Der vorangegangene Jahrgang    1924

Vor (mehr als) 50 Jahren

Was 1925 Wahrheit war

Nach Tisch las man es anders

Noch im "Goldenen Zeitalter" strahlte man Siegesgewissheit aus:

 

Auch in Vorträgen für die Öffentlichkeit:

Zunehmend reduzierte sich diese Vollmundigkeit. Anfang 1925 schlug der "Wachtturm" (1925 S. 35) schon etwas zurückhaltendere Töne an:

"Das Jahr 1925 ist gekommen. Mit großer Erwartung haben Christen diesem Jahre entgegengesehen. Viele haben zuversichtlich erwartet, dass alle Glieder des Leibes Christi während des Jahres zu himmlischer Herrlichkeit verwandelt werden. Dies mag vielleicht erfüllt werden. Es mag vielleicht nicht so sein. … Zu seiner eigenen Zeit wird der Herr seine Absichten mit Bezug auf sein eigenes Volk vollbringen. Christen sollten nicht so tief bekümmert sein um das, was sich während dieses Jahres ereignen mag, so dass sie es daran fehlen ließen, freudig das zu tun, was der Herr möchte, dass sie es tun sollten."

Die Tendenz war klar: Zeit gewinnen hieß die Parole! So belehrte der "Wachtturm" etwa: (1925 S. 89): "Viele können sich erinnern, wie 'absolut sicher' einige mit Bezug auf 1914 waren. Ohne Zweifel hatte der Herr Wohlgefallen an dem Eifer, der von seinen Knechten geoffenbart wurde; aber hatten sie eine biblische Grundlage für alles, was sie erwarteten, dass in jenem Jahre sich zutragen würde? Lasst uns deshalb vorsichtig sein, Einzelheiten vorherzusagen. Der Herr wird sie klar machen, so schnell sie Speise zur rechten Zeit werden." 50 Jahre später verwandte ein herausragender Funktionär der Wachtturmgesellschaft, der es bis zu dessen Präsidentenamt brachte und der 1925 als Bibelforscher auch persönlich schon miterlebt hatte die Wischi-waschi-Formulierung: "Es könnte sein, es könnte sein. … Doch wir sagen das nicht". Damit meinte er dann aber 1975. Vergleicht man, so stellt man fest: Man hielt es 1925 schon so ähnlich!

Auch damals wurde erklärt: ("Wachtturm" 1925 S. 89): "Wieviel von all diesem im Jahre 1926 geschehen wird, ist nicht gesagt. Gegenwärtig finden wir kein bestimmtes Datum über 1926 hinaus in der Schrift angezeigt. Als die Bibelforscher den Zeitpunkt 1914 in der Bibel fanden, verkündeten sie es weit und breit, aber der Herr ließ den Vorhang nieder an jenem Zeitpunkt, bis wir ihn erreicht hatten. Gott setzte sein Siegel auf 1914, und das Werk, dass in jenem Jahre begonnen wurde, geht noch weiter. Wir finden den Zeitpunkt 1925 klar angezeigt in dem prophetischen Umriss, und der Herr hat den Vorhang nicht genügend für uns gehoben um klar darüber hinaus zu sehen. Viele von uns mögen während der Jahre 1925 und 1926 heimgerufen werden. Ob wir nun gerufen werden, oder ob Jehova einige von uns hier für ein weiteres Werk lassen wird, was macht das aus?"

Damals verkündete man der staunenden "Wachtturm"-Leserschaft weiter ("Wachtturm"1925 S. 86):

"Schon im Jahre 1876 und 1877 wurde gezeigt, dass die Bibel 1914 als den Schluss der Zeiten der Nationen vorausgesagt hatte. Viele Bibelforscher verkündeten 1914 als das Ende der Welt … Ende des Zeitalters oder der Herrschaft der Nationen. Viele können sich erinnern, dass schon 1890 Gerüchte eines großen europäischen Krieges auftauchten. Die Nationen begannen sich zum Kriege vorzubereiten. Aber Jahr auf Jahr verzog sich der Krieg, bis man allgemein glaubte, dass ein Krieg niemals kommen könnte. Es ist erklärt worden, dass Deutschland sich zum Kriege rüstete und einen Krieg im Jahre 1912 erwartete. Aber 1912 ging vorbei und kein Weltkrieg kam. Viele bemerkten, dass der Krieg zurückgehalten worden war wie durch eine unsichtbare Macht, und dies war der Fall. Plötzlich beinahe wie ein Donnerschlag aus heiteren Himmel, am 28. Juli 1914, erklärte Österreich Krieg gegen das kleine Serbien. Binnen zwei Tagen erklärte Russland um seinen Schützling Serbien zu beschirmen, Krieg gegen Österreich. Deutschland machte sofort gemeinsame Sache mit Österreich gegen Russland. England und Frankreich beeilten sich, Russland beizustehen. So plötzlich waren die Kriegsfurien losgelassen, dass um den fünften August alle Hauptnationen Europas in tödlichem Kampfe lagen, und das Werk der Entsetzung der Nationen begann. Wir sehen jetzt, warum Deutschland in den Weltkrieg nicht im Jahre 1912 verwickelt wurde. Es war nicht die Zeit Gottes. Die Zeiten der Nationen waren nicht völlig abgelaufen."

Nach 1925 las man es dann im "Wachtturm" noch etwas anders. Schuld waren jetzt jene, die diese Thesen vielleicht etwas zu wörtlich genommen hatten. So belehrte der "Wachtturm" (1928 S. 36, 37): "Bei anderen regt der Feind den Gedanken an, dass alle irdischen Güter vernachlässigt oder fortgegeben werden müssen, um in solcher Weise ein Opferleben zu führen und ergebungsvoll auf die Verherrlichung zu warten. Manche werden so träge und träumerisch, dass sie nicht mehr für die anständigen und ehrbaren Dinge für sich selbst und für die von ihnen Abhängigen arbeiten, sondern nur, wie sie sagen, auf den Herrn warten. Noch andere geraten in so tiefe Armut, dass sie verzweifeln und glauben, dass Gott sie vergessen hat.

Möge kein Kind Gottes sich durch eitle Erklärungen oder Lehren ehrgeiziger Männer wie zum Beispiel die Ankündigung von Monat und Tag, da das letzte Glied der Herauswahl in den Himmel genommen wird, täuschen lassen. Solche Lehren sind nicht nur eitel und töricht, sondern auch dem Herrn gegenüber anmaßend. Möge jeder mit vollem Vertrauen, dass der Herr seine Kinder zu seiner eigenen Zeit verherrlichen wird, inzwischen fleißig das ausführen, was Gott seinem Volke als die zu verrichtende Arbeit übertragen hat. Ob nun ein Jahr oder zehn Jahre erforderlich sind, dass Zeugniswerk zu vollenden, sollte auf die Stellungnahme des Knechtes des Herrn weiter keinen Einfluss haben."

Kampf zwischen Kapital und Arbeit" - Ade!

Eher in beiläufiger Form, verweist der „Wachtturm" vom 1. 3. 1967 auf eine WTG-Lehrveränderung, die schon in den 1920er Jahren realisiert wurde.
Im Band 4 der „Schriftstudien" „Der Krieg von Harmagedon (der erste Titel selbigen war 'Der Tag der Rache') wurde das Endzeitszenario, in Sonderheit als ein „Kampf zwischen Kapital und Arbeit" dargestellt.
So schrieb Russell beispielhaft dort die Sätze:

„ Auch BISCHOF NEWMAN von der bischöflichen Methodistenkirche sieht, daß ein Kampf zwischen Kapital und Arbeit droht. Er sieht das Recht und das Unrecht auf beiden Seiten."

Der frühe „Starbibelforscher" John Edgar, berüchtigt-bekannt auch durch seine umfängliche Publizistik in Sachen der Pyramide von Gizeh, schrieb beispielhaft in seiner Broschüre mit dem Titel „Wo sind die Toten?" auch die Sätze:

„Die Zeichen dieser Drangsal sehen wir jetzt schon sich bemerkbar machen. In etwa mag der Kampf zwischen Arbeit und Kapital ein Vorläufer dieser Drangsal sein."

Verschiedentlich gab es im WTG-Schriftum auch bildliche Darstellungen, die diesen Aspekt unterstrichen.
Etwa dieses:

Auch in der Buchausgabe des „Photodramas der Schöpfung" mit enthalten (mehr zum Textende; dortselbst S. 189).
http://wtarchive.svhelden.info/archive/de/Publikationen/1914_XX_Photodrama_(1925).pdf
Nachdem Rutherford im 1925er Jahrgang des „Wachtturms" schon mal die vorherigen Endzeitdaten 1799 und 1874 außer Kurs setzte (WT-Artikel „Die Geburt der Nation") befand er wohl, er könne ähnliches auch beim Thema „Kampf zwischen Kapital und Arbeit", als Endzeitzeichen tun. So geschehen in der (deutschen) „Wachtturm"-Ausgabe vom 15. 8. 1925.
Die Ursprungsauslegung der einschlägigen Bibelinterpretationen, die da einen „Kampf zwischen Kapital und Arbeit" wähnten prognostizieren zu können, werden in dieser WT-Ausgabe überhaupt nicht mehr erwähnt. Der Artikel unter der Überschrift „Der Überrest" setzt jetzt völlig andere Akzente.
Die Zahlen der Gedächtnismahlbesucher der 1920er Jahre belegen es. Nachdem Rutherford's Ententeichdatum 1925 der Vergangenheit angehörte, war die Expansion der WTG (einstweilen) gestoppt. Schon früher vorhandene WTG-schismatische Gruppen, erhielten (zumindest zeitweilig) einen gewissen Auftrieb. Da befand Rutherford, es „passe besser" würde man diese schismatischen Tendenzen auch in das jetzt gültige Endzeitszenario einpassen.
So kann man etwa in dem genannten WT-Artikel „Der Überrest" auch die Sätze lesen:
„Der Tag der Schlußabrechnung kommt.... Vor 1881 gab es eine große Anzahl von Namenchristen, welche Glauben an den Herrn und sein Wort hatten, aber danach gab es einen großen und gewaltigen Abfall.
Von 1874 bis 1918 gab es viele, welche zu einer Erkenntnis der gegenwärtigen Wahrheit kamen und sich von den Namenkirchen lossagten. ... Während der späteren Jahre fand ein großer Abfall von der Wahrheit und Gott statt."

Und für besagten Abfall macht Rutherford wieder einmal den „Satan" verantwortlich.
Ergo sei nunmehr die Deutung die. Wer von der WTG wieder abfällt und der Überrest der ihr dennoch treu bleibt, "erfüllen" das, was in einer früheren Phase als Kampf zwischen Kapital und Arbeit gedeutet wurde.

Schweizer Funktionäre

In der Schweiz waren die Bibelforscher mit als einem der ersten europäischen Länder präsent. Indes sieht man sich ihre dortige Geschichte vor 1945 an, so wird man sagen können, dass sie auf niedrigem Niveau vor sich "herdümpelten". Und dies, obwohl sie eine eigene Druckerei für ihre Schriften in Bern betrieben. Für 1928 wurde ihre Zahl mit 253 beziffert. 1938 sollen es dann 982 gewesen sein. Erst nach 1945 ging es auch bei ihnen aufwärts. Die entsprechende Ausgangszahl für 1948 nennt als Durchschnitt 3702 predigende Zeugen Jehovas und als entsprechende Höchstzahl für dieses Jahr: 4074.

In Deutschland hingegen, wo die Bibelforscher später starteten, wollte man Anfang 1933 schon rund 25 000 gehabt haben (wobei diese Zahl auch die nichtpredigenden Sympathisanten offensichtlich mit beinhaltet).

Warum tat man sich in der Schweiz so schwer? Geht man dieser Frage nach so ist man geneigt, als Kommentar an den Spruch von den "zehn kleinen Negerlein" zu denken, die durch widrige Umstände immer weniger wurden. Also ich will jetzt nicht von zehn, wohl aber von sieben symbolischen "Negerlein" reden.

Über einen von ihnen, Samuel Lauper, sind in einem Link am Textende, weitere Fakten zusammengetragen.

Dann gab es da schon relativ früh, noch zu Zeiten Russells, die Kontroverse um den Dr. Emil Lanz, über die ein Dokument berichtet, das nachstehend im vollen Wortlaut wiedergegeben sei:

Resolution

Die von 48 Geschwistern der Ortsgruppe Bern der Internationalen Vereinigung ernster Bibelforscher besuchte Versammlung zur Besprechung der Meinungsverschiedenheiten, die über die Frage der Leitung des schweizerischen Erntewerkes entstanden sind, faßt folgende

Resolution

1. Sie bedauert, dass Br. Russell über die Verhältnisse in der Schweiz nur einseitig und vielfach unrichtig Informiert worden ist;
2. Sie stellt fest, dass infolge dieses Umstandes die von Br. Russel getroffenen Verfügungen in Bezug auf die Leitung des schweizerischen Erntewerkes den in der heiligen Schrift niedergelegten Grundsätzen Über die göttliche Gerechtigkeit und Wahrheit nicht entsprechen;
3. Sie anerkennt die Richtigkeit das von Br. Lanz eingenommenen Standpunktes, dass er den Versammlungen Im Namen der I.V.E.B. nicht mehr dienen kann, weil er das Vertrauen von Br. Russel nicht mehr geniesst, und stellt fest, dass Br. Lanz und seine Handlungsweise durch die vorgelegten Dokumente in jeder Beziehung gerechtfertigt erscheinen;
4. Sie versichert Br. Russel Ihrer Liebe und aufrichtigen Dankbarkeit für seine grosse und hingebende Arbeit im Erntewerk, und zweifelt nicht daran, dass Br. Russell in Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse Br. Lanz wieder das alte, volle Vertrauen entgegenbringen werde;
5. Sie erklärt, an den Versammlungen der I.V.E.B. nicht mehr mit Segen teilnehmen zu können, solange die vorgekommenen Verletzungen der schriftgemässen Grundsätze über die göttliche Gerechtigkeit und Wahrheit nicht beseitigt worden sind;
6. Sie spricht Br. E. Lanz den Dank aus für seine aufopfernde Tätigkeit und für die grossen und segensreichen Dienste, die er je und je der Berner Versammlung geleistet hat, sowie auch die Guttaten, welche vielen Geschwistern aus der von Br. Lanz gegründeten «Hilfsaktion der S.V.E.B." zugekommen sind, und bittet Br. Lanz, dass er auch weiterhin, als Vertreter der in der heiligen Schrift niedergelegten göttlichen Wahrheiten, am Worte dienen möchte;

7. Sie beschliesst, dass diese Resolution mitzuteilen ist:
a. an Br. C. T. Russell,
b. an Br. E. Lanz,

c. an Br. C. C. Binkele, als neu eingesetzten Vertreter der Gesellschaft für die Schweiz,

d. an die sämtlichen schweizerischen Ortsgruppen der I.V.E.B.

Diese Resolution wurde bei sechs Enthaltungen mit zweiundvierzig Stimmen gegen keine Stimme an der Versammlung vom 10. September 1916 angenommen, wobei ausdrücklich festgestellt wird, dass sich die anwesenden auswärtigen Geschwister, die nicht der Ortsgruppe Bern angehören, bei der Abstimmung
n i c h t beteiligt haben.

Bern , den 10. September 1916.
Namens der Versammlung
Der Tagespräsident
Die Stimmenzähler

Damit hatte Binkele, als neuer Repräsentant der WTG in der Schweiz, schon mal einen zünftigen "Begrüßungsspruch" erhalten. Sein Vorgänger, Emil Lanz hielt es für angebracht, die WTG-Gefilde alsbald endgültig zu verlassen. Von letzterem ist denn auch der "flotte" Spruch überliefert: "Ich ergreife mit Freude die Gelegenheit mein Zeugnis abzulegen und die aufwieglerischen und verderblichen Irrtümer der 'Vereinigung Ernster Bibelforscher' zurückzuweisen."

Auch Binkele sollte dereinst, noch ähnliche Statements von sich geben. Aber 1916 war er noch nicht so weit. Sein Lernprozess nahm noch einige Jahre in Anspruch. Binkele versuchte erst einmal in einem Schreiben an Russell vom 19. 8. 1916 auf die vorbeschriebene missliche Situation zu reagieren. Letzterer antwortete ihm mit Schreiben vom 27. 9. 1916. Der Beachtung wert erscheint mir darin auch die angegebene Adresse in Zürich, die zu jenem Zeitpunkt zugleich die dortige offizielle WTG-Anschrift war. Auch der spätere "Dissident" Samuel Lauper, sollte noch dort residieren

Auch dieses Dokument nachstehend:
Brooklyn, den 27. September 1916.
Herrn C. C. Binkele
Hönggerstr. 12
Zürich VI, 17, Suisse.

Lieber Bruder Binkele:

Antwortend auf Dein Schreiben vom 19. August, welches mich etwas verspätet erreichte, bemerke ich was Du sagst in Betreff der Empfindung von Bruder Lanz, dass Du seinen Einfluss bei mir geschädigt habest. Bitte versichere ihm und allen Geschwistern in Deutschland, dass Bruder Lanz noch immer hoch steht in meiner Achtung. Wenn ich aus persönlicher Bekanntschaft einen Bruder als einen Geweihten des Herrn kenne, würde es in der Tat für irgend jemand sehr schwer sein, jene Liebe und jenes Vertrauen zu brechen (zu schädigen) die ich schicklicherweise für alle solche hege. Ich nehme diese Gelegenheit wahr, um allen zu versichern, dass Du nicht den Stand der Achtung von Br. Lanz bei mir gebrochen, noch einen Versuch gemacht hast es zu tun.

Ich verstehe, dass Bruder Lanz von zwei Briefen redet, die er mir in 1915 und 1916 geschrieben habe und dass einer derselben offenbar verloren ging und der andere erhalten worden sei (ein Brief wurde im Kontor abgegeben und gelangte später erst in Br. Russell's Hände, wie wir inzwischen von ihm erfahren haben. Der Uebersetzer). Bruder Lanz scheint aber meinen Wunsch missverstanden zu haben. Nicht ein oder zwei Briefe jährlich erwünschte ich mir, sondern jeden Monat einen B e r i c h t, wie wir solche wünschen und von andern Zweigen des Werkes erhalten. Ich erhielt nicht, noch habe ich je zu irgend einer Zeit von Bruder Lanz die Art von Bericht erhalten, die zu überkommen ich begierig bin - die Art welche ich von Dir zu erhalten suche. Die Berichte kommen von dem Werke in der Schweiz und Deutschland ungefähr seit der Zeit Du dort ankamst, aber selbst diese, wie ich Dir angedeutet habe, können noch vervollkommnet werden, und ich hoffe ohne viel Mühe für den Bruder der sie verfasst. Durch diese werde ich genauer erfahren was vorgeht. Bruder Lanz mag gedacht haben mir Mühe zu ersparen in Bezug auf solche Berichte, aber es bemühte mich mehr sie nicht zu haben, und wunderte mich, und wunderte mich.

Du kannst den lieben Geschwistern sagen, dass die Totalsumme der Unterhaltung zwischen Dir und mir von der Zeit da Du Deutschland verliessest bis zu Deiner Rückkehr fünf Stunden nicht überschritten hat. Und in diesen Unterredungen von zusammen fünf Stunden hast Du nichts von irgend einer Art in Betreff von Bruder Lanz berichtet, obwohl Du gesagt hast Du könntest nicht verstehen warum er die Stellung einnahm betreffs des Bruder Koetitz, die er eingenommen habe; genau wie ich in derselben Weise überrascht war.

Ich begehrte nie Bruder Koetitz irgendwie zu schaden. Ich bin sein treuer Freund. Indessen, ich bemerkte dass sein Verhalten in Deutschland einen solchen Bruch bewirkt dass so lange er an der Spitze des Werkes der Gesellschaft verblieb, Nachteile sein wurden, und ein Gefühl als ob die Gesellschaft Unmoralität billigen würde.

Um dieser Ursache willen geschah es, dass ich das Werk, in Deutschland in den Händen eines Komitees haben wollte; Du Bruder Binkele, solltest Vorstand dieses Komitees sein. Wie ich mich der Sache entsinne, fand sich Br. Lanz ausserstande in den Dingen leitend zu sein und Du warst die einzige Person im Komitee, die es tun konnte. … Es geschah dann, dass Bruder Koetitz zu verstehen gegeben wurde, entgegen meinen Wünschen, meinem Urteil und Anweisung, dass er als Vertreter der Gesellschaft fortbestehen solle - das ist zum wenigsten mein Verständnis in der Sache aus Briefen von Bruder Koetitz, dass er so Bruder Lanz verstanden habe und dass Bruder Lanz damit übereinstimme, dass er fortfahre in Barmen an der Spitze des Werkes zu sein, entgegen meinen Wünschen und Instruktionen;

So verstehe ich die Angelegenheit obgleich Bruder Lanz sie nicht erklärt hat, es ist nicht notwendig, dass er sie jetzt erklären solle. … Jetzt ist die Sache auf eine Art bestimmt wie ich glaube dass sie dem Herrn gefalle und vorteilhaft sein wird für sein Werk. Ich hoffe Bruder Lanz und alle lieben Geschwister in der Schweiz und Deutschland werden irgendwelche Gefühle des Verletztseins von sich tun und sich von Herzen mit Br. Binkele und der Gesellschaft verbinden in dem herrlichen Werke an welchem unser Grosser Herr uns das Vorrecht gab teilzunehmen. Nach meiner Meinung geschieht der grösste Teil des Erntewerkes in der nahen Zukunft, und ich wünsche sehr, dass alte lieben, treuen Kinder Gottes Schulter an Schulter in der Sache stehen. Gewisslich schliesst das Br. Lanz mit ein, den ich sehr liebe und bewundere. Auch schliesst es die Brüder Zaugg u. Lauper u. Schutzbach ein, u. Br. Koetitz ebenfalls - jawohl, alle die dem Herrn von Herzen getreu und willens sind in seinem Dienste mitzuwirken.

Bitte grüsse mir alle Lieben in Deutschland wo Du Gelegenheit hast. Ich liebe sie alle und begehre ihre innigste Gemeinschaft u. Mitarbeit. Möge des Herrn reicher Segen mit Dir sein, lieber Br. Binkele, Dir Weisheit und Gnade gebend zum Dienste. Erinnere mich auch der Schwester Binkele.

Immerdar, Dein Bruder u. Diener im Herrn
C. T. Russell.

Die Schweiz war ja eigentlich "dass" Einfallstor für das Bibelforschertum in Europa. Schon um die Jahrhundertwende hatte man dort den "Fuß in der Tür". Allein die Schweizer, sich ihrer demokratischen Traditionen besinnend, waren nicht so recht zu "Obrigkeitshörigen" Lakaien (sprich Lakaien der Wachtturmgesellschaft) zu bekehren. Das fing schon damit an, dass etliche von ihnen, die durch Russells Lehren beeindruckt waren, eine eigene, zusätzliche Zeitschrift zum "Wachtturm" herausbrachten und auch über eine beachtlich lange Zeit am Leben hielten. Diese in Thun erscheinende "Aussicht" wollte zwar auch Russells Gedankengut verbreiten, aber schon nach wenigen Jahren wurde sie von der WTG vor die Alternative gestellt: "Wir oder ihr". Das Tischtuch war damit zerschnitten.

Der nächste der die harte Hand der WTG zu spüren bekam, war F. L. Alexandre Freytag. Das Zeugen Jehovas "Jahrbuch" (1987 S. 127) vermerkt über ihn:

"Viel schlimmer war jedoch die von L. A. Freytag verursachten Schwierigkeiten. Als der verantwortliche Leiter des Büros in Genf war er bevollmächtigt gewesen, eine französische Übersetzung der englischen Ausgabe des Wachtturms und der einzelnen Bände der Schriftstudien zu veröffentlichen. Doch er missbrauchte seine Stellung, indem er seine eigenen Gedanken publizierte. Als Bruder Rutherford, der Präsident der Gesellschaft, davon erfuhr, enthob er Freytag unverzüglich, und das Büro in Genf wurde geschlossen. Doch Freytag bemächtigte sich des Eigentums der Gesellschaft in Genf und verweigerte einen Rechenschaftsbericht über finanzielle Angelegenheiten. Überdies wollte er eine eigene Zeitschrift unter dem Namen 'La Tour de Garde' (Der Wacht-Turm) herausbringen. Er entstellte die Tatsachen und behauptete, die Gesellschaft beanspruche Dinge, die sein persönliches Eigentum seien.

Deshalb wurde es nötig, gerichtlich gegen ihn vorzugehen. Freytag verlor alle drei Fälle und musste der Gesellschaft sowohl die Einrichtungen und die Literatur … zurückgeben. Auch wurde er gezwungen, über die finanziellen Mittel Rechenschaft abzulegen. Daraufhin wurden alle Verbindungen zu ihm abgebrochen, und er gründete eine eigene Bewegung.

Obwohl die Versammlungen ausdrücklich gewarnt … worden waren, folgte eine ganze Anzahl Personen Freytag nach. Bedauerlicherweise blieben von den 304 Personen, die 1919 dem Gedächtnismahl in französischer Sprache beigewohnt hatten, nur 75 mit der Gesellschaft verbunden, und von diesen wiederum kehrten später viele in die Welt zurück."

Symbolisches "Negerlein Nr. 5" war dann der schon genannte Conrad Binkele. In seiner Glanzzeit stand er dem "Zentraleuropäischen Büro" der Bibelforscher vor. Letzteres "hatte die Aufsicht über das Werk in der Schweiz, in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, Österreich, Italien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, der Tschechoslowakei, Jugoslawien, Polen, und zeitweilig auch über … Deutschland". Binkele geriet auch in nahezu spektakulärer Weise in die Schlagzeilen der Presse, als er als Kläger in Sachen Bibelforscherfinanzierung (von der Gegner behaupteten sie erfolge durch "Juden und Freimaurer") in Erscheinung getreten war. Kaum waren diese Schlagzeilen verebbt erinnerte sich Binkele, dass es ihm gesundheitlich nicht so besonders gut ging. Sein Chef Rutherford war der Meinung, Binkele solle seine gesundheitlichen Probleme in den USA auskurieren - als wenn es in der Schweiz keine Ärzte geben würde! Binkele schwankte. Anfänglich wagte er es Rutherford nicht zu widersprechen und versprach seinem Ansinnen zu entsprechen. Je mehr er über seinen Fall nachdachte, kam er jedoch zu dem Resultat, dass seines Bleibens nunmehr die Schweiz sei. Also nichts mit der Rückreise über den "großen Teich". Inzwischen hatte ihm Rutherford schon alle Machtpositionen wieder entzogen und neue Funktionäre dafür benannt. Als Alibi konnte er auf die von Binkele selbst gemachte Krankmeldung verweisen. Nachdem Binkele auch diesen Schock "verdaut" hatte, wurde er plötzlich wieder so gesund um als Vortragsredner in Erscheinung zu treten. Allerdings lagen seine Ausführungen nicht mehr auf WTG-Kurs. Die Antwort sollte nicht allzu lange auf sich warten lassen. Er wurde förmlich exkommuniziert. Siehe auch: Conrad C. Binkele's Pilgrim

Über das symbolische "Negerlein Nr. 6" vermerkt das ZJ-Jahrbuch (1987 S. 132):

"Jakob Weber, der im Bethel für die Dienstabteilung verantwortlich war, gehörte zu denen, die sich nicht warnen ließen. Er war so sicher, dass alle Gesalbten bis zum Jahresende im Himmel verherrlicht wären, dass er einen 'Torschlusskurs' einschlug. Ohne Bestellungen dafür erhalten zu haben, versandte er große Mengen Literatur an die Versammlungen mit der Anweisung, diese Publikationen vor Ende 1925 kostenlos in ihren Gebieten zu verteilen. Alle Bemühungen der Brüder im Bethel, ihn zur Vernunft zu bringen, fruchteten nichts. Schließlich verließ er nicht nur das Bethel, sondern auch die Wahrheit und verursachte viel Kummer unter den Brüdern, weil er eine ganze Anzahl mitriss. In einigen Versammlungen ging die Zahl der Verkündiger um mehr als die Hälfte zurück."
Zum Fall Weber berichtete das interne Blatt "Bulletin" (Schweizer Ausgabe) in der November-Ausgabe 1925 noch:

"Angesichts dieser äußersten Zwangslage, die Bruder Weber durch sein unverantwortliches Vorgehen geschaffen hatte, ersuchte Bruder Zaugg, Bruder Balzereit telegraphisch, sich sofort herzubemühen um auch seinen Rat in dieser Angelegenheit zu hören. In Gegenwart der Brüder Zaugg, Balzereit, Buchholz und Weber wurde gestern, Mittwochvormittag, die ganze Angelegenheit behandelt. Es zeigte sich, dass Bruder Weber offensichtlich seine Kompetenzen im Dienstzweig weit überschritten und die Anordnungen Bruder Rutherfords, wie die Arbeit getan werden sollte, nicht beachtet hatte. Ferner musste festgestellt werden, dass er Ansichten vertritt und verbreitet, welche Spaltungen im Haushalte des Glaubens anrichten und die schwachen Schafe des Herrn vollständig entmutigen, statt sie zu ermuntern und zu stärken. Alle Versuche, Bruder Weber vom Irrtum seines Weges zu überzeugen, blieben völlig erfolglos. Er konnte sich nicht dazu verstehen, auch nur ein Jota zuzugeben und blieb unbeugsam, hart wie Stein.

Während wir heute, Donnerstagmorgen, bei der Hausandacht in Gegenwart von Bruder Balzereit den Sachverhalt der Bibelhausfamilie erklärten, kam, wie durch eine wunderbare Führung, ein Telegramm unseres lieben Bruders Rutherford, der inzwischen ebenfalls von allen Seiten Bericht erhalten hatte. Der Inhalt dieses Telegramms lautete: 'Enthebe Weber von aller Tätigkeit im Dienstzweig. Rutherford.' Damit wird Bruder Jakob Weber durch Bruder Rutherford aller seiner Funktionen im Werke des Herrn enthoben."

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Symbolisches "Negerlein Nr. 7" ist Ernst Zaugg der ja auch schon beiläufig mit erwähnt wurde.

Auch zu Zaugg gibt es eine Vorgeschichte, über die der "Wachtturm" (1914 S. 31f.) berichtet. Offenbar machte Zaugg, in Abwandlung seines Namens als "Zauderer", sich alle "Ehre". Er schwankte hin und her, zwischen der "Aussicht" und dem "Wachtturm". Wie das bei Zauderern so üblich ist, registrierte er seismographisch genau, dass es eigentlich mit der "Aussicht" nur noch bergab gehen könne. Als gestandener Opportunist zog er für sich die Schlussfolgerung, dass nunmehr ein "Fahnenwechsel" angesagt sei. Hoch erfreut druckte der "Wachtturm" sein diesbezügliches Unterwerfungsschreiben ab. Nachstehend zitiert:

"Geliebter Bruder Otto Koetitz!

Du wirst wohl schon etwas gehört haben von dem, was in der letzten Zeit bei mir vorgegangen ist, und ich muß mich vorerst entschuldigen, daß ich Dir nicht in erster Linie geschrieben habe. Seit mir die Augen aufgegangen sind über all die Punkte, an denen wir uns in so unglücklicher Weise jahrelang gestoßen haben (Mittler, Sündopfer und Bündnisse), habe ich sehr viel Arbeit gehabt. Von allen Seiten will man Aufschluß von mir haben, wie ich dazu gekommen sei, meine Überzeugung so vollständig zu ändern. Ich benutzte auch die vor 14 Tagen stattgefundene Thuner Hauptversammlung als Anlaß, mein Zeugnis öffentlich vor allen anwesenden Geschwistern abzulegen.

Ich bat und ermahnte alle dringend und herzlich, doch ja diese differierenden Punkte doch noch einmal gründlich und vorurteilslos nachzuprüfen, die vor vier Jahren in einer wüsten Streitversammlung als gefährliche Irrtümer verworfen wurden. Warum? Weil wir alle verblendet waren, weil wir alle schon lange vorher eine bittere Wurzel in unserem Herzen gegen unsern lieben Bruder Russell hatten aufkommen lassen.

Heute ist mir alles klar vor Augen. Was vor vier Jahren geschehen, war nur das offene Zutagetreten eines längst gehegten Widerstandes. Die drei oben angeführten Punkte offenbarten auf einmal den wahren Herzenszustand. Man suchte Beweise daß Bruder Russell sich irre, und man fand sie. Erst heute sehe ich, welch eine feine List Satan damals anwandte. Gerade diese drei Punkte, die wir als gefährlichen Irrtum hielten, erwiesen sich als tiefste Offenbarung des Heilsplanes und als eine wunderbare Vertiefung des nun geoffenbarten Geheimnisses des Christus.

Ich staune immer wieder, wenn ich jetzt erkenne, welch gewaltige Fortschritte das Licht der Wahrheit gemacht hat, seit wir uns von Euch trennten. Oh, möchten es doch die Lieben alle erkennen, daß wir uns tatsächlich von dem hellen Licht der Wahrheit abgeschnitten haben. Dieses war nicht sofort erkenntlich, langsam, erst nach Jahren ist der Stillstand unleugbar und deutlich bemerkbar, es war kein wachsendes Licht mehr. Die erste Liebe, der Zeugenmut und der Opfersinn sind langsam abgeflaut, sodaß wohl jeder das Gefühl hat, es sei etwas nicht mehr in Ordnung, es sei nicht mehr wie ehedem. Wie oft hörte ich in den letzten Jahren in unsern Kreisen solche klagen: Den fehlenden Impuls, den verloren gegangenen heiligen Eifer für die Wahrheit, beklagen die meisten.

Mit Wehmut, aber die Ursache erkennen sie nicht, und es schnitt ihnen tief ins Herz, als ich auf der Thuner Hauptversammlung den Finger auf diesen wunden Punkt legte und an Hand von Hebräer 10:32-33 den Geschwistern zeigte, daß unsere Genossen, die also mit uns einhergingen (und von denen wir uns vor Jahren lostrennten), heute noch die volle Freude den lebendigen Zeugenmut und den wahren Opfersinn bis in den Tod besitzen. Ein Sturm der Entrüstung entfesselte sich gegen mich; einige meiner einst liebsten Brüder waren außer sich, und ich wurde mit großer Entrüstung aus dem Aussichtskomitee ausgestoßen.

Du kannst Dir denken, lieber Bruder Koetitz, daß es außerordentlich schmerzlich für mich war, mit einem Schlage alle die Brüder, mit denen ich 18 Jahre lang Hand in Hand in der Wahrheit gestanden und gearbeitet hatte, nun so gegen mich zu haben.

Nun lieber Bruder Koetitz, was mich persönlich anbetrifft, so habe ich Dir gegenüber auch eine alte Rechnung zu begleichen. Bin ich es doch gewesen, der Dir seiner Zeit, zu Beginn Deiner Tätigkeit in der Schweiz, die Arbeit recht erschwert hat. Ich bedaure es heute tief! Wegen einiger rechthaberischer Punkte ließ ich mich wirklich dazu verleiten, der Wahrheit hindernd in den Weg zu stehen, statt mich zu freuen, daß die Wahrheit auf jede Weise und überall verbreitet werde, und solche Bestrebungen nach Kräften zu unterstützen. Wir haben auf diese Weise fraglos das ganze Erntewerk gehindert, statt daß wir, die wir die Wahrheit erkannt hatten, diese auf jede nur mögliche Weise förderten.

Ich hoffe also zuversichtlich, lieber Bruder, du werdest mir alles vergeben, wo ich je in Wort und Schrift gegen Dich gearbeitet habe. Bitte dieselbe Bitte von mir auch unserem lieben Bruder Russell zu übermitteln; ihn habe ich ja mit meinem Widerstand am ersten getroffen."

Wie aus seinen Ausführungen auch ersichtlich, gehörte er mit zum Redaktionskreis der Zeitschrift "Die Aussicht". Selbige 1902 in der Schweiz gegründet, zu einem Zeitpunkt, wo der deutsche "Wachtturm" in einer tiefen Krise sich befand, dieweil sein Absatz keineswegs so war, wie Russell es sich erhofft hatte. Dieweil der deutsche "Wachtturm" zeitweilig nicht mehr erschien, machten eben Schweizer Bibelforscher-Kreise ihre eigene Zeitschrift auf, welche sie "Die Aussicht" nannten.

Das wiederum war Russell nun überhaupt nicht recht, und so gab er sich einen entscheidenden Ruck, und stellte ab 1904 mit Koetitz als nunmehr in Deutschland ansässigen WT-Redakteur, selbigen auf eine neue Grundlage. Ab 1904 erschien der deutsche WT auch monatlich, was davor eben nicht der Fall war.

Die "Aussicht", einmal gegründet, erschien aber auch weiter. Faktisch lief das auf ein zunehmendes Konkurrenzverhältnis hinaus.

Der WT war ohne Zweifel finanzkräftiger. Große Werbeaktionen, etwa als kostenlose Zeitungsbeilagen wurden mit ihm gestartet. Da konnte die "Aussicht" in der Tat nicht mithalten. Und nun um 1914, wie gelesen, trat besagter Zaugg die reumütige Rückkehr zur WTG an. Er blieb allerdings einstweilen, ein Einzelfall.

So wie Russell einst in den USA den "Herald of the Morning" von Barbour im Konkurrenzkampf das "Wasser abdrehte", so wiederholte sich selbiges auch im Falle der "Aussicht".

(Einfügung.
Was die von Zaugg genannten Kontroversen anbelangt, kamen die besonders im Jahre 1910 zum Tragen.
In der Einleitung zum Jahrgang 1910 der "Aussicht" werden sie mit angesprochen. Massgeblich befördert vom Russell-Schwiegersohn Henninges, im fernen Australien, und seinen Wiederkäuern auch in Europa.
Ich hatte diese Kontroversen schon mal mit der Einschätzung bedacht "theologisches Hinterhofkellergezänk, wo wahrscheinlich nur die Götter wissen, wer da recht hat. Und die wissen es wohl auch noch nicht."
Zum Verständnis ist besonders auf die "Aussicht" vom April 1910 hinzuweisen
In der April-Ausgabe 1910 (S. 737f.) ragt besonders der "Enttäuscht! Zum 13. April 1910" überschriebene Artikel hervor.
Er berichtet über einen Besuch Russells in Bern (Schweiz). ...
Die Enttäuschung des "Aussichts"-kreises äußert sich dann besonders in dem Satz:
"Wir haben einen Meister (Russell) erhalten, der allein gehört werden soll ..."
Und auch weiter den Satz:
"Für manche unter uns war Br. Russell's Verhalten freilich keine Enttäuschung; sie hatten das Gefühl schon lange, daß dem so sei."

http://forum.mysnip.de/read.php?27094,70367,86934#msg-86934

Die von Henninges maßgeblich ausgelösten Kontroversen müssen aber auch so gedeutet werden:
Ein gewisser Frust gegenüber Russell kanalisiert sich. Und die "Verpackung" dabei, sind eben jene theologischen Kontroversen; aber eben nur die "Verpackung".

Konflikte der Art werden sich immer dann wiederholen, wenn namentlich wegen materieller Interessen, das Bestreben Weggefährten "wegzubeissen" übermächtig wird. Man kann es symptomatisch auch am Konflikt Russell versus "Aussicht" ablesen. Eigentlich wäre Russell ja dem "Aussichtskreis" zu Dank verpflichtet gewesen. Das die Bände 2, 3 und 4 seiner "Schriftstudien" vom Englischen ins Deutsche übersetzt wurden, und er somit in Deutschsprachigen Kreisen erst mal Fuß fassen konnte, verdankt er wesentlich diesem Kreis. Auch wenn er später, um die Erinnerung an diese Hilfe wieder zu löschen, jene vier ersten Bände in eigener Regie "neu" übersetzen ließ. Analoges gilt auch für Band 1, dessen Übersetzer von Zech, auch in Ungnade bei Russell fiel.
Um es mit einem polemischen Spruch zu sagen, welchen Walter Küppers alias Johannes Walther, als Motto einem seiner Bücher voranstellte;
"Phytagoras, der Philosoph, ersann
Ein neues Lehrgesetz und brachte dann,
Da er doch nur ein Heide war,
Den Göttern hundert Opferstiere dar.
Is's da ein Wunder, dass die Ochsen zittern,
Sobald sie eine neue Wahrheit wittern?"

Diese Einfügung verlassend, zum Fall Zaugg zurückkehrend.)


Die damaligen WTG-Fürsten befanden, den Zaugg sollte man mal bei ihnen Karriere machen lassen, um so vielleicht das eingehen der "Aussicht" beschleunigen zu können.

Die erste Chance bot sich dazu im Falle des F. L. A. Freytag. Im deutschen "Wachtturm" (1919, S. 150f.) kann man dazu lesen:

"Die Lieben Geschwister allerwärts, einschließlich sämtlicher Leser des Wachtturms sind gebeten zu beachten, dass das Büro unserer Gesellschaft in Genf aufgehoben wurde, und statt dessen ein anderes in Büro in Bern unter Leitung unseres lieben Bruder E. Zaugg, eingerichtet und eröffnet wurde. Wie aus nachsehenden Erklärung ersichtlich ist, wurde der bisherige Leiter des französischen-belgischen Werkes seines Amtes entlassen, und es ist der Wille und Auftrag des Präsidenten der Gesellschaft, diese Erklärungen im Wachtturm bekannt zu geben. ..."

Das 1974er ZJ-Jahrbuch notiert dazu noch:

"Bruder Russell hatte einige Jahre zuvor A. Freytag beauftragt, sich des französisch-belgischen Werkes vom Büro der Gesellschaft in Genf aus anzunehmen. Dies schloß die Vollmacht ein, eine französische Übersetzung des englischen Wacht- Turms sowie der Schriftstudien herauszugeben. Er mißbrauchte jedoch seine Vollmacht und begann, eigene Schriften zu veröffentlichen, wodurch unter den Brüdern beträchtliche Verwirrung entstand.

Freytag wurde aus seiner Stellung entlassen, das Büro der Gesellschaft aufgelöst, und ein neues Büro wurde in Bern unter der Leitung von Bruder E. Zaugg und unter der Gesamtaufsicht von Bruder Binkele eröffnet."

Im 1980er ZJ-Jahrbuch kann man weiter lesen (und das nimmt auf den mit genannten Binkele bezug):

"Im Juli 1925 wurde Bruder Binkele, der Leiter des Zentraleuropäischen Büros, aus gesundheitlichen Gründen von Bruder Zaugg abgelöst. Im darauffolgenden Jahr wandte sich Binkele gegen die Gesellschaft und gründete eine eigene Sekte, die er "Die freien Bibelforscher" nannte.

Was die vorgeschobenen "gesundheitlichen Gründe" anbelangt, darf man selbige getrost auf "ideologische Gesundheit" im WTG-Sinne reduzieren.

Nicht erwähnt indes wird in den neueren WTG-Jahrbüchern, dass es noch eine weitere Karrierestufe des E. Zaugg gab. Und zwar die, dass er erster Redakteur der Schweizer Ausgabe des "Goldenen Zeitalters" wurde. Als zum Ende dieser Phase dann Franz Zürcher die Redaktion übernahm, wurde Zaugg im Impressum des Schweizer GZ weiter genannt, nunmehr unter dem Begriff "Direktion".

Sang- und klanglos jedoch verschwand sein Name aus dem GZ-Impressum mit der Schweizer GZ-Ausgabe vom 15. Mai 1926. Ab dieser Ausgabe taucht der Name M. C. Harbeck erstmals für die "Direktion" auf. Den Lesern wurde keinerlei Erklärung geliefert, weshalb nun der Name Zaugg verschwand. Eine ehrenvolle "Verabschiedung" erhielt er jedenfalls nicht.

Lapidar liest man dazu im 1980er ZJ-Jahrbuch:

"Wurde Bruder Zaugg von Bruder Martin Harbeck abgelöst, den Bruder Rutherford aus Brooklyn schickte. Bruder Zaugg gab den Vollzeitdienst auf und verließ schließlich die Wahrheit."

Ende der WTG-Durchsage. Etwas "auskunftsfreudiger" in der Sache Zaugg war offenbar aber die Schweizer Tageszeitung "Der Bund" in ihrer Ausgabe vom 2. 4. 1926. Handelt es sich dabei zwar um eine Kurznotiz, so konnte man in ihr immerhin soviel lesen:

"Die Untersuchung gegen Mitglieder der Ernsten Bibelforscher"
Wie uns gesagt wird, ist eine der sechs Verhaftungen zu Schutzzwecken erfolgt. Es ist unter den Bibelforschern längst schon gemunkelt worden, daß etwas Unsauberes vorliege, und der aus seinen Weltuntergangsprophezeiungen (für die Jahre 1924 und 1925) bekannte Amerikaner Rutherford in Brooklyn hat den "Bruder" Donald zur Untersuchung hergeschickt; doch führten diese Nachforschungen, wie im (Schweizer) Wachtturm" zu lesen, zu nichts.
Damit waren aber offenbar einige "Brüder" nicht beruhigt, und die Polizei hat nun ein positiveres Ergebnis herausgebracht, das sich auch auf Aussagen der Beschuldigten selber stützen soll. Gegen Zaugg soll die Beschuldigung auf unzüchtige Handlungen mit jungen Leuten lauten; auch sei widernatürliche Unzucht in Frage. Unter den Verhafteten befinden sich Ausländer. Die Gesellschaft hat an der Allmendstraße eine eigene Druckerei und scheint vom Ausland her finanzielle Unterstützung zu beziehen. Die Akten wurden vom Regierungsstatthalteramt dem Untersuchungsrichter überwiesen."

Wer nun hofft, irgendwo in der WTG-Literatur eine nähere Erläuterung zu dem vom "Bund" ausgeführten, vorzufinden, der hofft allerdings wieder mal vergebens. Offenbar hieß die Devise für die WTG auch in diesem Fall: "Deckeln", vertuschen, nicht mehr ruchbar werden lassen, als wie die Presse bereits berichtet hat. Jedenfalls gibt es kein Dementi in der WTG-Literatur zu den Ausführungen des "Der Bund", womit im Umkehrschluss dessen Aussagen bestätigt wird.

Über den Verbleib von Zaugg hüllt sie die WTG in Schweigen. Lediglich ein Satz im 1987-er ZJ-Jahrbuch gibt eine Andeutung in welche Richtung man denn da weiter zu recherchieren hätte. Da heißt es lapidar:

"Ein anderer trauriger Zustand kam innerhalb der Bethelfamilie ans Licht. Einige wenige hatten unmoralische Handlungen begangen. Die Reaktion aus dem Büro des Präsidenten erfolgte blitzartig. Anschließend wurde Martin C. Harbeck von Brooklyn nach Bern entsandt, um die Leitung der Zweigstelle zu übernehmen. Das war im Februar 1926."

Samuel Lauper

Die "Wahrheit" der "Wahrheitsfreunde"

Nicht nur in der Schweiz gab es solche Schismen. Auch Deutschland blieb von ihnen nicht verschont. Wurde schon beim Fall Jakob Weber festgestellt, dass für ihn die 1925-Verkündigung existentiell war, dass er sein ganzes Sein oder Nichtsein mit ihr verband, so wird man sagen können auch in Deutschland ist ähnliches feststellbar. Im Prinzip war das 1925-Datum nur die Spitze des Eisberges. All die Jahre nach 1914 hatte man aus nichtigsten Gründen einer ähnlichen Erwartung nachgefiebert. Rutherford hatte dann "klar Schiff" gemacht, indem er eine Theorie für verbindlich erklärte und massenwirksam verbreiten ließ. Rutherford hatte zwar schon mehr als einmal unter Beweis gestellt, dass er auf dem Wege zum absolutistischen Diktator war; indes bis er dieses Ziel in Vollendung erreichte, säumten auch symbolische Leichen seinen Karriereweg.

Es gab da Bibelforscher die waren das schon, wo der Name Rutherford überhaupt noch nicht genannt wurde. Einige von ihnen hatten sich auch zu eigenständigen Persönlichkeiten entwickelt. Da sie sich nicht rechtzeitig genug geistig verbogen, fanden sie sich sehr schnell außerhalb der von der Wachtturmgesellschaft geleiteten Bibelforscher wieder. In Deutschland gaben einige aus diesen Kreisen seit etwa 1923 auch eine Zeitschrift heraus, die sich "Der Wahrheitsfreund" nannte. In einer Ausgabe aus dem Jahre 1925 dieses Blattes wurden drei Personen als verantwortliches Redaktionskollegium genannt: Fritz Christmann; Franz Egle und Ewald Vorsteher. Letzterer ist als der Kopf des Unternehmens anzusehen. Sieht man sich diese Zeitschrift an, kann man sich des Eindruckes eines gewissen rechthaberischen Getues nicht erwehren.

Insonderheit fällt Vorstehers Steckenpferd auf, in Bezug auf 1925 "genauer" zu rechnen und so für ähnliche Erwartungen 1926 zu postulieren. Aus heutiger Sicht drängt sich die zynische Frage auf, wer bei dieser ganzen 1925/26 Rechnerei denn nun den "Regen" und wer denn nun die "Traufe" repräsentiert. Einer aus dem genannten Redaktionskollegium (Egle) zog es denn auch nach einiger Zeit wieder vor, vom Regen in die Traufe zu wechseln. Oder meinetwegen auch von der Traufe in den Regen. Als die drei noch zusammen die Redaktion ihres Blattes betrieben, da gaben sie unter der Überschrift "In letzter Stunde" auch einen Sonderdruck heraus. Auch er spart nicht an Polemik. Er offenbart aber zugleich, dass eine wirkliche Abnabelung vom WTG-Gedankengut durch Vorsteher nicht erfolgt ist. In seiner Polemik lässt Vorsteher auch mal ein paar frühere Endzeiterwartungen Revue passieren. Er kann es sich nicht verkneifen darzulegen, dass er mit seinem 1926 Datum mehr "Recht" hätte. Es ist offensichtlich, angesichts solcher noch stärker als bei den Bibelforschern ausgeprägten terminlichen Fixierung, dass es mit dem "Wahrheitsfreund" nach 1926 eindeutig organisatorisch bergab ging. Er wusste sich nicht von den entscheidenden Grundgedanken wirklich abzunabeln. Damit war sein Untergang eingeläutet.

Aber in der genannten Zeitschrift (Nr. 1/1925) tönte man noch:

"Viele solcher, welche sich Christen nennen, haben einen Ekel an dem prophetischen Wort, sonderlich an den Zeitprophezeiungen. Diese Toren (wie sie der Herr bezeichnet …) alle diese Verächter irgend einer Speise des heiligen Gotteswortes werden beschämt werden und Schaden leiden."

In dem zitierten Sonderdruck wurde dann ausgeführt:

"Besehen wir uns die vielen unbiblischen Prophezeiungen dieser Sekte: 1918 sollte die kleine Herde eingegangen sein, aber - 'der Herr verzog'. Dann wurde es bezüglich 1921 behauptet, aber - 'der Herr verzog'. Zwischen 1918 und 1921 gab es viele tolle unbiblische Prophezeiungen, aber immer wieder - 'der Herr verzog'. Denken wir an die Behauptung, 'Jericho' würde fallen, wenn siebenmal (sieben weltweite Zeugnisse) um 'Jericho' herumgezogen sei. Als 'der Herr verzog' faselte man weiter, es müsse 13 mal um 'Jericho' herumgezogen werden. Als wieder 'der Herr verzog', bekehrten sich die Führer dieser Sekte nicht, sondern sie faselten sich andere Ideen zusammen, und so hat es Jahr für Jahr fortgegangen bis heute, und immer wieder erwiesen sich die Führer dieser Sekte als falsche Propheten, und 'der Herr verzog' immer wieder.

Nichts ja gar nichts von den unbiblischen Prophezeiungen dieser Sekte erfüllte sich. Seit 1923 wurden diese falschen Propheten weiter darauf aufmerksam gemacht, dass ihre von Br. Hal Kaup aus dem Jahre 1911 übernommene Berechnung auf 1925 einen kleinen Fehler hatte, sodass ca. 1. Oktober 1926 erst die 70 Jahre voll seien. Aber mit blindem Eifer verkündigten diese Propheten weiter das Jahr 1925, ca. 1. Okt., als den Zeitpunkt, wo die alte Weltordnung völlig abgerissen sei und dann niemand mehr sterben werde. Präsident Rutherford sagte um die Sache vor der Welt sensationell zu machen, auf diesem Zeitpunkt voraus, dass die Zähne und die Haare der Alten wieder wachsen beginnen würden und viele andere Sensationskitzel mehr. Und heute sagen die Lehrer der W.-G. sogar mit dem Munde, 'der Herr verzieht'. Aber immer noch weigern sie sich hartnäckig, zuzugeben, dass sie sich in der Berechnung auf 1925 geirrt haben und dass 1926 das biblisch angezeigte Datum ist, weil sie dann zugeben müssten, dass der Herr das Licht über diesen Punkt denjenigen Geschwistern gab, welche von diesen Führern der W.-G. als Abtrünnige, von der Wahrheit Abgeirrte, Rotte Korah, Zweitetodkandidaten usw. benannt werden."

Philosemitismus

Besonders im Jahre 1925 wurde der Philosemitismus-Propaganda einen erhöhten Stellenwert zugewiesen. Sollten doch etliche der anvisierten "alttestamentlichen Überwinder" von Jerusalem über das Radio ihre Anweisungen verkünden, wie das den Bibelforscher in ihrer heiligen Einfalt gar von Rutherford verkündet wurde. Es war daher naheliegend, dass man sich auch aktiv in die Zionismuspropaganda einklinkte. Ein Mittel zu diesem Zweck war auch das 1925 erschienene Rutherford-Buch "Trost für die Juden". Darin wurde versucht, namentlich in jüdischen Kreisen "gutes Wetter" zu machen. Bei einem von ihnen hatte Rutherford offenbar besonderen Erfolg. Über ihn berichtete Jonak später einmal:

"Besonders interessant ist, dass Rutherford in diesem Buch einen an ihn von Nathan Strauß gerichteten Brief vom 14. August 1925 veröffentlicht. … Dieser Nathan Strauß ist ein in der Rheinpfalz geborener, nach Amerika ausgewanderter Jude, Teilhaber an großen Warenhäusern und war wiederholt Ehrenpräsident des American Jewish Congresses. Strauß spendet alljährlich größere Summen für zionistische, jüdische und philanthropische Zwecke. So schreibt das 'Jüdische Lexikon'. Er dürfte hernach wohl zu denjenigen zählen, die die Bibelforscher subventionieren, zu den Männern, 'die Gott und seine Sache lieben.'"

In der internen in der Schweiz erschienenen Bibelforscherschrift "Bulletin" konnte man in der Juli-Ausgabe 1926:

"Das erste Exemplar 'Trost für die Juden' wurde Herrn Nathan Strauß gesandt. Dieser bestätigte den Empfang mit folgendem Brief.

26. Dezember 1925,

Mein lieber Richter!

Ich kenne Ihr Interesse an der Absicht der Juden, das Heilige Land wieder aufzubauen. Ich schätze ihre Bemühungen dieses große Werk zu fördern, hoch ein und bin dankbar, zu lesen, was Sie dafür getan haben. Ich bestätige den Empfang des Buches 'Trost für die Juden', (das) eine Kopie enthaltend, den (Brief den) ich ihnen letzten August schrieb. Ich habe das Buch schon gelesen und füge es mit Freuden meiner Kollektion ähnlicher Literatur bei. Meinen besten Dank, dass Sie mir das erste gebundene Exemplar sandten. Ich erwidere Ihre guten Wünsche von Herzen und verbleibe mit freundlichen Grüßen.

Dieser Brief wurde abfotografieret und vervielfältigt, sodass ihn die Geschwister in den englisch sprechenden Ländern beim Anbieten zeigen können. Das Zeugnis von Herrn Strauß wurde von nahezu allen Juden anerkannt."

Damit auch die deutschsprachigen Bibelforscher für das gleiche Buch reklamewirksam werden können, wurde in der genannten "Bulletin"-Ausgabe, auch für sie noch ein entsprechender Werbetext zur Anpreisung dieser Rutherford-Schrift offeriert:

"Guten Tag! Kürzlich hat die Bibel-Forscher-Vereinigung, die ich vertrete, öffentliche Vorträge gehalten über das Thema: 'Palästina für die Juden - Warum?' Richter Rutherford, der Präsident dieser Vereinigung ist, hat ein Buch geschrieben über das Thema 'Trost für die Juden' … Dieses behandelt die heutige Aufbautätigkeit der Juden in Palästina und zeigt wie dies geschieht, in Erfüllung der Worte der Propheten, die vor vielen Jahrhunderten in den heiligen Schriften niedergeschrieben wurden. … Der Schreiber des Buches war zweimal in Palästina. Herr Nathan Strauß, populärer jüdischer Philanthrop und Zionist, schrieb Herrn Rutherford sehr anerkennend über seinen Radiovortrag über den Wiederaufbau Palästinas durch die Juden…"

Euphorisch wird in "Trost für die Juden" berichtet (S. 69): "Die erste ordnungsgemäße Volkszählung Palästinas wurde im Oktober 1922 vorgenommen, und die Zahl der dort wohnenden Juden wurde auf 83 794 geschätzt. Seitdem hat die jüdische Bevölkerung bedeutend zugenommen; im Herbst 1925 waren annähernd 135 000 Juden dort."

1925 war es den Zionisten möglich eine spezielle Dampferroute zwischen New York und Palästina zu eröffnen. Die Jungfernfahrt mit 350 Passagieren an Bord startete. Fast alles waren Juden. Als einer der wenigen Nichtjuden war auch ein Vertreter der Bibelforscher mit eingeladen. Zu dem Programm gehörte im Anschluss daran die Publikumswirksame Einweihung einer Jüdischen Universität in Jerusalem. Der diesbezügliche Bericht vermeldet:

"Die hervorragenden Persönlichkeiten auf der Tribüne waren Lord Balfour, Sir Herbert Samuel, General Allenby, Dr. Weizmann, Dr. Magnus, Oberst Kisch, Dr. Ruppin, Dr. Levy und andere." Zu den geladenen handverlesenen Gästen gehörte auch der Bibelforschervertreter Macmillan. Ursprünglich sollte Rutherford höchstpersönlich diese Ehre wahrnehmen, der aber wegen anderweitiger Verpflichtungen verhindert war. Eine Absage wurde nicht erteilt, sondern eben Macmillan dafür gesandt. Letztere konnte sich darin sonnen, faktisch auch zu den "Honoratioren" gehört zu haben, anlässlich jener spektakulären Veranstaltung. Keine andere christliche Gruppierung war mit eingeladen worden. Nur die Bibelforscher. Damit wurde auch zionistischerseits ihr Engagement für deren Interessen gewürdigt. Eine besondere "Blüte" der sattsam bekannten Bibel- und Geschichtsklitterungen der Russell/Rutherford-Organisation, ist auch der Satz von Rutherford in "Trost für die Juden" (S. 100): "Ein menschliches Skelett besteht aus 206 Knochen. Der Zionismus wurde in Basel in der Schweiz im Jahre 1897 als Körperschaft organisiert. Auf der Konferenz, die die Organisation ins Leben rief, waren genau 206 Delegierte, genau die Zahl der Knochen des menschlichen Körpers. Das war kein Zufall, sondern vom Herrn angeordnet, und zeigt, dass Gott die kleinsten Angelegenheiten bezüglich der Wiederherstellung der Juden anordnete, um sie zurückzuführen."

Die Betonung des Philosemitismus gerade zu jener Zeit, muss auch als "Strohhalmeffekt" gewertet werden. Aus den 1925-Erwartungen wurde nichts. Dennoch war man unbußfertig genug an den diesbezüglichen Thesen modifiziert, weiter festzuhalten. Ein Beispiel dafür sind auch die nachfolgenden Ausführungen aus dem "Goldenen Zeitalter" (1926 S. 35, 36):

"Und nun? 1925 ist vorbei, und schon lassen sich Spötter vernehmen, die da sagen, das ist alles nichts … Es bleibt ja doch alles beim Alten, und das merkwürdige Goldene Zeitalter kommt noch lange nicht!

Die Wiederherstellung Palästinas ist ein weiterer gewaltiger und überwältigender Beweis, denn der große Meister erklärte feierlich, dass die Zertretung Palästinas aufhören werde, wenn die Zeiten der Nationen abgelaufen seien … dass also parallel mit dem Ende der Reiche dieser Welt die neue, bessere, auf Gerechtigkeit gegründete Weltordnung sich öffnen werde. Zuerst ganz unscheinbar, dann deutlicher und deutlicher. Die Bibel bezeugt ferner, dass dieser Anfang in Palästina zu erwarten sei … dass nicht selbstsüchtige Geldjuden oder Wucherer daran teilhaben werden, sondern vor allem jene treuen Helden der Vergangenheit, die uns als Glaubenshelden in Hebräer 11 aufgezählt werden usw. Und nun, werter Leser, wende doch bitte dein Auge hin nach diesem Lande. Siehst du nichts? Siehst du nicht, wie diese Stätte neu erblüht und sichtlich zubereitet wird für die ihrer wartende, erhabene Aufgabe! Siehst du nicht, wie gerade im vergangenen Jahre sichtbar die Gunst Gottes sich wieder diesem Lande zuwandte? Siehst du es nicht? Weißt du es nicht? Lass dir doch genaue Berichte geben über den mit Riesenschritten fortschreitenden Wiederaufbau Palästinas.

Gibt es noch Grund für Zweifel, dass die Zeit wirklich da ist und dass nur noch ein wenig Geduld zu üben ist? 'Wenn es verzieht, so harre sein, denn kommen wird es, es wird nicht ausbleiben.' - Habakuk 2:3. Aller Kleinglaube wird bald beschämt dastehen!"

Beschämt wurde dieser "Kleinglaube" allerdings schon bald - und zwar von Rutherford höchstpersönlich. Nachdem er noch 1929 in seinem Buch "Leben" die Philosemitismusthesen wiederholt hatte, tönte er in seinem 1932 erschienenen Buch "Rechtfertigung" plötzlich ganz anders. Die Bibelforscher, waren in Deutschland zu jener Zeit prozentual stärker vertreten als in den USA. Auch Rutherford registrierte das zu jener Zeit komentenhafte Erstarken der Nazis. Das letztere Antisemiten waren, war auch damals schon weltbekannt. Also war die Revidierung des Philosemitismusthese bei ihm angesagt, was mittels des genannten Buches "Rechtfertigung" dann auch praktiziert wurde.

"Man hat gedacht, dass das jetzt als Juden bezeichnete Volk im Königreich einen besonderen Vorzug genießen werde, doch wird diese Annahme von der Bibel nicht gestützt", hieß es jetzt. Kein Wort darüber, wer dieser "Man hat gedacht" in der Praxis war und was er alles für Thesen im Detail dazu schon verkündet hatte. Das war jetzt "Schnee von gestern". Und eine ehrliche Auseinandersetzung mit ihrem "Gewäsch von Gestern", hat es in dieser Organisation ohnehin noch nie gegeben!

Vom Katholiken zum Nazi

Die Grenzen sind fließend. Einer jener der auf der "Grenzlinie" stand hieß Fritz Schlegel. Zwei Bücher über die Bibelforscher hatte er veröffentlicht. Das erste, 1922 erschienen titelte er: "Die Wahrheit über die Ernsten Bibelforscher". Wenn im folgenden auch eine gewisse Affinität des Schlegel zu politisch rechts gerichteten Kreisen nachgewiesen wird, so gilt es jedoch auch zu sehen, dass er sich in seinem Selbstverständnis nicht als primär politisch motiviert ansah. Ihm ging es letztendlich nur um die Verteidigung des katholischen Glaubens. Er sollte dabei allerdings auf Gleisen fahren, die einen unübersehbaren Rechtsdrall aufwiesen. 1922 jedenfalls schrieb er noch über die Bibelforscher, und machte damit sein eigentliches Anliegen deutlich:

"Seitdem nun ein Celsus (150), ein Lucian (200), ein Hierokles (300) und ein Porphyrius (305) den Griffel niederlegten, haben unzählige andere bis auf Bruno Bauer, Strauß, Renan, Häckel und Konsorten in unsern Tagen in ihrem Geiste antichristlich sowohl mit der Feder als mit dem lebendigen Worte am Geheimnis der Ruchlosigkeit gearbeitet. Unter diesen Kirchenfeinden waren sehr scharfe Denker! Aber aller Scharfsinn und alle Menschenweisheit konnten das Gotteswerk nicht zerstören. Nun kommen noch die Ernsten Bibelforscher und versuchen unter Mundtotmachung aller Philosophie, Logik und Konsequenz - das zu zerstören, was Geistesgrößen unter Anwendung aller Spitzfindigkeiten nicht vernichten konnten!"

1925 wurde Schlegel deutlicher. Sein in jenem Jahre erschienes Buch gab er den Titel: "Die Teufelsmaske der 'Ernsten Bibelforscher'". Sieht man es sich näher an, so fällt auf, dass auch er inzwischen - wie so viele andere seinesgleichen - von dem auf dem Markt befindlichen antisemitischen Pamphlet "Protokolle der Weisen von Zion" beeindruckt war. Eine Differenzierung gilt es hierbei noch zu machen. Jene Antisemitenbibel fand auch Ausdeutungen, die zugleich (nicht nur - aber auch) gegen die katholische Kirche gerichtet waren. Soweit wollte Schlegel natürlich nicht gehen. Die katholische Kirche war ihm heilig. Aber ansonsten stimmte er durchaus auch in den Chor der Protokolle-Apologeten mit ein. Besonders prägnant bringt er auf Seite 102 seines 1925-er Buches seine diesbezügliche Position auf den Punkt, wenn er schreibt:

"Um Missverständnissen vorzubeugen, sei vorgemerkt, dass es Kreise gibt, die behaupten: Kirche, Zentrum und Jesuitenorden seien mit Freimaurerei und Judentum verwachsen. Einen solchen Unsinn konnte ich noch nie rechtfertigen, viel weniger noch vertreten. Besagter Ansicht ist zum Beispiel auch Hans Lienhard in seiner Broschüre: 'Der große Volks- und Weltbetrug durch die 'Ernsten Bibelforscher'. Ein solcher unlogischer Antisemitismus muss auch zur Christenverfolgung führen. … Ebenso ungerecht ist es aber, sämtliche Antisemiten als Christenfeinde zu bezeichnen. Es wird sich vielleicht noch zeigen, wieviele eifrige Katholiken und Protestanten ausgesprochene Judengegner sind. Ja, wenn man wirklich logisch sein will, muss ein überzeugter Christ sogar Judengegner sein."

Im Zusammenhang mit seinem 1925-er Buch begann Schlegel auch eine eigene Zeitschrift mit dem Titel "Abwehr" zu gründen, deren Hauptschriftleiter (mit einer kurzen Unterbrechung) er war. Das Bibelforscherthema wurde in ihr in sattsam bekannter Weise abgehandelt. Im Prinzip brachte aber Schlegel nichts Neues. Seine diesbezüglichen Thesen waren schon in seinen Büchern enthalten. Im Jahre 1929, Schlegel hatte sich geistig verausgabt und wusste längere Zeit nichts Neues mehr zum Thema Bibelforscher zu sagen, bekam die Redaktion der "Abwehr" eine Anfrage aus ihrem Leserkreis, warum es denn nun zum Thema Bibelforscher in ihren Spalten so still geworden sei. Das war für Schlegel der "Zündfunke" um darauf zu antworten. Seine Antwort offenbart aber zugleich auch einiges über seinen geistigen Hintergrund. Dem Fragesteller antwortete er ("Abwehr" 1929 S. 148):

"So wäre es auch für die 'Abwehr' eitles Unterfangen, sich mit den 'E. B.' mehr als nötig herumzuschlagen, während dessen aber ihre Mutter, die Weltfreimaurerei, ungeschoren zu lassen. Selbst wenn es gelänge, den Bibelforschern ihr Handwerk zu legen (aber keine Bange: so was ist höchstens in der Schweiz möglich, aber nicht in Deutschland, wo Staatsfeinde bevorzugt, Vaterlands liebende Männer aber verfolgt werden!), so hat die Mutter, die Freimaurerei, noch viele Kinder, die sie unter andrem Namen auf die Menschen loslassen kann. Ob sie neben den Baptisten, Adventisten, Methodisten, Sabbatisten u. a. noch einige weitere Dutzende von Sektenfirmen aufmarschieren lässt, macht ihr nichts aus. Der 'Abwehr' jedenfalls genügt es zu wissen, dass die Freimaurerei die 'Mutter aller gottlosen Sekten' ist. Sie ist dies nach dem Worte unseres Papstes Leo XIII. So wisse man, dass die 'Abwehr' nach wie vor mit Leo XIII. die Weltfreimaurerei als die Führerin des Satansreiches (auf Erden) betrachtet."

Mit diesen Worten hatte Schlegel in relativ wenigen Worten sein Credo offenbart. In Kontinuität der katholischen Freimaurerhetze, übertrug auch er sie auf das Bibelforscherthema. Noch etwas ist bezeichnend an diesem Votum von Schlegel. Er redet davon, dass in Deutschland (in der Weimarer Republikzeit) "Staatsfeinde bevorzugt, Vaterlands liebende Männer aber verfolgt werden". Hatten die Nazis zu der gleichen Zeit (1929) nicht die gleiche Klage geführt! Die Affinität des Schlegel zum nazistischen Gedankengut ist diesbezüglich nicht zu übersehen. Damit ist nicht gesagt, dass er in "allen" Punkten mit den Nazis übereinstimmte; aber doch in einigen, durchaus als bedenklich einzuschätzenden.

Auch für das Schlegel'sche Votum, dass in Deutschland "Vaterlands liebende Männer verfolgt würden", lieferte die maßgeblich von Schlegel dominierte "Abwehr" noch ein Veranschaulichungsbeispiel. In ihrer Oktober-Ausgabe 1931 (S. 62) wird von ihr ein Dokument wiedergegeben, dass dies Signalhaft veranschaulicht:

"Berlin, den 30. September 1931.

An den Abwehr-Verlag in Münster, Westfalen.

Postzustellungsurkunde!

Die in Ihrem Verlag erschienene Druckschrift 'Katholizismus und Nationalsozialismus' (eine Rede an den deutschen Katholizismus) von Pfarrer Wilh. Maria Senn wird gemäß § 12 Absatz 1 in Verbindung mit § 1 Absatz 1 Ziffer 2 der Verordnung des Reichspräsidenten zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 28. März 1931 und gemäß § 2 Ziffer 2 der zweiten Verordnung des Herrn Reichspräsidenten zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 17. Juli 1931 auf Grund der Verordnung des Preußischen Minister des Innern vom 24. April 1931 und vom 18. Juli 1931 zur Ausführung der vorgenannten Verordnungen … für den Bereich des Freistaates Preußen beschlagnahmt und eingezogen, weil auf Seite 68 bis 70 der Druckschrift der Reichsminister des Innern Dr. Joseph Wirth, ein leitender Beamter des Staates (Reichs) beschimpft und böswillig verächtlich gemacht, und weil auf Seite 70 bis 84 gegen die Juden gehetzt und damit die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet würde."

Der in vorstehenden Dokument auch genannte Pfarrer Senn, wird heute katholischerseits, etwa von Gotto, als Einzelgänger interpretiert. Sei dem wie es sei. Fakt ist aber auch, dass zu damaliger Zeit Leute wie Senn, sehr bewusst auch von den Nazis instrumentalisiert wurden. Die genannte Schrift "Katholizismus und Nationalsozialismus" wurde denn auch prompt (ohne die inkriminierten Stellen) in einer zweiten Auflage von einem eindeutigen Karlsruher Naziverlag (Führerverlag) erneut publiziert. In ihr konnte man auch die Sätze lesen:

"Ich kann nicht schweigen - und wenn auch die Bischöfe Deutschlands gesprochen haben. Ich erkläre hier ausdrücklich, dass es mir fernliegt, an den bischöflichen Kundgebungen Kritik zu üben. Aber an einem Punkte desselben muss ich einhaken. Sämtliche Kundgebungen der deutschen Bischöfe gipfeln in dem Gedanken: So lange der Nationalsozialismus so ist, können Katholiken ihm nicht angehören. Gut! Ich lehne es ab, an dieser Entscheidung Kritik zu üben. Ich erhebe aber heute vor dem katholischen Deutschland die Frage: wer ist schuld, dass der Nationalsozialismus so ist?"

Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen äußerst sich Senn auch betont positiv angetan von dem "italienischen Beispiel". Etwa, wenn er anmerkt: "Ich kann hier nicht ausführlicher schildern, was Mussolini für Italien, für Kirche und Religion getan hat. Es ist auch nicht nötig. Das eine Wort des Papstes dürfte genügen: 'Italien sei Gott wiedergegeben worden.'"

Die starken Vorbehalte katholischer Kreise gegen den Nationalsozialismus, wegen dessen anitiklerikalistischer Tendenzen, die sich besonders markant mit dem Namen Alfred Rosenberg beispielsweise personalisieren lassen. Diese starken Vorbehalte versucht Senn mit den Worten zu entkräften:

"Hitlers 'Marsch nach Berlin' misslang. Wäre der Marsch gelungen, hätte Hitler die Macht ergriffen - ich behaupte ohne jedes Bedenken, dass das Christentum in Deutschland - katholische und evangelische Kirche - sicher nicht schlechter gefahren wäre wie in Italien."

Nicht nur dieser nazistische "Provinzverlag" interessierte sich für Senn. Ein Jahr später war es auch der "renommierte" Franz Eher Nachf. Verlag - die Hauptkoryphäe des nazistischen Verlagswesens - in der sich Senn erneut artikulieren konnte. Diesmal unter dem Titel: "Halt! Katholizismus und Nationalsozialismus. Meine zweite Rede an den deutschen Katholizismus und nach Rom". Darin nahm er auch direkt zu Rosenberg Stellung. Etwa, wenn er äußert:

"Vor einiger Zeit saß ich einem bekannten Führer der deutschen Hitlerjugend, einem edeln gläubigen Protestanten gegenüber. Als wir auf Rosenberg zu sprechen kamen, sagte er: 'Ja sehen Sie Herr Pfarrer, diese religiösen Anschauungen Rosenbergs gefallen mir auch nicht. Aber ich bin der Meinung, gerade deswegen müssen wir gläubige Christen hinein in die Bewegung und unsern christlichen Anschauungen zum Siege verhelfen.' Ich pflichte diesem Worte von ganzem Herzen bei."

Auch Schlegel selbst äußerste sich in seiner "Abwehr" (1931 S. 66) durchaus deutlich zum Komplex Nationalsozialismus. Etwa, wenn er anmerkt:

"Man wollte der 'Abwehr' unterschieben (von wem, ist zu bemerken überflüssig!) Sie wäre aus einer überparteilichen zu einer nationalsozialistischen Zeitschrift geworden. Mit diesem lächerlichen Einwand kann man uns nicht imponieren. Die 'Abwehr' hat sich nicht geändert. Seit Bestehen kämpft sie auf überparteilicher Grundlage gegen Freimaurerei und Judentum, also gegen das Antichristentum. Tut also das, was das Windhorstzentrum einst getan (lang, lang ist's her!) und was auch das heutige Zentrum längst hätte weiter tun müssen, wenn es die katholische Grundlage nicht längst preisgegeben hätte. … Wir sind aber nicht nur überparteilich katholisch, sondern auch überparteilich deutsch! Und in der heutigen durch die große Mitschuld des revolutionären und modernistischen Erfüllungs-Zentrum verursachten namenlosen Not, die zum Himmel schreit, kennen wir erst recht keine, ganz besonders aber keine Erfüllungs-Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche! In der NSDAP aber sehen wir nicht so sehr eine Partei, sondern die deutsche Freiheitsbewegung, von deren ziel- und verantwortungsbewusstem Führer wir mit großer Berechtigung allein noch die Rettung von Religion und Vaterland erhoffen können.

Der Bolschewismus, dieser unter den Augen des Zentrums jahrelang geduldete und damit großgezüchtete Stoßtrupp der im Stillen längst organisierten Gottlosentums steht sprungbereit, aber das Zentrum weiß nichts Besseres zu tun, als dem gefürchtetsten und erfolgreichsten Bekämpfer dieses Gottlosentums, dem Nationalsozialismus in den Arm zu fallen."

Im "Goldenen Zeitalter" gelesen - Eine Zeitreise 1925

Der nächste Jahrgang   1926

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