Der vorangegangene Jahrgang,   1937

Vor (mehr als) 50 Jahren

Was 1938 Wahrheit war

„Schluss mit lustig"

Russell hatte seinen Bibelforschern noch relative Freiheit gelassen. Die Einzelnen sich bildenden örtlichen Versammlungen wählten ihre Ältesten usw. selbst. Das sollte sich spätestens mit dem Jahre 1938 ändern. „Jehovas Organisation ist in keiner Weise demokratisch" verkündete der „Wachtturm" im Jahre 1938 (S. 195). Mehr noch, die bisherige Praxis der Wahlältesten wurde nunmehr mit einem Federstrich beseitigt. Dazu gab der „Wachtturm" (1938 S. 214) die verbindliche Anweisung:

„Es erscheint daher durchaus schriftgemäß und in Ordnung zu sein, dass eine Gruppe des Volkes Gottes die Gesellschaft ersuche, diese Organisierung vorzunehmen, und dies kann für jede einzelne Gruppe des Volkes des Herrn getan werden. Jede Ortsgruppe ist befugt die Namen derer vorzuschlagen, die zur Besetzung der verschiedenen Dienstposten am geeignetsten zu sein scheinen und kann sie dann dem Hauptbüro der Gesellschaft in Brooklyn oder den Hauptbüros in den verschiedenen Ländern der Erde vorlegen oder einsenden, und bei der bezüglichen Ernennung werden solche Namen in Betracht gezogen werden. Die Gesalbten haben den vollen Glauben, dass der Herr diese Angelegenheit lenkt, sodass das Rechte getan wird. Das bedeutet nicht, dass keine Fehler vorkommen werden; denn es können sich etliche nach ihrer Ernennung als untreu erweisen, und der Herr hat volle Vorkehrung zur Entfernung solcher getroffen. Mögen alle Gruppen des Volkes Gottes, welche erkennen, dass dies das rechte, schriftgemäße Vorgehen ist, einen kurzen Bericht fassen und ihn dem bezüglichen Hauptbüro, wie oben erwähnt, melden. Dieser Beschluss kann in die folgende Form gekleidet werden:

„Wir, die Gruppe des Volkes Gottes, dass für seinen Namen herausgenommen ist und sich nun in … befindet, anerkennen, dass Gottes Regierung eine reine Gottesherrschaft ist, dass Christus Jesus sich im Tempel befindet und den vollen Befehl über die sichtbare Organisation Jehovas wie auch über die unsichtbare innehat, und dass 'Die Gesellschaft' der sichtbare Vertreter des Herrn auf Erden ist. Daher stellen wir das Gesuch, dass 'Die Gesellschaft' unsere Gruppe für den Dienst organisiere und deren verschiedene Diener bestelle, damit wir alle in Frieden, Gerechtigkeit, Eintracht und vollständiger Einheit zusammen wirken können. Wir legen hier die Namensliste derjenigen unserer Gruppe bei, die uns als gereifter und darum am geeignetsten scheinen, die betreffenden Dienstposten auszufüllen."

F. W. Salter und Jesse Hemery

Im deutschsprachigen Bereich war es schon mal der seinerzeitige Leiter des Schweizer Büros der Bibelforscher, C. C. Binkele, der "außer Harmonie" mit der Wachtturmgesellschaft geriet. Im November 1924 befand er sich noch in den Schlagzeilen der Tagespresse, weil er für seinen Chef Rutherford eine Gerichtsverhandlung erzwungen hatte, die den Vorwurf zuückweisen sollte, die Bibelforscher seien "fremdfinanziert"; namentlich von den Freimaurern. Er hatte damit großes Aufsehen erregt, und der Komplex Bibelforscher war nunmehr in aller Munde, auch im Munde derjenigen, die vorher noch nichts von den Bibelforschern wussten. Kaum war die Publizistik darüber verklungen, ging es mit Binkele "abwärts". Sein Chef Rutherford setzte ihm einen US-Amerikaner, M. C. Harbeck als neuen Leiter für die Schweiz vor die Nase.

Offenbar hat Binkele das nicht verkraftet. Jedenfalls nach einen kurzen Phase des "schwankens", fand sich auch Binkele auf der Oppositionsseite zu Rutherford wieder. Dies etwa seit Mitte 1925. Im Nachinein rechnete Rutherford im "Wachtturm" mit ihm mit den Worten mit ihm ab (1926 S. 352):

"Es ist offenbar, dass er jetzt in Opposition zur Wahrheit steht. Mehr zu sagen ist nicht nötig. ... Ich lenke die Aufmerksamkeit der Geschwister jetzt darauf, und mögen sie nun C. C. Binkele als einen Verbündeten der Ränke des Feindes betrachten und sich dementsprechend verhalten." So endete also jener WTG-Funktionär, der kurz zuvor noch versucht hatte, für die WTG in der Finanzierungsfrage "die Kastanien aus dem Feuer zu holen". Vielleicht wußte er zuviel und hätte Rutherford noch unbequem werden können. Also zog es Rutherford vor, ihn unmittelbar nach dem Berner Bibelforscherprozeß, durch das Vorsetzen eines neuen Funktionärs (Harbeck) zu entmachten. Kurze Zeit schwankte Binkele noch, ob er sich in die neuen Gegebenheiten einfügen könne. Offenbar fühlte er sich dazu nicht in der Lage!

Auch der vormalige kanadische Zweigdiener der Zeugen Jehovas, F. W. Salter, hatte sich in den dreißiger Jahren von der Rutherford'schen WTG gelöst. Aufgrund seiner Stellung in der WTG-Hierarchie kannte er Rutherford persönlich und auch einige interessante Interna. So vermittelte er auch einen Überblick darüber, wie der deutsche Bibelforscherhäuptling Balzereit ernannt wurde. Nach Salter wurden in Deutschland nach dem Tode von Otto Albert Koetitz (1916) zwei Kandidaten aufgestellt als Nachfolger im Amte des verantwortlichen deutschen Zweigdieners der WTG. Zu diesem Zwecke habe Rutherford eine Zusammenkunft von sieben deutschen „Pilgerbrüdern" (also faktisch hauptamtlichen Mitarbeitern der WTG) arrangiert. Als Kandidaten wurden aufgestellt Bernhard Buchholz und Paul Balzereit. Als Wahlsieger wurde der Paul Balzereit genannt.

William Schnell, der Salter interviewt hat, kommentierte dazu:

„Einige Tage später jedoch traten fünf der Pilgerbrüder an Brd. Buchholz heran und sagten, dass sie alle für ihn gestimmt haben und das es nicht zu verstehen sei, wie Balzereit mit einem Stimmenverhältnis 6 zu 1 gewählt werden konnte. Rutherford enthüllte vor Brd. Salter, wie das gekommen war. Er, Rutherford, selbst habe die Auszählung der Stimmzettel vorgenommen. Das Ergebnis war zugunsten von Brd. Buchholz gewesen. Doch weil Rutherford meinte, Balzereit wäre ein besserer Bruder, hat er ihn einfach für gewählt erklärt, angeblich um des Werkes willen."

Der Vollständigkeit halber sollte man auch noch jenen Hinweis hinzufügen, der auf der seinerzeitigen Homepage der „Aktion Freie Geschichtsforschung" nachlesbar war. Danach war der Buchholz vorbestraft. In gewissem Umfang kann man es schon verstehen, dass eine solche Persönlichkeit auf einem Repräsentationsposten problematisch sein kann. Die Frage bleibt dann allerdings offen, warum wurde er als Kandidat aufgestellt?

Unter der Überschrift „Der böse Knecht", wurde dann im „Wachtturm" vom 1. 5. 1938 (S. 140) verlautbart:

„Einem gewissen Anderson ist 'der Mund übergegangen' und er hat, was seine Mitverschworenen anbetrifft, aus der Schule geplaudert. Er sprach in Anwesenheit zuverlässiger Zeugen und sagte unter anderem folgendes: Die römisch-katholische Hierarchie habe dem Museum in London für $ 550 000,- eine richtige Handschrift der gesamten Bibel verkauft und sie gedenke, an Hand dieses kürzlich entdeckten Bibel-Manuskriptes zu zeigen, dass die Watch Tower-Schriften alle falsch seien; ein gewisser Salter treffe im Verein mit gewissen Geistlichen oder Priestern der römisch-katholischen Organisation in Kanada und anderswo Vorbereitungen, gewisse Dinge zu veröffentlichen, die, wie sie meinen, die Watch Tower-Schriften entkräftigen und für die Gesellschaft im allgemeinen nachteilig seien.

Er berichtet, dass Salter mit katholischen Priestern überaus rührig zusammen arbeite in der Bereitung ihrer Munition für einen gemeinsamen baldigen Angriff. Diese Mitteilung soll allen, die dem Herrn und seinen Königreichsinteressen ergeben sind, anraten, sich nicht beunruhigen zu lassen, ungeachtet dessen, was immer auch die aus der Geistlichkeit und der 'bösen Knecht'-Klasse bestehende Klasse des 'Menschen der Sünde' veröffentlichen mag."

Schon im "Wachtturm" vom 15. Mai 1937 (S. 159) war eine umfangreiche Polemik gegen Salter enthalten. Unter der Überschrift "Böser Knecht" konnte man dort lesen:

"Zwanzig Jahre oder länger bekleidete ein gewisser W. F. Salter den Vertrauensposten eines Vertreters der Organisation Gottes auf Erden, der Watch Tower Bible and Tract Society. Während er vorgab, an die Gegenwart des Herrn Jesus Christus zu glauben und dies oft bekannte, und während er angeblich im Dienste der Organisation des Herrn stand, befand sich dieser Mann in einer Verschwörung, um des Herrn Werk zu vernichten und den Tod etlicher Diener des Herrn herbeizuführen. Sein Doppelspiel wurde offenbar, und wegen seiner Untreue wurde er seines Amtes und seiner Obliegenheiten in der Organisation des Herrn enthoben. Ungefähr ein Jahr später ging derselbe Mann eine weitere Verschwörung ein mit dem Feinde, um ein weiteres Unrecht zu tun.

Er ließ jemand einen Artikel schreiben mit dem Versuch, zu beweisen, der Herr Jesus Christus sei nicht gegenwärtig. Er ließ jenen Artikel drucken und unter den Dienern des Herrn in verschiedenen Teilen der Erde mit einem Begleitschreiben verbreiten und gab sowohl dem Schreiben als dem Artikel den Anschein, als kämen sie vom Hauptbüro der Watch Tower Bible and Tract Society. Dies wurde offensichtlich so getan, um die Treuen zu täuschen und zu betrügen. Er ließ die Sachen in den Vereinigten Staaten drucken und ließ die Schreiben in Brooklyn, New York, auf die Post geben.

In seinem sogenannten 'Instruktionsschreiben', das den Anschein hatte, als wären die Instruktionen vom Hauptbüro, wird gefordert, dass der Brief und der Artikel von den verschiedenen Gruppen zu einer bestimmten Zeit gelesen werden sollten, und es wird des weiteren erklärt, dass Organisationsstrukturen Befehle sind und man solche Instruktionen befolgen und das Schreiben lesen müsse.

Dann veröffentlichte er ein weiteres Zirkular, ließ es drucken und überall an die verschiedenen Büros und Diener der Watch Tower Bible and Tract Society senden. In diesem Schreiben gebraucht er Lügen und offenbart einen böswilligen, gehässigen Geist der Verleumdung, indem er den Präsidenten der Watch Tower Bible and Tract Society angreift und viele Erklärungen abgibt, von denen er zur selben Zeit wusste, dass sie vorsätzliche Lügen sind. Er verlangte, dass sein Schreiben durch den 'Wachtturm' beantwortet werde. Die Spalten des 'Wachtturms' sind nicht geöffnet für die Erörterung von Angelegenheiten derer, die sich dem Herrn widersetzen, und sicherlich nicht, um das Argument eines Menschen gegen die Gegenwart des Herrn abzudrucken, da doch diese Frage über die Gegenwart des Herrn in den Schriften der Gesellschaft gründlich behandelt worden ist."

Rutherford schließt seine, mit einigen tendenziösen Bibelstellen garnierte Polemik, dann noch mit den Worten:

"Dieser Sache und dem ruchlosen Vorgehen würde keine Beachtung geschenkt werden, wenn es nicht darum ginge, das Volk des Herrn zu schützen, das Salter zu täuschen sucht. Dies ist die Antwort des 'Wachtturms' und die des Präsidenten der Gesellschaft auf die vorerwähnten Veröffentlichungen."

Der Fall Salter war mit dieser Polemik noch nicht abgeschlossen. Dienstbeflissen meldeten sich einige Zeugen Jehovas mit devoten Briefen an Rutherford, nach dem Motto: "Hallo, ich weiß was". Einer von ihnen verlautbarte in seiner prompt im "Wachtturm" (1937 S. 172) abgedruckten Meldung:

"Dass Salter vom Wege abgewichen war, nahm ich im Januar 1933 wahr, als er von Mexiko nach Kanada reiste. An jedem Orte, wo er sich aufhielt, verursachte er unter den Geschwistern viel Verwirrung, nicht nur in Dingen der Lehre, sondern auch durch seine geringschätzigen Äußerungen über die von der Gesellschaft getroffene Einrichtung von Divisions-Feldzügen und überdies durch sein Lächerlich machen der 'Wachttower'-Artikel'.

Salter hatte ganz offensichtlich seine Drucksachen, unter missbräuchlicher Benutzung der Absenderangabe der Wachtturmgesellschaft versandt. Es hätte ihm eigentlich klar sein können, dass ein solches Manöver einem "Schuss in den eigenen Ofen" gleichkommt. Wie nicht anders zu erwarten, wurde diese Sachlage erkannt und postwendend als Waffe gegen Salter verwandt. Es war daher für die WTG ein leichtes, ihre Anhängerschaft gegen Salter zu mobilisieren.

Die nächste Phase in diesem Trauerspiel war die Einberufung einer speziellen Versammlung in Toronto (Kanada), mit der erklärten Zielsetzung, ihn anlässlich dieser Zusammenkunft offiziell zu exkommunizieren. Auch darüber berichtete der "Wachtturm" (1937 S. 173f.).

Circa 300 bis 400 Anwesende waren zugegen. In der Regel alles WTG-Claquere. Es gab aber auch einsam auf weiter Flur - Gegenstimmen. Über solch eine Fall vermerkt der Bericht:

"A. G. Cameron, der frühere Gruppendiener und Freund W. F. Salter, gab von seiner Zustimmung zu dem Briefe Ausdruck und sagte unter anderem: 'Der fragliche (Salter) Artikel ist mir bekannt. Ich habe ihn gelesen, ja ihn aufmerksam gelesen. Es ist wahr, Bruder Salter hat Bruder Rutherford herausgefordert, ihn Punkt um Punkt zu beantworten, und ich fordere nun Dich, Bruder Chapman, heraus, Punkt um Punkt zu beantworten und getreulich behandeln zu lassen; denn ich glaube bestimmt, die Kirche ist an Kreuzwegen angelangt. Wir alle sind Menschen gefolgt, blinden Blindenleitern, denen alle die Gruppe wartet. Es kann nicht bestritten werden, dass wir als Organisation in der Vergangenheit oft geirrt haben, und es kann auch nicht abgeleugnet werden, dass wir heute im Irrtum sind.'"

Als Kommentar zu dieser freimütigen Meinungsäußerung wurde vermerkt:

"Auf diese Äußerung erwiderte der Vorsitzende: 'Ich bin froh, dass Du dich endlich geoffenbart hast, Bruder Cameron! Es hat zwölf Monate gedauert, bist Du Dich im wahren Lichte gezeigt hast.' Ein ungewohnter, plötzliches Händeklatschen der Gruppe zeigte ihr Einverständnis."

Im weiteren Bericht wird dann noch ausgeführt, dass dem genannten Cameron und einer Schwester die als Stenographistin bei Salter gearbeitet hatte, das Wort verweigert wurde. Die WTG-Claquere hatten jene Versammlung voll im Griff und setzten anschließend das Verlesen der vorbereiteten Ausschluss-Resolution gegen Salter durch.

Triumphierend vermerkt der "Wachtturm" dass es lediglich drei Gegenstimmen gab. "Diese betrafen Cameron, seine Tochter und G. Richardson".

Selbst Jahre danach, sind noch Nachwirkungen des Salter'schen "Erdbebens" registrierbar. So gibt es eine Meldung die besagt, dass auch in der Untergrundliteratur der Zeugen Jehovas in den 40er Jahren in Deutschland, auf ihn Bezug genommen wurde. Das "Mitteilungsblatt der deutschen Verbreitungsstelle des WT" vom Juli 1942; sowie das "Drama der Rechtfertigung" 6. Teil notieren gleichfalls des Ausschluss des Salter wegen Opposition gegen die WTG.

Hemery

Salter war nicht der einzigste vormals prominente WTG-Funktionär, der in Distanz zur WTG-Organisation geriet. Das gleiche Schicksal ereilte auch seinem Londoner Berufskollegen Jesse Hemery, die dort gleichfalls das WTG-Zweigbüro leitete.

Nachdem Rutherford im Jahre 1938 die Parole ausgegeben hatte, dass die Wahlältesten zu beseitigen seien und dass „Die Gesellschaft" (sprich: die Wachtturmgesellschaft) zukünftig alle Personalentscheidungen in eigener Machtvollkommenheit durchführt, machte sich Hemery zum Sprachrohr der Kritik dieser nun eingetretenen Entwicklung. Am 12. 9. 1938 schrieb er dazu an Rutherford einen Brief. Er wird im „Wachtturm" nicht dokumentiert; sehr wohl aber die Reaktion darauf.

In der WTG-Antwort an ihn hieß es: „Du sprichst von Deiner Besorgnis, dass der Gebrauch des Wortes 'Diktator' durch etliche Brüder, wenn sie von dem Verhältnis der Gesellschaft zu den Geschwistern und ihren Gefährten, den Jonadab-Genossen, sprechen, den Geschwistern zum Schaden sein werde, und Du hegst gewisse Befürchtungen, dass diktatorische Methoden in der Leitung des Königreichsdienstes angewandt werden könnten.

Jehova, der große Theokrat, muss notwendigerweise der Diktator sein in allen Angelegenheiten Zions. Das ist der erste Grundsatz seiner Regierung und muss von allen, die ihm dienen und seine Gunst und seinen Segen haben möchten, bereitwillig anerkannt werden." („Wachtturm" 1938 S. 383).

Hemery gehörte auch, dem zwischenzeitlich kaltgestellten formalen Herausgeberkomitee des „Wachtturms" an. Man wagte in dieser Konstellation nicht, seine Kritik „sofort auf der Stelle" zu ahnden. Aber es war den Brooklyner WTG-Chargen klar, dass dies nur eine Galgenfrist sein würde. Man begnügte sich erst einmal damit ihn unmerklich, aber zielbewusst, weiter kaltzustellen. Rutherford's Nachfolger Knorr, sorgte dann im Jahre 1947 für „klare Verhältnisse". Er gab die juristisch verbindliche Anweisung, dass Hemery das Londoner Bethel der WTG zu verlassen habe. Seine an die Wachtturmredaktion eingereichten Artikel wurden schon davor, seit längerer Zeit prinzipiell nicht mehr angenommen. Damit war auch das Schicksal von Hemery besiegelt.

Über die Hintergründe des Falles Hemery, machte letzterer selbst mal nähere Angaben in einem veröffentlichten Brief aus dem Jahre 1952 an Roy D. Goodrich in den USA

"Lieber Bruder Goodrich.

Seit meinem ersten Kontakt mit der Wahrheit, wie sie im Buch 'Der Plan der Zeitalter' von Bruder Russell veröffentlicht wurde, war ich überzeugt, dass Gott ein neues Werk unter seinem Volk begonnen hat. Das war im Jahre 1888, und bis zum heutigen Tage habe ich diesen Glauben behalten. Im Jahr 1895 sandte mir Bruder Russell eine sehr kleine Liste mit britischen Namen und bat mich, einige der kleinen Versammlungen zu besuchen. Im Jahre 1901 wurde ich gefragt, ob ich das kleine Londoner Büro übernehmen könnte. Das Vorrecht wurde froh angenommen und von diesem Jahr bis 1947 hatte ich die Hauptverantwortung für das Londoner Zweigbüro und Bethelheim. Ich habe niemals den geringsten Zweifel daran gehabt, dass das von Bruder Russell begonnene Werk etwas anderes als das Werk des Herrn sei, aber vom ersten Tage an war ich imstande, durch die Gnade Gottes dieses Werk objektiv zu sehen. Die Änderungen der Lehre schon in den frühen Tagen und die vielen Änderungen, die in den Jahren folgten, wurden von mir selbst gebetsvoll gesehen, sie wurden nicht als vom Herrn 'nötig', sondern als von ihm 'erlaubt' angesehen.

Es war im letzten Teil der Präsidentschaft von Bruder Rutherford, dass ich begann, den Kurs der Gesellschaft irgendwie zweifelnd zu betrachten. Später auf der Hauptversammlung in Washington 1935, als er den Brüdern sagte, der Wachtturm würde nun der Kirche weniger Aufmerksamkeit schenken, zugunsten der Neuen Klasse, die man Jonadab-Brüder nannte, begann ich zu erkennen, dass ein Missverstehen des Vorhabens des Herrn unter der Leitung von Bruder Rutherford zu bestimmen begann. Nach seinem Tode und als Bruder Nathan Knorr in sein prominentes Amt gewählt wurde, schrieb dieser mir, dass er wüsste, wie freimütig ich mit Bruder Rutherford verbunden war und er sagte, er würde froh sein, wenn dieses weiter so sein würde zwischen ihm und mir, wenn ich fühlen würde, dass irgend etwas geschrieben werden müsste. Einige Dinge gingen vorüber, von denen ich glaubte, sie würden ihm dienen sowie den Brüdern um ihn, aber sie wurden als unannehmbar betrachtet.

Als die Hauptversammlung 1947 in London abgehalten wurde, entfachte Bruder Knorr einige Aufregung um mich, als einen, der die Brüder verwirrt. Mir wurde nicht gesagt, um was es eigentlich ging, ich verneinte und sagte, es könnte niemand gefunden werden, dessen Glauben und Dienst für die Gesellschaft ich beeinträchtigt hätte. Aber es wurde eine Zusammenkunft eingesetzt, um meinen Rücktritt zu erreichen und jedes Glied des Rates dieser Zusammenkunft stellte sich aus Bruder Knorrs Seite. Er erreichte, was er wollte, und ich begann des Herrn Wille in dieser Sache zu sehen.

Da ich fortfuhr nachzudenken und einiges zu schreiben, was an den Präsidenten zu gehen hatte, begann ich zu erkennen, dass mir der Herr etwas gab, was sicherlich dienlich wäre, die Brüder zu erleuchten, und das nicht nur innerhalb der Organisation, sondern für sein ganzes Volk. Mein Lesen, Beten und Nachdenken führte mich zu klarer Erkenntnis über das Wort des Herrn bezüglich seiner Wiederkunft und zu dem, was ich nun in seiner Nacktheit sah, 'das Dogma von der unsichtbaren Wiederkunft.' Das Fallenlassen dieses Dogmas war wie das Zurückwerfen eines schweren Vorhanges. Das Licht machte das Vorhaben der Offenbarung des Herrn an Johannes klar, und auch die große Prophezeiung auf dem Ölberg. Das Dogma hatte uns veranlasst, unsere Blicke vergangenen Ereignissen zuzuwenden, während die Schrift vorwärts weist auf Dinge, die kommen sollen.

Das Öffnen der Schrift durch Bruder Russells Dienst war kein Beweis der Wiederkunft des Herrn, wie wir gelehrt wurden, zu glauben. Wäre sein ganzer Dienst vom Herrn gewesen, dann wären die ernsten Änderungen in den Lehren über seinen Bund nicht nötig, noch würden Irrtümer in den chronologischen Feststellungen erfolgt sein, und vielleicht noch etwas schwerwiegender, der umwölkenden Wirkung der unsichtbaren Gegenwart, das Dogma der geheimen Parusie wäre nicht entstanden und eine Barriere gegen das Licht des Wortes Gottes geworden und zur Ursache des Abfalls, wie es sich erwies.

Es kam durch die Ereignisse auf der Hauptversammlung in Philadelphia Ende 1947, die mich erkennen ließen, dass die Gesellschaft unter ihren Direktoren abgewichen ist vom Pfad, der für sie in den ersten Tagen eröffnet wurde. Eine Resolution wurde von der Versammlung zur Annahme gebracht, die die Gesellschaft an die Deklaration band, der Herr Jesus sei 1914 im Himmel als König über die ganze Erde inthronisiert worden. Wer errettet werden wollte, müsste dieser Deklaration glauben. Es entstand eine Situation vergleichbar mit dem, was Paulus in seinem Brief an die Galater (Gal. 5:4) sagte. Als das zur offiziellen Lehre der Gesellschaft wurde, wusste ich sehr gut, dass alles, was ich schrieb, und was zum Präsidenten gehen musste, nur noch weitere Feindseligkeiten verursachen würde. Ich schrieb aber weiter und wartete auf den Herrn. Die Entscheidung des Präsidenten, dass ich das Bethel zu verlassen hätte, war die Führung des Herrn für mich. …"

Um den Fall Hemery richtig zu würdigen, sollte man auch noch die Ausführungen von James Penton in seinem Buch "Apokalypse Delayed" mit einfließen lassen.

Schon unmittelbar nach Russell's Tod begannen die Machtkämpfe um seine Nachfolge. Mit der bedeutendste Kontrahent für Rutherford war der lutherische Geistliche jüdischer Abkunft, namens P. S. L. Johnson. Letztere war im Auftrag der WTG nach Großbritannien gereist. Dort versuchte er allerdings seine Opposition gegen Rutherford, in organisatorische Bahnen zu lenken. Die übrige Anhängerschaft befand sich in der Zerreißprobe, auf wessen Seite sie sich in diesem Machtkampf stellen sollte. In diesem Kontext führt Penton aus:

"Rutherford gelangte zu der Überzeugung, Johnson sei geisteskrank, und telegrafierte ihm, er solle nach Amerika zurückkehren. Daraufhin sandte Johnson ein Telegramm an den Watch Tower-Vizepräsidenten Alfred I. Ritchie sowie an den Sekretär-Kassierer William E. Van Amburgh, die anderen beiden Mitgliedern des Triumvirats, in dem er Rutherfords Autorität nicht anerkannte. Er machte Gebrauch von seiner Vollmacht, die ihm erteilt worden war, als er nach Großbritannien geschickt wurde, unterwarf das Bankkonto der International Bible Students einer Verfügungsbeschränkung und übernahm die Londoner Büros der IBSA. Er und ein weiterer Bibelforscher namens Housden nahmen die ganze Post an sich, öffneten den Safe der Vereinigung und nahmen alles Bargeld. Daraufhin sandte Rutherford, inzwischen Präsident, einen schriftlichen Widerruf der Ernennung Johnsons ab, und der Anwalt Johnsons war gezwungen, ein Verfahren fallenzulassen, in dem Rutherfords treue Anhänger daran gehindert werden sollten, £ 800 zu gebrauchen, die zeitweise bei der Bank festgelegt waren.

Angeführt von Jesse Hemery, einem Rutherford-Getreuen, verbarrikadierte eine Gruppe von Bibelforschern in den Londoner Büros und der Niederlassung der IBSA Johnson in seinem Raum. Um zu entkommen, war er gezwungen, den Raum durch das Fenster zu verlassen und an einem außen angebrachten Regenrohr herunterzuklettern. Danach kehrte er nach New York zurück.

"Später stellte Rutherford nach zwei langen Besprechungen fest, daß Johnson in jeder Hinsicht völlig normal sei, nur in einer nicht, nämlich im Hinblick auf sich selbst.

Dann reorganisierte Rutherford das Werk der Gesellschaft in Großbritannien unter Hemery und schaffte Frieden. Johnson forderte weiterhin, daß man ihn zurück dorthin schickte, aber Rutherford weigerte sich, dies zu tun."

Soweit Penton.

Wie schon ausgeführt befand sich auch Hemery eines Tages in der Oppositionszene wieder.

William Schnell, inzwischen auch ein Oppositioneller, hervorgetreten durch sein Buch "Dreißig Jahre Sklave des Wachtturms" machte in einem Brief einmal eine nicht uninteressante Anmerkung, die wiederum das Bild von einem Zauderer, das man bisher von Hemery gewinnen kann, bestätigt. Schnell führt aus:

"Ich kannte ihn (Hemery) persönlich von Deutschland her. Ich traf ihn 1925 auf dem Magdeburger Hauptbahnhof und geleitete ihn zu Rutherford, welcher in Magdeburg weilte. Hemery übersetzte alle Ansprachen von Rutherford. Am Tage darauf unterbreitete ich in den Dienerbesprechungen die Vorträge von Rutherford. Hemery war enttäuscht über mich, als das Buch von mir erschien: '30 Jahre ein Sklave des Wachtturms'. Er meinte, es sei nicht gut, daß alles bekannt würde. Drei Jahre später teilte er mir mit, das er nun erkannt hat, daß mein Vorgehen richtig sei und ich nicht aufhören soll, weiter gegen die Leitung zu arbeiten."

Der Fall: Hope Slipachuk

Es war schon ein „gefundenes Fressen", jenes ominöse Schreiben aus Kanada, dass im Jahre 1936 an das vormalige deutsche WTG-Zweigbüro in Magdeburg adressiert war und da letzteres nicht mehr existent war, der Gestapo als „Rechtsnachfolger" ausgehändigt wurde. Es wurde schnell allzu deutlich, dass dieses Schreiben gierig von faschistischen und katholischen Kreisen in bezeichnender Interessengleichheit aufgenommen und breit vermarktet wurde. Auch und nicht zuletzt, bis in die Schweiz hinein wurden Ausläufer dieser darauf aufbauenden Kampagne sichtbar. Anfang 1938 nahm das vormalige „Goldene Zeitalter", dass sich ab 1938 in „Trost" umbenannte, auf diesen Vorgang relativ ausführlich Bezug. Auslöser war, dass auch eine Schweizer Nazigazette, dieses Thema wieder aufkochte. Über letztere vermerkt das „Trost":

„Ein solcher Artikel wurde dann u. a. von dem 'Volksbund, Kampfblatt der Nationalsozialistischen Schweizerischen Arbeiterpartei' aus deutscher Quelle übernommen und in der Ausgabe vom 15. Juni 1937 veröffentlicht. Auf dem Kopf dieser Zeitung ist bekanntlich das deutsche Hakenkreuz ersichtlich, womit die 'echt schweizerische Einstellung' des Kampfblattes gekennzeichnet werden will."

Circa einen Monat später erstellte das Schweizer Zweigbüro der Zeugen Jehovas, gerichtliche Strafanzeige gegen diese Nazipostille. In ihr wurde ausgeführt:

„Herr Anton Felder veröffentlichte in der Ausgabe vom 15. Juni 1937 des 'Volksbund' einen Artikel betitelt: 'Die unpolitischen Ernsten Bibelforscher', welcher wegen seines unwahren und tendenziösen Inhalts eine bewusste Verleumdung und Ehrverletzung für jeden aufrichtigen Zeugen Jehovas (früher Bibelforscher genannt) bedeutet. Der Artikel hat folgenden Wortlaut:

'Die 'unpolitischen' Ernsten Bibelforscher.

Vor einiger Zeit fand bei dem Sondergericht in Düsseldorf ein Strafprozess gegen mehrere Ernste Bibelforscher (Zeugen Jehovas) wegen verbotener Tätigkeit statt. Um die Umtriebe dieser amerikanischen Gesellschaft zu demonstrieren verlas der Staatsanwalt den ersten Satz aus einem Briefe, den der Ernste Bibelforscher Hope Slipachuk in Winnipeg in Kanada am 26. August 1936 an die Wachtturmgesellschaft in Magdeburg geschrieben hatte, wo der Brief am 5. September 1936 einlangte. Der Brief lautet:

'Liebe Kameraden!

Die gegenwärtigen bösen Regierungen haben nun ihr Ende erreicht, und bald wird eine ehrliche rechtmäßige Regierung auf dem Erdball errichtet werden zugunsten der Menschheit unter der Oberaufsicht des großen Messias, unseres Heiligen Vaters Joseph Stalin von Neu-Rußland - Union der Sowjet-Republiken.

Wir müssen uns alle der sozialistischen oder kommunistischen Arbeiter-Organisation anschließen, indem wir eine starke Vereinigung bilden um unsere Freiheit in der Welt zu gewinnen.

Internationale. Auf! Ihr Gefangenen der Hungers,

Auf! Ihr Nichtswürdigen der Erde,

Denn die Gerechtigkeit donnert Verdammnis,

Eine bessere Welt wird geboren.

Keine Ketten der Überlieferung uns mehr binden,

Auf! Ihr Sklaven, nicht mehr versklavt,

Die Erde wird auf neue Grundlagen gestellt.

Nichts sind wir gewesen, alles werden wir sein.

(Chor):

Es ist der letzte Kampf,

Jeder muss an seinem Platz steh'n,

Die Internationalen Sowjets

werden die menschliche Rasse sein.

Jehovas Rächer. Hope. (Photokopie des Briefes liegt hier vor).'

Mit der Veröffentlichung des Briefes der Frl. Hope wird bezweckt, Jehovas Zeugen in den Augen der Behörden und des Volkes herabzuwürdigen, als religiös getarnte Kommunisten hinzustellen und sie dem öffentlichen Hasse und der allgemeinen Missachtung und Verfolgung auszusetzen.

Eine von der Zentralleitung der Zeugen Jehovas in Bern angestrengte Untersuchung der Briefangelegenheit aus Winnipeg, Mantitoba R. R. Nr. 1 ergab, dass der fragliche Brief tatsächlich geschrieben worden ist, aber nicht von einem Zeugen Jehovas (Bibelforscher), sondern von der Kommunistin Hope-Slipachuk, wohnhaft in Winnipeg, Manitoba, R. R. Nr. 1.

Diese Person hat gemäß eigener, unter Zeugen gemachten Aussagen, den fraglichen Brief angeblich an verschiedene Büros der Watch Tower Bible and Tract Society gesandt, so scheinbar auch an das seit 1933 geschlossene Büro in Magdeburg, Deutschland.

Dieser letzte Brief scheint demzufolge von der deutschen Gestapo in Empfang genommen und in böswilliger Art und Weise als ein gesuchtes und willkommenes Mittel zu den schlimmsten Verfolgungen gegen treue Zeugen Gottes in Deutschland verwendet worden zu sein.

Beweismittel:

Vom Notar und dem schweizerischen Konsulat in Winnipeg (Kanada) beglaubigte Dokumente, von denen wir nachstehend einige Erklärungen nach dem genauen Wortlaut und auszugsweise wiedergeben:

'Ich bin ein Kommunist, eine Kirche und eine Tochter Gottes, des Vaters, Joseph Stalins. Aus der gelesenen Literatur der Sozialisten habe ich selbst den Schluss gezogen, dass Vater Stalin die Macht über die anderen Nationen außer Russland übernehmen wird.

Ferner behaupte ich, dass ich zu dieser Schlussfolgerung nicht durch das Lesen irgendwelcher von Jehovas Zeugen veröffentlichten Bücher gekommen bin, denn obwohl diese lehren, dass Erlösung und Befreiung durch den Herrn Jesus Christus kommen werde, hoffe ich als wahrer Sozialist, trotzdem, dass Vater Stalin ein Werk zu verrichten haben wird. Ich kenne keinen der Zeugen Jehovas persönlich, obwohl ich aufrichtig glaube, dass in dem was sie lehren, viel Gutes enthalten ist. Ich gebe nicht vor, ein Glied der Zeugen Jehovas zu sein.' sig. Hope (Pseudonym).

Es folgt nun die Beantwortung einiger Fragen durch Nelli Slipachuk, alias Hope:

'Wäre es Ihnen verständlich, wie wohl einer dieser Briefe in die Hände jemandes gefallen sein könnte, der davon einen unrechten Gebrauch machen möchte?'

'Nein'.

'Ist es Ihnen nicht klar, dass viel Schaden daraus entstehen könnte, wenn die Wahrheiten, für welche Jehovas Volk einsteht, mit diesen aus dem Kommunismus hervorgebrachten Ideen in Verbindung gebracht werden, obwohl diese mit dem Kommunismus nichts zu tun haben?'

'Ich wünsche niemand zu schädigen.'

'Bedenken sie nicht, dass jemand, der das Volk des Herrn zu schädigen wünscht, einen solchen Brief dazu benutzen könnte, um Schaden anzurichten?'

'Daran habe ich niemals gedacht.'"

Im Anschluss daran veröffentlichte das "Trost" eine Erklärung des 23jährigen Bruders der Nelli Slipachuk, sowie ihres Vaters, die auch erklären, dass sie nichts mit den Zeugen Jehovas und dem fraglichen Brief zu tun hätten.

Über das sich daran anschließende schweizerische Gerichtsurteil vermerkt "Trost":

"Das Bezirksgericht Zürich gelangte … am 24. August 1937 … zu folgender Verfügung:

'Die Anklage wird nicht zugelassen. Die Kosten werden dem Ankläger je zur Hälfte auferlegt unter Solidarhaft für das Ganze.' Auszug aus der Begründung:

'Ob das Blatt 'Weltdienst' Anspruch darauf erheben kann, dass auf seine Artikel abgestellt werden dürfe, braucht nicht untersucht zu werden. Die Tatsache, dass die Hope Slipachuk jenen Brief wirklich geschrieben hat und das der Staatsanwalt und das Sondergericht in Düsseldorf auf diesen Brief abgestellt haben, lassen, ohne das eine weitere Untersuchung durchgeführt wird, als wahrscheinlich erscheinen, dass der Angeklagte für wahr gehalten hat, dass Ernste Bibelforscher kommunistische Ziele verfolgen. Es wäre daher offenbar der Angeklagte freizusprechen und aus diesem Grunde ist die Anklage nicht zuzulassen."

Die Zeugen Jehovas beantragten darauf hin Revision dieses Urteilsspruches. Nunmehr wurde zwar ihre Klage als solche zugelassen, ihnen aber in der Sache gleichfalls eine Absage erteilt. In der diesbezüglichen Gerichtsbegründung wurde ausgeführt:

"Wie aus dem Tatbestand der Anklage ersichtlich ist, wird gegen die Internationale Vereinigung der Bibelforscher, deren Bestandteil die Vereinigung Jehovas Zeugen der Schweiz offenbar ist, der Vorwurf erhoben, sie sei eine getarnte kommunistische Bewegung. Es handelt sich um eine Kollektivbeleidigung, die nach zürcherischem Rechte nicht strafbar ist. … Die Möglichkeit der Beleidigung einzelner unter einer Kollektivbezeichnung ist nur dann gegeben, wenn daraus eine erkennbare Beziehung auf eine bestimmte Person abgeleitet werden kann. Dies trifft aber im vorliegenden Fall, wo der Angriff gegen die Internationale Bibelforschervereinigung als solche geht, in Bezug auf den Ankläger … nicht zu."

Ergänzend angemerkt sei noch, dass WTG-Dementi die"Hope's" aus Kanada hätten mit den Zeugen Jehovas nichts zu tun, erweist sich als löchrig. Der deutsche "Wachtturm" veröffentlichte im Jahre 1916 (S. 31) einen Leserbrief der wörtlich

unterzeichnet war mit:
"Deine Schwester in dem Gesalbten. Hope Tate-Kanada."

So "unübersehbar" viele Bibelforscher gab es im Jahre 1916 noch nicht. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht gering, dass jene kanadische Familie aus dem Jahre 1916 und jene aus dem Jahre 1936 personengleich ist. Denkbar wäre auch, dass es sich z. B. um die Kinder jener Familie aus dem Jahre 1916 handeln könnte.

"Verkappte Bolschewisten"

In der Ausgabe vom 1. 4. 1938 machte das "Trost" auch die nachfolgende, schon mehr ins grundsätzliche übergehende Ausführung:

"Vor wenigen Jahren noch erfuhren Jehovas Zeugen bei der Verkündigung der Botschaft des Königreiches Jehovas wenig Widerstand. Einige Kirchenanhänger wiesen die Botschaft zurück, und Kampf und Anfeindung gab es nur bei den Kommunisten.

Die meisten Kommunisten aber offenbarten sich als unsere Feinde, weil sie Feinde Gottes sind. Man warf uns vor, dass wir ein neues Verdummungssystem aufrichten wollten, dass die Geldmacht hinter uns stehe, dass wir eine Abzweigung der Kirchen seien, dass wir die Freiheit des Denkens hindern und in den Weg träten, kurzum - man schmähte uns, weil die Lehre der Bibel, die wir uns zu verbreiten bemühen, ein Gegensatz ist zu den kommunistischen Ideen von Selbsthilfe durch die Faust. Wenn auch, besonders in katholischen Gegenden, die Geistlichen gegen uns hetzten, sah es doch immer so aus, als ob die Gottlosenbewegung der größte Stein auf dem Wege der sich immer mehr ausbreitenden Wahrheit sein sollte.

Ein Beweis dafür schien uns zu sein, dass die Anfänge des Werkes Jehovas in Russland nach dem Einsetzen des bolschewistischen Regimes einfach im Keime erstickt wurden, und dass sich im links gerichteten Frankreich die Wahrheit fast nur unter den dort lebenden Polen ausbreitete.

Heute sieht es fast so aus, als ob der kommunistische nur dazu da wäre um die grenzenlose Absurdität zu beweisen, die in der Anklage liegt, die nun gegen uns erhoben wird, in der Anklage, dass wir verkappte Bolschewisten seien. Das einzige, dass wir mit den Kommunisten gemein haben, ist der Hass, der sowohl ihnen wie uns von faschistischer Seite zuteil wird. Die Behauptung des Faschismus und Nationalsozialismus, Jehovas Zeugen sind eine Abart oder eine Schöpfung des Kommunismus, ist vielleicht die bewussteste Lüge, die der Faschismus im Verein mit der römisch-katholischen Hierarchie in die Welt gesetzt hat."

Koryphäe Boris Toedtli

Er war mit einer der bestgehassten Gegner der Zeugen Jehovas, Mitte der 30-er Jahre in der Schweiz. War er es doch, der die dortigen WTG-Chargen vor Gericht zog und in 2ter Instanz auch ihre Verurteilung wegen vorgeblicher "Herabwürdigung der Religion" erreichen konnte. Wäre sein Hintergrund nicht ruchbar geworden, hätte sogar die Möglichkeit bestanden, auch in der Schweiz weitergehende Maßnahmen gegen sie, nach deutschem Vorbild durchzusetzen. Dies ist keine leere Vermutung. Tatsächlich gelang es den daran interessierten Kreisen in den Schweizerischen Kantonen Luzern und Zug, zeitweilige Verbote gegen die Zeugen Jehovas durchzusetzen, nachdem der Toedtli-Clan ihnen die entsprechende Vorlage geliefert hatte. Allerdings hatten diese Verbote nach Anrufung des Schweizerischen Bundesgerichtes, keinen Bestand.

Pech auch für die katholische Kirche, dass Demokraten sich diesen Toedtli mal etwas näher ansahen. Die sozialdemokratische Zeitung "Berner Tagwacht" veröffentlichte in den Ausgaben vom 23.-25. 9. 1937 umfängliches Dokumentenmaterial zum Hintergrund des Toedtli. Eigentlich nicht verwunderlich, dass eine Replik dieser Bestandsaufnahme dann auch im "Trost" ihren Niederschlag fand. In der "Trost-Ausgabe vom 15. 2. 1938 konnte man über ihn beispielsweise lesen:

"Boris Toedtli ist in der Schweiz erstmals an die Öffentlichkeit getreten als Redaktor der von der 'Vereinigung für Kirche und Papst' in St. Gallen seit 1936 herausgegebenen 'Schweizer Pressekorrespondenz' (SPK), wofür er mit H. Metzler, St. Gallen, als verantwortlich zeichnete. Diese sogenannte Pressekorrespondenz ist allgemein bekannt als eine tendenziöse Hetzschrift gegen Jehovas Zeugen und deren Verkündigung vom Reiche Gottes.

Boris Toedtli war zugleich Vertreter und Agent des vom Naziagenten Fleischhauer geleiteten antisemitischen 'Weltdienst' in Erfurt und somit auch Agent des deutschen Propagandaministeriums unter Göbbels und des Büros der Auslandspolitik unter Alfred Rosenberg.

Toedtli war ferner Leiter des Spionagebüros v. Potters in Bern, Mitglied der 'Nationalen Front' und stellvertretender Führer des Verbandes der 'Allrussischen Faschisten' mit Hauptsitz in Charbin, Mandschurei. …

Die 'Gesellschaft für Kirche und Papst' in St. Gallen bemüht sich nun, sich von Toedtli etwas mehr zu distanzieren, nachdem er als ihr Gewährsmann und Werkzeug von der Bundesanwaltschaft in Bern als Agent und Spion des Auslandes entlarvt wurde, jedoch seinen Prozess gegen Jehovas Zeugen noch rechtzeitig zugunsten seiner Auftraggeber durch Fürsprech (Rechtsanwalt) Ruef in Bern zum Abschluss bringen konnte. …

Boris Toedtli hatte gegen die Ernsten Bibelforscher in Bern Strafklage wegen 'Herabwürdigung der Religion' eingereicht und suchte verständlicherweise dafür die Unterstützung katholischer Kreise. Er gründete im Sommer 1936 die SPK und gab auf den 1. August 1936 die erste Nummer heraus. Um dem Unternehmen jene Richtung zu geben, die mit dem Ziele und Zwecke der Gesellschaft für Kirche und Papst übereinstimmt, wurde auf Grund ihrer finanziellen Beteiligung die Gesellschaft für Kirche und Papst die Eigentümerin der SPK (Schweizerische Pressekorrespondenz). Boris Toedtli sollte seine Kenntnisse aus Sowjetrussland, wo er als Auslandsschweizer aufgewachsen ist, und auch seine Kenntnisse der russischen Sprache für die Bearbeitung der antikommunistischen Propaganda weiterhin zur Verfügung stellen. Zudem war vorgesehen, dass er, solange Mitredaktor der SPK bleiben soll, bis zur Erledigung seines Strafprozesses, den er am 28. Mai 1937 vor dem Berner Obergericht als Appellationsinstanz gewann unter Buße und Kostenfolge für die beklagten Beamten der Bibelforschergesellschaft. Dann schied Toedtli am 1. Juni 1937 aus der Redaktion der SPK aus.

Sein Prozess und das Urteil des Berner Obergerichtes sind ein ganz wertvolles Präjudiz für spätere Klagen gegen die Bibelforscher. Auch ist im Zusammenhang mit dem Prozess, dessen Ausgang durch die Presse genügend bekanntgemacht werden konnte, die Bibelforscherfrage in den Mittelpunkt des Interesses gerückt worden, was einem merklichen Fortschritte im Kampf gegen diese Gesellschaft gleichkommt. Eine zuständige katholische Instanz hatte auch am Ausgang des Prozesses regen Anteil genommen und auf ihre Weise das Resultat weiten Kreisen vermittelt. 'In diesem Sinne haben wir die Anstrengungen von Boris Toedtli kräftig unterstützt und damit konnte der Sache mehr gedient werden als mit Protesterklärungen.'"

Nachdem nun das Urteil von "Trost" über diesen Toedtli zitiert wurde, mag noch eine Gegenstimme zu Wort kommen.

Meiner persönlichen Meinung nach, war dieser Toedtli eher der Rubrik "geistiger Tiefflieger" zuzuordnen. Sein eigentlicher Hass galt doch der Sowjetunion; was wiederum nichts Ungewöhnliches in dieser Zeit; aber wohl nicht "nur" in dieser Zeit war. Gemäß der nazistischen Milchmädchenlogik wonach "Jude und Sowjet" "austauschbare" Begriffe wären (auch austauschbar mit dem Begriff Bibelforscher); und über seine Kontakte zu dem antisemitischen "Weltdienst" des Herrn Fleischhauer aus Nazideutschland, rutschte er tiefer in dieses Milijiöh hinein. Ob er ohne diese Kontakte jemals das Jonak'sche Zeugen Jehovas-Buch gelesen, bleibt mehr als fraglich.

Toedtli war doch auf der Suche nach einer neuen, tragfähigen, wirtschaftlichen Grundlage. Er erhoffte sich diese, durch sein Engagement für den faschistischen "Weltdienst" in der Schweiz. Sein Kalkül ging zwar nicht auf, aber das darf man durchaus als seine Motivation ansprechen.

Das die deutschen Nazis in der Schweiz nicht unbedingt die "bestgelittensten" waren, dürfte wohl mit der Zeit auch ihm gedämmert haben. Dafür spricht auch, dass er sich katholische Kontakte aufbaute. Und da war wiederum das Zeugen Jehovas-Thema dasjenige, dass ihm selbst Kontakte zum päpstlichen Nuntius in der Schweiz verschaffte. Das war doch schon was (in seiner Sicht). Indem er nun Jonak als "Sachkompetenz" an der Hand hatte, glaubte er nun mit dem spektakulären Prozess gegen die Zeugen Jehovas, wegen Herabwürdigung der Religion, einen wesentlichen Schritt voran zu kommen.

War Toedtli überhaupt in der Lage, die WTG-Literatur eigenständig auszuwerten? Letzteres stelle ich mehr als in Frage. In meiner Sicht konnte er dabei nur die Rolle einer Marionette wahrnehmen. Wenn also formell Toedtli vor Gericht klagte, war der eigentliche Kläger, der auch das argumentative Gerüst dafür lieferte, eben Jonak. Der aber war Österreichischer Staatsbürger, der nach eigener Aussage, als ehemaliger Regierungsrat, nicht direkt in der Öffentlichenkeit der Schweiz agieren konnte.

Günther Pape zitiert in seinem Buch "Die Wahrheit über die Zeugen Jehovas" auch aus den Urteilssätzen des Toedtli-Verfahrens. Ich halte Pape vor, bewusst zu verschleiern, was es mit diesem Toedtli so auf sich hat. Nach Pape war das ein "harmloser Katholik". Dieser Meinung schließe ich mich nun wirklich nicht an. Aber macht man sich die These zu eigen, Jonak sei der eigentliche Strippenzieher im Toedtli-Verfahren, gewinnt das ganze schon ein anderes Gesicht. Pape nennt auch einige der eingeklagten WTG Bildquellen, ohne sie in genanntem Zusammenhang zu reprodzieren. Das mag daher an dieser Stelle geschehe. Wenn Pape eine Bildquelle nennt, dann füge ich sie also meinerseits hier hinzu.

Nachstehend das was Pape zum Toedtli-Verfahren notierte:

"In erster Instanz verlor er (Toedtli) den Prozeß. Darauf ging er in die Berufung.

Am 28. Mai 1937 kam es zur Verhandlung. Angeklagt waren als Vertreter der Wachtturm-Gesellschaft Martin Harbeck, Geschäftsführer der Gesellschaft in Bern, und Franz Zürcher, welche für die Verbreitung der Wachtturm-Literatur in der Schweiz verantwortlich zeichneten.

Die Anklage lautete: "Herabwürdigung der Religion und Widerhandlung gegen Art. 14 des Gesetzes über das Lichtspielwesen und Maßnahmen gegen die Schundliteratur vom 10. 9. 1916 der Schweiz".

In der Urteilsbegründung wird u. a. ausgeführt:

"Dagegen wird die Religion der christlichen Kirchen ganz abscheulich besudelt und verspottet durch die Bilder

'Zahl des Tieres' (in ,Licht', Bd. 1, S. 132);

Erschlaget die Teufelsanbeter' (in 'Rechtfertigung', Bd. 3, S. 89);

Die Plage" (in ,Jehova', S. 73)

und Gefängniswärter geben den Rat, Bücher zu verbrennen' (in Broschüre ,Seine Werke', S. 41).

Werke.S.41.jpg (15345 Byte)

Auf dem Bilde ,Zahl des Tieres' schreitet ein Bischof mit blutbeflecktem Gewand, das Kruzifix bis zum Geschlechtsteil herabgehängt, mit einem Geschäftsmann und einem Staatsmann über nackte Menschenleichen und Skelette, den

Teufel mit einem Heiligenschein im Rücken.

Das Bild 'Erschlagt die Teufelsanbeter' dient der Verspottung des Dogmas der heiligen Dreieinigkeit und bezichtigt die christlichen Kirchen des Götzendienstes.

Unter der Bezeichnung ,Die Plage' ist unter anderem ein katholischer Priester karikiert, wie er mit entblößtem Oberkörper und halbnackten Beinen von einem Barbier entlaust wird und zwischen den Fingern selbst eine Laus zerquetscht.

Auf der Karikatur 'Gefängniswärter geben den Rat, Bücher zu verbrennen' wirft ein Bischof, das Kruzifix auf der Höhe des Geschlechtsteils, ein Buch ins Feuer und hebt mit der anderen Hand sein Gewand hoch, so daß die von ihm getragenen Damenhalbschuhe mit hohen Absätzen und die mit Spitzen besetzte Damenhose zum Vorschein kommen. Was ein derartiges widerliches Spottbild mit sachlicher Kritik der christlichen Lehre zu tun haben soll, ist unerfindlich."

(Seite 7 der Urteilsbegründung)

Das Urteil lautete:

"Aus diesen Gründen wird in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils

erkannt: Martin Christian Harbeck und Franz Zürcher, beide vorgenannt, werden schuldig erklärt der Herabwürdigung der Religion, fortgesetzt begangen in den letzten Jahren im Kanton Bern, und sie werden in Anwendung von Art. 94 StGB., Art. 260, 263, 325 StrV. verurteilt: . . ."

(S. 9/10 der Urteilsbegründung und Urteil)

Sie mußten eine Geldbuße von je SFr. 100 und die Kosten zahlen. Das Gericht hatte ihnen mildernde Umstände zugebilligt, weil sie in gutem Glauben gehandelt hatten. An sich wäre wegen der Schwere des Falles eine Gefängnisstrafe gerechtfertigt gewesen (Seite 9).

Die Wachtturm-Führer ließen sich jedoch durch diese Urteile nicht beeindrucken. Sie kamen nicht zur Vernunft. Im gleichen Jahr 1937 veröffentlichte die Wachtturm-Gesellschaft ein neues Buch "Feinde". Dieses Mal klagte meines Wissens niemand gegen die Gesellschaft. Dieses Buch war der Gipfel der Schmähung und Verächtlichmachung von Kirche und Staat. Auch in diesem Buch finden sich farbige Abbildungen, u. a. zwischen S. 192 und 193 ein doppelseitiges Bild mit der Unterschrift "Der Kampf der Religionisten gegen den Herrn". Eine giftgrüne Schlange auf einem Ochsenjoch, hat in dieses Joch einen Politiker und einen Finanzmann eingespannt. Der Kopf der Schlange ist als Menschenkopf dargestellt, aus dessen Munde eine giftige Schlangenzunge züngelt. Auf dem Kopf trägt sie die Tiara des Papstes. Zu Füßen dieser Gruppe liegt ein Menschenschädel und über allem thront der Teufel. Auf der Rückseite dieses Bildes ist die schon einmal erwähnte obszöne Hure mit Tiara abgebildet, zu deren Füßen die Bibel im Schmutz liegt. Außerdem hat dieses Buch noch einige abscheuliche Karikaturen ähnlichen Inhalts.

Doch diesmal tobt sich der "Jehova-Diener" Rutherford nicht nur im Bild aus, sondern feiert auch mit Worten Haßorgien.' Seite 5 des Buches zeigt in großen Lettern die Worte: "Gott dem Höchsten gewidmet", darunter ist 2. Samuel 22, 3-4 zitiert. Es folgt in den ersten Kapiteln die übliche psychologische Einleitung über den heute schlechten, ausweglosen Zustand der Welt. Der angebliche Nachweis, daß dieser Zustand der Welt seit dem Sündenfall bis in unsere Zeit unverändert ausweglos war, daß daraus folge, die Religionisten stünden unter des Teufels Einfluß und hätten auch Christus hingerichtet, wird mit vielen aus dem Zusammenhang gerissenen Bibeltexten untermauert."

(Redaktionelle Einfügung. M. G. In der mir vorliegenden deutschen Ausgabe von "Feinde" (Bern 1937) sind die genannten Farbbilder nicht mit enthalten. Wohl aber in dem englischsprachigem Original, nachdem sie hier wieder gegeben werden.)

Wohl auch für die Schweiz gilt dann der vielfach bestätigte Erfahrungswert:

Vor Gericht und auf hoher See, seien vielerlei Überraschungen möglich.

Der Vollständigkeit halber sei auch noch aus einem Pressebericht über das Erstinstanzliche Urteil in der Sache zitiert.

Die sozialdemokratische "Berner Tagwacht" berichtete in ihrer Ausgabe vom vom 28. 8. 1936 über das Erstinstanzliche Urteil. Der gerichtliche Verhandlungstrag war der 26. 8. 1936.

Die "Berner Tagwacht" notierte unter anderem:

"Warum aber der Name Fleischhauer in der Überschrift? Man bedenke: "Herr Boris Tödtli, Gewerbestraße 31 in Bern bekannt als notorischer Naziagent, Weißrusse, hat am 1. August 1936 die erste Nummer seines neuen Pressedienstes, den "Weltdienst", herausgegeben, der das Organ des Zweiges Schweiz der antisemitischen Weltzentrale des Herrn Fleischhauers in Erfurt ist. Herr Tödtli war übrigens während des Zionistenkongresses in Bern ständig in allernächster Nähe und Gesellschaft von Herrn Fleischhauer zu beobachten. Versteht man nun? Herr Tödtli hatte als Privatkläger die genannten Herren Harbeck und Zürcher beschuldigt, mit ihren Publikationen "Schundliteratur" vertrieben zu haben und noch zu vertreiben."

bekannt als notorischer Naziagent, Weißrusse, hat am 1. August 1936 die erste Nummer seines neuen Pressedienstes, den "Weltdienst", herausgegeben, der das Organ des Zweiges Schweiz der antisemitischen Weltzentrale des Herrn Fleischhauers in Erfurt ist. Herr Tödtli war übrigens während des Zionistenkongresses in Bern ständig in allernächster Nähe und Gesellschaft von Herrn Fleischhauer zu beobachten. Versteht man nun? Herr Tödtli hatte als Privatkläger die genannten Herren Harbeck und Zürcher beschuldigt, mit ihren Publikationen "Schundliteratur" vertrieben zu haben und noch zu vertreiben."

Über Toedtli wird bezüglich des Verfahrensablaufes dann noch süffisant notiert, dass er an ihm gerichtete Fragen schriftlich zugestellt bekam

da "er in der russischen Revolution sein Gehör verloren habe", was ihn sonderbarerweise aber nicht hinderte, bei den Ausführungen des Gegenverteidigers aufmerksam hinzuhorchen und sich von Zeit zu Zeit Notizen und Bemerkungen zu machen, während er sich in der übrigen Zeit, wo er nichts hören konnte, mit Abzeichnungen vom Gerichtssekretär und verschiedensten Phantasie-Symbolen die Zeit vertrieb."

Der Anwalt des Toedtli nahm dann eine äußerst langatmige kommentierende Vorstellung inkriminierter WTG-Bilder vor.

Dazu die "Berner Tagwacht": "bis ihn die etwas ironische Frage des Beklagten Harbeck, ob er nicht lieber einen Katalog vorlesen solle, veranlaßte, etwas summarischer vorzugehen und in unendlichen Variationen und unzähligen Satzwiederholungen das auszuführen, was sich in folgender Formulierung ausdrücken läßt:

"Wir achten die religiöse Überzeugung der Bibelforscher, die wir nicht angreifen; es handelt sich nur darum, ob nicht die beanstandeten Zitate und Bilder unter den Artikel über die Schundliteratur fallen, da sie geeignet seien, die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit zu gefährden und bestehende staatlich anerkannte Kirchen herabzuwürdigen."

"Ich behaupte, sie sind geeignet..." hörte man nach jedem Zitat, nach jeder Bilderläuterung, aber nie hörte das aufmerksame Publikum auch nur den kleinsten Beweis, daß sich wirklich jemand über die beanstandeten Dinge empört hätte und daß sie den Religionsfrieden in irgendeiner Weise wirklich einmal gestört hätten, was allein den Tatbestand der Artikel 94 oder 14 erfüllt hätte."

Seitens des Verteidigers Brunschvig, der für die angeklagten WTG-Funktionäre agierte gab es auch den Hinweis:

"Die Bibelforscher und ihre heute angeklagten Vertreter seien "Pestboten asiatischen Mammons"? Absurd ist es, die Bibelforscher mit den Kommunisten zu identifizieren, denn die Bibelforscher lehnen jede Gewaltanwendung ab."

Nicht erwähnt im Bericht der "Berner Tagwacht" ist, dass die "flotte" Formulierung "asiatischer Pestboten" die eigenständige Formulierung eines Nazipfarrers aus Hitlerdeutschland war. Niemand anders als besagter Herr Karl Gerecke hat diese Vokabel zuerst auf den Ententeich gesetzt, und wie man sieht, bis in jenes Schweizer Verfahren schwappte sie über. Was Gerecke anbelangt, ziehe ich es desweiteren vor, ihn als den nahezu typischen Typ des "Kanonenpastors" zu titulieren. Kanonenpastor Gerecke (im ersten Weltkrieg ein solcher) konnte sich auch in der nachfolgenden Zeit, offenbar seine verkalkten Gehirnwindungen nicht mehr resozialisieren.

Siehe auch Aktion Das als Zwischenbemerkung.

Die "Berner Tagwacht" notierte weiter:

"Nach den Schlußreden der Beklagten, die unter anderem aufschlußreiche Einzelheiten über die Verfolgung von Bibelforschern im Dritten Reich geben - Herr Harbeck hat selbst die Gestapokeller kennengelernt -, was den Klägervertreter sichtlich nervös macht, resümiert Gerichtspräsident Lehmann die einzelnen Anklagepunkte und kommt zu der Feststellung, daß bei keinem einzelnen Zitat noch bei einem der 16 beanstandeten Bilder der Tatbestand der Artikel 94 und 14 erfüllt sei, somit auch keine Verurteilung erfolgen könne. Zitate und Bilder seien zwar scharfe, oft drastische Kritik am "sogenannten" Christentum - wohlgemerkt nicht am Christentum oder an politischen Persönlichkeiten als solchen - die sich aber in jedem einzelnen Fall direkt auf Bibelworte selbst bezieht und deshalb nicht strafrechtlich verfolgt werden könne, sonst müßte man die Bibel selbst als "Schundliteratur" verurteilen. Eine der schwerwiegendsten Behauptungen der Anklage, die Dreieinigkeit sei verhöhnt, ist nicht erfüllt und könnte auch nicht bestraft werden, weil von kirchlicher Seite selbst die Dreieinigkeit, die übrigens umstritten ist, als nicht wesentlich für das Christentum bezeichnet wird."

Auch diese Reminiszenz gab es in der erstinstanzlichen noch:

"Im Verlauf der Prozeßverhandlungen warf der Beklagtenverteidiger die Frage auf, warum wohl ausgerechnet in Bern die Klage gegen die Bibelforscher erhoben worden sei, und warum die Kläger, die sich als Beschützer der Kirche, der katholischen sowie der protestantischen aufspielen, nicht auch gegen die Hitlerjugend, das "Schwarze Korps", das Neuheidentum in Deutschland protestieren, die so scharf und direkt gegen die katholische und die protestantische Kirche ins Feld ziehen und zu direkten Aktionen gegen dieselben auffordern.

Eine treffende Ergänzung zu der Berechtigung dieser Frage gab der Gerichtspräsident mit dem Hinweis auf ein Buch eines Dr. Jam, Nationalsozialist, der in der Nationalen Verlagsgesellschaft m.b.H. Leipzig, also einer Hitlerbuchgemeinschaft, gestern das Buch "Die katholische Kirche als Gefahr für den Staat" veröffentlichte, der wir u.a. den Passus entnehmen: "Die Weltherrschaftsgelüste der katholischen Kirche stellen geradezu eine anmaßende Herausforderung ungeheuerlichster Art dar, wenn man sich das abgestandene, rückschrittliche, extrem intolerante, wissenschaftsfeindliche, Freiheit-, geist- und kulturtötende, auf Fälschungen von weltgeschichtlichen Ausmaßen, Lug und Trug aufgebaute System und die verruchte, fluchbeladene Vergangenheit der katholischen Kirche vergegenwärtigt, die das größte, schand- und schmachvollste, schmutz- und blutbefleckteste Sündenregister der Weltgeschichte aufweist. Gibt es doch kein Volk der Erde, keine Institution der Welt, die so tief im Menschenblute, das sie vergossen, und so tief im Schlamm vieler Laster und Verbrechen, die sie begangen, gewatet ist wie die katholische Kirche, so daß sittliche Verkommenheit und abstoßendes Verbrechertum ihr auf die Stirne geschrieben sind und ein unauslöschliches Charakteristikum der katholischen Kirche bilden", usw. usw.

Wenn die Herren Tödtli-Fleischhauer, die sich als Beschützer der Kirchen aufspielen, nicht gegen solche Schmähungen und Anklagen gegen die katholische Kirche auftreten, mit welchem Recht klagen sie die Bibelforscher an, die sich einzig und allein auf Bibelworte berufen?"

Dokumente der Schande

Weiteres zur Toedtli

Freiheit oder Romanismus

In gewisser Hinsicht stellt sie ein Novum dar, jene Broschüre, die im Jahre 1938 in Australien publiziert wurde. Ihr Herausgeber war die dortige Watchtower Bible and Tract Society. Es ist nicht bekannt, dass diese englischsprachige Publikation auch in den USA sonderliche Verbreitung gefunden hätte. Die dortigen WTG-Oberen werden sicherlich Belegexemplare davon gehabt haben, aber für das "gemeine Fußvolk" in den USA war sie mit Sicherheit nicht bestimmt. Selbstredend wurden von der WTG davon auch keine autorisierten Übersetzungen in andere Sprachen vorgenommen. Die Schrift war spezifisch auf australische Verhältnisse hin konzipiert und dürfte auch nur dort, ihren relevanten Verbreitungskreis gefunden haben.

Diese zugegebenermaßen etwas ungewöhnliche Ausgangsbasis wird erst verständlich, wenn man sich ihren Inhalt näher ansieht. Da wollte also Rutherford anlässlich eines Zeugen Jehovas-Kongresses auch in Australien erscheinen. Wie bei den Zeugen Jehovas üblich, wurden die diesbezüglichen Vorarbeiten minutiös durchgeführt. In Sydney wollte er in der dortigen Stadthalle seinen Vortrag absolvieren. Aber nicht nur diese relativ kleine Örtlichkeit sollte genutzt werden. Es wurde auch eine eine ganze Reihe von australischen Rundfunkstationen herangetreten mit der Maßgabe, den Rutherford-Vortrag möglichst landesweit zu übertragen. Ein solches Ansinnen war auch für australische Verhältnisse ziemlich ungewöhnlich.

Im Prinzip agierten die dortigen Rundfunkstationen mehr oder weniger als Regionalsender. Das da ein Yankee anzureisen gedachte, der zu einem bestimmten Zeitpunkt fast das gesamte australische Rundfunknetz zu benutzen wollte, löste schon einiges Staunen aus. Das der Yankee zahlungskräftig war, konnte nicht in Zweifel gezogen werden. Also unter monetären Gesichtspunkten wäre die Sache, so ungewöhnlich sie auch gewesen sein mag, durchaus gelaufen. Aber das änderte nichts daran, dass dies Rutherford'sche Ansinnen, auch für australische Verhältnisse höchst ungewöhnlich war. Hohe und höchste Stellen befassten sich daher schon im Vorfeld damit. Und auch der katholischen Kirche blieb dieser "Rutherford-Anschlag", wenn ich es mal salopp so formulieren darf, nicht verborgen. Aber Rutherford war für die katholische Kirche keineswegs ein "Unbekannter". Man verband mit ihm, aus kirchlicher Interessenlage, übelste Befürchtungen. Und man handelte. Entweder wir oder der. Mit dieser Devise wurden verantwortliche Stellen massiv unter Druck gesetzt. Und der Druck trug Früchte.

Rutherford befand sich nach auf dem Schiff das ihn nach Australien brachte, als er schon unterwegs die Mitteilung zutelegraphiert bekam, mit der Stadthalle von Sydney als Versammlungsort, das wird nichts mehr und gleichfalls auch nichts mit seinen Radioambitionen. Am 24. 6. 1938 sollte seine große Rede starten, die nun wie eine Seifenblase zu zerplatzen drohte.

Aber untätig blieb Rutherford nicht. Sofort nachdem er in Australien gelandet war, mobilisierte er seine Anhängerschaft eine groß angelegte Protestaktion gegen die missliche Lage in Szene zu setzen. Glaubt man der WTG-Verlautbarung, wurde die gar von 120 000 Personen unterzeichnet. In der fraglichen Broschüre ist auch das diesbezügliche Protestschreiben abgedruckt. Einige Sätze daraus:

"Gott hat den Rundfunk als Mittel vorgesehen, Menschen zu erreichen; aber Er hält den Teufel nicht davon ab, sich an seiner Verwendung schaffen zu machen. So gibt er dem Teufel und seinen Agenten die Gelegenheit, ihr wahres Gesicht zu zeigen, ehe Er so mit ihnen verfährt, wie Er es verheißen hat. Zur Verständigung der Leute waren zweiundzwanzig Rundfunkstationen in Australien verpflichtet worden, um die Rede von Richter Rutherford zu übertragen. Das versetzte die Faschisten und die römisch-katholische Hierarchie so sehr in Furcht, daß sie einen verzweifelten Versuch begannen, die Übertragung zu stoppen. … Der Postminister wurde daraufhin dazu bewegt, zu fordern, daß zuerst eine Niederschrift oder Abschrift der Rede von ihm genehmigt werden müsse, ehe die Benutzung der Leitungen gewährt werden könne."

Das erwies sich als Knackpunkt. Wohl zu recht argwöhnte Rutherford, dass dieses Verfahren nichts anderes als eine handfeste Zensur seiner beabsichtigten Rede bewirken solle. Aber an einer "zahnlosen Rede" war Rutherford selbstredend nicht interessiert. Also lief das ganze letztendlich darauf hinaus, dass beide Seiten sich in ihren Maximalpositionen verhärteten. Es kam nicht zu der geplanten Radioübertragung. Wohl aber kam es im Vorfeld zu intensiven Bemühungen, diese doch wenn irgend möglich noch zu gewährleisten.

So schrieb beispielsweise am 21. 4. 1938 Rutherford an den australischen Postminister einen Brief. Neben etlichen in höflicher "Diplomatendiktion" gehaltenen Wendungen findet sich darin aber auch der nachfolgende Satz:

"Die einzige Äußerung, die ich machen werde und die auch nur dem Punkt einer Ablehnung nahekommt, ist diese: daß die Faschisten, Nazis und die 'römisch-katholische Machthierarchie' des Vatikanstaates darin übereinstimmen, die Macht über die demokratischen Nationen zu ergreifen und deren Völker durch Diktatoren zu beherrschen.

Sicherlich kann man nicht bestreiten, daß es ein solches Bemühen gibt, die Demokratien der Erde zu vernichten und anstatt ihrer diktatorische Herrschaften zu errichten. Sicherlich kann keine unvoreingenommene Person in Australien ernsthaft eine solche Feststellung, die in der Öffentlichkeit gemacht und per Rundfunk übertragen wird, übelnehmen."

Der australische Postminister hatte verstanden. Auch ihm waren die Wendungen des Diplomatenmilieus geläufig. Dem Herrn Rutherford direkt zu widersprechen? Dies wäre doch zu plump. Es reichte ja wenn die Nichtzugänglichkeit der australischen Rundfunkstationen für Rutherford weiter aufrecht erhalten würde. Wenn er weiterhin mit all seinen Vorstoßen gegen eine Mauer rennen würde. Und so lief es denn auch ab.

Wurde es auch nichts mit der Radioübertragung, so gelang es den Zeugen Jehovas dennoch eine neue Örtlichkeit, die Sports Grounds in Sydney zu mieten und Rutherford konnte dort vor 25 000 Anhängern seinen Vortrag halten. Aber sicherlich. Seine Verschnupftheit über den geplatzten Radiocoup konnte er nicht verbergen und er machte auch nicht die geringsten Anstrengungen dazu. Bei allem wettern über diesen Affront, versäumte er es auch nicht seine Grundsatzthese (unabhängig von den australischen Bedingungen) deutlich auszusprechen. Etwa mit seiner Bemerkung:

"Faschisten und Nazis haben in völliger Mißachtung der Rechte anderer das Land Abessinien zerstört, die Macht in Österreich ergriffen, Tausende von Christen in Deutschland verhaftet, weil sie die Bibel besaßen, und sie verfolgen einen aufrührerischen Krieg gegen die Regierung Spaniens; und das alles billigt die römisch-katholische Hierarchie vollkommen. Und jetzt versucht dieselbe unheilige Allianz, allen Nationen eine diktatorische Herrschaft aufzuzwingen. Gegen dies alles protestieren wir energisch."

An anderer Stelle seines Vortrages, wiederholt Rutherford seine These noch einmal, etwas ausführlicher. Auch diese Passage sei zitiert:

"Aus diesem Bündnis von Nationen ist eine Ungeheuerlichkeit herausgewachsen, die heute von den Religionisten vollkommen unterstützt wird. Diese Ungeheuerlichkeit ist die Herrschaft der verschiedenen Nationen unter einem tyrannischen Diktator, das heißt, eine Diktatur, die man auch als totalitäre Herrschaft bezeichnen kann. Sie kam zuerst in Rußland unter dem Deckmantel des Bolschewismus oder Kommunismus auf. Dann zeigte sie sich in Italien als Faschismus, in Deutschland läuft sie unter dem Namen Nationalsozialismus.

Die große Organisation, die in der Religion der Welt vorangeht, unterstützt nun diese Ungeheuerlichkeit, und das ungeachtet dessen, unter welchem Namen oder Deckmantel sie auftaucht. Diese monströse Diktatorenherrschaft versucht, Vorschriften oder Gesetze durchzudrücken, wie zum Beispiel die, daß man Menschen das "Heil" entbieten müsse, daß man zwangsweise die Fahne grüßen müsse und ähnliches mehr, womit die Menschen veranlaßt werden sollen - oder es wird versucht, sie dazu zu veranlassen -, anzuerkennen, daß ihr Schutz und ihre Rettung von Menschen und der Macht über die Menschen kämen, die durch ein Emblem oder eine Fahne dargestellt werden.

Anders gesagt, die Religionisten haben wirklich dem zugestimmt, daß Schutz und Rettung von menschlicher Macht kämen und nicht von Jehova Gott durch Jesus Christus. Die Religionsorganisationen fügen sich völlig in die Lehre, daß der "Staat" über Jehova Gott und seinem König Jesus Christus steht und höher ist. Durch ihre Verfügung und ihre Handlungsweise zeigen sie, daß sie glauben, der "Staat" dürfe alle Arten von Gesetzen erlassen, die völlig im Gegensatz zu Gottes Gesetz stehen und Gott mißachten, und daß alle Menschen diesem Gesetz des Diktators gehorchen müßten, egal was Gottes Gesetz gebietet.

Jetzt unterstützt der Vatikan vollkommen den grausamen Eroberungskrieg gegen die Abessinier, die Revolution und das ruchlose Abschlachten in Spanien und den ungerechten Krieg Japans gegen China. Dieselbe Religionsorganisation hat mit dem Nazidiktator ein Abkommen getroffen, und sie willigt darin ein, daß der Diktator die Macht über andere Nationen ergreift."

Im Gegensatz zu den Zeitgenossen, hat man aus der rückblickenden Perspektive eher die Möglichkeit "Licht und Schatten" abzuwägen.

Ich nehme mir die Freiheit für meine Person zu erklären, dass ich Rutherford's Einschätzung der katholischen zeitgenössischen Politik sehr wohl nachvollziehen kann. Die Apologeten der katholischen Kirche und ihre Kompagnons auch in der Evangelischen, haben mich bis heute nicht davon überzeugt, dass ihre zeitgenössische Politik nicht eine äußerst trübe war. Rutherford hat einiges deutlich ausgesprochen, was ich bezüglich genannter Herrschaften nur mit unterschreiben kann.

Dennoch auch Rutherford findet meine Kritik. Er hat es klar ausgesprochen, dass für ihn "Gott über den Menschen" steht und dass er gewillt ist, es diesbezüglich zum Konflikt kommen zu lassen. Die Praxis hat ja denn auch bewiesen, dass dem so ist.

"Gott" bedeutet indes in der Rutherfordterminologie er selbst (als dessen Sprachrohr). Wirft er seinen Gegnern Diktatur vor, so nur um seine eigene um so besser ausbauen zu können. Rutherford, sein Vorgänger und seine Nachfolger sind für mich alle, in einem kardinalen Punkt unglaubwürdig. Und das ist der, dass angeblich die Probleme der Menschheit "nur" durch Gott und durch die Endzeitspekulationen seiner "Sprachrohre" "lösbar" wären. In diesem Punkt - und das ist für mich der kardinale - gibt es keinen Konsens.

Menschen machen Fehler. Auch Rutherford, auch die heutige WTG. Fehler können ihr Korrelativ nur durch gegenteilige Argumentation finden. Also im Prinzip die Grundsätze der Demokratie.

Rutherford und seine Nachfolger reden indes primär von der "Theokratie" die praktisch nur eine religiös bemäntelte Diktatur ist.

"Kristallnacht" a la WTG

Der 9. November 1938 ist unrühmlich in die Geschichte eingegangen. An jenem Tage ließ der entfesselte Nazimob in Deutschland seine Aggressionen in besonders übler Weise an den Juden aus. Die Bilder brennender Synagogen, nebst ärgerem gingen um die Welt. Jenes Fanal entstand nicht im "luftleeren Raum". Vorangegangen war dem schon die systematische, immer schärfer werdende Entrechtung und Stigmatisierung der Juden in Deutschland. Aber auch andere antisemitische Staaten, beispielsweise, der zu jener Zeit von den Nazis noch nicht annektierte polnische Staat, trugen ihren Teil zur Verschärfung der Gesamtlage bei. Das in dieser Situation ein jüdischer Attentäter, den Vorwand abliefern sollte, für die extrem verschärfte "härtere Gangart" der Nazis gegen die Juden, gehört zu den großen Tragödien des 20. Jahrhunderts. Also, man kann nicht nur auf den 9. November 1938 abstellen. Man muss deutlich sagen, dass er eine vielschichtige Vorgeschichte hatte. Auch eine publizistische.

Die Bibelforscher/Zeugen Jehovas waren einstmals als glühende Verfechter des Philosemitismus angetreten. Russells Kampagne vor Juden im New Yorker Hippodrom, oder der Titel der Rutherford-Schrift "Trost für die Juden" sind nur zwei Beispiele. Sie könnten um ein vielfaches vermehrt werden.

Im Vorfeld der Nazi-Machtergreifung hatte die WTG schon einmal vorexerziert, was sie in der Gegenwart auch bei ihrem Begehren, "Körperschaft des öffentlichen Rechtes" werden zu wollen, in vielfältiger Weise dokumentiert hat. Um vermeintlicher Vorteile willen, redet man mit gespaltenen Zungen. Gegenüber den Mächtigen dieser Welt mit vermeintlichen "Engelszungen". Positionen von gestern, die auch den heutigen Machthabern anfechtbar erscheinen, werden stillschweigend oder auch laut formal revidiert.

So seinerzeit auch in der Frage des Philosemitismus, der stillschweigend oder auch laut, zu den Akten gelegt wurde.

Die Jahre nach 1933 lieferten der Weltöffentlichkeit übergenug Anschauungsbeispiele, was von der Nazi-Judenpolitik zu erwarten war. Eine ganze "Giftschrankabteilung" mit Literatur über das Judentum aus nazistischer Feder, kann beispielsweise von dem Gesamtarchiv deutschen Schrifttums, der Deutschen Bücherei, über diesen Zeitraum benannt werden. Mir scheint allerdings, einen Artikel hat die Deutsche Bücherei dabei vergessen zu indexieren. Und zwar stammt dieser Artikel aus der Feder einer Organisation, die einstmals unter dem Logo Philosemitismus angetreten war.

Jene Organisation schrieb in ihrer Zeitschrift "Trost" vom 15. 7. 1938 (S. 12, 13) unter der Überschrift "Die Juden in Palästina":

"Die Zeitungen in der Welt nehmen, sofern sie nicht antisemitisch sind, gewöhnlich einen einseitig projüdischen Standpunkt ein, wenn es sich um Fragen handelt, die Palästina betreffen. Wie schon gesagt, schreibt im allgemeinen die Weltpresse günstig für die Juden. Man sagt, ein jahrhundertealtes Unrecht müsse gutgemacht und den Juden Palästina wiedergegeben werden usw. usw., was meist einer Sentimentalität entspringt, die in gewissen 'christlichen' Sekten genährt wird, aber nicht berücksichtigt ist, dass die heutigen Menschen, die 'Juden' genannt werden, im Sinne der Bibel durchweg keine Juden sind. Sie üben zwar eine gewisse Form von jüdischer 'Religion' aus, haben aber keinen Glauben an Jehova, den allein wahren Gott, der die Juden einst als 'ein Volk für seinen Namen' erwählte.

Deshalb sind auch ihre Augen blind und die Ohren taub gegenüber Gottes Wahrheit. Was Gott vor alters durch seine Propheten einem abtrünnigen Volke sagen ließ, ist heute sehr zeitgemäß. So wie man sich vor Jahrtausenden auf den 'Stab Ägyptens' stützte, anstatt auf Jehova, so stützt man sich auf England. Englische Juden suchen mit aller Beredsamkeit die englische Regierung zu überzeugen, wie sehr England einen jüdischen Staat in Palästina aus englisch-imperialistischen Gründen benötige, und wie loyal die Juden dem englischen Weltreich gegenüber seien, und das sie auch heute wieder bereit wären, für dieses Reich ihr Blut zu vergießen.

Auch ist man sehr mit dem 'alten Weib' in Rom befreundet. Die jüdischen Blätter berichten wehleidig über die 'grausamen Verfolgungen armer Katholiken'; dass aber über 6000 Zeugen Jehovas in den Gefängnissen und Konzentrationslagern Nazi-Deutschlands schmachten, hat man hier nicht gehört. Im Gegenteil muss natürlich jeder Deutsche hier, wenn er auch ein Zeuge Jehovas ist, verdächtigt werden, Nazispion zu sein. Auch schlagen darf man ihn ungestraft, da sich die jüdische Polizei hier nicht um 'jede kleine Schlägerei' kümmern kann!

So geht dieses Volk auch hier in seinem ehemaligen Heimatland einen Weg ohne Erkenntnis Jehovas und seines gesalbten Königs Jesus, des Messias. Mit menschlichen Mitteln und menschlichen Gedanken sucht man in den Besitz dieses Landes zu kommen und sieht nicht, wie Jehova 'die Räder des Wagens schwer macht', damit er nicht sein selbstgestecktes Ziel erreicht. Man schreit nach mehr 'Religiosität', wie die anderen Bundesgenossen in des Teufels Organisation. Blind sind die Juden auch dafür, dass das 'alte Weib' in Rom alles daransetzt, zu verhindern, dass die Juden hier selbstständig werden. Seine Priester sind die größten Hetzer; ihre 'heiligen Stätten' seien gefährdet, sollten die Juden zahlreicher werden! so schreien sie. Deshalb muss auch England in seiner Abmachung mit Italien 'die berechtigten italienischen (lies: katholischen) Interessen garantieren, d. h. dass das 'alte Weib' fernerhin durch seine Schulen und Klöster das arme Volk verdummen darf, um es dann auszusaugen.

Die Juden sind ein lebendiges Bild dafür, wie furchtbar es ist, den Segen Jehovas nicht zu besitzen. Abgeschnitten von der Gunst Gottes, sind sie auch hier ohne Ruhe. Wind säend, ernten sie Sturm! Wie lange noch?"

In dem eben zitierten Text findet sich auch der Passus: "Die jüdischen Blätter berichten wehleidig über die 'grausamen Verfolgungen armer Katholiken'; dass aber über 6000 Zeugen Jehovas in den Gefängnissen und Konzentrationslagern Nazi-Deutschlands schmachten, hat man hier nicht gehört." Dem ist zu widersprechen. Beispielsweise hatte das "Israelitische Wochenblatt für die Schweiz" in seiner Ausgabe vom 19. 8. 1938 auch über das Zürcher-Buch "Kreuzzug gegen das Christentum" berichtet. Man konnte dort lesen:

"Ein ergreifender Bericht über moderne Christenverfolgungen - frei von jeder politischen Tendenz und Polemik. Die Wahrhaftigkeit dieses Buches kann nicht angezweifelt werden, denn der Verfasser, ein Christ, bürgt persönlich für die Zuverlässigkeit der von den Verfolgten selbst erzählten Begebenheiten, die aufs lebhafteste an die Verfolgungen des finsteren Mittelalters erinnern. Gegen 6000 dieser Christen halten in Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern dem nationalsozialistischen Terror stand, erdulden alles für ihre Überzeugung und bekennen sich weiter zu ihrem Glauben. Diese Haltung muss allen Achtung einflößen, die für die Glaubens- und Gewissensfreiheit einstehen, und diese kostbaren Menschheitsgüter zu verteidigen, ist der Zweck dieses Buches."

Ach so - "kein Kampf für das Christentum"

Der schleichenden Katze Hitlerregime, wurde durch die sogenannte "Bekennende Kirche" ein Glöcklein ans Bein gebunden. Sehr zum Verdruss der religiösen Nazis, die sich da "Deutsche Christen" nannten, wagten es einige ihnen Paroli zu bieten. Das Hitlerregime war anfänglich etwas verunsichert, wie es darauf reagieren sollte, denn das war in seiner Regieplanung eigentlich nicht vorgesehen. Ganze Bibliotheken sind inzwischen schon vollgeschrieben worden, über diesen Konflikt zwischen den Nazis und dem konventionellen Christentum.

Aufsehen erregte in der zeitgenössischen Berichterstattung besonders der Fall Martin Niemöller. Auch Niemöller, einer der führenden Köpfe der "Bekennenden Kirche", wurde eines Tages unter spektakulären Umständen in ein Konzentrationslager verfrachtet. Nur, handelte es sich hierbei um jemanden, der in der Öffentlichkeit bereits bekannt war und zugleich hatte sein Fall für das Ausland Signalwirkung.

Auch das "Trost" kam am 1. 4. 1938 auf seinen Fall zu sprechen. In dem diesbezüglichen Kommentar wurde ausgeführt:

"An sich ist es erfreulich, zu sehen, dass in Deutschland, diesem jetzigen Land der krummen Buckel und verbogenen Rückgrate, jemand soviel Zivilcourage aufbringt wie dieser Pastor; und erbärmlich die Feigheit, mit der das Regime einer öffentlichen mannhaften Diskussion auch in diesem Prozess aus dem Wege gegangen ist. Denn genau genommen ist der Prozess auf kaltem Wege einfach abgetan worden, offenbar auf Weisung von oben.

Der ganze Vorgang bietet Gelegenheit, sich mit der 'Bekenntniskirche' in Deutschland einmal näher zu befassen. Erinnern wir uns einiger der jüngsten geschichtlichen Ereignisse:

Mit Lüge, Liest und Terror schwang sich der Nationalsozialismus in die Macht und erstickte alle Freiheit auf jedem Gebiete des geistigen Lebens. 'Gleichschaltung' hieß diese Kulturschande. Und nahezu alles wurde gleichgeschaltet, ließ sich gleichschalten, meist ohne Widerstand.

'Totalitärer Staat' nannte man den Moloch, dem jede freiheitliche Meinung und ehrliche Überzeugung geopfert werden sollte. Der Staat als höchste und letzte Autorität über alles, was Geist und Leib seiner Bürger betrifft! Also die Vergottung einer menschlichen Regierungsform, die Diktatur auch über die Gewissen der Menschen. In dieser Frage ist Pastor Niemöller, als Führer der 'Bekenntnischristen', mit den Führern des Dritten Reiches zusammengestoßen. Das ist doch christlicher Widerstand, nicht wahr?

Nicht unbedingt! Wer den staatlichen Totalitätsanspruch verneint, braucht deswegen noch kein Christ zu sein. Ein solcher Autoritätsanspruch verletzt die Rechte, die der Mensch von Natur aus hat und für die er kämpfen sollte. Aber wenn der Mensch das tut, wenn er dafür kämpft, bedeutet das nicht ohne Weiteres, dass er für Gott kämpft.

Nach gründlicher Betrachtung muss man einsehen, dass die Bekenntniskirche in Deutschland zwar einen Religionskampf, aber keinen Kampf für das Christentum führt."

In der gleichen Ausgabe des "Trost" ist noch ein weiterer bemerkenswerter Kommentar mit Bezugnahme auf die "Bekennnende Kirche" abgedruckt. Er schließt mit dem programmatischen Satz: "Wie gut, dass es so ist!" Damit wollte man zum Ausdruck bringen, dass man die fehlende Unterstützung der öffentlichen Meinung, eigentlich nur als Bestätigung für die Richtigkeit des eigenen eingeschlagenen Weges ansehen könne.

Man vergleiche dazu, die gegenwärtige Position der Zeugen Jehovas, mit ihrer zielgerichteten Vermarktung aller ihr Schicksal die Jahre 1933-45 betreffenden Kommentare und geschichtlichen Darstellungen. Aber wie gesagt: "Vor Tisch" tönte das etwas anders. Damals schrieb man:

"Nur allzu deutlich drückt sich in so vielen Äußerungen der Bekenntniskirche Bedauern darüber aus, nicht rückhaltlos mit Hitler gehen zu können. Man beklagt es, dass das 'religiöse Gewissen' dieser bedingungslosen Nachfolge im Wege stehe. In diesem Maße sind sie sich selbst ein Ärgernis, und Christus ist ihnen ein Anstoß. Insgeheim scheinen sie Christus vorzuwerfen: 'Wenn du doch bloß nicht so viel verlangtest!'

Die Bekenntnisreligion sieht die Welt als zu sich gehörig an, tritt für sie ein, macht durch lange, fett überschriebene Zeitungsartikel große Reklame für sie. Aber für die Streiter Jehovas, für Gottes Zeugen? Für die Leute, die vor Baal keines ihrer Knie auch nur ein wenig krümmen?

Welche Sensation für die Zeitungsschreiber, wenn 60 Pfarrer einmal von der Gestapo für ein paar Wochen festgehalten werden! Wie weiß man den 'geistigen Heldenmut' dieser Leute in allen Tonarten zu rühmen! Aber wenn 10 000 und mehr Zeugen Jehovas im gleichen Lande unablässig den heftigsten Verfolgungen ausgesetzt sind, wenn mehr als 6 000 von ihnen in Gefängnissen und Konzentrationslagern schmachten, wenn viele von ihnen zu Tode geprügelt wurden, wenn man Männer und Frauen wegen ihrer unbeugsamen christlichen Glaubenstreue lebenslang zu Krüppeln schlägt, viele hundert Familien auseinanderreißt, anständig erzogene Kinder in Erziehungsanstalten schafft und dort quält - das ist für die Weltpresse nicht eine einzige Druckzeile wert. Denn es handelt sich dabei ja nicht, um jemand von ihnen, sondern um Jehovas Zeugen. Kein Minister interveniert, kein General protestiert für sie. Wie gut, dass es so ist!"

Katholisches Österreich

Sie waren nicht besonders zahlreich, aber sie haben ohne Zweifel einen besonders hohen Blutzoll zahlen müssen; der prozentual noch den Deutschlands bei weitem überstieg. Wer? Die Zeugen Jehovas in Österreich, während der Nazidiktatur. Wer sich ihnen im genannten Zeitraum anschloss, tat es unter anderem auch aus der Motivation der Opposition zur übermächtigen katholischen Kirche. Es war offensichtlich, dass die Anonymität beispielsweise großstädtischer Verhältnisse dort vielfach fehlte. Wer sich dort zu dem Schritt durchrang Bibelforscher/Zeuge Jehovas zu werden, der fand sich vielfach ungewollt auf einer Art "Präsentierteller" wieder. Es war offensichtlich, dass ihnen Schutz vor der nationalsozialistischen Verfolgung und Repression, von katholischer Seite nicht gewährt wurde.

Ein besonders übles Beispiel zeitgenössischer katholischer Publizistik, stellt jene, 1938 im Verlag "Corinthia" in Klagenfurt erschienene Broschüre dar, mit dem programmatischen Titel: "Von der Sekte der Bibelforscher und Widerlegung ihrer Irrlehren". Als Herausgeber dieses halbanonymen Pamphletes zeichnet die "Katholische Aktion". Weshalb die Formulierung "halbanonym"? Nun, ein Verfasser wird zwar namentlich nicht genannt, dafür aber um so beachtlicher, die kirchliche Imprimatur. Zitat:

"Empfehlung … Mit Rücksicht auf die Verbreitung dieser Sekte und die dadurch notwendig gewordene Aufklärung des katholischen Volkes wird die Broschüre kirchenbehördlich wärmstens empfohlen.

Klagenfurt, am 15. Jänner 1936

Fb Gurker Ordinariat

ZL 2584/37 Mit kirchlicher Druckerlaubnis. Klagenfurt, 15. 1. 1938".

Bezeichnend, auch einer der Schlusssätze dieser Broschüre: "Da seit dem 13. März 1938 der Anschluss Österreichs an Deutschland erfolgt ist, ist die Sekte der Bibelforscher auch in diesem Teile staatlich verboten."

Auch inhaltlich macht diese Broschüre keinen sonderlich "guten" Eindruck. Sie erschöpft sich in wüsten Verbalbeschimpfungen und unsensiblen Angriffen. Von "Überzeugungsarbeit" kann man bei ihr jedenfalls nicht reden. Bestenfalls stellt sie ein Konglomerat der gängigen Vorurteile aus katholischer Sicht dar. Wer als zeitgenössischer Zeuge Jehovas diese Broschüre je gelesen haben sollte, auf den wird sie in der Regel erschreckend substanzlos gewirkt haben. Er wird sich durch sie eher in seiner Entscheidung bestätigt gesehen haben, dass es richtig war, der katholischen Kirche den Rücken zu kehren. So wird denn in dieser Broschüre auch mit ganz unverhüllten Drohungen gearbeitet. Das fängt schon mit dem Vorwort an:

"Wenn ein Haus niederbrennt oder ein ganzes Dorf ein Raub der Flammen wird, so ist das ein großes Unglück. Wenn der Hagel die reichbeladenen Ähren und gute Ernte versprechenden Saatfelder vernichtet, so ist das ein großer Schaden für die betreffenden Gegenden. Wenn Wölfe in die Schafherde einbrechen und diese zerfleischen, ist das für den Besitzer derselben ein schweres Übel. Aber unvergleichlich größer ist der Schaden und unberechenbarer das Unglück, wenn Wölfe in Schafpelzen kommen und die ahnungslosen, wenig unterrichteten Christen zum Abfall vom einzig wahren Glauben verführen unter dem Vorwande, ihnen eine bessere Religion darbieten und sie zu einem tugendhafteren Leben anleiten zu wollen, sie aber in der Tat dem ewigen Verderben zuführen. Das ist ein raffinierter Betrug und eine unverantwortliche Gewissenlosigkeit der sogenannten Bibelforscher. Unter den neuzeitlichen Sekten ist diese eine der gefährlichsten für Kirche und Staat. Weshalb sie einige Staaten, z. B. Deutschland und Italien, als staatsgefährlich bereits verboten haben.

Die anderen Irrlehren haben die eine oder die andere Glaubenswahrheit geleugnet. Diese untergraben die Fundamente jeder Religion, da sie mit einem Worte alles leugnen, auch das, was in der Bibel ist, obwohl sie nach ihrer Versicherung nur auf die Bibel glauben."

In dieser Tonlage geht es dann weiter. Einige Blüten daraus:

"Kurz charakterisiert, könnte die Lehre der Bibelforscher als eine Zusammensetzung der jüdischen, christlichen und gottlosen Religion bezeichnet werden, durch die politische Zwecke, nämlich die Weltherrschaft der Juden, vorbereitet werden soll" (S. 9).

"Die Unsterblichkeit der menschlichen Seele wird von den Bibelforschern geleugnet. Mit dieser Leugnung wird der Hauptpfeiler des christlichen Glaubens untergraben" (S. 31).

"Neben Pest und Hungersnot gehört der Krieg zu den größten Übeln, um deren Abwendung wir in der Litanei Gott bitten. Wendet ihn der Allmächtige in seiner unerforschlichen Weisheit und Gerechtigkeit nicht ab und lässt ihn zu, so bildet er in seiner Hand eine Geißel und Zuchtrute für die Bösen und ein Heilmittel zu ihrer Besserung, für die Guten; aber er ist eine Prüfung und Förderung der Tugend" (S. 43).

"Wohl haben die Feldkuraten die Soldaten gesegnet, nicht aber die Waffen" (S. 45).

Bezeichnend auch die sogenannten Schlusserwägungen in dieser Broschüre:

"Hast du wohl gut überdacht den Schritt, den du getan, als du zu den Bibelforschern übergegangen bist? Willst du wirklich die Wahrheit suchen, die du bereits besessen, aber weggeworfen hast? Von der Wahrheit bist du abgefallen, die heiligen Sakramente, die Christus eingesetzt hat, hast du verworfen, vom Glauben bist du abgefallen und hast somit eine schwere Sünde begangen, dass sie ein gewöhnlicher Priester nicht nachlassen kann, sondern nur der Bischof!

Durch den Abfall hast du dir den Weg zum Himmel verrammelt! Maria, die Zuflucht der Sünder, hast du verworfen, die für dich in der Todesstunde ihre Fürbitte einstellen wollte.

Vielleicht in Kürze wirst du den Tod erleben müssen und wirst einsehen, wie schrecklich du dich betrogen hast. Und dann kommt die Ewigkeit, in der deine Seele ohne Ende fortexistieren wird, trotzdem du das leugnest. Von dort gibt es keine Rückkehr, um das Gefehlte wieder gutzumachen. Es gibt auch eine Hölle, trotzdem du sie leugnest, wo der Wurm (die Gewissensbisse nicht stirbt und das Feuer nie erlischt (Mark. 9:42). Fürchtest du dich nicht vor derselben?" (S. 46).

Es verwundert nicht im Geringsten, dass solche Art Publizistik völlig resonanzlos an den Zeugen Jehovas abgeprallt ist. Die Katholiken haben da eine Selbstbeweihräucherung übelster Art in Szene gesetzt. Ein Lehrer, der seinen Schülern ein Aufsatzthema zur Ausarbeitung stellt, würde dazu als Kommentar nur einen Satz sagen: "Das Thema total verfehlt!"

Nazistische Auslandspropaganda

In Schanghai (China) erschien in den dreißiger Jahren eine in deutscher Sprache gedruckte Zeitschrift mit dem Titel "Ostasiatischer Beobachter". Im Jahre 1938 konnte man darin auch einen zweiteiligen Artikel über die Bibelforscher/Zeugen Jehovas lesen. In der Sache bietet er nichts Neues. Er wiederholt im Prinzip nur die nazistischen Thesen, in einer für das Ausland aufbereiteten journalistischen Form. Immerhin, sei doch noch eine darin enthaltene Charakteristik wiedergegeben. In der Folge 63 (September 1938 S. 51) konnte man lesen:

"Als nichtjüdische Hilfstruppe des internationalen Judentums kann man die Freimaurerei mit ihren Rekrutendepots, den internationalen Vereinigungen der Rotarier, Theosophen, Boy Scouts usw. bezeichnen, sowie die Liga für Menschen-(Juden) Rechte, die roten Gewerkschaften und nicht zuletzt die Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher.

Der Jude hat es schon immer verstanden, sich den Nichtjuden für seine Zwecke einzufangen und auszunutzen. Wer vieles bringt, wird Jedem etwas bringen. So fanden sich die sogenannten 'besseren Leute' in den Logen brüderlich zusammen; und die organisierten Arbeiter ließen sich von Juden verführen. Für die Halbgebildeten des Mittelstandes wurden theo- und anthroposophische Zirkel aufgemacht. Dagegen sorgen die Zeugen Jehovas, die ernsten Bibelforscher, für die 'geistig Armen'. Doch erstreckt sich die Tätigkeit dieser Vereinigung noch weiter, denn gerade hier in Schanghai kann man beobachten, wie sie bei der chinesischen Bevölkerung Proselyten macht. Schon gehen geschulte chinesische Propagandisten herum, die außer ihrer Muttersprache noch eine fremde gut beherrschen.

Wenn man nun liest, dass die englische Zeitung 'Examiner' … Am 31. März 1938 meldet:

'Die Zeugen Jehovas, auch Watch Tower Society und Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher genannt, sind eifrig dabei ihre marktschreierisch bunten Traktate an die Eingeborenen von Nord-Rhodesia und Central-Afrika zu verteilen. Die Traktate bezeichnen bestehende Regierungen und Kirchen als Einrichtungen des Teufels. Ein Korrespondent des 'Examiner', der einen Eingeborenen nach den Lehren der Rutherford-Leute fragte, bekam die Antwort, dass alle Weißen Lügner seien mit Ausnahme der Wachtturm-Prediger. … So besteht wohl kein Zweifel, dass es die Zeugen Jehovas mit ihrer Propaganda in Asien und Afrika darauf abgesehen haben, bei den christlichen Eingeborenen in diesen Ländern durch ihre Irrlehren den Boden für den Bolschewismus vorzubereiten."

Hoheitsträger

 

Die Nazis hatten auch eine Zeitschrift namens "Der Hoheitsträger". Laut Impressum "Nur für den Dienstgebrauch - Vertraulich. Vom Empfänger unter Verschluss zu halten." In deren Ausgabe Nr. 6/1938 war auch mal ein Artikel abgedruckt mit dem Titel "Die Ernsten Bibelforscher als Sendboten des jüdischen Bolschewismus". Inhaltlich enthielt er die sattsam bekannten Nazithesen, die man auch an anderer Stelle nachlesen kann. Jonak von Freyenwald lässt darin grüßen. Er wird zwar nicht besonders genannt; sehr wohl aber seine Grundthese kolportiert: "Die Lehre der Internationalen Bibelforscher ist in Wahrheit keine rein religiöse, wie immer wieder von ihrer Seite behauptet wird, sondern ein Gemisch von Religion und Politik, wobei die Religion nur das Mittel und die Politik der Zweck ist …"

In der Ausgabe vom August 1938, gab es dann noch eine Ergänzung zu dem vorgenannten Artikel. Laut redaktioneller Einleitung eine Ergänzung "durch eine besonders aufschlussreiche und von sachkundiger Stelle kommende Darstellung." Dieser "Sachkenner" gibt dann schon einleitend seine Einschätzung zum besten:

"Es ist zwar bekannt, dass eine Betätigung für die Sekte der internationalen 'Bibelforscher' seit 1933 verboten ist, der Grund dürfte jedoch den wenigsten Parteigenossen geläufig sein. So erklärt sich auch die weitverbreitete Auffassung, dass es sich bei den Bibelforschern um verblendete Volksgenossen handele, die lediglich in ihrer Einfältigkeit heute noch dieser Irrlehre treu seien; diese 'harmlosen' Menschen könnten doch wohl kaum den Bestand des Staates gefährden. Diese Beurteilung der Bibelforscher ist bewusst und systematisch im Volke von interessierter Seite verbreitet worden. Da es sich hier wieder um eine der üblichen Tendenzlügen des internationalen Judentums handelt, ist es dringend erforderlich, sich einmal eingehend mit den wirklichen Wesen und Ziel, sowie den Arbeitsmethoden dieser internationalen Sekte zu befassen."

Dieser "Sachkenner" bringt neben den üblichen nazistischen Propagandathesen, dann auch noch eine Referierung, wie sich die Sachlage nach dem Verbot weiter entwickelte. So vermerkt er auch: "Am 10. Oktober 1935 wurde zwischen Vertretern der Watch Tower Bible & Tract Society (Wachtturm-, Bibel- und Traktatgesellschaft) Brooklyn-New York, der amerikanischen Handelskammer in Deutschland und der Geheimen Staatspolizei eine Vereinbarung betreffend Vermögensfreigabe des Bibelhauses in Magdeburg und dessen Liquidation getroffen." Er kommt dann als nächstes darauf zu sprechen, dass die Luzerner Resolution vom Oktober 1934 das Fanal war, für den aktiven Aufbau einer Untergrundorganisation in Deutschland. Er erwähnt auch, dass die Zeugen Jehovas in einer Protestaktion, das Hitlerregime mit tausenden von Telegrammen aus aller Welt bombardiert hatten. Sein Kommentar dazu: "Diese Telegramme waren eine offene Kampfansage gegen den nationalsozialistischen Staat und gleichzeitig eine Sabotage der staatlichen Anordnungen."

Als nächstes kommt er dann auf die illegale Organisation in Deutschland zu sprechen. Seine diesbezüglichen Ausführungen sind als die vielleicht interessantesten anzusehen. In seinen Worten: "Es stellte sich jedoch heraus, dass in Deutschland eine zentrale illegale Leitung der IBV vorhanden sein musste. Im August 1936 gelang es dann, die 1. Illegale Organisation der Internationalen Bibelforschervereinigung (IBV) aufzudecken und zu zerschlagen.

Zu dem Zentraleuropäischen Büro mit Sitz in Bern gehörte auch das Deutsche Reich. Verantwortlich für das 'Deutsche Werk' war ein Reichsleiter (RL), der das deutsche Gebiet in 13 Bezirke eingeteilt hatte. An der Spitze dieser Bezirke standen die sogenannten Bezirksdienstleiter (BDL). Diese hatten wiederum, der Größe ihres Bezirkes entsprechend, ihre Bezirks-, Gruppen- und Zellendiener. Eine Zelle ist die kleinste Einheit und umfasst 4-6 Glaubensbrüder.

Gleich nach Bekanntwerden des allgemeinen Betätigungsverbotes im Jahre 1933 hatten die Funktionäre der IBV es verstanden, riesige Bücherbestände aus dem Bibelhaus in Magdeburg fortzuschaffen, die in den verschiedensten Städten des Reiches aufbewahrt wurden. Es bestanden zum Beispiel Bücherlager in Berlin, München, Breslau, Erfurt, Elberfeld, Hannover usw., die Bestände von über 100 000 Bücher und Broschüren enthielten. Diese Bestände wurden vor allem im Jahre 1936/37 ergänzt durch Bücher, die durch gewerbsmäßige Schmuggler aus der Tschechoslowakei bzw. aus der Schweiz über die 'grüne Grenze' ins Reich eingeschmuggelt wurden. Es handelt sich hier um illegale IBV-Schriften, die in den Jahren 1934, 1935 und 1936 in deutscher Sprache in Prag bzw. in Bern gedruckt wurden.

Die Bücher wurden über die Dienstleiter an die Gruppen- und Stellenleiter und von diesen an die einzelnen Glaubensbrüder zum weiteren Verkauf verteilt.

Berechnet wurden für die Bücher 1, 50 bzw. 1,60 RM, für die Traktate durchschnittlich 0,25 RM. Allein im Jahre 1936/37 sind weit über 100 000 Bücher und Broschüren in Deutschland auf diese Weise zur Verteilung und zum Verkauf gelangt.

Wohl die wichtigste Arbeit der illegalen IBV war die Herstellung und der Vertrieb der verbotenen Zeitschrift 'Der Wachtturm' (WT). 'Der Wachtturm' erscheint monatlich zweimal, kostete je Nummer 0,25 RM und wird vierteljährlich bezahlt. Bei der 1. illegalen Organisation der IBV kamen in das deutsche Reichsgebiet 13 Exemplare dieses WT, die durch einen hierfür besonders eingesetzten Schmuggler aus der Schweiz nach Deutschland eingeschmuggelt wurden. Durch den Vertrauensmann des Reichsleiters wurden diese 13 Original-WTs den 13 Bezirksdienstleitern zur Vervielfältigung zugeschickt. Diese hatten jeder für sich eine besondere Vervielfältigungsstelle, dass heißt eine Werkstatt, in der die WTs auf Matrizen geschrieben und vervielfältigt wurden. Dann wurden die vervielfältigten WTs durch Kuriere den einzelnen Dienstleitern, Gruppenleitern und Zellenleitern zugesandt, die die letzte Verteilung an die Glaubensbrüder vornahmen.

Die WTs enthielten religiöse Abhandlungen, willkürliche Bibelauslegungen und Hetzartikel politischer Art, die gegen die nationalsozialistische Regierung in Deutschland gerichtet waren. Die Glaubensbrüder wurden in dieser Zeitschrift ständig zum Ungehorsam gegen den Staat aufgefordert; es wurde ihnen immer wieder eingeimpft, dass sie Gott mehr zu gehorchen hätten als den Menschen.

Ein beliebtes Propagandamittel war weiterhin die Einführung von Schallplatten. In einzelnen Ländern (vorwiegend in Amerika) besitzen die Bibelforscherorganisationen eigene Radiosender und machen eine entsprechend große und wirkungsvolle Rundfunkpropaganda. Da in Deutschland eine offizielle Betätigung verboten ist, hat man bisher von der Aufstellung eines solchen Senders Abstand genommen, zumal eine derartige Einrichtung einerseits zu teuer, andererseits zu gefährlich für die Bibelforscher wäre.

Aus diesem Grunde war man dazu übergegangen, Schallplatten herzustellen, die mit Vorträgen des Richters Rutherford besprochen waren. Die Schallplattenfabrik befand sich in Hennigsdorf bei Berlin. Gleichzeitig hatte man eine eigene Grammophonfabrik zur Herstellung der erforderlichen Sprechapparate eingerichtet. Die Leiter dieser beiden Fabriken waren alte, erprobte Bibelforscher. Durch ein raffiniert ausgeklügeltes Verteilungssystem wurden die Schallplatten den einzelnen Glaubensbrüdern durch ihnen unbekannte Leute zugestellt und durchschnittlich nach 4-6 Wochen wiederum von anderen, ebenfalls unbekannten Glaubensbrüdern abgeholt und dann an neue Adressen weitergeleitet. Hatte ein Glaubensbruder ein solches Grammophon mit 10 bis 15 Schallplatten erhalten, so versammelte er in seiner Wohnung ihm bekannte Glaubensbrüder und hörte sich mit diesen die ihm zugesandten Platten an. Für die Platten wurde eine Leihgebühr von durchschnittlich 1,25 bis 1,75 RM gezahlt, die Benutzung des Grammophons war unentgeltlich.

Durch ihre Botschaft vom 7. Oktober 1934 hatten die Bibelforscher dem Staat erklärt, dass sie zukünftig weiterhin, trotz Verbot, sich zusammenfinden würden, um sich am Worte Gottes, wie es die Heilige Schrift lehre, zu erbauen. An diesen Versammlungen oder sogenannten Erbauungsstunden, welche meistens in den Privatwohnungen einzelner Mitglieder stattfanden, nahmen durchschnittlich 6 bis 10 Personen teil. Der Polizei gegenüber wurden derartige Versammlungen, falls sie kontrolliert wurden, fast immer als 'Kaffeekränzchen' oder 'Geburtstagsfeiern' ausgelegt.

Bezeichnend für die Kampfesmethoden der illegalen IBV ist weiterhin die Tatsachen, dass sämtliche Funktionäre sich Decknamen zugelegt hatten und gleichzeitig über mehrere Deckadressen verfügten um vor den Zugriffen der Polizei sicher zu sein. Alle 4 bis 6 Wochen fanden besondere Zusammenkünfte, sogenannte Treffs, statt, bei denen der 'Reichsleiter' die Arbeit der kommenden Woche festlegte, sowie die Ergebnisse der bisher geleisteten Arbeit mit den einzelnen Bezirksdienern besprach. Bei dem Haupttreffs wurden von jedem Bezirksdienstleiter das vereinnahmte Geld abgeliefert. Es handelte sich hier um die Überschüsse, die die einzelnen BDL erzielt hatten, und zwar durch den Verkauf von Büchern, Broschüren und Traktaten, für den Verkauf der WTs, der Schallplatten und durch Spenden von Glaubensbrüdern, den sogenannten Gute-Hoffnung-Spenden. … Von den eingegangenen Geldern bestritten die Bezirksdiener dann ihren Lebensunterhalt und bezahlten ihre Unkosten für Farbe, Druckmaschinen und Verfielfältigungspapier, nebst Porto sowie eine Eisenbahnnetzkarte 2. Klasse, die monatlich 100 RM kostete. Den erzielten Überschuss rechneten sie mit ihrem 'Reichsleiter' ab. Dieser sammelte die eingegangenen Gelder und schickte alle 6 bis 8 Wochen durch einen Sonderkurier etwa 6 000 bis 8 000 RM über die grüne Grenze zum Bibelhaus Bern (Schweiz).

Von diesen Geldern, die durchschnittlich von armen und bedürftigen Volksgenossen stammten, unterschlug der 'Reichsleiter' (Fritz Winkler) etwa 25 000 Reichsmark und verbrauchte sie für sich. Während die einfachen und bedürftigen Glaubensbrüder der Meinung waren, dass ihre Spenden, die sie sich in den meisten Fällen vom Munde absparen mussten, ein Gotteswohlgefälliges Werk darstellten und zu der Aufrichtung des Königreiches Gottes beitrugen, haben die führenden Funktionäre dieser illegalen Organisation herrlich und in Freuden gelebt. Diese Betrügereien und Gaunereien wurde im August 1936 durch das Eingreifen der Geheimen Staatspolizei ein Ende gemacht.

Eine zweite illegale IBV wurde im März 1937 aufgedeckt und zerschlagen. Auch dies mal blieben einige wenige Funktionäre in Freiheit. Diese haben versucht, eine dritte illegale Organisation aufzubauen, doch wurde auch dieser Versuch rechtzeitig erkannt und vereitelt. …" Der Artikel schließt dann wieder mit den üblichen nazistischen Propagandathesen. Vielleicht noch ein Satz daraus: "Ihre Tätigkeit ähnelt sehr derjenigen der illegalen KPD, ja, sie übertrifft diese noch durch den Fanatismus ihrer Anhänger."

 

Auszugsweise, seien denn mal nachstehend ein paar Faksimiles, aus beiden genannten Heften vorgestellt:

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"Sittlich verwahrlost"

Die führende Juristenzeitschrift "Deutsche Justiz" brachte in ihrer Ausgabe vom 17. 6. 1938 auch einen Bericht, der auf einer Entscheidung des Oberlandesgerichtes München basiert. Ein Landwirtsehepaar, dass seit 1932 zu den Zeugen Jehovas gehört, geriet bezüglich seiner zwei Kinder in Konflikt mit dem Jugendamt. Letzteres hatte beantragt, dass seine Kinder der Fürsorgeerziehung unterworfen werden. Der Fall zog sich über mehrere Justizinstanzen bis zum Oberlandesgericht München hin. In der diesbezüglichen gerichtlichen Einschätzung wurde ausgeführt:

"Die Anhänger dieser Lehre stehen dem heutigen Staat und der von ihm vertretenen völkischen Lebensauffassung feindlich gegenüber; sie lehnen die völkischen und nationalen Ziele der Staatsführung ab, versagen den der Erreichung dieser Ziele dienenden Gesetzen und Anordnungen den Gehorsam, leugnen jedes nationale Zusammengehörigkeitsgefühl und stellen sich in ihrem ganzen Denken und Handeln bewusst außerhalb der Volksgemeinschaft. Ihre Anschauungen sind so noch in hohem Grade volkszersetzend und staatsgefährlich. Die Vereinigung der Ernsten Bibelforscher ist denn auch wegen ihrer Staatsgefährlichkeit in allen deutschen Ländern aufgelöst und verboten worden. Bei dieser Sachlage steht außer Zweifel, dass ein deutsches Kind in seinem geistigen (sittlichen) Wohl schwer gefährdet wird, wenn es in den Anschauungen der Ernsten Bibelforscher erzogen wird. Eine Erziehung in diesen Grundsätzen führt dazu, dass das Kind seinem Vaterland und seinem Volk entfremdet wird, dass es zur Missachtung und zur Unbotmäßigkeit gegenüber den staatlichen Anordnungen und Maßnahmen geneigt gemacht wird und das es die Fähigkeit verliert, dereinst ein brauchbares Mitglied der Volksgemeinschaft zu werden und seine Pflichten gegenüber Staat und Gemeinschaft zu erfüllen. Besucht das Kind bereits die Schule, so kommt noch weiter hinzu, dass ihm einerseits in der Schule und andererseits im Elternhaus in allen Punkten völlig entgegengesetzte Lebensanschauungen als allein richtig und maßgebend hingestellt werden, es in einen inneren Zwiespalt gebracht und so in seiner seelischen Entwicklung beeinträchtigt wird. Aus alledem ergibt sich, dass ein deutscher Vater, der sein Kind in der Lehre der Ernsten Bibelforscher erzieht, seine Erziehungspflichten gröblich verletzt und damit das Recht der Sorge für die Person des Kindes missbraucht. Eine solche Erziehung, die ein noch unreifes, urteilsloses Kind durch Einprägung staatsfeindlicher Lehren für sein späteres Leben in einer sein Wohlergehen und Fortkommen aufs schwerste gefährdenden Gegensatz zu Staat und Volksgemeinschaft zu bringen vermag, verstößt so offensichtlich gegen Vernunft und staatliche Ordnung, dass der Erziehungsberechtigte trotz religiöser Bedenken bei pflichtgemäßer Überlegung dies unmöglich übersehen kann und das besonders dann, wenn er trotz Vorhalts und Belehrung über das Verkehrte seiner Handlungsweise auf ihr beharrt, und ohne weiteres angenommen werden muss, er handle wider bessere Einsicht, sein Sorgerechtmißbrauch sei also schuldhaft. …

Wenn die Gefahren, die einem Kind aus der Erziehung in der Bibelforscherlehre erwachsen nicht ausgeräumt werden, führen sie notwendig dazu, dass das Kind der sittlichen Verwahrlosung anheimfällt. Ein Kind, bei dem die oben geschilderten Folgen einer derartigen Erziehung eintreten, sinkt damit in einen Zustand herab, in dem es in erheblichem Grad derjenigen sittlichen Eigenschaften ermangelt, die bei einem Kind unter sonst gleichen Verhältnissen als Ergebnis einer ordnungsgemäßen Erziehung vorausgesetzt werden müssen und also ist sonach als sittlich verwahrlost zu erachten."

Auf den konkreten Fall bezogen wird dann noch ausgeführt:

"Hiernach haben die zwei Kinder bei der Feier des Tages der nationalen Arbeit unentschuldigt gefehlt, obwohl sie als Schülerinnen zur Teilnahme an der Feier verpflichtet waren. Sie haben ferner schon seit längerer Zeit die Erweisung des deutschen Grußes in der Schule mit dem bei den Bibelforschern üblichen Hinweis auf eine Bibelstelle verweigert. Ida hat die Frage eines Lehrers, ob sie sich hinter den Führer stelle, ausdrücklich verneint. Elise hat es ständig abgelehnt, dass Horst-Wessel-Lied zu singen und im Zeichenunterricht ein Hakenkreuz zu zeichnen. Ermahnungen und Schulstrafen waren bei den Kindern ohne Erfolg. Der Beschwerdeführer selbst hat sich, ungeachtet wiederholter Aufforderungen und Verwarnungen von Seiten des Klassenlehrers, des Schulleiters und des Bürgermeisters hartnäckig geweigert, die Kinder zu einer Änderung ihres Verhaltens zu bewegen, und hat durch sein Vorbringen im gegenwärtigen Verfahren zu erkennen gegeben, dass er das Gebaren der Kinder billigt. "

Vorstehender Fall wurde in der Nazipresse als Präzedenzfall dargestellt. Auf ihn nahm auch Bezug das "Ministerialblatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern" in seiner Ausgabe vom 2. 3. 1938; sowie die Tageszeitung "Germania" vom 4. 3. 1938.

516 unterschrieben

Bekanntermaßen machten die Nazis die Freilassung von verhafteten Bibelforscher/Zeugen Jehovas von der Unterschrift unter einem Abschwörungsrevers abhängig. Speziell für die Konzentrationslager ist zu konstatieren, dass dort nur eine kleine Minderheit davon Gebrauch machte. Der interne Gruppendruck zeigte seine Wirkung. Es gab aber auch verhaftete Bibelforscher/Zeugen Jehovas, die sich "noch" in regulären Gefängnissen befanden und dort in einer gemischten Belegung, nicht unbedingt mit anderen Glaubensangehörigen näheren Kontakt hatten. Und es gab, auch im Naziregime, gelegentlich sogenannte Amnestien. Über eine solche berichten die "Informationen des Geheimen Staatspolizeiamtes" Nr. 20 vom 30. 6. 1938:

"Nach den bisher vorliegenden Berichten der Staatspolizeileit- und Staatspolizeistellen wurden 516 Bibelforscher auf Grund des Straffreiheitsgesetzes vom 30. 4. 38 aus der Straf- bzw. Untersuchungshaft entlassen.

Die Entlassenen haben sich schriftlich verpflichtet, sich nicht mehr für die illegale Internationale Bibelforscher-Vereinigung zu betätigen und auch künftig kein 'Zeugnis' für deren Lehre zu geben."

  In einem Beitrag für das Forum der pro-Zeugen Jehovas orientierten "Standhaft"-Webseite, verweist Angela Kawell unter Hinweis auf Gestapoaktenbestände (Hauptstaatsarchiv Düsseldorf) dass von 57 Bibelforschern aus Düsseldorf und Neuss, die dort dergestalt erfasst sind, auffällt, "dass nicht wenige von ihnen eine 'Verpflichtungserklärung' unterschrieben." Auch Kawell registriert, dass es diesbezüglich durchaus unterschiedliche Variante jener ominösen Erklärung gegeben habe. Auch andere Gruppen, etwa Kommunisten und Sozialdemokraten, wurden partiell mit solchen Erklärungen traktiert. Die unterschiedliche Form jener Erklärungen, die ja von Gestapobeamten formuliert wurden, bewirkten, dass man sie als linguistisch nicht immer "korrekt" bewerten kann. Einige drohen lediglich erneute Straßmaßnahmen an, sollte der Betreffende erneut "auffällig" werden, andere gehen weiter und verlangen zugleich eine "Abschwörung" vom Geistesgut der Zeugen Jehovas.

Von "theokratischer Kriegslist", reden auch die heutigen Zeugen Jehovas noch. Der Fakt als solches wurde von ihnen schon zu Bibelforscher-Zeiten praktiziert. Der Fairnes halber sei eingeräumt, auch andernorts ist ähnliches registrierbar. Etwa beim jesuitischen "Mentalvorbehalt". Man unterschreibt eine bestimmte Wortwahl, interpretiert ihre Substanz aber in ganz anderem Sinne. Auch den Zeugen Jehovas ist eine solche Technik nicht fremd.

Kawell zitiert auch solch einen geradezu vom Mentalvorbehalt durchsetzten Text:

"Mit der Internationalen Bibelforschervereinigung habe ich nichts zu tun und kann eine aktive Betätigung für diese Vereinigung auf keinen Fall zugeben. Wohl gebe ich zu, ein 'Zeuge Jehovas' zu sein ... Ich verstehe unter 'Zeugen Jehovas' nur solche Leute, die die Schrift kennen gelernt und Gottes Gebote befolgen ... Was es mit dem Verbot der Internationalen Bibelforschervereinigung für eine Bewandtnis hat, kann ich nicht sagen. Für mich kommt dieses Verbot nur insofern in Frage, weil die Internationale Bibelforschervereinigung mit den 'Zeugen Jehovas' auf eine Stufe gestellt worden ist. Jedenfalls habe ich dieses so gehört."

Meines Erachtens ist die Diskussion darüber, wer welche Form von "Erklärung" unterschrieben oder nicht unterschrieben hat, relativ müßig. Anders formuliert. Es ist bekannt, dass die Gestapo einige Zeugen Jehovas, auch nach Ablauf ihrer gerichtlich verhängten Strafe nicht tatsächlich freiließ, sondern sie unter der Floskel "Schutzhaft" anschließend in ein KZ beförderte und dies mit unbestimmten Haftausgang. Das waren dann die in Gestapo-Sicht "hartnäckigen" Fälle. Man braucht jedoch nur die Zahl der tatsächlich bis zum bitteren Ende in den KZs verbliebenen Zeugen Jehovas (respektive der dort auch Umgekommenen) ins Verhältnis zu denjenigen setzen, die auch einmal als Zeuge Jehovas gerichtlich belangt wurden. Und es ist festzuhalten, dass von den gerichtlich belangten keineswegs "alle" das Schicksal der "Hartnäckigen" erlitten. Auch die Gestapo war in der Lage in gewissem Umfange zu differenzieren. Ihr in dem Zeitungsartikel "Pauline hatte Pech" (man vergleiche: Zynismus) genanntes Opfer wird sie sicherlich nicht auf "eine Stufe" etwa mit den Zeugen Jehovas Engelhard und Cyranek gestellt haben, die mit ihrem Leben bezahlen mussten. Selbst aus den KZ gab es vereinzelte (allerdings die Minderheit) Freilassungen. Genannt sei beispielsweise der einmal ein hoher Zeuge Jehovas gewesene Paul Balzereit. Das Gesamtbild ist also durchaus ambivalent. Es gab auch nicht wenige Zeugen Jehovas, oder meinetwegen "vormalige" derselben, die sich im gewissem Umfang dem Gestapodruck beugten. Mit oder ohne "Verpflichtungserklärung".

Kommentarserie Trost 1938 zusannengefasst

Der nächste Jahrgang   1939

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