben, sondern annehmen, daß es schließlich keine solche geben wird, und daß alle Menschen 'endlich' errettet werden.

Wir wollen nicht sagen, wie groß oder gefährlich der Irrtum der Unversalisten ist."

In der gleichen Wachtturm-Abhandlung findet sich dann noch der Satz:

"Es ist allgemein bekannt, dass unser lieber Bruder Ströter die Schriftstudien Tages-Anbruch längst kennt und mit vielem darin einig geht. Wir zweifeln nicht, dass er (sowie auch Pfarrer Küppers, 'Johannes Walther') vieles daraus gelernt und angenommen und verwertet hat. Wir gönnen ihnen dieses gern und sehen durchaus nicht scheel, wenn die lieben Brüder auch verfehlt haben ausdrücklich zu sagen, was sie von Bruder Russell gelernt haben. ('Ehre dem Ehre gebührt')".

Zum Schluss dieses Rückblickes kommend. Offenbar gilt wohl nach wie vor jenes Bibelwort:

Dass es nichts Neues unter der Sonne gäbe (Prediger 1:9). Nicht zuletzt auch auf dem Felde der theologischen Israel-Verklärung.

Die Küppers (alias "Walther"), Ströter und einige andere mehr, fanden seinerzeit in ihrer einleitend beschriebenen Klientel, ein staunendes und glaubenswilliges Publikum. Rückblickend können sie und ihre neuzeitlichen Nachfolger, einem eigentlich nur leid tun!

Wissen Sie?

Im Jahre 1910 begann die WTG neu mit der Verbreitung einer Traktatserie genannt "Die Volkskanzel". Aus den Ausgaben vom Januar 1910 (Nr. 1) und Oktober 1910 (Nr. 4) sei einmal etwas näher zitiert.

Die Januarausgabe macht gleich mit einer Fragestellung auf, die so sicherlich auch andere religiöse Kreise bewegt. Mein Kommentar. Man will etwas "erzwingen" und glaubt es zu können. Andere in Form ihres Jenseitsglaubens, die Bibelforscher in Form ihrer handfesten materiell orientierten Endzeiterwartungen.

Die Überlegung, dass etwas mehr Bescheidenheit bei der angeschnittenen Frage gut getan hätte, wird grundsätzlich ignoriert. Man glaubt felsenfest: "Wir wissen es". Wußten sie es wirklich? Der Leser mag sich die Frage selbst beantworten.

In der Januarausgabe liest man:

"Wir fangen damit an, unsern glaubenslosen Freunden, die sich ihrer unbeschränkten Freiheit des Denkens rühmen, die Frage vorzulegen: Was sagt ihr 'Freidenker' auf unsere Frage: 'Wo sind die Toten?' Sie antworten: 'Wir wissen es nicht.' Wir möchten an ein zukünftiges Leben glauben, wir haben aber keinen Beweis dafür. Da uns dieser fehlt, so sind wir zu der Überzeugung gekommen, daß der Mensch stirbt wie das unvernünftige Tier. Wenn euch unsere Schlußfolgerung enttäuscht hinsichtlich eurer Erwartung und Aussichten von Freuden für die Heiligen, so sollte sie sicherlich für alle ein Trost sein, was die große Mehrheit unseres Menschengeschlechts betrifft, die ohne allen Zweifel viel besser daran wäre, so tot zu sein wie das unvernünftige Tier, als in Qualen aufbewahrt zu werden, wie man allgemein glaubt."

Wir danken unserm ungläubigen Freunde für die höfliche Antwort, haben aber das Gefühl, daß sie uns noch nicht befriedigt, weder unsern Verstand noch unsere Herzen; beide rufen aus, daß es ein zukünftiges Leben geben muß oder geben sollte, daß Gott den Menschen mit Kräften des Verstandes und des Herzens ausgerüstet hat, soviel höher als diejenigen des Tieres, so daß sein Vorrang in dem Göttlichen Plane erwartet werden sollte. Zudem würde die Kürze des gegenwärtigen Lebens, die Tränen, Sorgen, Erfahrungen und Lektionen, fast alle wertlos und unnütz sein, es sei denn, daß es ein zukünftiges Leben gibt - eine Gelegenheit, von diesen Lektionen Gebrauch zu machen.

Wenn Sie die katholische Lehre hierüber noch eingehender kennen lernen möchten, so verweisen wir Sie auf die Schriften eines unserer großen katholischen Schriftsteller, den bekannten Dichter Dante, ein treuer Katholik, einstmaliger Abt, der mit allen Rechten der Kirche in einem Kloster gestorben ist. Dantes Gedichte über Himmel, Fegfeuer und Hölle beschreibt in drastischer Weise die Qualen des Fegfeuers, so wie wir die Sache verstehen."

Hier schon unterliegen die Bibelforscher einem Zirkelschluss. Es ist richtig, was über Dante ausgesagt wurde. Jetzt kommt aber das große Aber. Dante hat lediglich künstlerisch verfremdet das wiedergegeben, was in einer Quellenschrift des Christentums, der "Offenbarung des Petrus" davor schon niedergeschrieben war. Man kann förmlich den Einwand der Bibelforscher mit Händen greifen. "Offenbarung des Petrus"? Wir kennen in unserer Bibel nur die Offenbarung des Johannes. Letzteres stimmt zwar auch; die Petrusapokalypse wurde nicht in den Bibelkanon aufgenommen. Gleichwohl sie existiert. Und ist heute noch nachlesbar (etwa in der Ausgabe von Pfabigan und andere).

Hier setzt nämlich schon die dogmatische Grundvoraussetzung der Bibelforscher und anderer christlicher Kreise ein. Was unbequem ist, wurde als "apokryph" abgestempelt. Und die nicht mit diesem Odium versehenen christlichen Quellschriften gar noch überhöht als von "Gott inspiriert." Dies ist die Unredlichkeit des Christentums und die Bibelforscher machen da keine Ausnahme.

Kommen wir zur Oktoberausgabe 1910 der "Volkskanzel". In ihr liest man:

"Wissen Sie, daß die Prophezeiung Daniels 'die Zeit des Endes' besonders kennzeichnet? Es heißt dort: Zur Zeit des Endes (1.) werden viele hin und herlaufen; (2.) und die Erkenntnis wird sich mehren; (3.) die Verständigen ('Jungfrauen') werden es verstehen; (4) und keine der Gottlosen (nicht 'geistig Gesinnte') werden es verstehen (5.) und in jener Zeit wird Michael (Christus) aufstehen (zu regieren anfangen); (6.) und es wird eine Zeit der Drangsal sein, dergleichen nicht gewesen ist, seitdem eine Nation besteht (Dan. 12,9. 4. 10.1).

Wissen Sie, daß nach der Schrift die oben erwähnte 'Zeit des Endes' im Jahre 1799 begann und bis zum Jahre 1915 dauert?

Wissen Sie, daß im Jahre 1799, also am Anfang der 'Zeit des Endes' Mitteilungen am schnellsten zu Pferd überbracht wurden, während jetzt durch Fernsprecher und Telegraphendrähte Städte verknüpft, Nationen und Erdteile verbunden sind?

Wissen Sie, daß das erste brauchbare Dampfschiff im Jahre 1806 erbaut wurde und die erste Lokomotive 1831?

Wissen Sie, daß der große christliche Philosoph, Sir Isaac Newton (1727 gestorben), einmal diese Prophezeiung studierte, und auf Grund derselben sagte: 'Mich sollte es nicht wundern, wenn die Menschen eines Tages mit einer Geschwindigkeit von 50 (englischen) Meilen die Stunde reisen würden?'

Wissen Sie, daß Voltaire der große ungläubige Philosoph (1778 gestorben, als schon viel mehr über die Kraft des Dampfes bekannt war), voll Verachtung über diese Prophezeiung Gottes erklärte, daß sie aus Sir Isaac Newton einen Narren gemacht habe?

Wissen Sie, daß wir alle das vorher verkündigte 'Hin- und Herlaufen' erfüllen, wenn wir mit dem Dampfer, der Eisenbahn, dem elektrischen Wagen usw., allenthalben hinfahren?

Wissen Sie, daß im Jahre 1784 Freischulen als Sonntagsschulen eröffnet wurden, und zu Anfang 'der Zeit des Endes', 1799 Erkenntnis sich zu mehren begann?

Wissen Sie, daß nicht eine einzige der nunmehr vielen und großen Bibel- und Traktat-Gesellschaften vor 1804 gegründet wurde, weil erst da Lesestoff anfing, mehr für die Massen in Gebrauch zu kommen.

Wissen Sie, daß Gott verheißen hat, daß in dieser 'Zeit des Endes', in welcher wir leben, die Weisen in Gott - nicht die Weltweisen - das bislang Verborgene Seines Planes und Wortes verstehen sollen? (1. Kor. 3, 18-20: Mat. 25, 1.2).

Wissen Sie, daß die Vertreibung der Juden aus allen Nationen und das sich niederlassen in Palästina ein weiteres Merkmal vom Schluß des christlichen Zeitalters und von der Morgendämmerung des Milleniums ist? (Jer. 16, 15; Röm. 11, 25-32).

Wissen Sie, daß nach biblischer Chronologie bereits 6000 Jahre der Weltgeschichte verflossen sind, - daß das 7te Jahrtausend des Milleniums der Herrschaft Christi ist - daß die gegenwärtige Zeit, von 1875 bis 1915, die Übergangsperiode ist, die in der Schrift die 'Ernte' dieses Zeitalters genannt wird, in welcher die Zahl der Herauswahl (Kirche) vollendet wird, - und daß dann das Millenium-Zeitalter mit 'großer Drangsal' (Anarchie usw., wiederholt in der Schrift genannt) hereinbrechen wird, welche Trübsal die wirtschaftlichen Verhältnisse ebnen, den Hochmut dämpfen und den Weg bereiten wird für Immanuels lang verheißenes Königreich 'unter dem ganzen Himmel'?

Wissen Sie, daß diese Trübsal sozialistisch und endlich anarchistisch sein wird, und daß, nach der Schrift, schließlich alle Reiche der Welt fallen werden in Vorbereitung für Christi tausendjähriges Königreich?"

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"Wenn Du den Halys (Fluss zwischen Lydien und Persien) überschreitest, wirst Du ein großes Reich zerstören."  Dazu Lukian von Samosta (120 bis 180 u. Z.)

"Sprich mir nicht von den Orakeln, mein Bester, oder ich werde dich fragen, an welches du dich am liebsten erinnern lassen willst: ob an das, dass der delphische Apollo dem Könige von Lydia gab und das so doppelgesichtig war wie gewisse Hermon, die einem das Gesicht zuwenden, man mag sie nun von vorn oder von hinten betrachten - denn wie wusste nun Krösus, ob er nach dem Übergang über den Fluss Halys das Reich des Cyrus oder sein eigenes zugrunde richten würde? Und gleichwohl bezahlte der unglückliche Fürst diesen doppelsinnigen Vers mit vielen Tausenden." Indem nach Anfangserfolgen sein eigenes Reich zerfiel und somit zerstört wurde.

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1910 zu den Akten gelegt

Band 3 der Russell'schen „Schriftstudien", 1890 erstmal (in Englisch) erschienen, ist zugleich auch jener Band, wo die Russell'schen auf der großen Pyramide zu Gizeh und deren Maßen basierenden Berechnungen, am ausführlichsten dargestellt wurden. Wähnte er in ihnen doch alle anderen ihm bedeutsam erscheinenden Daten, insbesondere auch das Datum 1914, zugleich auch dort vorzufinden.

Angesichts schon der Abenteuerlichkeit der Pyramidenberechnungen allgemein, geht da ein zusätzlicher Aspekt vielfach unter. Das propagierte Datum 1910. Sucht man in heutigen neueren WTG-Veröffentlichungen etwas über ihre nicht wenigen Datenspekulationen, kann man vielleicht - mit Mühe und Not - an versteckter, beiläufiger Stelle, etwas über das Jahr 1925 und seine damit verbundenen Erwartungen vorfinden. Über das Jahr 1910 indes, erfährt man in der heutigen WTG-Literatur nichts.

Indes im Band 3 der „Schriftstudien" (S. 352f.) war 1910 durchaus ein „Thema" gewesen. Das las sich damals so:

Es „sagt die Schrift, so weit wir sehen können, nicht; aber dieses von der Pyramide angezeigte Datum, 1910, scheint gut mit den in der Bibel dargebotenen Daten zu harmonieren. Es ist nur vier Jahre vor dem eigentlichen Anfange der Drangsalszeit, welche die Zeiten der Nationen zu Ende bringt; und wenn wir an die Worte unseres Herrn gedenken -- daß die Überwinder würdig erachtet werden sollen, dem schwersten Teile der über die Welt hereinbrechenden Drangsal zu entgehen, so können wir verstehen, daß sich diese Drangsal auf die große Zeit der Anarchie, die bald nach 1914 folgen wird, bezieht; aber eine besondere Prüfungszeit für die Kirche, die Herauswahl, die Auserwählten nach dem Vorsatze Gottes, ist um 1910 n. Chr. zu erwarten.

Ist dies nicht eine überaus bezeichnende Übereinstimmung zwischen diesem Stein-„Zeugen" und der Bibel? Die Daten Oktober 1874 und Oktober 1881 stimmen genau, während das Datum 1910, obwohl nicht in der Schrift dargereicht, mehr wie gegründet zu sein scheint."

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Maßgeblich wurde das 1910-Datum auch von den Gebrüdern John und Morton Edgar in ihrem Buch „Die Gänge und Kammern der Großen Pyramide" propagiert (engl. Eine deutsche Übersetzung davon die in verschiedenen Lieferungen aufgegliedert werden und von separierten Bibelforscherkreisen beabsichtigt war, kam offenbar Inflationsbedingt doch nicht zustande) .

Reklame-Vorankündigung, entnommen aus „Edgar's Miniatur Bibliothek" Heft 1

Morton Edgar „Das Gebet oder Der heilige Kampf im Himmel" übersetzt von Elise Schutzbach, Gera-Reuß 1920

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„Schriftstudien" Band 3 und das Edgar-Buch thematisierten beide das Pyramidenthema. Eine gewisse gegenseitige Abhängigkeit und das gegenseitige abschreiben der errechneten unterschiedlichsten Daten ist dabei unübersehbar.

Die Edgar's gehörten auch zu den Bibelforschern. Im deutschen „Wachtturm" 1913 (S. 186) auch dadurch unterstrichen, daß dort die Reklametrommel für das zweibändige (englischsprachige) Buch gerührt wurde.

Auch das WTG-Buch „Beröer Handbuch zum Bibelunterricht", welches 1912 veröffentlicht wurde und dessen erklärte Zielstellung es war, das weitschweifige, bis dahin erschienene WTG-Schrifttum, inhaltlich zusammenzufassen, erwähnt (S. 189) das der „himmlische Ruf" von 1881-1910 dauerte.

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Neben dem schon genannten Band 3 der „Schriftstudien", scheint das Datum 1910 erstmals in der englischsprachigen Ausgabe des „Zions Watch Tower" vom 1. 11. 1896 aufgetaucht zu sein. Kombiniert mit einer weiteren Spekulation.

Da las man: Das Gegenbild des verworfenen Israel sei die nominale christliche Kirche (Babylon) und das entsprechende Datum des Rückzuges Jehovas von Israel sei das Jahr 36 Anno Domino. Dies wiederum wird im „Gegenbild" mit dem Jahre 1881 gleichgesetzt

1881 plus 30 gleich 1911, weiß man daraus abzuleiten: „wenn Babylon vollständig 'verschlungen' oder zerstört werden soll."

Und wem das gar zu abenteuerlich ist, der wird noch belehrt:

„Wir sehen, wie die (große) Pyramide Okt. 1910 anzeigt als das [wahrscheinliche] Datum, wenn die letzten Mitglieder der 'kleinen Herde'", wenn sie treu geblieben, aus ihren gegenwärtigen Schwierigkeiten errettet werden sollen.

Vorstehende Auslegung ist namentlich gekennzeichnet mit: C. H. Dickinson.

Gleichwohl bleibt der Umstand bestehen, dass ZWT das so, ohne inhaltlichen Widerspruch, abdruckte.

Das nächste mal wo wiederum mit dem Jahre 1910 spekuliert wurde, ist der englische „Zions Watch Tower" vom 15. 3. 1898.

Der Spekulant der da zu Wort kommt heißt Clayton J. Woodworth. In späteren Jahren noch berühmt-berüchtigt als Mit-Herausgeber des Bandes sieben der Schriftstudien und von der englischen Ausgabe des „Golden Age" ab Oktober 1919. Auch noch einige andere Skurrilitäten sind untrennbar mit dem Namen Woodworth verbunden. So die zeitweilige Impfgegnerschaft der Zeugen Jehovas, der Kampf gegen Aluminumgeschirr, sowie der gescheiterte Versuch, einen Zeugen Jehovas-eigenen Kalender einzuführen.

Russell stellt eigens ein eigenes Vorwort den Woodworth'schen Spekulationen voran.

In ihm räumt er ein, es sei eine raffinierte Spekulation. Auch habe er den Woodworth'schen Artikel acht Monate lang unveröffentlicht liegen lassen, weil ihm das zu fantasievoll erschien. Offenbar hat er diese Skrupel dann doch noch überwunden und präsentiert seiner Lesergemeinde, das ganze nun doch noch als eines „Lesegenuß"

Zum Aufhänger seiner Ausführungen macht Woodworth den Umstand, dass auch Russell die französische Revolution mit in sein System der Endzeitdaten eingebaut hatte. Da nun, will Woodworth noch „genauer" sein. Er durchwühlt die Details der französischen Revolution nach „passenden" Daten und wähnt dass „15 Jahre und 8 Monate" nach dem 17. Juli 1789 die französische Geschichte in der Person Napoleons einen Meilenstein erlebte. Jene „15 Jahre und 8 Monate" haben es ihm besonders angetan. Grundsätzlich die Russell'schen Spekulationen für 1914 akzeptierend, meint er nun davon „15 Jahre und acht Monate" zurück rechnen zu sollen. Und als gekonnter Zauberer zieht er so das Datum 1. Februar 1899 aus seinem Zauberzylinder

Nicht damit genug meint er weiter schlussfolgern zu können:

15 Jahre und 8 Monate gleichen 188 Monaten; drei Viertel von 188 Monaten wären 141 Monate oder 11 Jahre und 9 Monate. 11 Jahre und 9 Monate ab 1. Februar 1899, würden zum 1. November 1910 führen. Dieses Datum wiederum stimme „mit den Lehren der Pyramide" überein, wie sie auch in Band 3 der „Schriftstudien, engl. S. 363) dargelegt seien.

Quintessenz dieser an Zirkelschlüssen wahrlich nicht geringen Ausführungen ist also der 1. 2. 1899. Man halte sich nochmals das Veröffentlichungsdatum vor Augen, Veröffentlicht im englischen ZWT vom 15. 3. 1898. Also das ganze lief darauf hinaus der gläubigen Klientel zu suggerieren. In wenigen Monaten könnte es schon so weit sein. Das Russell das ganze selbst als unheimlich bewertete, ändert nichts an dem Umstand, dass er es gewesen ist, der diese Spekulation der Öffentlichkeit mitgeteilt hatte, anstatt sie einfach in den Papierkorb zu befördern, wo sie mit Sicherheit besser aufgehoben wäre.

Erneut wird 1910 in der deutschen Ausgabe des „Zions Wacht Turm" vom August 1904 „Thema".

Auch diese Ausgabe spielt wieder wie üblich auf dem „Endzeitklavier". Dennoch gibt es diesmal einige Besonderheiten zu beobachten. Zum einen wiederholt Russell erstmal in dieser WT-Ausgabe das, was er vorher schon verschiedentlich erklärt hatte. Dazu gehören auch solche Sätze wie:

„Jetzt aber leben wir in den Tagen des Menschensohnes. … Wir wissen, daß 1878 das Datum ist, wo unser Herr seine königliche Macht an sich nahm und 'Babylon die Große' verurteilte als 'gefallen', und seitdem sein Volk aus ihr herausruft; es ist auch das Datum, wo die treuen Überwinder, die entschlafen waren, einen Anteil haben sollten an der ersten Auferstehung, um einzugehen in die Freude ihres Herrn … Die Inspektion und Belohnung der Diener des Herrn hat 1878 mit den Entschlafenen angefangen und schreitet seither unter denjenigen fort, die leben und überleben."

Insofern bewegt sich Russell noch in seinen altbekannten Gedankengängen.

Mit abgedruckt in dieser Ausgabe des ZWT ein Artikel mit der Überschrift „Weltweite Anarchie nach Oktober 1914". Wer vorher nicht allzuviel von Russell gelesen hat. Und wer das was er las, eher oberflächlich las, der wird wahrscheinlich da nichts besonderes bemerken. Die Differenzen zu vorhergehenden Russell'schen Ausführungen erschließen sich auch nur dem, der sich eben intensiver mit seinen Gedankengängen beschäftigte. Der Zweck dieses Artikels, der wiederum altes mit neuem kombiniert, ist offenbar der, „Zeit zu gewinnen". Wie Russell in den 1880er Jahren mit seiner Verkündigung im großen Stil begann, da lag ja das von ihm anvisierte Datum 1914 noch in relativ weiter Ferner. Nun aber im Jahre 1904 war es nur noch 10 Jahre „bis Ultimo". Genauer noch weniger. Gemäß Russell sollten die erwarteten Geschehnisse nicht „über Nacht" eintreten, sondern durchaus einen gewissen Vorlauf haben, der im Oktober 1914 seinen Höhepunkt erreichen sollte. Namentlich dem „Anarchismus" wies er dabei eine entscheidende Rolle zu. Mehr noch. Er schätzte ein, dass würde wohl so eine etwa vierjährige Phase sein. In der Konsequenz dessen war er auch bereit, dem Jahre 1910 als Beginn der „anarchistischen Phase" Geltung zuzuerkennen. Das Jahr 1910 sah er zudem in seinen Pyramidenberechnungen bestätigt.

Genau an diesem Punkt beginnt er nun „zurückzurudern". Das ganze zwar in einem Wort-Nebel-Schwall verpackt, aber durchaus erkennbar. Dazu nunmehr Russell:

„Unserer ehemaligen Erwartung nach, daß die anarchistische Periode drei oder vier Jahre dauern würde, berechneten wir bei uns selbst die Gelegenheiten fürs Erntewerk natürlich um jene Jahre kürzer, und somit erschien uns die übrige Zeit um so viel kürzer."

Weiter Russell:

„Nun aber sehen wir deutlich, daß für etliche der Herauswahl sehr wahrscheinlich noch volle zehn Jahre von Erfahrungen, Gelegenheiten, Prüfungen, Siegen, Freuden und Schmerzen übrig bleiben."

Damit legt er die früheren auch von ihm geäußerten Erwartungen für 1910 „zu den Akten."

Und entschuldigend fügt er nun hinzu:

„Andere Daten als diese (1874, 1878, 1881, 1914) sind rein spekulativ. Wir haben auch nie andere Daten als aus der Schrift bewiesene angenommen. Allerdings haben wir auf ein Datum aufmerksam gemacht, das von den Messungen durch die obere Stufe der 'Großen Gallerie' der Pyramide angedeutet wird (Bd. 3, Kap. 10), aber mit dem Vermerk, daß es auf Mutmaßung beruhe."

Wiederum betreibt er ein Doppelspiel. Einerseits, wie eben gelesen, räumt er ein, sein früheres Datum 1910 nunmehr zu den Akten legen zu wollen. Andererseits jedoch, die sattsam bekannte Wendung: „Es könnte vielleicht doch sein." Das liest sich beispielsweise so:

„ … Die Hochkirche Englands ist gern bereit, diesen Funken der Autorität und Kraft mitzuteilen, und es ist unsere Ansicht, daß nach drei oder vier Jahren die Neigung nach Vereinigung und Macht unter Protestanten so sehr zunehmen wird, daß sie willens sein werden in irgend einer Form die sogenannte Apostolische Ordination oder Autorität anzunehmen. Sollte dies bis 1910 nicht der Fall oder anscheinend der Erfüllung nahe sein, so würden wir uns gewissermaßen enttäuscht fühlen."

Seine ganze Argumentation läuft darauf hinaus, formal 1910 nicht mehr zu verkünden; faktisch aber doch nach wie vor, über den Umweg vermeintlicher „Anzeichenbeweise". So auch in seiner These:

„Mittlerweile wird der Sozialismus (der, wenn auch gegen den Willen seiner besten und tüchtigsten Führer, die Anfänge bildet zur Anarchie, weil sich auch seine besten Vorschläge unter gegenwärtigen selbstsüchtigen Verhältnissen, als unausführbar erweisen würden) in der ganzen Christenheit großen Fortschritt machen und immer mehr Ursache geben zur Verwirrung und Verwickelung für die Großen, die Reichen, die Starken, die Weisen, Einflußreichen nach dem Laufe dieser Welt."

Eine Nachwirkung des zu Grabe tragen der ursprünglichen Erwartung, die Phase der „Anarchie", die mal von 1910 - 1914 veranschlagt worden war, und welche Russell in der August-Ausgabe 1904 des „Zion's Wacht Turm" offiziell zu Grabe trug, ist in der Oktober-Ausgabe 1904 des ZWT zu registrieren. Darin hatte Russell den Beginn der „Phase der Anarchie" von ursprünglich 1910 auf nunmehr 1914 verschoben. Da ja die Endzeit-Theorien generell der Hauptbestandteil seiner Ideologie darstellen, regierten einige seiner Anhänger auf diese Veränderung durchaus konsterniert. So sieht sich der ZWT genötigt zu bemerken:

„In der vorletzten Ausgabe dieses Journals zeigten wir, daß die weltweite Anarchie nicht vor Oktober 1914 erwartet werden sollte. Wir haben nun gehört, daß zwei teure Brüder, welche diesen sehr klaren Gegenstand nicht erfassen können, geäußert haben, daß wir in dem erwähnten Artikel die Erklärung abgeben, 'Mein Herr verzieht zu kommen'".

Hatte Russell ursprünglich diese Phase auf etwa vier Jahre während eingeschätzt, so sieht er sich nun mit dem Umstand konfrontiert, dass einigen dies zu lange dauert. Sie wollen es kürzer haben. Auch diesen, die es da kürzer haben wollen, widerspricht er schon mal vorbeugend im gleichen Artikel. An deren Adresse gerichtet äußert er:

„Wir finden, daß einige den Schluß gezogen haben, weil die jüdische Nation durch Anarchie in einem Jahre zerstört wurde, nämlich in dem Jahr, welches der jüdischen Ernte folgte, so sollten wir erwarten, daß sich die weltweite Anarchie auf ein Jahr, von Oktober 1914 bis Oktober 1915, das auf die 'Ernte' des Evangelium-Zeitalters folgt, beschränken muß.

Wir können hierin nicht übereinstimmen, weil das Vorbild oder die Parallele nicht weiter als bis zum Schluß der 40 Jahre 'Erntezeit' geht, bis Oktober 69, wo das Jahr 70 beginnt, nach jüdischer Berechnung. Die Periode der Anarchie liegt außerhalb jeder Berechnung und haben wir für ihre Länge kein Datum. Sie kann ein aber auch mehrere Jahre dauern."

Einen Niederschlag der eben angedeuteten Enttäuschung, angesichts des Zurückrudern Russells bezüglich 1910, kann man auch in der Bibelforscher-Zeitschrift „Die Aussicht" registrieren. Letztere notierte in einem 1920 veröffentlichten Rückblick einmal

„Dass die 'Aussicht' 18 Jahrgänge 'erleben' würde, hat von ihren Gründern damals gewiss keiner geglaubt! Wir waren alle der Meinung, dass die Jahre 1910-1914 die völlige Auflösung der bestehenden Weltordnung und besonders auch die Erlösung des Volkes Gottes (d. h. dessen Wegnahme von der Erde durch den Tod) bringen würde."

Noch einmal kam das Datum 1910 in einem „Wachtturm"-Artikel des Jahres 1913 mit zur Sprache.

Der „Wachtturm" schrieb dazu (1913 S. 101):

„Bei der Besprechung der Großen Pyramide in den Schriftstudien erwähnten wir, daß möglicherweise ein gewisses Maß am oberen Ende der Großen Galerie etwas Bedeutungsvolles für das Ende des Jahres 1910 anzeigen könne. Aber wir hoffen es klargemacht zu haben, daß wir auf diese Annahme nichts aufbauten, denn es war lediglich eine Annahme, eine Vermutung, zugleich auch ein Hinweis darauf, daß das Jahr 1911 mit Interesse zu betrachten sei. Wir können indes sagen, daß jetzt jedes Jahr überaus voll von Gegenständen des Interesses und von das Danken anregenden Vorkommnissen sein muß, nicht nur für unsere Leser, sondern auch für die ganze zivilisierte Welt. es ist gewiß, 'wir leben und wir weben, in großer, schicksalsschwerer Zeit!'

Ja, wir leben in einer Zeit, in der alle Fäden früherer Zeitalter zusammenlaufen, so daß es interessant und zugleich erhaben ist, in ihr zu leben. Und was den Zeitpunkt von 1914 angeht, auf den wir Nachdruck gelegt haben, so haben wir wiederholt unsern Glauben und unsre Überzeugung diesbezüglich ausgedrückt; wir haben aber unsers Wissen niemals so geredet, als ob wir uns für unfehlbar hielten.

Wir haben stets gesagt, daß dies mehr eine Sache des Glaubens und der Überzeugung sei als ein Gegenstand des absoluten Wissens. Wir möchten eine sorgfältige Nachprüfung des Kapitels über die Chronologie anempfehlen; eine solche Prüfung wird uns behilflich sein und wird uns nüchtern halten. Wir sagen darin, daß, wenn unsre Erkenntnis sich völlig auf die Chronologie gründen würde, wir doch bezüglich des Zeitpunktes nicht sicher sein würden, denn unser Glaube hinsichtlich desselben gründet sich hauptsächlich auf die bestätigenden Aussagen verschiedener Prophezeiungen, die damit eng verwoben sind, und die die Zuverlässigkeit der biblischen Chronologie sowie auch unsrer Anwendung derselben in Verbindung mit diesem Datum, zu beweisen scheinen.

Wir haben keinen Grund dafür, das Datum und die damit verbundenen Überzeugungen geringer zu bewerten.

Obgleich nur anderthalb Jahre zur Vollendung der großen Dinge in dem Werk übrig bleiben, so sollten wir nicht vergessen, daß in unsrer wunderbaren Zeit sich in einem Jahre soviel ereignen kann, wie früher in fünf Jahren.

Wir betonen überdies, daß eine Kenntnis der Zeit und Zeiten in Verbindung mit dem göttlichen Plan hilfreich, ermutigend und anregend ist. Nichts destoweniger ist eine solche Erkenntnis in sich nicht das Evangelium. Wenn jedes Datum der Chronologie und jede Prophezeiung ausgelöscht wären, so sollten wir uns noch mit dem Herrn freuen und noch frohlocken ob seines herrlichen Evangeliums, dessen Mittelpunkt Jesus Christus und sein Opfer bildet, sowie der uns verheißenen Teilnahme mit Jesus an der Segnung aller Geschlechter der Erde, als dem Endzweck dieses Evangeliums. Dies ist die gute Botschaft der Gnade Gottes in Christo, einerlei, ob nun die Vollendung der Kirche vor dem Jahre 1914 stattfindet oder nicht … und möchte die Tatsache, daß wir nur stückweise erkennen und nur stückweise verstehen, uns demütig und bescheiden halten in Worten, Taten und Gedanken.

Wir sind davon überzeugt, daß die große Zeit der Drangsal über die Welt kommen wird durch Satan und seine gefallenen Heerscharen. Es wird uns nicht überraschen zu finden, daß die Beweise dafür sich sammeln, daß das Brechen des menschlichen Willens durch Hypnotismus usw. nur einen Teil des großen Planes bildet, durch welchen bald, und zwar allmählich und in vermehrtem Maße, die Gemüter der Menschen beherrscht und die Menschen zu unüberlegtem Handeln und zur Leidenschaft veranlaßt werden. Diejenigen Kinder Gottes, die die Lektion seines Wortes in bezug auf Gelindigkeit, Bescheidenheit im Denken, Ruhe des Herzens im Herrn, geduldiges Ausharren bezüglich seiner Zeit und seiner Wege gelernt haben … werden einen großen Segen empfangen …"

1910er.Kommentarserie

Die "Konkurrenz"-Zeitschrift "Die Aussicht" Jahrgang 1910

 

Der nächste Jahrgang  1911

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