Re: Wachtturmstudienartikel für Sonntag, den 27.April 2008
geschrieben von:  Frau von x 
Datum: 29. April 2008 22:02
Zitat
Wenn uns von staatlicher Seite auferlegt werden sollte, mit der Verkündigung der guten Botschaft aufzuhören, ändern wir vielleicht diskret unsere Predigtmethoden, hören aber ... nicht auf zu predigen. Falls es nicht mehr gestattet sein sollte, von Haus zu Haus zu gehen, könnten wir nach anderen Möglichkeiten suchen, mit den Wohnungsinhabern in Kontakt zu kommen und den göttlichen Auftrag auszuführen.


Folgender Bericht fiel mir dazu ein, den ich in dem Buch: "Auf der Suche nach christlicher Freiheit." von Raymond Franz S.188-193 las:

"Würde man der Zentrale der Wachtturm-Gesellschaft die Frage stellen, ob sich alle Mitglieder (...) am Zeugniswerk von Haus zu Haus beteiligen müssen, wenn sie wahre Zeugen oder sogar wahre Christen sein wollen, bekäme man wahrscheinlich zu Antwort, das sei kein unabdingbares Erfordernis. ...
Wir haben jedoch schon gesehen, daß Verantwortliche in der Organisation zugeben, daß es fraglich ist, ob sich die Zeugengemeinde insgesamt tatsächlich aus freien Stücken an dieser Tätigkeit beteiligt, aus freiem Entschluß und ohne einen Zwang zu spüren.
Warum wird sie dann aber durchgeführt? Es liegt auf der Hand, daß sie im Grunde genommen zu einer Gesetzesvorschrift geworden ist, so daß Nichtteilnahme daran Schuldgefühle erzeugt, ähnlich wie sich ein praktizierender Katholik schuldig fühlt, wenn er nicht regelmäßig zur Messe geht. ...
Für die Zeugen hat das "Verkünden der ,guten Botschaft' " nur eine Bedeutung: Predigtdienst von Tür zu Tür mit der Literatur der Organisation.
Es besteht kaum Zweifel, daß die Mehrzahl der Zeugen Jehovas inzwischen der Lehre glaubt, diese besondere Methode des Zeugnisgebens von Tür zu Tür sei von Gott angeordnet, es sei die von Christus und den Aposteln und Jüngern angewandte Methode und der beste und wirkungsvollste Weg, heutzutage weltweit die gute Botschaft zu predigen. Wie fest diese Ansicht in vielen Köpfen steckt, zeigt deutlich die Ausgabe der Zeitschrift Wachtturm vom 1.Februar 1966, in der über die Tätigkeit der Zeugen Jehovas im kommunistischen China berichtet wird.
Ein Artikel führt die Erlebnisse von Stanley Jones auf, der in diesem Land Missionar war. Er erzählt, daß nach der kommunistischen Eroberung Schanghais, wo die Zeugen vor allem tätig waren, ursprünglich die Freiheit bestand, das Werk fortzuführen. Etwa zwölf Monate später, im Jahre 1951, teilten ihnen die chinesischen Behörden mit, sie könnten in den Königreichssälen predigen und in den Wohnungen der Menschen Bibelstudien durchführen, dürften aber nicht von Haus zu Haus gehen. Die Wachtturm - Missionare, die keine Chinesen waren, darunter auch Jones, hörten mit dieser Tätigkeit auf. Die chinesischen Zeugen jedoch gingen weiterhin von Tür zu Tür, und Jones sagt, daß er und die anderen ausländischen Missionar sich "sehr über ihre Reaktion freuten".
...
Stanley Jones berichtet:
 

Dann wurde Schwester Nancy [Yuen] vom Dienst von Haus zu Haus weg zur Polizeiwache
geführt und in Haft behalten. Sie hatte vier Kinder, von denen eines erst ein Jahr alt war. ...
Diese Schwester wurde vier Jahre in Haft behalten, bevor sie schließlich vor Gericht gestellt und 
verurteilt wurde. ... Eine andere Schwester, eine Lehrerin und gleichfalls Mutter von vier Kindern, wurde 
ebenfalls verhaftet.

Was könnte Mütter von Kleinkindern angesichts der Vorboten wachsender Gefahr dazu bringen, die schreckliche Aussicht zu riskieren, für eine unbestimmte Zeit von den Kindern, sogar von einem einjährigen Baby, getrennt zu sein? Sie wußten, daß die Missionare diese Tätigkeit eingestellt hatten. Doch sie machten weiter. Warum? Betrachteten sie und die anderen chinsischen Zeugen die Tür-zuTür-Tätigkeit als etwas Freiwilliges, als nur einen von vielen gangbaren Wegen, den Inhalt der Bibel mit anderen Menschen zu teilen? Oder sahen sie sie als DEN Weg an, ... , als von Gott vorgeschriebenen Weg, den zu gehen sie verpflichtet waren? Wenn das zweite zutrifft, warum waren sie dann dieser Meinung? Wer oder was war der Anlaß, diese Aussicht zu übernehmen?
Vierzehn Jahre nach dem Erscheinen des Artikels über Stanley Jones enthielt der Wachtturm vom 15.Oktober 1979 einen Bericht aus erster Hand von Nancy Yuen, die nun aus dem Gefängnis entlassen war. Dieser Artikel bereitete den Weg für einen Hauptartikel in derselben Ausgabe über die Wichtigkeit der Zeugnistätigkeit von Haus zu Haus (geschrieben von Lloyd Barry, einem Glied der leitenden Körperschaft). Nancy Yuen berichtet, was mit ihr geschah und warum:

 

Anfang 1956 [...] wies [man] uns warnend darauf hin, daß wir das Predigen einstellen und
unser Wirken auf den Königreichssaal beschränken sollten. Da ich aber glaubte, dem göttlichen 
Predigtauftrag nachkommen zu müssen, beteiligte ich mich auch weiterhin an der Tätigkeit von 
Tür zu Tür. ...



... Die eigentliche Frage ist: Macht der Auftrag Gottes an Christen, die gute Botschaft zu verbreiten, es ihnen zur Pflicht, dies auf eine bestimmte Art und Weise zu tun, indem man nämlich von Tür zu Tür geht? Wird diese Methode in der Schrift als der vorrangige Weg gelehrt, die gute Botschaft zu verkündigen; als Markenzeichen der wahren Jünger Jesu Christi? Nancy Yuen hatte das offenbar geglaubt. Ihre eigenen Worte zeigen nämlich, daß sie dies als eine Tätigkeit ansah, der sie ,nachkommen mußte'. Die Vertreter der Wachtturm-Gesellschaft sagten nichts, was ihr oder der anderen Mutter von vier Kindern Grund gegeben hätte, etwas anderes zu glauben. Daß man sie als Beispiel nahm, um auf einen Artikel vorzubereiten, in dem ein Glied der Leitenden Körperschaft positiv über das Zeugnisgeben von Haus zu Haus sprach, läßt sicherlich den Schluß zu, daß man ihre Haltung für richtig hielt.
Was geschah nun mit Nancy Yuen aufgrund ihres Standpunktes, den sie gewonnen hatte und von dem sie glaubte, er sei biblisch? Sie berichtet:

Schließlich in der zweiten Hälfte des Jahres 1956, nachdem ich bereits sechsmal aufgrund
meines Predigens verhaftet worden war, nahm man mich wieder fest, ... . 
Diesmal ließ man mich nicht wieder frei.


Ehe sie, ihr Ehemann und die Kinder schließlich wieder in Hongkong als Familie vereint waren, vergingen dreiundzwanzig Jahre.Ihre Kinder waren nun nicht mehr klein; es waren Erwachsene, Ende zwanzig und Anfang dreißig Jahre alt. In den Jahren, die einen Menschen am meisten prägen, war sie nicht mit ihnen zusammengewesen. Bis zu ihrem Prozeß war sie zuerst vier Jahre in Haft gehalten worden, sie wurde dann zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und nach einigen Jahren freigelassen. Sie fing wieder an zu predigen, wurde wieder verhaftet und nochmals verurteilt. Die Gefängnisstrafen betrugen insgesamt zwanzig Jahre.
...
Nancy Yuen sagte, was sie glaubte:

 

Damit ich meinem Gott treu bleiben konnte, mußte ich alles aufgeben, sogar meine kleinen Kinder.



Sie glaubte fest daran, daß die Loyalität zu Gott von ihr forderte, trotz eines Gesetzes von Haus zu Haus zu gehen, das nicht verbot, zu predigen, das aber verbot, auf diese Art zu predigen. Ihr Glaube war ganz eindeutig das Ergebnis dessen, was die Wachtturm-Publikationen lehren. So hieß es im Watchtower vom 1.Juli 1955, Seite 409 [deutsch:Wachtturm, 1.September 1955, Seite 537], in einem Artikel über die Taufe, der ein Jahr vor ihrer Verhaftung erschien, unter der Überschrift "Erfordernisse":

10 ...Der Gott

Hingegebene muß gemäß seiner Fähigkeit

von Haus zu Haus Zeugnis geben, so wie es

Christus Jesus und die Apostel taten
, ... .

Das führt uns zum eigentlichen Thema zurück: Ist dieser Glaube biblisch? Wenn ja, dann ist alles Leid im Falle von Nancy Yuen und anderen aus ähnlichen Gründen zu Recht als Teil des "Leidens für Christus" anzusehen; es ist ein notwendiges Opfer und eine Konsequenz, ... . In diesem Fall tragen die Behörden, die solche harten und unterdrückenden Maßnahmen ergriffen haben, dafür völlig die Verantwortung.
Wenn andererseits die Ansicht, die in Nancy Yuen, der anderen vierfachen Mutter und den anderen chinesischen Zeugen - wie auch in vielen Zeugen in weiteren Ländern - genährt wurde, nicht eindeutig und unmißverständlich in der Bibel gelehrt wird; wenn sie sich aus der Verfahrensweise einer Organisation aufgrund der Argumentation von Menschen ergibt, dann kann man eigentlich nur noch die Frage stellen, wie sehr die Urheber dieser Lehre dafür die Verantwortung tragen.
...
...
...
Man kann auch nicht leugnen, daß viele Zeuginnen geglaubt haben, sie seien verpflichtet, trotz erheblicher Widerstände ihrer Ehemänner, die keine Zeugen sind, weiterhin von Tür zu Tür zu gehen, obwohl sie wußten, daß das Eheprobleme auslösen oder, wie in einigen Fällen vorgekommen, auch zur Scheidung führen konnte. ..."

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