In Memorial: Ludwig Feuerbach

So meint der "Wachtturm" verkündigen zu können

Mit auf dem Bild (unten links) Feuerbach. Wer sich über diese "Wurzel" etwas näher informieren möchte, hat nachstehend die Gelegenheit dazu.

Es sind sicherlich keine "leichten" Texte, die der Religionsphilosoph Ludwig Feuerbach (1804-1872) dereinst mal zu Papier brachte. [1] Immerhin, in griffiger Form fasste er seinen Grundgedanken einmal in die Worte:

"Gott war mein erster Gedanke, die Vernunft mein zweiter, der Mensch mein dritter und letzter Gedanke."

Vor Feuerbach bestand Religionskritik vielfach nur aus undifferenzierten Schlagworten, wie: Priesterbetrug, Verdummung, Aberglaube. Das Verdienst von Feuerbach ist es, dass er sich davon absetzte und sich bemühte, tiefer zu sehen.

Im Ausklang seines Hauptwerkes "Das Wesen des Christentums" meint er beispielsweise:

"Die Christen wollen sogut glückselig sein als die Heiden. Der Unterschied ist nur, daß die Heiden den Himmel auf die Erde, die Christen die Erde in den Himmel versetzten."

Ergänzend hielt er in späteren Jahren "Vorlesungen über das Wesen der Religion" In ihnen erläutert er seine Intentionen auch mit den Worten:

"Mir war es und ist es vor allem darum zu tun, das dunkle Wesen der Religion mit der Fackel der Vernunft zu beleuchten, damit der Mensch endlich aufhöre, eine Beute, ein Spielball aller jener menschenfeindlichen Mächte zu sein, die sich von jeher, die sich noch heute des Dunkels der Religion zur Unterdrückung des Menschen bedienen.

Mein Zweck war, zu beweisen, daß die Mächte, vor denen er sich nicht scheut selbst blutige Menschenopfer darzubringen, um sie günstig zu machen, nur Geschöpfe seines eigenen unfreien, furchtsamen Gemütes und unwissenden, ungebildeten Verstandes sind, zu beweisen, daß überhaupt das Wesen, welches der Mensch als ein anderes von ihm unterschiedenes Wesen in der Religion und Theologie sich gegenübersetzt, sein eigenes Wesen ist, damit der Mensch, da er doch unbewußt immer nur von seinem eigenen Wesen beherrscht und bestimmt wird, im Zukunft mit Bewußtsein sein eigenes, das menschliche Wesen zum Gesetz und Bestimmungsgrund, Ziel und Maßstab seiner Moral und Politik mache."

Und weiter:

"Ich verneine nur das phantastische Scheinwesen der Theologie und Religion, um das wirkliche Wesen des Menschen zu bejahen."

Seine Thesen zusammenfassend äußert er:

"Der erste Paragraph im 'Wesen der Religion' lautet, kurz zusammengefaßt, also: Das Abhängigkeitsgefühl ist der Grund der Religion, der ursprüngliche Gegenstand dieses Abhängigkeitsgefühls ist aber die Natur, die Natur also (ist) der erste Gegenstand der Religion."

Weiter:

"Das für den Menschen empfindlichste, schmerzlichste Endlichkeitsgefühl ist aber das Gefühl oder das Bewußtsein, daß er einst wirklich endet, daß er stirbt. Wenn der Mensch nicht stürbe, wenn er ewig lebte, wenn also k e i n T o d wäre, so wäre auch k e i n e R e l i g i o n."

"Der Mensch befriedigt in der Religion k e i n e a n d e r e n W e s e n; er befriedigt in ihr sein e i g e n e s W e s e n."

"Der Mensch glaubt Götter nicht nur, weil er Phantasie und Gefühl hat sondern auch, weil er den Trieb hat, glücklich zu sein.

Er glaubt ein vollkommenes Wesen, weil er selbst vollkommen zu sein wünscht; er glaubt ein unsterbliches Wesen, weil er selbst nicht zu sterben wünscht. Was er selbst nicht ist, aber zu sein wünscht, das stellt er sich in seinen Göttern als seiend vor; die Götter sind die als wirklich gedachten, die in wirkliche Wesen verwandelten Wünsche des Menschen; ein Gott ist der in der Phantasie befriedigte Glückseliigkeitstrieb des Menschen. Hätte der Mensch keine Wünsche, so hätte er trotz Phantasie und Gefühl keine Religion, keine Götter."

Ferner:

"Gäbe es kein Unglück, keine Not, kurz keine Übel, so gäbe es auch keine Götter."

Auch in dem Hauptwerk "Das Wesen des Christentums" begegnet man dieser These. Etwa in seinem Ausruf:

"Der Glaube an die Vorsehung ist der Glaube an den eigenen Wert - daher die wohltätigen Folgen dieses Glaubens, aber auch die falsche Demut, der religiöse Hochmut, der sich zwar nicht auf sich verlässt, aber dafür dem lieben Gott die Sorge für sich überlässt -, der Glaube des Menschen an sich selbst, Gott bekümmert sich um mich; er beabsichtigt mein Glück, mein Heil; er will, dass ich selig werde; aber dasselbe will ich auch; mein eigenes Interesse ist also das Interesse Gottes, mein eigener Wille Gottes Wille, mein eigener Endzweck

Gottes Zweck - die Liebe Gottes zu mir nichts als meine vergötterte Selbstliebe. Woran glaube ich also in der Vorsehung als an die göttliche Realität und Bedeutung meines eignen Wesens?

Aber wo die Vorsehung geglaubt wird, da wird der Glaube an Gott von dem Glauben an die Vorsehung abhängig gemacht. Wer leugnet, dass eine Vorsehung ist, leugnet, dass Gott ist oder - was dasselbe - Gott G o t t ist; denn ein Gott, der nicht die Vorsehung des Menschen, ist ein lächerlicher Gott, ein Gott, dem die göttlichste, anbetungswürdigste Wesenseigenschaft fehlt. Folglich ist der Glaube an Gott nichts anderes als der Glaube an die menschliche Würde, der Glaube des Menschen an die absolute Realität und Bedeutung seines Wesens."

Als praktische Konsequenz schlußfolgert er daraus:

"'Wer Wissenschaft hat', sagt schon Goethe, 'braucht die Religion nicht'. Ich setze statt des Wortes 'Wissenschaft' Bildung, weil Bildung den ganzen Menschen umfaßt."

Es ist schon verständlich, dass die Theologen ob solcher Thesen von Feuerbach nicht sonderlich angetan sind. Wo das Mittel des totschweigens nicht greift, wird in der Regel abwertend kommentiert. [2] Indes zu registrieren ist auch, dass der bekannte protestantische Theologe Karl Barth, auf Feuerbach angesprochen, sich zu dem Eingeständnis genötigt sah, Feuerbach habe mit seiner Religionskritik einen "Pfahl ins Fleisch der Theologie" gerammt.

In der Konsequenz dieser Religionskritik suchte man theologischerseits, beispielsweise mittels der sogenannten "liberalen Theologie", diese Kritik zu "neutralisieren", indem man diverse Zugeständnisse an den nichttheologischen "Zeitgeist" machte. Schon Feuerbach kommentierte zu diesen Unterfangen:

"Nichts ist oberflächlicher, willkürlicher als die Weise, wie die modernen Christen, die sogenannten Denkgläubigen oder Rationalisten, mit den Wundern umgehen, wie sie dieselben wegschaffen und doch noch das Christentum, den christlichen Gott behalten wollen, wie sie dieselben natürlich erklären oder sonstwie auf die leichtfertigste Weise sich über sie hinwegsetzen.

Es ist daher nichts willkürlicher, gesetzloser, unwahrer, als wenn man den Gottesglauben vom Wunderglauben, die christliche Lehre von dem christlichen Wunder abtrennen will. Das ist geradeso, als wenn man den Grund von seinen Folgen, die Regel von ihrer Anwendung, die Lehre von den Beispielen, in denen sie sich erst bewährt, abtrennen und für sich festhalten will. Wollt ihr keine Wunder, nun, so wollt ihr auch keinen Gott!"

"Ewiges Leben", ist bekanntlich so eine These christlicher Kreise, namentlich auch der Zeugen Jehovas. Auch mit ihr setzt sich Feuerbach auseinander. Sein Kommentar dazu:

"'Alles hat sein Maß', sagt ein heidnischer Philosoph, alles bekommt man zuletzt satt, selbst das Leben, und der Mensch wünscht daher endlich auch den Tod. Der normale, naturgemäße Tod, der Tod des vollendeten Menschen, der sich ausgelebt hat, hat daher auch gar nichts Erschreckliches. Greise sehnen sich sogar oft nach dem Tode. Der deutsche Philosoph Kant konnte vor Ungeduld den Tod kaum erwarten … Nur der unnatürliche, der unglückliche Todesfall, der Tod des Kindes, des Jünglings, des Mannes in seiner vollen Manneskraft empört uns gegen den Tod und erzeugt den Wunsch eines neuen Lebens. Aber so schrecklich, so schmerzlich solche Unglücksfälle für die Überlebenden sind, so berechtigen sie uns doch zur Annahme eines Jenseits schon aus dem Grunde nicht, weil diese abnormen Fälle - abnorm sind sie, sollten sie gleich häufiger sein als der naturgemäße Tod - nur auch ein abnormes Jenseits zur Folge haben, nur ein Jenseits für die gewaltsam oder zu früh Gestorbenen; aber ein solches absonderliches Jenseits wäre etwas Unglaubliches und Widersinniges."

Einen bedeutenden Jünger fand Feuerbach auch in Karl Marx und Friedrich Engels, die sich sehr angetan von ihm zeigten [3]. Marx, über Feuerbach hinausgehend, widmete ihm eine ganz spezielle These:

"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern." [4]

Indirekt hatte Feuerbach auf die deutsche Theologie auch die Auswirkung, dass die konservativen unter ihnen, die am althergebrachten Buchstabenglauben hängen bleiben wollten, zusehends in die Defensive gerieten. Das Stichwort "liberale Theologie" umschreibt dies und ist letztendlich auch ein indirektes Resultat von Feuerbach. Nur, das ganze spielte sich in Europa ab. In der "Neuen Welt", den USA, kamen diese religionskritischen Elemente so nicht zum tragen. Die Polemik von Russell gegen Thomas Paine in den Russell'schen "Schriftstudien" ist zwar auch ein Beleg diesbezüglich. Er verdeutlicht zugleich aber auch, dass Russell (und seine Nachfolger) sich sehr bewusst auf die Seite jener stellten, die den Feuerbach'schen Ansatz bewusst negieren.

Die "Kultivierung" von Endzeitthesen stellt sozusagen eine Art Gegenpol zu Feuerbach dar. Indem gerade dieser Gegenpol sich als hochgradig kritikwürdig erweist, gewinnt der Denkansatz von Feuerbach, eine erneute und tiefere Bedeutung.

[1] Sich selbst charakterisierte Feuerbach einmal in seinen "Vorlesungen über das Wesen der Religion" mit den Worten:

"Ich bin, von meiner theoretischen Seite betrachtet, von Natur weniger zum Lehrer als zum Denker, zum Forscher bestimmt. Der Lehrer ermüdet nicht und darf nicht ermüden, etwas tausendmal zu sagen, mir aber genügt es, etwas nur einmal gesagt zu haben, wenn ich wenigstens das Bewußtsein habe, es recht gesagt zu haben. …

Ich gehöre zu den Menschen, welche eine fruchtbare Einseitigkeit bei weitem einer unfruchtbaren, nichtsnutzigen Vielseitigkeit und Vielschreiberei vorziehen, zu den Menschen, welche eine fruchtbare Einseitigkeit bei weitem einer unfruchtbaren, nichtsnutzigen Vielseitigkeit und Vielschreiberei vorziehen, zu den Menschen, welche ihr ganzes Leben hindurch e i n e n Zweck im Auge haben und auf dieses alles konzentrieren."

[2] Der Theologe Erich Schneider etwa, vermerkt in seinem Buch "Die Theologie und Feuerbachs Religionskritik", Göttingen 1972 S. 235:

"Die Stellungnahmen der Theologie des 19. Jahrhunderts zu Feuerbachs Religionskritik erwiesen sich in vielem als unbefriedigend. Sie können keineswegs die verbreitete Annahme rechtfertigen, daß Feuerbachs Religionskritik 'überwunden' sei. Die vielen unangemessenen Reaktionen darauf erwecken eher den Eindruck, daß die Kritik beiseite geschoben werden sollte. Das Motiv dafür scheint eine mehr oder weniger deutliche Ahnung gewesen zu sein, daß angesichts dieser Kritik die Theologie nicht mehr ungebrochen in der herkömmlichen Weise zu betreiben war."

[3] Marx etwa, vermerkt bedauernd über Feuerbach's Biographie:

"Die Schuld fällt hier einzig auf die erbärmlichen deutschen Zustände, kraft deren die Lehrstühle der Philosophie von spintisierenden ekletischen Flohknackern in Beschlag genommen wurden, während Feuerbach, der sie alle turmhoch überragte, in einem kleinen Dorf verbauern und versauern mußte."

[4] Diese These ist für die Kommunisten Ausgangsbasis ihrer Ideologie vom Klassenkampf. Die deutsche Sozialdemokratie hatte sich dieserhalb gespalten. Vereinfacht formuliert in Evolutionäre und Revolutionäre. Letztere setzen sehr bewusst auf den faktischen Bürgerkrieg. Der Terror in der Sowjetunion von den ersten Tagen ihrer Existenz an, ist nur eines von vielen Belegen dafür. Dies gibt mir zugleich Anlass zu der Feststellung, dass diese kommunistische Theorie nicht die meinige ist.

Schon bei Friedrich Engels kann man diese später eintretende Entwicklung ansatzweise ablesen. Etwa wenn er über Feuerbach polemisiert:

"Aber die Liebe! - Ja, die Liebe ist überall und immer der Zaubergott, der bei Feuerbach über alle Schwierigkeiten des praktischen Lebens hinweghelfen soll - und das in einer Gesellschaft, die in Klassen mit diametral entgegengesetzten Interessen gespalten ist. Damit ist denn der letzte Rest ihres revolutionären Charakters aus der Philosophie verschwunden, und es bleibt nur die alte Leier: Liebet euch untereinander, fallt euch in die Arme ohne Unterschied des Geschlechtes und des Standes - allgemeiner Versöhnungsdusel!"

Einige Aphorismen von Ludwig Feuerbach

Aber man verlange nicht von einem Schriftsteller, der sich nicht die Gunst der Zeit, sondern nur die Wahrheit, die unverhüllte, nackte Wahrheit zum Ziele setzt, daß er vor einem leeren Scheine Respekt habe oder heuchle, um so weniger als der Gegenstand dieses Scheines an und für sich der Kulminationspunkt der Religion, d. h. der Punkt ist, wo die Religiosität in Irreligiosität umschlägt.
 

Jedes Wesen hat seinen Gott, sein höchstes Wesen, in sich selbst. Preisest du die Herrlichkeit Gottes, so preisest du die Herrlichkeit des eignen Wesens. Alle Bewunderung ist im Grunde Selbstbewunderung, alles Lob Selbstlob, jedes Urteil, das du über anderes fällst, ein Urteil über dich selbst.

Der Skeptizismus ist der Erzfeind der Religion.
 

Du glaubst an die Liebe als eine göttliche Eigenschaft, weil du selbst liebt's; du glaubst, daß Gott ein weises, ein gütiges Wesen ist, weil du nichts Besseres von dir kennst als Güte und Verstand; und du glaubst, daß Gott existiert, daß er also Subjekt ist - was existiert, ist ein Subjekt, werde dieses Subjekt nun als Substanz oder Person oder Wesen oder sonstwie bestimmt und bezeichnet -, weil du selbst existierst, selbst Subjekt bist.

Auch die Christen machten Gemütserscheinungen zu Wesen, ihre Gefühle zu Qualitäten der Dinge, die sie beherschenden Affekte zu weltbeherrschenden Mächten, kurz Prädikate (Eigenschaften) ihres eignen, sei es nun bekannten oder unbekannten Wesens zu für sich selbst bestehenden Subjekten (Wesen, Teufel, Kobolde, Hexen, Gespenster. Engel waren heilige Wahrheiten, solange das religiöse Gemüt ungebrochen, ungeteilt die Menschheit beherrschte).

Der Verstand zeigt uns die Fehler selbst unsrer Geliebten - selbst unsre eignen. Er versetzt uns deswegen so oft in peinliche Kollision mit uns selbst, mit unserem Herzen. Wir wollen dem Verstande nicht recht lassen. Wir wollen nicht aus Schonung, aus Nachsicht das wahre aber harte, aber rücksichtslose Urteil des Verstandes vollstrecken.

Ein Mensch ohne Verstand ist auch ein Mensch ohne Willen. Wer keinen Verstand hat, läßt sich verführen, verblenden, von andern als Mittel gebrauchen. Wie sollte der im Willen eine Selbstzwecktätigkeit haben, der im Verstande ein Mittel anderer ist? Nur wer denkt ist frei und selbständig. Nur durch seinen Verstand setzt der Mensch die Wesen außer und unter sich zu bloßen Mitteln seiner Existenz herab.

Das Leben ist daher der Widerspruch von Zugleich-Abhängig und Selbständig-Sein - der Widerspruch, daß es sein Wesen ebensowohl in sich als außer sich hat. Nur der Verstand ist frei von diesem und andern Widersprüchen des Lebens; er ist das vollkommen selbstständige, vollkommen mit sich einige, vollkommen in sich seiende Wesen.
Leben ist Von-sich-Geben. Denken ist In-sich-Nehmen.

Der Mensch will in der Religion sich in Gott befriedigen. Aber wie könnte er in ihm Trost und Frieden finden, wenn er ein wesentlich andres Wesen wäre? Wie kann ich den Frieden, eines Wesens teilen, wenn ich nicht seines Wesens bin? Wenn sein Wesen ein andres, so ist auch sein Friede ein wesentlich anderer, kein Frieden für mich.

Wodurch also erlöst sich der Mensch von der Pein des Sündenbewußtseins, von der Qual des Nichtigkeitsgefühles? Wodurch stumpft er der Sünde ihren tödlichen Stachel ab? Nur dadurch, daß er sich des Herzens, der Liebe als der höchsten Macht und Wahrheit bewußt wird, daß er das göttliche Wesen nicht nur als Gesetz, als moralisches Wesen, als Verstandeswesen, sondern vielmehr als ein liebendes, herzliches, selbst subjektiv menschliches Wesen anschaut.

Die Liebe ist der terminus medius (Mittelbegriff), das substantielle Band, das Vermittlungsprinzip zwischen dem Vollkommnen und Unvollkommenen, dem sündlosen und sündhaften Wesen, dem Allgemeinen und Individuellen, dem Gesetz und dem Herzen, dem Göttlichen und Menschlichen. Nur die Liebe macht die Nachtigall zur Sängerin; nur die Liebe schmückt die Befruchtungswerkzeuge der Pflanze mit einer Blumenkrone. Und welche Wunder tut nicht die Liebe selbst in unserm gemeinen bürgerlichen Leben! Was der Glaube, verbindet die Liebe, die Konfession, der Wahn trennt, verbindet die Liebe.
Das Bewußtsein der Liebe ist es, wodurch sich der Mensch mit Gott oder vielmehr mit sich, mit seinem Wesen, welches ein andres Wesen sich gegenüberstellt, versöhnt.

Denn wenn es auch eine eigennützige Liebe gibt, wo es doch die wahre menschliche Liebe unter den Menschen gibt, die allein dieses Namens würdige diejenige, welche dem andern zuliebe das Eigne opfert. Wer ist also unser Erlöser und Versöhner? Gott oder die Liebe? Die Liebe; denn Gott als Gott hat uns nicht erlöst, sondern die Liebe, welche über die Differenz von göttlicher und menschlicher Persönlichkeit erhaben ist. Wie Gott sich selbst aufgegeben aus Liebe, so sollen wir auch der Liebe Gott aufopfern; denn opfern wir nicht Gott der Liebe auf, so opfern wir die Liebe Gott auf, und wir haben trotz des Prädikats der Liebe den Gott, das böse Wesen des religiösen Fanatismus.
Der Glaube an den aus Liebe Mensch gewordenen Gott - und dieser Gott ist der Mittelpunkt der christlichen Religion - ist nichts andres als der Glaube an die Liebe, der Glaube, aber an die Wahrheit und Gottheit des menschlichen Herzens.

Die Liebe bewährt sich durch Leiden. Alle Gedanken und Empfindungen, die sich zunächst an Christus anschließen, konzentrieren sich in dem Begriffe des Leidens.

Subjekt, zum Prädikat machen, also die Orakelsprüche der Religion umkehren, contre-veritez (ins Gegenteil verkleidete Wahrheiten) auffassen, so haben wir das Wahre. Gott leidet - Leiden ist Prädikat -, aber für die Menschen, für andere, nicht für sich.
Was heißt das auf deutsch? nichts anderes als: Leiden für andere ist göttlich.
Leiden ist das höchste Gebot des Christentums - die Geschichte des Christentums selbst die Leidensgeschichte der Menschheit.
Wenn bei den Heiden das Jauchzen der sinnlichen Lust sich in den Kultus der Götter mischte, so gehören bei den Christen, natürlich den alten Christen, die Seufzer und Tränen des leidenden Herzens, des Gemüts zum Gottesdienst.

Die christliche Religion ist die Religion des Leidens. Die Bilder des Gekreuzigten, die uns heute noch in allen Kirchen begegnen, stellen uns keinen Erlöser, sondern nur den Gekreuzigten, den Leidenden dar. Selber die Selbstkreuzigungen unter den Christen sind psychologisch tief begründete Folgen ihrer religiösen Anschauung. Wie sollte dem nicht die Lust kommen, sich selbst oder andere zu kreuzigen, der stets das Bild eines Gekreuzigten im Sinne hat? Wenigstens sind wir zu diesem Schlusse ebensogut berechtigt als Augustin und andere Kirchenväter zu dem Vorwurf gegen die heidnische Religion, das die unzüchtigen religiösen Bilder die Heiden zur Unzucht aufforderten.

Ohne Religion erscheint dem Menschen das Leben als ein zweckloses. In der Tat setzen auch alle tüchtigen Menschen sich einen höchsten Zweck. Das Geheimnis eines im höhern Sinne sittlichen Lebens beruht auf dieser Teleologie.
Der gewöhnliche Mensch verliert sich ohne Religion (im gewöhnlichen, aber weltgültigem Sinne), es fehlt ihm der Punkt der Sammlung, des Zusammenhalts. Jeder Mensch muß sich daher einen Gott, d.h. einen Endzweck setzen. Der Endzweck ist der bewußte und gewollte wesentliche Lebenstrieb, der Genieblick, der Lichtpunkt der Selbsterkenntnis.

Der religiöse Mensch zieht sich vor der Welt in sich zurück. Innerlichkeit gehört zum Wesen der Religion. Der religiöse Mensch führt ein abgezogenes, in Gott verborgenes, stilles, weltfreudenloses Leben. Tritt er auch in die Welt, so tritt er doch nur in polemische Verhältnisse
zu ihr; er sucht die Welt, die Menschen anders zu machen, als sie sind, der Welt abzugewinnen, Gott zuzuführen. Er bezieht alle Dinge und Wesen nur auf Gott; er liebt die Menschen, aber nicht um ihret, sondern um Gottes Willen; er liebt in ihnen nicht sie selbst, sondern ihren Vater, ihren Erlöser.

Der Mensch macht sich ein Bild von Gott, d.h. er verwandelt das abstrakte Vernunftwesen, das Wesen der Denkkraft, in ein Phantasiewesen.

Das Wort macht endlich den Menschen frei. Wer sich nicht äußern kann, ist ein Sklave. Sprachlos ist darum die übermäßige Leidenschaft, die übermäßige Freude, der übermäßige Schmerz. Sprechen ist ein Freiheitsakt; das Wort ist selbst Freiheit.
Ich versöhne, ich befreunde mich mit der Welt nur durch den andern Menschen. Ohne den andern wäre die Welt für mich nicht nur tot und leer, sondern auch sinn- und verstandlos. Nur an dem andern wird der Mensch sich klar und selbstbewußt; aber erst wenn ich mir selbst klar, wird mir die Welt klar.
 

Die religiöse Vorsehung offenbart sich nur im Wunder - vor allem im Wunder der Menschwerdung, dem Mittelpunkt der Religion. Aber wir lesen nirgends, daß Gott um der Tiere willen Tier geworden sei - ein solcher Gedanke schon ist in den Augen der Religion ein ruchloser, gottloser - oder daß Gott überhaupt Wunder um der Tiere oder Pflanzen willen getan habe.
 

Die Natur, wie widerspricht sie der Bibel! Die Bibel, wie widerspricht sie der Natur! Der Gott der Natur offenbart sich darin, daß er dem Löwen die Stärke und schicklichen Organe gibt, um zur Erhaltung seines Lebens im Notfall selbst ein menschliches Individuum erwürgen und fressen zu können; der Gott der Bibel aber offenbart sich darin, menschliche Individuum den Freßwerkseugen des Löwen wieder entreißt!

Ihr gebt selbst zu, daß das Wesen des pantheistischen Gottes nichts ist als das Wesen der Natur.
Also gebt auch zu, daß euer persönlicher Gott nichts andres ist als euer eigenes persönliches Wesen, daß ihr, indem ihr die Über- und Außernatürlichkeit eures Gottes glaubt und konstruiert, nichts andres glaubt und konstruiert als die Über- und Außernatürlichkeit eures eignen Selbst.

Das Wasser teilt sich entzwei oder ballt sich zusammen wie eine feste Masse, der Staub verwandelt sich in Lause, der Stab in eine Schlange, der Fluß in Blut, der Felsen in eine Quelle, an demselben Orte ist es zugleich Licht und Finsternis, die Sonne steht bald stille in ihrem Laufe, bald geht sie zurück. Und alle diese Widernatürlichkeiten geschehen zum Besten Israels. Lediglich auf Befehl Jehovas, der sich um nichts als Israels kümmert, nichts ist als die personifizierte Selbstsucht des israelitischen Volke, mit Ausschluß aller andern Völker, die absolute Intoleranz - das Geheimnis des Monotheismus.

Das Judentum ist das weltliche Christentum, das Christentum das geistliche Judentum. Die christliche Religion ist die vom Nationalegoismus gereinigte jüdische Religion, allerdings zugleich eine neue, andere Religion; denn jede Reformation, jede Reinigung bringt, namentlich in religiösen Dingen, wo selbst das Unbedeutende Bedeutung hat, eine wesentliche Veränderung hervor.

Lassen wir die Schranke des Nationalbewußtseins fallen, so bekommen wir statt des Israeliten - den Menschen. Wie der Israelite in Jehova sein Nationalwesen vergegenständlichte, so vergegenständlichte sich der Christ in Gott sein von der Schranke der Nationalität befreites und zwar subjektiv-menschliches, Wesen.

Sammlung sagt man, ist die Bedingung des Gebets. Aber sie ist mehr als Bedingung: Das Gebet ist selbst Sammlung - Beseitigung aller zerstreuenden Vorstellungen, aller störenden Einflüsse von außen Einkehr in sich selbst, um sich nur zu seinem eigenem Wesen zu verhalten.
Wie überall in der Religion das Subjektive, Sekundäre, Bedingende, die prima causa (erste Ursache), die objektive Sache selbst ist - so sind auch hier diese subjektiven Eigenschaften das objektive Wesen des Gebets selbst.

Der Mensch hat, wenigstens im Zustande des Wohlseins, den Wunsch, nicht zu sterben. Dieser Wunsch ist ursprünglich eins mit dem Selbsterhaltungstriebe. Was lebt, will sich behaupten, will leben, folglich nicht sterben.
Die Auferstehung Christi ist daher der realisierte Wunsch des Menschen nach unmittelbarer Gewißheit von seiner persönlichen Fortdauer nach dem Tode - die persönliche Unsterblichkeit als eine sinnliche, unbezweifelbare Tatsache.
So gut die Christen an dem Tode, den der Philosoph, der Naturforscher, der freie, objektive Mensch überhaupt, für eine natürliche Notwendigkeit erkennt, überhaupt an den Grenzen der Natur, welche dem Gemüte Schranken, der Vernunft aber vernünftige Gesetze sind, Anstoß nahmen und sie daher durch die Macht der Wundertätigkeit beseitigten, sogut mußten sie auch an dem Naturprozeß der Zeugung Anstoß nehmen und ihn durch die Wundermacht negieren.

Das Wunder ist der realisierte Wunsch des Menschen, frei zu sein von den Bedingungen, Schranken, Gesetzen, an welche, der Vernunft und Natur nach, die Befriedigung der physischen Bedürfnisse geknüpft ist; der wunderbare Erlöser ist der realisierte Wunsch des Gemüts, frei zu sein von den Gesetzen der Moral, d. h. von den Bedingungen, an welche die Tugend auf dem natürlichen Wege gebunden ist, der realisierte Wunsch, von den moralischen Übeln augenblicklich, unmittelbar, mit einem Zauberschlag, d. h. auf absolut subjektive, gemütliche Weise, erlöst zu werden. Der höchste Selbstgenuß der Subjektivität, die höchste Selbstgewißheit des Menschen überhaupt ist, daß Gott für ihn handelt, für ihn leidet, für ihn sich opfert.

Die Christen erwarteten das Ende der Welt, der Geschichte. Christus selbst prophezeit in der Bibel, allen Lügen und Sophismen unserer Ezegeten zum Trotz, klar und deutlich das nahe Weltende.
 

Es ist Selbstbetrug, das Mönchtum nur aus dem Orient ableiten zu wollen. Das Mönchtum muß vielmehr geradezu aus dem Christentum selbst abgeleitet werden: Es war eine notwendige Folge von dem Glauben an den Himmel, welchen das Christentum der Menschheit verhieß. Wo das himmlische Leben eine Wahrheit, da ist das irdische Leben eine Lüge - wo alles Phantasie, die Wirklichkeit nichts. Wer ein ewiges himmlisches Leben glaubt, dem verliert dieses Leben seinen Wert. Oder vielmehr es hat schon seinen Wert verloren: Der Glaube an das himmlische Leben ist eben der Glaube an die Richtigkeit und Wertlosigkeit dieses Lebens.

Das Dasein Gottes sei gewiß - aber was er sei oder wie er sei, das sei unerforschlich. Aber wer so spricht, der hat sich das Jenseits schon aus dem Kopfe geschlagen; hält er es nur noch fest entweder, weil er über solche Dinge gar nicht denkt, oder, weil es ihm nur noch ein Herzensbedürfnis ist; aber er schiebt es, zu sehr erfüllt mit realen Dingen, so weit als möglich sich aus dem Gesichte; er negiert mit seinem Kopfe, was er mit seinem Herzen bejaht.

Die Religion opfert die Sache dem Bilde auf.
Im Gegenteil, die tiefsten, wahrsten Christen haben gesagt, daß irdisches Glück den Menschen von Gott abzieht, dagegen weltliches Unglück, Leiden, Krankheiten den Menschen zu Gott zurückführen und daher allein für den Christen schicken. Warum? Weil im Unglück der Mensch nur praktisch gesinnt ist, im Unglück er sich nur auf das eine, was not bezieht, im Unglück Gott als Bedürfnis des Menschen empfunden wird.

Die Religion knüpft an ihre Lehren Fluch und Segen, Verdammung und Seligkeit. Selig ist, wer glaubt, unselig, verloren, verdammt, wer nicht ihr glaubt. Sie appelliert also nicht an die Vernunft, sondern an das Gemüt, an den Glücklichkeitstrieb, an die Affekte der Furcht und Hoffnung.

Zur Erkenntnis des Wesens der Religion gehört die Erkenntnis des Teufels, des Satans, der Dämone. Man kann diese Dinge nicht weglassen ohne die Religion gewaltsam zu verstümmeln. Die Gnade und ihre Wirkungen sind der Gegensatz der Teufelswirkungen. Deshalb hing auch fast bis auf die neueste Zeit der Glaube an den Teufel aufs innigste zusammen mit dem Glauben an Gott, so daß die
Leugnung des Teufels ebensogut für Atheismus galt als die Leugnung
Gottes.

lm Sinne der Religion dagegen ist Gott allein die Ursache aller positiven Wirkungen, Gott allein der letzte, der auch einzige Grund, womit sie alle Fragen, welche die Theorie aufwirft, beantwortet oder vielmehr abweist; denn die Religion bejaht alle Fragen mit Nein. Sie gibt eine Antwort, die ebensoviel sagt wie keine, indem sie die verschiedensten Fragen immer mit der nämlichen Antwort erledigt, alle Wirkungen der Natur zu unmittelbaren Wirkungen Gottes, zu Wirkungen eines absichtlichen, persönlichen, außer oder übernatürlichen Wesens macht. Gott ist der den Mangel an Theorie ersetzende Begriff.

Die Religion ist ein Traum, in dem unsere eigenen Vorstellungen als Wesen außer uns erscheinen. Das religiöse Gemüt unterscheidet nicht zwischen subjektiv und objektiv - es zweifelt nicht; die Sinne hat es nur, nicht um anderes zu sehen, sondern um seine Vorstellungen außer sich als Wesen zu erblicken.
Hat nicht einst der Esel Bileams wirklich geredet? Wurde nicht selbst von aufgeklärten Gelehrten noch des vorigen Jahrhunderts der sprechende Esel ebensogut als ein wirkliches Wunder geglaubt als das Wunder der Inkarnation oder sonst ein anderes Wunder?

Der Glaube an eine schriftliche Offenbarung ist nämlich nur da noch ein wirklicher, wahrer, ungeheuchelter und insofern auch respektabler Glaube, wo geglaubt wird, daß alles, was in der Heiligen Schrift steht, bedeutungsvoll, wahr, heilig, göttlich ist.

Wo dagegen unterschieden wird zwischen Menschlichem und Göttlichem, relativ und absolut Gültigem, Historischem und Ewigem, wo nicht alles ohne Unterschied, schlechterdings unbedingt wahr ist, was in der Heiligen Schrift steht, da wird das Urteil des Unglaubens, daß die Bibel kein göttliches Buch ist, schon in die Bibel hineingetragen, da wird ihr, indirekt wenigstens, d. h., auf eine verschlagene, unredliche Weise, ein Charakter einer göttlichen Offenbarung abgesprochen. Einheit, Unbedingtheit, Ausnahmelosigkeit, unmittelbare Zuverlässigkeit ist allein der Charakter der Göttlichkeit.

Ein Buch, das nur die Notwendigkeit der Unterscheidung, die Notwendigkeit der Kritik auferlegt, um das Göttliche vom Menschlichen, das Ewige vom Zeitlichen zu scheiden, ist kein göttliches, kein zuverlässiges, kein untrügliches Buch mehr, ist verstoßen in die Klasse der profanen Bücher; denn jedes profane Buch hat dieselbe Eigenschaft, daß es neben oder im Menschlichen Göttliches, neben, oder im Individuellen Allgemeines und Ewiges enthält. Ein wahrhaft gutes oder vielmehr göttliches Buch ist aber nur ein solches, wo nicht einiges gut, anderes schlecht, einiges ewig, anderes zeitlich, sondern wo alles wie aus einem Gusse, alles ewig, alles wahr und gut ist.

Was ist aber das für eine Offenbarung, wo ich erst den Apostel Paulus, dann den Petrus, dann den Jakobus, dann den Johannes, dann den Matthäus, dann den Markus, dann den Lukas anhören muß, bis ich endlich einmal an eine Stelle komme, wo meine gottesbedürftige Seele ausrufen kann: ... (ich hab's!), hier spricht der Heilige Geist selbst, hier ist etwas für mich, etwas für alle Zeiten und Menschen. Wie wahr dachte dagegen der alte Glaube, wenn er die Inspiration selbst bis auf das Wort, selbst bis auf den Buchstaben ausdehnte!

Wie kommt der Offenbarungsgläubige aus diesem Widerspruch zwischen der Idee der Offenbarung als göttlicher harmonischer Wahrheit und der vermeintlichen wirklichen Offenbarung heraus? Nur durch Selbsttäuschungen, nur durch die albernsten Scheingründe, nur durch die schlechtesten, wahrheitslosesten Sophismen. Die christliche Sophistik ist ein Produkt des christlichen Glaubens, insbesondre des Glaubens an die Bibel als göttliche Offenbarung.
Je mehr der Verstand zur Selbständigkeit heranreift, desto greller tritt auch notwendig der Widerspruch zwischen dem Verstande und Offenbarungsglauben hervor. Der Gläubige kann dann nur noch im bewußten Widerspruch mit sich selbst, mit der Wahrheit, mit dem Verstände, nur durch freche Willkür, nur durch schamlose Lügen - nur durch die Sünde gegen den Heiligen Geist die Heiligkeit und Göttlichkeit der Offenbarung bewahrheiten.

Abgeschloßne, beschränkte Menschen und Völker bewahren die Religion in ihren ursprünglichen Sinne, weil sie selbst im Ursprung, an der Quelle der Religion stehenbleiben. Je beschränkter der Gesichtskreis des Menschen, je weniger er weiß von Geschichte, Natur Philosophie, desto inniger hängt er an seiner Religion.
Darum hat auch der Religiöse kein Bedürfnis der Bildung in sich.

Warum hatten die Hebräer keine Kunst, keine Wissenschaft wie die Griechen? Weil sie kein Bedürfnis darnach hatten. Und warum hatten sie kein Bedürfnis? Jehova ersetzte ihnen dieses Bedürfnis. In der göttlichen Allwissenheit erhebt sich der Mensch über die Schranken seines Wissens, in der göttlichen Allgegenwart über die Schranken seines Lokalstandpunkts, in der göttlichen Ewigkeit über die Schränken seiner Zeit.

Der religiöse Mensch ist glücklich in seiner Phantasie; er hat alles in nuce (auf kleinstem Raum) immer beisammen; sein Bündel ist immer geschnürt. Jehova begleitet mich überall; ich brauche nicht aus mir herauszugehen; ich habe in meinem Gotte den Inbegriff aller Schätze und Kostbarkeiten, aller Wissens- und Denkwürdigkeiten. Die Bildung aber ist abhängig von außen, hat mancherlei Bedürfnisse, denn sie überwindet die Schranken des sinnlichen Bewußtseins und Lebens durch reelle Tätigkeit, nicht durch die Zaubermacht der religiösen Phantasie.
 

Das Wissen des Menschen von Gott ist das Wissen Gottes von sich? Welch ein Zwiespalt und Widerspruch! Kehre es um, so hast die die Wahrheit:
Das Wissen des Menschen von Gott ist das Wissen des Menschen von sich, von seinem eignen Wesen. Nur die Einheit des Wesens und Bewußtseins ist Wahrheit.
Wenn auch die Wunder, auch die objektive Kraft des Gebetes, überhaupt alle Übernatürlichen Wahrheiten der Religion widersprechen der Erfahrung. Wer sich auf die Erfahrung beruft, der verzichte auf den Glauben.
Der Glaube ist die Macht der Einbildungskraft, welche das Wirkliche zum Unwirklichen, das Unwirkliche zum Wirklichen macht - der direkte Widerspruch gegen die Wahrheit der Sinne, die Wahrheit der Vernunft. Der Glaube verneint, was die objektive Vernunft bejaht, und bejaht was sie verneint.
Der Glaube ist seiner Natur nach exklusiv. Eines nur ist Wahrheit, einer nur ist Gott, einer nur, dem das Monopol des Gottessohnes angehört; alles andere ist nichts, Irrtum, Wahn. Jehova allein ist wahrer Gott; alle andern sind nichtige Götzen.

Nur der kirchlichen Dogmatik verdankt das Christentum seinen Fortbestand.
Es ist nur die Charakterlosigkeit, der gläubige Unglaube der neuern Zeit, der sich hinter die Bibel versteckt und die biblischen Aussprüche den dogmatischen Bestimmungen entgegensetzt, um durch die Willkür der Exegese von den Schranken der Dogmatik sich frei zu machen.
Der Glaube, beschränkt und befangen, schiebt alles in die Gesinnung. Der Ungläubige ist ihm aus Verstocktheit, aus Bosheit ungläubig, ein Feind Christi. Der Glaube assimiliert sich daher nur die Gläubigen, aber die Ungläubigen verstößt er.

Er ist gut gegen die Gläubigen, aber böse gegen die Ungläubigen. Im Glauben liegt ein böses Prinzip.
Es ist nur der Egoismus, die Eitelkeit, die Selbstgefälligkeit der Christen, daß sie in andern Religionen die Splitter, aber nicht die Balken in ihrem eignen Glauben erblicken. Nur die Art der religiösen Glaubensdifferenz ist anderes bei den Christen, als bei den Völkern. Es sind nur klimatische Unterschiede oder die Unterschiede der Volkstemperamente, die den Unterschied begründen.

Die Türken vertilgen die Ungläubigen mit Feuer und Schwert, die Christen mit den Flammen der Hölle.

Aber die Flammen des Jenseits schlagen auch schon in das Diesseits herein, um die Nacht der Ungläubigen Welt zu erleuchten. Wie der Gläubige schon hienieden die Freuden des Himmels antizipiert, so müssen auch hier schon zum Vorgeschmack der Hölle die Feuer, des Höllenpfuhls lodern, wenigstens in den Momenten der höchsten Glaubensbegeisterung.
Das Christentum gebietet allerdings keine Ketzerverfolgungen, noch weniger Bekehrung mit Waffengewalt.

Aber insofern der Glaube verdammt, erzeugt es notwendig feindselige Gesinnungen, die Gesinnungen, aus welchen die Ketzerverfolgung entspringt. Den Menschen zu lieben, der nicht glaubt an Christus, ist eine Sünde gegen Christus, heißt den Feind Christi lieben. Was Gott, was Christus nicht liebt, das darf der Mensch nicht lieben; seine Liebe wäre ein Widerspruch gegen den göttlichen Willen, also Sünde.

Der Satz: "Liebet eure Feinde" bezieht sich nur auf Privatfeindschaften unter Christen aber nicht auf die öffentlichen Feinde, die Feinde Gottes, die Feinde des Glaubens, die Ungläubigen. Wer den Menschen liebt, der Christas leugnet, Christus nicht glaubt, verleugnet seinen Herrn und Gott: Der Glaube hebt die naturgemäßen Bande der Menschheit auf; er setzt an die Stelle der allgemeinen, natürlichen Einheit eine partikuläre.
Der Glaube gibt nicht Pardon. Er würde sich selbst aufgeben, wenn er milde von seinem Gegensatz urteilte.
Nur in sich indifferenten Dingen ist der Glaube liberal.

Der Glaube ist ein sein Gegenteil schonungslos verzehrendes Feuer.
Der Glaube ist also wesentlich parteiisch. Wer nicht für Christus ist, der ist wider Christus. Für mich oder wider mich. Der Glaube kennt nur Feinde oder Freunde, keine Unparteilichkeit; er ist nur für sich eingenommen. Der Glaube ist wesentlich intolerant - wesentlich, weil mit dem Glauben immer notwendig der Wahn verbunden ist, daß seine Sache die Sache Gottes sei, seine Ehre die Ehre Gottes.

Der Glaube hat die Hölle erfunden, nicht die Liebe, nicht die Vernunft. Der Liebe ist die Hölle ein Greuel, der Vernunft ein Unsinn. Es wäre erbärmlich, in der Hölle nur eine Verirrung des Glaubens, einen falschen Glauben erblicken zu wollen. Die Hölle steht auch schon in der Bibel.

Die bösen Glaubenshandlungen der Christenheit entsprechen also dem Wesen des Glaubens, wie er sich selbst schon in der ältesten und heiligsten Urkunde des Christentums, der Bibel, ausgesprochen.

„So jemand euch Evangelium anders predigt, denn das ihr empfangen habt, der sei verflucht" Galater 1,9).

"Ziehet nicht am fremden Joche mit den Ungläubigen, denn was hat die Gerechtigkeit für Genieß mit der Ungerechtigkeit? Was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis? Wie stimmet Christus mit Belial? Oder was für ein Teil hat der Gläubige mit dem Ungläubigen? Was hat der Tempel Gottes für eine Gleiche mit den Götzen? Ihr aber seid der Tempel des lebendigen Gottes, wie denn Gott spricht: Ich will, in ihnen wohnen und wandeln und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein. Darum gehet aus von innen, und sondert euch ab, spricht der Herr, und rühret kein Unreines an; so will ich euch annehmen" (2. Korinther 6, 14-17).

„Wenn nun der Herr Jesus wird geoffenbart werden vom Himmel samt den Engeln seiner Kraft und mit Feuerflammen, Rache zu geben über die, so Gott nicht erkennen, und über die, so nicht gehorsam sind dem Evangelio unseres Herrn Jesu Christ, welche werden Pein leiden, das ewige Verderben von dem Angesicht des Herrn und von seiner herrlichen Macht, wenn er kommen wird, daß er herrlich erscheine mit seinen Heiligen und wunderbar mit allen Gläubigen" (2. Thessalonicher 1,7-10).

"Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott gefallen" (Hebräer 11,6).

"Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben" (Johannes 3,16).

"Ein jeglicher Geist, der da bekennet, daß Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist von Gott. und ein jeglicher Geist, der da nicht bekennet, daß Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Widerchrists" (1. Johannes 4,2.3).

„Wer ist ein Lügner, ohne der da leugnet, daß Jesus der Christ sei. Das ist der Widerchrist, der den Vater und den Sohn leugnet" (1. Johannes 2,22).

„Wer übertritt und bleibet nicht in der Lehre Christi, der hat keinen Gott; wer in der Lehre Christi bleibet, der hat beide, den Vater und den Sohn. So jemand zu euch kommt und bringet diese Lehre nicht, den nehmet nicht zu Hause und grüßet ihn auch nicht. Denn wer ihn grüßet, macht sich teilhaftig seiner bösen Werke" (2. Joh. 9-11).

„Gott ist der Heiland aller Menschen, sonderlich aber der Gläubigen" (1. Timoth. 4,10).

"Lasset uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an den Glaubensgenossen!" (Galater 6,10).

„Einen ketzerischen Menschen meide, wenn er einmal und abermal ermahnt ist, und wisse, daß ein solcher verkehrt ist und sündigt, als der sich selbst verurteilt hat" (Titus 3, 10.11).

„Wer an den Sohn glaubet, der hat das ewige Leben. Wer dem Sohne nicht glaubet, der wird, das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibet über ihm" (Johannes 3,36).

„Und wer der Kleinen einen ärgert, die an mich glauben, dem wäre es besser, daß ihm ein Mühlstein an seinen Hals gehänget würde und er in das Meer geworfen würde" (Markus 9,42; Matthäus 18,6).

„Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden, wer aber nicht glaubet, der wird verdammet werden" (Markus 16,16).

Der Glaube geht notwendig in Haß, der Haß in Verfolgung über, wo die Macht des Glaubens keinen Widerstand findet, sich nicht bricht an einer dem Glauben fremden Macht, an der Macht der Liebe, der Humanität, des Rechtsgefühls. Der Glaube für sich selbst erhebt sich notwendig über die Gesetze der natürlichen Moral.

Die Glaubenslehre ist die Lehre der Pflichten gegen Gott - die höchste Pflicht der Glaube. Soviel höher Gott als der Mensch, soviel höher stehen die Pflichten gegen Gott als gegen den Menschen.

Ist der Glaube gefährdet, so ist die ewige Seligkeit und die Ehre Gottes gefährdet. Alles privilegiert daher, der Glaube, wenn es nur die Beförderung des Glaubens zum Zwecke hat; denn er ist ja, strenggenommen, das einzige subjektive Gute im Menschen, wie Gott selbst das einzige gute und positive Wesen das erste, das höchste Gebot daher Glaube!

Das Christentum hat die Liebe nicht freigegeben, sich nicht zu der Höhe erhoben, die Liebe absolut zu fassen. Und es hat diese Freiheit nicht gehabt, nicht haben können, weil es Religion ist - die Liebe daher der Herrschaft des Glaubens unterworfen.

Die Liebe ist nur die exoterische, der Glaube die esoterische Lehre des Christentums.- die Liebe nur die Moral, der Glaube aber die Religion der christlichen Religion.

Gott ist Liebe. Dieser Satz ist der höchste des Christentums. Aber der Widerspruch des Glaubens und der Liebe ist schon in diesem Satze enthalten. Die Liebe ist nur ein Prädikat, Gott das Subjekt.

Die Liebe des Glaubens ist nur eine rhetorische Figur, eine poetische Fiktion des Glaubens - der betrunkene sich selbst betäubende Glaube. Kommt der Glaube wieder zu sich, so ist auch die Liebe dahin.

Eine Liebe, die durch den Glauben beschränkt, ist eine unwahre Liebe. Die Liebe kennt kein Gesetz, als sich selbst. Sie ist göttlich durch sich selbst; sie bedarf nicht der Weihen des Glaubens; sie kann nur durch sich selbst begründet werden. Die Liebe, die durch den Glauben gebunden, ist eine engherzige, falsche, dem Begriffe, der Liebe, d.h. sich selbst, widersprechende Liebe, eine scheinheilige Liebe, denn sie birgt den Haß des Glaubens in sich; sie ist nur gut, solange der Glaube nicht verletzt wird.

In diesem Widerspruch mit sich selbst verfällt sie daher, um den Schein der Liebe zu behalten, auf die teuflischsten Sophismen, wie Augustin in seiner Apologie der Ketzerverfolgungen.

Die Liebe ist beschränkt durch den Glauben; sie findet daher auch die Handlungen der Lieblosigkeit, die der Glaube gestattet, nicht im Widerspruch mit sich; sie legt die Handlungen des Hasses, die um des Glaubens willen geschehen, als Handlungen der Liebe aus.

Die einzige dem Wesen der Liebe nicht widersprechende Beschränkung ist die Selbstbeschränkung der Liebe durch die Vernunft, die Intelligenz. Liebe, die die Strenge, das Gesetz der Intelligenz verschmäht, ist theoretisch eine falsche, praktisch eine verderbliche Liebe.

Die Religion ist das erste Selbstbewußtsein des Menschen.
Ist das Wesen des Menschen das höchste Wesen des Menschen, so muß auch praktisch das höchste und erste Gesetz die Liebe des Menschen zum Menschen sein.... (der Mensch ist dem Menschen Gott) - dies ist der oberste praktische Grundsatz, dies der Wendepunkt der Weltgeschichte.

Es handelt sich also im Verhältnis der Selbstbewußten Vernunft zur Religion nur um die Vernichtung einer Illusion - einer Illusion aber, die keineswegs indifferent ist, sondern vielmehr grundverderblich auf die Menschheit wirkt, den Menschen, wie um die Kraft des wirklichen Lebens, so um den Wahrheits- und Tugendsinn bringt; den selbst die Liebe, an sich die innerste, wahrste Gesinnung, wird durch die Religiosität zu einer nur scheinbaren, illusorischen, indem die religiöse Liebe den Menschen nur um Gottes willen, also nur scheinbar, in Wahrheit nur Gott liebt.

Der letzte Zufluchtsort der Theologie ist daher das Gefühl. Vom Verstande ist Gott aufgegeben. Gott hat nicht mehr die Dignität eines wirklichen Objekts, einer dem Verstände imponierenden Realität; darum verlegt man ihn in das Gefühl; im Gefühl glaubt man seiner gewiß und sicher zu sein.

Und allerdings ist auch das Gefühl der sicherste Ort; denn das Gefühl zum Wesen der Religion nach heißt nichts anderes als des Gefühl zum Wesen Gottes machen.

Die Beweise von der Existenz Gottes aus der Natur sind nur Beweise von der Unwissenheit und Arroganz des Menschen, mit welcher er die Schranken, seines Kopfes zu Schranken der Natur macht.

Nicht zu verwundern ist es daher, wenn die heutigen Christen nichts mehr vom Leiden Christi wissen wollen. Die haben ja erst herausgebracht, was das wahre Christentum ist - sie stützen sich ja allein auf das göttliche Wort der Heiligen Schrift. Und die Bibel hat, wie männiglich bekannt, die köstliche Eigenschaft, daß man alles in ihr findet, was man nur immer finden will. Was einst, das steht natürlich jetzt nicht mehr drin.

Das Prinzip der Stabilität ist längst auch aus der Bibel verschwunden; so veränderlich die menschliche Meinung, so veränderlich ist die göttliche Offenbarung.

Nicht zu übersehen ist der unterschied zwischen dem Glauben der Christen und dem Glauben der heidnischen Philosophen an dem Untergang der Welt. Der christliche Weltuntergang ist nur eine Krisis des Glaubens - die Scheidung des Christlichen von allem Antichristlichen, der Triumph des Glaubens über die Welt, ein Gottesurteil, ein anti-kosmischer, supernaturalistischer Akt.

"Der Himmel jetzt und die Erde werden durch sein Wort gesparet, daß sie zum Feuer behalten werden am Tage des Gerichts und Verdammnis der gottlosen Menschen" (2. Petri 3, 7).
Der heidnische Weltuntergang ist eine Krisis des Kosmos selbst, ein gesetzmäßiger, im Wesen der Natur begründeter Prozeß.

Die Christen schlossen sich von dem Weltuntergang aus.
"Und er wird senden Engel mit hellen Posaunen, und sie werden sammeln seine Auserwählten von den vier Winden, von einem Ende des Himmels bis zum andern" (Matthai 24,31).

Und ein Haar von eurem Haupt soll nicht umkommen. Und alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfanget zu geschehen, so sehet auf und hebet eure Häupter auf, darum daß sich eure Erlösung nahet" (Lukas 21, 18. 27-28).

„So seid nun wacker allezeit und betet, daß ihr würdig werden möget, zu entfliehen diesem allen, das geschehen soll, und zu stehen vor des Menschen Sohn" (ebenda 36).

Die Heiden dagegen identifizieren ihr Schicksal mit dem Schicksal der Welt ...
 

Der Ungläubige ist also ein rechtloses - ein Vertilgungswürdiges Subjekt. Was Gott negiert, muß selbst negiert werden. Das höchste Verbrechen ist das Verbrechen der laesae mejestatis Dei (Gotteslästerung). Gott ist dem Glauben ein persönliches und zwar das allerpersönlichste, unverletzlichste, berechtigste Wesen.

Wenn der jetzige Glaube keine solche eklatanten Greueltaten mehr hervorbringt, so kommt das nur daher, daß unser Glaube kein unbedingter, entschiedener, lebendiger, sondern vielmehr ein skeptischer, eklektischer, ungläubiger, durch die Macht der Kunst und Wissenschaft gebrochner und gelähmter Glaube ist. Wo keine Ketzer mehr verbrannt werden, da hat der Glaube selbst kein Feuer mehr im Leibe. Der Glaube, der erlaubt anderes zu glauben verzichtet auf seinen göttlichen Ursprung, degradiert sich selbst zu einer nur subjektiven Meinung. Der Glaube, der andern den Zweifel an sich gestattet, ist ein dubioser, ein an sich selbst zweifelnder Glaube.
 

Die Christen wollen sogut glückselig sein als die Heiden. Der Unterschied ist nur, daß die Heiden den Himmel auf die Erde, die Christen die Erde in den Himmel versetzen.

Mir war es und ist es vor allem darum zu tun, das dunkle Wesen der Religion mit der Fackel der Vernuft zu beleuchten, damit der Mensch endlich aufhöre, eine Beute, ein Spielball aller jener menschenfeindlichen Mächte zu sein, die sich von jeher, die sich noch heute des Dunkels der Religion zur Unterdrückung des Menschen bedienen.

Mein Zweck war, zu beweisen, daß die Mächte, vor denen sich der Mensch in der Religion beugt und fürchtet, denen er sich nicht scheut selbst blutige Menschenopfer darzubringen, um sie sich günstig zu machen, nur Geschöpfe seines eigenen unfreien, furchtsamen Gemütes und unwissenden, ungebildeten Verstandes sind, zu beweisen, daß überhaupt das Wesen, welches der Mensch als ein anderes von ihm unterschiedenes Wesen in der Religion und Theologie sich gegenübersetzt, sein eigenes Wesen ist, damit der Mensch, da er doch unbewußt immer nur von seinem eigenen Wesen beherscht und bestimmt wird, in Zukunft mit Bewußtsein sein eigenes, das menschliche Wesen zum Gesetz und Bestimmungsgrund, Ziel und Maßstab seiner Moral und Politik mache.

Ich verneine nur das phantastische Scheinwesen der Theologie und Religion, um das wirkliche Wesen des Menschen zu bejahen.

Die Religion hebt nur die Erscheinungen des Übels, aber nicht die Ursachen desselben auf; sie verhindert nur die Ausbrüche der Roheit und Bestialität, aber sie hebt nicht ihre Gründe auf, sie kuriert nicht radikal.

"Wer Wissenschaft hat", sagt schon Goethe, „braucht die Religion nicht".

Ich setze statt des Wortes „Wissenschaft" Bildung, weil Bildung den ganzen Menschen umfaßt, wenngleich auch dieses Wort beanstandet werden kann, wenn man wenigstens an das denkt, was man gewöhnlich unter Bildung versteht. Doch welches Wort ist makellos? Nicht die Menschen religiös zu machen, sondern zu bilden, Bildung durch alle Klassen und Stände zu verbreiten, das ist daher jetzt die Aufgabe der Zeit.

Man kann daher in einer gewissen Späre ein gebildeter und gescheiter Mann sein und doch auf dem Gebiete der Religion dem törichsten Aberglauben unterworfen sein.

Das Christentum hat sich die Erfüllung der unerfüllbaren Wünsche des Menschen zum Ziel gesetzt, aber ebendeswegen die erreichbaren Wünsche des Menschen außer Acht gelassen;

es hat den Menschen durch die Verheißung des ewigen Lebens um das zeitliche Leben, durch das Vertrauen auf Gottes Hilfe um das Vertrauen zu seinen eigenen Kräften, durch den Glauben an ein besseres Leben im Himmel um den Glauben an ein besseres Leben auf Erden und das Bestreben, ein solches zu verwirklichen, gebracht.
 

 

 

Als Antwort auf: Gott war mein erster Gedanke, die Vernunft mein zweiter, der Mensch mein dritter geschrieben von Drahbeck am 28. Juli 2004 05:35:32:

Gott aus dem Himmel gejagt

Vor 200 Jahren wurde Ludwig Feuerbach geboren

Sein bekanntester Satz traf das christliche Glaubensgebäude wie eine Abrissbirne: »Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.« Karl Barth, der Theologe, hat den aus Bayern stammenden Philosophen Ludwig Feuerbach später als »Nichtkenner des Todes und Verkenner des Bösen« bezeichnet.

Kandidaten des Jenseits wolle er zu Studenten des Diesseits machen, religiöse Kammerdiener der himmlischen Monarchie zu freien Bürgern der Erde. So wortgewaltig beschrieb der Philosoph Ludwig Feuerbach den Zweck seiner Schriften. Vor 200 Jahren, am 28. Juli 1804, wurde mit Ludwig Feuerbach der Kirchenvater des modernen Atheismus geboren.

Er stammte aus einer hoch angesehenen Familie. Sein Vater, Anselm Ritter von Feuerbach, war führender Jurist im Königreich Bayern und Beschützer des mysteriösen Findlings Kaspar Hauser. Im fränkischen Ansbach absolvierte der in Landshut geborene Prominentensohn das Gymnasium und fiel durch sein Bibelwissen auf. In Heidelberg, Berlin und Erlangen studierte er zunächst Theologie, dann Philosophie.

1830 folgte der erste Paukenschlag. In Erlangen machte die religionskritische Schrift »Gedanken über Tod und Unsterblichkeit« die Runde. Der anonyme Verfasser wurde bald enttarnt. Die aus heutiger Sicht ziemlich harmlose Satire wurde beschlagnahmt. Ihr Autor, der Privatdozent Feuerbach, hatte keine Chance mehr auf die erhoffte Professur. Notgedrungen wurde er Privatgelehrter.

Der Leugner der Unsterblichkeit der Seele verließ die akademische Welt und wurde Dörfler. Im Örtchen Bruckberg bei Ansbach gab es eine Porzellanfabrik, die im ehemaligen Sommerschloss der Ansbacher Markgrafen untergebracht war. Feuerbachs Frau hielt daran Anteile. Doch das Dasein als Fabrikantinnen-Gatte klingt bequemer, als es war. Die Porzellanfabrik schlitterte stets hart am Ruin entlang.

Ironisch kommentierte er seinen Abstieg. Das Schicksal habe ihn in tiefster Verlassenheit, aber eben deswegen auch glücklicher Einsamkeit in ein Dorf verbannt, »das nicht einmal - wie entsetzlich, wie unheilschwanger - eine Kirche hat«. Er hätte nicht geglaubt, welch seltsame Kapriolen die Ortsgeschichte nachher schlug: Seit 1891 ist das Bruckberger Schloss ein Zentrum evangelischer Behindertenarbeit in Bayern - und selbstverständlich gibt es eine Kirche. 1841 erschien das Buch, mit dem der vergessene Schlossbewohner plötzlich in aller Munde war: »Das Wesen des Christentums«.

Es war eine radikale Absage an den Gottesglauben. Das höchste Wesen sei nichts als eine Erfindung des menschlichen Wesens, eine Illusion, die den Menschen daran hindere, sich die reale Welt anzueignen. Die junge Arbeiterbewegung erkannte schnell, welche Waffe gegen die alten Mächte ihr in die Hände gelegt worden war. »Die Begeisterung war allgemein. Wir waren alle momentan Feuerbacherianer«, schrieb Friedrich Engels im Rückblick. »Die deutsche Jugend glaubte, statt Himmel endlich Land zu sehen«, heißt es in Ernst Blochs »Das Prinzip Hoffnung«.

Noch zu seinen Lebzeiten kam Feuerbach aus der Mode. Nur 15 Jahre nach Erscheinen seines Hauptwerks klagte er verbittert: »Es ist kein Wunder, dass ich bereits zu den Toten gerechnet werde. Ich bin ja schon längst von den deutschen Theologen und Philosophen 'widerlegt', d.h. auf Deutsch: geistig totgeschlagen.« Selbst Karl Marx kritisierte den einst Bewunderten in seinen »Elf Thesen über Feuerbach«, deren letzte und berühmteste lautet: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.«

Ab 1860, nach dem Tod seiner Frau und der Enteignung durch die Erben, fristete Feuerbach ein ärmliches Dasein im Ort Rechenberg vor den Toren Nürnbergs. 1872 starb er, nachdem er zuvor noch der sozialdemokratischen Partei beigetreten war. Tausende Arbeiter folgten dem Aufruf, die Beisetzung auf dem Nürnberger Johannisfriedhof zu einer »Massendemonstration gegen das Pfaffentum« zu machen. Den versöhnlichsten Bilanzstrich unter Feuerbachs Leben zog der Literat Hermann Kesten: »Sein Leben lang hat Ludwig Feuerbach mit Gott gekämpft, und beide haben dabei gewonnen.«

Peter Reindl

www.sonntagsblatt-bayern.de/news/aktuell/2004_30_19_01.htm

de.news.yahoo.com/040724/336/44qwh.html

www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/771051

www.berlinonline.de/berliner-zeitung/feuilleton/362021-1.html

www.welt.de/data/2004/07/28/310923.html

www.tagesspiegel.de/kultur/index.asp?gotos=

archiv.tagesspiegel.de/toolbox-neu.php?ran=on&urlarchiv.tagesspiegel.de/archiv/28.07.2004/1269261.asp

www.nzz.ch/2004/07/28/fe/page-article9R13N.html

Weiterführende Feuerbachtexte auch im nachfolgenden Link

Feuerbach, Ludwig-Das Wesen des Christentums

(Die linksseitig angeordneten Textangebote herunterscrollen): http://www.kreudenstein-online.de/Querdenker/Querdenker.htm

Historische Texte zum Weiterlesen, die man vielleicht doch einmal gelesen haben sollte, auch wenn man in den Details einiges anders sieht:

Friedrich Engels - Das Buch der Offenbarung

Friedrich Engels -Zur Geschichte des Urchristentums

Friedrich Engels - Bruno Bauer

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