1. 1. 1956 (Vor fünfzig Jahren)


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 01. Januar 2006 07:11:01:

Es verkündet die WTG im „Wachtturm" vom 1. 1. 1956:
„So müssen denn Ernennungen von Sonderdienern innerhalb der Neuen-Welt-Gesellschaft nicht demokratisch, sondern theokratisch durch die leitende Körperschaft oder in anderen Ländern durch deren amtierende Vertreter erfolgen."

Und weiter wird belehrt:
„So möge denn niemand die Kraft eines richtig gestempelten Briefes unterschätzen. Der Stempel verleiht ihm Gewicht und Autorität."
Und damit auch jeder die „rechte" ehrfurchtsvolle Scheu vor diesem wundersamen Stempel haben möge, wird er denn auch gleich noch in dieser WT-Ausgabe mit abgebildet.

Ob die in dieser WT-Ausgabe in der Serie „Mein Lebensziel verfolgend" vorgestellte Hazel O. Burford, denn auch ein solch wundersam gestempeltes Schreiben erhalten hatte, ist nicht überliefert. Überliefert hingegen ist, dass ihr auch ein „Sonderdienst" zugedacht war. Frau Burford, ausgebildete Krankenschwester, befand dass dieser Dienst ihr auf Dauer nicht so recht zusagte. Sie wähnte, der WTG-Missionarsdienst wäre „vielleicht" (?) etwas leichter. Also hängte sie ihren erlernten Beruf einstweilen an den Nagel. Indes sollte sie erfahren, dass auch die WTG durchaus ein gewisses Interesse an ihrer beruflichen Ausbildung habe.
Das liest sich in dieser WT-Ausgabe dann so:

„Als wir im Jahre 1941 in entlegenem Gebiet im Westen Kentuckys arbeiteten, besuchten wir die Zonenversammlung (jetzt Kreisversammlung) in Cape Girardeau, Missouri. Während ich in der Cafeteria mit der Vorbereitung der Abendmahlzeit beschäftigt war, rief man mich für ein Ferngespräch an den Apparat. Man bot mir das Vorrecht an, bei der Pflege Bruder Rutherfords mitzuhelfen, der damals sehr krank in einem Krankenhaus in Elkhart, Indiana, lag. Bestürzt über die Nachricht von seiner Krankheit, überwältigt von der großen Verantwortung, die ich übernehmen sollte, wollte ich zuerst ablehnen; da mir aber immer davor bangt, eine Dienstzuteilung abzulehnen, aus Furcht, eine andere würde mir dann nicht geboten, nahm ich sie unter Gebet an. Sofort verließ ich das Kongreßbüro, um die nötigen Vorbereitungen für meine neuen Pflichten zu treffen. Diese übernahm ich sechsunddreißig Stunden später, als ich das Krankenzimmer unseres leidenden Bruders betrat. Eine Woche später hatte ich das Vorrecht, Bruder Rutherford und seine Gesellschaft nach Kalifornien zu begleiten, wo wir für die nächsten acht Wochen bis zu seinem Tode am 8. Januar 1942 in Beth-Sarim, dem „Haus der Fürsten" wohnten."

Preisfrage:
Ob wohl die Pflegekraft des deutschen WTG-Funktionärs Herr Willi P., demnächst auch noch einen „Wachtturm"-Serien-Artikel „Mein Lebensziel verfolgend" zugebilligt bekommt?
Sicherlich wird man sagen können. Sollte je einer ihrer Druckereiarbeiter (was sehr unwahrscheinlich) zum Pflegefall werden, dieweil der als "popliger kleiner Arbeiter" schon vorher heraus geekelt wird; so wird um den „kein Hahn mehr krähen". Aber immerhin. Mit dem Status eines „nur Druckereiarbeiters" brauchte Herr P. sich ja noch nie plagen. Da erging es dem Herrn Friedrich Adler, nachdem er nach langen Jahren DDR-Haft endlich die Bethel-Gefilde erreichen konnte, schon anders. Augenzeugen berichteten, ihn an Schredermaschinen tätig gesehen zu haben (welche überzählige WTG-Druckerzeugnisse zerkleinerte). Oder die Frau Maria Hombach. Noch im hohen Alter durfte sie Stundenweise „Handtücher zusammenlegen". In ihren besseren Tagen war sie mal Sekretärin für einige WTG-Funktionäre. Na ja: P. ist halt eben nicht Adler oder die Hombach.

Jenes Schicksal dass einem Buchbinder in der Brooklyner WTG-Zentrale ereilte, über das auch Twisselmann in seinem „Der Wachtturm-Konzern" berichtet, wird natürlich einen Herrn P. nicht ereilen. Er ist ja kein Buchbinder. Übrigens schildert Rolf Nobel in seinen „Die Falschspieler Gottes" einen ähnlichen Fall aus Wiesbadener Gefilden, einem Bäcker im WTG-Dienst stehend betreffend. Aber auch der Fall wird ja einen Herrn P. nicht tangieren. Er ist ja kein Bäcker.

Twisselmann zitiert im Fall des Buchbinders:
„Wie allen anderen Bethelmitarbeitern war es ihm nicht gestattet zu heiraten, falls er im Bethel bleiben wollte. Knorr hatte dieses Prinzip häufig betont, und Charlie war damit ganz und gar nicht einverstanden. Doch im Jahr 1952 heiratete Präsident Knorr eine der Schwestern im Bethel, Audrey Mock, und brach damit die Regel. Einige Jahre nach der Heirat ging Charlie zu Präsident Knorr und sagte ihm, er habe seine eigene Regel gebrochen und solle deshalb zurücktreten. Und dann sagte er noch: ,Du predigst mehr über Liebe als alle anderen (...) und zeigst sie doch selbst am wenigsten.'
Zur Strafe wurde Charlie von seinem Platz im Eßsaal verwiesen und mußte hinten in einer Ecke Platz nehmen. Zur Begründung hieß es, er habe unanständige Sprache gebraucht (...). Er weigerte sich, den neuen Sitzplatz zu akzeptieren, und kehrte einfach an seinen alten Platz zurück. Man machte ihm das Leben im Bethel so schwer, daß er seine paar Habseligkeiten packte und das Haus verließ. Das Bethel war sein ganzer Lebensinhalt gewesen. Sogar seinen Urlaub hatte er dort verbracht. Er wußte nicht, wo er hingehen sollte. (...) Später lernte ich ihn kennen. Er wohnte gerade in einem schrecklichen Obdachlosenasyl für 50 Cent die Nacht. Als sein Geld alle war, bettelte er Bethelmitarbeiter und andere Zeugen an, damit er etwas Geld für Essen bekam. Ich habe ihm was gegeben (...), (aber) man sagte den Bethelmitarbeitern, sie sollten Charlie kein Geld geben, und an die umliegenden Versammlungen wurde ein Brief verschickt, in dem dasselbe stand. Damit wollte man ihn zur Rückkehr zwingen. Auf einer Parkbank ist er dann gestorben. Das ist der Lohn, den ein Mensch für vier Jahrzehnte treuen Dienst in ,Gottes Organisation' bekommt, weil er auf eine ganz offensichtliche Unstimmigkeit hingewiesen hatte. Dieses Beispiel zeigt sehr gut, wie wenig Liebe in der Weltzentrale wirklich herrschte." (Bericht von William Cetnar, zitiert in Twisselmann „Wachtturm-Konzern" S. 231f.)

Weitere Beispiele aus der Praxis der WTG, kann man dazu (unter anderem) in dem Twisselmann-Buch "Der Wachtturm-Konzern" (S. 229f.) nachlesen. Über eine an der WTG-Missionarsschule "Gilead" einen Nervenzusammenbruch erleidende Zeugin Jehovas aus Tailand, die dadurch bedingt diese Laufbahn aufgeben musste, heisst es, die Knorr-Anweisung sei, sie auf dem billigsten Wege in ihre Heimat zurückzuschicken. Die Sache endete mit einem Selbstmord. Der Vorfall wird mit dem Satz kommentiert:
"Es war genug Geld da, den Präsidenten der Gesellschaft Erster Klasse reisen und übernachten zu lassen und ihm allen möglichen Luxus zu bieten, aber wir konnten es uns nicht leisten, diese Glaubensschwester anständig und sicher in die Heimat zu bringen. Diese gefühllose Entscheidung hat sie das Leben gekostet."

P. offenbar schon frühzeitig für "höhere" WTG-Weihen vorgesehen, was auch jene Abbildung deutlich macht, die ihn im Kreise anderer "stadtbekannter" WTG-Koryphäen in seinen Glanztagen zeigt (P. im Bild links oben).


Vielleicht mag man fragen; weshalb diese Angriffe gegen P.. Geht das nicht schon unter die Gürtellinie? Dieser Frage muss man sich in der Tat stellen. Ich will sie aber nicht unbeantwortet lassen. P. war auch lange Jahre Leiter des Ostbüros der WTG. Zwar konnte er auch nur - wie andere WTG-Funktionäre - im engen Schulterschluss mit Brooklyn agieren. Aber einen gewissen Spielraum hatte auch er. Wozu er und seinesgleichen diesen Spielraum nutzten, macht - unter anderem - die Seite eins und zwei eines Dokumentes, just aus diesem Ostbüro deutlich.

Für P. und Konsorten gilt auch der SS-Spruch: "Das ihre Ehre Treue heißt". Für diese vermeintliche Treue "verheizten" sie wie weiland die chinesischen Kommunisten im Krieg mit Vietnam, lebende Soldaten als Unterlage für Panzerfahrbahnen im morastischem Gelände. In ähnlicher Weise hat auch P. innerhalb seines Spielraumes Menschen verheizt.
Wenn man im islamischen Bereich jene Funktionäre verurteilt, die andere gar zu Selbstmord-Attentaten motivieren. Dann ja, dann kommt nicht umhin, auch im sogenannt "christlichen" Bereich auf in der Tendenz ähnliches hinzuweisen.

Für das imaginäre "Königreich Gottes", dass in Wahrheit nur die selbstischen Organisationsinteressen der davon partizipierenden Funktionärsschicht repräsentiert, werden ähnliche Opfer erwartet. Auch auf dem Sektor Blutkult. Man kann dem entgegenhalten. Dritte Unschuldige, wie im Falle der Islamisten werden ja nicht direkt tangiert. Ein schwacher Trost indes ist das nur.

Es soll doch niemand glauben, dass von den `WTG-Apparatschicks des WTG-Ostbüro empfohlene „Vorbereitsein" auf eine Verhaftung, wäre etwas, was „mit links weggesteckt" wurde. Eher ist doch das Gegenteil der Fall. Stellvertretend auch für andere Beispiele mag ein Fallbeispiel aus der Dissertation des Robert Schmidt zitiert werden. Über sein Fallbeispiel Günther N. (geboren 1930) berichtet Schmidt:

1952 verhaftet, in Haft bis 1958 „Der ZJ Günther N. leidet heute noch an den Haftfolgeschäden: die Nichtbehandlung seiner Krankheiten, bei gleichzeitiger über Jahre andauernder schweren Arbeit, führten zu chronisch gesundheitlichen und psychosomatischen Leiden, mit denen sich Günter N. bis in die Gegenwart auseinander zu setzen hat. Nach Aussagen von Mitgläubigen lebt Günter N. sehr zurückgezogen. Nach mehrmaligen Anfragen hat er sich schließlich zu einem Gespräch bereit erklärt, dass in der Cafeteria der Deutschen Bücherei in Leipzig stattfand. ... Das Gespräch mit Günther N. erweckte den Eindruck, dass viel Unausgesprochenes seine bisherige Lebens- und Leidensgeschichte begleitete. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung hat er das erste Mal ausführlicher über seine Erfahrungen berichtet. Für die Mitgläubigen erscheint Günther N. eher "sonderbar" und distanziert, was allerdings darauf schließen lässt, dass niemand wirklich Kenntnis davon hat, was er alles zu erleiden hatte. Die Zeit in der Psychiatrie lässt ebenso viele Fragen offen. Aus Rücksichtnahme haben wir im Gesprächsverlauf auf detaillierteres Nachfragen verzichtet. Günther N. lebt gewissermaßen mit seinen Erinnerungen allein: wer weiß schon wirklich um die Geschehnisse?"

Da mag man dann nur noch dazu sagen. Die P.'s und Co haben es für sich persönlich sehr wohl verstanden, nicht in DDR-Haft zu geraten. Das „Vorrecht" überließen sie dann doch lieber anderen. Das hindert diese WTG-Herrschaften aber nicht, wie vorstehende Faksimiles auch verdeutlichen, klugscheißerische „Ratschläge " zu geben.

Auch beim Wirken von P., der ja insbesondere mit den totalitären Strukturen des Ostblocks konfrontiert war, gilt meines Erachtens das, was an anderer Stelle Franz Graf-Stuhlhofer in die Worte kleidete:

"Insofern könnten die Zeugen Jehovas als Illusionisten angesprochen werden; solche wirken zwar sympathischer als Opportunisten, aber nicht unbedingt ‚bewunderungswürdig'. Wichtig ist ja nicht bloß, dass jemand gemäß seiner Überzeugung handelt (das taten auch viele Nationalsozialisten!), sondern auch der Inhalt seiner Überzeugung."

Siehe auch:

Parsimony.15977

Man vergleiche zum mitgenannten Franz Graf-Stuhlhofer auch:
Stuhlhofer

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