Der vorangegangene Jahrgang   1957

Vor (mehr) als 50 Jahren

Was 1958 Wahrheit war

Harmagedon

„Auch du kannst Harmagedon überleben und in Gottes neue Welt gelangen".

So lautet der Titel eines WTG-Buches, welches in Englisch bereits 1955, in Deutsch aber erst im Jahre 1958 erschien. Nun war das mit den unterschiedlichen Erscheinungsterminen zu der Zeit, durchaus noch WTG-Usus.

Ein anderes Beispiel sei genannt.

Der „Königreichsdienst" dieses Jahrganges verkündete auch, man habe mit der Herausgabe einer Ungarischen Ausgabe des „Wachtturms" begonnen. Selbige erschien aber - relativ ungewöhnlich - nur in Hektografierter Form und zudem einmal monatlich. Die Umstellung auf eine gedruckte Ausgabe wird zwar in Aussicht gestellt, aber davon abhängig gemacht, ob sich denn ausreichend Käufer finden würden. Käufer im eigentlichem Sinne dürften zu der Zeit jedoch nur in Westeuropa verstreut vorhanden gewesen sein.

Zurückkehrend zum genannten Buch. Selbiges leitet schon mit einer Tagespolitischen These ein, wenn es denn reflektiert:

Auf der anderen Seite der Erdkugel, in Panmunjom, Korea, dämmerte es schon; doch dort war es Montag, der 27. Juli, und Vertreter der UNO-Armeen bereiteten sich darauf vor, an diesem Tage mit Vertretern der kommunistischen Armee einen Waffenstillstand zu schließen, der dem dreijährigen Krieg in Korea ein Ende setzen sollte. Durch diesen waren die Nationen bedrohlich nahe daran gewesen, in einen dritten Weltkrieg verwickelt zu werden."

Jener Koreakrieg ist denn faktisch ein Nachfolgekrieg des Zweiten Weltkrieges gewesen. Und wenn in dem Text verschleiernd von „UNO-Armeen" die Rede ist, dann war das genau solche vorgebliche „UNO" wie dies im von den Kriegsbrandstifter USA inszenierten und wesentlich getragenen Irakkrieg der Fall ist. Auch da soll es ja ein paar „Feigenblätter" anderer Staaten geben, die sich zum Teil schon wieder aus diesem Abenteuer verabschiedet haben. Aber im verklären der eigenen Aggressionspolitik hatten die Falken in Washington und ihre Schlepperträger, unter ihnen die WTG, wohl noch nie unter Einfallslosigkeit zu leiden. Jedenfalls Einfallsreichtum was das dabei verwendete Wortgeklingel betrifft.

Eigentlich, in früherer WTG-Lesart, hätte es diesen Krieg gar nicht mehr geben dürfen, da ja mal gemäß dieser Lesart, bereits der zweite Weltkrieg in „Harmagedon" ausmünden würde. Auch das war nun wieder Schrott von gestern geworden. Und die Verklärung und Umdeutung dieser These findet dann in diesem Buch mit den Worten statt:

Besonders seit dem Jahre 1925 hat man erkannt, wie Jehova Gott die Tage der Drangsal um seiner Auserwählten willen, die noch auf Erden leben, verkürzt hat". Die Verkürzung dieser Tage erfolgt dadurch, daß die Drangsal, die im Himmel begann und in Harmagedon auf Erden

enden wird, eine Unterbrechung erfahren hat."

Diese vorgebliche „Unterbrechung" war dann angefüllt mit den Rutherford'schen Kongreß-Proklamationen, sei 1922. Gefolgt von der nazistischen Verfolgung, ohne dass auch diese etwa mit dem Wolkenkuckusheim-"Harmagedon" identisch wäre.

Und das alles kulminiert dann wider einmal in Thesen der Endzeit-Naherwartung. Etwa der folgenden.

Die "Zeit des Endes" nähert sich schnell ihrem Abschluß. Gegen ihr Ende hin ist ein Generalangriff auf die Neue-Welt-Gesellschaft zu erwarten, nämlich der Angriff des symbolischen Gog vom Lande Magog, von dem vor langer Zeit prophezeit wurde, daß er "am Ende der Tage oder "in den letzten Tagen" (AI) erfolgen werde. Es wird deutlich gesagt, daß Gog es mit seinem Angriff direkt auf die Glieder des wiederhergestellten Überrests des Volkes Jehovas abgesehen hat, denen ihrerseits geboten worden ist, Gog in Kenntnis zu setzen, daß Jehova Gott ihm widerstehen und vor ihren Augen seine Vernichtung herbeiführen wird."

Dieser vermeintliche „Generalangriff" hat dann wohl in der hartnäckig erkämpften Politik sich als KdöR bestechen und aushalten zu lassen, stattgefunden. Über diesen WTG-Schrott noch weitere Worte zu verlieren, ist allerdings vergebliche Liebesmüh.

Vergatterung

Bei seiner Bewertung der „Felddienstberichte" des vorangegangenen Jahres, notiert der "Wachtturm" (15. 1. 1958) auch:

„Studiere die; Tabelle aller Länder und beachte, daß in der ganzen Welt die Zahl derer, die die Wahrheit lieben und Stellung für Gottes Königreich bezogen haben und Prediger geworden sind, um zehn Prozent zugenommen hat. Doch beachte: in den acht Ländern, die hinter dem Eisernen Vorhang liegen, beträgt die Zunahmetatsächlich fünfzehn Prozent.

Meldungen solcher Art, haben die WTG-Führung von jeher im besonderen stimuliert. Wenn ein Raymond Franz über seine Zeit in der WTG-Führungsspitze, und in diese Zeit fiel auch die Forcierung des 1975-Themas, konstatiert. Nüchtern Denkende hatten in der Zeit (und wohl nicht „nur" in der Zeit), nichts zu sagen. Ganz im Gegenteil wurde die Euphorie noch „angefeuert" durch markige „Erfahrungsberichte" von solchen, die da wegen der vorgeblichen „Kürze der Zeit" beschlossen hätten, nunmehr vermehrt sich für die WTG-Interessen einzusetzen. Und wenn man sich die diesbezüglichen Ausführungen eines Konrad Franke anhört und analysiert. So zeigte sich auch bei diesem Beispiel. Die WTG-Führung tat (und tut) alles, um euphorische Stimmungslagen, wo immer möglich, zu befördern.

Auch Raymond Franz, dass muss er ja selbst zugeben, gehörte in dieser Phase zu den Schweigern diese Politik betreffend (was ja nicht ausschließt, dass aus einem Saulus dereinst noch mal ein Paulus werden kann). Er meint zur Entschuldigung vorbringen zu können; die infolge dieser Politik rasant angestiegenen Täuflingszahlen, haben eben jegliches nüchternes Kalkül, so es denn noch vorhanden gewesen sein sollte, hoffnungslos erstickt.

In diesem Vergleich gesehen liegt die weiter vor zitierte Meldung über die höheren Erfolgsraten in Verbotsländern, auf ähnlicher Wellenlänge. Heutzutage registriert unsereins (zumindest ich), die Tendenz zur Überbewertung der Befindlichkeit, der soziologisch sich zum Mittelstand zählenden (was nicht zwangsläufig gleichzusetzen ist mit auch tatsächlicher Mittelstand zu sein). Jedenfalls wenn sie es denn auch nicht sind, möchten sie es dennoch sein, und unterstützen getreu dem Motto: Das die dümmsten Schweine sich ihren Metzger immer noch selber aussuchen, Politikansätze, welche primär die Vertretung von Mittelstandsinteressen sind. Diese Tendenz kann man sowohl in ZJ als auch in Ex-ZJ-Kreisen heutzutage (zumindest in diesem Lande noch) als dominierend registrieren.

Die Befindlichkeit solcher so „Gestrickten" indes, war noch nie für die WTG-Führung irgendwie relevant. Als „Mitnahmeeffekt", wenn sie denn davon auch finanziell partizipieren kann, durchaus gerne gesehen. Aber in den entscheidenden Weichenstellungen, nach wie vor, nicht relevant. Die entscheidenden Weichenstellungen bestehen eben nach wie vor in Forcierung von Verfolgungssituationen (zwar nicht ursächlich selbst gewollt. Wenn sie denn aber eintreten, bewusst instrumentalisiert und forciert). Und oder eben, wenn solche Umstände absolut nicht gegeben, dieweil man als KdöR inzwischen selbst von dem Bestechungstopf Nutznießer ist, wie weiland Konstantin der Große das einst verfolgte Christentum zur Staatsreligion kürte. So haben indes jene Länder, welche sich eben nicht zu einer Bestechungspolitik zugunsten der WTG durchringen können (und die fängt schon bei den Steuerermäßigungen für den Druckereibetrieb an), fallweise selbige noch weiter gehen, etwa auf die Verbotsschiene. Diese Länder haben der WTG-Religion gegenüber nach wie vor „nichts zu lachen". Dies demonstrierte selbige unter anderem schon im Falle des Ostblocks und wiederholt das auch fallweise.

Getreu dem WTG-Motto. Unter allen Regionsopiumverkäufern, sind wie die WTG-Religion, diejenige, die das Religionsopium in höchster Konzentration, mit höchster Suchtmachender Wirkumg offeriert. Getreu diesem Motto ist der WTG-Führung alles recht, was diese Tendenz befördert. Seien es Anheizung von Endzeitthesen, in kriegerischen Situationen etwa besonders WTG-willkommen, seien es fallweise auch Verbotssituationen, zu deren Entschärfung von WTG-Seite nur eines getan wird; nämlich: Nichts!

Folgerichtig las man denn in der zitierten „Wachtturm"-Ausgabe auch die Sätze:

„Tausende und aber Tausende Zeugen Jehovas sind durch einen solchen Läuterungsprozeß gegangen ... durch sengende Hitze, die eine wirkliche Läuterung herbeiführte. Kannst du eine Hitze ertragen wie jene Personen, die unter der kommunistischen Totalherrschaft in Rußland, Polen, der Tschechoslowakei und anderswo hinter dem Eisernen Vorhang Verfolgung erleiden? Denke auch an Jehovas Zeugen in der katholisch regierten Dominikanischen Republik, die geschlagen, gemartert und ins Gefängnis geworfen wurden ... Weitere Personen haben ihre Lauterkeit in Deutschland, Italien, Norwegen und in anderen Ländern, die von den Nazi- und Faschistenhorden überrannt wurden, bewahrt ..."

Es ist keineswegs eine „neue" Erfahrung, das weis man unter anderem schon seit den Tagen eines Thomas Müntzer, und dessen „Bauernhorden", denen ein Luther ausgesprochenen Hass gegenüber artikulierte. Es ist keineswegs eine neue Erfahrung, dass Religion sowohl in der Maske der bürgerlichen Behäbigkeit daher kommen kann, wovon dann auch solche Religionsangebote für „Ausgeflippte" wie Scientology oder Bhagwan, neben einem breiten Mittelstrom künden, dessen innere „Beziehung" fallweise auf die „schon feierlichen Elemente" etwa Kirchenmusik, oder würdevolle Begleitung bei Lebensereignissen wie Hochzeiten, Kindstaufen (im Großkirchlichen Bereich) sich beschränkt.

Religion kann aber auch unter ganz anderen Vorzeichen daherkommen. Exemplarisch an der dem Hitlerschen KZ-Unwesen ebenbürtigen sowjetischen Verbannungspolitik studierbar. Um letzteres Beispiel noch einen Moment weiter zu zitieren. Wie da eine große (erst später wieder überwundene) Spaltung auch bei den Zeugen Jehovas in jenem Lande eintrat, als Anfang der 1960er Jahre die Rutherford'sche Obrigkeitslehre aufgegeben wurde. Da „brach für einige eine Welt" zusammen, dieweil nunmehr das vorher sorgsam gepflegte Feindbild zur „Welt" aufgegeben wurde. Bis hinein nach Rumänien schwappte dieser Dissenz über, wovon denn noch heute eine einschlägige rumänische Webseite kündet, die da die alte Rutherfor'sche Obrigkeitslehre weiter aufrecht erhält.

Falken

Zum Sprachrohr der USA-Falken macht sich wieder einmal auch der „Wachtturm" vom 1. 7. 1958, indem er unter der Überschrift „Wer wird den ersten Schlag führen?" lamentiert:

„Die Vervollkommmmg eines interkontinentalen ballistischen Geschosses könnte bedeuten, daß durch den Druck auf einige Knöpf der Überraschungsangriff ausgelöst würde, durch den binnen fünfunddreißig Minuten ein großer Teil der Vereinigten Staaten verwüstet wäre. Schon der erste Schlag könnte der entscheidende sein. Aus diesem Grunde vertreten viele in den Vereinigten Staaten die Auffassung, Amerika müsse den ersten Schlag führen. [Hervorhebung nicht im Original] Die Zeitschrift 'U. S, News & World Report' sagte hierzu folgendes:

Sollten die Vereinigten Staaten im Falle eines Krieges in dem vor uns liegenden Raketenzeitalter dem ersten Schlag ausgesetzt werden, durch den ihre Großstädte, Millionen ihrer Einwohner und der größte Teil ihrer Industrie vernichtet werden, ohne daß sie Vergeltungsmaßnahmen ergreifen könnten. In anderen Worten: Dürfen die Vereinigten Staaten zulassen daß sie bei einem Atomangriff zu einem ,Pearl Harbor' werden?

Wir, Amerika und unsere Verbündeten im Ausland sehen uns von der Gefahr bedroht, vernichtet zu werden, weil wir nicht gewillt sind, den ersten Schlag zu führen. Wenn wir zuerst angreifen, wäre dies ein 'Präventivkrieg', und doch will man von vornherein nichts wissen. Doch wo ist die Garantie dafür, daß wir vor einem Überraschungsangriff sicher sind? ... Auf alle Fälle wäre zu wünschen, daß die eigentliche Bedeutung des 'ersten Schlages' nochmals in Erwägung gezogen und, daß ein straffes Abkommen verlangt würde, durch das die Verwendung von Atombomben und Raketen beschränkt oder aufgegeben würde. Wenn keine solche internationale Verständigung zustande kommt, ist die freie Welt nicht nur gezwungen, sich auf den ersten Schlag vorzubereiten, sondern wir sollten in dem Augenblick, in dem die Mobilisation des Feindes offensichtlich die Gefahrengrenze für uns erreicht hat, den ersten Schlag führen können."

Diese Worte lassen deutlich erkennen, welche Furcht, ja welches Grauen vor dem Raketenzeitalter die Herzen erschauern läßt. Diese Furcht kann dazu führen, daß sittliche Grundsätze und kaltblütiges Denken völlig außer acht werden.

Würden dadurch, daß Amerika dazu überginge, die Politik des Zuvorkommens zu verfolgen, die Spannung in der Welt, die Furcht und der Schrecken nicht noch erhöht werden? Würde dadurch das Mißtrauen zwischen Ost und West nicht noch verstärkt? Könnte es nicht dazu führen, daß die eine oder andere Partei sich bei dem leisesten Anzeichen einer Gefahr - ob es nun eine tatsächliche oder bloß eine eingebildete ist - unverzüglich auf ihre Raketenabschußrampen stürzte? Würde der Ausbruch eines dritten Weltkrieges mit seinen entsetzlichen Folgen dadurch nicht noch beschleunigt?

Bis jetzt halten die Vereinigten Staaten ihre bisherige Politik aufrecht und hegen nicht die Absicht, zuerst anzugreifen. Sie schützen sich vor einer eventuellen kommunistischen Aggression, indem sie ihre Streitkräfte bereit halten und ihre Flugzeuge, mit Wasserstoffbomben beladen, in der Luft umherschwirren lassen. Sie glauben, daß diese Bereitschaft sie instand setzen würde, einen derart starken Vergeltungsschlag zu führen, daß es die Kommunisten nicht wagen, zum ersten Schlag auszuholen. General Norstad sagte hierzu folgendes ...

Wie lange diese Politik noch aufrechterhalten wird, bevor sich auf dieser oder jener Seite die Ansicht durchsetzt, daß man zuerst angreifen sollte, bleibt abzuwarten, doch so oder so wird die weitere Entwicklung der Ferngeschosse bedeuten, daß der, der zuerst zum Schlag ausholt, sehr wahrscheinlich den entscheidenden Schlag führen wird. Trotzdem könnten die Vergeltungsmaßnahmen nicht verhindert werden. Das hätte also nicht nur für den Angreifer schlimme Folgen, sondern würde sich für die ganze Welt verhängnisvoll auswirken. ...

Sollte irgendjemand in schwacher Erinnerung rekapitulieren, in der Bibel etwas von „Friedensstifter" mal gelesen zu haben. In vorstehenden Ausführungen aus den Sandkastenspielen führender US-Militärs und der mit ihnen liierten Kreise, wird er genau diesen Grundgedanken eben nicht wiederfinden.

Leseprobe

Leseprobe aus dem „Wachtturm" vom 15. 7. 1958.

Der Manchesterkapitalismus läßt grüßen!

Wenn ein Gott hingegebener Christ infolge seines vorgeschrittenen Alters nicht mehr imstande ist, einer bestimmten Verantwortung nachzukommen, dann kann ihm ein anderer Dienst zugeteilt werden, den er zu erfüllen imstande ist. Die Verpflichtungen, die er durch seinen Schritt der Hingabe an Gott auf sich genommen hat, gestatten nicht, daß er von allen dienstlichen Verantwortlichkeiten und Vorrechten entbunden wird, so daß er sich in den Ruhestand begeben könnte, um gemütlich von einer Pension zu leben und einer Versammlung oder der Organisation, die die Neue-Welt-Gesellschaft der Zeugen Jehovas überwacht, finanziell zur Last zu fallen.

A ja.

Beispiele gefällig?

Nun zum Beispiel Fritz Adler. Doppelverfogter. NS-Regime und dito Ostdeutsches. Nach langen Jahren der Haft in den Westen abgeschoben. Da man in der WTG-Zentrale, wo er dann schließlich landete, „keine Rentner durchfüttert", war denn eine seiner Aufgaben, die man ihm „zuteilte", wie es denn die WTG-Bürokraten so zu formulieren pflegen, die, eine Schreddermaschine zu betätigen, welche alte Papiere zerkleinert.

Eine Frage kann ich mir dabei allerdings nicht ganz verkneifen. Wann bekommt eigentlich Herr Willi P. seine „Zuteilung" zum Bedienen einer Schreddermaschine???

Dubios

Eine dubiose Leserfrage

(ohne weiteren Kommentar)

Denunzianten

„Der Intrigant und der Denunziant sind die schlimmsten Leute im Land" weis eine Volksweisheit schon zu berichten. Solcherlei unangenehme Eigenschaften gäbe es nicht in dem bedenklichen Umfange, würden sie nicht von interessierter Seite zusätzlich gefördert. Wer sich etwa mit der Geschichte der Zeugen Jehovas in der Nazizeit, und dabei speziell in Archiven Aktengestützt näher beschäftigt hat, wird auch dort solch üble Beispiele vorfinden. Getreu dem Slogan:

„Herr Lehrer (namens Gestapo) ich weis was ..."

Wie in diesem Kontext das Anliegen der Schreiber des „Wachtturms" vom 15. 6. 1958 einzuordnen ist, lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Die Schreibtischtäter (die WT-Schreiber) fordern zur Denunziation auf. In genannter Ausgabe kann man unter anderem lesen:

„Wer die Sünde begeht, Jehova zu verlassen, der begeht die Sünde der Rebellion und verläßt sich damit auf sich selbst oder auf die Meinungen eines anderen menschlichen Geschöpfes. ...

Mochten wir uns daher in acht nehmen und wachsam sein, damit wir nicht in die Schlinge geraten, eigene Schlußfolgerungen zu ziehen und auf einen Weg der Rebellion zu geraten. ...

Auschließliche Ergebenheit gegenüber Gott ist die Pflicht derer, die sich aus freien Stücken bereit erklärt haben, ihm dienstbar zu sein und ihm ihr Leben zu widmen.

Der Christ muß sich in seinem Handeln von einem einzigen, und zwar reinen Beweggrund treiben lassen. Er darf weder zur Rechten noch zur Linken blicken."

Also irgendwelche Zweifel sind in diesem System grundsätzlich nicht vorgesehen. Bei wem sie dennoch eintreten, der wird von den herrschenden Diktatoren stigmatisiert.

Das geht hinein bis in den privaten Intimbereich, wovon auch die nachfolgenden Sätze dieser WT-Ausgabe künden:

„Junge Leute, Jünglinge und Mädchen, in Jehovas Organisation sind daher stets auf der Hut, um sich rein zu bewahren und sich keines unmoralischen Verhaltens schuldig zu machen, damit sie nicht zufolge eigener selbstischer Lüste verderbt werden. Wenn sie ihre Gefühle nicht zügeln, sondern nach dem eigenen Willen, das heißt nach dem Willen des Fleisches, handeln, statt nach dem Willen Jehovas, so machen sie sich direkt der Rebellion gegen Jehovas weisen Rat schuldig. Jehova erlaubt nicht, daß dergleichen in seiner Organisation einfach deshalb geschieht, weil die Christenheit, in deren Mitte sie sich befindet, dieses stillschweigend duldet.

Wenn Eltern erfahren, daß sich ihre Kinder in dieser Hinsicht vergangen haben und das Opfer eines unsittlichen Verhältnisses mit einer Person vom anderen Geschlecht geworden sind, ist es ihnen manchmal zuwider, es den verantwortlichen Dienern in der Organisation zu melden, denen die Pflicht obliegt, die Organisation von solchen Praktiken rein zu halten! Dadurch machen sich solche Eltern an der gesetzlosen Handlungsweise mitschuldig...

Das Unrecht sollte den verantwortlichen Brüdern in der Versammlung gemeldet werden, ob nun die Person, die es begangen hat, ihrem Verwandten so nahesteht wie ein Kind dem Vater oder ob es jemand anders in der Christenversammlung ist."

Zionismus

„Warum der Zionismus fehlschlagen muss" titelt der „Wachtturm" in seiner Ausgabe vom 15. 5. 1958. In der Frage hat in der Tat eine Art Stafetten-Übergabe stattgefunden. Nicht mehr die Zeugen Jehovas, wohl aber kirchliche Kreise, insbesondere evangelikaler Ausrichtung, sind ja heutzutage jene, welche das Zionismus-Thema hochkochen und sich teilweise auch nicht zu schade sind, in ihren diesbezüglichen Fantismus, es ihren Gegnern an Fanatismus, gleichzutun. Sowohl Zionisten als auch Antisemiten, schaukeln sich da gegenseitig hoch, und ihr Fanatismus (auf beiden Seiten) verschärft letztendlich vorhandene Spannungen nur noch.

Bis Anfang der 1930er Jahre, gehörten die Bibelforscher/Zeugen Jehovas mit zu diesem Milieu. Mehr noch; sie waren ausgesprochene Schrittmacher dabei, zu einer Zeit wo die Großkirchen, einschließlich der Evangelikalen, noch weitgehend auf der Nationalismus-Schiene fuhren, und keine „Antenne" für dererlei Thesen hatten. Nach 1945 lies sich aber die alte Nationalismuschiene als „Fahrstrang" nicht länger, unbeschadet aufrechterhalten. Und da man ja weis (nicht nur von Herrn Adenauer), dass das „Gewäsch von gestern" die „Wäscher von heute" nicht mehr interessiert. Und da man weiter weis, das „Sacktuch-Buße" allenfalls Kosmetik war und ist, leben solche Zionismusthesen ungebrochen fort. Allerdings hat da ein Paradigmawechsel stattgefunden. Was die Bibelforscher/Zeugen Jehovas zum alten Eisen legten, fanden andere, einschließlich eines Herrn Lothar Gassmann, wert erneut „herauszuputzen". Mit solchem „Herausputz" setzt sich nun der genannte „Wachtturm" auseinander, unter (wer hätte was anderes erwartet?) unter sorgfältiger Verschweigung der eigenen früheren Rolle bei diesem Thema. Dazu liest man in diesem WT:

Viele Juden und Nichtjuden erblicken im Zionismus die Erfüllung biblischer Prophezeiungen. Lies diesen Artikel, und du wirst erfahren, warum sie alle im Irrtum sind und auf wen sich die Prophezeiungen über eine solche Wiederherstellung beziehen.

Viele zu den Fundamentalisten zählende Geistliche der Christenheit versprechen sich ebenfalls große Dinge vom Zionismus. Die Zeitschrift 'Land Reborn' [Ein wiedergeborenes Land] dient der Veröffentlichung dieser Ansichten. Und das Buch 'The Fall and Rise of Israel' [Israels Fall und Aufstieg] von William Litell, einem protestantischen Missionar, der viele Jahre in Palästina lebte, enthält eine ausführliche Darlegung über diese Auffassung. Hull bringt große Bewunderung für den Zionismus zum Ausdruck und vergleicht dessen Führer Herzl und Weizmann und mit Mode und Abraham. Die in Jeremia 16:16 erwähnten 'Jäger und Fischer' sollen seiner Meinung nach die Nazis gewesen sein, die durch ihre Verfolgung bewirkten, daß sie nach Palästina zurückkehrten, und die 'reine Sprache', von der in Zephanja 3:9 (KJ] ist, soll die hebräische Sprache sein, die heute in Palästina wieder gesprochen wird.

Er glaubt, daß Gott den ersten Weltkrieg zugelassen habe, damit Palästina von den Türken befreit werden konnte, und daß Männer wie Lloyd George, Churchill und Balfour im Interesse der Sache des Zionismus ,von Gott benutzt worden' seien, „weil sie an sein Wort geglaubt" hätten. Hull wendet Dutzende von Prophezeiungen aus den Büchern Jesaja, Jeremia, Hesekiel usw. sowie die warnenden Worte des Gamaliel, die in Apostelgeschichte 5:38, 39 zu lesen sind, auf den Zionismus an.

In ähnlichem Ton berichtete 'The American Weekly' vom 13. Oktober 1957 unter der Überschrift „Biblische Prophezeiungen im heutigen Palästina erfüllt" über die Früchte der Bemühungen des Zionismus. Man konnte dort unter anderem lesen, daß sich die Worte: „Die auf Jehova harren ... heben die Schwingen empor wie die Adler", erfüllt hätten, als ungefähr 40.000 Juden von Jemen in Südwestarabien nach Palästina geflogen wurden. Und durch die Worte: „Statt der Dornsträucher werden Zypressen aufschießen", soll das große Aufforstungswerk vorhergesagt worden sein, das im Staate Israel durchgeführt wurde und demzufolge der Waldbestand vom Jahre 1917 bis zum Jahre 1957 von 17.000 Bäumen auf 21.000.000 Bäume - vorwiegend Nadelbäume - erhöht worden sein soll. Die Bewässerungsanlagen in Israel, die durch die Wasser des Berges Zion gespeist werden, sollen eine Erfüllung der folgenden Prophezeiung sein: „An jenem Tage .. . werden ... alle Bäche Judas ... von Wasser fließen; und eine Quelle wird aus dem Hause Jehovas hervorbrechen und das Tal Sittim bewässern." Und in der Prophezeiung: „Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir; vom Aufgang her werde ich deinen Samen bringen, und vom Niedergang her werde ich dich sammeln. Ich werde zum Norden sagen: Gib heraus! und zum Süden: Halte nicht zurück, bringe meine Söhne von fernher und meine Töchter vom Ende der Erde", soll angedeutet worden sein, daß die Juden von fünf Kontinenten und aus vierundsiebzig Ländern nach Palästina zurückkehrten.

Laplace

Nun denn, jenen Dialog zwischen Napoleon und Laplace, würde man nicht unbedingt in einer Zeugen Jehovas-Zeitschrift vermuten. Man kann ihn aber trotzdem dort vorfinden, wenn auch in ein tendenziöses Gerüst eingebettet, und zwar in der „Erwachet!"-Ausgabe vom 22. 5. 1958. Das sei jetzt einmal kommentarlos zitiert. In genanntem „Erwachet!" kann man lesen:

Als Napoleon Laplace, einen führenden Astronomen seiner Zeit, fragte, warum er in seinem Werke 'Mecanique celeste' Gott nicht erwähnt habe, antwortete Laplace: „Ich hatte diese Hypothese nicht nötig, Sire."

Diese Auffassung vertritt offenbar auch Joseph Lewis, der Präsident der amerikanischen Freidenker. Nach seiner Meinung beweisen die russischen Satelliten, daß es keinen Gott gibt, denn sie hätten gefunkt: „Keinen Gott im Universum entdeckt." - 'The Providence Journal', 12. Oktober 1957.

Charakteristisch für die Haltung der atheistischen Kommunisten ist eine Meldung der ostdeutschen Presse, wonach die russischen Satelliten „den Massen der Menschen deutlich beweisen, daß der Weltraum weder der Gnade eines Gottes noch irgendeiner anderen übernatürlichen oder angeblich vorhandenen Macht preisgegeben ist". Ferner hieß es darin, daß man der „Hypothese von einem ,Gott'" nicht bedürfe, „um die Probleme in Verbindung mit dem Raketenbau zu lösen". - 'New York Times', 5. Dezember 1957.

Was die Russen geleistet haben, mag tatsächlich, wie die Zeitschrift 'Life' vom 21. Oktober 1957 schrieb, als „die Tat, die die Erde erschütterte" bezeichnet werden. Aber was ist ein Sputnik im Vergleich zu dem, was der Schöpfer, Jehova Gott, geschaffen hat? ...

Die „Sputnik-Erschütterung" hat offenbar aber auch auf die WTG rückgewirkt, worauf schon früher eingegangen wurde. Sputnik-Schock

Rudolf Höß

Bezüglich der von interessierter Zeugen Jehovas-Seite, zeitweilig als diesbezügliche „Kapazität" gefeierten Gabriele Y. erschien mir unter anderem das nachfolgende Schlaglicht beachtlich. Zitat aus dem seinerzeitigen Text. Ausgehend von dem Umstand, dass seitens der Zeugen Jehovas, neben Büchern, ihre „Heldin" Y. auch per Videoaufzeichnung „verewigt" wurde:

In drei dieser Videos tritt jeweils auch Frau Y. auf und das nicht unbedingt an "unbedeutender" Stelle. So in dem Video über eine 1997-er Veranstaltung in Bautzen. Auch in dem Video "Waldheim II". Bei letzterem erschien mir bemerkenswert, dass sie glaubte unter Hinweis auf eine ihr von der WTG zugespielte skandinavische Quelle, eine "große Neuigkeit" zu verkünden. Sie berichtete darüber, dass der KZ-Kommandant Rudolf Höß in seinen Erinnerungen auch auf die Bibelforscher zu sprechen kam und wähnte - fast im Trancezustand - nunmehr eine wichtige Quelle genannt zu haben.

Pech für Frau Y., das diese wichtige Quelle schon etliche Jahre davor in deutscher Sprache zugänglich war, was ihr offenbar entgangen ist.

Dieses Beispiel ist exemplarisch. Die Y. ist in wesentlichen Bereichen von der WTG, respektive von dem Herrn H. abhängig. Was die ihr zugearbeitet haben, das plagiiert sie publikumswirksam. An einer Stelle vermerkt sie auch, dass sie bei "ihrem Aktenstudium" auch auf eine Publikation zu den Zeugen vor 1950 aus dem Berliner Christlichen Zeitschriftenverlag gestoßen sei und sich um die mal bemühen wolle. Sie meinte, dass die ihr vielleicht als "Beweismaterial" im Sinne einer "Verschwörung der Kirchen gegen die Zeugen nützlich sein könnte". Dabei konnte ich mir kaum ein lächeln, ob solcher Thesen verkneifen.

Frau Y... wohnt in Berlin. Sie hatte hier schon längst die Möglichkeit gehabt, in der Staatsbibliothek die fraglichen Schriften einzusehen. Das wäre dann wirkliches Studium gewesen. Aber nicht nur das, was sie per Post (oder auch persönlich) von der WTG und H. zugesteckt bekommt. Großprotzig machte sie auch zwei ihrer Referate (nach dem Motto: Hallo ich weiß was) mit einigen ihr von H. zugesteckten Bemerkungen auf. ..."

Das genannte Buch des Höß erschien als deutsche Ausgabe, erstmals im Jahre 1958. Man kommt nicht umhin, es - auch im Blick auf die Zeitgeschichte der Zeugen Jehovas - als eine relevante Quelle: Quelle aus der Sicht der Nazitäter, einzustufen.

In seiner Einleitung zu ihm notiert Martin Broszat:

„Höß, der das vom Sommer 1940 bis zum Januar 1945 bestehende Konzentrationslager Auschwitz dreieinhalb Jahre lang leitete wurde am 11. März 1946 in der Nähe von Flensburg in Schleswig-Holstein von der britischen Militärpolizei verhaftet.

Am 25. Mai 1946 wurde Höß nach Polen ausgeliefert und am 2. April 1947 fällte das polnische Oberste Volksgericht das Todesurteil gegen Höß, das 14 Tage später in Auschwitz durch den Strang vollstreckt wurde (16. 4. 47).

Der perfekt funktionierende Lagerkommandant von Auschwitz erweist sich als ein ebenso musterhafter Untersuchungsgefangener, der nicht nur seine Kenntnisse über die Konzentrationslager pedantisch ausbreitet, sondern auch dem Gefängnispsychiater die Arbeit zu erleichtern trachtet, indem er über sich selbst, sein Leben und seine „Psyche", so wie er sie versteht, ausführlich Rechenschaft ablegt.

Die eilfertig-eifrige Gewissenshaftigkeit eines Mannes, der immer nur im Dienst irgendwelcher Autoritäten steht, der stets seine Pflicht tut, als Henker wie als geständiger Delinquent."

Aus seinen eigentlichen Erinnerungen, gemäss vorgenannter Quelle sei noch zitiert:

„Durch das Gelübde meines Vaters, wonach ist Geistlicher werden sollte, stand mein Lebenslauf fest vorgezeichnet. Meine ganze Erziehung war darauf abgestellt. Ich wurde von meinem Vater nach strengen militärischen Grundsätzen erzogen. Dazu die tief religiöse Atmosphäre in unserer Familie. Mein Vater war ein fanatischer Katholik.

Ich habe mit vielen Kameraden darüber gesprochen, weil mich dies trivale Geschäftemachen mit angeblich geheiligten Dingen durch die Vertreter aller dort ansässigen Kirchen anwiderte (Jerusalem, Nazareth im ersten Weltkrieg).

Ich konnte lange Zeit mit diesen Dingen nicht zu Rande kommen. Sie waren aber wahrscheinlich ausschlaggebend für meine spätere Abkehr von der Kirche."

Über seine Dienstzeit im KZ Dachau notiert er unter anderem:

„Anders war es aber mit den übrigen neun Zehntel des Lagers: einer Kompanie (aus) Juden, Emigranten, Homosexuellen, Bibelforschern, einer Kompanie Asozialen und sieben Kompanien politischer Häftlinge, zumeist Kommunisten.

Bei diesen politischen Häftlingen war nun die Haftdauer völlig ungewiß. Sie hing ab von Faktoren die unberechenbar waren. Das war diesen Häftlingen bekannt und deswegen trugen sie an der Ungewißheit so schwer. Schon allein deswegen wurde ihnen das Lagerleben zur Qual. Ich habe mit vielen vernünftigen und einsichtigen politischen Häftlingen darüber gesprochen. Alle erklärten einmütig: Über alle Unzuträglichkeiten des Lagers, wie Willkür der SS-Männer oder der Häftlingsvorgesetzten, die harte Lagerdisziplin, das jahrelange enge Zusammenleben-müssen, das tägliche Einerlei aller Verrichtungen, kämen sie hinweg, das ließe sich alles überwinden, aber nicht über die Ungewißheit der Haftdauer. Das sei das Zermürbenste, das jedem noch so festen Willen lähmende.

Beachtlich auch der Passus über den Kriegsbeginn:

Bei Kriegsbeginn wurden auch in den KL die wehrwürdigen Häftlinge durch Musterungs-Kommissionen der Wehrbezirks-Kommandos gemustert nach Tauglichkeit. Die tauglich Befundenen wurden dem Gestapa bzw. Dem RKrPa [= Reichskriminal-Polizeiamt] gemeldet und von diesen Ämtern zum Wehrdienst freigestellt oder zurückgehalten. Nun waren in Sachsenhausen zahlreiche Bibelforscher. Eine ganze Anzahl davon verweigerte den Wehrdienst und wurde daher vom RFSS als Kriegsdienstverweigerer zum Tode verurteilt. Sie wurden vor den gesamt angetretenen Häftlingen im Schutzhaftlager erschossen. Die Bibelforscher mußten im vordersten Glied zusehen.

Ich habe schon viele religiöse Fanatiker kennen gelernt, an den Wallfahrtsstätten, in den Klöstern, in Palästina, an der Hedschas-Bahn, im Irak, in Armenien: Katholiken, römische und orthodoxe, Moslems, Schiiten und Sunniten. Aber Bibelforscher in Sachsenhausen, und besonders zwei darunter, übertrafen alles bisher Erlebte. Diese zwei besonders fanatischen Bibelforscher verweigerten alles, was nur irgendwie mit militärischen Dingen zu tun hatte. Sie standen nicht still, also sie nahmen nicht die Absätze zusammen, legten die Hände nicht an die Hosennaht, nahmen die Mütze nicht ab. Sie sagten, diese Ehrenbezeigung gebühre nur Jehova, aber nicht den Menschen. Es gäbe für sie keine Vorgesetzten, sie würden nur Jehova als einzigen Vorgesetzten anerkennen.

Man mußte die beiden aus dem Block der Bibelforscher entfernen und im Zellenbau verwahren, da sie die anderen Bibelforscher auch fortgesetzt zu ähnlichem Verhalten aufforderten. Eicke hat sie mehrere Male zu Prügelstrafen verurteilt, wegen ihres disziplinwidrigen Verhaltens. Sie ließen die Prügelstrafe mit einer Inbrunst über sich ergehen, daß man beinahe annehmen konnte, sie seien pervers veranlagt. Sie baten den Kommandanten um weitere Strafen, um so besser für ihre Idee, für Jehova zeugen zu können. Nach ihrer Wehrdienst-Musterung, die sie, wie nicht anders zu erwarten war, ganz und gar verweigerten - sie verweigerten sogar jegliche Unterschrift unter ein militärisches Papier -, wurden sie durch den RFSS ebenfalls zum Tode verurteilt. Als ihnen dies im Arrest eröffnet wurde, gerieten sie außer Rand und Band vor Freude und Verzückung, sie konnten gar nicht abwarten, bis die Zeit der Exekution heran war. Immer wieder rangen sie die Hände, schauten verzückt nach oben und riefen ununterbrochen: »Bald sind wir bei Jehova, welch ein Glück, daß wir dazu auserwählt sind.

Sie hatten schon einige Tage vorher einer Exekution ihrer Glaubensbrüder beigewohnt, wo sie kaum zu halten waren. Sie wollten immerzu ebenfalls erschossen werden. Diese Besessenheit war kaum mehr anzusehen. Gewaltsam mußten sie nach dem Arrest gebracht werden. Nun zu ihrer Exekution liefen sie beinahe im Trab. Sie wollten auf keinen Fall gefesselt sein, um ja die Hände zu Jehova erheben zu können. Mit einer Verklärung und Verzückung standen sie vor der Holzwand des Kugelfangs, die nichts mehr Menschliches an sich hatte. So stellte ich mir die ersten christlichen Märtyrer vor, wie sie in der Arena auf das

Zerrissen-werden durch wilde Bestien warteten. Mit völlig verklärtem Gesicht, die Augen nach oben gerichtet, die Hände zum Gebet gefaltet und erhoben gingen sie in den Tod. Alle die dies Sterben sahen, waren ergriffen, selbst das Exekutions-Kommando war benommen.

Die Bibelforscher wurden durch den Märtyrertod ihrer Glaubensbrüder noch besessener in ihrem Glauben als Zeugen Jehovas. Mehrere, die schon den Revers - daß sie sich nicht mehr werbend für ihren Glauben einsetzen würden -, der ihnen zur Freiheit verhalf, unterschrieben hatten, nahmen dies wieder zurück, sie wollten gerne weiter für Jehova leiden. -

An und für sich waren die Bibelforscher im gewöhnlichen Leben ruhige, fleißige und umgängliche, stets hilfsbereite Menschen, Männer sowie Frauen. Meist waren es Handwerker, auch viele Bauern in Ostpreußen. Solange sie in Friedenszeiten sich auf ihre Gebetsübungen, ihre Gottesdienste und Geschwisterzusammenkünfte beschränkten, waren sie für den Staat ungefährlich und harmlos. Als aber ab 1937 die vermehrte Werbung dieser Sekte spürbar wurde, spürte man doch mehr nach, fing Funktionäre ab, die den Beweis erbrachten, daß von Feindseite bewußt an der Verbreitung der Idee der Bibelforscher eifrigst gearbeitet wurde, um so von der religiösen Seite her den Wehrwillen des Volkes zu untergraben. Bei Kriegsbeginn zeigte sich dann ja auch, welche Gefahr heraufbeschworen worden wäre, wenn man nicht ab 1937 die aktivsten Funktionäre und die fanatischen Bibelforscher festgesetzt hätte; und so der Werbung für die Zeugenschaft Jehovas Einhalt geboten hätte.

Im Lager waren die Bibelforscher fleißige, zuverlässige Arbeiter, die man auch ohne Posten hätte rausschicken können. Sie wollten ja für Jehova die Gefangenschaft erdulden. Nur lehnten sie alles, was mit Militär, dem Krieg, irgend etwas zu tun hatte, strengstens ab. So verweigerten z.B. die Bibelforscherinnen in Ravensbrück das Wickeln von Verbandpäckchen für die Erste Hilfe, Fanatikerinnen verweigerten das Antreten zum Appell, nur im ungeordneten Haufen ließen sie sich zählen.

Wohl waren die inhaftierten Bibelforscher Mitglieder der Intern. Bibelforscher-Vereinigung. Doch über die Organisation ihrer Vereinigung wußten sie wirklich nichts. Es waren ihnen gerade die Funktionäre bekannt, die ihnen die Schriften verteilten, die die Versammlungen, die die Bibelstunden abhielten. Sie hatten keine Ahnung, zu welch politischen Zwecken ihre fanatische Gläubigkeit benutzt wurde. Wenn man ihnen dies vorhielt, lachten sie darüber, das konnten sie nicht verstehen. Sie hatten lediglich dem Ruf Jehovas zu folgen und ihm treu zu sein. Jehova sprach zu ihnen in Eingebungen, in Gesichtern, durch die Bibel - wenn man sie richtig las -, durch die Prediger und die Schriften ihrer Vereinigung.

Das war alles lautere Wahrheit, an der es nichts zu deuteln gab. Für Jehova, seine Lehre, zu leiden, ja in den Tod zu gehen, galt ihnen als begehrenswert. Sie glaubten eben dadurch erst zu auserwählten Zeugen Jehovas emporzusteigen. So sahen sie auch die Gefangenschaft, die Haft im KL. Willig nahmen sie alle Unzuträglichkeiten auf sich. Rührend waren sie in geschwisterlicher Nächstenliebe umeinander besorgt und halfen sich, wo es nur irgend möglich war.

Doch kamen zahlreiche Fälle vor, wo Bibelforscher sich freiwillig zum »Abschwören« meldeten - so wurde dieser Vorgang von den Bifo. bezeichnet -. Sie unterschrieben einen Revers, worin sie sich von der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung lossagten, worin sie sich verpflichteten, alle Gesetze und Anordnungen des Staates anzuerkennen und zu erfüllen, und worin sie erklärten,

Auf Grund dieser Absage von der I.B.V. wurden diese Bifo, nach geraumer Zeit, in späteren Jahren sofort, entlassen. Ursprünglich wollte der RFSS durch das Weiterverbleiben in Haft - nach dem Unterschreiben - sich vergewissern, ob die Lossage echt und überzeugt geschehen sei. Den Abtrünnigen wurde von ihren »Geschwistern« bös zugesetzt ob ihres Abfalls von Jehova. Und manche, besonders Frauen, haben aus Gewissensbissen die Unterschrift wieder zurückgezogen. Der fortdauernde moralische Druck war zu stark. Die Bibelforscher in ihrem Glauben zu erschüttern, war gänzlich unmöglich; auch die sogenannten Abtrünnigen wollten Jehova unbedingt die Treue halten, auch wenn sie sich von der Glaubensgemeinschaft lossagten. Machte man die Bifo auf Widersprüche in ihrer Lehre, in der Bibel aufmerksam, so erklärten sie einfach, die sähe man eben nur mit den menschlichen Augen, bei Jehova gäbe es keine Widersprüche, er und seine Lehre seien unfehlbar.

Bei vielen Gelegenheiten wiesen Himmler sowie Eicke immer wieder auf diesen gläubigen Fanatismus der Bibelforscher hin als Vorbild. Genauso fanatisch, so unerschütterlich wie der Bibelforscher an Jehova glaubte, genau so müsse der SS-Mann an die Idee des Nationalsozialismus, an Adolf Hitler glauben. Erst wenn alle SS-Männer solch gläubige Fanatiker ihrer Weltanschauung geworden wären, wäre der Staat Adolf Hitlers auf die Dauer gesichert. Nur durch Fanatiker, die gewillt sind, ihr Ich ganz aufzugeben für die Idee, könne eine Weltanschauung getragen und auf die Dauer gehalten werden.

Ich muß noch einmal auf die Exekutionen bei Kriegsbeginn in Sachsenhausen zurückkommen. - Wie verschieden war doch das In-den-Tod-gehen: Die Bibelforscher in einer eigenartigen zufriedenen - man kann sagen - verklärten Stimmung, in dem felsenfesten Bewußtsein, nun in das Reich Jehovas eingehen zu dürfen. Die Kriegsdienstverweigerer und Saboteure aus politischer Überzeugung, fest, gefaßt und ruhig sich in das Unabänderliche, ihr Schicksal, fügend. Die Berufsverbrecher, die wirklich Asozialen entweder zynisch frech, gemacht forsch auftretend, aber innerlich doch zitternd vor dem großen Ungewissen, oder tobend, sich wehrend, oder auch jammernd nach geistlichem Beistand. ...

Ein erfreulicher Gegensatz waren die Bibelforscherinnen - Bibelbienen oder Bibelwürmer genannt. Leider waren es zu wenig. Trotz ihrer mehr oder weniger fanatischen Einstellung waren sie sehr begehrt. Sie waren in den Kinderreichen Haushalten der SS-Familien, im Haus der Waffen-SS, ja sogar im Führerheim zur Bedienung, und hauptsächlich in der Landwirtschaft tätig,

So waren in der Geflügelzucht Harmensee (einer der landwirtschaftlichen Betriebe in der Umgebung des KL Auschwitz, in dem Häftlinge eingesetzt wurden) und auf verschiedenen Gutshöfen beschäftigt. Man brauchte für sie keine Aufsicht, keine Posten. Sie verrichteten fleißig und willig ihre Arbeit, denn dies war ja Jehovas Gebot.

Zumeist waren es ältere deutsche Frauen, doch waren auch eine Reihe jüngerer Holländerinnen vertreten. Ich hatte zwei ältere Frauen über drei Jahre lang im Haushalt. Meine Frau sagte oft, sie selbst könne nicht besser um alles besorgt sein, als die beiden Frauen. Besonders rührend waren sie um die Kinder besorgt, um alle, die großen wie die Kleinen. Diese hingen auch an ihnen, als wenn sie zur Familie gehörten. In der ersten Zeit befürchteten wir, daß sie die Kleinen für Jehovah retten wollten. Aber nein, das taten sie nicht. Nie haben sie in religiösen Dingen zu den Kindern gesprochen. Dies war eigentlich verwunderlich, bei ihrer fanatischen Einstellung. Es gab auch wunderliche Geschöpfe darunter. Eine war bei einem SS-Führer, die machte alles was sie nur von den Augen ablesen konnte, aber sie weigerte sich grundsätzlich, die Uniformen, Mütze, Stiefel, alles was mit dem Militärischen zusammenhing, zu säubern, ja sie rührte sie nicht einmal an. Doch im ganzen gesehen, waren sie zufrieden mit ihrem Los. Durch ihr Leiden in der Gefangenschaft für Jehovah, hofften sie auf eine gute Stelle, in seinem, bald zu erwartenden Reich. -

Eigenartigerweise waren sie alle davon überzeugt, daß die Juden nun gerechterweise zu leiden und zu sterben hätten, weil ihre Vorväter einst Jehovah verrieten. -

Ich habe die Bibelforscher immer für arme Irre gehalten, die aber doch in ihrer Art glücklich waren."

Dieser Bericht zeigt dann wohl auch, dass unter der Ausnahmesituation der KZ-Bedingungen, die Bibelforscher/Zeugen Jehovas selbst ihre Gegner zu beeindrucken vermochten. Dass die Zeugen grundsätzlich in den KZ fehl am Platze waren, darüber kann nicht der geringste Zweifel bestehen. Selbst ein Himmler hat dies dann noch durch Umstellung seiner Zeugen Jehovas-Politik, etwa ab 1943, dokumentiert.

Der Engländer Alan Rogerson, Verfasser eines Zeugen Jehovas bezüglichen Buches, rekapitulierte mal (im Vergleich zu einer späteren Phase, Verbotssituation im Ostblock), dass freiheitliche Rahmenbedingungen, unter Umständen, für die WTG eine weitaus größere Gefahr darstellen können. Und mit dieser Einschätzung hat er wohl recht. Man vergleiche doch mal. Was tut ein Igel, wenn ihm Gefahr droht? Er igelt sich ein. In dieser Phase haben seine Gegner kaum eine Chance.

Die Politik der Nazis und des Ostblocks gegenüber bewirkte nur eines. Die Solidarisierung untereinander. So denn Widersprüche bestehen, und die sind für den Sachkenner unübersehbar, können sie allenfalls unter freiheitlichen Rahmenbedingungen „aufbrechen". Keinesfalls aber unter den totalitären Bedingungen wie sie das Naziregime und der Ostblock, nur zu bieten hatten.

Neue Justiz

Nach längerem publizistischem Schweigen, ist in der für Juristen bestimmten Ostdeutschen Zeitschrift „Neue Justiz" in deren Ausgabe vom 5. 3. 1958 ein Zeugen Jehovas bezüglicher Artikel zu registrieren.

Was war Ostdeutschland? Entgegen seiner offiziellen Selbstbezeichnung, eine Diktatur. Zum Wesen von Diktaturen gehört auch die Gängelung ihrer Bürger, was sie denn lesen, oder besser gesagt, was sie denn nicht lesen dürfen. Schwer zu schaffen machten dem Ostdeutschen Regime ohne Frage die westlichen Rundfunk- und Fernsehsender. Selbige zeitweise gar mit Störsendern überlagert (vor der Konferenz von Helsinki, an der auch Ostdeutschland teilnahm, und sich - theoretisch - zu etwas mehr Freizügigkeit bekannte). Da war nun die Zeit der Störsender einstweilen vorbei. Einer aber erlebte selbst noch im Jahre 1989 eine Renaissance. Angesetzt auf die Nachrichtensendungen des Westberliner Sensders 100,6.

Was nun Zeitschriftenmedien anbelangt, hatte jenes Regime schon sehr früh eine perfide Strategie entwickelt. Das Zauberwort dabei hiess „Postzeitungsvertrieb". Da mussten alle Presseerzeugnisse gelistet sein, so denn ihr Vertrieb gestattet sein sollte. Selbstredend erhielten die Zeitschriften der Zeugen Jehovas (auch vor 1950) nie ein solches Plebiszit. So, die Folge davon wurden alle nicht gelisteten Zeitschriften, pauschal als „Illegal" erklärt. Ein Detailauseinandersetzung etwa mit ihrem Inhalt? Das würde ja Mühe und Zeit kosten, gab es nicht. An primitiver Einfallslosigkeit, hat es Diktaturen wohl noch nie gemangelt.

Später gab es dann tatsächlich auch Zeitschriften in Ostdeutschland vertrieben, die nicht in besagter „Postzeitungsliste" enthalten waren. Ein herausragendes Beispiel etwa die CV.

Aber auch da hatte die Diktatur vorgesorgt. Unter dem hochtrabenden Titel des „Ministeriums für Kultur. Hauptabteilung Buchhandel und Verlagswesen", mussten die genehmigten Herausgeber solcher Blätter, selbige zur Vorzensur einreichen. Erst wenn diese bestanden war, gab es die „Einzeldruckgenemigung".

Angesichts der prinzipiellen Abhängigkeit der Zeugen Jehovas von ihren Zeitschriften, kann man sich unschwer ausmalen, dass da eben eigene Vertriebswege von letzteren aufgebaut wurden. Selbige bestehen bei den Zeugen auch in freiheitlichen Ländern, wie man weis. Im Falle Ostdeutschland, dann eben gezwungenermaßen unterirdisch.

Gelang es dem Ostzonalen Staat, solche darin involvierten Personen überführen zu können, wurde daraus in der Tat Gerichtsfälle inszeniert, wovon eben auch die genannte Ausgabe der „Neuen Justiz" kündet. Das diese Argumentation in keiner Weise westlichen Rechtsstaatlichen Grundsätzen standhält, bedarf wohl kaum der näheren Erläuterung. In solchen Fällen degradierte sich die Ostdeutsche Justiz geradezu zum gewissenlosen Büttel purster Diktatur.

Offenbar hatte da vor dem Bezirksgericht Leipzig, gleich ein Sammelverfahren gegen mehere solcher erwischter Zeugen Jehovas stattgefunden, und die „Neue Justiz" verkauft das alles nun als eine Art Präzendenzfall.

Zitat:

„Die Schriften wurden beim Transport entweder am Körper versteckt oder in Taschen und Koffern mit doppelten Böden transportiert."

Offenbar erwiesen sich diese Vorsichtsmaßnahmen dennoch als nicht vorsichtig genug; sonst wäre es nicht zu solchen Verfahren gekommen. An Vokabeln wie „Hetzschriften", ohne allerdings diesen Anwurf detailliert zu begründen, mangelt es denn in diesem Bericht nicht im geringsten. In der Folge liest man weiter in diesem Bericht:

„Der Senat schloß sich deshalb dem Antrag des Staatsanwalts an und erkannte für den Angeklagten H. auf drei Jahre und sechs Monate Zuchthaus und für den Angeklagten G. auf zwei Jahre Zuchthaus."

Nun war wohl der „Neuen Justiz" die Argumentation des erkennenden Gerichtes noch nicht scharf genug. Denn in einem redaktionellen Nachwort fügt sie dann noch die Urteilsschelte an:

„Das Bezirksgericht hat es jedoch unterlassen zu prüfen, ob nicht in den Besuchen, die die Angeklagten der Zentrale der „Zeugen" in Westberlin abgestattet haben, eine Verbindungsaufnahme zu einer verbrecherischen Organisation gem. § 16 StEG vorliegt. ..."

In ihrer Ausgabe vom 5. 4. 1958 nahm die „Neue Justiz" den Fall nochmals auf. Offenbar war ihr, dass was sie bereits an Scharfes dazu gesagt hatte, immer noch nicht scharf genug. Wieder wimmelt der Artikel von Vokabeln wie „Hetzmaterial" (ohne detaiilierte Begründung) dazu. Allenfalls bestünde „Hetze" in dieser Lesart, etwa in kritischen Äußerungen über die Politik in Ungarn und der Sowjetunion. Hier eben der Umstand, dass die WTG-Voten dazu eben nicht identisch mit der eigenen Lesart dazu sind.

Insofern muss man diese Juristerei auf den Faktor Gesinnungsjustiz reduzieren.

Auch an solchen Plattitüden mangelt es dann nicht wie:

„Die Gefährlichkeit dieser Handlungen erfordert ein hartes Strafmaß zum Schutze unserer Bürger und des Aufbaus des Sozialismus in unserem Staat sowie zur Erhaltung des Friedens ..."

Ostdeutsche Justiz. Gewogen und für zu leicht befunden, wäre das Gesamturteil also. An die Adresse der WTG indes muss auch gesagt werden. Sie will ja internationale Organisation sein. Sie will keinerlei nationale Eskapaden dulden. Indem sie etwa mit ihren Ungarn- und Sowjetunion-Urteilen in vollem Einklang mit dem westlichen Mainstream sich befindet, liefert sie damit die gesuchten Vorwände. Jedenfalls ist eine solche WTG-Politik keineswegs mit der Bibelaussage identisch: Ein stilles und ruhiges Leben führen zu wollen.

Einbruch

Ein makabres dem Jahre 1958 auch zuzuordnendes Ereignis, gilt es dann wohl auch noch zu registrieren. Ließen die Nazis in Danzig, auf offener Strasse einen WTG-Funktionär kidnappen, wollten die Ostdeutschen Nazinachfolger dem wohl nicht nachstehen. Kidnappen gehörte anfänglich durchaus mit zu ihrem „Geschäft". Ein „Geschäft" dass selbst die USA skrupellos noch nach 1989 auf deutschem Boden betrieben

http://thausherr.blogspot.com/2005/12/otto-schily-stiller-mitwisser-bei-cia.html

http://www.trend.infopartisan.net/trd1199/t161199.html

Insofern mag derjenige der den Finger gegen die Ostdeutschen Nazinachfolger erhebt, bitte schön auch die mit dem USA-Pass nicht vergessen!

Ob denn um 1958 noch die aktive Kidnapping-Politik bestand, mag mit einem Fragezeichen versehen sein. Eine Variante (eine Stufe tiefer) indes lässt sich sehr wohl nachweisen.

Eine spektakuläre Meldung verbreitete am 28. 12. 1958, unter anderem die Westberliner Zeitung „Der Tagesspiegel"

Politischer Einbruch bei den „Zeugen Jehovas

Kartei mit Namen und Adressen der Besucher aus der Zone gestohlen

„In dem West-Berliner Sitz der religiösen Sekte 'Zeugen Jehovas' in Charlottenburg ist, vermutlich im Auftrage des sowjetzonalen Staatssicherheitsdienstes eingebrochen und die Besucherkartei mit etwa 1200 Namen und Adressen von Bürgern aus der Sowjetzone geraubt worden. Wie die Polizei erst am Sonnabend bekanntgab, ist der Einbruch bereits in der Nacht zum vergangenen Sonntag geschehen.

Die Sekte der 'Zeugen Jehovas' ist in der Sowjetzone verboten. Ihre Mitglieder werden verfolgt. Viele von ihnen wurden bereits zu hohen Zuchthaus- und Gefängnisstrafen verurteilt. Die Einbrecher sind nach Meinung der Kriminalpolizei mit der Lage der in einer renovierten Villa in der Bayernallee in Charlottenburg untergebrachten Büroräume der Sekte eng vertraut gewesen, denn sie gingen zielsicher durch mehrere Zimmer, bis sie in den Raum kamen, indem die Besucherkartei aufbewahrt wurde. Sie ließen alle Wertgegenstände, darunter mehrere neue Schreibmaschinen und einen größeren Geldbetrag, unberührt und nahmen nur die aus etwa 300 Karten bestehende Besucherkartei mit.

In dieser Kartei registrierte die Sekte die Namen von Besuchern aus der Sowjetzone. Auf jeder Karteikarte waren etwa vier bis fünf Namen und Ortsangaben verzeichnet. Ein Sprecher der Sekte wies nachdrücklich darauf hin, dass es sich bei diesen Namen nicht um Mitglieder der 'Zeugen Jehovas' handle. Die Mitgliederkartei werde in einem anderen, Tag und Nacht bewachten Raum aufbewahrt.

Wie die Polizei erklärte, sind die Einbrecher äußerst geschickt und leise vorgegangen. Sie wurden von den etwa 30 in der Villa lebenden 'Zeugen Jehovas' nicht gehört. Die Polizei fand auch keine Fingerabdrücke oder Zeichen dafür, dass die Verbrecher mit Handschuhen gearbeitet haben. Dafür lagen am Tatort das Einbruchwerkzeug, mehrere Zangen und Stemmeisen, dass vermutlich zum ersten male benutzt wurden. Außerdem fand die Polizei mehrere neue Staublappen, die sich die Einbrecher offenbar bei der Arbeit um die Hände gewickelt hatten, um Fingerabdrücke zu vermeiden. Bei der West-Berliner Polizei herrscht kein Zweifel, dass die Besucherkartei der Sekte von den Einbrechern nach Ost-Berlin gebracht worden ist."

Auch andere, überregionale Tageszeitungen nahmen das Thema auf, so z. B. die „Stuttgarter Zeitung" vom 29. 12. 58. In Ergänzung des vorher zitierten Berichtes sei aus ihr noch der Passus zitiert:

„Der Einbruch in das Westberliner Büro in Charlottenburg verrät nach Ansicht der Polizei eine genaue Kenntnis der Räumlichkeiten. Die Einbrecher drangen mit der Hilfe einer Leiter in das erste Stockwerk des Hauses und ließen in den Büroräumen fast alles unberührt. Zielbewusst drangen sie in den Raum mit den Akten und Karteikarten der Religionsgemeinschaft vor. Gestohlen wurden nur der Karteikasten mit den Namen der Ost-Mitglieder der Religionsgemeinschaft."

Aus den Kreisen jener, die Stasidokumente zu jenem Fall auch in der Gauckbehörde eingesehen haben, wurde verlautbart:

„Vor 1958 wurden Personaldaten im Büro Berlin gesammelt, über alle Personen, die irgendwie mit den Gruppen in Verbindung standen. Dies entsprach nicht den einfachsten Sicherheitsregeln. Da waren Kuriere unterwegs, die immer wieder die Kartei zu vervollständigen hatten."

Einer jener, der diese Dokumente eingesehen hat, vermerkt weiter, dass er Stasipläne eingesehen habe, aus denen hervorging, „dass bereits einige Jahre vor 1958 die 'Entnahme' - (d. h. dieser Kartei) geplant war. IM Max war eifrig am Werk. Das solcher Art Einbruch Maßnahmen geplant wurden, war ja klar, warum aber hat sich die Wachtturmorganisation überhaupt mit so einer solchen Sammlung beschäftigt?"

Fazit: Offenbar beinhaltet der Passus „Besucherkartei", dass damit der Stasi insbesondere die Namen der ostdeutschen Kuriere ihrer Organisation in die Hände gefallen sind. Sie wird dieses Wissen dann in den späteren Jahren noch zielgerichtet verwertet haben. Nicht umsonst rühmt sich die Stasi in ihrem Operativvorgang „Sumpf", dass alle wichtigen Kurierverbindungen aufgeklärt worden seien. Offenbar, hat das Berliner Büro der Zeugen Jehovas, unfreiwillig, seinen Teil zu dieser Stasiaufklärung beigetragen. In einer späteren Veröffentlichung bagatellisiert D. jenen Fall. Er nannte auch den Namen des mutmaßlichen Einbrechers im Stasiauftrag, aufgrund seiner Aktenkenntnis. Dennoch können auch diese Angaben von D. (in einer beiläufigen Anmerkung verpackt) keinesfalls befriedigen. Zur Aufklärung der Sachlage hätte es jener Fall verdient, durchaus detaillierter dargestellt zu werden und nicht nur in einer die Zeugen Jehovas verteidigenden apologetischen Wendung.

Zu den Bagatellisierungen von WTG-Seite, etwa in einer Schrift von Y..., gehört die Angabe:

Offensichtlich hatte er (der Einbrecher) nicht erkannt, daß ihm nur ein Teil der Arbeitskartei in die Hände gefallen war, und daß ein weiterer Teil der Karten zurückblieb. ...die befürchtete landesweite Verhaftungswelle blieb aus."

D. meint dazu:

„Da die Karteikarten noch vom Vortag in Arbeit waren, befanden sie sich nicht in den Karteikästen. Den verschlossenen Rollschrank, in dem sich weitere Unterlagen befanden, ließ er unbeachtet."

Immerhin nennt D. einen Namen, dessen Inhaftierung er sehr wohl in den Kontext dieser Stasi-Aktion setzt.

„Nach dem Einbruch kam es nicht zu der allgemein befürchteten Verfolgungs- und Verhaftungswelle unter den Zeugen Jehovas in der DDR, ein Anstieg der Verhaftungen war dennoch zu verzeichnen. Wurden 1958 noch 80 Zeugen Jehovas verhaftet, so waren es 1959 nach dem Einbruch 128 Verhaftungen. Im Jahre 1960 lassen sich wiederum 79 Verhaftungen verzeichnen. Nach diesen Zahlen zu urteilen, kam es zu ca. 50 zusätzlichen Verhaftungen, daneben auch zu einer Anzahl von Verhören, wobei eine direkte Verbindung mit dem Einbruch nicht nachgewiesen werden kann. ... (Opfer der) Aktion "Zentrum" ist der Zeuge Jehovas Herbert Buschbeck aus Jena. Buschbeck war bereits seit mehreren Jahren von der Staatssicherheit im Rahmen eines eigenständigen Operativen Vorgangs beobachtet worden. Er wurde offensichtlich als erster nach dem Einbruch am 22. Januar 1959 verhaftet. Am 16. April 1959 verurteilte ihn der 1. Strafsenat des Bezirksgerichts ... zu 7 Jahren Zuchthaus, die höchste Strafe für einen im Zusammenhang mit der Aktion "Zentrum" festgenommenen Zeugen Jehovas."

Auch in der sogenannten „Christlichen Verantwortung" (November 1966) begegnet man dem Namen dieses Buschbeck noch in der Form einer üblen Anmache, indem sie sich erdreistet (ohne nachvollziehbare Details hinzuzufügen), zu der Aussage:

"Es herrscht Empörung über den 'Hirten' Herbert Buschbeck, der nach seiner Entlassung nicht wieder zur Herde zurückkehrte, sondern nach Westdeutschland ging, um seinen Lohn von ca. 20 000 Westmark zu empfangen."

Die „Empörung" dürfte dann allerdings nur auf die Stasikreise beschränkt gewesen sein.

Wie auch immer. Wenn von WTG-Seite der Fall als nicht sonderlich erfolgreich eingestuft wurde, dann ist das wohl ebensolche Apologie, wie sie auch auf der Gegenseite nachweisbar ist.

Zu den Skurrilitäten gehört dann wohl auch noch, dass der Einbrecher, nunmehr von der Stasi mit neuem Namen versehen, als „Wolfgang Daum", dann gar noch Redakteur der CV zeitweilig wurde. Über seine Einbrecherkünste will ich mir denn kein Urteil erlauben, wohl aber über seine „Qualifikation" für vorgenanntes Amt. Da fällt mir dann allerdings nur eine Vokabel ein. Die mit „N" beginnt. „N" wie Niete. Aber sicherlich hatte die Stasi da wohl noch einen „Versorgungsauftrag". Das erklärt dann ja in der Tat einiges.

Und es ist meines Erachtens eine Fehlinterpretation noch für das Jahr 1958 zu unterstellen, dem DDR-Staat käme es ist erster Linie auf „Verhaftungen" an. So solche stattfanden, betrafen sie in erster Linie herausgehobene WTG-Funktionäre wie etwa den genannten Buschbeck, jedoch nicht (mehr) das „breite Mittelfeld". Da reichte es der Stasi einstweilen, nur zu wissen, wen sie denn auf Seiten der Zeugenorganisation, wie einschätzen müsse. Zudem fand just im Jahre 1958 ein Politikwechsel in der Zeugen Jehovas-Sache statt. Ersichtlich daran, dass die historischen Splittergruppen, etwa in Dresden, Leipzig und anderen Orten, die auch beim 1950er Zeugen Jehovas-Verbot mit tangiert waren, nunmehr „hofiert" wurden, und man (verspätet - zu spät) versuchte, sie für die Zeugen Jehovas-Sache zu instrumentalisieren. Die Balzereit-Zeitschrift „Nachdenkliches aus Leben und Christentum" erschien in jenem Jahre erstmals bis einschließlich 1965, um dann durch die „Christliche Verantwortung" (faktisch) ersetzt zu werden.

Kommentarserie 1958 zusammengefasst

1958.Koenigreichsdienst

Der nächste Jahrgang   1959

ZurIndexseite