Der vorangegangene Jahrgang   1958

Vor (mehr) als 50 Jahren

Was 1959 Wahrheit war

Ein Charakteristisches Rundschreiben des Jahres 1959

Ein Charakteristisches Rundschreiben der WTG Wiesbaden, datiert vom 1. April 1959.

Überschrieben „An alle Jugendlichen Verkündiger"

Und in ihm wird wieder mal getönt:

„Daß die alte Welt vergeht. Ja ihr Ende ist, wie 'Der Wachtturm' gezeigt hat, so nahe, daß die heutige Jugend unter diesem alten System der Dinge nicht mehr alt werden wird."

Und als organisatorische Anmerkung dazu wird noch vermerkt:

„Dieser Brief sollte der Versammlung am Schluß des 'Wachtturm'-Studiums, das am 5. April 1959 stattfindet, vorgelesen werden."

Wenn also rund ein Jahrzehnt später, WTG-Funktionär Konrad Franke, in einem Vortrag in Hamburg, die damals neu aufgekommene 1975-These hochjubelte, hatte das durchaus  Kontinuität..

Kontinuität schon zu dem Rattenfänger Rutherford, der da bei der „Freigabe" des WTG-Buches „Kinder" wissen lies, mit dem Heiraten doch noch einige "wenige" Jahre bis "nach" Harmagedon zu warten.

Die Namen der agierenden Rattenfänger mögen sich im Laufe der Zeit wandeln.

Ein neuerer „Rattenfänger" Gerrit Lösch sein Name, ist sich nicht zu schade diese unselige Kontinuitätslinie fortzusetzen.

Die Organisation die dahinter steht, war, ist und bleibt eine solche, welche menschliche Dummheit fördert, um sie für ihre hochegoistischen Organisations-egoistischen Ziele auszubeuten.

Ob andere da das „Heil" vom Zahlen des Zehnten abhängig machen, ist da wohl allenfalls ein gradueller, aber kein grundsätzlicher Unterschied!

Polen

Vorab zwei Pressemeldungen.

Nach der Berichterstattung in Sachen Zeugen Jehovas des Jahres 1950, wurde es zumindest auf der publizistischen Ebene, in der weitgehend Gleichgeschalten Ostpresse still um sie.

Eine Ausnahme von dieser Regel war im Jahre 1955 zu registrieren.

Die in Trägerschaft der Ost-CDU in Ostberlin erscheinende Tageszeitung „Neue Zeit" meldete in ihrer Ausgabe vom 25. 3. 1955 unter der Überschrift „Glaubensfreiheit mißbraucht":

Warschau (ADN).

Zu hohen Gefängnisstrafen hat das Bezirksgericht von Lodz fünf Angehörige der illegalen Führung der „Zeugen Jehovas" in der Volksrepublik Polen verurteilt. Die Verurteilten, die in enger Verbindung mit den Zentren der Sekte im Ausland, vor allem in den USA standen, haben die Religions- und Glaubensfreiheit zu feindlichen Zwecken gegen die Volksrepublik mißbraucht."

Nach dieser Meldung war es dann wieder einige Zeit thematisch still. Die nächste Polen bezügliche Meldung war dann dem Westdeutschen „Evangelischen Pressedienst" entnehmbar. EPD meldete in seiner Nummer 245 vom 27. 10. 1959:

„Neuer Prozeß gegen die 'Zeugen Jehovas' in Polen.

In Warschau begann vor dem Wojwodschaftsgericht ein Prozeß gegen 17 Mitglieder der in Polen verbotenen Sekte 'Zeugen Jehovas' berichtet das Parteiblatt 'Trybuna Luda'. In dem voraussichtlich zwei Wochen dauernden Prozeß wird den Angeklagten neben der Mitgliedschaft bei der Sekte vor allem die Herstellung und Verbreitung von Broschüren und Flugblättern sowie in einem Fall Wehrdienstverweigerung vorgeworfen. Es handelte sich dabei um den zweiten großen derartigen Prozeß dieses Jahres.

Bereits im Juni waren 15 Angehörige der Sekte in Opeln zu Zuchthausstrafen bis zu dreieinhalb Jahren verurteilt worden. Außerdem fanden zahlreiche Einzelprozesse statt.."

Wenn nicht alles täuscht, dann stand insbesondere die letztere Meldung, in einem größeren Kontext, der sich zwar erst ein Jahr später abspielte, der aber durchaus notierenswert ist, und zwar in dem:

Herr Knorr meinte auf dem 1958er ZJ-Kongress in New York, einen besonderen Grund zum Jubeln zu haben. Laut „Wachtturm" vom 1. 1. 1958 sei Polen das Land welches die „drittgrößte Zahl" von predigenden Zeugen Jehovas aufweise (zumindest zu damaliger Zeit).

Der „Wachtturm" vom 15. 7. 1959 jubelt weiter:

„In einem vor kurzem aus Polen eingetroffenen Brief sagte der für das Werk Verantwortliche:

'Nachdem die Brüder, welche leitende Stellungen bekleidet hatten, nun aus dem Gefängnis entlassen und wieder in Freiheit waren, gaben sie den Brüdern zu bedenken, ob es jetzt, da der Druck nachgelassen und das Werk weiter gehen könne, nicht gut wäre, daß sich jeder so eifrig ans Werk mache, als ob Harmagedon schon morgen käme.'

Die Brüder stellten sich tatsächlich so ein. Und nun ist Polen von allen Ländern der Welt eines der wenigen, die eine Verkündigerzunahme von über 30 Prozent erzielt haben."

Laut „Erwachet!" vom 8. 10. 1959 sei im vorangegangenen Jahre (1958) in den Ländern „Hinter dem Eisernen Vorhang" eine Mehrung von insgesamt 20 % eingetreten, wobei wiederum unter diesen Ländern Polen offenbar die Spitzenposition einnahm. Diese genannte Zuwachsrate lag aber über den weltweiten Wert zur gleicher Zeit.

Solcherlei Meldungen waren dann wohl eine besondere Stimulanz für die WTG-Führung, ihre Strategie an der Seite der politischen kalten Krieger, konsequent fortzusetzen.

Nichts da etwa mit einem „Einlenken" seitens der WTG.

Beleg dafür auch der gleichfalls im 1959er „Erwachet!"-Jahrgang abgedruckte politische Artikel „Berlin ein Bärenfell" (22. 7. 1959).

An dessen Diktion dürften die westlichen kalten Krieger garantiert nichts auszusetzen gehabt haben. Im Umkehrschluß kann man dann auch sagen, die im Osten dafür um so mehr.

Das auch der Osten durch solcherlei „hochgeschreckt" wurde, dafür gibt es noch einen anderen Beleg. Just im Jahre 1959 startete dann Ostdeutschland seine sogenannten „Müller-Briefe", aus der dann (1965) nach vorangegangener weiterer Verschärfung der WTG-Doktrinen. Namentlich der WTG-These in Verpackung ihrer „Bibelauslegungen"; der Kommunismus gleiche dem „Blut eines Toten", etwas was man nie berühren würde.

Nachdem die östlichen Apparatschicks also auch diese WTG-These schwarz auf weiss zu lesen bekamen, entschlossen sie sich, nicht mehr länger zu „kleckern", sondern mehr zu „klotzen".

Die da seit 1959 versandten „Müller-Briefe", denen man kaum einen sonderlichen Radius zusprechen konnten, wurden nunmehr in eine Zeitschrift („Christliche Verantwortung") umgewandelt, welche die weitere WTG-Geschichte bis zum Ende der DDR noch begleiten sollte.

In einem Rückblick (CV 240), wird der kalte Krieger auf Seiten der WTG, Willi Pohl mit der Aussage zitiert, die er wohl beim auftauchen der ersten „Müller-Briefe" getan haben soll:

„Diese Schrift besteht höchstens 2 Jahre, länger lässt Jehova das nicht zu."

Es sollte sich dann noch zeigen, dass dieses Pohl'sche Kalkül nicht aufgegangen ist.

Die WTG, und namentlich auch Herr Hirch, pflegen sich heutzutage damit zu trösten, dass die „Erfolge" der CV sich mal auf sehr bescheidenem Level bewegten, was ja nicht zu bestreiten ist.

Indes darf solch alles auch in einem größeren Rahmen gesehen werden.

Wie vernommen, konnten die Zeugen, namentlich in Polen, zeitweilig rasante Zuwachsraten verzeichnen.

Und wie sieht die Ostdeutsche Bilanz im Rückblick aus? Eine Bestandswahrung des Bestandes um 1950 gab es numerisch in der Tat.

Dann aber war auch schon das Ende der „Fahnenstange" erreicht. Im Gegensatz zu Polen, gab es in Ostdeutschland eben keine weiteren rasanten Zuwachsraten.

Suchen Hirch und WTG heutzutage die CV herunterzuspielen, täten sie gut daran, die nicht erfolgten Ostdeutschen „Zuwachsraten" auch zumindest teilweise, der CV zuzuschreiben, wenn sie denn objektiv sein wollten. Wenn ...

Mögen auch die Sektgläser in Brooklyn geklirrt haben, ob der berauschenden Nachrichten aus Polen.

An anderer Stelle indes scheint wohl etwas Essig in diesen Sekt hinein gegossen worden zu sein.

So erfährt man etwa, dass die Östlichen Staatssicherheitsbehörden ob solcher Meldungen nicht erfreut waren, und es dabei nicht bewenden ließen.

So sei es ihnen beispielsweise gelungen, dass von den Zeugen Jehovas genutzte System toter Briefkästen auf einer internationalen Eisenbahnstrecke, zu enttarnen. Dergestalt „mitlesend" war man also über alle Schachzüge des WTG-Ostbüros bestens informiert.

Und man bekam auch mit, dass es mit der „Einheit" innerhalb der WTG-Organisation in Polen, nicht zum besten bestellt war.

Die Stasi, egal ob in Ostdeutschland oder Polen, wäre nicht die Stasi gewesen, hätte sie nicht just jenen Aspekt zu nutzen und weiter auszubauen gesucht.

Und so jammert denn Herr Waldemar Hirch „kunstvoll" darüber, wie solch ein Ostdeutscher Stasiagent mit dem IM Namen „Wilhelm" nach Polen gesandt wurde. Dort sei es seine Aufgabe gewesen den Eindruck zu erwecken, er sei ein offiziell Gesandter des Westdeutschen Ostbüros der WTG. Ein „Gesandter" war er in der Tat. Nur halt nicht von der WTG.

In der Studie von Andre Gursky kann man diesen Aspekt betreffend lesen:

„1960 kam es in Polen zu einer Reihe von Veränderungen in der Organisation der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Ein in Russisch abgefasster Bericht, der im Rahmen der operativen Arbeit des MfS übersetzt wurde, informierte im Sommer 1960 nicht nur über Verhaftungen von Zeugen Jehovas in Polen, sondern auch über dort aufgekommene Spannungen und Kontroversen zwischen einzelnen Zeugen sowie Gruppenbildung unter den ZJ selbst. Grundlegend zeigten die international agierenden Geheimdienste der Sowjetunion, Polens und der DDR Interesse an einer sogenannten Gruppe der „Unzufriedenen" in Polen, Zeugen Jehovas, die auch Kritik übten an der Leitungsstruktur und in Berichten aus Polen an die Brooklyner Zentrale in den USA.

Auf Grund der Lage der Dinge, so der KGB-Bericht, könne selbst das bereits bekannte Material der Gruppe der „Unzufriedenen" durch die Organe nicht ausgewertet werden, da eine Dekonspiration der Verbindung befürchtet wird. Dies deutet darauf hin, dass die WTG vom sowjetischen oder / und polnischen Geheimdienst unterwandert war und dass über wichtige Unterlagen zumindest Informationen vorlagen.

Von den „unzufriedenen" Beschwerdeführern gingen Briefe direkt nach Brooklyn, um nach Einschätzung der Lage von einem Schlichter die strittigen Probleme lösen zu lassen. Harald Abt, Zeuge Jehovas in Polen, habe sogar Knorr gegenüber die Notwendigkeit [begründet], einen Vertreter des Zentrums zu schicken, ohne vorher den Leiter der Organisation in Polen in Kenntnis zu setzen. Das MfS unterbreitete den Vorschlag, in dieser Angelegenheit in der Form zu helfen, daß nach Polen ein GM mit Decknamen „Wilhelm" geschickt wird, der in der Rolle eines Emissärs aus Wiesbaden auftreten wird. ...

Tatsächlich gelangte Dieter Pape alias Erich Mager überraschend ohne große Komplikationen in die Dienstabteilung der Zeugen Jehovas in Polen unter der Leitung von Harald Abt. Die Legenden, die von den Geheimdiensten zuvor festgelegt und auch praxiswirksam koordiniert worden waren, verfehlten ihre Wirkung nicht. ...

Über den Erfolg der koordinierten Geheimdienstoperation notierte der IM eine Übersetzung des Dolmetschers eines polnischen Geheimdienstlers: Es war ein guter Fang gewesen. Abt sei jetzt schon ein toter Mann unter seinen Funktionären. Das andere wird der falsche Wachtturm erledigen"

Und den von ihm in dem Kontext auch Interviewten früheren Leiter des WTG-Ostbüros, Willi Pohl, zitiert Gursky mit der Aussage:

„Die vom polnischen Geheimdienst beobachteten Meinungsverschiedenheiten waren nicht so schwerwiegend wie von ihm angenommen wurde."; was man dann ja wohl als herunterspielen der Sachlage deuten kann.

Und seinerseits kommentiert Gursky zur Aussage von Pohl:

„Auf der Grundlage von MfS-Akten zu vorhandenen Berichten vom Wirken des „Ostbüros" der Zeugen Jehovas ist die Unwissenheit des langjährigen Leiters des Büros kaum nachvollziehbar. Dem widerspricht allerdings auch ein Hinweis aus Polen, wonach Harald Abt unmittelbar nach der Geheimdienstoperation einen umfassenden Bericht hierüber an die Zentrale nach Wiesbaden geschickt habe."

Einen Polnischen WTG-Funktionär, den Gursky in der Angelegenheit auch noch Interviewte zitiert er mit der Aussage:

Ich denke ja. Ohne das Wissen um diese Hintergründe ist meines Erachtens das Vorgehen von Erich Mager (Dieter Pape) kaum nachvollziehbar. Nicht so sehr das Auftauchen des Stasi-Mitarbeiters Dieter Pape, der als Wiesbadener Abgesandter Erich Mager hierher nach Polen kam, brachte den Sicherheitsdiensten das Gewünschte, sondern – um es mal so zu formulieren – der Judas in den eigenen Reihen."

Und dazu werden dann noch andeutungsweise die Namen solcher vermuteten (oder auch tatsächlichen) „Judasse" genannt.

Also offenbar gelang es wohl dem „Wilhelm" seinen Part im Sinne seiner Auftraggeber zufriedenstellend, oder zumindest „halb zufriedendstellend" zu lösen.

Denn wenn Herr Hirch heutzutage jedes Zweite Wort das seinem Munde entfährt, als „Zersetzung" betitelt, dann muss wohl etwas daran gewesen sein.

Worüber Herr Hirch allerdings nicht zu reflektieren pflegt ist, dass die unrühmliche WTG-Geschichte selbst, dass allerbeste „Zersetzungsmaterial" ist.

Hirch und Co träumen ihren Traum der Kulturchristen. Hirch selbst ist ja diesem Milieu zuzuordnen. Noch besitzen, auch innerhalb der deutschen WTG-Organisation, „Kulturchristen" einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert. Noch.

Mag der „Kulturchrist" Hirch auch persönlich nie etwa den einschlägigen WTG-Endzeitthesen extensiv „nachgejapst" haben. Die Klaviatur des verstimmten „Endzeitklaviers" hingegen wird von dieser Organisation weiter strapaziert. Und als internationale Organisation haben derlei Thesen, etwa in der Dritten Welt, ein weitaus gewichtigeren Stellenwert als hierzulande.

Bei Hirch etwa liest man die bedauernden Sätze:

Die vom MfS gefälschten westdeutschen Ausweispapiere für Dieter Pape lauteten auf den Namen Erich Mager. Um Westkleidung kaufen zu können, erhielt er 800,00 DM ausgezahlt. ... Sein Polenaufenthalt sollte zwei Wochen betragen, beginnend mit dem 17. August 1960, wenige Tage nach Abschluss des Bezirkskongresses der Zeugen Jehovas in Westberlin.

Die Aufgabe für Pape wurde durch den Umstand erleichtert, dass sein Gesprächspartner in Polen, Harald Abt, von seiner Herkunft Deutscher war und daher die deutsche Sprache beherrschte. So konnte Abt auch als Dolmetscher für Gespräche Papes mit weiteren Verantwortlichen fungieren und allein schon durch seine Anwesenheit eine vertraute Atmosphäre vermitteln. Abt erhielt vom MfS eine gefälschte Mitteilung aus der westdeutschen Zentrale in Wiesbaden mit der strikten Aufforderung, über das geplante Treffen mit dem Gesandten der Gesellschaft Stillschweigen gegenüber dem Gebietskomitee zu wahren, da man sich zuerst bei ihm informieren wolle, ohne unnötige Unruhe zu erzeugen. Er solle sich auf ein baldiges Gespräch einstellen. "

Im "Wachtturm" vom 15. 7. 1980, tönt dann Herr Abt in seinem dort veröffentlichten Lebensbericht:

"Nach der Befreiung von deutscher Besetzung wurde Polen eine Volksrepublik. Elsa und ich bewarben uns sofort um Arbeit im Zweigbüro der Wachtturm-Gesellschaft in Lodz. Wir arbeiteten dort fünf Jahre lang und erlebten die Freude, die Zahl der Zeugen Jehovas von ungefähr 2 000 im Jahre 1945 auf etwa 18 000 im Jahre 1950 ansteigen zu sehen. In den Jahren nach 1950 haben wir weiterhin in verschiedenen Zuteilungen gearbeitet, die wir von Jehovas Organisation erhielten."

Wie wohl kaum vom "Wachtturm" anders zu erwarten, weis er in diesem Bericht nichts über seine Episode mit dem Herrn "Erich Mager" zu berichten.

Das allerdings war dann wohl der „Essig" im Jubelsekt des Herrn Knorr, über den er dann lieber nicht in seinem Jubelbericht mit sprach.

Nun mag man zu solchen Geheimdienstaktionen in der Tat ein distanziertes Verhältnis haben. Ich für meine Person halte es daher lieber mit der grundsätzlichen Aussage Alan Rogersons, dass der WTG-Religion eher durch freiheitliche Rahmenbedingungen, denn durch das Gegenteil davon, Abbruch getan wird.

Jene Stasiisten verkennen die grundsätzliche Erkenntnis, dass Religion zugleich wesentliche soziale Wurzeln hat. Wenn sie also mit ihren berüchtigten Holzhammermethoden arbeiten, ist das letztendlich die Arbeit des Sisyphus.

Immer wenn sie denn wähnen, den schweren Stein Bergauf gerollt zu haben, rollt er wieder den Berg herunter.

Diese Polnische Episode sei daher hier auch nur deshalb erwähnt, da sie ja Herr Knorr in seinem Jubelbericht nicht mit anklingen lies.

Und für die genannte Rogerson-These spricht auch die WTG-eigene Angabe im „Wachtturm" vom 15. 1. 1959:

„Wer nun die Tabelle ... über die Tätigkeit studiert, wird sehen, daß jene Zeugen Jehovas, die hinter dem Eisernen Vorhang wirken, ebenso schwer arbeiten, wenn nicht noch schwerer, und sie erzielen bessere Ergebnisse beim Einsammeln ... als die Christen, die im Westblock der Nationen oder in neutralen Ländern leben ... Für die acht Länder hinter dem Eisernen Vorhang ist eine Zunahme von 21 Prozent in der Zahl derer zu verzeichnen ... während der Durchschnitt für die ganze Welt 9,9 Prozent beträgt."

Die Studie von Andre Gusky

Exkurs:

"CV" Made in Polen

Polen hatte schon immer eine "Außenseiterrolle" innerhalb des kommunistischen Staatenblocks gespielt. Man muß da keineswegs auf den vormaligen Polenpapst Woityla hinweisen. Grundsatz kommunistischer Kirchenpolitik war es, dass die Partei bestimmte wieviel "Lebensraum" denn den Kirchen gerade mal noch eingeräumt würde. Abschreckende Beispiele dabei: Albanien und die Sowjetunion. Da bestand der "Lebensraum" in einer fast fest zugezogenen Schlinge um den Hals, die zwar gerade noch (in der Sowjetunion) etwas Luft zum weiterleben holen gestattete. In Albanien auch noch nicht einmal das.

Gemessen an sowjetischen Verhältnissen lebten die Christen in Ungarn und der DDR geradezu komfortabel, während man selbst spartanisch dahinvegetierte. Aber geradezu im "Paradies" lebten in diesem Vergleich die Christen in Polen. (auch wenn die Betroffenen es so selbst nicht gesehen haben. Man muss zu dem Urteil im Vergleich bewertet, kommen).

Eine eigene Universität in Lublin nennt die katholische Kirche ihr Eigentum. Etwas was in keinem der anderen kommunistischen Staaten auch nur denkbar gewesen wäre. Umfangreiche Zeitschriften mit kirchlicher Trägerschaft, gab es in Polen auch. Sogar Illustrierte befanden sich darunter. Kennt man die Szene der kirchlichen Zeitschriften in der DDR (nicht selten 8 Seiten Blätter (Umfang) und kein Blatt mehr, von den Auflagenhöhe-Beschränkungen erst gar nicht zu reden, dann wirken dagegen die kirchlichen Zeitschriften in Polen fast vom Format so wie etwa heutige Politik-Journale von der Sparte "Spiegel" und Co.

Schon Ende der fünfziger Jahre partizipierten auch aus der Russell-Bewegung abstammende Splittergruppen (vergleichbar dem deutschen "Tagesanbruch" und der "Christlichen Warte") davon. Sie gaben in Polen auch ihre umfänglichem Journale heraus. Egal ob es sich nun um "Swit", die "Terazsniegsza Prawda" oder "Na Strazy" handelte.

Eine Auseinandersetzung mit den Zeugen sucht man in diesen Blättern aber in der Regel vergebens. Das ist auch beim deutschen "Tagesanbruch" und Co auch nicht anders.

Relativ spät, etwa um 1977 begann ein sich selbst als Journalist bezeichnender Herr, namens Josef Wereski, die deutsche CV nachzuahmen. Im Gegensatz zu Herrn Hirch, der auch bei Wereski einen "Geheimdienstlichen Hintergrund" unterstellt, teile ich diese Meinung nicht. Wereski hat sich meines Wissens auch nie auf das Gebiet verirrt, angeblichen "religiösen Antikommunismus" zu brandmarken, was ja das zweifelhafte "Markenzeichen" der CV war. Es ist also etwas zu billig, die Schrift des Wereski pauschal mit der CV gleichzusetzen. Außerdem ist er ein paar Nummern kleiner gestrickt als die CV.

Bei seinem 'Brief an Christen' oder 'List do Chrzescijan' handelt sich jeweils um einen doppelseitig in Maschinenschrift geschriebenen DIN A 4-Bogen mit einer Auflage von 2 000

hektographierten Exemplaren. Diese doch relativ niedrige technische Niveau, hatte die CV schon lange nicht mehr nötig.

Gleichwohl ist jegliche sich artikulierende Opposition zum Alleinvertretungsanspruch der WTG, für letztere ein Ärgernis. Daher trifft der Hirch'sche Bannstrahl auch den Herrn Wereski und seine Periodikum "Brief an Christen".

Auch Wereski beobachte aufmerksam die Geschehnisse die sich da in Brooklyn um Raymond Franz abspielten. Und man muss hinzufügen. Auch er publizierte darüber schon zu einem Zeitpunkt, wo die deutsche Übersetzung des Raymond Franz-Buches aus dem Claudius-Verlag, noch n i c h t erschienen war.

Sehr zum Ärger der WTG-Apartschicks und besonders dessen Apologeten Herrn Hirch, standen sowohl die CV als auch Wereski im gegenseitigem Kontakt.

In der CV 198 nun druckt die CV einen Eigenbericht des Wereski nach, den letzteren offenbar über seine auch vorhandenen Kontakte in den USA, erreichte.

Nachstehend der diesbezügliche Text:

Schwester Marie schreibt aus dem Bethel Brooklyn:

Über die Atmosphäre der Falschheit, Lüge und Verdächtigung im Bethel.

Jeder verdächtigt den anderen, jeder hat Furcht vor dem anderen. Während der Abwesenheit sind die Zimmer durchsucht von Ältesten und vertraulichen Personen, die von der LK ausgewählt wurden. In unserem Zimmer im Bethel wurden geheime Abhörgeräte installiert und unsere Gespräche sind auf Band aufgenommen. Letztens hat man auch Kameras versteckt, nicht nur im Zimmer, sondern auch in Bad und Toilette, um uns auf jedem Schritt zu beobachten.

Alle unsere Notizhefte, Privatbriefe sind geheim kontrolliert worden und kopiert worden. Wir wurden zu Verhören gerufen, die oft viele Stunden dauerten. Dort dienen als letzte endgültige Beweise Kassetten von Abhörgeräten und die Bilder versteckter Kameras und die Kopien von Privatbriefen. Furchtbar ist das alles. Um irgendwo anzurufen, braucht man eine spezielle Genehmigung, und um diese spezielle Genehmigung zu bekommen, muß man genau sagen, zu wem man anruft usw. Das Gespräch ist auf Tonband aufgenommen. Genehmigung ist sehr schwer zu bekommen. Jeder ist verdächtig, geheime Verbindung mit Brüdern zu haben, die zusammen mit dem Neffen von Präsident Franz, Raymond Franz, das Bethel verlassen haben.

Sie haben erkannt, daß die Zentrale der ZJ in Brooklyn ein Sitz ist für Schimpf auf Jehova und die Leitung besteht aus Karrieristen. Wir sind alle geistig mit diesen Brüdern und mit allen, die zusammen mit ihnen Brooklyn verlassen haben. Sie haben recht, alle Lehren der LK, die sie questioniert haben, sind falsch und in Widerspruch mit der Bibel und mit der Vernunft.

Wir sind in Geist und Glaube zusammen mit diesen Brüdern und wir würden auch weggehen, aber materielle Verhältnisse, Alter, kein Haus, keine Familie, das zwingt uns hierzubleiben, in Widerspruch zu unserem Gewissen.

Wir glauben nicht den WT-Lehren.

Nach eigener Methode beten wir geheim zu Gott und nur er weiß, daß wir ihn ehrlich loben und das, was wir hier machen für den WT und die Zentrale der Zeugen Jehovas, tun wir durch den Zwang der Umstände und nicht aus eigenem Willen.

Jehova sieht das alles und er weiß, wie es mit uns im Bethel ist.

Wir arbeiten hier am WT. Wir arbeiten, weil wir müssen, weil uns ein solches Schicksal getroffen hat. Wir arbeiten, um zu leben, um miserable Speise zu bekommen. Euch zwingt nicht solche Notwendigkeit. Ihr habt Freiheit, macht richtigen Gebrauch davon und wählt die Lehre der Bibel, nicht die widerspruchsvollen und tendenziösen und immer sich verändernden Lehren des WT.

Glaubt uns, Brüder und Schwestern, der WT hat nichts gemeinsam mit der Bibel.

Wir grüßen Euch, Brüder und Schwestern und wir verbleiben mit besten Gottessegen und Wünschen.

Veröffentlicht in "Brief an Christen"

Nr. 130 Lublin/VR Polen.

„Rot-China"

„Erwachet!" vom 22. 5. 1959 meldet unter Berufung auf eine in Hongkong erscheinende „Morning Post" vom 17. 10. 1958:

„Radio Peking hat heute bekanntgegeben, daß China im Anschluß an die Verhaftung von zwei britischen Missionaren die religiöse Bewegung der Zeugen Jehovas verboten hat."

Und namentlich werden genannt Stanley Ernest Jones und Harold George King, welche seit 1947 „zwei Jahre bevor die Kommunisten Schanghai einnahmen nach China gesandt wurden", als Absolventen der WTG-Gileadschule.

Zusammen mit ihnen seien drei chinesische Zeugen Jehovas unter Anklage gestellt worden.

Wie nicht anders zu erwarten, ist die WTG ob solcher Meldungen nicht erfreut darüber. Und in bekannter Manier, wird denn auch den Chinesischen Kommunisten die „Vernichtung" als Strafe dafür angedroht.

Jetzt einen Zeitsprung vornehmend, kann man aber sagen, dass auch das Martyrium des Herrn Jones eines Tages sein Ende fand, worüber ja auch ein wirkungsvoll in Szene gesetzter „Wachtturm"-Artikel vom 1. 2. 1966 berichtet.

Passim auch von Raymond Franz zitiert.

Mysnip.3323

Eigens eine eigene Veranstaltung im New Yorker Yankee-Stadion, mit anschließender wirkungsvoller Vermarktung im „Wachtturm" bekam Herr Jones dafür als Lohn von der WTG kredenzt.

Da konnte eigentlich der auch für die WTG-Interessen in Ostdeutschen Gefängnissen einsitzende Fritz Adler, nur vor Neid erblassen.

Herrn Adler, sieht man von einem Aufsatz des Herrn Dirksen mal ab,  war die WTG keinen eigenen Artikel im „Wachtturm" wert.

Erst recht nicht eine eigens zu seinen Ehren einberufene Jubelveranstaltung. Statt dessen dürfte er noch in einem Alter, dass man gemeinhin dem Rentneralter zurechnet, für die WTG eine Schreddermaschine betätigen, denn so die WTG-Logik „unnütze Esser" könne man halt nicht gebrauchen.

Und dies trotz des Umstandes, dass Herr Adler einst den Kommunisten den im WTG-Sinne doch wirkungsvollen Satz entgegengeschleudert hatte, wie er sein auf lebenslänglich lautendes Gerichtsurteil zur Kenntnis nehmen musste:

„Meine Herren, sie meinen wohl ein Jahr ..."

Es wurde dann wohl nichts aus dem „nur einen Jahr", wäre da ergänzend hinzuzufügen.

Und davor hatte Adler schon den Kommunisten ins „Stammbuch" geschrieben: (Zitat auch bei Schilling; nebst Zitat im „Uraniabuch")

„Der Bezirksprediger Friedrich Adler bezeichnete daraufhin die Maßnahmen der Polizei in einem Protest-Telegramm an Ministerpräsident Grotewohl

Als "parteidiktatorischen Terror", der "die demokratische Verfassung zu einem Fetzen Papier" mache."

Dabei war Herr Adler zudem Doppelverfolgter. Also schon das Naziregime bereitete ihm ein ähnliches Schicksal. Insgesamt 25 Jahre musste er im Gefängnis in beiden Regimen absitzen. Da kann wohl auch der Herr Jones kaum mit konkurrieren.

Eigentlich Grund genug ihm eine ähnliche Würdigung wie im Falle Jones zuteil werden zu lassen.

Nichts von alledem. „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan - Der Mohr kann gehen."

Da hatte Herr Jones wohl etwas mehr Glück.

34708 Personen durften sich Im Yankee-Stadion Herrn Jones Vortrag anhören, der wie der WT titelt unter dem Motto stand:

„Stark im Glauben trotz sieben Jahre Gefängnis in Rotchina".

Und nicht nur jene 34708 waren als Zuhörer eingeladen. Als Zuschlag gab es dann noch die Dokumentation selbiger Veranstaltung, via „Wachtturm" für dessen weltweite Leserschaft.

Und im dem internen Blatt „Königreichsdienst") für Oktober 1960 gab es dazu noch die Kurznotiz:

„Zwei Missionare, Stanley Jones und Harold King, sind unter Falschanklage von "Spionage und antirevolutionärer Betätigung unter dem Deckmantel ihrer Predigttätigkeit" zu 7 bzw. 5 Jahre Gefängnis verurteilt worden. Sie wurden am 16. Oktober 1958 verhaftet, nachdem sie von Juni 1947 an in Shanghai gedient hatten. Diese Nachricht ist bis jetzt geheimgehalten worden."

Und wie die CV Nr. 9 via einer UPI-Meldung zitiert, sei der mitgenannte Harold King, nach Viereinhalb Jahren Haft von den Chinesen entlassen worden. Herr Jones musste also länger dort verbleiben.

Bis heute indes, ist das Volkreiche China, weiterhin ein „weisser Fleck" auf der WTG-Landkarte. Taiwan hingegen kann man ja nicht im gleichen Atemzuge nennen, dieweil dort andere politische Rahmenbedingungen herrschen.

Sicherlich träumt man in den höheren WTG-Etagen davon, analog zum Zusammenbruch des klassischen Ostblocks, dass chinesische Festland auch noch im WTG-Sinne zu „beglücken".

Was morgen oder übermorgen vielleicht noch sein mag oder auch nicht sein mag, ist nur schwer vorauszusagen. Ausgehend vom Stande des Jahres 2008, ist die WTG in China jedenfalls noch nicht an ihr Ziel gelangt.

Herr Webster jubelt

Gelesen in der Rubrik „Mein Lebensziel verfolgend" des „Wachtturms" vom 1. 4. 1959

„Dann kam Pearl Harbor, der Krieg, die Aushebung. Ich war jetzt in Helena (Montana), und auch hier konnte ich wieder sehen, wie die Hand Jehovas über seinen tätigen Dienern war. Viele meiner Freunde aus den Versammlungen der Zeugen brachten jene Jahre im Gefängnis zu, wohingegen mein Name auf der Liste der Vollzeitdiener stand, die von der Regierung der Vereinigten Staaten vom Wehrdienst befreit waren. Ich befand mich also in Freiheit und hatte das Vorrecht, den Sondervertreter der Gesellschaft, A. H. Macmillan, bei seinem Besuchen in einem Gefangenenlager im Staate Washington mehrmals zu begleiten.

Jener Macmillan, von Russell halb schon als „Kronprinz" erkoren, der aber rechtzeitig erkannte, Rutherford ist ein paar Nummern Cleverer, und daher dem Rutherford'schen Aufstieg nicht im Wege stand.

Solcherlei WTG-"Honoratioren" und ihrer Stiefellecker, sind also dem amerikanischen Staat der Privilegierung wert, was dann ja wohl auch für sich spricht.

Herr James O. Webster, wen wundert's gehörte folgerichtig dann zu den Absolventen der WTG „Gileadschule" um seine WTG-Karriere dann als Zweigaufseher für Kolumbien fortzusetzen.

Das kennt man ja auch hierzulande. Einheimische sind in WTG-Sicht, wenn es um die Besetzung von Führungsposten geht, eher „zweite Wahl".

Erste Wahl für die WTG hingegen ist, wer auch über einen US-Amerikanischen Pass verfügt, denn am amerikanischen Wesen, soll ja die „Welt genesen".

„Dann müssen Sie eben nach Schweden gehen"

Im Kontext der auch hierzulande zeitweise rigoros gehandhabten Praxis gegenüber Wehrdienstverweigerern, ist auch der markige Spruch eines Bundesrepublikanischen Richters gegenüber einen der „Deliquenten" überliefert:

Zitat:

„Nach einem Gerichtsbericht der "Süddeutschen Zeitung" antwortete der Vorsitzende auf den Hinweis des Angeklagten dass die "Zeugen Jehovas" in Schweden auch vom Ersatzdienst befreit seien:

"Dann müssen sie eben nach Schweden gehen - bei uns herrschen andere Gesetze."

Mysnip.10657

Im Jahre 1967 notierte „Erwachet!" (Ausgabe vom 8. 1.) einmal zu dieser Thematik:

„In Schweden hat man Zeugen Jehovas, die zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurden, weil sie den Wehrdienst verweigerten, schon seit einigen Jahren anders behandelt als andere Gefangene. Sie sind in einem Gefängnis untergebracht worden, in dem es weder Wachen noch Mauern, noch Zäune gab und in dem alle Gefangenen Zeugen Jehovas waren."

Also demzufolge erwiesen sich die sprichwörtlichen „Schwedischen Gardinen", als ziemlich durchlässig.

Weiter las man in diesem „Erwachet!"-Artikel:

„Damit der Leser die Lage richtig versteht, möchten wir erwähnen, daß in Schweden allgemeine Wehrpflicht besteht. Jeder Schwede der tauglich ist, ist wehrdienstpflichtig; diese Pflicht dauert vom 18. bis zum 47. Lebensjahr und umfaßt die Grundausbildung und Dienst während einer bestimmten Zeit.

Ist es einer Person aus Gewissensgründen nicht möglich, Wehrdienst mit der Waffe zu leisten, so kann sie sich für den Dienst ohne Waffen, der jetzt "waffenloser" Dienst genannt wird, bewerben. Seit dem Jahre 1943 bestand dieser Dienst vorwiegend in Waldarbeiten oder anderen Arbeiten in Verbindung mit staatlichen Projekten, doch stand eine solche Person immer noch unter Kriegsrecht. Aber Jehovas Zeugen in Schweden lehnten ... nicht nur den Wehrdienst, sondern auch den waffenlosen Dienst als Ersatz für den Wehrdienst ab."

Mit letzterer Aussage ist dann wohl auch deutlich. Auch in Schweden bestand ein entsprechendes Konfliktpotential.

Nach einigem Hin und Her, kam man dann schlußendlich in Schweden zu dem Ergebnis:

"Somit werden Jehovas Zeugen in Zukunft nach einer Untersuchung jedes einzelnen Falles von der Wehrpflicht befreit werden, indem man sie einfach nicht einberuft."

Und siehe da, selbst die späte DDR praktizierte ab 1985 ähnliches. Allerdings, einen wesentlichen Unterschied gibt es dabei schon. In Schweden gab es darüber eine öffentliche Debatte. In der DDR nur die als Geheime Verschlusssache gehandhabte Praxis.

Immerhin gab es auch im Falle Schweden einen längeren „Vorlauf" in der Sache. Über selbigen berichtete auch „Erwachet!" schon in seiner Ausgabe vom 22. 2. 1959. Man erfährt, dass es dazu eigens eine thematische Debatte im Schwedischen Reichstag am 16. 4. 1958 gab.

Allerdings, jene 1958er Debatte brachte den Zeugen Jehovas noch nicht, das für sie günstige, spätere Ergebnis.

Weiter las man in jenem Artikel:

„Ob schon Schweden seit über hundertvierzig Jahren keinen Krieg mehr geführt hat, besteht in diesem Lande seit siebzig Jahren die allgemeine Wehrpflicht. Die Dienstverweigerer aus Gewissensgründen werden, nachdem sie ein Geistlicher verhört hat, zum zivilen Ersatzdienst eingeteilt. Ihre Dienstzeit ist jedoch doppelt so lang wie die Dienstzeit jener, die Wehrdienst tun. Und das alles in Friedenszeiten."

Dann ist offenbar doch das Pendel in Schweden noch umgeschlagen. Auch in Schweden erwies sich ja die Verweigerung auch von Ersatzdiensten, als der wesentliche Knackpunkt.

Zitiert wird bezüglich der Reichstagsdebatte im 1959er „Erwachet!"-Artikel auch noch der nachfolgende Passus:

„Ein Pfarrer von einer Freikirche, der auch Mitglied des Parlaments ist, erklärte, er sei mit der Idee, die im Antrag zum Ausdruck komme, einverstanden; dennoch zitierte er aus dem 'Wachtturm' Stellen, die besagten, daß die Politik zu der alten satanischen Ordnung der Dinge gehöre, und rief dann aus:

'Diese Kammer, in die wir gewählt wurden, gehört also auch zur Organisation des Teufels!' ... Die Abstimmung ergab 127 Neinstimmen und 74 Jastimmen.

Obschon der Antrag (Liberalisierung für die Zeugen Jehovas) durchgefallen war, rief die Sache in der Öffentlichkeit, wie dies aus mehreren Zeitungsartikeln hervorging, ein starkes Echo hervor. ...

Zum weiteren Verständnis mag es „erhellend" sein, auch einen Blick auf die Sachlage in der Bundesrepublik Deutschland, ab etwa 1962 zu tun.

Unter den diesbezüglichen Dokumenten in der Juristischen Literatur, ragt vielleicht besonders der Band 19 der „Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts" hervor (welcher 1966 erschien). Er ragt vielleicht deshalb hervor, weil in ihm auch noch von einem zweiten Zeugen Jehovas-bezüglichen Vorgang mit berichtet wird.

Und zwar das Thema Kongressverpflegung (der Zeugen Jehovas).

Da hatte also verspätet die Finanzbürokratie entdeckt. Die Zeugen Jehovas kaufen die Zutaten für die dann noch selbst hergestellte Kongressverpflegung, zu Großhandelspreisen ein; gäben dann aber die Fertigprodukte mit einem entsprechenden Gewinnaufschlag, dann während der Veranstaltung ab.

Nun soll das ja auch andernorts so üblich sein, was ja nicht zu bestreiten wäre.

Aber, und das war eben der „Knackpunkt" für die Finanzbürokratie. Bei Durchsicht der Steuererklärungen der WTG, wurden diese Gewinne nicht ausgewiesen.

Ergo bekam die WTG eine saftige Nachzahlung (gleich für etliche vorangegangene Jahre mit) aufgebrummt. Und diese Summe war mit Sicherheit nicht klein.

Dieses nun suchte die WTG in mehreren Verfahren, juristisch abzuwenden; mit wenig Erfolg. Schlußendlich landete der ganze Vorgang als Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht im Jahre 1965.

Nun stellte sich insbesondere ein Aspekt mit heraus, auf den die WTG sich auch im besonderen berief.

Die Kirchen mit dem Status als „Körperschaft des öffentlichen Rechts", seien von Abgaben dieser Art befreit; und die WTG begehre daher Gleichbehandlung. Zum Leidwesen der WTG gab auch das Bundesverfassungsgericht diesem Antrag nicht statt. Zwar bestätigte man die Privilegierung der anderen die den KdöR-Status besässen. Bestand aber darauf; solange die WTG diesen nicht hat, könne sie auch nicht an ihm gekoppelte Privilegien in Anspruch nehmen. Und in dem diesbezüglichen Urteilstext las man auch den Satz:

Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie könne die Körperschaftsrechte jederzeit erlangen, lehne es nur aus Gründen des Glaubens und ihrer religiösen Überzeugung ab, einen entsprechenden Antrag zu stellen, der die Verleihung der Körperschaftsrechte und damit die Umsatzsteuerfreiheit zur Folge habe."

Wie man weis hat die WTG erst nach 1990 ihre diesbezügliche Position drastisch verändert.

Warum stellte man solch einen Antrag nicht schon 1965, da man doch schon damals der Meinung war den KdöR-Status jederzeit erlangen zu können, es aber „aus Gründen des Glaubens und ihrer religiösen Überzeugung" ablehne?

Man wird die Antwort auf diese Frage auch dergestalt suchen und finden müssen, indem man die weitverbreitete Beschäftigung Bundesdeutscher Gerichte zu just jener Zeit, mit Zeugen Jehovas-Angelegenheiten, mit in die Betrachtung einbezieht.

Was waren das für Angelegenheiten.

Kurz gesagt. Die Verweigerung von Ersatzdiensten für den Wehrdienst, durch die Zeugen Jehovas. Das waren nicht einzelne „Ausnahmefälle". Das war Juristischer Alltag in jenen Jahren.

Und eben in jenem genannten Band 19 der „Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts" wird solch ein exemplarischer Fall vorgestellt.

Der landete schlußendlich auch vor dem Bundesverfassungsgericht. Bis es 1965 dann soweit war, gab es allerdings einige Vorstufen.

In diesem Fall die:

Der Fliesenleger G. vor Gericht vertreten durch seine Rechtsanwälte, wurde am 30. Juli 1962 vom Landgericht Memmingen, zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten verurteilt.

Er war zwar als Wehrdienstverweigerer durch die Prüfungsausschüsse, zuvor ausdrücklich als solcher anerkannt. Dies aber würde ihn nicht automatisch auch dazu berechtigen, verordnete Ersatzdienste gleichfalls ablehnen zu dürfen. In diesem Fall war er aufgefordert worden, seinen Ersatzdienst in dem staatlichen Erziehungsheim Sinsheim anzutreten.

Er kam dieser Aufforderung nicht nach, deshalb die schon genannte gerichtliche Verurteilung als Folge davon.

Offenbar war dem Delinquenten das ganze einen weitergehenden Rechtsstreit wert, denn schon am 26. Oktober 1962 gab es ein weiteres Gerichtsverfahren in der Sache. Diesmal vor dem Landgericht Stuttgart. Auch das entschied wieder zu seinen Ungunsten.

Er wollte es aber immer noch weiter wissen, und schlug auch den nächsten noch möglichen Schritt ein (seine Rechtsanwälte wird es sicherlich gefreut haben, angesichts der damit verbundenen Honorarforderungen für sie).

Diesmal fand die Verhandlung in derselben Sache am 8. Februar 1963 vor dem Oberlandesgerichts Stuttgart statt. Auch das entschied wieder zu seinen Ungunsten.

Damit war dann wohl die juristische Schiene erst mal weitgehend ausgereizt. In Absprache mit seinen Anwälten (und ohne die geht es in dieser Dimension nicht), wurde noch der Weg eingeschlagen, eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzureichen, welche am 4. Oktober 1965 zur Verhandlung kam.

Und auch in diesem Verfahren bekam er dann als Ergebnis vom Bundesverfassungsgericht mitgeteilt:

Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich unbegründet, da der Beschwerdeführer nicht zur Verweigerung des Ersatzdienstes berechtigt ist."

Das alles weil ihm der Dienst in einem Erziehungsheim, als Folge der WTG-Doktrinen, nicht zusagte. Wer in etwa eine Vorstellung davon hat, was diese insgesamt vier Gerichtsinstanzen an auch finanziellen Kosten für den Kläger bedeuteten, mag sich dann ja diese Frage noch selbst beantworten.

Einen Auszug (die Buchausgabe ist umfänglicher) des vorzitierten letzten Falles gibt es auch Online:

DFR - BVerfGE 19, 135 - Ersatzdienstverweigerer

Nanda Herbermann

Wo Schatten ist, soll es auch Licht geben. Gemäß der Konzeption dieser Serie, das jeweilige Jahr als Ausgangspunkt zu nehmen, sei auf einen 1959 erschienenen Erlebnisbericht hingewiesen. Jener von Nanda Herbermann „Der gesegnete Abgrund. Schutzhäftling Nr. 6582 im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück".

Frau Herbermann agierte zeitweilig auch als Sekretärin des Jesuitenpeters Muckermann.

Es pfeifen die „Spatzen von den Dächern", dass je länger je mehr, auch Vertreter der katholischen Kirche in ernsthafte Konflikte zum Naziregime gerieten, was denn auch in diesem Fall zutrifft.

Folgt man einer Webseite

http://www.franziskanisches-zentrum.de/Archiv/05_Oktav/2005_16_Predigt_Schmid.pdf

so belief sich die Zeit ihres zwangsweisen Verbleibens im KZ auf „nur" 1 ½ Jahre. Indes lernte sie in dieser Zeit auch dort inhaftierte Zeuginnen Jehovas kennen, und zollt ihnen in ihrem Erinnerungsbericht durchaus Respekt. Respekt auch dann noch, wenn wie sie ja selbst sagt, sich deren Grundsatzauffassung nicht zu eigen machen kann.

Man kann sich allerdings des Eindruckes nicht erwehren, dass dieses Respekt-Erweisen wohl eher einer Einbahnstraße gleichkommt.

Jedenfalls sind Beispiele des Respekt-Erweisens in der umgekehrten Richtung, wohl eher dünn gesät.

Es mag sie im Einzelfall durchaus geben. Auf der Ebene der Publikationen der eigentlichen Wachtturmgesellschaft, wohl eher nicht.

Wie auch immer, nachstehend (im weiteren unkommentiert), einige der einschlägigen Aussagen aus dem Bericht von Frau Herbermann:

„Wenn ich an einen Tag im Lager zurückdenke, dann steigt mir noch jetzt der heiße Zorn hoch und die Fäuste ballen sich vor Empörung. Es war im Sommer. Der gesamte Block der Bibelforscher sollte für den Kommandanten und für die SS-Siedlung, die dem Konzentrationslager vorgelagert war, Luftschutzkeller bauen. Diese Arbeit wurde von dem niederträchtigen Kommandanten Kögel gerade den Bibelforschern übertragen, weil er wußte, daß in ihren Statuten jegliche Arbeit für Kriegszwecke strengstens untersagt ist. Er wollte sie dazu zwingen. Aber allesamt verweigerten sie standhaft die Ausführung dieses Befehles. Der Kommandant, zum Äußersten gereizt, ordnete für jeden Bibelforscher zehn Stockhiebe an. Alle mußten antreten zum Strafempfang. Ich sehe noch diese Prozession der meist alten, lieben Mütterchen. Sie waren als Gesamtheit, das sei ihnen zur Ehre gesagt, die angesehensten, friedlichsten, hilfsbereitesten und geduldigsten Häftlinge im ganzen Lager. Nun wurden sie wie eine Horde Vieh zur Schlachtbank getrieben, in diesem Fall zum Bock, auf den sie der Reihe nach geschnallt wurden. Jede Gefangene wurde zur Austeilung der Strafe mit Lederriemen am Bock angeschnallt, und dann ging es los, der Reihe nach. . . .

Sie aber beteten, still und ergeben. Heroisch haben sie sich gehalten, standhaft diese zehn Stockhiebe für ihren "Glauben" entgegengenommen. Als sie hernach aus dem Zellenbau wieder hinaustraten, versuchten sie, Haltung zu bewahren, so gut es ging. Viele von ihnen schlichen, gekrümmt und gebeugt vor Schmerz, mit ihren geschändeten, alten Körpern dahin. Es waren unter ihnen manche Frauen von sechzig Jahren und darüber. Ich dachte an meine Mutter. Und sie waren doch fast alle Mütter, deren Söhne zum großen Teil an den Fronten kämpften. — Aber was fragte der bestialische Kommandant mitsamt seinen gemeinen SS-Henkern darnach? Was fragte Herr Heinrich Himmler darnach? Manche der alten Mütterchen haben diese Schläge nicht überstanden.

Mit einigen aus ihnen unterhielt ich mich etliche Tage später. Ich fragte sie, ob sie noch große Schmerzen hätten? Sie lächelten still, aber in ihren Augen funkelte doch das Feuer der Empörung über die Schande, die ihnen und ihren "Schwestern" — so nennen sich die Bibelforscherinnen untereinander — angetan worden war. Ich persönlich habe die Bibelforscher, mit deren Anschauung im übrigen ich mich bestimmt nicht einverstanden erklären konnte, sehr geachtet. Sie verstanden wahrhaft zu lieben und zu leiden. In der Baracke der Bibelforscher gab es nie Zank und Hader, da gab es keinen Diebstahl und keinen Verrat, wie in so manchen anderen Blocks, vor allem im Block II. Immer waren sie gut und bescheiden, zu jedermann freundlich.

Hier muß ich noch erwähnen, daß an diesem Tage, da der Kommandant mit seinen Helfershelfern und -helferinnen sich die Arme bereits lahm geschlagen und die Genugtuung über diese unbegrenzte Macht über Leib und Leben seiner Opfer überreich gekostet hatte mit dem Inspektor — diesem Scheusal! - in dem Block VI der Berufsverbrecher erschien und die dort untergebrachten Gefangenen fragte, wer aus ihnen sich freiwillig zum weiteren Schlagen der Bibelforscherinnen meldete. Er versprach ihnen für ein paar Wochen besseres Essen und den Vorteil für einige Zeit nicht arbeiten zu müssen. Zwei junge kräfttige, weibliche Mitgefangene haben sich wahrhaftig zu dieser Schandtat freiwillig bereiterklärt. Nie hätte ich das selbst nicht bei den verkommensten Häftlingen für möglich gehalten. Aber auch diese Tatsache beweist, unter was für Subjekten wir leben mußten.

Das ganze Lager war schon über die Anordnung des Kommmandanten voller Empörung. Als nun aber noch diese beiden erbärmlichen Kreaturen sich zum Schlagen meldeten, da rasten sämtliche Häftlinge vor ehrlicher Entrüstung und schworen den beiden Berufsverbrechern Rache. Sie konnten sich nach Austeilung der Stockhiebe auf der Lagerstraße und im eigenen Block nicht mehr sehen lassen, wurden angespuckt und geschlagen, ja die Dirnen und Berufsverbrecher fielen über sie her uund verprügelten sie gründlieh, daß sie Zuflucht zur Oberaufseherin nahmen. Das Endresultat war, daß die Zwei für einige Zeit in den Zellenbau wandern mußten, wo sie besonders gut behandelt wurden und Licht und Essen zur Genüge bekamen. Meine Dirnen aber, die sich an der Schlägerei beteiligt hatten, erhielten Dunkelarrest und Stockhiebe und mußten dann noch ein Jahr in den Strafblock wandern. Nie wieder habe ich die Häftlinge unserer Baracke in so tiefer Erregung gesehen wie an diesem verhängnisvollen Tage. ...

Zweier guter Häftlinge, mit denen ich in den letzten Monaten Tag für Tag zusammenkam, möchte ich noch gedenken. Es waren Bibelforscherinnen, beides Mütterchen in weißem Haar von nahezu siebzig Jahren. Sie hatten ihren Mann und ihre Kinder verlassen und waren für ihren "Glauben" in das Konzentrationslager gewandert und lebten hier über ein Jahrzehnt lang ein erbärmliches, doch heldenhaftes Leben. Stets waren sie sanftmütig und freundlich. Die Arbeit dieser beiden bestand darin, die Büros der Oberaufseherin, den Appellraum der Aufseherinnen, die Korridore, Toiletten der Büros usw. sauber zu halten.

Schon aus Interesse redete ich mit ihnen häufig über ihren "Glauben". Es mußte doch etwas daran sein, daß sie, die jeden Tag ein Formular mit ihrer Austrittserklärung aus der Sekte der Bibelforscher nur hätten zu unterzeichnen brauchen, um dieser Hölle zu entgehen, so stark an ihrer Auffassung festhielten. Diese vorgedruckten Scheine lagen zu Hunderten im Büro der Oberaufseherin und wurden und wurden nicht weniger. Kaum je hat eine der Bibelforscherinnen ein solches Formular unterschrieben.

Ich persönlich erinnere mich nur an zwei Fälle, an zwei junge Holländerinnen, die ihre Austrittserklärung unterzeichnet haben. Soviel ich auch gegen ihre Ansicht und ihren Glauben einzuwenden hatte, sie blieben fest in ihrer Anschauung, von der sie nichts preisgaben, für die sie freiwillig Übermenschliches noch im hohen Alter ausstanden.

Irgendwie waren sie primitiv, und ihre Anschauungen hielten durchaus nicht Schritt mit dem Leben in der ruhelosen Welt da draußen. Doch bibelfest waren sie, ließen aber meine Einwendungen gegen diese und jene Stelle ihrer Bibel überhaupt nicht gelten und waren dabei so hartnäckig, daß man sich mit ihnen nicht sachlich auseinandersetzen konnte.

Aber heiter blieb ihr Gemüt, und so wohlgemut wie diese Bibelforscher waren wenige Häftlinge im Lager. Ein Gottvertrauen beseelte sie, das Berge versetzen konnte. Bei ihnen in der Baracke gab es keinen Streit, keinen Neid, keine Mißgunst, auch nicht den unwürdigen Verrat der Häftlinge untereinander. Das eine der Mütterchen, aus Schwaben stammend, war so leutselig, hatte ein frisches, gütiges Greisenantlitz und lichte, lebendige Augen, die trotz allem Grauen noch lieb und heiter strahlen konnten. Wenn sie mich sah, rief sie "Nannerle!" — Ihre Kameradin war im Gegensatz zu ihr recht kränklich und verfallen; die lange Haft hatte ihr alle Kraft genommen. Aber auch sie hatte diese wunderbare Haltung, obwohl man merkte, daß ein tiefer Gram sie ganz aufzehrte. Einmal fand ich sie weinend in einem verborgenen Eckchen sitzend, vor sich hinbetend: "O Gott, hilf mir! Hilf meinen Kindern!"

Mir tat dieses einsame Mütterchen so leid. Man konnte nicht helfen. Doch gab ich ihr, die stets unter großem Hunger litt, am Abend aus einem gerade eingegangenen Päckchen ein ansehnliches Stück Kuchen. Da klärten sich ihre traurigen Züge für einen Augenblick ein wenig auf.

William Schnell

Zu den Büchern die 1959 erstmals erschienen und sicherlich auch heute noch der Beachtung wert sind, gehört auch das 1959 in deutscher Übersetzung vorgelegte Buch des William J. Schnell „Falsche Zeugen stehen wider mich - 30 Jahre Sklave des Wachtturms".

Waren die thematischen Schriften der davor liegenden Jahre, meist geprägt von den Kriterien religiöser oder politischer Konkurrenz. Also bis auf den Ausnahmefall Sadlack (der zudem keinen regulären Buchhandelsvertrieb errreichte), also Voten Außenstehender.

Hier aber mit dem Bericht des W. J. Schnell wird erstmals ein „Insiderbericht" der breiteren Öffentlichkeit vorgestellt.

Auch der durch sein damaliges konfessionskundliche Standardwerk „Seher Grübler Enthusiasten" bereits bekannte Kurt Hutten, widmete in Heft 24/1959 des „Deutschen Pfarrerblattes" diesem Schnell-Buch eine Rezension. Sie sei nachfolgend vorgestellt:

„Der deutschamerikanische Verfasser war nach dem ersten Weltkrieg Mitglied der Ernsten Bibelforscher in Berlin geworden und 1924 in das Magdeburger Traktathaus gekommen.

1927 führte ihn sein Weg in die USA. Hier wurde er als Pionier, Versammlungsdiener, Sonderverkündiger, saß eine Weile in der Personalabteilung der Zentrale und brachte es bis zum Zonendiener.

Aber sein Gewissen trieb ihn in einem wachsenden Konflikt, bis er 1953 die Trennung vollzog.

Sein Buch ist ein Bericht von dem, was er in diesen Jahrzehnten erlebte und beobachtete.

Es ist nicht vom Haß des Apostaten diktiert, sondern von dem Drang, die Verführten aufzuklären und die Welt zu warnen.

Hier ersteht ein aus genauester Kenntnis geschöpftes Bild von der Geschichte der „Theokratischen Organisation" seit Rutherfords Machtübernahme und von den inneren Zuständen dieser Gesellschaft, ihren Methoden der Propaganda, der Gehirnwäsche, der Gleichschaltung und Entseelung, der Aufspaltung in Klassen, des Spitzeltums - ein grausiges Bild, wie es bisher von niemand so genau, so durch Tatsachen belegt und in allen Punkten gesichert an den Tag gebracht worden ist.

In Wirklichkeit hat die „Theokratische Organisation" mit christlichem Glauben nichts zu tun, sondern ist ein aus willenlosen Sklaven oder „Zombis" gebildetes Propagandainstrument, das von einer anonymen Leitung skrupelos und mit totalitären Methoden für ihr Ziel mißbraucht wird.

Und dieses Ziel ist - die Unterwerfung der Nationen unter die „theokratische" Fuchtel der Brooklyner Diktatoren!

In jeder Gemeinde, in der Zeugen Jehovas ihr Unwesen treiben, müßte dieses hochwichtige Buch verbreitet und in Vorträgen ausgewertet werden.

Und vor allem sollte es den „Zeugen" selbst in die Hand gegeben werden. Bei einer Neuauflage müssen zahlreiche Übersetzungs- und Druckfehler beseitigt werden.

Weniger bekannt ist, dass schon etwa um 1958 von Schnell eine Deutschsprachige Schrift die in Zürich (Schweiz) erschien, vorliegt, unter dem Titel:

„Ein befreiter Zeuge Jehovas berichtet".

Sie hat selbstredend nicht Buchumfang, ist eher als Flugschrift konzipiert. Gleichwohl bietet sie aufgrund ihrer „Kürze" auch einige markante Einsichten, die in dem größeren Buch, vielleicht eher untergehen.

Aus ihr sei noch nachfolgendes zitiert:

Ich (Schnell) wurde in Jersey City, USA, 1905 geboren.

Als ich neun Jahre alt war, nahmen mich meine Eltern mit in ihr Geburtsland Deutschland, um Verwandte zu besuchen. Ehe wir zurückkehren konnten, brach der Erste Weltkrieg aus. Mein Vater, der noch nicht die amerikanische Staatszugehörigkeit hatte, wurde in die deutsche Armee eingezogen.

Der Krieg wütete nicht weit von unserer Heimat entfernt in der Nähe der russischen Grenze. Wir hörten lange Zeit nichts von meinem Vater. Doch er überlebte den Krieg. Unser Gebiet wurde nach dem Krieg an Polen abgetreten, und uns wurde bis 1921 nicht erlaubt, das Gebiet zu verlassen. Dann siedelten wir mit anderen Flüchtlingen nach Berlin über. Ich war damals 16 Jahre alt.

Als ich erst 19 Jahre alt war, wurde ich in das deutsche Hauptbüro nach Magdeburg gerufen, weil ich ein erfolgreicher Verkäufer war.

Die wachsende Kontrolle durch Brooklyn, die sich durch Zeitberichte, Verkaufsfortschrittstabellen und gebieterische Beamte äußerten, stießen mich schließlich so ab, daß ich 1927 nach Amerika zurückkehrte, um frei zu werden. Ich brachte es fertig, der Bewegung sechs Jahre lang fernzubleiben. Doch mein Vater und meine anderen Verwandten die auch nach Amerika kamen, waren aktive Mitglieder. Sie und die Führer der Gesellschaft drängten mich, zurückzukehren. Schließlich tat ich es. Ich wurde „Pionier"-Buchverkäufer in Georgia, New York und Ohio.

Als Belohnung für meinen Verkaufserfolg und den Aufbau von örtlichen „Mannschaften" von Zeugen, wurde ich 1937 von Richter Rutherford persönlich eingeladen, im Hauptbüro zu arbeiten.

Dies war wie Magdeburg organisiert, sogar was das Spionagesystem anbetrifft, das eingerichtet wurde, um Mitarbeiter, die nicht mit dem Denken der Organisation übereinstimmten, anzuklagen. Schon nach einem kurzen Aufenthalt dort bat ich unaufhörlich um eine andere Aufgabe.

1941 begann ich meinen eigenen Bücherverkauf von Bibelhilfe für Zeugen. Ich brauchte diese Sondereinnahme und ich hatte begonnen, meine Bibel wieder ohne die Auslegung des Wachtturms zu lesen. Das Hauptbüro sah meine Unabhängigkeit nicht gern und gebrauchte den Druck von Mißbilligung, dann örtlich von einem Boykott, strenger Überwachung, aufdringlicher Drohung und schließlich 1951 Entzug meiner Pionierstellung.

Ich fand, daß mein Geist und meine Gefühle so mit den Zielen und Hoffnungen des „Königreiches" verflochten waren, daß die Verdammung der Gesellschaft mich beinahe tötete. Ich litt unter einem Herzanfall, suchte Trost in Trunkenheit und verlor fast meinen Verstand.

1953, dreißig Jahre, nachdem ich meinen Willen der Gesellschaft verschrieben hatte, schrieb ich meinen ersten Brief, der diese erstaunliche Diktatur enthüllte. Der einzige Weg zum Entfliehen, sagte ich anderen Sklavenseelen, ist: Die vergiftete Literatur der Zeugen verbannen, sich direkt der Bibel zuzuwenden und Jesus Christus um volle Erlösung und Heilsgewißheit bitten.

Dann wurde mir allmählich klar, daß eifriger Dienst für die Gesellschaft meine Gemeinschaft mit Christus ersetzte. Zu spät entdeckte ich, daß ich ein gehorsamer Roboter unter der Herrschaft eines organisierten Ungeheuers geworden war - der Wachtturm-Gesellschaft.

Drehtüreffekt

Die Statistiker der WTG haben laut „Wachtturm" vom 1. 6. 1959, bezogen nur auf die USA, eine sie beunruhigende Zahl entdeckt.

Danach hätte es im Zeitraum März 1952 bis April 1957, in den USA, durchschnittlich etwa 500 Gemeinschaftsentzüge gegeben. Hingegen sei diese Zahl dann aber im Zeitraum April 1957 bis April 1958 von 500 auf 1334 als Jahresdurchschnitt angestiegen.

Man tröstet sich aber damit. Selbst jene 1334 würden noch nicht mal ein Prozent des Gesamtbestandes darstellen.

An anderer Stelle wurde das schon mal wie folgt interpretiert:

Gelesen in der CV 240

(Wiedergabe ohne inhaltliche Bewertung)

In seinen Enthüllungen über die Wachtturmgesellschaft nennt Raymond Franz für den Zeitraum von 1970 - 1979 die Zahl von 768.304 Personen, die die WTG-Organisation wieder verlassen haben. Das wären jährlich etwa 77.000.

Er kam angesichts dieser Feststellung zu dem Schluß, daß man es hier mit einer "Drehtür"-Situation der WTG zu tun hat:

Vorne rein und hinten wieder raus.

Wir wollen uns in diesem 110. WT-Jahr 1989 einmal eine Übersicht verschaffen, wie es um die WTG steht, wie viele Menschen sie schon "durchgedreht" hat.

Soweit uns die Zahlen bei der Geheimhalterei der WTG zugänglich sind, kommen wir zu einer ungeheuerlichen Feststellung, sie hat im Laufe ihrer sog. Endzeit mehr Menschen hinten wieder ausgestoßen, als sie 1988 an Verkündigern beisammen hat! -

Die Dunkelziffer der "Durchgedrehten" liegt natürlich sehr viel höher, haben wir doch immer nur bestimmte Zwischen-Einblicke in die 110 Jahre ihres Einsammelns und Wiederausstoßes. Ehe wir zu einer Wertung dieser "Drehtür"-Situation kommen, wollen wir uns die Zahlen ansehen.

 

DER STAND DER DINGE HEUTE

Zeitraum               Weggang/Ausschluß;            Situation

1917-19                3.313                                 „1914"

1925-26                1.156                                 „1925"

1926-28            71.898 (Diff.)                        „1925"

1947-73           300.000 (etwa)                      „1939/45"

- 1979                768.304                                 „1975"

1986                    37.426

Das ergibt einen Weggang oder Ausschluß nur seit 1917 etwa von l.182.099 Personen! Allein schon das veranschaulicht, wie die WTG mit einem ungeheuerlichen "Menschenverschleiß" arbeitet.

Die WTG-Taufzahlen (lt. Jahrbücher 1968 -1988) ergeben ein noch schlimmeres Bild:

Taufen in der Zeit von 1968-1988:

3.506.696 Personen

Verkündiger-Stand, Jahrbuch 1989;

3.430.962 Personen

Das heißt, abgesehen von etwa l % Toten pro Jahr, die WT-Organisation ist wirklich eine "Drehtür"! Was bis 1968 drin war, ist 1988 alles "durchgedreht". "Wie gewonnen, so zerronnen". ...

Kommenatarserie 1959 zusammengefaßt

Koenigreichsdienst 1959

Der nächste Jahrgang   1960

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