Er sah sich als Opfer der WTG, nicht als Opfer des MfS


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 06. Dezember 2003 07:38:20:

Als Antwort auf: Re: Dr. H... geschrieben von Drahbeck am 02. Oktober 2003 08:39:50:

Anlässlich einer der vielen "Standhaft"-Veranstaltungen der Zeugen Jehovas. Derjenigen in Ludwigsburg am 15. Dezember 2000; trat neben den Herren R... und Hacke, auch der Waldemar H... als Referent dort auf. In der Sache trug er nur seine bereits früher bekannten, stark apologetisch geprägten Thesen, in Sachen Erich Frost vor.
Zum Abschluss der Veranstaltung wurde auch darauf hingewiesen, man könne auch die einschlägigen Veröffentlichungen von Hubert R... und Gerald Hacke in dieser Veranstaltung erwerben. Weiter wurde angemerkt, damit der Herr H... wohl nicht leer ausgehe: Im Frühjahr nächsten Jahres (also 2001) würde auch ein Buch von Waldemar H... erscheinen, mit dem Titel: "Die Zeugen Jehovas in der DDR. Zersetzung einer Religionsgemeinschaft" Bezüglich einer Stellungnahme zu dieser Publikation; siehe: Corona

Im Y.-Buch "Im Visier der Stasi" liest man auf S. 348 über Herrn H...: "Seit Ende 1996 Erarbeitung einer Dissertation über Jehovas Zeugen in der ehemaligen DDR an der Universität Stuttgart (im Juni 1999 zur Begutachtung vorgelegt)."
Man darf rätseln, was wohl dass Ergebnis dieser Begutachtung war; denn jetzt vernimmt man, die Fernuniversität Hagen, habe Herrn H´... doch noch den ersehnten Titel gewährt. Und in der Einleitung zu seinem jetzt Ende 2003 erschienenem Buch "Die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas während der SED-Diktatur. Unter besonderer Berücksichtigung ihrer Observierung und Unterdrückung durch das Ministerium für Staatssicherheit" liest man schon die Danksagung (S. 5) auch an den bekannten Herrn B...: "Ohne ihre Hilfe wäre die als Dissertation erarbeitete Veröffentlichung womöglich nie erschienen." B... hat es also doch noch möglich gemacht.

Ein weiteres Rätsel gibt der Buchumschlag auf. Dort wird Herr H... "als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einem Internet-Projekt" vorgestellt. Was das für eines ist, erfährt man nicht. Versucht man über Google diesbezüglich "schlauer" zu werden, kommt man auch nicht viel weiter. Man kann also lediglich mutmaßen. Gemeint ist damit die Webseite "standhaft.org", die auch Herrn H... zu ihren Mitarbeitern zählt. Sollte das der Fall sein, kann man ihm bescheinigen, dass seine dortige Mitarbeit wohl mit der Bezeichnung "mager", nicht unzutreffend beschreibbar ist.

Auf der gleichen eingangs schon genannten Ludwigsburger Veranstaltung gab es auch ein von Hubert R... geleitetes Podiumsgespräch. Mit im Podium sitzend, Herr H.... R... seinerseits richtete nun auch an H... eine Frage, sinngemäß, wie er denn wohl die Methoden der Staatssicherheit in der Zeit vor 1961 so einschätze. Und in seiner Antwort meinte H... dann, ausdrücklich auch bezugnehmend auf den Fall Willi Müller:
"Man muß da manchmal (nicht direkt Verständnis haben), aber die Methoden die da seitens der Stasi eingesetzt wurden, waren schon so, dass man fast übermenschliche Kräfte haben musste" um 'standhaft' zu bleiben."

In seinem 2003-Buch äußert er dann über diesen Willi Müller:
"Er sah sich als Opfer der WTG, nicht als Opfer des MfS". (S. 287) Dies scheint mir ein Kernsatz zu sein. Meines Erachtens war Müller Opfer von sowohl als auch. Das heißt der WTG und des MfS. H... hingegen möchte es lieber so sehen; "nur" des MfS. Da widerspreche ich ihm. Und dies grundsätzlich. Über Müller kann man bei H... beispielsweise lesen.
Erste Verhaftung am 11. 11. 1952. Urteil 8 Jahre Zuchthaus. Und nicht unwesentlich, als gerichtlich verhängte "Sühnemaßnahme", Einzug des gesamten Vermögens. Dies betraf einen 1893 geborenen alleinstehenden Mann. Seine Frau war bereits 1949 verstorben. Rechnet man weiter; also schon in seinem 6. Lebensjahrzehnt sich befindlich. Einzug des Vermögens.

Auch das kann man noch weiter spezifizieren. So liest man beispielsweise auch bei H...:
"Zudem wurde 1961 von Müller an die Gnadenkommission des Bezirkes Gera ein Gesuch gestellt, in dem er um Rückgabe seines 1952 konfiszierten Hauses bat. … Als das Gesuch abgelehnt wurde, war er bitter enttäuscht und wollte seine Arbeit mit dem MfS beenden. … " Dieses Haus hatte er 1927 selbst erbaut.
Es wird Müller vorgehalten, dass er sich vom MfS "umdrehen" ließ. Wie man sieht half ihm aber selbst dass nichts in seiner Hausangelegenheit.

Mehr noch. Die Haftstrafe bewirkte, dass er keine Rentenansprüche geltend machen konnte. Er war genötigt, auch nach Erreichung des gesetzlichen Rentenalters weiter zu arbeiten.
Nun halten Müller die Zeugen Jehovas-"Pharisäer" vor, er erhielt ja 300 Mark monatlich vom MfS, nachdem er sich "umdrehen" ließ. Nun "gut". Die hat er erhalten. Aber selbst er hätte sich nicht "umdrehen" lassen. Dies kann man wohl sagen. Von der WTG hätte er jedenfalls keine Unterstützung erhalten. Auch das gilt es klar auszusprechen. Wer dies allerdings nicht ausgesprochen hat, ist Herr H....

Müller machte auch mehrere Versuche sich wieder vom MfS abzunabeln. Auch das gibt H... zu. Zugleich ist zu konstatieren, dass seitens des MfS dabei in "Antwort" die Erpressungsschraube angesetzt wurde. So liest man beispielsweise bei H...:
"Um nicht immer wieder mit Müllers Zerrissenheit konfrontiert zu werden, dachte sich das MfS etwas Besonderes aus. Am 13. Oktober 1965 wurde ein Treffen mit dem Sohn Müllers, einem Oberstleutnant in einem Grenzregiment, vereinbart. Sein Sohn wusste seit etwa drei Jahren über die MfS-Arbeit seines Vaters Bescheid und stand dem positiv gegenüber. Er wurde jetzt zu Hilfe gerufen, um auf seinen Vater einzuwirken, weiterhin mitzumachen und nach gänzlicher Aufgabe seiner Tätigkeit als Schlosser sich noch mehr der MfS-Arbeit widmen zu können. Teichmann schrieb über diesen Treff:

"Bei einer passenden Gelegenheit, gab ich dem M. [Sohn von Müller] zu verstehen, daß er das Geld mehr liebt als seine Gesundheit [gemeint ist der Vater]. Ich sagte ihm, daß wir mehrmals mit seinem Vater gesprochen haben, er möge sein Arbeitsverhältnis kündigen und sich mehr Ruhe gönnen.!… M. sagte hierzu, er kenne seinen Vater und weiß, daß er in mancher Beziehung stur sein kann. Er begreife jedoch nicht, weshalb er soviel Geld zusammenschachern will und er erklärte sich bereit, in den nächsten Wochen, wenn ihn der Vater besucht, ihn zu überzeugen. Mir gegenüber bedankte er sich und gab mir zu verstehen, daß er auch in den letzten drei Jahren, auf Grund der damaligen Aussprache, beruflich schnell vorwärtsgekommen ist. Er habe jetzt den Dienstgrad wieder erreicht, welchen er 1952 innehatte.

Der Sohn Müllers nutzte die Chance beim Gespräch mit Teichmann noch zu der Bitte, daß ihm die Jahre, in denen er vom Dienst suspendiert war, bei der Rentenzahlung nicht verlorengingen. Teichmann nahm sich der Bitte an. Das war eine Methode, die typisch für das MfS war. Familienglieder wurden genutzt, um die Interessen des MfS zu vertreten" (S. 244f.).
Auch dieses Bespiel zeigt, dass Erpressung zum Alltagsgeschäft des MfS gehörte.

Noch eine grundsätzliche Frage gilt es zu klären. Auf S. 55 schreibt H...:
"Das heißt, der Neutralitätsgedanke führt bei Zeugen Jehovas nicht so weit, daß sie bei von einem Staat begangenen Unrecht wegschauen. Der Vorwurf, der Jehovas Zeugen im SED-Staat besonders von seiten des MfS gemacht wurde, war, daß sie in negativer Form über den Kommunismus berichteten und somit ihre politische Neutralität verletzen würden.
Dieser Vorwurf ist deshalb falsch, weil sich Jehovas Zeugen die Freiheit der Aufklärung und der freien Meinungsäußerung vorbehalten, ohne damit ihre Neutralität zu verletzen."

Dies scheint mir eine "Gretchenfrage" zu sein. Was ist Neutralität. Wie man sieht, definiert Herr H... (und Jehovas Zeugen) den Begriff Neutralität sehr großzügig. Da muss man doch die Rückfrage stellen, ob man wirklich glaubt, ob auch die Kommunisten diese vorgebliche "Neutralität" noch als solche anerkennen würden? Wohl kaum ist die klare Antwort darauf. Für die Kommunisten waren die Zeugen Jehovas keineswegs "neutral". In deren Augen vertraten sie im Gegenteil die politischen Interessen der Gegner des Kommunismus.

Man muss durchaus keine Sympathie für das kommunistische Regime haben. Man kann es (berechtigt) als totalitär brandmarken. Nur eines kann man dann nicht mehr. Sich als "neutral" verkaufen. Diesen Grunddissenz wollen die WTG-Funktionäre so nicht wahrhaben. Ihn gilt es aber trotzdem klar zu benennen. Hier, an dieser Frage trennen sich in der Tat die Welten. Das Beispiel anderer Religionsgemeinschaften, die es eher mit dem "lavieren" hielten, wäre um ein vielfaches mehr geeignet als "neutral" bezeichnet zu werden. Die Position der Zeugen Jehovas indes ist in dieser Wertungsliste auf den allerletzten Platz einzustufen. Und sie haben dafür bekanntermaßen auch einen hohen Preis gezahlt.

Noch ein bemerkenswertes Zitat aus der Studie von H.... Auf S. 181 schreibt er:
"Eine besonders interessante Methode der Literatureinschleusung soll hier erwähnt werden: Zwei Fahrzeuge gleichen Typs und gleicher Personenzahl fuhren in die DDR ein. Die Insassen des ersten Fahrzeugs waren für die Transitstrecke BRD nach Westberlin gemeldet. Die Insassen des zweiten PKW für den Besuch in der DDR. Im speziell präparierten KFZ nach Westberlin war die Literatur enthalten. Unterwegs wurden die Kennzeichen gewechselt und die Insassen wechselten die KFZ. Somit war der Inhalt des ersten KFZ nicht in die schärfere Kontrolle der DDR-Besucher geraten.

Eine weitere Möglichkeit bestand darin, auf der Transitstrecke die Übergabe der Literatur während der Fahrt vorzunehmen. Mehrere Jahre trafen sich im Schutz der Dunkelheit, meist Samstags nach 23.00 Uhr, Kuriere aus beiden deutschen Staaten kurz auf einem bestimmten Rastplatz. Da die Übergabe auf dem Rastplatz zu auffällig gewesen wäre, dachten sie sich eine andere effektive Übergabemethode aus. Zunächst stieg der jeweilige Beifahrer in beiden Autos nach hinten. Bei guter Sicht und wenig Straßenverkehr fuhren die beiden PKW zunächst im gleichen Tempo nebeneinander her. Der Beifahrer des BRD-PKW öffnete das hintere Fenster und übergab während der Fahrt das Material, das in "drei Literaturbalken" eingepackt war, dem Beifahrer des DDR-PKW. Insgesamt wurden bei jeder Tour "drei Zentner" Literatur übergeben. Diese Methode wurde von den genannten Kurieren ab Mitte der achtziger Jahre bis zu ihrer Entdeckung im Mai 1989 praktiziert. Alle vier Wochen wurden auf diese Weise von nur einem Kurierteam "drei Zentner" Literatur zu den Gläubigen in die DDR gebracht."

Andere Beispiele ließen sich noch nennen. Sie alle belegen eines. Auch die Zeugen Jehovas waren mit allen Geheimdienstlichen Wassern gewaschen. Wie man eben las, wurde vorstehendes erst im Mai 1989 enttarnt. Also relativ spät. Viele andere Praktiken der Zeugen indes wurden vom MfS schon weit früher enttarnt. Und es ist blauäugig anzunehmen, dass die Erpresserorganisation des MfS nicht angesichts dessen, alle Register zog, um gegenzusteuern.

Heute über die dabei aufgetretenen Opfer die Tränendrüsen zu bemühen ist das eine. Das andere indes wäre auch, über Ursache und Wirkung tiefer nachzudenken. Genau da haben Jehovas Zeugen mit ihre größten Defizite.

Noch ein Zitat von H... (S. 232):
„Es wurde meist (in der DDR) einseitig zitiert, bzw. aus dem Zusammenhang gerissen. Beispielsweise eine Aussage von Margarete Buber-Neumann, die in ihrem Buch 'Als Gefangene bei Hitler und Stalin' Jehovas Zeugen erwähnte, die sie im Konzentrationslager kennengelernt hatte. In den internen Mitteilungen des MfS lautete Buber-Neumanns Meinung zu Zeugen Jehovas:
'Die frühere Blockälteste des Bibelforscherblocks im KZ Ravensbrück, Margarete Buber-Neumann, hat in Stuttgart ein Buch veröffentlicht unter dem Titel: Als Gefangene bei Hitler und Stalin, in dem sie schwere Vorwürfe gegen die Haltung von Bibelforscherinnen in Ravensbrück erhebt.'
Die Vorwürfe wurden nicht näher erläutert, denn sonst hätte das MfS erklären müssen, die Vorwürfe hätten darin bestanden, daß Jehovas Zeugen sich durch Fleiß, Arbeitsamkeit und Ehrlichkeit auszeichneten. Eigenschaften, durch die Jehovas Zeugen, laut Buber-Neumann, die 'idealen Sklaven der SS' gewesen seien. Gleichzeitig hatte sie hervorgehoben, daß Jehovas Zeugen die 'einzige geschlossene Überzeugungsgemeinschaft' waren, die jegliche Arbeit für den Krieg konsequent, trotz sofort erfolgter Sanktionen, verweigert hatten. Positive Erwähnungen über Jehovas Zeugen wurden grundsätzlich unterschlagen."

Ich stimme H... zu, wenn er resümiert; "Positive Erwähnungen über Jehovas Zeugen wurden (in der DDR) grundsätzlich unterschlagen." Dennoch ist dies, auch im Falle Buber-Neumann nur die halbe Wahrheit. Auch Jehovas Zeugen machen sich schuldig, Buber-Neumann nur tendenziös vermarktet zu haben. Man vergleiche dazu: Buber

Ein Schwerpunkt der Ausführungen von H... betrifft auch das Uraniabuch. Der Autor Gebhard existiert für H... und die WTG nur in Form des Uraniabuches. Die darüber hinaus gehenden Ausführungen letzteren werden geflissentlich ignoriert. Klitterung; oder auch Geschichtsklitterung pflegt man solche Praktiken zu nennen. Immerhin kommt Hirch nicht umhin, auch noch einige Details zu Gebhard zu zitieren. So liest man bei H... beispielsweise (S. 312f.):
"Der offizielle Herausgeber der Dokumentation, Manfred Gebhard, distanzierte sich in den folgenden Jahren sowohl von der 'Christlichen Verantwortung' als auch von der Dokumentation über die Zeugen Jehovas. Es ist aufschlußreich, seine offene und kritische Meinung zu dieser Veröffentlichung zu lesen. Seine Kommentare, die in seinen Briefen an das Staatssekretariat für Kirchenfragen (StfK) nachzulesen sind, stellen einen weiteren Bewertungsmaßstab dieses Buches dar. Als Mitarbeiter der CV und Herausgeber des genannten Buches war Gebhard beim StfK bekannt. Er war mit der vom MfS betriebenen 'Geschichtsklitterung' nicht einverstanden und war daran interessiert, eigene Studien über Jehovas Zeugen zu betreiben. Bedingt war ihm ermöglicht worden, in die Literatur über und von Jehovas Zeugen Einblick zu erhalten. Besonders den permanent geäußerten Vorwurf des expliziten Antikommunismus, wie er in der 'Dokumentation' und auch in den CV-Schriften ständig wiederholt wurde, wollte er nicht unkommentiert stehen lassen. Die Kritik in seinen Briefen verschafft ein deutlicheres Bild über die Zusammenhänge."

Am 31. Mai 1983 schrieb Gebhard an das StfK unter Bezugnahme auf die herausgegebene Dokumentation: "Wie Sie wissen, zeichne ich als Herausgeber des 1970 im Urania-Verlag, Leipzig, und 1971 im (Freidenker-Verlag Hubert Freistühler, Schwert/ Ruhr, erschienenen Buches, 'Die Zeugen Jehovas. Eine Dokumentation über die Wachtturmgesellschaft'. Da ich selbst aus den Kreisen der 'Zeugen Jehovas' stamme, und meine Entwicklung (Jahrgang 1943) in der DDR-Verbotszeit dieser Organisation begann und ich des weiteren auch nicht auf irgendeinen 'Hochschulabschluß' verweisen kann, ist es naheliegend, daß ich zwar Herausgeber, nicht aber Haupt'verfasser' des Urania-Buches bin. Es ergibt sich weiter daraus, daß ich aus heutiger Sicht diesem Buch gegenüber mit einem nicht unerheblichen Maße an innerer Distanz gegenüber stehe. Nun gibt es allerdings auch Leute, die diese Distanz nicht haben, die es womöglich noch als 'optimal' betrachten … Im gleichen Zusammenhang ist es auch mehr als aufschlußreich, daß ein über das Geheimdienstmilieu ausgewiesener bekannter Publizist aus der DDR in der Tageszeitung 'Neue Zeit' vom 21.5.1980 sich über das Urania-Buch in einer Art und Weise verbreitet, die wache Beobachter nur noch als zusätzliche Bestätigung bewerten können, aus wessen ,Stall' das Ganze stammt.[…]

Symptomatisch ist auch folgendes. Einer der Rezensenten des Urania-Buches (Dr. Dietrich Hellmund, selbst Verfasser einer Dissertation über die Zeugen Jehovas) brachte in seiner Besprechung unter anderem die durchaus nicht unbegründete Vermutung zum Ausdruck, daß ein Teil der verwendeten Materialien des Urania-Buches aus den beschlagnahmten Beständen des Magdeburger Zweigbüros der Zeugen Jehovas stammen dürften. Weiter kritisierte er, teilweise berechtigt, daß die als Fotokopien vorgelegten Dokumente, soweit nachprüfbar, sich als faktische Fotomontagen erweisen, wobei Textauslassungen bei der Zitierung nicht immer deutlich gemacht wurden'. Eine 'Krankheit', die ich auch an etlichen analogen Stellen in der Zeitschrift 'Christliche Verantwortung' nachweisen könnte. Weiter äußert Dr. Hellmund: Das gilt von der Mehrzahl der kontrollierten Belege, also von den bereits 'veröffentlichten Texten'. Dieser Mangel ist aber bei der anderen Textgruppe, den erstmals publizierten Dokumenten, noch schwerwiegender, weil der Sachzusammenhang der veröffentlichten Sätze nur bei Einsicht in die Originale geprüft werden kann. Das dürfte im Einzelfall gar nicht so einfach sein. Zumal unbekannt bleibt, wer diese Dokumente verwahrt.' (Zeitschrift Bruderdienst' 1971; Rezension unter dem Pseudonym 'Logu Dulos').

In einem weiteren Brief Gebhards heißt es hierzu: "Im Jahre 1980 hatte Pape [hier ist Dieter Pape gemeint] in ihrer ,Christlichen Verantwortung' Nr. 130 (S. 7) nichts Eiligeres zu tun, als dienstbeflissen ihrem Mitautor am Uraniabuch, Dr. sc. Julius Mader, die Ehre anzutun, seine in der Tageszeitung .Neue Zeit' (21.5.1980) abgedruckten Artikel ,Die CIA macht auch vor den Türen der Kirche nicht halt' in wirkungsvoller Fotomontage partiell nachzudrucken." BArch Berlin, DO 4, Akten-Nr. 1179, S. 5, Gebhard an StfK vom 2. Januar 1985.

Es ist in diesem Zusammenhang mehr als bemerkenswert, daß ich zwar meinen Namen für das Urania-Buch hergeben darf, zugleich mir aber die Bitte um Einsichtnahme der in Potsdam verwahrten Dokumente faktisch verwehrt wird. Ganz zu schweigen davon, daß ich auch für die sonstigen fraglichen Dokumente (Beschlagnahmungen aus dem WTG-Büro und dergleichen) bis zum heutigen Tage keinerlei Möglichkeiten der Einsichtnahme der Originale erhalten habe. Die Intention gewisser Leute besteht also darin, nur einen 'Strohmann' für ihr Urania-Buch gesucht und gefunden zu haben.

Ein Zitat aus der Zeitschrift "Erwachet" vom 8. Dezember 1948, in dem es um eine Gesamteinschätzung der weltpolitischen Situation ging, wurde im Urania-Buch so entstellt, daß der Leser zu der Überzeugung kommen mußte, es würde tatsächlich nur in negativer Weise über den Kommunismus berichtet. Gebhard schrieb zu diesem Sachverhalt:
"Die Verfasser des Urania-Buches meinten die von ihnen ausgewählte Textpassage, die sich bei näherem Hinsehen als Halbwahrheit übelster Machart erweist, mit den Worten kommentieren zu können, es sei eine Hetztirade, 'diesmal ganz im Stil eines Joseph Goebbels' gehalten. […] Mir ist schon verständlich, wenn in der Folge davon sich die These herausbildete, dass die Zeugen Jehovas die 'religiösen Antikommunisten' seien. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß diese These bei objektiver Prüfung nicht haltbar ist, und das ganze in diesem Sinne veröffentlichte Schrifttum eigentlich reif für die Makulatur wäre.

In einem weiteren Brief vom Oktober 1983 äußerte sich Gebhard erneut zu der MfS-Dokumentation:
".Es hat sich in der Folge dann so ergeben, daß ich letztendlich Herausgeber des Urania-Buches dieser 'Studiengruppe' wurde [CV], wobei bezeichnenderweise die Leute, die das veranlaßten, mir faktisch fast keine Möglichkeit gaben, eigene Intentionen in das Manuskript einzubringen. Die tatsächliche Devise hieß unterm Strich gesehen 'Vogel friß oder stirb!' Da ich mich nicht zu den Leuten rechne, die auf dem Felde der Zeugenproblematik bedingungslos das 'nachbeten', was andere meinen vorplappern zu können oder sollen, hat sich ein erster größerer Bruch mit dieser sogenannten 'Studiengruppe' 1972 ergeben.

Am 27. Juli 1983 schrieb er:
Daß die 'Christliche Verantwortung' ein Demagogieorgan ist, habe ich schon deutlich früher indirekt, bzw. direkt ausgesprochen. Aber geändert hat sich nichts.
M. Gebhard an StfK , Hauptabteilungsleiter Heinrich, S. 2,10/1983.
Meine Kritik am Urania-Buch ist bekannt - aber geändert hat sich nichts. Schon die Diktion im Urania-Buch spricht diesbezüglich für sich. Symptomatisch dafür sind auch solche Überschriften wie 'Politisches Verhalten im Spannungsjahr 1953'[S.253 ff]: 'Zeugen Jehovas als politische Flüchtlinge' [S.283ff.]; Das Ostbüro in Westberlin' [S. 256 ff.] und etliches mehr. Die Herren können eben ihre Kinderstube nicht verleugnen. Im Selbstbeweihräuchern waren sie schon immer ,erste Klasse'. Was interessiert es da noch, daß solche Phrasen bei den 'Zeugen' resonanzlos verpuffen!? Bedauerlich ist nur, daß sie es für nötig erachteten, dieses Kuckucksei anderen unterzuschieben. Mein Pech dabei war es, daß ich nach meinem Bruch mit den 'Zeugen' meinte, auch etwas zum Thema 'Zeugen' schreiben zu sollen. Das weitere Pech war, daß diese Herren zu mächtig sind, und ich in der damaligen Situation nicht stark genug war, mich mit ihnen auseinanderzusetzen. (Sie sind ja ohnehin nur 'katzbuckeln' gewohnt). Wenn sie heute einen entschiedenen Kritiker vor sich haben, dann sage ich ihnen unverblümt ins Gesicht: DEN EINZIG GUTEN DIENST DEN IHR NOCH TUN KÖNNT IST: EUCH ZURÜCKZUZIEHEN UND EURE DRECKIGEN FINGER AUS DER ZEUGENSACHE HERAUSZUNEHMEN! [Großbuchstaben im Original]

Daß es bei Abweichungen von der geforderten Linie schnell zur Entziehung der Erlaubnis zur Archivarbeit kommen konnte, zeigt das Beispiel M. Gebhards, der die Blockademöglichkeiten bezüglich seiner eigenen Forschungsarbeiten über Jehovas Zeugen zu spüren bekam. Es schrieb im Jahre 1985 gleich an drei Adressaten, um seinem Ärger Luft zu machen: „Ich protestiere hiermit dagegen, daß wieder einmal mir das MfS der DDR meine beabsichtigten weiteren Studien in Suchen faschistischer Literatur [hier ging es um Nazi-Literatur über Jehovas Zeugen] (ASF-Liste, Februar 1985) bis zum heutigen Tage blockiert. Ich habe es langsam satt, mich mit diesen Herren, denen ich die wissenschaftliche 'Qualifikation' in der zur Diskussion stehenden Angelegenheit abspreche, mich nun schon fast permanent rumschlagen zu müssen." BArch Berlin, DO 4, 1179, Brief Gebhards vom 25.7.1985 an Prof. Dr. H. Dressler, an das StfK und den Staatsrat der DDR. Schon am 21. Juni 1983 hatte Gebhard die Bitte bezüglich der Einsichtnahme an das StfK gerichtet. BArch Berlin DO 4, 1179, Brief Gebhards an StfK vom 21.6.1983. (Hirch S. 333)

Bezüglich eines weiteren Kommentars zum Komplex Uraniabuch siehe auch:
Uraniabuch

Sicherlich gibt es weitere interessante Einzelheiten in diesem Buch. Beispielsweise über die Herren Karl-Heinz Simdorn (alias Wolfgang Daum) oder auch über den Herrn Struck, alias Henry Werner und anderes mehr. Das alles zu referieren würde allerdings jetzt den Rahmen sprengen. Generell ist zu sagen. Das Hauptthema von Hirch ist die CV. Es ist jedem nur anratbar sich darüber ein eigenes Urteil zu bilden. Dies ist auch ohne Herrn H... möglich.
Siehe dazu: ProjektCV

Weiter kritisiert H... besonders, dass die CV auch Außenkontakte aufbaute. Dieser Kritikpunkt kann meines Erachtens nicht stechen, denn ähnliches tut auch die WTG. Man denke nur an ihre "Standhaft"-Kampagne
Man vergleiche auch: Mitteilungen

In diesem Kontext wird von ihm der im Westen lebende Günther Pape attackiert. H... unterstellt, Pape (West) habe durchaus „gewusst" wo und in welchem Rahmen sein im Osten lebender Bruder angebunden war und wirksam ist. Er verweist als Beleg dazu darauf, dass die CV von Pape (West) Materialien zugespielt bekommen habe. Als Beispiel nennt er die Ausführungen über die Zeugen Jehovas-Versammlung in Offenburg. Siehe dazu. Offenburg

Was ist dazu zu sagen? Zum einen. Es sind zwei leibliche Brüder, die durch politische Umstände, die nicht sie zu verantworten haben, in zwei politisch unterschiedlichen Staaten lebten und dort ihren „jeweiligen Weg" gingen. Im Zuge der von westdeutschen Bundesregierungen forcierten Politik, man möge doch bitte nicht die Verbindung zu den „Brüdern im Osten" abbrechen laßen, hat auch Pape (West) sich bereit gefunden, dass so zu handhaben. Und Pape (Ost) hat mit offensichtlicher Genehmigung seiner Vorgesetzten, die Bereitschaft gezeigt diese Kontakte nicht abbrechen zu lassen.

Das ist der dürre Tatbestand. Dieser dürre Tatbestand reicht aber keineswegs aus, daraus einen justiziablen Fakt des „Landesverrats" zu konstruieren, denn darauf läuft die WTG-gesponserte Argumentation hinaus. Der Fall Pape ist keineswegs ein „Novum". Es gab noch sehr viel mehr „Pape's" in beiden deutschen Staaten. Beispielsweise den von Hirch auch nicht geschätzten Kirchenjournalisten Reinhard Henkys, der auch einen im Osten lebenden leiblichen Bruder hat.

Wie sind die Fakten bezüglich des Falles Offenburg einzuschätzen? Nun doch wohl so. Als Interna aus der WTG-Organisation. Die wären ebenso geeignet gewesen, zur Veröffentlichung in einem westlichen Publikationsorgan als Anti-Zeugen Jehovas-Artikel. Kein westlicher Staatsanwalt hätte je daran Anstoß genommen. Bundesrepublikanische Sicherheitsinteressen, sind durch Veröffentlichung der Offenburg-Fakten in keiner Weise tangiert. Nun fand die Veröffentlichung aber in einem östlichen Organ statt. Und, was solls? Muss man weiter fragen. Es wurden keine „Staatsgeheimnisse" verraten. Ergo kann sich die WTG zwar darüber ärgern. Das ist aber auch alles.

Weiter. Auch andere Presseorgane der DDR (beispielsweise dessen berühmt-berüchtigtes „Neues Deutschland") hatten in Westdeutschland und anderen westlichen Ländern, offiziell akkreditierte Reporter.
Insofern kann man die von Pape vermitteltete Information als die eines „Auslandskorrespondenten" klassifizieren. Hat die WTG je einen Bundesrepublikanisch, gerichtlich erstrittenen Titel bewirkt. Mit der CV in der DDR darf niemand zusammenarbeiten. Wer es trotzdem tut, macht sich der Verletzung Bundesrepublikanischer Geheimhaltungsvorschriften schuldig. Hätte sie das „erfolgreich" getan, könnte sie heute vielleicht aufmucken. Sie hat es aber n i c h t getan.

Weiter. Auch CV hatte eine Impressum. Stand da irgendwann je zu lesen „Korrespondent in der Bundesrepublik Deutschland: Günther Pape" ? Nein, lautet auch diese Antwort. Auch damit ist Pape entlastet. Er hat seinen Bruder gelegentlich journalistische Infos zukommen lassen. Das war in der Regel ein geben und nehmen. Auch Reinhard Henkys konnte seine Zeitschrift „Kirche im Sozialismus" nur deshalb gestalten, weil eben auch er, etliche „inoffizielle Korrespondenten" von der „anderen Seite" an der Hand hatte. Genauso liegt auch dieser Fall.
H..., B..., WTG verbreiten in der Sache Pape eine Aufgeregtheit, durch die sie letztendlich nur eines erreichen: Sich selbst lächerlich zu machen.

Ein Zitat von H... sei noch gebracht. Und damit mögen sich diese Ausführungen ihrem Ende zuneigen. Auf S. 161f. schreibt er:
"Ab dem Ende der siebziger Jahre wurde auf seiten der Zeugen Jehovas verstärkt der Tendenz zur Apathie entgegengewirkt. Die negative Tendenz konnte langsam dadurch umgekehrt werden, daß sich die "leitende Körperschaft" dessen bewußt wurde, mit einer relativ genauen Berechnung des "Endes der Welt" zu weit gegangen sein. Das "Ende der Welt" sei jedoch eine biblische Tatsache, die man weiterhin verkündigen wolle.
Somit kann konstatiert werden, daß die enttäuschte Erwartungshaltung bezüglich des Jahres 1975 mehr Einfluß auf die Stagnation bzw. den leichten Rückgang der Gemeinschaft in der DDR hatte, als die "Zersetzungsarbeit" des MfS."

Schlussbemerkung:
Da gab es mal vor einiger Zeit ein Posting bei Infolink. In der Sache drehte es sich darum, wie denn die agile Autorin Frau Y. einzuordnen sei. Man vergleiche auch: Nun

 Und in diesem Kontext fiel auch die Anmerkung, dass ein WTG Kreisaufseher jemand "gerüffelt" hatte, der große Stücke auf Frau Y.'s Buch hielt. Das sei nicht das, was die WTG empfehle, so der Tenor. Man möge sich doch mit den geschönten WTG-Berichten zufrieden geben. Mag diese Episode auch nicht "aktenkundig" belegbar sein. So abwegig erscheint sie mir indes nicht.

Herr D... soll dem Vernehmen nach, als Rechtsanwalt im hauptamtlichen Dienst der WTG stehen. Indes bezüglich einer massiven Reklame für sein Buch ("Keine Gnade für die Feinde unserer Republik"), sucht man in der WTG-Literatur bisher vergebens.
Über Herrn H... wurde mal die Meldung verbreitet, er sei noch nicht mal als Ältester in seiner örtlichen Versammlung eingesetzt. Nun den Kommentar dazu kann er auch aus vorstehendem entnehmen. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan …

Ob Herrn H...'s Buch wirklich geeignet ist "Euphorie" bei den WTG-Funktionären zu verursachen, erscheint mir nach dessen Lektüre mehr als zweifelhaft. Aber ohnehin mag der hohe, unsoziale Erwerbungspreis auch dafür sorgen, dass ihm in Zeugenkreisen wohl keine übermäßige Verbreitung zuteil wird.
Wissenschaftler werden dieses Buch, nicht zuletzt über wissenschaftliche Bibliotheken zur Kenntnis nehmen. Es wird ihnen sicherlich einiges verständlicher machen. Jedoch eines wird es wohl nicht. Euphorie erwecken im Sinne, die WTG sei "Gottes Kanal".

Ostdeutschland


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