Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Sonderausgabe

Im vorangegangenen Bericht war auch davon die Rede, dass auch die WTG einschätzte, der Tod Stalins habe eine (zeitweilige) relative „Tauwetterperiode" eingeleitet. Nun waren die Zeugen Jehovas im geographischen Bereich Ostdeutschland schon immer präsent, auch in den Vor-kommunistischen Zeiten. Das damalige Riesenreich Sowjetunion muss da wohl etwas anders gesehen werden. Zur Zarenzeit gab es da zwar schon einzelne Bibelforschergruppen. Aber doch wohl eher der numerisch unbedeutenden Art. Mit der kommunistischen Machtergreifung sollte dann für die Religion insgesamt (gleich welcher Ausprägung) eine „Eiszeit" anbrechen. Im seinerzeitigen „Goldenen Zeitalter" der Zeugen Jehovas sind einige klagevolle Berichte nachweisbar bezüglich der Sowjetunion. Unter anderem einer der besagt, dass ein aus den USA (mit Visum) eingereister WTG-Vertreter, nachdem den Sowjetbehörden klar wurde, was der wirklich will, „Knall auf Fall" nach 14 Tagen Aufenthalt dort, wieder buchstäblich rausgeschmissen wurde. Zu irgendwelchen „Verhandlungen" war das Sowjetregime nicht im Entferntesten bereit.

Diverse Male findet sich auch die Klage über die straffe Sowjetzensur vor, die es zum Beispiel unmöglich machte, irgendwelche religiöse Literatur auf dem offiziellen Postwege einzuführen. Das damit ein besonderer Nerv der WTG-Religion getroffen wurde, liegt auf der Hand.

Der anbrechende Zweite Weltkrieg, schuf neue Geopolitische Konstellationen. In den annektierten baltischen Staaten gab es in der Zeit, wo diese noch selbstständig waren, zeitweise sogar eigene WTG-Büros. Auch WTG-Radiosendungen wurden von dort (zeitweise) ausgestrahlt. Nun also diese Staaten auch zur Sowjetunion zugehörend. Weit bedeutender indes waren die annektierten Gebiete, die davor zur Polen gehörten. Da waren schon größere Zeugen Jehovas-Populationen vorhanden, die nun ebenfalls in der Sowjetunion „verschwanden". Das seitens der WTG da Verhandlungswünsche - wenn denn möglich - mit den Sowjet-Machthabern bestanden, kann man durchaus nachvollziehen.

Stalins Tod, und das zeitweilige ungeklärte Machtvakuum danach, erschien der WTG als geeigneter Zeitpunkt dazu. Eine spektakulär zu nennende „Petition" wurde dazu in Szene gesetzt, worüber insbesondere die "Wachtturm"-Ausgabe vom 15. April 1957 - ausdrücklich als Sonderausgabe gekennzeichnet - berichtet. Es muss allerdings rückgefragt werden, welchen Stellenwert man dieser „Petition" denn zuordnen soll. Man muss sie wohl eher dem Bereich „Schaufensterreden" zuordnen.

Nicht nur das kommunistische, namentlich auch das nazistische Regime, erwies sich je länger, je mehr, als ausgesprochen Kirchenfeindlich. Das bekam auch die katholische Kirche zu spüren, die da doch anfänglich noch wähnte, mit ihrem Konkordat, ihre Interessen „in trockenen Tüchern" zu haben. Das war wohl eine grandiose Fehleinschätzung, was auch den Kirchenfürsten zunehmend bitter deutlich wurde. Der inzwischen veröffentlichte Aktenbestand dazu; etwa in der im Matthias Grünewald erschienenen Buchreihe „Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte bei der katholischen Akademie in Bayern", ermöglicht einige interessante Einblicke. Danach waren die Kirchenfürsten keineswegs ein „monolithischer Block". Zwar bestimmte der Breslauer Kardinal weitgehend die eigene Kirchenpolitik. Aber er hatte auch Widersacher, die ihm schon zeitgenössisch vorwarfen mit seiner Politik der „feinsten Diplomatie", auf die tatsächliche Sachlage nicht mehr angemessen zu reagieren.

Nun also die Zeugen Jehovas mit ihrer     1956er Sowjetunion-„Petition". War die von „feinster Diplomatie" geprägt. Wohl kaum. Wie naiv - eine andere Bezeichnung wäre wohl unangemessen - die Zeugenführung da vorging, macht allein schon der Umstand deutlich, das die Kommunisten, ausgerechnet in jener "Wachtturm"-Sonderausgabe, welche die „Petition" abdruckte, auch auf Seite 255 folgendes zu lesen bekamen:

„Der Gebrauch theokratischer Kriegslist

In Kriegszeiten machen die verschiedenen Parteien große Anstrengungen, um ihre Bewegungen vor dem Feinde zu verheimlichen. Um den Feind im Ungewissen zu lassen oder ihn daran zu hindern, Kenntnis über ihre Absichten zu erlangen, wenden sie Kriegslist an. Soldaten Christi, die mit Feinden Gottes zu tun haben, welche die Wahrheit hassen und andere hindern wollen, sie kennenzulernen, gebrauchen weißlich theokratische Kriegslist. Dies tun sie, nicht um jemandem zu verletzen oder ihm Schaden zuzufügen, sondern um zu verhindern, daß die 'Wölfe' die Bemühungen Menschen, die nach Erkenntnis der Wahrheit und Gerechtigkeit hungern, Hilfe gebracht werden doll. Wenn Christen solchen 'Wölfen' begegnen, wenden sie Kriegslist an, indem sie in Übereinstimmung mit Jesu Anweisung in Matthäus 10:16 so vorsichtig sind wie Schlangen und dabei so harmlos wie Tauben."

Das Thema „Theokratischer Kriegslist" war in jenem Jahre eine Art „Dauerbrenner". Erneut in der "Wachtturm"-Ausgabe vom 1. Mai 1957 (S. 287); auch in der "Wachtturm"-Ausgabe vom 15. Mai 1957 (S. 319) findet man es.

Im „Wachtturm" vom 1. Juli 1957 war ihm sogar ein eigener Artikel gewidmet. „Passend" auf das Niveau religiöser Narren zugeschnitten. Die mögen sich in der Tat auf „die Schenkel geklopft haben", wie „clever" da doch eine zitierte Zeugin Jehovas war. Das üble an der Sache ist allerdings. Das genannte Beispiel stellt nur die „Zuckerfassade" dar. Dieser Grundsatz der „theokratischen Kriegslist" griff und greift weitaus tiefer, als wie es jene Milchmädchenstory suggeriert. Zitat aus diesem Artikel:

„Wende theokratische Kriegslist an"

Eine Zeugin Jehovas ging in Ostdeutschland von Haus zu Haus und stieß auf einen heftigen Gegner. Da sie sogleich wußte, was nun zu erwarten war zog sie im nächsten Hausflur ihre rote Bluse aus und legte dafür eine grüne an. Kaum auf die Straße getreten, fragte sie ein kommunistischer Beamter, ob sie nicht eine Frau in einer roten Bluse gesehen habe. 'Nein', erwiderte sie und zog ihres Weges. War dies eine Lüge? Nein, sie log nicht … Vielmehr wandte sie theokratische Kriegslist an, indem sie die Wahrheit um des Predigtdienstes willen durch Wort und Tat verbarg.

Vielleicht fragt sich jemand, wo denn die Grenze zwischen theokratischer Kriegslist, durch die ein Tatbestand verborgen gehalten wird, und dem Aussprechen von Lügen gezogen werden soll …

So ist es denn in der Zeit eines geistigen Kampfes angebracht, den Feind auf falsche Fährte zu weisen, indem man die Wahrheit verbirgt. Dies geschieht aus Selbstlosigkeit und gereicht niemand zum Schaden … Gottes Diener stehen heute in einem Kriegszuge, einem geistigen, theokratischen Kampfe, einem Kriegszuge, den Gott gegen die bösen Geistermächte und falschen Lehren zu führen befohlen hat.

Sie müssen zu allen Zeiten sorgfältig darauf achten, daß sie dem Feinde nicht irgendwelche Auskunft vermitteln, die er zur Unterbindung des Predigtwerkes benutzen könnte."

Zum Thema kann man auch vergleichen:

Kriegslist zum Anfassen

Schlafende Hunde geweckt

Das die Zeugen Jehovas „kriegslüstern" sind, wussten (auch) die Kommunisten schon vorher. Und das wusste man schon seit der Nazizeit. Der damalige Bibelforscher-Gegner Jonak, wurde etwa im "Goldenen Zeitalter" vom 1. 11. 1936 von ihnen belehrt, bezüglich des von Jonak mit thematisierte Finanzierungsthema. Wobei jetzt keineswegs Jonak's Argumente unkritisch übernommen werden sollen. Es geht im jetzigen Kontext allein um den "flapsigen Ton" den da das "Goldene Zeitalter" anschlug, wenn es schrieb:

"Wenn Sie es noch nicht wissen sollten, so nehmen Sie es bitte jetzt zur Kenntnis. Es ist Krieg zwischen Gottes Organisation und der des Teufels, und keine Zeit, um wegen eines angeblichen 'Freimauerbriefes' lange Verhandlungen zu führen. Wir haben Wichtigeres zu tun. Unser König sagt: 'Stellet euch ringsum auf wider Babel ... schießet ihm nach, schonet die Pfeile nicht! denn gegen Jehova hat es gesündigt. Erhebet ein Schlachtgeschrei gegen dasselbe ringsum! ... Das ist ein deutlicher Befehl von Gott, den Tag der Rache auszurufen über die Organisation des Teufels, einschließlich der römisch-katholischen Hierarchie ..."

Man vergleiche auch : 19372Kriegserklaerung

Um jetzt wieder auf den "Petitions"-"Wachtturm" zurückzukommen. Das man auch ausgerechnet dort die fragwürdige Kriegslist-Dogmatik-Thesen zu lesen bekam, zeugt wohl von einer hochgradigen Verblendung. Zugleich ist es auch Beleg dafür, dass der WTG zu der Zeit, an einer Lösung der anstehenden Fragen überhaupt nicht gelegen war. Denn dafür wäre in der Tat „feinste Diplomatie" vonnöten gewesen. Es ging ihr nur darum sich den westlichen Falken als besonders militante Antikommunisten anzubiedern.

Natürlich bot die kommunistische Kirchenpolitik eine geradezu ideale Möglichkeit, sich den westlichen Falken anzubiedern. Die Opfer die dabei, für diese Politik, die im östlichen Machtbereich lebenden Zeugen Jehovas, zu erbringen hatten, wurden billigend in Kauf genommen. N. H. Knorr und seine Hardliner mussten ja nicht in kommunistischen Gefängnissen einsitzen. Dieses „Vorrecht" überließen die Brooklyner selbstredend anderen. Deren tatsächlich tragisches Schicksal diente nur dazu, selbst den blindesten westlichen Falken (die nicht unbedingt von Haus aus schon Zeugen Jehovas „Freunde" waren), von der Nützlichkeit dieser religiösen Idioten zu überzeugen.

Und so lässt denn genannte "Wachtturm"-Ausgabe unter der Überschrift „Streiflichter aus dem Roten Paradies" auch wissen:

„Es stimmt, daß bei einigen Regierungen, die vom Kommunismus gestürzt wurden, ein Wechsel nötig war. Aber dort, wo das Volk den Kommunismus annahm, tauschte es nur eine Art der Bedrückung gegen eine andere aus. Das verheißene Paradies blieb aus. Statt dessen gab es Spitzel, und eine brutale Staatspolizei und ausgedehnte Zwangsarbeitslager wurden geschaffen. Diese Lager bestanden tatsächlich, und als der kommunistische Terror seinen Höhepunkt erreichte, mögen sie vielleicht mehr als zehn Millionen Insassen gehabt haben. Das ganze unter sowjetischer Herrschaft stehende System hat sich als ein Fehlschlag erwiesen, was die Freiheit des Volkes betrifft, besonders, wenn man an die Freiheit denkt, die der Marxismus dem Volke versprochen hatte. Selbst die Religionssysteme der Christenheit, die in jenen Gebieten vertreten waren, mußten sich der Roten Herrschaft beugen. Aber Tausende der Träger der wahren messianischen Hoffnung, sind von den brutalen Herren des 'Volksparadieses' eingesperrt und gequält worden. Welche Martern sie ertragen müssen!"

Man stelle sich mal vor, der Breslauer katholische Kardinal mit seiner Politik der „feinsten Diplomatie", oder auch der Herr Papst in Rom, zu der Zeit, wo deutsche Militärtruppen, buchstäblich vor den Mauern des Vatikans in Rom patrouillierten (eine solche Zeit gab es). Man stelle sich vor, zu der Zeit hätten der Herr in Breslau oder der Herr in Rom eine ähnliche Verlautbarung laut in die Welt hinausposaunt (haben sie nicht, dass muss ebenso deutlich gesagt werden). Was dann wohl passiert wäre.

Gut, Kardinal Galen von Münster wagte es das Naziregime zeitgenössisch in der Euthanasiefrage zu brüskieren (Das bleibt sein unbestrittener Verdienst). Bekannt ist auch, wie die Nazis diesbezüglich beratschlagten. Zähneknirschend „zogen sie den Schwanz ein" und wagten es noch nicht (zu damaliger Zeit) gegen Galen vorzugehen.

Um auf die gestellte Frage zurückzukommen, Hätte der Herr in Breslau und der Herr in Rom, zeitgenössisch eine ähnliche Verlautbarung von sich gegeben, wie das zitierte Zeugen Jehovas-Statement. Ich bin mir keineswegs sicher, ob das dann auch wie im Falle Galen ausgegangen wäre. Hitler hatte sehr wohl erklärt. Es ist noch eine „Endlösung" auch mit dem Christentum vorgesehen. Die mit dem Judentum lief schon auf vollen Touren. Um die eigenen Kräfte nicht noch weiter zu verzetteln, wurde die Endlösung in Sachen Christentum, auf die Zeit „nach dem Endsieg" vertagt.

Gesetzt der Fall der Herr in Breslau und der Herr in Rom, hätten eben ihre „feinste Diplomatie" ad acta gelegt (Gründe dafür gab es mehr als genug). Was dann wohl passiert wäre! Ob es wirklich dann noch bei der Vertagung „nach dem Endsieg" geblieben wäre, ist doch sehr die Frage.

Narren sind in der Politik nicht selten - als Kanonenfutter - hochwillkommen. Da muss man keineswegs nur an jene Flugzeugpiloten denken, welche in das World Trade Center hineinrasten, mit den bekannten Folgewirkungen.

Die Zeugen Jehovas-Narren im Falle der Politik Rollback dem Kommunismus, waren gleichfalls solche hochwillkommenen Narren für die westlichen Falken!. Das politische Kapital das daraus ohne Zweifel eingeheimst werden konnte, hat Brooklyn nur mit Freuden kassiert. Herr Knorr brauchte dafür ja nicht persönliche Bekanntschaft mit kommunistischen Gefängnissen oder Deportationslagern machen! Und sein damaliger (nicht zu vergessender) „Statthalter in Westberlin", der Herr P., hat ihm auch nicht widersprochen!

Und so jubelt man in der flankierend zum Thema agierenden "Erwachet!"-Ausgabe vom 22. 4. 1957 (S. 31):

„Gottes Wort triumphiert über den Kommunismus

Wahre Christen werden von kommunistischen Führern mißhandelt, ihr Glaube an Gottes Wort hält sie aufrecht. Lesen Sie den ergreifenden Bericht 'Streiflichter aus dem Roten Paradies' in der Zeitschrift 'Der Wachtturm' vom 15. April 1957 . .... Wenn Sie diese Zeitschrift gelesen haben, wünschen Sie bestimmt auch einen Anteil an der Verbreitung der 10.000.000 Exemplare die von dieser Ausgabe gedruckt worden sind."

Ergänzend muss beachtet werden, dass die reguläre "Wachtturm"-Auflage zu damaliger Zeit, keineswegs schon so hoch war. Es wurde also bewusst eine Kampagne forciert.

Liest man weiter die WTG-Verlautbarung in diesem "Petitions"-WT (S. 249)

„An die Kommunistenführer eingereichte Petition.

'Ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinen Samen und ihrem Samen.' Diese Worte sprach Jehova Gott zur Schlange im Garten Eden. Die Feindschaft hat denn auch bis in unsere Zeit hinein bestanden. Heute tritt sie in dem Haß, den die kommunistischen Herrscher gegen Jehovas Zeugen hegen, besonders zutage."

Oder liest man weiter auch in der gleichen WT-Ausgabe:

„Im Juli jenes Jahres (1949) fand in der 'Waldbühne' in Berlin eine Bezirksversammlung der Zeugen Jehovas statt. Damals wurde von den 18.000 Versammelten eine Resolution angenommen, in der gegen die kommunistische Bedrückung der Zeugen Jehovas in Ostdeutschland protestiert wurde. Im folgenden Jahr nahmen anläßlich eines internationalen Kongresses der Zeugen Jehovas im Yankee-Stadion (New York) 85.000 Kongreßteilnehmer eine Resolution an, die einen Protest gegen Verfolgung der Zeugen Jehovas durch die kommunistischen und andere Regierungsmächte enthielt."

Liest man diese und weitere Passagen ähnlicher „Güte" in dieser WT-Ausgabe, dann kann man noch heute fast buchstäblich die Beifallsorkane in den Büros der maßgeblichen westlichen Falken hören. Dagegen mutiert ja der Herr McCarthy fast zu unbedeutenden Nummer. Nur eines ist dann wohl unangemessen; noch von einer „Petition" zu reden. Das war eine üble Schaufensterrede und sonst nichts!

Weiters zum Fall McCarthy

 1957er Rückblick zur Zeugen Jehovas Geschichte

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