Re: Im Zeitspiegel
geschrieben von:  Drahbeck user status icon global 
Datum: 04. August 2008 01:48
In der Wochenzeitung "Christ und Welt" war in deren Ausgabe vom 22. 3. 1968 zu lesen: 

„Nur einmal bestraft. Erleichterung für Zeugen Jehovas und Richter
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die für einen Rechtsstaat unwürdige Praxis beendet, Straftäter für dasselbe Delikt zweimal zu bestrafen. Der Senat entschied, dass Wehrdienstverweigern, die auch den zivilen Ersatzdienst ablehnen, dafür nur einmal bestraft werden dürfen. Mit dieser Entscheidung hob das Gericht mehrere Urteile unterer Instanzen auf, nach denen Angehörige der Religionsgemeinschaft „Zeugen Jehovas" zwei oder dreimal mit Gefängnis bestraft wurden, weil sie einer zweiten oder dritten Einberufung zum Ersatzdienst nicht nachgekommen waren.

Wegen Bedenken gegen eine Doppelbestrafung hatte der Zweite Senat bereits im Juli 1967 die Vollstreckung der Gefängnishaft ausgesetzt, zu der zwei „Zeugen Jehovas" zum zweiten Mal verurteilt waren. Nun haben die Verfassungsrichter ihren Bedenken Raum gegeben. Die Klärung war überfällig.

Schwere Bedenken aber wurden immer wieder dagegen erhoben - auch von Richtern!, - die zweite oder gar dritte Verweigerung des Ersatzdienstes als neue Straftat zu bewerten und entsprechend zu ahnden.

Dieser Anflug von Mitgefühl ging einem Münchner Schöffengericht völlig ab, das im Juni 1967 einen „Zeugen Jehovas", der bereits einmal acht Monate im Gefängnis abgesessen hatte, erneut „wegen Dienstflucht" so die gesetzliche Bezeichnung des Deliktes der Ersatzdienstverweigerung - für zehn Monate ins Gefängnis schickte. Nach einem Gerichtsbericht der „Süddeutschen Zeitung" antwortete der Vorsitzende auf den Hinweis des Angeklagten dass die „Zeugen Jehovas" in Schweden auch vom Ersatzdienst befreit seien: „Dann müssen sie eben nach Schweden gehen - bei uns herrschen andere Gesetze." 

Gründe der Staatsräson gegen das Gewissen eines einzelnen Staatsbürgers führte auch ein Freiburger Schöffengericht ins Feld. In der Begründung eines Zweiturteils (achtzehn Monate nach einer Erststrafe von einem Jahr!) verkündete der Vorsitzende, strafverschärfend sei in Betracht zu ziehen, „daß sich die Fälle der Ersatzdienstverweigerung häufen und damit eine erhebliche Gefahr für das öffentliche Leben gegeben ist."


Ergänzend noch aus derselben Zeitschrift die Ausgabe vom 4. 8. 1967. Unter der Überschrift „Dann müssen sie nach Schweden gehen. Die Zeugen Jehovas von den Richtern" war dort zu lesen: 

„Noch immer werden „Zeugen Jehovas" zu beachtlichen Freiheitsstrafen verurteilt, weil sie als anerkannter Kriegsdienstverweigerer den zivilen Ersatzdienst in Krankenhäusern unter sonstigen Sozialeinrichtungen ablehnen...
Urteil vom Juli 1967 ... 
Das Münchner Schöffengericht verurteilte den 26jährigen Goldschmiedemeister Lothar St. zu zehn Monaten Gefängnis. Lothar St. hat damit seine zweite Strafe abzusitzen, denn 1965 war er schon einmal zu acht Monaten Gefängnis wegen Ersatzdienstverweigerung verurteilt worden. 

Schon vor drei Jahren warnte der Leiter der evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Kirchenrat Hutten vor Gerichtsprozesse „ohne Ende" gegen die Zeugen Jehovas. Die Prozesse seien „in ihren Ansatz falsch, in ihrem Ablauf peinlich in ihrem Ergebnis unbefriedigend und in ihren Effekt wirkungslos."

Der Zeuge Jehovas vor dem Münchener Schöffengericht berief sich darauf, dass er den Ersatzdienst aus Glaubensgründen ablehne. 
Mit Bibelworten das Gericht zu überzeugen gelang ihm nicht. 

„Es geht nicht an, dass jemand aus Gründen seiner religiösen Überzeugung Vorteile gegenüber anderen Bürgern in Anspruch nimmt", meinte der Amtsgerichtsrat in seinem Antrag auf zehn Monate Gefängnis.

Die „Zeugen" bezeichnen den Wehrdienst grundsätzlich als Verbrechen und somit auch jeglichen „Ersatz" des Wehrdienstes. Als Soldaten Christi würden sie fahnenflüchtig, wenn sie sich den Gesetzen des Staates unterworfen. Den Einwand, das sie doch auch Steuern bezahlen und die Leistungen des Staates entgegennehmen, weisen sie mit dem Zinsgroschengleichnis zurück, wodurch sie lediglich zur Steuerzahlung und zu sonst nichts verpflichtet seien. 

Vielmehr beanspruchen die Zeugen die gleichen Rechte wie die Geistlichen der beiden großen Konfessionen, die vom Wehr- und Ersatzdienst in der Bundesrepublik befreit sind. Mit Ausnahme der letzten, gewiss sehr anfechtbaren Regelung, sind die Argumente der „Zeugen" tatsächlich schwer verständlich, ja sie machen eine Fehleinschätzung der Rolle des Bürgers in der Demokratie sichtbar.

Die Zeugen Jehovas sehen jedoch grundsätzlich diesen Staat als ein endzeitliches Gebilde des Antichristen an. Sie verstehen sich selbst als Gesandte Gottes und beanspruchen so etwas wie Diplomatenrechte in einem Gastland, obwohl sie doch weitgehend nach den Spielregeln unserer Gesellschaft leben.

Sieht es in einigen Prozessen doch so aus, als ob der Staat um die Unterhöhlung seines Anspruches durch die Zeugen Jehovas bangt, und dass es ihm in seiner Rechtsprechung um ein pures Durchsetzen obrigkeitlicher Ansprüche gegenüber dem Individuum geht.

Die selbstgezimmerte Märtyrerrolle der „Zeugen" wird durch solches Verhalten geradezu gefördert. 
„Ich verstehe allerdings" meinte der 26jährige Goldschmiedemeister und „Zeuge Jehovas" in München, „dass der Staat auf die Einhaltung seiner Gesetze achten muss, und bin daher bereit, eine Strafe auf mich zu nehmen."

Ob eine mehrfache Bestrafung aus rechtsstaatlichen Gründen zulässig ist, diese Frage hat das Bundesverfassungsgericht vor wenigen Wochen dazu veranlasst, die Vollstreckung der Gefängnisstrafen zweier Zeugen Jehovas, die ebenfalls zum zweiten Mal verurteilt worden waren, auszusetzen.

Hutten denkt dabei an Geldbußen, die sie nach den Gegebenheiten des Einzelfalles richten müssen. Eine entsprechende Regelung gibt es bereits in Schweden. Dort haben die „Zeugen Jehovas" nach einer Grundsatzentscheidung keinen zivilen Ersatzdienst zu leisten. Es befriedigt nicht recht, wenn ein Schöffengerichtsvorsitzender auf diesen Sachverhalt von einem „Zeugen" hingewiesen, meinte:

„Dann müssen sie ihm nach Schweden gehen - bei uns herrschen andere Gesetze!"


Als weitere Ergänzung sei noch aus dem Votum des im Text mit genannten Kurt Hutten zitiert; veröffentlicht in der „Zeitschrift für evangelische Ethik" Nr. 4/1964:
Es handelt sich um die Wehrpflichtigen Zeugen Jehovas, die nicht nur den Wehrdienst, sondern auch den Wehrersatzdienst ablehnen mit der Begründung, daß er als „Ersatzdienst" grundsätzlich zur gleichen Kategorie gehöre wie der Wehrdienst selbst. Der größte Teil der 300 Gerichtsprozesse, die alljährlich gegen Wehrdienstverweigerer geführt werden müssen, dürfte auf die Zeugen Jehovas entfallen. 

Das Gericht ist ob solcher Sturheit ratlos, und die Ratlosigkeit äußert sich u. a. darin, dass das Maß der verhängten Strafe - trotz der Gleichartigkeit aller Fälle - sehr verschieden ist. Es reicht von drei Monaten bis zu mehr als einem Jahr Gefängnis. 

Ich halte dafür, dass hier eine Änderung not tut. Denn es ist sachwidrig und zugleich eine Verletzung der im Grundgesetz garantierten Glaubensfreiheit, wenn man die Verweigerung des Wehrersatzdienstes aus einer Glaubensüberzeugung heraus mit einer Gefängnisstrafe belegt, und sie damit auf die gleiche Stufe stellt wie eine kriminelle Handlung. Zum anderen machen die Gerichtsverhandlungen deutlich, dass die Richter und Staatsanwälte die Hintergründe gar nicht richtig erfassen, aus denen die Haltung der Zeugen Jehovas erwächst. 

Um diese Hintergründe hier kurz darzutun 
1.) Die Theokratische Organisation vertritt einen radikalen Dualismus. Sie ist Jehovas einzig gehorsames Volk und Werkzeug auf dieser Erde, und alles andere - die Religionen, Staaten usw. - steht unter der Regie des Satans. In der Endschlacht von Harmagedon, werden die Glieder der Theokratischen Organisation gerettet, die übrige Menschheit wird restlos umgebracht. Nachher hat die Theokratische Organisation die Aufgabe, als Kadermannschaft das tausendjährige Königreich Christi aufzubauen und zu regieren.

2.) Die Theokratische Organisation hat jetzt schon eine radikale Trennung von dem „System der Welt" vorgenommen. Sie tritt als „neue Nation" den Nationen der Erde gegenüber. Wer sich ihr anschließt, der vollzieht damit seinen Austritt, nicht nur aus seiner bisherigen Kirche oder Glaubensgemeinschaft, sondern auch aus Volk und Staat. Die Werte und Motive der Volksgemeinschaft und der Vaterlandsliebe, die politischen Ordnungen, Interessen und Ziele seines Volkes sind für ihn gleichgültig geworden, ja mit einem negativen Vorzeichen - der Satansherrschaft - versehen. Alle politischen Konflikte und Kriege sind Händel, die im Satansreich verlaufen und deshalb den Zeugen Jehovas nichts angehen.

3.) Ein Zeugen Jehovas darf deshalb keinen Militärdienst leisten. Denn er ließe sich damit als ein Werkzeug Satans für Unternehmungen und Ziele des Satans missbrauchen. Die Leitung der theokratischen Organisation hat dem Zeugen Jehovas den Militärdienst in jeder Form des Ersatzdienstes strikte verboten. Dieses Verbot muß von ihm unter allen Umständen befolgt werden. Denn die Leitung der theokratischen Organisation beansprucht, der „Offenbarungs- und Verbindungskanal" Gottes zu sein. Ihre Weisung haben also göttliche Autorität. Der Zeuge Jehovas der sie missachtet, verweigert Jehova selbst den Gehorsam und hat die Strafe der Vernichtung verdient.

Aus diesen Tatbestand ergibt sich, dass der Zeuge Jehovas nicht zur Kategorie der Pazifisten gehört, sondern Wehrdienst und Wehrersatzdienst aus religiösen Gründen ablehnt - mag es auch in unseren Augen eine pervertierte Religion sein. Weiter ergibt sich daraus, daß er als Mitglied der Theokratischen Organisation kein freier Mensch ist, der allein seinen Gewissensgehorsam, selbstständig entscheiden kann. Er ist vielmehr ein „Sklave" - das ist ein Kernbegriff der Theokratischen Organisation - und verpflichtet, ihren Anweisungen blind zu folgen. Ein Gesetz, das von ihm unter Strafandrohung verlangt, Wehrersatzdienst zu leisten, stürzt ihn in einen unlösbaren Konflikt. Es ist meines Erachtens unmöglich, diesen Konflikt auf gerichtlicher Ebene auszutragen.

Es gibt bei der Behandlung dieser Fälle nur drei Möglichkeiten: 
Entweder erfüllt der Staat die Forderung der theokratischen Organisation und behandelt all ihre Mitglieder genauso wie die Geistlichen, die gesetzlich vom Wehrersatzdienst befreit sind. Bis jetzt hat meines Erachtens ein Gericht - das Schöffengericht in Osnabrück im Juni 1963 - diesen Standpunkt eingenommen und dem angeklagten Zeugen Jehovas als ordinierten Geistlichen anerkannt. Ein Antrag der Theokratischen Organisation an das Bundesgericht, die Zeugen Jehovas den Geistlichen gleichzusetzen, ist noch nicht entschieden; wird aber voraussichtlich abgelehnt werden, da wesentliche Voraussetzungen für eine solche Gleichstellung fehlen. 

Eine zweite Möglichkeit bestünde darin, dass der Staat gegen die Theokratische Organisation vorgeht, weil sie ihren Mitgliedern die Ablehnung des Wehrdienstes befiehlt. Er könnte also versuchen, sie gerichtlich zu einem Verzicht auf diese Anweisung zu zwingen. Die Theokratische Organisation, deren oberste Leitung zudem nicht in der Bundesrepublik, sondern in Brooklyn sitzt, würde sich einen solchen Zwang nicht beugen, denn er fordert von ihr eine Änderung fundamentaler Lehren. 

So müsste der Staat den letzten Schritt tun und sie wegen staatsfeindlicher Betätigung auflösen und verbieten. Da auch dieser Weg aus vielerlei Gründen nicht gangbar ist, bleibt nur noch die dritte Möglichkeit. Sie besteht in einer Änderung der einschlägigen Bestimmungen des Wehrdienstgesetzes ...

aus der Gruppe der strafbaren Handlungen herauszunehmen und als ein Ordnungsverfahren zu behandeln. ...
Sie bestünde in einer Geldbuße.

Der Zweck der Geldbuße soll in einer Gleichstellung des Ersatzdienstverweigerers mit dem Ersatzdienstwilligen vor dem Gesetz bestehen. 

Ich halte es für unumgänglich, dass eine neue Regelung beschlossen wird. Andernfalls werden wir Jahr für Jahr und ohne Ende Gerichtsprozesse erleben, die in ihrem Ansatz falsch, in ihrem Ablauf peinlich, in ihren Ergebnis unbefriedigend und in ihren Effekt wirkungslos sind. 


Man vergleiche zum Thema auch:
Http://forum.mysnip.de/read.php?27094,627,4782#msg-4782
Dort der Eintrag vom 3. Mai 2008

Bezüglich des Details einer Radiosendung von Anfang 1967, sei deren Link nochmals separat genannt:

Eine Radiosendung des Jahres 1967 zum Thema Ersatzdienst

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