Politische Kontinuitätslinie: Barry Goldwater und Mitt Romney
Auch zu dieser Kontnuitätslinie gehörende: Der unselige Herr McCarthy
Sicherlich wäre es vermessen den „Propheten" spielen zu wollen. „Tausendmal
berührt und nichts passiert", textete mal ein Liedsong.
Aber auch das ist wahr: Der Krug geht solange zu Boden bis er bricht!
Noch was. Vielfach beschwert man sich hierzulande über den größeren Grad an
Religiosität gerade auch in islamistischen Kreisen. Wie lange sind denn
besagte islamistische Kreise eigentlich im hiesigen Kulturkreis präsent?
Doch wohl mehr oder weniger erst ab dem Jahre 1961, als die hiesige Politik
der „Einfuhr von Gastarbeitern" begann, dieweil der Osten - vorher als
Ausbeutungsreservoir genutzt - seinen „Laden dicht gemacht hatte".
Das sind dann mal gerade - etwa - fünf volle Jahrzehnte, auch von Mitbürgern
die islamistisch geprägt sind. Das ist in geschichtlicher Dimension ein
unbedeutender „Klacks".
Die Religiosität die etwa zu Zeiten eines Martin Luthers herrschte, und die
heutzutage weitverbreitete „Kulturchristenmentalität" (Gott ist ein guter Mann
und das war es dann) sind wohl auch kaum zu vergleichen. Auch da hat eine
schleichende Erosion zu lasten der Kirchen stattgefunden. Trotz dieser Erosion
existieren die sogenannten Großkirchen bis heute weiter.
Warum sollte die Sachlage ausgerechnet im islamistischen Bereich, so viel
anders sein. Auch da wird es - zumindest hierzulande unter pluralistischen
Rahmenbedingungen - mal eine schleichende Erosion geben. Ob sie unsereins noch
miterlebt, kann man zwar berechtigt anzweifeln. Aber prinzipiell wird es sie
geben. Nur geht das etlichen bereits säkularisierten Zeitgenossen alles zu
langsam.
Gerade die Geschichte der Zeugen Jehovas kann doch lehren, wozu Fanatismus
religiös geprägt, fähig ist.
Im 1950er Zeugen Jehovas Prozess, soll einer der zu lebenslänglich
verurteilten, den Richtern kommentierend den Satz ins Gesicht geschleudert
haben:
„Meine Herren - sie meinen wohl ein Jahr".
Nein, besagte Herren meinten keinesfalls nur „ein" Jahr, und die letzten
dieser Verblendeten, sofern sie überlebten, konnten erst Mitte der 1960er
Jahre als gebrochene Menschen, die Gefängnismauern wieder verlassen. So
gebrochen, dass die WTG bis heute, weder über einen Friedrich Adler noch einen
Willi Heinicke, einen Jubelbericht publizierte, wie sie es vom Prinzip her,
gern getan hätte. Dieweil es nämlich nichts zu „jubeln" gibt!
Religion hat ein zähes Leben, dass schon so mancher unterschätzt hat. Man kann
letztendlich nur auf den Faktor Erosion hoffen. Dazu sind aber auch
Rahmenbedingungen notwendig, nicht zuletzt auch ökonomischer Art, die selbige
begünstigen. Gibt es diese Begünstigung nicht, ist alles jammern über eine
„Steinzeitreligion" vergeblich!
Zurückkommend zum eigentlichen Thema:
Die soziale Gemengelage war also in Deutschland des Jahres 1927 für die
Russell/Rutherford-Religion, durchaus noch günstig. Jedenfalls erheblich
günstiger, als zur gleichen Zeit in den USA.
Allerdings holte diese Proletenreligion, just zu der Zeit auch massiv in den
USA auf. Als wesentlichen Faktor, darf man dort, durchaus die Verwendung des
Radios bewerten. In der Frage hingen ja bekanntlich in Deutschland, die
Trauben ziemlich hoch, in unerreichbaren Höhen. Das war in den USA in der Tat
anders. Und das sahen wohl auch die Rockefeller und Co dort so, die ja schon
traditionell in Religion als geeignetes Volksverdummungsmittel, zu investieren
pflegten.
Eine Offenlegung ihrer Kassenbücher, für Nichtbejubler, erfolgt ja seitens der
WTG prinzipiell nicht. Aber das da zu der Zeit erhebliche Geldmengen für die
Radioforcierung zur Verfügung standen, ist auf dem Indizienwege, unschwer zu
erkennen.
Das Jahr 1927 kann man in Deutschland vielleicht auch als das Jahr bezeichnen,
indem erstmals in größerem Umfange, auch die Tagespresse von den
Bibelforschern Kenntnis nahm. Nun braucht man sich wahrlich nicht zu wundern.
Ist dieser Zustand erst mal erreicht, findet man das auch genüsslich in der
eigenen Zeitschrift „Das Goldene Zeitalter" mit zelebriert. Und genau so ist
es denn auch abgelaufen. Besonders die GZ-Ausgabe vom 15. 9. 1927, kann man
als solch eine „Jubelausgabe" bezeichnen. Liest man in der selbigen doch unter
anderem:
Augenblicklich steht Toronto im
Zeichen einer großen Bibelforscher-Konferenz, zu der sich mehr als 8000
Delegierte aus allen Teilen der Vereinigten Staaten Amerikas und Canadas
zusammengefunden haben. Im Automobilverkehr der Stadt treten überall die
Autos der Bibelforscher - in besonderer Weise durch Abzeichen kenntlich
gemacht - hervor. Vor der eigentlichen Versammlungshalle, in der die
Konferenz stattfindet, halten beständig mehrere 100
Bibelforscher-Automobile. Die größte Halle der Stadt, dass Coliseum im
Ausstellungsgelände, ist am Eröffnungsmorgen der Konferenz gut besetzt.
Der Bürgermeister Stadt begrüßt die Konferenzteilnehmer im Namen der Stadt
und bezeugt, dass dies die größte christliche Konferenz sei, die je in
Toronto stattgefunden habe.
Dieser Vortrag Richter Rutherfords hat eine Verbreitung über die ganze
Welt gefunden, wie sie nie ein anderer Vortrag gefunden hat und zwar
mittels Radio. Durch vertragliche Verbindung mit den meisten
Radiostationen Amerikas wurde dieser Vortrag über 53 Radiostationen
weitergegeben.
Die Presse Amerikas und Kanadas berichtete, dass es das erste Mal sei,
dass ein Vortrag eine solche Verbreitung fand wie dieser. Selbst die
bedeutendsten Vorträge des Präsidenten der Vereinigten Staaten haben keine
so umfassender Verbreitung gefunden wie dieser Vortrag. Acht Tage dauerte
diese Konferenz.
Und dann jubelt das „Goldene Zeitalter" weiter:
Hauptversammlung der
Bibelforscher in Berlin
„So etwas hat Berlin noch nicht gesehen!"
So scheint es selbst aus den verschiedenen Berichten der großen Berliner
Presse hervorzugehen, die die Meldungen über die große
Bibelforscherkonferenz vom 27 bis 29. August im Sportpalast brachte. 10
bis 12.000 Vertreter waren anwesend aus allen Teilen des deutschen Landes,
und außerdem Vertreter aus der Schweiz, Österreich, Tschechoslowakei,
Ungarn, Rumänien und Amerika.
(anonymer Pressebericht) Die Literatur der Bibelforscher hat schon eine
enorme Verbreitung erfahren. Wir uns von gut unterrichteter Seite
mitgeteilt wird, wurden allein in Deutschland über 12 Millionen Bücher
Bibelforscher verbreitet, und die Bücher Richter Rutherfords allein haben
in den letzten sieben Jahren eine Verbreitung von 30 Millionen über die
ganze Erde gefunden. Dies sind Zahlen, die wohl von keiner zweiten
Bewegung aufzuweisen sind."
Und zum inhaltlichen vernimmt man:
Richter Rutherford sagte, er
wisse nichts über die deutsche Geistlichkeit persönlich zu sagen, aber er
wisse, dass in diesem Sinne die Geistlichkeit Amerikas ganz
entgegengesetzt den Grundsätzen der Bibel gehandelt habe, und dass deshalb
überall, wo ähnliches geschehen sei, die Geistlichkeit Schuld trage dafür,
dass die Bibel mit ihren Forderungen: Du sollst nicht töten nicht beachtet
wurde und der schreckliche Krieg kam.
Er sagte, dass ein hervorragender Geistlicher Amerikas, Dr. Hillis, einer
der schlimmsten Kriegshetzer für den Eintritt Amerikas in den Krieg gegen
Deutschland gewesen sei und dies auf Bezahlung durch den amerikanischen
Banktrust. Richter Rutherford trat öffentlich dagegen auf und erklärte,
dass die Hetze der Geistlichkeit für den Krieg ein schlimmes Unrecht sei.
Dies trug ihm den Hass der Geistlichkeit ein und diese richtete eine
Petition an die Regierung mit den Ersuchen, ihn zu töten. Dies ist ihnen
allerdings nicht gelungen, aber es gelang ihnen, ihn wegen seines Glaubens
an die Bibel, und weil er für Wahrheit und Gerechtigkeit eintrat ins
Gefängnis zu bringen.
Aber auch nach dem Krieg war dieser Geist noch nicht beendet, und setzte
genannter Geistlicher sein hetzerischer Tätigkeit fort, er veröffentlichte
einen Artikel, in dem es heißt, dass 10 Millionen Deutscher kastriert
werden müssten, um - diesen Ausdruck gebrauchte er - diese ganze Brut
auszurotten.
Der Wermutstropfen im Jubelgesang
Vor der Tür des Sportpalast
wurden vom Evangelischen Preßverband herausgegebene Pamphlete verteilt, in
welchen die bekannten
Unwahrheiten P.
Bräunlichs
aufgewärmt wurden. Wir haben erfahren, dass es zwecklos ist, P. Bräunlich
selbst zu ersuchen, seine Unwahrheiten zu berichtigen, da er trotz unserer
Berichtigung es nicht tut, sondern weiter verleumdet. Der evangelische
Presseverband mag stolz sein auf diesem Kampfgenossen. Weil aber immer
aufs neue seine Unwahrheiten verbreitet werden, erklären wir bei dieser
Gelegenheit erneut, dass seine Kombinationen, die Bibelforscherbewegung
trage den gleichen Charakter wie der
Taxilschwindel,
oder Bibelforscher seien Religionsspötter und Vorboten des Bolschewismus,
oder, der Leiter der deutschen Bibelforscher habe an der Kieler
Matrosenrevolution teilgenommen und ähnliche Behauptung mehr, aus der Luft
gegriffene Erfindungen (nur der Anstand verbietet uns das Wort „Lügen"
anzuwenden) des Herrn P. Bräunlich sind. Wenn man die Bibelforscher mit
solchen persönlichen Verunglimpfungen und Schmähungen zu verleumden sucht,
weiß man nur, dass man ihnen geistig nicht gewachsen ist. Was die
Bibelforscher gebrauchen, ist die Bibel, ihre Gegner gebrauchen die
Verleumdung.
Weiter in GZ-Bericht
Fast alle großen Zeitungen
Berlins brachten Spaltenlange Berichte.
Berliner Morgenpost Nr. 207 vom 30.8.1927
Vossische Zeitung Nr. 207 vom 30.8.1927
B. Z. am Mittag Nr. 228, vom 30.8. 1927
Berliner Volkszeitung Nr. 408 vom 30.8. 1927
Die WTG zitiert zwar genannte Presseartikel, aber doch eher selektiv.
Nachstehend seien selbige noch (kommentarlos) dokumentiert:
Berliner Morgenpost
Dienstag, 30. August 1927
S. 3:
„Ernste Bibelforscher
Massenversammlung im Sportpalast
Die Internationale Vereinigung ernster Bibelforscher, die seit ungefähr
fünf Jahren in Deutschland festen Fuß gefaßt hat, hielt ihre
Jahres-Heerschau im Sportpalast ab, die gestern Abend mit einem Vortrag
ihres geistigen Oberhauptes, des Richters Rutherford aus New York,
abschloß. Die große Halle war bis auf den letzten Platz gefüllt, und eine
scharfe polizeiliche Absperrung mußte einsetzen, um Tausende und
Abertausende fernzuhalten. Selbst der große Hof vor dem Gebäude war dicht
mit Menschen gefüllt, die vergebens hofften, Einlaß zu finden.
Die Bewegung, deren Sprecher Rutherford ist, und die durch wörtliche
Auslegung der Bibel den Beweis zu führen sucht, daß wir am Beginn des
tausendjährigen Reiches stehen, ist nicht neu. In allen Zeiten, in denen
die Menschen durch große Leidensperioden, wie sie der Weltkrieg mit sich
gebracht hat, geschritten ist, tauchten die Verkünder des bevorstehenden
Reiches Gottes auf und fanden Zuspruch von Tausenden.
Der große Saal, der mit den blau-weiß-gelben Fahnen der Vereinigung und
mit Bibelsprüchen geschmückt war, machte einen festlichen Eindruck, als
Richter Rutherford die Rednertribüne bestieg und seine Ansprache in
englischer Sprache hielt, die Satz für Satz ins Deutsche übersetzt wurde
und so unmittelbar wirken konnte. Rutherford ist ein glänzender Redner,
der seine Gemeinde zu fesseln und zu bewegen versteht. Jede seiner
Behauptungen belegte er mit Bibelzitaten. Jetzt sei die Zeit gekommen, von
der alle Propheten reden. Nun habe der Kampf Aller gegen Alle begonnen,
von dem die Heilige Schrift spreche.
Es war ergreifend auch für die, die Rutherfords Gedanken nicht zu folgen
vermögen, als der geschickte Redner am Schluß seiner Ausführungen die
Frage an die Versammelten richtete, ob sie nicht für eine Regierung des
Rechtes, eine Regierung der Verbrüderung, eine Regierung, die keinen
Unterschied, keinen Krieg und keine Arbeitskämpfe kenne, eintreten wolle,
und sich die zehntausend, die den Sportpalast füllten, wie ein Mann
erhoben. Gleichzeitig setzten die geschickt verteilten Chöre der Gläubigen
ein, und machtvoll schall das „Lobe den Herrn" von geschulten Stimmen
gesungen durch die Halle.
Richter Rutherford erklärte nach der Versammlung unserem Mitarbeiter, daß
er seit sechs Jahren, als er nach dem Krieg nach Deutschland gekommen sei,
mit großer Sorgfalt gerade den Aufbau der deutschen Gemeinden verfolgt
habe. Er habe in Magdeburg, der deutschen Zentrale der Bibelforscher, eine
große Druckerei für 100.000 Dollar gebaut, die über eine eigene
Radiostation verfüge
[Einfügung: Bezüglich der Radiostation hat der Journalist da offenbar etwas in die falsche Kehle bekommen],
und die seine Druckschriften mit der frohen Botschaft, die er zu verkündigen habe, in Hunderttausenden von Exemplaren vertreibe. Dreißig Millionen seiner Bücher hat Richter Rutherford umgesetzt. Jedenfalls ist seine Organisation eine ganz hervorragende. Daß die evangelische Kirche sie ernst zu nehmen beginnt, geht daraus hervor, daß sie vor dem Sportpalast durch Flugblätter eine starke Gegenpropaganda machen ließ, in der die Bibelforscher scharf angegriffen werden.
Vossische Zeitung
Dienstag, 30. August 1927
S. 2:
Das Reich der Gerechtigkeit
Die Bibelforscher im Sportpalast
Drei Tage lang hat die „Vereinigung der Bibelforscher" unter ihrem
Präsidenten, dem amerikanischen Richter Rutherford, in Berlin verweilt.
Die Bibelforscher betreiben nicht die gottlose Kunst historischer und
philologischer Kritik, die uns die heiligen Schriften als Werk von
Menschen und entstanden unter menschlichen Bedingungen darstellen möchten,
sondern im Gegenteil, sie zweifeln an keinem Buchstaben und durchforschen
die Bibel nach Prophezeiungen, die das Reich Gottes und seine nahe
Heraufkunft verkünden.
Gestern abend hielten sie eine öffentliche Werbeversammlung im Sportpalast
ab. Wieviel Personen faßt der Sportpalast? Sagen wir: 10.000. Zehntausend
Personen füllten ihn bis auf den letzten Platz, und ebenso viele, wenn
mann Richter Rutherford glauben darf, warteten draußen vergebens auf
Einlaß.
Inmitten des überfüllten Saales, unter mächtigen weißen Schildern, die in
blauer Schrift die hoffnungsvollen Worte: Frieden, Leben, Glück, Liebe,
Treue, Freiheit, Gesundheit, Wohlfahrt zeigten, behütet von Ordnern, die
einander „Bruder" nannten, hielt Rutherford seine Rede in den
Lautsprechern, so daß man ihn bis in den letzten Winkel verstand, auf
Englisch, wobei aber jeder Satz von einem Herrn neben ihm sogleich
übersetzt wurde.
Man erfuhr aus seinem Munde mancherlei über ihn selbst. Wenn man ihm
glauben darf, so hat sich Richter Rutherford in Amerika für Deutschland
gegen Amerikas Kriegsbeteiligung eingesetzt, und ist dafür mit Gefängnis
bestraft worden. Er hat es sich mit seinen Freunden zur Aufgabe gemacht,
das Reich Gottes unter den Menschen zu verkünden, und tat es, ohne Geld
dafür zu nehmen. Auch seine Schriften vertreibt er ohne Gewinn, nur zum
Selbstkostenpreis, und es ist ihm gelungen, im Laufe der Jahre ihrer
dreißig Millionen abzusetzen. Wenn man Richter Rutherford glauben darf.
Und was wußte er den zehntausend Hörern zu verkündigen? Das Reich Gottes,
das Reich der Gerechtigkeit, wie es die Bibel alten und neuen Testamentes
an vielen Stellen verspricht, darin es keine Ungerechtigkeit, keine Not,
keinen Krieg, wohl aber Glück, Gerechtigkeit und Frieden geben wird.
Er beruft sich zum Beweise dieser Verkündigungen auf Bibelstellen, die er
nach Kapitel und Vers angab, und es fanden sich im Publikum nicht wenige,
die das heilige Buch bei sich führten und sogleich nachschlagen. Ohne
Zweifel haben sie festgestellt, daß an den angegebenen Stellen genau das
stand, was vorgelesen wurde, und der Referent, der keine Bibel zur
Verfügung hatte, zweifelt nicht, daß Richter Rutherford in diesem Punkte
Glauben verdient.
Das Reich Gottes, das die Bibel verheißt, ist nichts Neues. Neu ist, daß
eben jetzt, wenn man Richter Rutherford glauben darf, die Prophezeiungen
der Bibel begonnen haben, in Erfüllung zu gehen. Mit dem Ausbruch des
Weltkrieges hat es angefangen, ist genau nach der Bibel mit Pestillenz,
Hungersnot und Erdbeben weiter gegangen und wird damit enden, daß die
Herrschaft des Messias mit ihren Segnungen beginnt. Ja, Millionen von
denen, die heute leben, werden, weil sie das Reich Gottes noch erleben,
niemals sterben.
Zehntausend hörten sich die Botschaft an, sangen ergriffen den ehrwürdigen
Choral „Lobet den Herrn" und dankten im Gebet Gott dafür, daß die
Herrschaft des Messias so nahe bevorsteht. Es sah so aus, als glaubten sie
dem Richter Rutherford. Hoffentlich darf man ihm glauben,
Inquit
(Repro aus dem digitalisierten Zeitungsbestand der Berliner Staatsbibliothek)
B. Z. am Mittag
Dienstag, 30. August 1927
S. 3
Christian Bouchholtz
„Millionen jetzt Lebender werden
nie sterben!"
Das Bibel-Meeting im Sportpalast
Der Amerikaner, Richter J. F. Rutherford, spricht vor 15 Tausend Berlinern
im Sportpalast
Was ist los?
Riesenrote Plakate schreien an Litfasssäulen:
Rutherford spricht im Sportpalast. Sein Bild prangt. Worüber will er
sprechen? Man weiß es nicht genau. Vage Andeutungen, daß man in der ganzen
Welt wieder zum Krieg rüstet und daß deshalb alle Regierungen der Welt
gestürzt werden müssen. Das „goldene Zeitalter" beginne ...
Die Berliner haben zu Tausenden von Malen diese Worte schon von den
Litfasssäulen läuten hören, und immer waren es Glocken ohne Klang, die
nicht einmal soviel Menschen locken konnten, daß ein kleiner Saal gefüllt
wurde. Aber diesmal?
Der Sportpalast war zur Zeit der größten Boxkämpfe, der Sechs-Tage-Rennen,
der Böse-Buben-Bälle noch nie so überfüllt, wie bei dieser Predigt. 15.000
Menschen in der Riesenhalle. Vor dem Sportpalast Tausende, die nicht mehr
hineinkommen. In Scharen stehen sie da. Strenge Polizeisperrkette.
In den Seitenstraßen Lastautos voller Schupo in Bereitschaft,
Unter die Scharen, die herumstehen, werden Flugblätter verteilt:
„Aber mit den Russell- und Rutherford-Nachbetern
wollen wir nichts zu tun haben."
(Herausgegeben von dem evangelischen Preßverband Deutschlands).
Die Gegenpropaganda ist schon
da. Auch die Heilsarmee rüstet sich schon, heißt es.
Was ist denn plötzlich in die Berliner gefahren, daß sie in solchen Massen
die Sportpalast-Kirche stürmen, um die neuen Lehren der „Ernsten
Bibelforscher" in sich zu saugen?
Das evangelische Flugblatt klingt beinahe defensiv:
„Die ev. Kirche bedarf dieser verwirrenden amerikanischen Sekte nicht. 165.000 hilflose Kinder finden in ihren 3800 Heimen liebevolle Aufnahme. 1900 Kranken- und Pflegeanstalten, 950 Altersheime, 35.000 Diakonissinnen."
Passiert man als Pressevertreter, heiß
beneidet, den Polizeikordon, kommt man auf den geräumten Vorhof. Plakate
an Mauern und Baumstämmen. I, II, III usw. In Abteilungen sind die
Gläubigen der Gemeinden Stettin, Stendal usw. erschienen, tragen beim
Hinausgehen Plakate mit dem Namen der Stadt hoch.
Lastautos stehn da. Ein halbes Dutzend. Darauf Plakate „Das Goldene
Zeitalter". Sie kommen aus Magdeburg, wo die Zentrale der „ernsten
Bibelforscher" eingerichtet ist. Über dem Portal prangt ein Leuchtgebilde:
Weltkugel - Goldkrone - schief hineingesteckt ein Kreuz-Symbol. Das Kreuz
wird die Herrschaft über den Erdball führen.
Drinnen: Überwältigender Anblick. Nicht ein Platz mehr zu haben.
Riesenhaft der Hintergrund drapiert in Gelb, Blau, Weiß um das hohe
Podium, das mit Blumen überreich geschmückt ist.
Ein großes Orchester. Auf den Galerien Chöre.
Die Ordner - Hunderte - tragen alle das Symbol der ernsten Bibelforscher
im Knopfloch.
Dort ferne, nicht erkennbar, stehen Richter Rutherford und sein
Dolmetscher hinterm Mikrophon. Und in allen Winkeln des Riesensaals hört
man sie sprechen, den Amerikaner und seinen Übersetzer, durch die
Lautsprecher. Immer wieder die Zitate:
„Hesekiel 2, Vers 3" und „Matthäus 11 Vers 11" und „Moses 4, Vers ..."
Und von den Galerien strahlen die Riesenworte: „Freiheit", „Gesundheit" -
„Wohlfahrt" - „Frieden" - „Leben" - „Liebe" - „Gerechtigkeit" - „Treue"
und. „Das Ersehnte aller Nationen wird kommen!" Und: „Und der Tod wird
nicht mehr sein" - Offenb. 21, Vers 4.
Rutherford spricht. Man kann zwischendurch Erfrischungen zu sich nehmen,
Schokolade, Minza, Himbeer, sogar schäumendes Bier. Aus Zerstäubern wird
Fichtennadelduft gespritzt.
Packend ist der Vortrag nicht. Kühl-sachlich spricht er. Fast
Gemeinplätze. Nur ab und zu blitzt es durch, aber so fernher und donnerlos,
daß man sich nicht fürchtet.
Jedoch was ist die Lehre?
Sie stammt von C. T. Russell, der 1916 im Schlafwagen eines Expreßzuges in
Amerika starb.
Sein Erbe übernahm Rutherford, der Richter, der vor allem ein
Propagandaagent ist. Viele Millionen schwören in Amerika auf ihn. Er hat
acht Funkstationen, von denen aus er zu seinen Gläubigen spricht.
Seine Thesen: Das goldene Zeitalter ist da! Das 1000jährige Reich des
auferstandenen Christus ist seit 1874 in der Welt, Christ unter uns.
Millionen heute Lebender werden nicht sterben. Nieder mit allen
Regierungen von heute, mit allen Kirchen von heute. Es gibt keine Hölle.
Im Himmel sind auch keine Toten. Es gibt keine Seele. „Ist es vernünftig,
anzunehmen, daß Gott einem Geschöpf einen Asbest-Leib gibt, damit es ewig
gebrannt werden kann?" Aber diese gefährlichen Dinge stehen erst in den
Büchern, die er in einem Lastauto-Zug herangebracht hat.
Schluß der Predigt:
„Und wenn Sie jetzt eine Regierung fänden, unter der Sie dauernden Frieden, dauernde Glückseligkeit, dauernden Wohlstand, Gerechtigkeit, Gesundheit hätten, so daß Sie nicht sterben würden, würden Sie nicht mit Freuden für eine solche Regierung stimmen? Wer für sie stimmen würde, der stehe auf!!"
Und - 15.000 Berliner stehen
auf!
Darauf spielt das Orchester: Großer Gott, wir loben dich. Der Primgeiger
dirigiert mit Fidelbogen und Geige. Und dem Prediger wird - zugeklatscht!
Und er nimmt das Taschentuch und winkt.
Gläubige bilden dann einen Kordon um ihn. Ich durchbreche den Kordon.
Spreche mit dem hochgewachsenen, schwarzgekleideten Mann, dem ein
Monokelband über die Hemdbrust geht. Er ist entzückt von seinem Empfang in
Berlin. Er sagt:
„Deutschland ist das beste Land von ganz Europa, sonst hätte es sich nicht so rasch erholt."
300.000 Mark haben sie jetzt für
Propaganda ausgegeben. (Mit dem Verkauf der Bücher dieses bestbezahlten
Schriftsteller-Propheten mit den acht Funkstationen und mit der
Zeitschrift „Das goldene Zeitalter" werden sie wieder hereinkommen.
Er geht jetzt nach Dänemark. Wird er auch Dänemark für das beste Land
Europas erklären? Aber kann man einem Mann böse sein, der einem das
Paradies auf Erden verspricht, das goldene Zeitalter, ewiges Leben und
alles, was es sonst an lieblichem sonst gibt. Mitnichten.
Berliner Volks-Zeitung
[Einfügung. Chefredakteur selbiger Otto Nuschke. In einer späteren Phase
seiner Biographie (DDR), dort noch als Alibi-Aushängeschild, stellvertretender
Ministerpräsident, und auch für Kirchenfragen mit zuständig (auf dem Papier)
das allerdings nicht das Wert war, was es denn vielleicht gekostet hat. Ende
der Einfügung]
Dienstag, 30. August 1927, Morgen-Ausgabe
Robert Fischer
Run zu Rutherford
Achtzig Jahre Zuchthaus - Das Wort an den deutschen Arbeiter - Kapital und
Kirche. Die Zeit der letzten Prüfung - Viele Tausende wollen ihn im
Sportpalast hören. Schon einmal war der Richter J. F. Rutherford,
Präsident der Internationalen Bibelforscher, auf einer Inspektionsreise in
Europa. Vor sieben Jahren. Damals konnte er keinen Paß nach Deutschland
erhalten. So organisierte er von Bern aus den europäischen Zweig der
I.V.E.B. und gründete mit dem Sitz in Zürich ein Zentraleuropäisches
Bureau, des Jurisdiktion die Vereinigungen in Frankreich, in der Schweiz,
in Belgien, Holland, Österreich, Italien, Deutschland unterstehen sollten.
Jetzt aber ist er in Berlin, um einmal zu den Gliedern seiner Vereinigung
zu sprechen. Etliche Stunden vor seinem Vortrag gewährt er ein Interview.
Der erste Eindruck. Ein Hüne von Erscheinung, breitschulterig, nicht
übermäßig herkulisch, echt amerikanischer Typ. Im diametralen Gegensatz
die Stimme, in welche wohl nie die Härte kam, weich das Wort, weich die
Gesichtszüge, weich die Augen im eigentlichen Glanz. Kein Reformator aus
unruhigem Blut, kein Feuerkopf, kein kriegerischer Geist. Gleich das erste
Wort bestätigt das.
„Man hatte mich zu achtzig Jahren Zuchthaus verurteilt, weil ich nicht in die Kriegspropaganda einstimmen wollte, als Amerika der Entente zur Seite sprang."
Den widerlichsten Prozeß hat man
ihm damals gemacht, mit den gemeinsten Mitteln, ihm und sieben
Mitarbeitern. Und hat sie doch wieder freigelassen, nach neun durchbüßten
Monaten, als der Krieg beendet war.
Auch das erzählt er ruhig, unter der Begleitung eines feinen Lächelns, als
sollte es zeigen, wie leid ihm die Menschen tun, die nicht anders als in
den Gedankengängen Krieg und Zuchthaus denken können.
„Das ist das Lebenswerk für die Armen zu schaffen.
Von den Regierungen kommt ihnen keine Hilfe. Auch von den Kirchen nicht
Wohl steht die Wahrheit in der Bibel. Aber die Priester lehren sie nicht.
Sie lehren lediglich die Politik."
„In Amerika stehen die Prediger in Verbindung mit den Bankiers. Dr . Hillis,
einer ihrer bekanntesten Sprecher hat in den Krieg mit Deutschland gehetzt
und die American Bankers Association hat ihn dafür bezahlt. Ich bin nicht
dafür!"
Und - wer weiß, welche
Ideenverbindung ihm das eingab -
„Die Deutschamerikaner sind gute Bürger. Die Deutschen sind die besten
Bürger!"
Das ist kein Kompliment gegen
das Land, dessen Boden er betrat. Bestimmt nicht. Das ist so echt, gerade
so - wie seine Traurigkeit über die amerikanischen Priester. Und er läßt
nur einen Abschnitt Hillischen Geistesgutes abschreiben, das eine einzige
Gemeinschaft ist, so pervers, daß man ihn keinem Papier anvertrauen kann.
Inzwischen sagt mir Paul Balzereit, wie es heißt, ein ehemaliger
Werftarbeiter, nun Leiter des deutschen Zweiges der I.V.E.B., ein Wort für
den deutschen Arbeiter.
„Sie sollten erkennen, daß die Bibel das wichtigste Mittel in ihrem Kampfe ist. In ihr finden sie ihr verbrieftes Recht. Es gibt keine Forderung, die sie erheben und die sie nicht auf ein biblisches Zeugnis stützen könnten. Es ist die weiseste Politik der Führer, den Massen immer wieder vor die Augen für führen. Der deutsche Arbeiter sucht etwas Höheres, etwas was ihn erhebt. Dieses Suchen treibt ihn stetig in die Arme der Kirche zurück, aber wie er sagt" - und Balzereit deutet auf Rutherford - „die Priester bringen die Politik, nicht die Bibel."
Dann gibt er Rutherford ein letztes Wort.
„Die Erde ist für alle Menschen, nicht nur für einige. Das Werk der Bibelforscher wird erst vollkommen sein, wenn sich alle Verheißungen erfüllt haben."
So scheidet man von einem
Menschen in dem Bewußtsein, daß er seine Kräfte einsetzen will an die
Genesung einer ganzen Welt. An eine Genesung „von innen heraus" - wie er
sagte.
Die Ideen, welche Rutherford propagiert, liegen klar. Dem einen sind sie
Evangelium, dem anderen erscheinen sie interessant. Bleibt Streitfrage,
Streitfrage, so steht doch fest, daß hier ein Mann am Werke ist, der
unbeirrt sein Ziel verfolgt. Und das bedeutet heute manches.
Um halb acht vor dem Sportpalast. Der Vortrag ist für acht Uhr angesetzt.
Fährt von Kampen sechs Tage und sechs Nächte über die Bahn, geht
Breitenströter über zehn Runden, ist es schlimm.
Heute spricht Rutherford. Heute ist es schlimmer.
Der Sportpalast ist überfüllt. Zehntausend Personen faßt er normalerweise,
mehr haben Einlaß gefunden. Man schüttelt den Kopf, wie das möglich ist.
Vor den Türen staut sich die Masse, die keinen Einlaß mehr finden kann. Im
Vorhof drängen sich die Menschen. Straßenwärts hat die Schupo alle Not,
die Türen geschlossen zu halten. Noch immer strömen die Massen. Kurz nach
acht sind es noch einmal Tausende, die zu Rutherford wollen.
Traktate werden in verschiedenster Fülle verteilt. Die Ernsten
Bibelforscher mit ihrem blauweißgelben Abzeichen treiben gute Propaganda.
Man rührt und rührt sich nicht, weiß, daß im Sportpalast Lautsprecher
aufgestellt sind. Nun fordert man, daß die Rede auch nach außen übertragen
wird. Indessen beginnt Rutherford, es geschieht nichts.
Inzwischen hat auch der Häusser-Anhang sich eingefunden und versucht, aus
der Menschenansammlung Kapital zu schlagen.
Drinnen redet Rutherford:
1914 hat das Unglück begonnen, das „Ende der Welt" aus der Absicht Gottes,
den Menschen die Bosheit zu zeigen; auch 1918 bedeutet kein Ende, der
Völkerbund, die Delegaten reden vom Frieden, aber England, Frankreich und
Amerika rüsten. Das ist die letzte Prüfung. Was dann kommen wird, ist
goldene Zukunft. Rutherford belegte das mit Bibelstellen; ob überzeugend,
sei dem Urteil des Einzelnen anheimgegeben.
Die Ernsten Bibelforscher haben eine Chance gehabt. Wie wird sie
ausschlagen?