Der vorangegangene Jahrgang   1938

Vor (mehr als) 50 Jahren

Was 1939 Wahrheit wahr

Fragwürdige Argumentation

Der Zweite Weltkrieg war inzwischen in Europa mit dem deutschen "Blitzkrieg" gegen Polen ausgebrochen. Noch waren die USA in ihm nicht direkt involviert. Dies sollte erst einige Jahre später auch der Fall sein. Aber ohne Zweifel setzte ein ungerechtes Morden von riesigen Dimensionen ein. In dieser Situation nahm die USA-Führung der Zeugen Jehovas unter der Überschrift "Neutralität" im "Wachtturm" vom 1. 12. 1939 in einem Grundsatzartikel Stellung. Bemerkenswert in diesem Artikel auch der Satz: "Eine Anzahl der Nationen der Erde, z. B. die Vereinigten Staaten, verhalten sich jetzt andern Nationen gegenüber neutral…" Im Anschluss an die Beschreibung dieser USA-"Neutralität" mit dem unterhalten weiterer Handelsbeziehungen zu den Kriegführenden Nationen wird dann ausgeführt: "Der Standpunkt der Zeugen Jehovas ist ganz verschieden von dem der Nationen der Erde."

Um es in einem Satz auf den Punkt zu bringen. Wer da meinen sollte, in diesem Grundsatzartikel das Hohelied des Pazifismus vorzufinden, der wird maßlos enttäuscht werden. Auch in diesem Zeugen Jehovas-Artikel kann man die Floskel "vom gerechten Krieg" wiederfinden. Nur, dass "gerecht" im Sinne der Zeugen Jehovas etwas anderes ist, als im Sinne der Nationen. Etwa mit ihrer Bemerkung:

"Die Kriege Israels zur Besitzergreifung dessen, was ihnen als Geschenk von Gott, dem Allmächtigen, gehörte, schatteten daher die Besitzergreifung der ganzen Erde durch Christus Jesus vor, der die Erde von Jehova Gott als Geschenk erhalten hat, wobei Christus unter dem Befehle des Allmächtigen handelt … ."

Auch bezeichnend in dieser religiösen Apologie der Satz: "Die Israeliten fielen nicht in das Eigentum anderer ein. Sie besetzten lediglich das Land, dass ihnen als Geschenk von Jehova gehörte. Ihre Anteilnahme am Kriege geschah auf den Befehl des allmächtigen Gottes, und ihr Gehorsam gegen sein Gebot war wohlannehmlicher als Opfer."

Gekrönt wird diese Apologie noch mit dem Satz: "Solche Kriege waren gerecht; darum erhörte und beantwortete Gott auch die Gebote seines Vorbildvolkes, solange es ihm gehorchte. Der Sieg wurde ihnen nicht etwa wegen ihrer überlegenen militärischen Ausrüstung verliehen, sondern, weil Gott seine Allmacht zu ihren Gunsten betätigte… Der König David führte Gottes Befehl aus, als er von dem ganzen Herrschaftsgebiet Besitz ergriff, dass der höchste Herrscher der Theokratie seinem Vorbildvolke zugewiesen hatte. Damit stellt er bildlich den größeren David, Christus Jesus, dar, der von der ganzen Erde Besitz ergreift."

Angesichts dieser Argumentation ist man versucht, anzumerken, dass offenbar kein allzu großer Unterschied zwischen dieser Argumentation der Zeugen Jehovas-Führung und jenem markigen Koppelspruch besteht, auf dem man lesen konnte: "Gott mit uns".

Es fehlte im Falle Hitlers also nur die "rechte" theologisch verklausulierte Begründung. Und was das Argument von der Besitzergreifung als einer Realisierung eines "rechtmäßigen Gottesgeschenkes" anbelangt. Nun, Hitler und Konsorten bemühten auch die uralten "Steinzeitgermanen" für ihre Ansprüche, sowie die Zeugen Jehovas auch keine Skrupel haben, die uralten israelitischen Angriffskriege noch nachträglich zu verklären.

Aber ebenso fest steht auch, dass Hitler und Konsorten nicht die Zeugen Jehovas für ihre Angriffskriegerischen Ziele einspannen konnten. Auch dazu findet man entsprechende Statements in jenem Wachtturm-Artikel. Etwa in jener Wendung:

"Die Regierungsbeamten der Nationen dieser Welt, die mit der Musterung der Heere zu tun haben, können kein rechtes Verständnis der … Schrifttexte besitzen, weil sie von der Welt sind und sich nicht dem allmächtigen Gott geweiht haben. Darüber steht geschrieben: "Der natürliche Mensch (der Mensch, der den Dingen der Welt Satans ergeben ist) aber nimmt nicht an, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt wird."

Noch deutlicher indes ist die Äußerung: "In Deutschland gibt es eine Anzahl Christen, die im wahren und vollen Sinne des Wortes Gottes Bundesvolk sind. Warum sollten denn diese für Hitler und seine Gangster kämpfen, welche doch Gott dem Allmächtigen trotzen und die verfolgen, die Jehova Gott und Christus Jesus dienen?"

Also man kann jenem Wachtturm-Artikel in gewissem Umfang schon bestätigen, dass er des "Pudels Kern", sehr wohl in seiner Überschrift von der "Neutralität" festgemacht hat. Etwa, wenn er einleitend ausführt:

"Wenn zwischen denen, welche zur Organisation Satans gehören, Streit oder Krieg herrscht, so verhält sich Christus Jesus hinsichtlich der streitenden Parteien stets neutral. Die 'Neutralität' zu wahren bedeutet, sich zu weigern oder es abzulehnen, an einem Streit oder Krieg, den andere unter sich führen, teilzunehmen, insbesondere wenn sich solche Kriegführenden Nationen gegen den Neutralen unfreundlich verhalten. In solchen Streitigkeiten oder Kriegen ergreift der neutrale für keine Seite Partei, sondern weigert sich den Kampf der einen Seite gegen die andere aufzunehmen; und das trifft besonders dann zu, wenn der Neutrale zum Eingreifen keine gerechte Ursache hat.

Zwischen einigen Nationen der Erde herrscht nun Krieg. Etliche Nationen, die sich tatsächlich im Kriege befinden, haben ihre Neutralität erklärt. Es wird den Amtspersonen der Nationen schwerfallen, die wirkliche Neutralität der Zeugen Jehovas gut zu verstehen:"

Eines wird man als Kommentar zu diesen Ausführungen noch sagen können. Diese "Neutralität" basiert faktisch auf gewissen Voraussetzungen. Eine der wesentlichen ist die akute Endzeitnaherwartung. Sie, in ihren unterschiedlichen Ausprägungen dargelegt, ergibt, dass das gesamte Lehrgebäude der Zeugen Jehovas auf einer Illusion beruht, einschließlich der praktischen Auswirkungen, zum Beispiel der Wehrdienstverweigerung. Auch vom pazifistischen Standpunkt kann man eine solche Entscheidung würdigen. Aber unter gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten wird man sagen können: Hier wurden Menschen von einer Führungsclique für eine (vielleicht ehrenwerte) Theorie "verheizt"!

Nachstehend einige Auszüge aus diesem Grundsatzartikel mit den typischen Textanstreichungen zeitgenössischer Zeugen Jehovas:

Siehe zum Thema auch: Eine Bilanz in Sachen Wehrdienstverweigerung

Sechzig Stunden

Die Leitung der Zeugen Jehovas hört es nicht gern. Aber faktisch ist es so. Hinter vorgehaltener Hand stöhnt mancher über den subtilen Antreiberdruck zu möglichst umfangreicher "Klinkenputzertätigkeit". Bis heute hat sie ihren organisatorischen Druck nicht eingestellt, der auch die einfachen Mitglieder dazu verpflichtet, den sogenannten "Predigtdienst" auszuüben. Den wenigsten ist es ein echtes "Bedürfnis", mit Ausnahme vielleicht jener Minderheit, die sich dazu motivieren lässt "Karriere" in dieser Organisation machen zu wollen. Und ungeschriebene Voraussetzung dafür ist nun mal der sogenannte Pionierdienst.

Aber den einfachen Mitgliedern liegt durchaus nichts daran, beispielsweise als wandelnde "Wachtturm"- und "Erwachet!"-Litfasssäulen in der Öffentlichkeit in Erscheinung zu treten. Sie fügen sich dabei lediglich dem Gruppendruck und der dazu antrainierten Vertreterpsychologie. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Berufssparte der Verkaufsvertreter über einen besonders hohen Prozentsatz (relativ gesehen) von Zeugen Jehovas verfügt.

Im Laufe der Zeit hat die krass egoistische Zeugenführung ihre geforderten Quotensätze für den Predigtdienst reduzieren müssen - ohne dabei die Forderung als solche aufzugeben.

Wenn man der Frage nachgeht, wie das ganze eigentlich anfing, dann wird man auch auf jenen "Wachtturm"-Artikel vom 1. 1. 1939 stoßen, in der dieser Forderungskatalog sich schon niederschlug.

Es versteht sich von selbst, dass die Forderungen von 1939 für Deutschland und große Teile Europas, erst nach 1945 zur Anwendung kommen konnten. Nichts desto trotz ist jener "Wachtturm"-Artikel ein bezeichnendes zeitgeschichtliches Dokument. In ihm konnte man unter anderem lesen:

"Ab 1. Januar 1939 wird es kein Hilfspionierwerk mehr geben. Alle im Dienste werden entweder Sonderpioniere, reguläre Pioniere oder Gruppenarbeiter sein. Das ganze Feld ist in Zonen eingeteilt, wobei über jeder Zone ein Diener steht. Jede Zone umfasst eine Anzahl Gruppen, und jede Gruppe hat ihre ordnungsgemäß ernannten Diener. … Den regulären wie den Sonder-Pionieren sind ihre bezüglichen Pflichten zugeteilt worden. Unter der Leitung und der Anweisung, wie sie allen Gruppen bekanntgemacht wurden, kennen jetzt die Glieder jeder Gruppe die ihnen zugewiesenen Pflichten. Verfehlt daher nicht, diese Pflichten als dem Herrn getan treu zu erfüllen!

Wie viele Stunden im Monat sollte jeder Gruppenarbeiter dem Felddienste widmen? Ein Monat hat 720 Stunden. Angenommen, jedes Gruppenglied müsse zur Beschaffung des Lebensunterhaltes für sich und die von ihm Abhängigen acht Stunden im Tag arbeiten. Wenn man an die Wichtigkeit des Königreiches denkt, scheint es, dass zwei Stunden durchschnittlich im Tag wenig Zeit genug wäre, sich im Gehorsam gegen den Befehl des Königs aktiv am Felddienst zu beteiligen. Das bedeutete sechzig Stunden im Monat für jeden Gruppenarbeiter, was etwa viermal die Stundenzahl ist, die viele Gruppenarbeiter bis jetzt dem Königreichswerk gewidmet haben.

Etliche haben sich mit ein wenig Dienst zufrieden gegeben und haben die Zeit, da sie in der Straßenbahn fuhren und sich mit Leuten unterhielten, auch als ein Teil des Dienstes betrachtet. Das ist aber keine Erfüllung des Gebotes des Herrn. …

Einige haben gefragt: Wenn doch das Radio von Gott erfunden wurde, warum haben wir denn nicht eine große Radiostation in jedem Gebiet der Erde? Natürlich könnte Jehova dies so einrichten, wenn es sein Wille wäre. Die Tatsache aber, dass er es nicht so angeordnet hat, zeigt an, dass dies nicht sein Wille ist. Die vernünftige Antwort auf die vorangegangene Frage scheint folgende zu sein: Das Feldzeugniswerk hat einen doppelten Zweck: es soll 1.) Den Namen und das Reich Jehovas, Gottes, bekanntmachen, und 2.) jedem Geweihten Gelegenheit bieten, seine Liebe und Lauterkeit gegen Gott zu beweisen.

Würde das ganze Zeugniswerk durch Radio getan, so gäbe es wenig Gelegenheit für jeden einzelnen Arbeiter, dem Herrn seinen vernünftigen Dienst zu tun, so wie er es befohlen hat. Der Herr hat nun für Tausende von Tonapparaten oder Grammophonen für Vortragsplatten gesorgt, und sie sollen dazu gebraucht werden, die Aufmerksamkeit der Menschen guten Willens auf den König und sein Königreich zu lenken" ("Der Wachtturm" 1. 1. 1939 S. 13).

Eingebettet ist das ganze in ein scharfes Managment-System. Zu diesem Zwecke wurden die örtlichen Zeugen Jehovas-Versammlungen mit einem von J. F. Rutherford unterzeichneten Zirkular informiert, dass den Titel

"Organisations-Anweisungen" trägt. Schon die Vokabel "Anweisungen" spricht für sich. Nachstehend mal einige charakteristische Sätze daraus:

"Der Watchtower vom 1. und 15. Juni (deutsche Ausgabe vom 1. und 15. Juli 1938) hat die schriftgemäße Methode, wie der Königreichsdienst organisiert werden sollte, dargelegt.

Was hier über die Organisation in den Vereinigten Staaten gesagt wird, hat ebenso auf alle Teile der Erde Anwendung.

Das gesamte Gebiet der Vereinigten Staaten wird in Zonen eingeteilt. Jede Zone umfaßt fünf bis zwanzig Gruppen. Die Zonen werden alphabetisch entsprechend den Staaten bezeichnet. ...

Alle Diener werden durch die Gesellschaft bestimmt, und die Ernennung geschieht auf folgende Weise: Jede Gruppe wird ersucht, die Namen der Personen einzusenden, die am besten für den Dienst in einer bestimmten Stellung geeignet sind.

Die Gesellschaft wird durch diese Liste nicht gebunden sein, sondern die Liste wird lediglich als Empfehlung betrachtet werden. Wenn der Zonendiener bestimmt ist und die in Frage kommenden Gruppen besucht hat, wird er sorgfältig erwägen, wofür die Glieder der verschiedenen Gruppen geeignet sind, und er wird dann der Gesellschaft seine Empfehlung der Personen senden, die ihm für die verschiedenen Dienste geeignet erscheinen. So informiert, wird die Gesellschaft in Brooklyn die Ernennung aller Diener vornehmen, die solche Stellungen solange einnehmen als sie ihre Pflichten treu erfüllen; und es bleibt der Gesellschaft überlassen, den Grad der Treue zu beurteilen. Ein Personalwechsel im Gruppen- oder Zonendiener-Amt kann zu irgendeiner Zeit durch die Gesellschaft vorgenommen werden.

Der Zonendiener wird von Zeit zu Zeit dem Hauptbüro der Gesellschaft Veränderungen in den Gruppen empfehlen, die ihm für die Förderung und den Fortschritt des Königreiches vorteilhaft erscheinen und zusammen mit diesen Empfehlungen wird er die Gründe hierfür angeben.

Der Zonendiener soll die allgemeine Überwachung des Felddienstes in der ganzen Zone führen. Der Gruppendiener wird die Überwachung der Tätigkeit der verschiedenen Teilgruppen haben, wobei er dem Zonendiener und im besonderen natürlich dem Hauptbüro der Gesellschaft in Brooklyn, bezw. dem Büro des Landes, untergeordnet ist

Die Pflichten des Zonendieners

Er soll in bestimmten Zeitabschnitten alle Gruppen innerhalb der Zone besuchen.

Der Zonendiener sollte mit den Verkündigern in seiner Zone völlig vertraut sein, ihre Dienstberichte überprüfen, den Geist der Zusammenarbeit der einzelnen beobachten und besonders die Bestbefähigten für den Dienst in den einzelnen Stellungen notieren und von Zeit zu Zeit diese Empfehlungen dem Büro in Brooklyn, resp. dem Büro des Landes, einsenden.

Der Zonendiener ist nicht ermächtigt, jemanden von einer Dienststellung zu entfernen oder dazu zu bestimmen, sondern seine Pflicht erschöpft sich in der Empfehlung von Ernennungen und Änderungen in der Absendung dieser Empfehlungen an die Gesellschaft. Es ist die Pflicht des Zonendieners, persönlich mit dem Diener jeder Gruppe oder Teilgruppe in Fühlung zu treten, seine Tätigkeit zu überprüfen und darauf zu achten, daß sie in Übereinstimmung mit den Instruktionen durchgeführt wird .."

Wachtturm-Studium

Für Christen aus anderen Kirchen und Gemeinschaften, aber nicht nur für sie, ist es ein ungewöhnlicher Eindruck, wenn sie das erste mal einem sogenannten Wachtturmstudium der Zeugen Jehovas beiwohnen. Da wird doch sage und schreibe, ein kompletter Zeitschriftenartikel innerhalb dieser Zusammenkunftsstunde nochmals laut verlesen, den die Anwesenden in der Regel schon im voraus bereits einmal gelesen hatten. "Gewürzt" wird das noch durch sogenannte "Fragenbeantwortungen". Nicht etwa die individuellen Fragen der Teilnehmer - mitnichten. Es handelt sich da um bereits vorgegebene Fragen, deren Zweck lediglich darin besteht, dass die Antwortenden, den Inhalt des entsprechenden Wachtturmabschnittes - bestenfalls - in eigenen Worten wiedergeben. Auch zu diesem Aspekt ist in der "Wachtturm"-Ausgabe vom 1. 1. 1939, die gewissen Organisationsanweisungen gewidmet ist, eine bemerkenswerte Ausführung enthalten. Die entsprechende Anweisung besagt:

"Lasst eine treffende Antwort geben und dann den Abschnitt im Wachtturm als Zusammenfassung des Gegenstandes vorlesen. Wenn sich jemand freiwillig zum Beantworten der gestellten Fragen meldet, so sollte der zu diesem Zwecke Erwählte den Abschnitt im Wachturm aufmerksam vorlesen. … Der Leiter des Studiums sollte keine Zeit auf zusammenfassende Bemerkungen verwenden. Zu diesem Zweck wird ja der Abschnitt im Wachtturm gelesen.

Gewisse Personen, die als Studienleiter geamtet haben, haben sehr ungerecht gehandelt, indem sie einen großen Teil der Zeit darauf verwendet haben, vor oder nach jeder Frage eine Rede zu halten. Ein solches Vorgehen ist ganz außer der Ordnung. Der Studienleiter ist da, um Ordnung zu halten die Fragen vorzulesen, Personen zum Antwortgeben aufzurufen und darauf zu achten, dass die Organisationsanweisungen ausgeführt werden. Er ist nicht da um seine eigene Gelehrtheit zur Schau zu stellen. In solch törichter Weise hat die Wahlältestenklasse, die ein großes Verlangen hat, sich wichtig zu machen, lange Zeit gehandelt" ("Der Wachtturm" 1. 1. 1939 S. 14).

Rüdiger Hauth formulierte seine Eindrücke dazu einmal so (Idea-Dokumentation 11/95

"Im Schatten des Wachtturms - Wer sind die Zeugen Jehovas?"):

„Wer zum ersten Mal ein solches „Wachtturm-Studium" als Außenstehender besucht, hat das Gefühl in einer Art Hilfsschule gelandet zu sein.

Nach einem geistlosen Frage- und Antwort-Schema wird Zeile für Zeile des Stoffes anhand vorformierter Fragen „durchstudiert", die Kleingedruckt unter jedem Artikel stehen. Die Antworten dürfen sich nur auf den eben gelesenen Absatz beziehen. Es darf keine kritische Auseinandersetzungen mit dem Inhalt stattfinden, sondern nur eine gläubige Aufnahme der Wachtturm-Gedanken. Die Indoktrination ist perfekt. Hier werden praktisch die „Tonbänder" bespielt, die dann an unseren Haustüren ablaufen."

Olin R. Moyle

Er war WTG-Rechtsberater in der Rutherford-Zeit. Sein (vorzeitiger) Nachfolger wurde Hayden C. Covington, vormals Rechtsanwalt in San Antonio, Texas (USA). Als nach Rutherford's Tod sich die neue Führung unter Knorr etablierte, gehörte auch Covington ihr in der gehobenen Position eines Vizepräsidenten der Wachtturmgesellschaft an. Allerdings war es ihm beschieden, dieses Amt nur zwei Jahre innezuhaben. Danach durfte er es "freiwillig" an den Knorr-Intimus Fred W. Franz abgeben. Franz war bekanntlich der Inspirator der 1975-Verkündigung der Zeugen Jehovas.

Doch kehren wir zu Moyle zurück. In den dreißiger Jahren Rechtsberater der WTG zu sein, implizierte auch die Kenntnisnahme von vielerlei diffizilen Vorgängen innerhalb und außerhalb der USA. Zu seinen Obliegenheiten gehörte es auch, die jeweilige juristische Linie dazu festzulegen. Er musste sich auch mit der Sachlage auseinandersetzen, dass Rutherford autokratisch regierte. Das heißt: Rutherford bestimmte, seine Untergebenen hatten zu kuschen. Als Jurist war Moyle geschult, selbständig analysieren zu können. Er konnte sich zu den fraglichen Vorgängen eine eigene Meinung bilden. Er mag vielleicht auch Vorstellungen entwickelt haben, wie seiner Meinung nach gewisse Vorgänge entschärft werden konnten. Unabdingbare Voraussetzung dazu wäre allerdings gewesen, dass Rutherford auf die Linie von Moyle eingeschwenkt wäre. Er tat es offenkundigerweise nicht! Vielleicht wäre die Geschichte der Zeugen Jehovas zu dieser Zeit nicht ganz so dramatisch verlaufen, wäre es Moyle gelungen, sich durchzusetzen. Es erwies sich allerdings, dass die übrigen WTG-Marionetten es nicht wagten, sich zu Rutherfords Zeiten, sich im Gegensatz zu ihm zu setzen.

Noch im Jahre 1938 ist von Moyle eine Verlautbarung überliefert, die ganz auf der Rutherfordlinie lag. Ja man kann sagen, dass er sich in ihr als Scharfmacher entpuppte.

Dazu kann man vergleichen: Lispelheilige

Aber auch Scharfmacher sollen manchmal noch ihr "Damaskuserlebnis" bekommen. In den dreißiger Jahren als Rechtsberater der WTG zu agieren, implizierte auch die Kenntnis vieler diffiziler Angelegenheiten, innerhalb und außerhalb der USA. Das "Trost" veröffentlichte mal am 1. 5. 1938 einen namentlich mit O. R. Moyle gezeichneten Artikel unter der Überschrift "Rechtsberatung für Verkündiger". Mag er auch speziell auf die Situation der USA abgestellt gewesen sein, so offenbart er doch einiges über die Denkweise der WTG-Führung jener Jahre. In ihm konnte man lesen:
"'Machet euch auf und lasst uns wider dasselbe aufstehen zum Kriege!' 'Schärfet die Pfeile!' 'Fasset den Schild!' 'Versammelt Bogenschützen gegen Babylon!' 'Umzingelt es!' 'Nach allem, was sie getan hat, werde ihr getan!'

Das sind die königlichen Befehle Gottes des Allmächtigen für sein Volk. Es sind Befehle zum Angriff, zum Vorrücken in der Schlacht, zu aktivem Kampf. Wir sind nicht in der Verteidigung, sondern im Angriff; wir fallen ins Gebiet des Feindes ein, stoßen gegen ihn vor und umzingeln, belagern, attackieren die Horden des Teufels.

Das Christentum zu betätigen ist etwas anderes, als beim Kaffeeklatsch zu sitzen. Es bedeutet nicht, Ölzweige und weiße Federn zu tragen, sondern bedeutet Kampf im Interesse der Wahrheit und der Rechtfertigung des Namens Jehovas.

Die Wahrheit ist indes nicht nur eine Botschaft des Trostes; sie ist auch die Botschaft vom Tage der Rache - eine Bloßstellung der schlimmsten Gimpelfängerbande, die es jemals in der Welt gab. Diese Religionshyänen, die unter dem Volke auf Raub ausgehen, sind Gotteslästerer. Sie stehlen, lügen, unterschlagen, morden, foltern und verrichten nach den Ideen ihres Meisters, des Teufels, Untaten jeder erdenklichen Art. Sie führen sich als Engel des Lichts auf, dienen dabei aber dem Teufel und bedrücken die Menschheit. Unser Kampf gegen sie besteht darin, dass wir es hell werden lassen und der ganzen Welt die Wahrheit über diese böse, grausame und gesetzlose Gesellschaft kundtun. Das ist ein Angriffskrieg, an dem sich jeder, der Gott liebt, gern beteiligt.

Es ist leicht ersichtlich, dass die jetzige Zeit nicht den Lispelheiligen gehört.

Wir glaubten einst an Charakterentwicklung. Wir hielten es für nötig, zu lächeln und süß zu bleiben, ganz gleich was auch geschah. Ganz gleich, ob wir ins Gefängnis geworfen, vom Pöbel angegriffen, geschmäht worden oder sonst etwas erlitten, hielten wir es als einem guten Christen angemessen, uns dafür zu bedanken und dann auf Nimmerwiedersehen davonzuschleichen. Als Ideal christlicher Tat galt, dass man, wenn auf einem herumgetrampelt wurde, glücklich blieb in der Verfolgung und in keiner Weise einen Gegenschlag ausführte.

Das mag in persönlichen Angelegenheiten in manchen Fällen ganz recht sein, aber nicht, wenn wir als Soldaten des Königs der Könige, Christus Jesus, hinausziehen. 'Machet euch auf, lasst uns wider dasselbe aufstehen zum Kriege!' ist unser Schlachtruf. 'Nach allem, was sie getan hat, werde ihr getan!' ist der göttliche Befehl. Der Krieg richtet sich nicht gegen dich. Er richtet sich gegen Gott Jehova und seinen Sohn Christus Jesus. Er richtet sich gegen die Wahrheit des allmächtigen Gottes und gegen Gottes Volk als Gesamtheit. Darum ist es unser Vorrecht und unsere Pflicht, Gegenschläge auszuführen mit den Waffen, die der Herr uns dargereicht hat.

Wie eine wahre Seuche sind letzthin behördliche Verfügungen getroffen worden, die das Recht der Menschen, andere zu Hause aufzusuchen, beschränken. Davon sind viele besonders gegen Jehovas Zeugen gerichtet.

Wenn wir als 'schuldig' erklärt, erhebt sich die Frage: Sollen wir die Geldstrafe bezahlen? Manche Brüder haben diesbezüglich immer noch nichts gelernt, was richtig ist, trotz der in der 'Gottesdienstordnung' immer wieder gegebenen Ermahnung, Geldstrafen zu zahlen, ist es ein schwerer taktischer Fehler; denn das verschafft dem Feinde Genugtuung, es hilft ihm und ermutigt ihn."

Der spätere Moyle stand dann am Scheideweg. Es den WTG-Marionetten weiterhin gleich zu tun, oder auf einer sicher auf Sachkenntnis beruhenden "Sondermeinung" zu bestehen. Es spricht für ihn, dass er soviel Rückgrat besaß um auch gegenüber Rutherford einmal "Fraktur" zu reden.

Die Machtverhältnisse waren nicht so, dass Moyle hätte siegen können. Er fand sich auf der Verliererseite wieder. Indes ist es bezeichnend für die Tiefe des Zerwürfnisses, dass der Wachtturm ihm einen eigenen Artikel widmen musste. Wäre Moyle nur ein unbedeutender Abweichler gewesen, ohne besondere Bedeutung. Nun ihm wäre mit Sicherheit im Wachtturm nicht "gedacht" worden. Das jedoch das Gegenteil der Fall ist, spricht für die Schwere seiner Argumente, wenn auch letztere, gemäß der WTG-Zensurpraxis nicht im Detail genannt werden

Im "Wachtturm" vom 15. 11. 1939 (S. 348, 349) konnte man unter der Überschrift "Zur Aufklärung zum Fall Moyle lesen:

"Dessen eingedenk, dass die Gegenwart die Zeit ist, da Gott aus seiner Organisation alles entfernt, was erschüttert werden kann, 'auf das die, welche nicht erschüttert werden, bleiben' (Hebr. 12: 26, 27, verlangen die Mitglieder des Verwaltungsrates der Wachtower Bible and Tract Society, dass 'Der Wachtturm' zur Aufklärung und zum Schutze derer, die der Organisation Gottes ergeben sind, dass Folgende veröffentliche:

Am 21. Juli 1939 wurde im Vestibül des Bethels ein von O. R. Moyle unterzeichnetes Schriftstück in Briefform, adressiert an den Präsidenten der Gesellschaft, abgegeben. Da jenes Schriftstück die ganze Bethelfamilie betrifft, wurde es richtigerweise vor den Verwaltungsrat und vor die Familie gebracht.

Der Brief, der von falschen, verleumderischen und ehrenrührigen Behauptungen strotzt, wurde vom Verwaltungsrat und allen Gliedern der Bethelfamilie entschieden verurteilt.

Der Verwaltungsrat nahm einmütig die folgende Resolution an, die auch von der Familie gutgeheißen wurde:

'An einer gemeinsamen Versammlung der Verwaltungsräte … am 8. August 1939 im Büro der Gesellschaft in Brooklyn, New York, - an der auch noch weitere Glieder der Familie zugegen waren - wurde … in Gegenwart von O. R. Moyle ein vom 21. Juli 1939 datierter Brief vorgelesen, der von dem genannten Moyle geschrieben und an den Präsidenten der Gesellschaft gerichtet worden war.

Während der vergangenen vier Jahre ist der Schreiber jenes Briefes mit den vertraulichen Angelegenheiten der Gesellschaft betraut gewesen. Es stellt sich nun heraus, dass der Schreiber jenes Briefes die Familie Gottes im Bethel grundlos verleumdet und sich als solcher zu erkennen gibt, der gegen die Organisation des Herrn Böses redet, der murrt und sich beklagt …

Die Mitglieder des Verwaltungsrates bekunden ihre Entrüstung über die ungerechte Kritik, die in seinem Brief enthalten ist, missbilligen den Schreiber und seine Handlungsweise und empfehlen, dass der Präsident der Gesellschaft die Beziehungen O. R. Moyles mit der Gesellschaft als Rechtsanwalt und Glied der Bethelfamilie unverzüglich abbreche.'

Abgesehen von dem einleitenden Abschnitt, worin der Briefschreiber seine Absicht mitteilt, das Bethel zu einer bestimmten Zeit zu verlassen, ist jeder Abschnitt jenes Briefes falsch, voller Lügen und ist eine boshafte Schmähung und Verleumdung nicht nur des Präsidenten, sondern der ganzen Familie, und aus diesem Grunde hat die Gesellschaft den Brief nicht veröffentlicht.

Moyle verlangte, dass sein Brief in der Zeitschrift 'Consolation' ('Trost') erscheine, und da ihm dies verweigert wurde, lässt er nun seine Schmähschrift veröffentlichen und unter gewissen Gruppen der Geweihten zirkulieren und öffentlich vorlesen, und durch seine eigenen Worte, die als 'schöne Reden' bezeichnet werden können, gibt er sodann vor, in Harmonie mit der Gesellschaft zu sein, und täuscht damit die Arglosen weiter. Der einzige Zweck, den er mit der ferneren Veröffentlichung verfolgen kann, ist, sich selbst zu rechtfertigen und Zwiespalt unter den Brüdern anzurichten …

Da die Schmähschrift den Interessen der theokratischen Regierung entgegengesetzt und feindlich ist, gefällt sie allein dem Teufel und seinen irdischen Handlangern.

Moyle ist vier Jahre lang mit den vertraulichen Angelegenheiten der Gesellschaft betraut gewesen, und darauf greift er ohne Entschuldigungsgrund diejenigen an, die ihm vertraut haben, und verleumdet sie. … Da ihr nun gewarnt seid, muss ein jeder selbst wählen, ob er sich dem 'bösen Knecht' anschließen und die Folgen auf sich nehmen will …

(gez): Fred W. Franz, N. H. Knorr; Grant Suiter; T. J. Sullivan, W. P. Heath jr., H. H. Riemer, W. E. van Amburgh, A. R. Goux, C. A. Wise. C. J. Woodworth.

Gut zur Veröffentlichung: J. F. Rutherford, Präsident."

Im Nachgang zum Fall Moyle sollte man auch noch Kurt Hutten mit seinem Buch "Seher, Grübler, Enthusiasten" zitieren. Hutten hatte eine Studienreise in die USA gemacht. Dort lernte er unter anderem die Dissertation von Herbert H. Stroup kennen. Mit diesem zusätzlichen Erkenntnisreservoir im Rücken gibt Hutten auch für die deutschen Leser in der ersten Auflage seines Buches die Information weiter (S. 17):

"Rutherford übte ein diktatorisches Regiment. Widerspruch wurde nicht geduldet, Kritik mit Ausschluss geahndet. Die Begründung machte man sich einfach: Wer der Führung widerspricht, ist von Satan inspiriert!

Ein führender Mann der Vereinigung, der in einem Brief an das Direktorium eine aufbauende Kritik an Maßnahmen Rutherfords und anderer geübt hatte, wurde ausgeschlossen; er strengte eine Beleidigungsklage gegen ihn und das Direktorium an und erhielt 25 000 Dollar Schadenersatz zuerkannt."

In seinem Buch "Die Wahrheit über Jehovas Zeugen", (Rottweil/Neckar 1970) hat Günther Pape den Fall Moyle auch dokumentiert (S. 151-162).

Daraus, aus dem Munde von Moyle nach einige Sätze seiner Gegendarstellung:

"Mehr als zwanzig Jahre haben Schwester Moyle und ich unsere besten Kräfte und Dienste dem Werk geschenkt, dass durch die Gesellschaft getan wird. … Die intolerante Haltung und Praktiken der Gesellschaft, können nicht mit dem Christentum vereinbart werden. Wirkliches Bibelstudium ist durch die Organisation geknebelt und unterdrückt worden. … Gottes Volk unter Jehovas Zeugen ist in eine Knechtschaft unter einer Rutherford-Hierarchie verstrickt worden, die von der gleichen Ordnung und ebenso intolerant ist wie die päpstliche. … An verschiedenen Orten wird geklagt, dass die Wachtturmstudien zu bloßen Lesestunden entartet sind. … Wie können wir Religionisten andauernd als intolerant verurteilen, wenn Du Intoleranz übst gegenüber jenen, welche mit Dir arbeiten? …

Niemand hat bis jetzt solch intensive Schmähungen empfangen, wie sie mir im Wachtturm zuteil wurden. Die Schlussfolgerung ist nicht zu umgehen, dass Du, während Du Verdammungsurteile gegen die Religion schleuderst, Dich der schlimmsten religiösen Handlungsweise schuldig machst, indem Du einen Bruder verfolgst, der Dir einmal kühn die Wahrheit sagte!

Ein differenzierteres Bild ergibt sich, sieht man sich Moyle's Brief an Rutherford vom 21. 7. 1939 im Detail näher an. Darin teilt er einleitend schon mal mit zum 1. September das Bethel zu verlassen. Rutherford bekam somit eine etwa 7wöchige "Kündigungsfrist" zugebilligt. Indes schloss er gleich nach Briefabgabe eine "Ferienreise" an, sodass die Fronten wohl als endgültig geklärt, bezeichnet werden müssen.

Auf die autokratischen Allüren von Rutherford kommt Moyle schon mal mit der Bemerkung zu sprechen:

"Kurz nach unserer Ankunft in Bethel waren wir schockiert, Augenzeugen des Empfanges unserer Brüder zu sein, der von Dir als "Zurechtweisung" bezeichnet wurde. Das erste, wenn ich mich recht erinnere, war ein Hieb, der C. J. Woodworth versetzt wurde. Woodworth hatte in einem persönlichen Brief an Dich dargelegt, daß man beim weiteren Gebrauch unseres jetzigen Tageskalenders dem Teufel dienen würde. Dafür wurde er öffentlich gedemütigt, ein Esel genannt und beschimpft.

Viele wurden ähnlich behandelt."

Dazu muss man wohl sagen. Schade, dass Rutherford es im Falle Woodworth nur bei der "Zurechtweisung" beließ. Den von seinem Posten als Redakteur des "The Golden Age", wurde er ja nicht abgelöst. Dort hatte Woodworth noch einiges anderes Unheil angerichtet. Namentlich in seinen Attacken gegen die Schulmedizin und in dem "über den grünen Klee loben" dessen, was mit der Schulmedizin quer liegt. Stichwort Impfverweigerung, die dann in mutierter Form, nach 1945, gar in die Bluttransfusionsverweigerung ausartete (bzw. eine ihrer Wurzeln ist).

Nun aber Woodworth's Kalenderreformen. Wären die tatsächlich durchgekommen, wäre dies ein weiterer Aspekt, wo sich Zeugen Jehovas selbst der Lächerlichkeit preisgeben. Wenn Rutherford das stoppte, dann muss man ihm doch wohl eher beipflichten (zumindest in dieser Frage).

Ein weiterer Aspekt betraf die Moyle'sche Klage:

"Diesen Sommer wurden einige der unfairsten Vorwürfe erhoben. J. Y. Mac Aulay legte eine Frage vor, welche eine Kritik an den gegenwärtigen Wachtturmstudium-Methoden enthielt. Dafür wurde er streng getadelt. Dein Vorgehen stellte eine Verletzung des Prinzips dar, für das wir kämpfen, nämlich der Redefreiheit. Das war das Vorgehen eines Bosses und nicht dasjenige eines dienenden Mitarbeiters. Eine wirksame Studienmethode zu sichern, mit unvollkommenen Studienleitern, ist keine leichte Sache, und bis jetzt hat keine vorgebrachte Methode bewiesen, daß sie hundertprozentig ist. Du legtest fest, daß keine Klagen zu Dir kommen dürfen, welche die Studienmethoden betreffen. Wenn das der Fall sein soll, dann hast Du nicht alle Tatsachen vor Augen gehabt. An verschiedenen Orten wird geklagt, daß die Wachtturmstudien zu bloßen Lesestunden entartet seien. Es mag sein, daß die gegenwärtige Methode die beste ist, die angewandt werden kann, doch mit Rücksicht auf die bekannten Grenzen, sollte ehrliche kritische Haltung nicht getadelt und ehrliche Kritik nicht bestraft werden."

Auch dazu wird man wohl sagen müssen. Im Prinzip eine berechtigte Kritik. Andererseits in dieser Organisation verfehlt. Ohne diese "Kindergartenmethode" wäre es schwerlich möglich, eine so große Organisation insgesamt auf das tatsächliche Unmündigkeits-Niveau zu behalten. Der tatsächliche Fragestellung müsste eher in die Richtung gehen. Wegen dieses Unmündigkeits-Niveaus diese Organisation zu verlassen. Eine "Reform" indes gleicht eher der sprichwörtlichen "vergeblichen Liebesmüh".

Weiter leitet Moyle zum Kongreß im Madison Square Garden über, der bekanntlich von Zeugen Jehovas-Gegnern gestört wurde, mit der nicht erreichten Zielstellung in gar zu sprengen. Dazu Moyle:

"Seit dem Kongreß im Madison Square Garten war im Bethel ein peinlicher Zustand von Zwang und Argwohn. Die Türhüter waren im Garten an einen schwierigen Platz gestellt, leisteten aber eine ausgezeichnete Arbeit. Sie übten Umsicht und Aufmerksamkeit bei der Überwachung der Ankünfte im Garten, und hinderten eine Anzahl verdächtiger Elemente am Eintritt. Sie waren sofort zur Stelle, wenn eine Unruhe ausbrach, und unterdrückten eine Ruhestörung, die sonst ernste Ausmaße angenommen hätte. Doch für zwei Wochen Mitarbeit bei der Versammlung, war von Dir nur Kritik und Tadel zu hören. Sie wurden der Pflichtverletzung beschuldigt und als "Sissies" bezeichnet. Einige dieser Männer zusammenbrechen und weinen sehen, wegen Deiner lieblosen Bemerkungen, ist, gelinde gesagt, bedauerlich."

Das wiederum sagt dann ja wohl einiges über die selbstherrlichen Allüren von Rutherford aus; der wohl noch nie eine Fähigkeit zur Selbstkritik hatte. Erst recht nicht in dieser Belastungsproben.

Beachtlich auch die Moyle-Kritik:

"Wir verkünden der Welt, daß in der Organisation des Herrn alle gleich behandelt werden und das Gleiche erhalten, was die weltlichen Güter angeht. Du weißt daß das nicht der Fall ist. Die Tatsachen können nicht geleugnet werden. Nimm Du z. B. den Unterschied zwischen den Annehmlichkeiten, die Dir und Deinen persönlichen Mitarbeitern verschafft werden, verglichen mit jenen, die einigen der anderen Brüder zukommen. Du hast verschiedene Häuser (Wohnungen), z. B. im Bethel, Staten Island, California etc. - Ich bin darüber informiert, daß sogar auf der Königreichsfarm ein Haus für Deine alleinige Benutzung reserviert ist, für die kurze Zeit, die Du dort verbringst. Und was erhalten die Brüder auf der Farm? Enge Räume, ungeheizt während des bitter kalten Winterwetters. Sie leben in ihren Behausungen wie Zeltbewohner. Das mag alles recht sein, wenn es notwendig ist, aber da stehen so viele Häuser auf der Farm leer oder werden für andere Zwecke gebraucht, welche doch dafür dienen könnten, denen einige Annehmlichkeiten zu verschaffen, die so lang und hart arbeiten.

Du arbeitest in einem netten, luftigen Raum. Du und Deine Begleiter verbringen einen Teil der Woche in Ruhe in ländlicher Umgebung. Die Männer auf der Siedlung arbeiten ohne solche Hilfen, noch wird irgendeine Anstrengung gemacht, ihnen solche zu verschaffen."

Zusammenfassend, auch unter Hinweis auf andere Mißstände, beklagt daher Moyle:

"Harte Behandlung des einen und zuvorkommende Behandlung des anderen ist Diskriminierung und sollte in der Organisation des Herrn keinen Platz finden."

Weiter klagt er:

"Unter Deiner Leitung ist eine Verherrlichung des Alkohols groß geworden, und eine Verwerfung der gänzlichen Enthaltsamkeit, was ungeziemend ist. Ob ein Diener Jehovas Alkohol trinkt, ist nicht meine Sache, ausgenommen, wenn einem Bruder Hilfe zu leisten ist, der daran strauchelte. Ob ich ein Totalabstinent bin, ist keines anderen Angelegenheit, sondern meine eigene.

Nicht so im Bethel. Hier scheint es ein festgelegtes Verfahren zu sein, Neuankömmlinge in den Gebrauch von Alkohol einzuführen und es wird Unwille gezeigt gegen jene, die sich nicht anschließen. Es ist ein Spruch geprägt worden: Mann kann kein richtiger Bethelist sein, ohne Bier zu trinken. Kurz nachdem wir angekommen waren, war anmassend erklärt worden: 'Wir können nicht weiter mit Moyle zusammenarbeiten, wir wollen aber einen Mann aus Peter machen!'. Ein New Yorker Bruder gab zu verstehen, daß ich nicht im Einklang mit der Wahrheit und mit der Gesellschaft wäre, weil ich keinen Alkohol trinke. Eine New Yorker Schwester erklärte, daß sie nie Alkohol genossen und das gehalten hat, bis einige Brüder vom Bethel darauf bestanden. Ein Bruder, der gewohnt war, übermäßig Alkohol zu trinken, wurde Totalabstinent. Er wußte, daß ein einziger Trunk ihn wieder zu den früheren Trinkergewohnheiten zurückbringen würde, und trotzdem bestanden Brüder vom Bethel darauf, daß er Alkohol trinke und sagten ihm daß er wegen der Weigerung nicht in Eintracht mit der Gesellschaft wäre. Totalabstinenten werden mit Verachtung als Schwächlinge betrachtet. Du hast öffentlich Totalabstinenten als Prüde bezeichnet und mußt deshalb Deinen Teil Verantwortung übernehmen, für die bachusähnliche Verhaltensweise, die von Bethelfamiliengliedern gezeigt wird."

Da wäre dann noch auf ein entsprechendes Rutherford-Foto mit eindeutiger Aussage hinzuweisen.

In der Tat mag es für einige so sein, dass dieses ganze WTG-Lügengespinst nur noch "im Suff" zu ertragen ist. Wenn das so ist, bestätigt sich auch hierbei, dass der "Fisch zuerst am Kopf anfängt zu stinken."

David Horowitz

Wenn der Teufel mit dem Beelzebub

Es war schon eine schockierende Meldung, jene Mitteilung aus dem Jahre 1939, dass Hitlerdeutschland und die Sowjetunion einen Pakt abgeschlossen hatten. Wie man heute weiß, wurde der noch durch ein geheimes Zusatzabkommen ergänzt, indem die beiden Giganten ihre jeweiligen Interessensphären absteckten - auf Kosten Dritter versteht sich. In der Ausgabe vom 15. 9. 1940 (S. 6) des „Trost" wird einmal aufgelistet, wie seit November 1939, wo die Sowjetunion Gebiete Ostpolens besetzte, sich die Landkarte verändert hat. In dieser kurzen Zeit annektierte die Sowjetunion ein Gesamtgebiet von 457 000 Quadratkilometern mit circa 21 200 000 Einwohnern.

Meine Haltung zu den geschichtlichen Zeugen Jehovas ist klar. Ich habe sie verschiedentlich schon mal auf den Nenner gebracht mit der Formel: "Die Progressiven von gestern - die Konservativen von heute." Mit anderen Worten, ich habe durchaus kein Problem damit, den geschichtlichen Zeugen Jehovas in bestimmten Positionen zumindest teilweise zuzustimmen und ihnen - nicht aber ihren damaligen Kontrahenten - recht zu geben. Ich halte es auch durchaus für dokumentierenswert, mal jenen Kommentar wieder zu geben, der seinerzeit im "Trost", im Angesicht des deutsch-russischen Paktes veröffentlicht wurde:

"Am 22. August 1939 gaben die Großstadtzeitungen nach langer Zeit wieder einmal Extrablätter heraus. Diese kündeten den Abschluss des Paktes zwischen Deutschland und Sowjetrussland an; und wenn auch dessen Tragweite und mögliche Folgen selbst heute noch nicht völlig überschaut werden können, war doch damals schon klar, dass die Weltpolitik dann wieder einmal auf den Kopf gestellt würde.

'Das Unglaubliche und Unfassliche ist Ereignis geworden, Hitler, der 'Erretter' Europas vor der 'bolschewistischen Höllenpest', hat sich mit dem 'infanalen Teufel' Stalin angefreundet…'

So und ähnlich widerspiegelte sich die allgemeine Stimmung gegen Ende August 1939 in der Presse. Aber während die meisten bei der Kunde von diesem Paktabschluß wie betäubt waren, sagten einige andere, allerdings nur sehr wenige: 'Ganz wie erwartet!'

Zu diesen wenigen gehören Jehovas Zeugen. Sie hatten eben, obwohl sie keine Politiker sind, durch gesunde biblische Belehrung eine bessere Einsicht als andere in das Wesen politischer Totalität überhaupt.

Zwei Tatsachen, die von Jehovas Zeugen seit langem immer und immer wieder betont wurden, treten jetzt durch die Ereignisse klar hervor:

Erstens einmal: Die von der Hierarchie ausgegebene und von politischen Extremisten aufgegriffene Parole vom 'Kampf gegen den Kommunismus', mit deren Hilfe sich in Europa allenthalben die Diktatur breitmachte, ist Bluff.

Zweitens: Nationalsozialismus und Kommunismus sind keine unversöhnlichen Gegensätze, sondern nur Schattierungen ein und derselben Sache." ("Trost" 15. 10. 1939 (Nr. 410) S. 3).

Eine gewagte Theorie

Keine Organisation existiert ohne finanzielle Mittel. Auch die Zeugen Jehovas nicht. Auch sie beherrschen sie "subtile Kunst", Menschen zu finanziellen Opfern zu motivieren. Es wirkt schon makaber bis lächerlich zu sehen, wie gerade Rutherford die finanziellen Machenschaften seiner religiösen Mitbewerber attackiert. Unter der Überschrift "Religion als Fallstrick" äußerte er einmal dazu:

"In vergangenen Monaten sind von Jehovas Zeugen Banner herumgetragen worden, auf denen zu lesen war: 'Religion ist ein Fallstrick und ein Racket' (Amerkanischer Ausdruck, der ungefähr die Bedeutung von Gimpelfang hat) und 'Dienet Gott und Christus, dem König.'

Man ist (in Amerika, England usw.) mit diesen Bannern durch die Straßen marschiert und hat diese Tatsache auf solche Weise bekanntgemacht. Viele Menschen werden ungehalten, wenn sie sehen, dass solche Banner oder Schilder zur Schau stehen. Geschieht diese Zurschaustellung, um andere lächerlich zu machen und die Menschen zum Zorn zu reizen? Das ist ganz entschieden nicht der Fall.

Diese Banner wurden umhergetragen um das Volk zu informieren und vor der großen Gefahr zu warnen, die sich aus der Ausübung von Religion ergibt.

Das Königreich Gottes ist die Hoffnung der Welt, und alles was gegen Gottes Königreich und dessen Herrscher Christus Jesus ist, steht den Interessen derer, die Leben möchten, entgegen. …

Der Mensch, der der Religion folgt, lässt notwendigerweise die biblische Unterweisung außer acht, weil Religionslehren in Wirklichkeit die Lehren menschlicher Überlieferungen sind. … Da die Heilige Schrift die Religion deutlich als eine Schlinge und als ein Mittel zum Gimpelfang kennzeichnet, kann niemand ein treuer, und wahrhaftiger Zeuge Jehovas, Gottes sein, ohne dem Volke zu sagen, in welcher Gefahr es sich befindet von der Religion verstrickt zu werden. Darum stammt die Religion von Satan.

Wenn auch viele Menschen dem einen oder dem andern Religionssystem anhängen, besagt das noch nicht, dass diese Menschen alle schlecht wären; sondern da einige von ihnen guten Willens gegen Gott sind, gebietet er, dass ihnen die Wahrheit verkündigt werde um sie zu warnen, damit sie die Religion fliehen und dem Worte Gottes gehorchen möchten. Das ist der Grund, warum Jehovas Zeugen auf sein Gebot hin dem Volke die Wahrheitsbotschaft bringen und dabei auch Banner mit den eingangs erwähnten Aufschriften herumtragen. Die Banner lenken die Aufmerksamkeit auf diese Fallstricke, wodurch man das Volk dazu zu veranlassen hofft, Gottes Wort zu studieren und weitere Erkenntnis zu gewinnen, um solchen Fallstricken entweichen zu können.

Es ist gut bekannt, dass Religion ein Racket ist, weil sie seit langem schon dazu benutzt wird, dem Volke Geld abzuknöpfen, wobei man sich auf die Theorie und Behauptung stützt, dass jemand, der einem Priester Geld gibt, sich selbst oder verstorbenen Angehörigen Erleichterungen verschaffen, seine Strafzeit abkürzen und sich das Heil sichern könne. Der allmächtige Gott könnte sicher nichts gemein haben mit einem Verfahren, durch das ein Geschöpf auf Grund einer Geldentschädigung begünstigt würde. … Eine geringe Anzahl Menschen, die sich als Priester oder Geistliche bezeichnen, verschaffen sich Geld von der großen Masse derer, die aus Unwissenheit ihr Geld hergeben, ohne etwas dafür zu bekommen. Das bedeutet sicherlich, Geld unter falschem Vorwand zu erlangen, und das ist eine der schlimmsten Arten der Gimpelfängerei." ("Trost" 1. 12. 1939 (Nr. 413) S. 6, 7).

Nazi-Zynismus

Auch in der Nazizeit gab es kollaborierende ausländische Journalisten, die sich gelegentlich für das Goebbel'sche Propagandaministerium einspannen ließen. Über einen solchen Fall berichtete in der Schweiz auch die dortige Tageszeitung "St. Galler Tagblatt" am 12. 5. 1939.

Es ist eines jener wenigen zeitgenössischen Dokumente, die das Ausland in gefilterter Form über die Existenz der deutschen Konzentrationslager informierte. Meine Meinung zu diesem Erguss habe ich mit der obigen Überschrift zu Protokoll gegeben. Aber sicher kann man nicht umhin, jenen Artikel eine gewisse zeitgeschichtliche Bedeutung zuzuerkennen. Die Ausführungen im "St. Galler Tagblatt" besagen:

"Kürzlich erhielt der französische Journalist Jean Fontenoy die Bewilligung, einen Tag lang mit eigenen Augen das Leben und Treiben im Konzentrationslager Oranienburg zu beobachten. Er wurde von dem Lagerkommandanten, einem General, persönlich im ganzen Lager herumgeführt und erstattete dann im 'Journal' in einer eingehenden Reportage über diesen interessanten Besuch Bericht. …

'Die Bibelforscher?' knurrte der General. 'O die! Für die habe ich eigene Isolierungsbaracken erstellen lassen. Sie lagern hinter Stachel- und Hochspannungsdraht. Und damit sie mit keinem andern Lagerinsassen verkehren können, ist es jedermann verboten, näher als bis auf zehn Mater an die Absperrwand ihres Lagers heranzukommen.

Kürzlich kam die Frau eines solchen Bibelforschers. Sie flehte um Freilassung ihres Mannes. Ich ließ ihn kommen. Er schaute sie an, als kenne er sie gar nicht. Sie fing an zu weinen und jammerte: 'Wir haben ja nichts mehr zu essen, und ich habe niemand, der uns hilft.' Der Bibelforscher antwortete: 'Du hast Jehova.' Die Frau: 'Ich beschwöre dich, unterschreibe und kehre zu uns zurück.' Der Mann: 'Geh und bete fleißiger zu Jehova…'

Der Kommandant rief einen heran. Dieser kam und meldete sich (nicht so schneidig, wie man es sonst in diesem Lager gewohnt ist):

'Huber, Johann, 27 Jahre. Ernster Bibelforscher.'

Dann entspann sich zwischen den beiden folgender Dialog:

'Weshalb bist du im Konzentrationslager?'

'Ich habe den Herrn angebetet.'

'Was für einen Herrn?'

'Jehova'

'Anerkennst du unseren Führer als dein Oberhaupt?'

'Ich weiß nicht, von wem Sie sprechen. Mein Oberhaupt ist Jehova.'

'Wo ist der, dein Jehova?'

'Im ganzen Weltall.'

'Wer herrscht über Deutschland?'

'Jehova'

'Aber es steht geschrieben, du sollst dem Cäsar geben, was des Cäsars ist, und Gott, was Gottes ist.'

'Es steht geschrieben, du sollst nicht töten.'

'Es steht geschrieben …'

'Aber es steht auch geschrieben …' usw. usw.

'Und ich? Wer bin ich?'

'Sie sind ein Geschöpf Jehovas.'

'Bin ich dein Vorgesetzter oder nicht?'

'Sie sind ein Geschöpf Jehovas.'

'Hast du mir zu gehorchen oder nicht?'

'Ich habe Jehova zu gehorchen.'

'Ach, scher dich zum Teufel! Tölpelhafter Kerl!'

Der General wandte sich wieder zu mir und sagte achselzuckend und mit einem bitteren Lächeln: 'Nun haben Sie es selbst gesehen. Mit denen ist nichts anzufangen. Mit Milde nichts und mit Energie nichts. Es ist alles umsonst.'

Diesem Dialog hatten aus einiger Entfernung etwa fünfzig andere Lagergefangene mit hellem Entzücken zugehört. 'Haben Sie die beobachtet?' fragte mich der Kommandant. Und er fügte bei: 'Begreifen Sie nun, weshalb ich die Bibelforscher absondere? Sie würden mir innert ein paar Stunden im ganzen Lager Revolutiönchen anzetteln. Sie sind von allen die abscheulichste Brut.'

Kam ich neuerdings auf dieses Thema zu sprechen. 'Sie haben also', sagte ich, 'vierhundertfünfzig dieser Bibelforscher in ihrem Lager. Aber gehören die wirklich hierher? Die meisten müssen doch in ihrer Art ganz brave und harmlose Leute sein. Fast so etwas wie Heilige. Auf alle Fälle wirklich harmlos.'

An Stelle des Lagerkommandanten antwortete mir mein Berliner Bekannter, der hohe Funktionär, der mir die Bewilligung zum Lagerbesuch verschafft hatte. Er führte aus:

'Da irren Sie sich gewaltig. Ich hatte es auch gemeint. Sogar noch, als ich das Polizeikommando von X. übernahm. Aber ich wurde sehr bald eines anderen belehrt und musste einsehen, dass sie einen gerade zu verderbenbringenden Einfluss ausübten. … Der Kommunismus schleicht sich heute auf dem Weg über die Bibel ein, wissen Sie, und …'

'Und', legte nun mit einem Faustschlag auf den Tisch der Lagerkommandant los, 'und die Religion ist eine verflucht bequeme Maske. Auf alle Fälle war sie es, solange wir den Leuten aus lauter Christentum nicht unter die Larve guckten. Es nannten sich alle einfach Bibelforscher: die Bolschewiken, die Juden, die Sozialisten, die unverbesserlichen Demokraten schwarzen Gepräges, alle, alle, sogar die Freimaurer, und unter dieser Maske war es ihnen möglich, unbehelligt ihr Gift unter uns zu spritzen. Ich weiß nicht, ob nicht die Freimaurer ihnen die Kunst des geheimen Organisierens beigebracht haben. Aber organisiert sind die Schufte, und wie! Und ausbringen tun sie einander nichts.

Hören Sie nur einmal: In Hamburg hatten wir wiederholt eine Bibelforscherzeitung erwischt … von unerhört systemwidrigen Inhalt, und allerlei ebenso giftgeschwollene Traktätchen. Die Druckerei ausfindig zu machen, gelang uns trotz unablässiger und angestrengtester Bemühungen nicht. … Ich fing schon an zu verzweifeln, als eines Tages einer meiner Polizisten, der mit dem Zollbeamten zusammenarbeitete, einem Reisenden ins Auge fasste, der eine ganze Mappe voll Bücher bei sich trug. Es waren lauter 'Mein Kampf', aber als mein Mann ein Exemplar öffnete, stellt es sich heraus, dass die Hälfte der Blätter herausgeschnitten und durch Bibelforscher-Literatur ersetzt worden war. Der Kerl mit der Mappe wurde verhaftet und im Verhör schwer hergenommen. Aber es war nichts aus ihm herauszubringen. Es war ein Genfer. In seinem Hamburger Logis hatten wir mehr Glück.

Gewöhnlich findet man bei diesen Leuten keine geschriebenen Namen oder gar Adressen. Sie lernen alles auswendig. Aber der Kerl war noch nicht lange genug in Hamburg und in seinem Telefonbuch waren daher gewisse Adressen mit einem Pünktlein versehen.

Ich verhaftete zweihunderfünfzig dieser pünktleinbezeichneten Leute und alle gestehen. Ich mache auch die Druckerei ausfindig und ziehe alles ein: das eben aus dem Druck kommende Blatt, die Traktätchen und meine, nun könne ich aufatmen. Aber ja, woher!

Die zweihundertfünfzig Bibelforscher kamen in ein Konzentrationslager und sind alle heute noch dort, Aber einen Monat nach ihrer Entfernung aus Hamburg erschien das Bibelforscherblatt von neuem. Ich blieb noch sechs Monate in Hamburg und musste fort, ohne die Befriedigung auch der neuen Druckerei oder auch nur einen neuen Blättchenverteiler auf die Spur gekommen zu sein. So. Da haben Sie sie, ihre harmlosen Bibelheiligen.'

Der General biss sich auf die Zähne und fuhr dann fort: 'Unerhört, wie diese Leute undankbar sind für das, was der Führer und unsere Partei alles für Deutschland geleistet haben. Und wenn sie finden, wir drangsalieren diese Heiligen und tun ihnen unrecht, so kann ich Ihnen folgendes sagen:

Ich habe auf meinem Bureau Formulare. Die brauchen die Leute nur zu unterschreiben, und sie können samt und sonders morgen schon wieder nach Haus. Aber sie weigern sich, den Führer und den Staat anzuerkennen. Das haben Sie ja heute Vormittag selber gehört.

Aufwiegler sind es, ein ganz verhängnisvolles Gezücht. Lieber noch Kommunisten und Päderasten, ja Mörder, als diese infamen 'Ernsten Bibelforscher.' Aber ich werde ihnen schon noch beikommen. Es geht um das Heil Deutschlands. Ich werde sie schon noch herumbekommen.

Ich sagte Ihnen soeben, sie brauchen nur ein Formular zu unterschreiben, den Führer und den Staat anzuerkennen, und seien dann frei. Das stimmt für die meisten Lagergefangenen, die nicht gemeiner Verbrechen wegen eingebracht worden sind. Aber bei den Bibelforschern bin ich ein bisschen vorsichtig. Vielleicht lachen Sie, wenn ich ihnen sage, dass auch ich in meiner Art Bibelforscher bin. Ich lasse die Leute nämlich häufig auf mein Bureau kommen und suche sie gütlich zu überzeugen. Ich diskutiere mit ihnen von gleich zu gleich. Ich frage, antworte, stelle Probleme, Dilemma und mache Einwände.

Ich suche ihnen begreiflich zu machen, dass die Bibel ein Ding ist und das praktische Leben ein anderes. Um das zu können, muss ich in der Bibel ebenso beschlagen sein, wie sie selber. Aber wenn ich einen schließlich so weit habe, dass er scheinbar einlenkt und tatsächlich unterzeichnet und meint, er brauche nur noch nach Hause zu gehen um wieder ein freier Mann zu sein, dann sage ich: Halt, mein Junge, gar so rasch geht das nicht. Und ich rufe am gleichen Abend noch sämtliche Bibelforscher des Lagers zusammen, und vor diesen muss der angeblich Bekehrte mit lauter Stimme den Text des unterschriebenen Dokuments lesen und dann die Gründe darlegen, die ihn zur Überzeugung gebracht haben, dass die Unterwerfung unter die Staatsautorität das Richtige sei.

Das fällt natürlich schwer. Die meisten verzichten. Bringt aber einer den Mut auf, seinen Sektengenossen tatsächlich die Stirn zu bieten, so ertönt ein derartiges Geheul von Zusprüchen, Bitten und Vorwürfen, dass der Abtrünnige in den weitaus meisten Fällen das Unterwerfungsbekenntnis zerreißt und reuig erklärt, er ziehe es vor, Bibelforscher und im Konzentrationslager zu bleiben.

Suchen ihn die Sektengenossen dagegen bei der Bekanntgabe der Formularunterzeichnung nicht oder nicht inständig genug zur Rückgängigmachung des Schrittes zu bewegen, so lasse ich ihn augenblicklich frei, denn das ist eine sichere Gewähr dafür, dass sie selber die Überzeugung haben, der Mann sei für die Erforschung der Bibel rettungslos verloren."

"NS-Rechtsspiegel"

In der Nazipublizistik findet man gelegentlich einige kleinere Artikel über die Zeugen Jehovas (Ernste Bibelforscher). Außerhalb der Tagespresse ist der in der Zeitschrift "NS-Rechtsspiegel" vom 11. 7. 1939 erschienene Beitrag, einer der umfangreicheren. Er sei hier nachstehend dokumentiert:

Bibelforscher vor dem Sondergericht

Religiöse Sonderlinge oder Staatsfeinde?

"Das Sondergericht München beschäftigt sich zur Zeit wieder mit einer Reihe von Strafverfahren gegen Anhänger der 'Internationalen Vereinigung Ernster Bibelforscher (IVEB)'. Diese Tatsache ist deshalb bemerkenswert, weil erst vor zwei Jahren die Organisation der IVEB in Bayern vollständig zerschlagen, die meisten ihrer Anhänger zur gerichtlichen Aburteilung gebracht und durchweg mit schweren Freiheitsstrafen belegt werden konnten. Wenn nun heute, trotz des energischen Einschreitens der Staatsanwaltschaft und des Gerichts noch immer derartige Bestrebungen festzustellen sind, so liegt der tiefere Grund für die ständige Aktivität dieser Sekte darin, dass sie ihre Anhänger zum fanatischen Bekenntnis zur eigenen Lehre und zu blinder Opposition gegen die Befehle der Staatsgewalt erzieht.

Es handelt sich bei den Ernsten Bibelforschern nicht um religiöse Sonderlinge, wie es auf den ersten Anblick scheinen könnte. Wären sie nur religiöse Schwärmer, so könnte man über sie mit einem mitleidigen Lächeln des Bedauerns hinweggehn und sie im übrigen sich selbst und ihren Eigenheiten überlassen.

Die IVEB ist aber vielmehr eine Organisation, die als Verbreiter internationaler pazifistischer Ideen dem Staate gefährlich ist, ihn von innen her auszuhöhlen versucht, und die deshalb von jeder verantwortungsbewussten Staatsführung rücksichtslos bekämpft werden muß.

Im Weltkrieg und in der Nachkriegszeit fand sie viele Anhänger unter den verarmten und enttäuschten Massen. Sie ist international eingestellt und begründet ihren internationalen Charakter unter Berufung auf eine Bibelstelle, inhaltlich deren alle Menschen Brüder seien.

Für die Ernsten Bibelforscher ist nicht die wissenschaftliche Bibelauslegung maßgebend, da sie das baldige Ende der Welt und das für sie selbst dann beginnende 'Goldene Zeitalter' erwarten, legen sie die Bibel willkürlich, entsprechend ihren eigenen Wünschen und Zielen aus.

Die Ernsten Bibelforscher verweigern infolgedessen den Kriegsdienst, sie lehnen auch alle Einrichtungen ab die damit zusammenhängen und die im Interesse der Landesverteidigung notwendig sind (z. B. Arbeitsdienst, militärische Ausbildung, Luftschutz usw.)

Die Vereinigung arbeitet als internationale pazifistisch eingestellte Organisation systematisch darauf hin, den Wehrwillen des Volkes zu bekämpfen, zu untergraben und zu zerstören; sie bedeutet sohin eine große Gefahr für die Lebensfähigkeit des deutschen Volkes.

Auch die Erfüllung anderer staatsbürgerlicher Pflichten, z. B. die Ausübung des Wahlrechts wird von den Ernsten Bibelforschern abgelehnt.

Die Anhänger der IVEB verweigern weiter den Deutschen Gruß. Sie berufen sich hierbei auf das Bibelwort, dass das Heil nur von Christus komme. Die Opposition gegen die Befehle des Staates geht bei ihnen so weit, dass im Jahre 1937 anlässlich einer Strafverhandlung gegen Ernste Bibelforscher vor dem Sondergericht München, die im Zuhörerraum anwesenden 'Brüder' und 'Schwestern' dem Gericht in öffentlicher Sitzung die Entbietung des Deutschen Grußes versagten. Dies hatte zahlreiche Bestrafungen und polizeiliche Verhaftungen der sich hier offen bekennenden Staatsfeinde zur Folge.

Die Ernsten Bibelforscher erkennen die Vormachtstellung des Staates in keiner Beziehung an; ihre Tendenzen richten sich gegen die staatliche Ordnung überhaupt. Auf diese Weise wird die Sekte zu einer Auffangorganisation für unzufriedene, haltlose und staatsfeindliche Elemente; ihre Ideen sind zum mindesten edelkommunistischen Inhalts.

Zusammenfassend kann erklärt werden, dass es sich bei der IVEB um eine vom Auslande abhängige Vereinigung handelt, die bei den von ihr verfolgten Zielen in der Lage ist, den Staat zu untergraben. Die Ernsten Bibelforscher sind gefährliche Staatsfeinde, die in stiller und zäher Arbeit die deutschen Volksgenossen für ihre internationalen, volksfeindlichen Ansichten und Bestrebungen zu gewinnen und auf dem Wege über eine angebliche Religion zu Feinden des Staates zu erziehen versuchen.

Daher … verfügte das Bayerische Staatsministerium des Innern für das Land Bayern mit Bekanntmachung vom 13. April 1933 die Auflösung und das Verbot der IVEB. Der beabsichtigte Neuaufbau und die illegale Weiterführung wurden der Reichsregierung mit einem vom 7. Oktober 1934 datierten Protestschreiben, dass sämtliche Bibelforschergruppen gleichzeitig absandten, offiziell mitgeteilt.

Es ist keine Seltenheit, dass Ernste Bibelforscher bei Einkäufen, Spaziergängen, auf Anlagenbänken oder auf der Straße ihnen völlig fremde Personen ansprechen, mit ihnen zunächst ein Gespräch über die Zeitereignisse führen, dieses Gespräch dann auf den Glauben überleiten und anschließend ihre verbotene Lehre predigen; dazu erachten sie sich als 'Zeugen Jehovas' verpflichtet.

Die Neuorganisation gelang im Reich bis zu einem gewissen Grade; ihre erste Aufdeckung durch die Polizeibehörden erfolgte im Jahre 1936....

Es wurde eine 'Resolution' ausgefertigt, die an einem bestimmten Tage anfangs Dezember 1936 im ganzen Reichsgebiet durch die Anhänger der Vereinigung schlagartig von Haus zu Haus verbreitet wurde. Die 'Resolution' enthielt neben zahlreichen unwahren Behauptungen über innerdeutsche Vorgänge die gröblichsten Beschimpfungen der Obersten Führung des Reiches.

Im Frühjahr 1937 erfolgte die restlose Aufrollung der gesamten Organisation in Bayern; ihre Funktionäre wurden sofort in Haft genommen und durchwegs mit mehrjährigen Freiheitsstrafen belegt.

Dennoch geben die Ernsten Bibelforscher ihr Spiel noch immer nicht verloren. Mit einem Fanatismus sondergleichen betreiben sie ihre Lehre und die Werbung für sie weiter.

Die Strafen, die wegen illegaler Betätigung für die IVEB ausgesprochen werden, sind für die höheren Funktionäre sehr hoch; denn sie sind es ja, die weiterhin den Ungehorsam gegen den Staat und seine Anordnungen predigen. Der nationalsozialistische Staat, der bisher schon mit einer Reihe von starken Gegnern aufgeräumt hat, rückt auch diesen seinen Feinden energisch zu Leibe; er kennt ihre Kampfesweise, stellt sich darauf ein, und es besteht kein Zweifel, dass die für den Bestand des Reiches nicht zu übersehende Gefahr in kurzer Zeit endgültig gebannt sein wird."

1939.Kommentarserie

Der nächste Jahrgang   1940

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