Der vorangegangene Jahrgang   1911

Vor (mehr als) 50 Jahren

Was 1912 Wahrheit war

Bestürzt über offene Parteinahme

In der Märzausgabe 1912 veröffentlichte der "Wachtturm" auch einen Leserbrief des "Ober-Bibelforscher" Alfred Zimmer aus Dresden. Zimmer gehörte offensichtlich zu den Honoratioren der Bibelforscher. Er sollte später noch verschiedentlich in der WTG-Literatur genannt werden. Jeweils im Kontext der Herausstreichung seiner beruflichen Stellung, zusammen mit einigen anderen dieses Schlages:

"Alfred Zimmer, Regierungssekretär a. D.

Hofrat Dr. Stenz, Rechtsanwalt und Notar

Dr. A. Mütze, Amtsgerichtsrat

Dr. phil. M. Karl, Polizei-Oberingenieur

H. von Ahlften, engl. Korrespondent. "

Regierungssekretär Zimmer ließ sich also im "Wachtturm" mit den Worten verlautbaren:

"Eine Gefahr, lieber Bruder, glaube ich, besteht jetzt für die Versammlungen auch darin, daß die Wellen des politischen Kampfes der Parteien, wenn auch nur ein wenig, zu uns herein dringen können, wie wir die Erfahrung gemacht haben. Die Nachfolger des Herrn entstammen ja allermeist den sozial wenig begünstigten Klassen, so daß die Gefahr der Parteinahme für die Sozialdemokratie eine naheliegende ist, besonders wenn der Geist Gottes das Herz noch nicht völlig erfüllt und das Verständnis der Prinzipien der Gerechtigkeit noch mangelhaft ist.

Welch eine falsche Auffassung können dann leicht die von uns erlangen, die jetzt noch Gewalt über uns haben, und unter deren Schutze, als von Gott zugelassen, wir jetzt noch ein stilles, tätiges und Gott wohlgefälliges Leben führen können! … Wäre es nicht gut, wenn einmal recht deutlich auf unsere Stellung im Kampfe der Parteien hingewiesen würde, was auch der Stellung der einsichtsvollen Geschwister guten Rückhalt bringen würde. Ich muß gestehen, ich war bestürzt, als sich hier einmal eine offene Parteinahme für die Partei des Umsturzes gelegentlich einiger Bemerkungen des vortragenden Bruders über die Reichstagswahlen kundgab. Ich habe die Geschwister aufs entschiedenste zurückgewiesen, daß wir ermahnen sollen, sich der bestehenden Ordnung zu fügen und geduldig zu warten, bis der Herr das Mangelhafte durch vollkommene ersetzen wird. Wir haben keine Sympathie mit dem namenlosen Unglück herbeiführenden Partei, die wir gleichwohl als Werkzeug Gottes erkennen."

Freude der Ungläubigen

Ein "Markenzeichen" der Russell-Bewegung war ihre Ablehnung der konventionellen Höllenlehre. Vergegenwärtigt man sich die zeitgenössischen "Konkurrenzkirchen" zu ihnen, so wird man sagen können, dass die Liberalen unter ihnen relativ dünn gesät waren. Dogmatik pur - auch andernorts. Nur eben eine etwas anders akzentuierte Dogmatik. Unter anderem auch erkenntlich am Festhalten an der Feuerhöllenlehre. Da gab es in den USA eine deutschsprachige lutherische Zeitschrift, die ihren Standort schon im Titel zum Ausdruck brachte: "Der Lutheraner". Gab Russell eine Traktatserie heraus, die er "Die Alte Theologie" nannte, so ist im Umkreis des "Lutheraner" ähnliches feststellbar. Letzterer hatte noch eine Schwesterzeitschrift. Die nannte sich "Lehre und Wehre" und wurde gleichfalls von der deutschen evangelisch-lutherischen Synode von Missouri, Ohio (USA) herausgegeben. Im Jahre 1907 veröffentlichte "Lehre und Wehre" schon auf den ersten Seiten dieses Jahrganges einmal einen Grundsatzartikel, der hier nachstehend zitiert sei. Er zeigt meines Erachtens nur eines. Die Frage was der Regen ist und was die Traufe, läßt sich bei den Kontrahenten Bibelforscher und Evangelisch-lutherische Synode von Missouri, so gut wie nicht klären.

"Lehre und Wehre" schrieb da also:

"Wir sind Exponenten der alten Theologie. Gerade darin erblicken wir unsere Aufgabe, den alten Glauben und die alte Theologie uns und unsern Kindern zu erhalten und in immer weiteren Kreisen Anerkennung zu verschaffen. 'Für den modernen Menschen einen modernen Glauben und eine moderne Theologie!' Diese Parole geben nicht bloß die materialistischen und evolutionistischen Wissenschaftler und ausgesprochenen Feinde der Kirche aus. Am lautesten kommt vielmehr dieser Ruf mitten aus der Kirche, und zwar zum großen Teil von Männern, die die Kirche vertreten an den Universitäten und Seminaren, ja vielfach sogar auf den Kanzeln.

Wer kennt nicht die Namen: Harnack, Rade, Weinel, Bousset, Baumgarten und viele andere liberale Theologen, höhere Kritiker und Religionsgeschichtler in allen christlichen Ländern? Sie stoßen den Grund um und reißen den alten Glauben an der Wurzel auf. Christum streichen sie aus dem Evangelium und aus dem Apostolikum; die Dreieinigkeit, die Schöpfung, die Weltregierung, die Menschwerdung, die jungfäuliche Geburt, die Versöhnung, die Auferstehung Christ, die Himmelfahrt, das Sitzen zur Rechten Gottes, die Wiederkunft Christi zum Gericht, die Gottheit und Persönlichkeit des Heilgen Geistes, das Wunder der Bekehrung, die Auferstehung und das ewige Leben.

Die alte Theologie lehre eine primitive, längst veraltete Religion, die nicht hineinpasse in den Rahmen des modernen Geisteslebens, nicht harmonisiere mit der modernen Kultur, nicht Schritt halte mit dem Fortschritt der Wissenschaften und sich dem modernen Bewusstsein nicht anpasse. Kurz, für den modernen Menschen habe der alte Glaube seine Anziehungskraft eingebüßt. Und wenn er der Religion den Rücken zukehre, so liege die Schuld bei der Kirche, die es versäumt habe, einen Glauben und eine Theologie auszubilden, die der moderne Mensch, das Produkt des modernen Fortschritts in der Wissenschaft, Literatur und Kunst, anzunehmen vermöge."

Kehren wir zum "Lutheraner" zurück. Auch auf ihn beziehe ich meinen Vorwurf. Weit entfernt von Liberalität. Um so näher am Dogmatismus dran! Und die Höllenlehre war auch für diese Kreise ein "unaufgebbares Dogma". Wehe dem, der sie in Frage stellte. Bitterste Schelte war ihm gewiß. Eben, in diesem Fall auch den Bibelforschern.

In seiner Ausgabe vom 20. August 1912, veröffentlichte der "Lutheraner" einen diesbezüglichen Aufsatz, der nachstehend einmal zitiert sei:

"In vielen Tagesblättern wird gegenwärtig diese Frage behandelt; es erscheinen Artikel dafür und dagegen. Wie kommt es, dass diese Frage jetzt so in den Vordergrund tritt? In Washington war kürzlich eine Gesellschaft versammelt, die sich den hochtrabenden Namen 'Internationale Vereinigung von Bibelforschern' gibt. Es sind Anhänger des großmäuligen Schwärmers Russell, der so ziemlich alles leugnet, was christlich ist. Diese Gesellschaft faßte den Beschluß und verbreitete ihn über die ganze Welt. Es gibt keine Hölle; die Lehre von einer Hölle ist eine Fabel. Von England jauchzte ihnen ein Geistlicher (?) der Staatskirche zu, und dessen Worte gingen durch die Presse zur Freude aller Ungläubigen. So etwas wird schnell verbreitet und mit Freuden aufgenommen. Elend sucht Gesellschaft. Man fühlt sich in seinem Unglauben und seinem bösen Gewissen bedeutend sicherer, wenn viele das sagen.

Aber so leicht ist die Hölle nicht abgeschafft. der Menschen sagen und Beschließen, verschlägt dagegen nichts. Der, auf dessen Segen es ankommt, versichert Matth. 25, 41 die zwei Dinge, daß ein ewiges Feuer bereitet sei, und daß es am Jüngsten Tage Leute, ohne erst ihre Zustimmung sich zu erbitten, dahin senden werde. Mit dem leugnen ist nichts ausgerichtet. Die Zeitgenossen Noahs leugneten auch sehr das kommen der Sintflut, die Einwohner Sodoms und Gomorrhas wußten ganz gewiß, daß ihre Städte nicht zerstört werden würden, und die gottlosen Juden waren ganz sicher, daß das lauter Lästerreden und leere Worte seien, die des Jesus von Nazareth gegen die 'heilige Stätte' redete. Wie es ihnen darüber ergangen ist, ist bekannt.

Der reiche Mann hat auch alle Tage von neuem den Beschluß gefaßt, daß es keine Hölle gebe, und seine fünf Brüder haben alle mit Ja gestimmt. Als er aber in der Hölle und in der Qual war, hat er diesen Beschluß sehr in Wiedererwägung gezogen. Er hätte dann auch gern seine geänderte Meinung veröffentlicht gehabt. Aber ihm wird bedeutet, daß dies gar nicht nötig ist. Moses und die Propheten stehen noch fort, und die Sagen das Nötige; dabei wird's bleiben. Die Spötter schaffen mit ihren Beschlüssen so wenig die ewige Verdammnis ab, daß sie vielmehr nach der Schrift ein Beweis dafür sind, daß der Tag des Gerichts nicht mehr weit ist. Allermeist aber wehe denen, die sich Geistliche und Bibelforscher nennen und die Gottlosen in ihrer Sicherheit stärken! Ihnen gilt, was der HErr solchen Verführern seiner Zeit sagte: 'Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen! Ihr kommt nicht hinein, und die hinein wollen, lasset ihr nicht hineingehen.' Math. 23, 13"

Die Ablehnung der Höllenlehre durch die Bibelforscher erfolgte keineswegs "uneigennützig". In ihrer Broschüre "Was sagt die Heilige Schrift über die Hölle" vermerken sie (S. 3, 4): "Sehen wir mit Schrecken, daß alle, welche diese lang verehrte Höllenlehre verlassen, sich dem Zweifel oder dem Unglauben zuneigen. …In demselben Maße wie der Glaube an die 'Hölle' erschüttert wird, so wird auch der Glaube an die Bibel als die Offenbarung des wahren Gottes erschüttert. Und diejenigen, welche ihren Glauben an eine 'Hölle' oder an irgend einen Ort endloser Qual verloren haben, sind oftmals ausgesprochene Ungläubige und Spötter."

Damit dürfte Russells Motivation klar sein. Der Vergleich drängt sich auf. Besonders in Deutschland machte die Universitätstheologie dergestalt von sich reden als "liberale Theologie" in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, dass sie allerhand Quellenkritisches und ähnliches mit in ihr Weltbild einbaute. Böse Zungen waren gar geneigt, die "liberale Theologie" dergestalt zu verdächtigen, daß sie die Atheisten gar noch links überholen wolle. Wie man weiß gab es dazu zwar auch Gegenreaktionen, aber die Tendenz war nicht zu übersehen.

Russell war offenbar auch einer von diesen "Linksüberholern", auf einem weit niedrigerem Niveau versteht sich. Preisgabe einer besonders anfechtbaren These, um so zu retten was zu retten ist.

Pech, Schwefel und Kolophonium

Zum Thema Höllenlehre sei noch eine Stellungnahme zitiert. Und zwar aus der entgegengesetzten Ecke. In ihrer Ausgabe vom 19. 1. 1913 schrieb unter obiger Überschrift die Zeitschrift; "Die Geistesfreiheit":

"Die internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher hat sich die Aufgabe gestellt, den Glauben an den höllischen Pech- und Schwefelsee auszurotten. Sie behauptet, dieser Glaube sei in der Schrift nicht begründet. Obwohl ich die Bibel wegen etlicher vortrefflicher Geschichten sehr hoch schätze, erspare ich mir doch, sie aus diesem Anlaß zu wälzen. Den meisten meiner Leser dürfte es auch wurst sein, ob ich ihnen Nahum, Habakuk oder Zephanja als Eideshelfer aufführe; sie glauben diesen alten Knaben ja doch nichts. Denn sie sind daran gewöhnt, die Dinge ohne theologische Brille rein aus der Fülle des eigenen Gemüts zu betrachten.

Da muß man denn zugeben: die Vorstellung vom Pech- und Schwefelsee hat auf den ersten Blick etwas recht Infernalisches. In diese brodelnde, übelriechende, eklige Sauce gestippt zu werden, kann kein Genuß sein. Aber wir wissen heute, daß der Mensch wie jedes lebende Wesen sich mit der Zeit an alles gewöhnt. Das große Gesetz der Anpassung, das die ganze Naturwissenschaft beherrscht, wird auch in der Hölle schwerlich außer Kraft gesetzt sein. So ist denn anzunehmen, daß die armen Seelen sich schließlich eine kolossale Epidermis anzüchten, die sie vor dem Verbrühen hinreichend schützt. Und dann wird es für sie ein Vergnügen sein, in den zischenden Wogen herumzuplätschern.

Der Begriff der Ewigkeit, der ein besonderes Schrecknis sein sollte, wird so eine Linderung. Laßt die Seelen gebraten und gesiedet, durch die Wurstmaschinme getrieben und verhackt. Stückt, gespickt und angebohrt, zerlegt oder mit rostigen Nägeln klistiert werden. Alles das tut vielleicht die ersten Millionen Male weh, hinterher aber gehört es zum Tagespensum, und man wartet, wie heut auf die Mahlzeit, darauf, zur festgesetzten Stunde ein bißchen gepiesackt zu werden.

Ewigkeit! Es wäre ein schrecklicher Gedanke, sie zu tragen, wenn man nicht eine einzige Unannehmlichkeit zu gewärtigen hätte. Das Erdendasein ist so gefüllt mit Widerwärtigkeiten, daß man sie sich nicht wegdenken kann; sie würden einem fehlen, wenn man sie nur eine Woche lang entbehren sollte. Und gar die Ewigkeit braucht entschieden noch stärkere Reize; sonst bekäme man vor öder Langeweile einen Buckel.

Aus diesem Grunde kann man denen, die die Höllenstrafen ausgebrütet haben, menschliches Empfinden nicht absprechen. Sie haben wenigstens für einige Überraschungen im Jenseits gesorgt. Die einzig Bedauernswerten sind die armen Teufel, die bis in die Puppen dieselbe stumpfsinnige Handlangerarbeit tun müssen. Und noch ein anderer Umstand spricht für das gute Herz der Höllenerfinder: daß sie die schwerlichsten Strafen, die ein Menschenhirn erträumen kann, aus diesem kurzen Dasein ins Jenseits verlegt haben.

Ich bin für meine Person ganz froh, daß mir während meines Erdenwallens jedenfalls das Gesottenwerden vielleicht erspart bleibt, und es beunruhigt mich niemals, daß ich vielleicht auch im Abgrund, wo der große Drache die Zähne bleckt, auf dem Rasiermesser reiten muß. Das alles ist mir viel lieber, als wenn man mich hie nieden malträtiert und dafür die Tröstungen des Himmels in Aussicht stellt.

Gewiß, es gab eine Zeit, wo man den hoffnungslosen Sünder bereits auf Erden röstete oder ihm die Glieder einzelnen zerbrach. Seien wir froh, daß sie vorbei ist. Selbst der wütendste Kaplan, der eifrigste Pastor muß einem jetzt drei Schritte vom Leibe bleiben. Die irdische Herrschaft der Gotteskinder befindet sich auf dem absteigendem Ast. Freilich, in manchen Gegenden unseres Vaterlandes haben sie heute noch einige Gewalt; sie können z. B. den Widerspenstigen auf die sanfteste Art wirtschaftlich ruinieren, können vielleicht auch ein ungeschorenes Schäflein mal von der Kanzel aus blamieren. Aber je gescheiter die Menschen werden, um so mehr schrumpft diese gefährliche Uebermacht zusammen. Und bald wird die Zeit kommen, wo der unzufriedene Seelsorger keinem mehr was können wird, als mit der Hölle zu drohen.

Dieses harmlose Vergnügen sollte man den notleidenden Hirten also wirklich lassen. Damit schaden sie nun der weniger Intelligenten. Es ist ja wahr, daß manches klappriges Männchen, manchem dürftigen Weiblein durch diese Art, die Schrecken des Jenseits auszumalen, die Sterbestunde verekelt wird. Aber - bei allem menschlichen Mitleid - das ist selbstverschuldetes Pech. Wir haben Schulen, wir haben Bücher und Zeitungen, wir haben … Organisationen, die der Aufklärung dienen. Die absolute, rettungslose, blindgläubige Dummheit hat heutzutage keiner mehr nötig; selbst dem Geringsten sind alle Mittel an die Hand gegeben, sich von ihm zu erlösen. Wer ein so gottverlassenes Heupferd ist, sich heute noch durch Pech- und Schwefelseen graulen zu lassen, der verdient als Strafe für lebenslängliche Verbohrtheit reichlich eine üble halbe Stunde vor dem Abkratzen. Er bekommt dann wenigstens zu spüren, daß die Dummheit, die ihn oft vor Aufregung und Zweifeln bewahrte, auch ihre Schattenseiten hat; und vielleicht dämmert ihm zwischen zwei Ausbrüchen kalten Schweißes eine blasse Ahnung, daß es für ihn heilsamer gewesen wäre, sich erst mal nach der tatsächlichen Existenz der unterirdischen Greueltaten zu erkundigen.

Ich bin bloß neugierig, wie es mal werden wird, wenn der Glaube an den feurigen Pfuhl gänzlich ausgelöscht worden ist. Denn einmal muß es doch kommen, wenigstens in Westeuropa, wo noch gerade jeder Mensch lesen kann. Ich fürchte, die Zentrumswahlen fallen dann ganz anders aus. Bis jetzt gibt's unter dessen Angehörigen ja immer noch reichlich Arme im Geiste, die vermeinen, der rote Wähler lade Beelzebub flugs auf die feurige Ofenschaufel oder verwandle ihn im eisernen Kochtopf zu Sülze. Aber immer kann das doch nicht so bleiben. Denn obwohl die Dummheit als solche zweifellos unsterblich ist; ihre einzelnen Formen sind vergänglich.

Und wenn die Höllenangst nicht mehr zieht, werden die schwarzen Herrschaften neue Methoden ersinnen müssen, um an Seelen Bauernfang zu treiben. Es ist ihnen ganz recht, daß sie sich mal die Köpfe strapazieren müssen; hoffentlich fällt ihnen was ein. Gern tun sie es nicht. Und ich habe sie manchmal im Verdacht, daß sie nur deshalb so eifrig unter Negern und Hottentotten missionieren, um bei den bequemen, einfachen Mitteln bleiben zu können.

Für Fetischisten ist der Höllenglaube immer noch ein Fortschritt. Und warum nicht? Haben sich die hellen Europäer viele Jahrhunderte lang plagen lassen, dann können ja auch mal andere an die Reihe kommen. Vielleicht hat für die Brüder, die ja seit langem mit Vorliebe auf Jahrmärkten als Feuerfresser auftreten, der Gedanke an jenseitiges Pech, Schwefel und Kolophonium einen besonderen Reiz. Wir wollen indessen irdische Austern, Gänsebraten und Bratwürste essen, damit wir wenigstens was im Magen haben, wenn uns - so Satan es will - später der Hals mit brennenden und höchst unschmackhaften Drogen gefüllt werden sollte.

Parsimony.7191

 

Russells Ehescheidung

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Sie war offenbar ein beliebtes Thema der kirchlichen Konkurrenz. Das auch andernorts manche Ehe kriselt, auch in kirchlichen Kreisen, darüber wurde in diesem Kontext in der Regel nicht reflektiert. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass hierbei vielfach ein ideologischer Stellvertreterkrieg geführt wurde. Seine Eheschwierigkeiten werden benannt und treffen wollte man seine Lehren. Wenn solche Angriffe gar noch aus der Ecke jener kommen, die in ihren eigenen Reihen das Zölibat (partiell) praktizieren, dann ist man geneigt nur eines zu sagen: "Fasst euch erst einmal an die eigene Nase!"

Ein Beispiel dafür wie solche die Eheprobleme Russells ausnutzende Publizistik aussieht, konnte man unter anderem im "Deutschen Gemeinschaftsblatt" in seiner Ausgabe vom 8. September 1912 registrieren. Dort las man:

"Frau Russell hat sich von ihrem Manne scheiden lassen, wie verlautet wegen Ehebruch. (Sie ist) gegen ihren Mann, Pastor Russell, Gründer und Leiter der 'Zions Wachtturm Bibel und Traktat-Gesellschaft', sowie Herausgeber der 'Volkskanzel', wegen Unterhaltungsgeldes klagbar geworden. Das Gericht wies Pastor Russells Einwand, daß er mittellos und arm sei, zurück. Der Gerichtshof führte den Beweis, daß Russell ein Eigentum im Werte von 317 000 Dollar ( 1 341 250 Mk) der 'Wachtturm Bibel und Traktat-Gesellschaft', von welcher er Präsident ist, übertragen hat. Zu einer Veräußerung eines Eigentums an einen Scheriff im Werte von 20 000 Dollar (85 000 Mk.) für weniger den 200 Dollar (850 Mk.) sagte der Gerichtshof: 'Der Zweck dieser ganzen Veräußerung war, Frau Russell ihrer Mitgift zu berauben, und es ist ein Betrug an ihr.' Auch wurde festgestellt, daß er Vermögen angehäuft habe durch Aktien, Spekulationen und durch Schenkungen seitens seiner Anhänger, die gelehrt werden, zu glauben, daß das Millenium (tausendjähriges Reich) im Oktober 1914 beginnen wird."

Auf Grund dieses Artikels wurde das "Deutsche Gemeinschaftsblatt" gezwungen, eine von der WTG vorgegebene Gegendarstellung zu bringen. Diese Gegendarstellung existiert auch im Schrifttum der WTG und zwar in ihrer Flugschrift "Jedermanns Blatt" Nr. 2 (1913). Sie erschien im "Deutschen Gemeinschaftsblatt" vom 5. Januar 1913. Sie sei nachstehend kommentarlos zitiert:

"An den verantwortlichen Redakteur.

In einer kürzlichen Ausgabe Ihres Blattes erschien ein Artikel gegen mich, der verleumderisch ist. Unter anderem steht dort: 'Frau Russell wurde, wie verlautet, von ihrem Manne geschieden, auf Grund von Ehebruch.' Diese Darstellung ist durchaus falsch und verleumderisch. Ich verlange nun als einen Akt der Gerechtigkeit mir und meinen dortigen Freunden gegenüber, daß Sie folgende Tatsachen, die ich hiermit bezeuge, veröffentlichen:

Meine Frau, welche ehrgeizig und der Frauenrechtsbewegung verfallen war, verlangte meine Geschäftsangelegenheiten zu leiten und suchte, sie unter ihre Kontrolle zu bringen, womit ich mich nicht einverstanden erklären konnte. Sie wurde böse gegen mich und reichte eine Klage auf Trennung ein. Sie klagte nicht auf Ehescheidung, und so konnte ihr auch keine gewährt werden. Die Trennungsklage wurde einem Gerichtshof unterbreitet, der aus fühlenden Männern zusammengesetzt war und urteilte, daß, weil es nicht gut möglich sei, weiter in Eintracht zu leben, es besser sei, dem Antrag auf Trennung Folge zu leisten. Von der Zeit ab lebten wir getrennt von einander. Der Antrag, welchen meine Frau auf Trennung einreichte, enthielt keine Klage auf Ehebruch; diese Frage kam deshalb überhaupt nie vor Gericht; und so war der Urteilsspruch in keiner Weise von einer solchen Klage beeinflußt.

Die einzige Bezugnahme auf Ehebruch ist auf Seite 10 und 11 der gerichtlichen Protokolle enthalten und zwar in bezug auf das Zeugnis, welches ich hier wiedergebe:

Herr Porter (Rechtsanwalt der Frau Russell): 'Wir erheben keine Anklage auf Ehebruch.' Frage, welche Herr Porter an Frau Russell richtete: 'Sie meinen nicht, daß Ihr Mann des Ehebruchs schuldig sei?' Antwort: 'Nein'.

Niemand kann mich gerechterweise einer unsittlichen Handlung zeihen. Ich habe mich nie des Ehebruchs oder einer unsittlichen Handlung schuldig gemacht.

Ein neidischer Pfarrer schrieb an eine Chicagoer Zeitung, daß meine Frau eine Ehescheidung erhalten habe auf Grund von Ehebruch. Auf Anraten meines Anwalts verklagte ich das Blatt wegen Verleumdung, und als der Herausgeber den wahren Sachverhalt erfuhr, war er sofort bereit voll und ganz die Aussage zurückzunehmen.

Sie sind jedenfalls nicht davon unterrichtet, daß ich gegenwärtig eine Schadenersatzklage gegen den 'Brooklyn Eagle' vor Gericht habe, für verleumderische Artikel, welcher dieser gegen mich brachte. Meine Feinde, welche unzufrieden sind mit den biblischen Wahrheiten, welche ich verkündige, suchen durch einen Überfall auf mein Privatleben meinen Einfluß zu zerstören. Das waren stets die Methoden des Feindes. Es erinnert mich daran, daß ähnliche Methoden verfolgt wurden gegen unseren Herrn und seine getreuen Nachfolger, wie Luther, John Wesley und andere. Auf Grund dieser Tatsachen stellt es sich deutlich heraus, daß diese Ausfälle von bösen Motiven herstammen. Meine Freunde in Amerika und Europa wissen, daß diese Anklagen gegen mich grundlos sind und von solchen herrühren, 'welche das Licht hassen, weil ihre Werke böse sind.'

Die Beschuldigung, daß ich meine Frau betrogen hätte, indem ich mein Besitztum einer Gesellschaft vermachte, ist ebenfalls ungerecht und unwahr. Der Tatbestand ist folgender: Lange vor der Trennnungsklage hatten wir beide, meine Frau und ich, all unser Geld und Eigentum dem Herrn geweiht. Zum Zwecke der Verbreitung der frohen Botschaft wurde die Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft gegründet, und hernach vermachten wir all unsere irdische Habe der Gesellschaft, und jeder Dollar wurde dazu verwendet, das Evangelium von Jesu Christo durch Wort und Schrift zu verkündigen. Anstatt meine Frau um ihre Rechte zu betrügen, habe ich jede Fürsorge für sie getroffen. Das Gericht sprach ihr eine monatliche Rente zu, welche ihr auf 4 Jahre zum Voraus bezahlt wurde. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diesem Schreiben eine ebenso weite Verbreitung gewähren würden, als es mit dem Artikel gegen mich der Fall war, und wenn Sie dieser Aufforderung nachkommen, will ich den Vorfall als erledigt betrachten.

Datiert und unterschrieben zu Brooklyn N. Y., 20. Sept. 1912.

Charles T. Russell, Pastor des London- und Brooklyn-Tabernacles."

Als eigene redaktionelle Anmerkung fügte das "Deutsche Gemeinschaftsblatt" noch hinzu:

"Wir bringen diese Entgegnung, um nur ja jede Gerechtigkeit zu erfüllen. Überzeugt sind wir nicht. Schon die von R(ussell) selbst angeführte Begründung, daß es nicht gut möglich sei, weiter in Eintracht zusammen zu leben, ist für uns eine Schmach für einen Gottesmann, und noch dazu für einen so hervorragenden, der sich selbst mit Luther und Wesley gleichstellt! Wir benutzen diese Gelegenheit, um unsere Freunde nochmals vor 'Zions Wachtturm', 'Volkskanzel' und auch der neuesten Gründung des geschäftskundigen Amerikaners 'Internationale Vereinigung ernster Bibelforscher' dringend zu warnen."

Der nächste Jahrgang   1913

1912er Kommentarserie

Die "Konkurrenz"-Zeitschrift Aussicht Jahrgang 1912

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