Annotationen zu den Zeugen Jehovas

 

Polen

Eine weitere, in den Ohren der westlichen Falken als „Siegesfanfare" zu bewertenden Artikel über Polen, begegnet man in der „Wachtturm„-Ausgabe vom 1. Juli 1957.

Noch ist Polen - nach dem Auftreten der dortigen „Solidarnosc" in den 1980er Jahren, fraglos jenes Ostblockland gewesen, welche seine Zeugen Jehovas-Politik am weitestgehend liberalisiert hatte. Das war offenbar nicht „immer" so. Es gab auch dort andere Phasen, wovon auch dieser Artikel kündet.

Einige wesentliche Auszüge aus ihm:

„Die Herrschaft der Sowjets kennt weder Freiheit noch Gerechtigkeit. Sie ist bewußt aufgebaut auf Unterdrückung, auf Vernichtung jedes Einzelwillens, auf bedingungslose Einordnung. 'Die Herren aber sind wir. Die Unterdrückung ist uns anvertraut. Letzte Rücksichtslosigkeit ist unsere Pflicht. Und in der Ausübung dieser Pflicht ist letzte Grausamkeit höchstes Verdienst.' - Lenin.

So könnte nur jemand reden, der ausgesprochen den Geist des Teufels hat. Natürlich glaubte Lenin, der Führer der russischen Revolution vom Jahre 1917, nicht an übernatürliche Mächte, weder an gute noch an böse. Er war wie alle orthodoxen Kommunisten ein Atheist. Für solche Menschen war und ist Darwins Evolutionstheorie eine höchst willkommene Erklärung für das Dasein von Leben und für die Existenz des Menschen, da es sich dadurch erübrigt, einen allmächtigen, allweisen Schöpfer Ehre zu geben. Die Ansicht der Kommunisten, daß der Mensch das Produkt der Entwicklung sei, erklärt, weshalb der Mensch von ihnen so gering eingeschätzt wird. Für sie ist der Mensch nur ein Tier, das eine höhere Entwicklungsstufe als die übrigen Tiere erreicht hat und mit dem so verfahren werden kann, wie es die Interessen der kommunistischen Sache gerade erfordern mögen.

Wir finden dies nicht nur durch die Geschichte der Sowjetunion der vergangenen vier Jahrzehnte bestätigt, sondern auch durch die Millionen von Sklavenarbeitern, die in Hunderte von Lagern gesteckt wurden, und durch die unzähligen Opfer, die Elend ums Leben kamen.

Das wird weiterhin bestätigt durch die jüngsten Vorgänge in Ungarn und ferner durch die Verfolgung, die die Zeugen Jehovas seit dem Ende des zweiten Weltkrieges in kommunistisch regierten Ländern, wie in Polen, erlitten haben.

Mit dem Ende des zweiten Weltkrieges gewannen Jehovas Zeugen die Freiheit, zu predigen wieder, doch nicht für lange. Der kommunistische Widerstand machte sich immer mehr bemerkbar, so daß es im Jahre 1948 unmöglich wurde, die jährlichen und halbjährlichen größeren Versammlungen - bekannt als Bezirks- und Kreisversammlungen - abzuhalten.

Während der Nazizeit befanden sich einige Zeugen Jehovas mit Josef Cyrankiewicz, der von 1947 bis 1952 Ministerpräsident gewesen ist und dieses Amt seit dem 19. März 1954 von neuem bekleidet, in einem Konzentrationslager der Nazis. Sie hatten ihr essen mit ihm geteilt und ihm auf verschiedene und andere Weise Hilfe geboten, und ihr vorzügliches Verhalten hatte auf ihn tiefen Eindruck gemacht. Er sagte ihnen damals, falls sie, die Zeugen Jehovas, wenn er in Polen nach dem Kriege je eine hohe Stellung einnehmen sollte, einmal in Schwierigkeiten kämen, dann möchten sie sich an ihn wenden. Als nun im Jahre 1948 die Lage für die Zeugen wirklich kritisch wurde, sandten sie eine Delegation zu ihm. Die Mitglieder dieser Delegation wurden bereitwillig von ihm empfangen, und er sagte ihnen, er wisse, was vor sich gehe, doch stehe es nicht in seiner Macht, etwas dagegen zu tun.

Schon vorher, nämlich im Februar 1946, hatte das Woiwodschafts-Sicherheitsamt in Lodz gewisse leitende Mitarbeiter des Zweigbüros dort verhaftet. Einem von ihnen wurde gesagt: 'Ihr müßt mit dem Strom schwimmen, andernfalls werdet ihr nicht freigelassen.' Als er fragte, was damit gemeint sei, erklärte ihm ein Beamter:

'Sie werden mit uns zusammenarbeiten. Sie werden eine Deklaration unterschreiben, die im Tresor aufbewahrt werden wird. Sie erhalten ein Pseudonym, und die damit unterzeichneten Berichte werden Sie hier in das Amt oder in meine Privatwohnung bringen, oder jemand von uns wird die Berichte in ihrer Wohnung abholen. Sie werden die Zeugen Jehovas dahingehend organisieren, daß sie alle römisch-katholischen Gottesdienste besuchen und genau auf die von den Geistlichen gehaltenen Predigten achten. Sie werden sich alle Äußerungen notieren, die sich gegen die Volksherrschaft richten oder für den Staat nachteilig sein könnten.'

Der Zeuge weigerte sich diesbezüglich, indem er erklärte, die Zeugen bekämpften ihre Feinde nur mit der biblischen Wahrheit und liebten ihre Nächsten. Die verhafteten Zeugen wurden später freigelassen, und zwar in folge eines Protestes, der beim polnischen Botschafter in Bern, Schweiz, eingereicht worden war.

Im Juni 1946 kam der erwähnte Beamte in das Zweigbüro in Lodz und verlangte erneut, daß die Zeugen mit ihnen zusammenarbeiteten. Er warnte vor den furchtbaren Konsequenzen für den Fall, daß sie sich weigern würden, und versprach, daß man den Zeugen Jehovas in den verschiedenen Städten die besten Säle zur Verfügung stellen werde, wenn sie mit ihnen zusammenarbeiteten. 'Niemand kann sich uns entziehen', sagte man dem Zeugen. Der Zeuge blieb fest, und so entfernte sich der kommunistische Funktionär in großer Aufregung. Am nächsten Tage wurde der Zeuge auf eine so schlaue Art entführt, daß niemand es bemerkte. Als man ihn jedoch vor den Staatsanwalt brachte, ließ dieser ihn frei.

Am 21. April 1950, um 22,30 Uhr, erschienen Beamte des Sicherheitsamtes, besetzten das Zweigbüro und verhafteten die mit der Leitung betrauten Männer. Es waren keine Haftbefehle ausgestellt worden, was zeigt, daß der Überfall ohne Wissen der Staatsanwaltschaft durchgeführt wurde. Kurz darauf erfolgte die Verhaftung aller im Zweigbüro beschäftigten Personen, und das Werk wurde in ganz Polen offiziell verboten.

Die hier erwähnten Tatsachen wurden zwei Dokumenten entnommen, die in Warschau der polnischen Generalstaatsanwaltschaft vom leitenden Prediger der Zeugen Jehovas dieses Landes unterbreitet wurden.

Die Zeugen wurden in das Woiwodschafts-Sicherheitsamt in Lodz überführt, wo an ihnen gleich zu Beginn Inquisitions- oder Foltermethoden 'dritten Grades' angewandt wurden.

Zeuge A wurde während acht Tagen und acht Nächten ununterbrochen grausam gequält und mißhandelt.

Zeuge B wurde sechs Tage lang ähnlich behandelt.

Zeuge A. wurde geschlagen, bis er blau und schwarz war. Wiederholt sagte man ihm, die Torturen würden eingestellt, wenn er bekenne, daß er ein Spion gewesen sei. Seine Peiniger verlangten von ihm ferner, daß er ein Protokoll unterschreibe, das besagte, er habe den Bau einer Radiostation angeordnet, die Informationen ausgestrahlt habe, durch die gewisse Interessen Polens verraten worden seien. Auf seine Frage, wie er ein Protokoll unterschreiben könnte, das ausgesprochener Unsinn sei, sagte man ihm: 'Unsinn oder nicht, unterschreibt, sonst lassen wir Euch nicht frei.'

Als er unter den Schlägen bewußtlos zusammenbrach, begoß man ihn solange mit kaltem Wasser, bis er wieder zu sich kam und jegliche Blutspuren von seinem Anzug weggewaschen waren. Einmal zwang man ihn, während zweiundsiebzig Stunden auf dem Boden zu knien. Danach wurde er ins Sicherheitsministerium in Warschau überführt - die Torturen in Lodz hatten seinen Widerstand nicht zu brechen vermocht. Durch diese Mißhandlungen wurde seine Gesundheit auf Lebenszeit ruiniert. Beachtenswert ist jedoch, daß seine Lauterkeit nicht getrübt wurde, sie tat nur um so klarer hervor! …

Dann wurde er in das Gefängnis von Mokotow überführt, das noch berüchtigter war.

Inwiefern konnte das Gefängnis zu Mokotow noch schlimmer sein? Allerdings konnten die Torturen nicht mehr viel schlimmer werden, doch wurde Zeuge A dort derart auf die Brust geschlagen, daß er nach Jahren bei jedem tiefen Atemzug Schmerzen verspürte. Dort indes verstanden es die Kommunisten besonders gut, ihre Fragen so zu formulieren, daß sich ihre Opfer in den eigenen Antworten verstrickten. Sie entstellten die Aussagen ihrer Opfer, und wenn diese vor Gericht erschienen, wurde das Urteil auf Grund solcher Aussagen gefällt.

Mit dem Zeugen B. verfuhr man auf ähnliche Weise. Abgesehen von unzähligen Schlägen auf den Kopf und in den Bauch, wurden ihm die Kiefer herausgeschlagen, so daß er tagelang nichts essen konnte. Man sagte ihm, daß man, wenn man wolle, aus ihm - obwohl er als Hitlergegner fast fünf Jahre in einem deutschen Konzentrationslager gesessen habe - doch einen erstklassigen Gestapomann machen könne."

Zeuge D. wurde ganz ähnlich behandelt wie Zeuge A. Auch ihn sperrte man in das kleine Zementloch, schlug ihn, holte ihn wiederholt heraus und forderte ihn auf, sich der Spionage schuldig zu bekennen, was er standhaft zurückwies.

Die in den vorangehenden Abschnitten erwähnten Zeugen und viele, die ähnliche Leiden ertrugen, blieben am Leben, um von den Torturen berichten zu können, die sie durchmachten; andere dagegen überlebten sie nicht …

Zweitausend Personen, die gegen diese sadistischen Methoden der kommunistischen Polizei protestierten, welche jetzt 'Berijanismus' genannt werden wohnten (einer) Beerdigung bei.

Andere zeugen verloren als Folge von Mißhandlungen ihr Augenlicht, wieder andere alle Zähne, und manche sind für ihr ganzes Leben zu Krüppeln geworden und können sich ihren Unterhalt nicht mehr selbst verdienen.

Nach der Tagung des Zwanzigsten Kongresses der kommunistischen Partei in Moskau, die den Ausschlag zum Beginn des 'Entstalinisierungsprogramms' gab, wurde die Anklage auf Spionage fallen gelassen. Der Berijanismus gehört, was Polen betrifft, wenigstens vorläufig der Vergangenheit an. Polnische Staatsmänner haben erklärt, daß ihre Justizbehörden alles, was in ihrer Macht steht, tun werden, um das Unrecht, das an Tausenden von Unschuldigen - darunter auch an Zeugen Jehovas - verübt wurde, wiedergutzumachen.

Dies geht treffend aus folgenden Auszug aus dem Jahrbuch der Zeugen Jehovas 1957 (engl.) hervor: 'Ein ganz prominenter Regierungsbeamter erklärte: 'Ich bin begeistert über ihre Haltung.' Weiter sagte er, die Angelegenheit der Zeugen Jehovas sei von der polnischen Regierung aus folgenden drei Gründen wieder erwogen worden, nämlich

1. weil sich die Lehren der Zeugen Jehovas trotz des sechsjährigen Verbots nicht geändert hätten;

2. weil sie trotz der Verhaftungen und vieler anderer Schwierigkeiten, ihre Religion weiterhin mutig und furchtlos ausübten und

3. weil sich ihre Zahl während der Verbotszeit vervierfacht habe."

Zu Letztgenannten Zahlenaspekt sei vielleicht noch eine Publikation des Herrn H. zitiert, da glaubt in DDR-Stasi-Akten die Angabe gefunden zu haben:

Von 1949 bis 1960 hätte sich die Zahl der Zeugen Jehovas (in Polen) von ca. 10.000 auf  70.000 erhöht."

An anderer Stelle seiner Studie relativiert H. aber selbst diese Zahlenangaben wieder, wenn er etwa schreibt:

„Vom Präsidenten der WTG in Brooklyn sei ein großes Lob an den polnischen Zweig ausgesprochen worden. Der aktive Einsatz der Gläubigen habe dazu geführt, dass Polen mittlerweile, an der Zahl der Zeugen Jehovas gemessen, an dritter Stelle in der Welt stehe, nach den USA und Deutschland. Daraufhin habe Scheider die Parole erlassen 'Auf zum Kampf um den 2. Platz im Weltmaßstab'. Diejenigen, die gegen diese Parole Einwände erhoben, seien als 'Bremsklötze' bezeichnet worden. Deshalb sei die Gesamtzahl innerhalb weniger Jahre auf 80.000 Glieder angewachsen. Dies sei 'Betrug vor Jehova', der zur Sprache gebracht werden müsse. …

In der Folgezeit wurde diesem falsch verstandenen Missionseifer von der WTG-Leitung offensichtlich entgegengewirkt. Im Jahrbuch 1994 heißt es hierzu: 'Viele von ihnen (neue Verkündiger, d. A.) kamen nicht einmal zu den Zusammenkünften. Im März 1959, als 84.061 Verkündiger über ihre Tätigkeit berichteten, besuchten nicht einmal so viele das Gedächtnismahl. Daher konnte die geistige Stärke der Organisation leicht geschwächt werden. […] Es wurden Korrekturen vorgenommen. Die Zahl der Verkündiger sank allmählich bis sie sich bei 50.000 einpendelte. Es dauerte fast 29 Jahre, bis eine neue Verkündigerhöchstzahl erreicht wurde. Aber diesmal - im Januar 1988 - waren es 84.559 richtige Verkündiger!"

Redaktionelle Nachbemerkung. Unabhängig vom zuletzt genannten Zahlen-Dissenz. Vorstehendes ist ohne Frage ein erschütternder, sehr erschütternder Bericht.

Erschütternd ist aber auch die USA-Politik ín Guantanamo, und anderswo, inklusive diverser CIA-"Geheim"-Gefängnisse, wo international geächtete Foltermethoden, mit allerhöchstem USA-Segen ausgeführt werden. Lediglich dass die Opfer- und Motivationskategorien inzwischen anders akzentuiert sind.

1957er Rückblick zur Zeugen Jehovas Geschichte

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