Re: Fritz Adler


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 24. August 2004 04:22:53:

Als Antwort auf: Re: Fritz Adler geschrieben von Drahbeck am 11. August 2004 07:21:25:

Geht D... in seinem Buch „Keine Gnade den Feinden unserer Republik" auf Adler eher nebensächlich ein, so gibt es andererseits von Dirksen noch einen weiteren Aufsatz, der schon in seiner Überschrift auf Adler direkt bezug nehmen will („Friedrich Adler - Vom 'religiösen Geschäftmacher' zum 'imperialistischen Kriegsbrandstifter'" in dem vom B... herausgegebenen Tagungsband „Repression und Selbstbehauptung" S. 283f.). Aber auch dessen Informationsgehalt hält sich in Grenzen. So wird etwa die Phase seines Lebens nach der Abschiebung in die alte BRD mit dem lapidaren Satz wiedergegeben:

„Adler verbüßte die Haft im Zuchthaus Brandenburg, die ein unmenschliches Pendant zu seiner Haft in der NS-Zeit darstellte. Die Strafe wurde 1957 herabgesetzt, so daß er schliesslich nach 14 Jahren Haftzeit im August 1964 auf Bewährung entlassen wurde. Nach seiner Abschiebung in die Bundesrepublik war er im Zweigbüro der Wachtturm-Gesellschaft in Wiesbaden tätig. Er verstarb kinderlos am 2. Dezember 1970 im Alter von 81 Jahren."


Mehr vermag D... über die Westphase von Adler offenbar nicht mitzuteilen.

Der genannte Aufsatz von D..., ist eigentlich nicht mal so sehr wegen Adler interessant. Hervorhebenswert erscheinen mir eher einige der darin beiläufig genannte Fakten. Das alles ist aber so arrangiert, dass der Durchschnittsleser eher über diese Dinge hinwegliest, zumal sie ja auch nicht unbedingt kongruent mit der gewählten Aufsatz-Überschrift sind. Deshalb mag es mal angebracht sein, diese von D... mit genannten Fakten, etwas mehr herauszukristallisieren.

Wenn heutzutage von Jehovas Zeugen im NS-Regime die Rede ist, dann fällt sofort erst mal das Stichwort Hitlerverbot. Dennoch muss dieser Tatbestand durchaus differenzierter gesehen werden. Bei D... liest man dazu beispielsweise die nachfolgenden Details:

"Dem Bibelhaus in Magdeburg war nämlich nach dem Verbot der Bibelforscher in Preußen und der Vermögensbeschlagnahme am 24. Juni 1933 wieder eine gewisse Tätigkeit erlaubt worden. So hatte das Preußische Ministerium des Innern mit einer Verfügung vom 28. September 1933 das Vermögen freigegeben und mit einer weiteren Verfügung am 13. September 1934 den Druck von Bibeln und sonstiger 'unbedenklicher Schriften' gestattet."

Hier wäre ergänzend einzufügen: Bei Roser "Widerstand als Bekenntnis" S. 47f. ist beispielsweise ein Abrisskalender für das Jahr 1935 abgebildet, der offenbar in der WTG-Druckerei hergestellt und über die eigenen Vetriebswege zum Verkauf gelangte. Roser verwendet dabei sogar in seinem Bildtext die Formulierung: "Von den Bibelforschern an der Haustüre verkaufter Abreißkalender".

Weiter geht's bei D... mit der Aussage:
"Da sich aber dadurch der Zusammenhalt und die religiöse Verkündigung wieder verstärkten, wies der Reichs- und Preußische Minister des Innern den Regierungspräsidenten in Magdeburg am 1. April 1935 an, die Wachtturm-Gesellschaft in Magdeburg aufzulösen und zu verbieten, was dieser mit Verfügung vom 27. April 1935 umsetzte. Als Begründung führte der Regierungspräsident aus, das Vermögen sei zwar freigegeben worden, die Herstellung von Schriften, Flugblättern sowie die Lehr- und Versammlungstätigkeit jedoch weiterhin verboten gewesen. Daran habe sich die 'Bibel- und Traktatgesellschaft' aber nicht gehalten, sondern sie sei vielmehr an 'ehemalige Mitglieder der verbotenen IBV' herangetreten, um diese zum Bezug von Zeitschriften und Büchern anzuregen. Daraus ergebe sich, dass die Gesellschaft im organisatorischen Zusammenhang mit den Glaubensangehörigen der verbotenen IBV stehe und deshalb selbst als staatsfeindliche Organisation anzusehen sei. Tags zuvor war der Justiziar des Magdeburger Bibelhauses, Hans Dollinger, verhaftet worden, und am 10. Mai 1935 wurde der Leiter des deutschen Zweiges, Paul Balzereit inhaftiert."

Zu Dollingers persönlicher Stellungnahme dazu kann man auch vergleichen:
Dollinger

In der Folge kam es gar zu Verhandlungen zwischen der WTG und der Gestapo. Selbst der Amerikaner Anton Koerber wurde dazu nach Deutschland in Marsch gesetzt. Weder Garbe noch Dirksen erwähnen aber diesen Umstand, und dies obwohl man im Wachtturm 1968 (S. 507, 508) dazu lesen konnte:
"Im Jahre 1935 wurde er (Koerber) nach Deutschland gesandt, um zu versuchen, die Rotationsmaschinen im Zweigbüro der Watch Tower Society in Magdeburg, die Hitler hatte beschlagnahmen lassen, herauszubekommen und sie nach Russland zu befördern, in der Hoffnung dort ein Zweigüro eröffnen zu können. Das war eine zuerst schwierige Aufgabe, denn er wurde ständig von Agenten der Nationalsozialisten oder der Kommunisten beobachtet"

Es mutet schon abenteuerlich an, was da für Überlegungen in WTG-Kreisen rumspukten. Die Maschinen nach Russland verbringen. Und dies obwohl man schon im voraus wissen konnte, auch dort nicht gerade mit offenen Armen erwartet zu werden. Das Russlandprojekt musste deshalb in der Tat begraben werden. Immerhin sollte es eine Nachwirkung dergestalt noch haben, als publizistische Waffe gegen die WTG verwendet zu werden. Dazu kann man vergleichen:
19402Also

Etwas realistischer ging da der in der Schweiz stationierte WTG-Funktionar Harbeck an die Sache heran. Der verhandelte aber mit den Nazibehörden nicht nur im Jahre 1935, sondern auch die beiden Jahre davor. Man vergleiche dazu auch
19372Harbeck

D... indes beschränkt sich bei seinem Harbeck bezüglichen Part nur auf dessen letzten missglückten Verhandlungsversuch, wenn er schreibt:

"Zwischenzeitlich hatten auch Verhandlungen der amerikanischen Watch-Tower Society mit dem Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa) über eine neuerliche Freigabe des Besitztums in Magdeburg begonnen. M. C. Harbeck, der Leiter des Zentraleuropäischen Büros der Zeugen Jehovas in der Schweiz, wurde eingeschaltet. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge, da Harbeck unglücklicherweise bei einem Besuch in Berlin von der Gestapo zunächst verhaftet wurde. Schließlich schloß das Gestapa am 10. Oktober 1935 mit der amerikanischen Watch-Tower Society einen dahingehenden Vergleich, dass die beiden Verwaltungsklagen gegen die Verfügungen des Regierungspräsidenten zurückgenommen und dafür die Vermögensbeschlagnahme aufgehoben wurden. Für die Verwaltung der Gebäude und des Vermögens in Magdeburg wurden zwei Treuhänder eingesetzt."

Letzteren die Treuhänder betreffenden Punkt ergänzt er dann noch in einer Fußnote, unter Bezugnahme auf Aktenbestände im Bundesarchiv, mit der Angabe:
"Das Gestapa benannte den Bücherrevisor Dr. Wendt in Magdeburg, die Watch-Tower Society den Sekretär der Amerikanischen Handelskammer in Berlin, Arthur E. Dunning. Diese treuhänderische Verwaltung bestand bis 1945 und ermöglichte, dass einige Zeugen Jehovas auf dem Grundstück wohnen bleiben konnten."

Zur Wirksamkeit eines dieser Treuhänder, notierte das Uraniabuch (S. 221-223) dazu einmal, und das ist von der WTG bis heute nicht widerlegt worden:
"Im März 1941 hatte man nämlich in Verhandlungen zwischen dem WTG-Hauptbüro in Brooklyn, vertreten durch die amerikanische Handelskammer in Berlin - Bevollmächtigter Arthur Dunning, Berlin, Unter den Linden 38 -, und dem faschistischen Kommando des Rüstungsbereichs Magdeburg das Eigentum der WTG in Magdeburg dieser faschistischen Kriegsinstitution für 178 300 RM zum Kauf überlassen. Frost erklärte dazu im Jahrbuch 1947 der Zeugen Jehovas, S. 114, die deutsche Wehrmacht habe sich das Grundstück in Magdeburg zu eigen gemacht. Es bestand somit auf Grund dieses Geschäfts mit den Nazis an dem Magdeburger Grundstück überhaupt kein eindeutiges Eigentumsrecht der WTG an dem Magdeburger Grundstück, während man von den deutschen und sowjetischen Behörden seine Überlassung forderte."

Als nächstes kommt D... auch auf die gegen Balzereit und Dollinger durchgeführten Gerichtsverfahren zu sprechen. Interessant, wie er deren Ablauf schildert, wenn er erklärt:
„Es handelte sich um einen öffentlichen Schauprozeß in Anwesenheit der Presse. Die Taktik der meisten Angeklagten zielte darauf ab, dem Gericht keine Ansatzpunkte für eine Verurteilung zu geben, indem jegliche religiöse Betätigung abgestritten wurde. Man hoffte, dadurch einen Freispruch zu erzielen. So erklärte Balzereit, dass es stets das Bemühen der Leitung gewesen sei, alles zu verhindern, was gegen das Verbot verstößt, und dass sie sich mit guter Genauigkeit an das Verbot gehalten habe. Zur Wehrpflicht erklärte er wörtlich, er wäre zur Verteidigung des Vaterlandes bereit. … Balzereit wurde zu zweieinhalb Jahren, Dollinger zu zwei Jahren Haft verurteilt."

Offensichtlich gehörte der genannte Fritz Adler auch mit zu den in jenem Verfahren gegen Balzereit/Dollinger, Mitangeklagten. War doch Adler bereits seit 1925 hauptamtlicher WTG-Mitarbeiter. Rutherford, der nach Dirksen eine Stenogramm jener Gerichtsverhandlung bekommen hatte, war erzürnt darüber, das Balzereit/Dollinger ihre Haut in jenem Verfahren zu retten versuchten. Und weil schon vorher klar war, dass die Wehrdienstfrage in entscheidender Weise mit in jenes Verfahren hineinspielen würde, stellten sie sich entsprechend darauf ein. Eigentlich wäre auch Adler von dem gleichen Rutherfordschen Anathema mitbetroffen. Letzterer berief sich dann aber darauf. Obwohl sein Fall mitverhandelt, war er doch zur Randfigur in diesem Verfahren degradiert. Demzufolge konnte er auch vor Gericht kein entsprechendes "Zeugnis" ablegen. So kam es, dass Adler bei der WTG in Gnade blieb. Balzereit/Dollinger hingegen nicht.

Wobei nach wie vor die Frage offen bleibt, ob eine Organisation, die mit der Gestapo wegen der Rettung ihrer materiellen Besitztümer verhandelt, die den Balzereitschen Konfrontationsvermeidungskurs, anfänglich sehr wohl aktiv mitgetragen hat. Ob eine solche Organisation wirklich so viel besser ist als wie die nunmehr zu Sündenböcken degradierten Balzereit und Dollinger! 


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