Polnisches Verbot

Nicht nur in der DDR, auch in anderen Ostblockländern kam es zu einem Verbot der Zeugen Jehovas. Unter ihnen ragt besonders Polen hervor, weil dort wohl nach der DDR, die numerisch größte Zahl von Zeugen Jehovas vorhanden war. In der "Erwachet!"-Ausgabe vom 22. 12. 1951 wurde über Polen berichtet. Nachstehend eine Zusammenfassung einiges des dort gesagten.

Bereits am 22. April 1950, wurde von der polnischen Geheimpolizei die Verhaftung von sechs WTG-Funktionären, aus ihrem dortigen Zweigbüro in Lodz vorgenommen. Zwei Monate später sei ein Gesamtpolnisches Verbot der Zeugen Jehovas ausgesprochen worden.

Unter der Überschrift: "Polnische Kommunisten sitzen über Christen zu Gericht", in der "Erwachet!"-Ausgabe vom 22. 12. 1951, erfährt man einiges über die Situation in Polen.
Danach erfolgte bereits am 22. 4. 1950 die Verhaftung von sechs führenden WTG-Funktionären aus der WTG-Zentrale in Lodz. Zwei Monate später wurde ein landesweites Verbot ausgesprochen.
Im März 1951 (mit Urteilsverkündigung am 21. 3. 1951) wurde dann ein diesbezüglicher Schauprozess in Szene gesetzt. Das Urteil für den Hauptangeklagten lebenslänglich. Für die übrigen Strafen zwischen 5 bis 15 Jahren Gefängnis.

In ihrer Berichterstattung arbeitet die WTG heraus, dass dieser Prozess keineswegs rechtsstaatlichen Kriterien entspricht, wie sie in etlichen Staaten westlicher Prägung vorherrschend sind. Da wird man zustimmen müssen. Charakteristisch dafür auch ein Satz wie dieser:

"Dann wurde den vier Verteidigern Gelegenheit gegeben, ihre Argumente zur Entlastung der bereits als 'schuldig' erachteten Angeklagten vorzubringen. Da das Gericht diesen vier Rechtsanwälten die offizielle Verteidigung erst kurz vor Prozessbeginn übertragen hatte, war ihnen keine Zeit mehr geblieben, sich mit dem Aktenmaterial, das 14 dicke Bände umfasste, vertraut zu machen. Daher war die Verteidigung schwach und wirkungslos und das musste sie gemäss dem kommunistischen Gerichtsverfahren auch sein."

Die WTG arbeitet weiter heraus, dass die eigentliche Zielstellung: Ein Schauprozess mit "zerknirschten" Angeklagten, nicht erreicht wurde. Jenes Gericht sah sich denn genötigt; scharfe Einzel-Kreuzverhöre durchzuführen, bei der nur jeweils der gerade Vernommene im Gerichtssaal verbleiben dufte. Nicht jedoch die übrigen Angeklagten. Auch diese Praxis offenbart denn wohl markant, die Schwäche der kommunistischen Justiz. "Zerbrochene" Angeklagte hat sie sicherlich nicht fabriziert, obwohl das ihre eigentliche Zielstellung war. Dennoch bietet auch dieser WTG-Bericht (zwischen den Zeilen gelesen) einige interessante Einblicke.
So werden als Anklagepunkte genannt:

"Diversionstätigkeit mit Bezug auf die Regierungspolitik.
Nichtunterstützung des Aufbaus und Ausbaus des Staates.
Verweigerung der Steuerzahlung.
Propaganda für einen dritten Weltkrieg.
Aufforderung zum Boykott des Stockholmer Friedensappells.
Feindliche Tätigkeit gegenüber der UdSSR.
Illegale Untergrundtätigkeit.
Spionagetätigkeit betreffend Politik, Wirtschaft und Militär zugunsten der amerikanischen Imperialisten.
Zusammenarbeit mit Hitler-Faschisten.
Illegaler Grenzübertritt.
Illegale Valutamanipulationen."

Wie schon vermerkt, entsprach die diesbezügliche "Beweislage" keineswegs westlich-bürgerlichen Standards. Man dürfte wohl nicht fehleinschätzen, sieht man die Passivität der Zeugen Jehovas gegenüber den staatsbürgerlichen Ansprüchen, auch dieses Regimes, als den eigentlichen Kern-Konfliktpunkt, um den dann einiges andere noch angereiht wurde.

Zu den "Nebenanklagepunkten" gehörte wohl auch der:

"Der Staatsanwalt machte Scheider, der sich während des zweiten Weltkrieges in einem Nazikonzentrationslager befand, dafür verantwortlich, während jener Zeit den Tod von 560 Sowjetsoldaten, 10 Sowjetpartisanen und einer Majorin der Roten Armee veranlasst zu haben."

Da keine weiteren Details dazu genannt werden, muss man das wohl eher in den Bereich der "Kapo-Problematik" einordnen. Bekanntlich hatte die SS gewisse Häftlinge als Funktionshäftlinge (Blockälteste und ähnliches) eingesetzt. Die mussten in der Tat oftmals einsame Entscheidungen treffen. Das lässt sich auch im Falle kommunistischer Kapos nachweisen. Einsame Entscheidungen dergestalt, den Tod einiger billigend in Kauf zu nehmen, um andere vielleicht dafür retten zu können. Das (ohne Reflexion der konkreten Situation) im Nachhinein zum Anklagepunkt zu stilisieren, erweist sich in der Tat, mehr als problematisch.

Was diese Nebenanklagepunkte anbelangt, ist vielleicht auch noch die WTG-Einlassung charakteristisch:

"gab (der Angeklagte) Scheider ohne weiteres zu, dass er nach der Tschechoslowakei gegangen sei, aber nicht, ohne sich einen Grenzpassierschein beschafft zu haben, von dem er annahm, er entspreche den behördlichen Erfordernissen. Wie konnte er wissen, dass der Grenzpassierschein den totalitären roten Amtsschimmel nicht befriedigte? Auf die Anschuldigung hin, er habe sich gegen Devisenbestimmungen vergangen, sagte Scheider ohne Zögern, welche Schritte er unternommen habe, um die Beiträge zu sichern, die dem Büro zur Förderung der Verkündigung der Königreichsbotschaft ... eingesandt worden waren. Auf einer polnischen Bank hatte er diese Beiträge in gesetzliche Zahlungsmittel, die von der Entwertung nicht betroffen wurden, umgetauscht. Da dies keine geschäftliche Transaktion gewesen war und auch keinen Gewinn eingetragen hatte, betrachtete er sie nicht als eine Verletzung der Devisenbestimmungen."

Besonders den letzten Teilsatz, sollte man noch einmal wiederholen:

"Betrachte er sie nicht als eine Verletzung (von) ... Bestimmungen."

Da dürfte dann wohl "der Pudel begraben sein". Die Interpretation welche "Rechte" man habe, differiert offensichtlich erheblich zwischen der WTG und ihren Anklägern.

Die Ankläger dürfte auch die weitere WTG-Einlassung kaum befriedigt haben, wenn es da heißt:

"Was die Teilnahme am Militärdienst betrifft, so ist dies die persönliche Angelegenheit jedes einzelnen, in der er selbst die Entscheidung zu treffen hat."

Sicherlich war es den polnischen Richtern verwehrt, einen "Hellseherblick" in das Jahr 1996 zu tun. Hätten sie das tun können, wäre ihnen nämlich bewusst geworden dass solche angeblich "persönliche Angelegenheiten des Einzelnen", sich auf wunderbare Weise auch kollektiv, quasi über Nacht, wieder zu wandeln vermögen. Wenn auch den polnischen Richtern dieser Hellseherblick verwehrt war, so hatten sie aber schon damals - im Unterbewusstsein - ein entsprechendes Gefühl dafür, dass die WTG-Aussagen nicht das Papier wert sind, auf dem sie denn verzeichnet sind.

Charakteristisch auch der Satz:

"Als einer gefragt wurde, warum er den von den Kommunisten lancierten Friedensappell nicht unterzeichnet habe, antwortete er, dass er auf einen Frieden warte, den Jehova Gott bringen werde. Ein anderer Angeklagter wurde gefragt, warum er sich nicht an politischen Wahlen beteiligt habe. Er erklärte, er könne nicht zwei Stimmen abgeben. Er habe einmal für Gottes durch Christus Jesus ausgeübte theokratische Regierung gestimmt und darüber hinaus könne er keine Geschöpfe begünstigen und für sie anstatt für Christus stimmen."

Das dürfte denn wohl auch der de facto Hauptkonfliktpunkt sein, um den sich dann noch einiges anderes rankte.

Etwas "Salz in der Siegessuppe" der WTG wurde offenbar auch durch den nachfolgenden Vorgang hineingestreut. "Erwachet!" schreibt:

"Einer dieser Schurken mit Namen Pasturzak Michal verstand es, das Vertrauen zu gewinnen, ein Vollzeitverkündiger zu werden, und da es den Anschein machte, als ob er dem Herrn mit grossem Eifer diene, wurde er als Kreisdiener ernannt ...
Im Gerichtssaal zeigte dieser Wolf im Schafspelz sein wahres Gesicht, als er eine ungeheuerliche Lüge nach der andern auftischte. Er sagte, er sei vom Zweigbüro angewiesen worden, Spionageberichte zu sammeln und sie einzusenden, und die Watch-Tower-Organisation lehre, dass das Wissen am Ende der Welt zunehmen werde und dass, um beweisen zu können, dass wir diese Zeit erreicht haben, sie viele geheime Informationen brauche. Ihm sei auch gesagt worden, dass er im Falle einer Verhaftung die Wahrheit nicht zu sagen brauche.

Dieser Unheilstifter bestand darauf, dass er diese Anweisungen in Gegenwart von 14 andern Kreisdienern erhalten habe."

Auch im Falle Polen wurden speziell die Karthographierungsarbeiten der Zeugen Jehovas für ihren sogenannten "Felddienst" angeprangert und als Spionage interpretiert.

Die WTG drückt nun ihr übergroßes Bedauern darüber aus, dass nicht die 14 Kreisdiener vernommen, sondern lediglich die Aussage dieses Michal in die gerichtliche Wertung einfloß.
Schon 1956 unter der Regierung Gomulka, änderte sich die polnische Politik gegenüber den Zeugen Jehovas. Das "schon" ist deshalb hervorhebenswert, dieweil das von anderen Ostblockstaaten - mit Ausnahme Jugoslawiens welches "schon" 1953 liberalisierte, nicht berichtet werden kann.
Der nächste relevante Liberalisierungsschritt der polnischen Zeugen Jehovas-Politik ist etwa dem Jahre 1983 zuzuordnen. Schon 1977 seien offizielle Vertreter der Zeugen Jehovas von den polnischen Behörden empfangen worden. Der entscheidende Quantensprung erfolgte allerdings erst mit Aufkommen der polnischen "Solidarnosc". Als politischer Preis (Belohnung der Streikbrecherdienste durch Jehovas Zeugen, anlässlich der Streikaktionen der polnischen "Solidarnosc") entdeckten nunmehr auch die polnischen Behörden, wie weiland vier Jahrzehnte zuvor ein Heinrich Himmler, "unerhört positive Eigenschaften" der Zeugen Jehovas, die sich im Falle Polen auf den Grundsatz reduzierten "Trenne und herrsche", das gälte instrumentalisiert für die eigene Politik nutzbar zu machen. Aber schon KZ-Kommandant Rudolf Hoess hatte ja gejubelt,

"eigenartigerweise waren sie alle davon überzeugt, daß die Juden nun gerechterweise zu leiden und zu sterben hätten, weil ihre Vorväter einst Jehovah verrieten."

[Rudolf Höss "Kommandant in Auschwitz"
Auflage Stuttgart 1958 S. 113; Taschenbuchauflage dtv 1998, S. 175)
Detail-Exkurs.
Auf den Seiten 459, 460 kommt Detlef Garbe in seinem Buch "Zwischen Widerstand und Martyrium" auch auf die Ausführungen des Höss zu sprechen, welche eben auch den religiösen Anitsemitismus-Aspekt mit streifen.
Garbe zitiert den Kontext dergestalt richtig, als er Höss mit positiven Aussagen über im Haushalt von Höss eingesetzten Zeuginnen Jehovas zitiert.
Indes die von Höss damit gekoppelte Antisemismus-Passage erwähnt Garbe seinerseits nicht. Dies verwundert insoweit nicht, als namentlich Garbe "als Sturm im Wasserglas" sich dagegen verwahrt, dass herausgearbeitet wird. Zeitgenössische Zeugen Jehovas waren sehr wohl religiöse Antisemiten. Keine Rassen-Antisemiten im Stile der Nazis, wohl aber religiöse Antisemiten.
Das eben will Garbe in dieser Deutlichkeit nicht gelten lassen, wobei ihm allerdings widersprochen werden muss.
Zu dem Aspekt, Zeugen Jehovas als religiöse Antisemiten im Zeitraum der Nazidiktatur,
siehe unter anderem auch:
Kuhn
Dort am Textende, weitere thematische Links]
Analog fiel die Meinung der Zeugen Jehovas zur religösen Konkurrenz der Katholiken auch nicht "besser" aus. Hinzu kam, dass Kathoiken in Polen, gegenüber den Zeugen Jehovas, auch nicht gerade ein von "Vornehmheit" zeugendes Verhalten offenbart hatten - eher das Gegenteil. Nun gab es also via "Soldarnosc" eine Art "Gegenabrechnung".
Das mit den Juden war nun nicht mehr aktuell, das mit den Katholiken, die dem kommunistischen polnischen Regime arg zu schaffen machten, sehr wohl.
Auch da wiederum bemerkenswert. Das polnische Regime rang sich zu einer entgegenkommenden Politik durch (grosse öffentliche Zeugen Jehovas Kongresse in Polen), die zeitgleich etwa in Ostdeutschland, nicht möglich waren.

Siehe zu Polen unter anderem auch noch:

Polen

19572Polen

19502Polen

19592Polen

Mysnip.7155

1951er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

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