Der vorangegangene Jahrgang   1910

Vor (mehr als) 50 Jahren

Was 1911 Wahrheit war

New Yorker Hippodrom

Herausragend im Jahre 1910 war besonders Russells Auftritt im New Yorker Hippodrom vor Zionisten. Noch 1911 hallte die Erregung darüber, aus unterschiedlichen Motiven nach. Beispielsweise hatte dies ihm und seinen Bibelforschern nachfolgend noch den Vorwurf eingetragen, von den Juden "gekauft" zu sein. In allen Variationen kochten die deutschen Antisemiten und ihre Schleppenträger in kirchlichen Kreisen dieses Thema hoch. War dem wirklich so, wie die Antisemiten pauschal argwöhnten. Ebenso pauschal geantwortet: Nein. Erst der Blick in die Details differenziert das Bild.

http://www.manfred-gebhard.de/Stimme.jpg

 

Detailausschnitt aus der großfortmatigen, in Jiddischer (und deutscher) Sprache abgefaßten Schrift "Die Stimme"

Dasselbe Bild aus den "Souvenir Reports"

http://www.manfred-gebhard.de/Hippodrom.jpg

Bezüglich des darin wiedergegebenen Fotos; siehe auch: http://www.aliya.de/

Bezüglich der dabei mit zu nennenden Russell-Schrift "Die nahe Wiederherstellung Israels" siehe auch:

Russell Die nahe WiederherstellungIsraels (Datei im pdf-Format)

Beispielsweise druckte der "Wachtturm" vom August 1914 einen von Otto Dathe verfassten Bericht ab, der beschreibt welche Erfahrungen Dathe und ein weiterer Bibelforscher anlässlich des Besuches einer von der "Zionistischen Vereinigung Deutschlands" arrangierten Delegiertenversammlung machten. Die Bibelforscher-Emissäre lauschten gespannt dem dort dargebotenem. Besonders begeistert waren sie auch über jene Programmpunkte die darüber berichteten, welche Erfolge der Zionismus bereits in Palästina erreicht habe. Dies sahen die Bibelforscher allerdings im Lichte ihrer vermeintlichen Bibelprophezeiungen. Und da fingen die Konflikte schon an. Der Dathe-Bericht vermerkt:

"Nach den Vorführungen verteilten wir fleißig das Heft 'Die nahe Wiederherstellung des Volkes Israel' gleich am Saalausgang, ebenso die Nummern in jiddischer Sprache. Alle bestürmten uns und rissen uns förmlich die Blätter aus den Händen."

Die Euphorie sollte nicht allzu lange fortwähren. Dathe weiter:

"Ich hatte noch fünf jiddische Nummern zu verteilen, als mich ein Zionistenführer ansprach und Lärm schlug … forderte er uns auf, das Haus zu verlassen, weil wir keine Erlaubnis hätten. Zwei jüdische Frauen gaben uns die Traktate zurück und wollten sie trotz gütigen Zuredens nicht behalten."

Nicht alle Programmpunkte dieser Veranstaltung fanden das Interesse der Bibelforscher. Ihre partielle Uninteressiertheit offenbart auch ihre Bemerkung:

"Am dritten Tage hörten wir zwei Vorträgen zu, wobei wir bemerkten, daß es sich hier nur um eine Rassenangelegenheit handelte."

Als abschließendem Kommentar vermerkt Dathe:

"Nicht ein Wort wurde von Jehova, dem großen Lenker aller Dinge geredet. Jetzt können wir umso besser erkennen, wie unser himmlischer Vater die Drangsal Jakobs zuläßt, um allen Israeliten zu zeigen, daß Er es ist, der sie in ihr Land zurückdrängt. Wir glauben richtig erkannt zu haben, daß die gläubigen Juden bereits alle in ihrer Heimat versammelt sind und daß nur noch die ungläubigen durch die Drangsal zusammenzubringen sind."

Ein bemerkenswertes Dokument ist auch Russells 1914 erschienene Schrift "Die nahe Wiederherstellung Israels". In ihr berichtet er, dass er schon vor zwanzig Jahren auch Palästina besucht habe, aber für seine Endzeitverkündigung, in die er auch die Juden mit einbaute, nur wenig Resonanz fand. Dennoch blieben seine Aktivitäten nicht ohne Resonanz. Er berichtet dazu:

"Nach unserer Rückkehr aus dem Heiligen Lande wurde unser Bericht über die herrschenden Zustände weit verbreitet, und wir sandten besondere Exemplare davon an die Leiter zweier Gesellschaften: Des Jüdischen Kolonisations-Komitee, das Sir Moses Montefiores Freigebigkeit repräsentierte, und der Jüdischen Kolonisations-Bank des Baron de Hirsch. Die letztere Gesellschaft spendete damals Millionen an Geld, um jüdische Kolonien in Argentinien zu etablieren, während die erstere in Palästina arbeitete. Wir lenkten die Aufmerksamkeit der letzteren Gesellschaft auf die Erklärung der Schrift, daß Israel in seinem eigenem Lande wieder gesammelt werden soll, und daß Bemühungen, die anderwärts gemacht werden, verhältnismäßig fruchtlos bleiben würden - wie es auch seither der Fall gewesen ist. "

Vorstehende eben zitierte Passagen sind auch enthalten in der von der WTG speziell für die Juden geschriebenen Flugschrift "Die Stimme" die als Paralleldruck in Deutsch und Jiddisch erschien. Hier haben wir also ein klassisches Beispiel, wie Russell in religiöser Verbrämung in die Politik eingriff. Er berichtet weiter, dass selbst jüdische Rabbiner in den USA nicht sonderlich von dem Gedanken angetan waren, Palästina erneut jüdisch zu kolonisieren.

Russell war ein Einflussagent der diese Vorbehalte ausräumen half. Er trug auch seinen Teil dazu bei, dass der genannte Baron Hirsch die Argentinienpläne aufgab und sich auch dem Palästina-Trend anschloss. Was Russell nicht sagt ist, das die Standard Oil nicht an Argentinien, sehr wohl aber an Palästina, aus wirtschaftlichen Überlegungen interessiert war.

Antisemiten verkündeten später lauthals, das Jüdische Bankhaus Hirsch in New York finanziere die Bibelforscher. Diesbezüglich stand und steht bis heute: Behauptung gegen Behauptung. Eines ist jedoch sicher. In dieser politischen Kontroverse verlor die "Argentinienfraktion" und Sieger wurden die, die auf Palästina gesetzt hatten. Russell hatte somit schon frühzeitig, seinerseits auch auf das "siegreiche Pferd" gesetzt.

Russell konnte sich auch dergestalt einiges von seiner Zionismustheorie versprechen, indem er mal beiläufig bemerkte (S. 19) "In New-York wohnen annähernd 1 200 000 Juden." Die Zeitschrift "Die Welt" kommentierte dazu am 1. 6. 1911:

"Die wirtschaftliche Krise, von der die Bewohnerschaft des östlichen Stadtteils New York seit einiger Zeit heimgesucht wird, hat neben der erschreckend hohen Ziffer der jüdischen Arbeitslosen noch ein anderes moralisches Elend gezeitigt. Das jüdische Viertel ist von Missionaren geradezu belagert. Jeder Tag bringt neue Fälle der Seelenfängerei. … Die Arbeit der Missionare, der im letzten April zweihundert Personen anheim gefallen sind, vollzieht sich a la Pastor Russell unter dem Deckmantel der Judenfreundschaft."

Russell gab nun vor, die Juden nicht missionieren zu wollen (wer's glaubt wird selig). Aber selbst wenn dem so wäre, stellten sie doch einen gewichtigen Faktor in seiner Marketingstrategie dar. So "stark" war die Bibelforscherorganisation damals noch nicht. Jedenfalls verschaffte ihm sein Philosemitismus Schlagzeilen. Und das ist in einer Werbeorientierten Gesellschaft schon einiges wert. Zudem waren sie auch als ein Baustein in seinem "Prophezeiungsgebäude" brauchbar, dass ja für seine Stamm-Anhängerschaft von elementarer Bedeutung ist.

Sollte es gelingen, sie durch seine Theorien diesbezüglich weiter zu motivieren, wäre dies ein nicht zu übersehender "Pluspunkt" für seine Organisation.

Indes man wird bezweifeln dürfen, ob die eigentlichen Zionisten über seine Thesen sonderlich erfreut waren. Sieht man sich die einschlägige Berichterstattung darüber an, so ist eine gewisse Distanziertheit nicht zu übersehen. "Die Welt" Zentralorgan der Zionistischen Bewegung zitiert (2. 12. 1910):

"Die amerikanischen-jüdischen Blätter sind in hellem Aufruhr über einen Vortrag, den Pastor Russell aus Brooklyn … im Hippodrom zu New York unter zionistischer Ägide gehalten hat." Dieses Pressezitat wird von der "Welt" mit dem Satz kommentiert: "Es ist aber unwahr, daß der Vortrag des Pastors Russell unter zionistischer Ägide erfolgt ist … d. h. mit Unterstützung der leitenden zionistischen Kreise. Es ist selbstverständlich ausgeschlossen, daß irgendein Zionist einen Missionar in seiner Seelenfängerei unterstützen wird. Das braucht nicht erst bewiesen zu werden, und deshalb steht die Verbreitung solcher Nachrichten auf dem gleichen moralischen Niveau wie das Treiben der Missionare."

Ein anderweitiger Pressebericht wird von der "Welt" mit den Worten rezitiert:

"Wie wenig wahr der Bericht … in seinem übrigen Teil ist, geht aus der Schilderung hervor, den das … Blatt von der Aufnahme der Rede Russells entwirft. Es berichtet:

'Und während die Zionisten den Saal unter Zustimmungskundgebungen für Pastor Russell und das herrliche Lied 'Hatikwah' singend verließen, verteilten die Sekretäre und Sekretärinnen des Pastors seine Traktätchen und Missionsbroschüren gratis unter die enthusiomisierten Zionisten.'

Tatsache aber ist, daß nach den uns zugegangenen Informationen im Hippodrom trotz der geräuschvollen Reklame Russells nur sehr wenig Zionisten anwesend waren. Diese verließen noch vor Beendigung der Rede den Saal. Das 'Hatikwah'-Lied sang nicht die Volksmenge, sondern der Chor einer Brooklyner Kirche, den sich der Pastor ad hoc hinbestellt hatte. Sofort nach der Versammlung versandten die zionistischen Vereine und in erfreulicher Übereinstimmung mit ihnen auch die Kehilla Warnungen an die jüdische Öffentlichkeit, welche auch von den jüdischen Zeitungen veröffentlicht wurden."

Auftritt in Wien

Während einer Europareise absolvierte Russell auch einen Auftritt in Wien. Schon im Vorfeld war dafür gesorgt worden, dass als beabsichtigtes Thema, der Zionismus, weitgehend bekannt gemacht wurde. Und so blieb denn jene Veranstaltung nicht ohne Resonanz. Die Tageszeitung "Neues Wiener Journal" berichtete unter der Überschrift "Skandalszenen während eines Vortrages" am 23. 11. 1911 darüber. Man konnte dort lesen:

"Im großen Saal des Hotels Continental erschien gestern der bekannte amerikanische Missionar Pastor Russell, um über das Thema 'Zionismus in der Prophezeiung' zu sprechen. Der Vortrag war schon für vorgestern angekündigt, Pastor Russell konnte aber wegen Zugverspätung nicht persönlich erscheinen. Für ihn trat sein Dolmetsch vor, um einige Aufklärungen über die Person des erwarteten Redners zu geben, wurde aber durch die zahlreich anwesenden Zionisten in lärmender Weise unterbrochen.

Die Skandalszenen wiederholten sich in nachhaltigerer Art während des gestrigen Vortrages. Abermals hatten sich schon vor 9 Uhr abends zahlreiche Zuhörer im Saal eingefunden, vor dessen Eingang Agitationsschriften in jüdischer Sprache verteilt wurden, die vom zionistischen Teil des Publikums in demonstrativer Weise zerrissen wurden.

Inzwischen hatte Pastor Russell, dessen ehrwürdiges typisch priesterhaftes Aussehen auffiel, auf dem Podium Platz genommen und begann mit seinem Vortrag in englischer Sprache. Ein neben dem Redner stehender Dolmetsch übersetzte die Rede satzweise.

Schon bei den ersten Worten entstand ein ohrenbetäubender Lärm. Die Zionisten, zumeist ganz junge Leute, opponierten durch laute Zurufe und Pfiffe gegen die Verquickung des Zionismus mit der Bibel und suchten die weiteren Auseinandersetzungen zu verhindern. Einige stimmten das jüdische Nationallied an, andere warfen die Stühle um. Nur mit größter Mühe verschaffte sich Pastor Russell für einen Moment noch Gehör, betonte, daß er als Philosemit gekommen sei und bat, ihn ruhig anzuhören.

Auch ein Zionist ergriff das Wort und wies darauf hin, daß der Vortragende ein Freund Dr. Theodor Herzls gewesen und deshalb schon auch von seinen Gegnern geachtet werden müsse. Der Lärm verstärkte sich aber immer mehr, so daß der Redner den Saal unter schützender Begleitung der besonneren Elemente verlassen mußte. Die Anwesenden verharrten jedoch weiter unter lärmenden und erregten Diskussionen, die nahezu zu einem Handgemenge führten. Erst beim Erscheinen einiger Wachleute verließ das Publikum langsam das Lokal.."

In Ergänzung dieses Berichtes notierte das "Neue Wiener Journal" am 24. 3. 1911 noch:

"In Ergänzung unseres gestern … gebrachten Berichtes über die Vorgänge während des von Pastor Russell gehaltenen Vortrages wird uns von zionistischer Seite mitgeteilt, daß sich die Opposition hauptsächlich gegen das frühere Vorgehen des Redners richtete. Pastor Russell wird von den Zionisten beschuldigt, die Herzlmarken des jüdischen Nationalfonds nachgebildet und auch durch sein sonstiges Vorgehen die zionistische Bewegung geschädigt zu haben. Die Demonstrationen im Vortrag waren lediglich ein Ausdruck dieser Erbitterung."

Dazu schrieb die Zeitschrift "Die Welt. Zentralorgan der Zionistischen Bewegung" schon in ihrer Ausgabe vom 22. 7. 1910:

"Wir erhalten ein in New York zur Verbreitung gelangtes Missionsflugblatt, das wieder einmal zeigt, daß die Devise 'Der Zweck heiligt die Mittel' bei den Herren Missionaren nach wie vor in Geltung ist. Dieses Flugblatt enthält auf der Titelseite das Bild unserer Herzlmarke in vergrößerter Form, was jedoch offenbar nur zur Irreführung der Juden bestimmt ist. Auf derselben Seite ist aber auch eine genaue Reproduktion der Marke enthalten, die statt des Bildes unseres verewigten Führers das Konterfei des Missionspredigers Pastor Russell aufweist. Diese Manipulation ist eine Fälschung, die in Europa schwer bestraft wird. Leider steht uns bei den mangelhaften Kunstschutzgesetzen in Amerika kein Mittel zu Gebote, um die frommen Herren gerichtlich zur Verantwortung zu ziehen. Wir müssen uns daher darauf beschränken, dieses Vorgehen öffentlich zu brandmarken und die jüdischen Blätter in Amerika zu bitten, vorstehende Notiz abzudrucken."

Seitens der Bibelforscher wurde eine intensive Pressearbeit getätigt. So wurde dem "Neuen Wiener Journal" auch der volle Text jenes Russellartikels zugestellt. Eine ellenlange Abhandlung. Und die Bibelforscher konnten sich sicherlich nicht beklagen. Das "Neue Wiener Journal" druckte doch tatsächlich diesen Vortrag am 22. 3. 1911 im vollen Wortlaut ab. In geschönter Diktion, wie man beim lesen unschwer erkennen kann. Man kann die Sache aber auch anders bewerten. Darauf macht das Zentralorgan der Zionistischen Bewegung aufmerksam. Es verweist darauf, dass es sich bei dem ellenlangen Artikel um ein bezahltes Inserat der Bibelforscher handelt. Nachstehend auch noch dieser Text:

"Der Zionismus in der Prophezeiung

Pastor Russell (New York und London) erfreute sich gestern abend im großen Saal des Hotels Continental einer großen und intelligenten Zuhörerschaft. Er sprach im wesentlichen wie folgt über Jes. 40, 1 u. 2: 'Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott; redet zu Jerusalem freundlich und predigt ihr, daß ihre Bitterschaft ein Ende hat, denn ihre Missetat ist vergeben; denn sie hat Zwiefältiges empfangen von der Hand Jehovas für alle ihre Sünden.'

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß sich die Worte unseres Textes auf den Samen Jakobs beziehen, welcher jahrhundertelang schmerzliche Erfahrungen gemacht hat. Er bildete eine Nation ohne Land, ein Volk mit den wundervollsten Verheißungen, und doch im Besitze keiner derselben, ein Volk über die ganze Erde zerstreut, und doch nach Gottes willen und Verheißung getrennt von allen anderen Völkern.

Die Juden sind ein Wunder in sich selbst. Sie sind für diese zivilisierte Welt Zeugen von Gottes Verheißungen und seiner Macht. Wie die Schrift vorhergesagt hat, haben sie jahrhundertelang weder einen Propheten noch einen Priester gehabt, weder einen Leibrock mit Brustschild, noch Gesicht oder Offenbarung. Das Volk, welches zu einer Zeit allein die Ehre besaß, daß ihm Gottes Absichten kund getan wurden, ist seit mehr als 1800 Jahren verlassen und ohne Beweise göttlicher Gunst gewesen, außer in der einen Tatsache, daß seine Einheit als Volk bewahrt blieb.

Wir gehören nicht zu denen, welche über die Juden spotten und sie mit Schimpfnamen belegen. Wir sagen nicht, die Rache Gottes liegt auf euch, und das was ihr jetzt leidet, ist nur ein Vorgeschmack von schrecklichen Leiden, welche ihr in alle Ewigkeit erdulden müßt! Gott sei Dank, nein! Wir haben keine solch arge Gesinnung in unserem Herzen. Wir haben nur Mitgefühl mit den Juden, obwohl wir in ihm sowie in allen Adamskindern vieles sehen, was nicht empfehlenswert ist; trotz alledem sehen wir auch seine empfehlenswerten Eigenschaften. Unter anderem sehen wir die Eigenschaft, welche Gott an Abraham so sehr schätzte, nämlich den Glauben an ihn und seine Verheißungen. Solcher Glaube hat das auserwählte Volk all die Jahrhunderte hindurch begeistert, auf das verheißene Reich des Messias zu warten, trotz aller Entmutigungen und Verfolgungen.

Und jetzt haben wir nun beinahe die Zeit erreicht, in welcher nach den Prophezeiungen der jüdischen Schriften die Herrlichkeit des Herrn offenbart und von allem Fleisch gesehen werden soll. (Jes. 40,5). Die lang verheißene Zeit für Israels Erhöhung zum Kanal der messianischen Segnungen für alle Menschen ist nahe, sie eilet mit Macht. Was schadet es, daß in Verbindung mit der Einführung der neuen Ordnung noch eine große Zeit der Trübsal kommen soll! Hinter dem Seufzen und Weinen tagt der Morgen, der herrliche Tag, an welchem die Sonne der Gerechtigkeit alle Schatten des Todes und der Verzweiflung aus der Welt vertreiben wird, welche die Sünde und ihre Strafe auf das Menschengeschlecht gebracht haben!

Was liegt daran, daß nach der Schrift in Verbindung mit der Zeit der großen Trübsal für die Welt auch über Israel noch 'die Zeit der Angst Jakobs' kommen soll! Nichts von alledem soll uns daran hindern, uns über die neuen Himmel und die neue Erde zu freuen, welche Gott bald zu schaffen versprochen hat, um durch dieselben die Welt zu beherrschen. 'Sie werden sich ewiglich freuen und fröhlich sein über dem, was ich schaffe.' (Jes. 65,18).

'Neue Himmel' und eine 'neue Erde' sind nur symbolische Ausdrücke für das neue Zeitalter, in welchen eine neue soziale Ordnung sowie auch neue geistige Mächte, ewig in den Himmeln da sein werden.' Die Zeit ist gekommen, in welcher unser Text seine Erfüllung findet. Der helle Schein der Lampe der Wahrheit auf die prophetischen Blätter zeigt, daß die große Uhr des Weltalls die Stunde anzeigt wenn der, dessen Recht es ist, seine große Macht übernehmen und herrschen wird. Ja, wir erinnern uns, daß geschrieben steht, daß dann die Völker zornig sein werden und Gott seinen Grimm offenbaren wird; daß dann das Gericht der Toten und der Lohn für alle, Große und Kleine kommen wird. Dessenungeachtet freuen wir uns, daß die 'Zeiten der Heiden' bald zu Ende sind, und die Zeit der theokratischen Herrschaft des Messias nahe ist. Er muß herrschen, bis er alle Ungerechtigkeit und allen Widerstand unterdrückt hat, bis sich ihm jedes Knie gebeugt und jede Zunge ihn bekannt hat zur Ehre Gottes des Vaters.

Die erste Arbeit des Königreiches wird das Binden des Satans sein, das Werk eines himmlischen, nicht eines irdischen Königs. Nach und nach in den Gerichten, Befehlen, Belohnungen, Strafen der Menschen und in der Verbannung von Sünde und Tod, wird der große König der Gerechtigkeit seinen gnadenvollen Charakter und des Vaters Gerechtigkeit den Menschenkindern zeigen.

Ein König, aber zwei Königreiche

Die Christenheit im allgemeinen hat in der Vergangenheit übersehen, daß die an Abraham gegebenen Verheißungen durch seinen Samen erfüllt werden sollen, durch eine himmlische Klasse und durch eine irdische Klasse, mit dem Messias als Haupt über beide. Achtzehn Jahrhunderte lang hatte Gott Abrahams Samen, das Volk Israel, begünstigt. Sie erfuhren Strafen und Ermahnungen zur Gerechtigkeit, doch hatten sie während all dieser Zeit die göttliche Gunst im Gesetz und den Propheten, und in den Vorteilen, welche aus dem Gesetzesbund erwuchsen, wie zum Beispiel den jährlichen Versöhnungstag, durch welchen sie in der Gunst Gottes erhalten blieben. Diese Zeit der göttlichen Gunst fing mit dem Tode Jesu an abzunehmen, und kam im Jahre 70 nach Christi, als die römische Armee Jerusalem zerstörte, zum vollständigen Ende. Eine solch lange Zeit ist seither verflossen, welche unser Text das 'Zwiefältige' oder 'Doppelte' nennt, und nun kehrt Gottes Gunst wieder zu dem jüdischen Volke zurück.

Die Juden waren zu keiner Zeit während der verflossenen 1800 Jahre so behaglich und günstig gestellt wie jetzt. Ihr Segen hat eben nur erst angefangen. In Gottes eigener Zeit, welche nahe bevorsteht, wird er seinem auserwählten Volke all die herrlichen Verheißungen in dem Gesetz und den Propheten erfüllen. Die Juden fangen bereits an, diese Tatsachen wahrzunehmen. Die Zionistenbewegung, welche anfänglich eine politische war, fängt jetzt an, als eine religiöse Bewegung zu erblühen, und ohne Zweifel nach Gottes Vorsehung. Die Worte der Verheißung, welche so lange ohne Verständnis gelesen wurden, fangen an, leuchtend hell zu werden und weisen ihnen den Weg des Herrn, welcher zur Wiederaufrichtung Jerusalems und höherer Ideale unter dem jüdischen Volke führt. Eine Stimme wird gehört in der Wüste, und die Juden überall horchen auf dieselbe. Sie verlangt nicht von ihnen Christen zu werden, sondern Juden zu bleiben und als solche die Ideale zu erkennen, welche ihnen der Herr in den Propheten vorgestellt hat.

Alle, welche sich leiten lassen, werden in Kürze einen großen Segen empfangen, welcher sie für alle Leiden in der Vergangenheit entschädigen wird. Weder durch Schwerter noch Kanonen, weder durch Kriegsschiffe noch Luftschiffe oder Torpedos wird Israel den großen Sieg erlangen, weder durch Geldmacht, noch durch Anbeter des goldenen Kalbes der Finanzen noch durch den Arm des Fleisches, sondern dadurch, daß sie auf den Herrn schauen, von welchem die Hilfe kommt. Das geistige Weltreich des Messias, welches aufgerichtet wird, wird den Satan binden, das Böse hindern und die Richtschnur in Gerechtigkeit für die Menschen aufrichten; er wird das Volk Israel segnen und an stelle des alten Gesetzesbundes den Neuen Bund mit ihm schließen, durch den besseren Mittler, welcher mächtiger ist, als der große Moses war; der ein größerer König ist, weiser als Salomo und von Gott geliebter als David. Dieses große himmlische Reich wird in der Welt unter großer Trübsal aufgerichtet werden, einer Zeit der Angst und Not, welche die Propheten als sehr schrecklich beschreiben, eine Zeit anarchischer Herrschaft. Juden, Christen und Heiden, Arme und Reiche sind verantwortlich für das Hereinbrechen dieser Trübsalszeit, wegen der Selbstsucht, welche jetzt die Welt regiert, deren großartige Zivilisation der Herr in Kürze zerschlagen wird. Sozialistische Wortschlachten und kirchliche Vereinigungen werden den Kampf nur verschärfen.

Israels Hoffnungen - warum verzögert?

Der Gedanke, welche unsere jüdischen Freunde sowie auch die Christen quält, ist dieser: Wenn das Reich des Messias noch aufgerichtet werden soll, wie die Juden erwarten, und wenn es Gottes Absicht ist, die heiligen Männer des Alten Bundes und das bevorzugte Volk Israel in Zukunft als Werkzeuge zur Hinausführung seiner Segenspflichten zu gebrauchen, warum hat er diese Sache so lange verzögert?

Wie wir im 45. Psalm lesen: 'Anstatt deiner Väter werden (sie) deine Kinder sein, die wirst du (Messias) zu Fürsten setzen in alle Welt', zu Stellvertretern seiner Macht, Herrschaft und Autorität. Zu der Zeit wird der Segen zu Israel zurückkehren, welche Gott vor achtzehn Jahrhunderten von ihnen genommen hat. Unter ihrem Neuen Bunde sollen sie gesegnet werden.

Ich nötige niemals die Juden, Christen zu werden, aber ich zeige ihnen die göttliche Richtschnur, um sich für die Erfüllung der ihnen gegebenen göttlichen Verheißungen bereit zu halten. Daß die Zeit für die Erfüllung vorhanden ist, ist der Trost, welchen wir ihnen anbieten, gemäß unseres Textes. Der Prophet sagt, daß, wenn sie in ihr eigenes Land zurückgekehrt sein werden, und nachdem die große Trübsalszeit hereingebrochen ist, dann die Juden ihren großen Messias der Herrlichkeit erkennen werden, auf dessen Reich sie so lange gewartet haben. Der große 'Michael' in Daniel 12 ist kein anderer als der Mensch Christus Jesus, welcher sich vor nahezu 1900 Jahren gegeben hat zum Ersatzlösegeld für alle Menschen. Gott wird dann die Augen ihres Verständnisses öffnen, und der Prophet sagt: 'Sie werden sehen, welchen sie durchstochen haben', sie werden dann sehen, daß der Jesus, welcher für die Sünden Israels und der Welt geopfert wurde, und der Messias der Herrlichkeit, welcher unter seiner Herrschaft Israel zum Segen der übrigen Völker gebrauchen will, ein und derselbe ist.

Ausführlicheres über die prophetischen Studien Pastor Russells versendet gratis der Volkskanzelverlag in Barmen, Deutschland."

Einen zusammenfassenden Kommentar veröffentlichte die in Köln erscheinende Zeitschrift "Die Welt. Zentralorgan der Zionistischen Bewegung" in ihrer Ausgabe vom 12. 5. 1911. Unter der Überschrift "Die Tätigkeit des Pastor Russell" konnte man darin lesen:

"Das traurige Schicksal, das die mit so viel Hoffnung begonnene Missionsreise des Pastor Russell nach Europa erfahren hat, haben wir bereits mitgeteilt. Sowohl in Wien, als auch in Lemberg und an anderen Orten erheben die Zionisten energischen Einspruch gegen die Tätigkeit des amerikanischen Missionars, der sich unter dem Vorwand der Philozionismus mit der Seelenfängerei beschäftigt. Die Arbeitsmethoden dieses 'Freundes' sind recht sonderbare. Wir haben schon im Vorjahr auf seine Nationalfondsmarke aufmerksam gemacht, auf welcher der edle Pastor sein Konterfei an Stelle des Bildnisses Dr. Herzls eingeschmuggelt hat. Wir bezeichneten damals dieses Vorgehen mit dürren Worten als eine Fälschung. Pastor Russell gibt aber nicht nach, und dieselbe Marke, auf welcher Pastor Russell sinnend und würdevoll auf Jerusalem sieht, findet sich in Heft I und II (Januar/Februar) 1911 der in Barmen und Brooklyn erscheinenden Missionszeitschrift 'Der Wachtturm'. Von dieser Reproduktion abgesehen, bietet der sonstige Inhalt des Heftes, der in dem bekannten Traktätchenton geschrieben ist, die Gewähr, daß auf solche Weise Pastor Russell wohl keine Erfolge erzielen wird.

Dieser Agitationsschrift in deutscher Sprache reiht sich würdig eine andere in jüdischer Sprache abgefaßte an, welche den Titel 'Die Stimme' führt. Den Hintergrund für die Titelüberschrift bildet die Figur Moses, der mit ausgestreckter Hand auf Jerusalem deutet. Der Inhalt dieser ersten Seite ist recht harmlos und ganz so abgefaßt, wie er bei den amerikanischen Judenzeitungen zu sein pflegt.

Auf der zweiten Seite folgt dann die marktschreierische Abbildung des bekannten Massenmeetings im Brooklyner Hippodrom, auf welchem Pastor Russell eine Missionsrede hielt, an deren Schluß er durch einen Kirchenchor die Hatikwah anstimmen ließ. Es ist bekannt, daß die meisten der Anwesenden nach dieser Provokation zornig die Versammlung verließen, und daß am folgenden Tage die New Yorker Zionisten gemeinsam mit der Kehillah eine Flugschrift verbreiteten, in welcher vor Russell gewarnt wurde.

In dem vorliegenden Exemplar des Blattes wird dieses Meeting als ein 'historisch-jüdisches Massenmeeting von bedeutender Wichtigkeit' bezeichnet. Seite 3 enthält dann eine große Photographie Pastor Russells. Seite 4 verläuft langweilig wie alle Missionsschriften und Seite 5 reproduziert wieder 2 Bilder.

Mit diesen hat es seine eigne Bewandtnis. Die Bilder stellen beide einen Friedhof dar, auf dem zwischen Grabsteinen Ahasver sitzt. Auf dem einen Bild starrt er in Verzweiflung vor sich hin, auf dem zweiten Bild blickt er angenehm überrascht auf Pastor Russell, der ihm ein Blatt vorhält, auf dem verschiedene Prophezeiungen angegeben werden. Diese beiden Bilder sind dem New Yorker 'Big Stick' (der große Stock) entnommen, einem Jargon-Witzblatt, das die Bilder als eine Satire des Treibens Russells im September des vorigen Jahres gebracht hatte. In der 'Stimme' ist dieser Zweck verschwunden und die Bilder dienen zu einer Glorifizierung des Missionars. Diese Angaben genügen wohl, um ein Urteil über Pastor Russell zu ermöglichen. Wir glauben nicht, daß seine recht eigenartige Freundschaft für das Judentum, auf die wir gerne verzichten, viele Schafe in seine Hürde treiben wird."

Auch Franz Stuhlhofer hat sich in seinem 1990 erschienenen Zeugen Jehovas bezüglichen Buch mit der Publizistik im "Neuen Wiener Journal" auseinandergesetzt und kommt auch zu dem Resultat. Da wurde von WTG-Seite ein bezahltes Inserat lanciert, dass in seiner Aussage mit dem tatsächlichen Ablauf der Geschehnisse, keineswegs "harmoniert". Stuhlhofer notiert (S. 241f.)

Am Mittwoch, dem 22. März 1911, brachte das Neue Wiener Journal ein halbseitiges Referat über einen Vortrag Russells:

»Der Zionismus in der Prophezeiung. Pastor Russell (New York und London) erfreute sich gestern abend im großen Saal des Hotel Continental einer großen und intelligenten Zuhörerschaft. Er sprach im wesentlichen wie folgt ...«

(Dieser Vortrag hätte demnach am Dienstag stattgefunden.) Nach dieser Einleitung wird der Inhalt präsentiert, und das Ganze schließt mit dem Hinweis: »Ausführlicheres über die prophetischen Studien Pastor Russells versendet gratis der Volkskanzelverlag in Barmen, Deutschland.« (S. 14)

Unterhalb des Vertrages stehen Anzeigen verschiedener Firmen. Einige Gesichtspunkte sprechen dafür, daß es sich bei diesem Referat um eine bezahlte Anzeige handelt. Zum ersten der zitierte Schlußsatz. Zum zweiten, daß Russell den Vortrag am Dienstag gar nicht gehalten hat — der Zeitung muß der ganze Text also schon vorgelegen haben.

Am Tag darauf brachte dieselbe Zeitung einen Bericht über zwei Vorträge, vom Dienstag und vom Mittwoch: Für Dienstag war zwar Russell angekündigt, doch hatte sein Zug Verspätung, so daß lediglich dessen Dolmetscher versuchte, einiges über Russell zu sagen. Es gelang ihm aber kaum, da die Zionisten laut schrieen und ihn übertönten. Am Mittwoch erschien dann Russell persönlich, aber ihm erging es genauso ...

Dieser Bericht erstreckt sich etwa über ein Zehntel der Seite mitten unter anderen Kurznachrichten stehend (S. 8). Hätte das Neue Wiener Journal tatsächlich Russell und dessen Vortrag über den Zionismus derart wichtig gefunden, daß es ihm eine halbe Seite widmen wollte — warum wird dann der zionistische Widerstand gegen Russell und der tatsächliche Verlauf des Abends derart kurz abgefertigt? Auch die am folgenden Tag gebrachte Ergänzung darüber, wie der Widerstand zionistischerseits gerechtfertigt wurde, ist äußerst knapp gehalten. All das läßt vermuten, daß die Bibelforscher eine halbe Seite Anzeigenplatz kauften, und daß die Zeitung diese Anzeige (ohne Kennzeichnung als solche) brachte, obwohl der Abend ganz anders abgelaufen war.

Russells Politik

Man macht immer wieder eine bemerkenswerte Erfahrung. Etliche religiös orientierte Menschen glauben, Politik ginge sie nichts an. Wie dies kann man da nur zurückfragen. Wenn Ihr keine Politik treibt, dann werden andere es tun. Und sie werden das durchsetzen, was sie aus ihrer jeweiligen politischen Erkenntnissicht als angemessen erachten. Widerstand brauchen sie nicht zu fürchten, da ja die vorgenannten Religiösen sich selbst "entmannt" haben und sich faktisch die Politik die andere für richtig halten, diktieren lassen.

Nun mag man im Falle Russells und seiner Nachfolger einwenden, ihre politische Entmannung hat ihre Wurzel in der akuten Endzeiterwartung: "Gott wird's schon richten". Wie aber wenn Gott in diesem Fall überhaupt nicht zu diesen Wunschthesen steht?! Dies ist doch gerade am Falle der Bibelforscher/Zeugen Jehovas mit ihrer langen Kette von Endzeitspekulationen nachweisbar.

Aber auch in ihrem Falle gilt. Auch durch ihre Versagung betreiben sie Politik. Die Frage ist lediglich die, ob sie mit ihren ureigensten Interessen wirklich konform geht?

Da gab es im Jahre 1911 seitens der Bibelforscher eine Flugschriftenreihe (speziell auch für die Öffentlichkeit gedacht), die nannte sich "Die Volkskanzel". Sieht man sich diesen Jahrgang 1911 näher an, so sind darin sehr wohl politische Aussagen nachweisbar. Etwa jenes ganzseitiges Inserat, worin der "Wachtturm"-Redakteur Koetitz am 20. 10. In Dresden über das Thema sprechen wollte: "Unsere gegenwärtige Weltlage im Lichte der Bibel."

Etwa jene Referierung eines geschichtlichen Ereignisses. Und zwar des Opiumkrieges, den England gegen China angezettelt hatte. Oder auch jener Satz der da klar behauptet:

"Die Bibel sagt uns, daß die Welt einer Monarchie bedarf, - einer starken, zentralisierten Regierung, in der die Massen keine Stimme haben dürfen, denn in ihrem gefallenen Zustand wissen sie nicht, was zu ihrem eigenen Besten dient."

Dieser Satz erweist sich in der Tat als ein Schlüsselsatz zum Verständnis der Zeugen Jehovas in Vergangenheit und Gegenwart. Eine Führungsclique bestimmt. Wohnhaft in Brooklyn, New York, inklusive ihrer regionalen Statthalter. Alles hat sich dieser Clique, angeblich von Gott geleitet, unterzuordnen. Ihre Entscheidungen sind "unfehlbar". Da kann in der Tat selbst der Papst in Rom noch neidisch werden, ob solcher glashart formulierten Machtansprüche.

Bleiben wir noch einen Moment bei der in jenem "Volkskanzel" referierten Opiumkrieg in China. Um es vorweg zu sagen, was die Darstellung seiner Geschichte anbelangt, habe ich keinen wesentlichen Dissenz. Allerdings werde ich mir noch erlauben im Anschluß daran, noch einen kommentierenden Satz hinzuzufügen. Beginnen wir also mit der Darstellung, was die "Volkskanzel" diesbezüglich ihren Lesern mitteilt:

"Der größte Fluch Chinas ist das Opium. Vor einem halben Jahrhundert versuchte China, der Lage Herr zu werden und sich gegen alles ausländische Opium zu schützen. Es kamen aber reiche Engländer in Betracht, die in Indien große Interessen hatten, wo die Mohnblume üppig wächst, aus welcher das Opium gewonnen wird. Die Folge davon war ein Krieg, in welchem die heidnischen Chinesen, die keine modernen christlichen (?) Kanonen und Schiffe besaßen, einen schweren Verlust erlitten. Die Engländer setzten sich in China fest, nahmen ein ansehnliches Stück Land in Besitz und stellten einen Vertrag auf, welchen die Besiegten anzunehmen gezwungen wurden. Der Vertrag schreibt die Einfuhr des Opiums nach China vor. China kann den Handel nicht verwehren, ohne einen Krieg mit dem mächtigsten Königreich Christi (?) auf Erden, soweit die Flottenstärke in Betracht kommt heraufzubeschwören.

Die jungen Männer des heidnischen China haben eine Riesen-Petition in Angriff genommen, um der Opiumeinfuhr ein Ende zu bereiten. Die Unterschriften sollen 200 000 betragen, um die 400 000 000 Menschen Chinas zu vertreten. Die Petition richtet sich an die Adresse Seiner Majestät des Königs Georg von Großbritannien und Irland und Kaisers von Indien und der Inseln des Meeres und Hauptes der Kirche Englands - des mächtigsten Königreiches Christi(?) auf Erden.

Der Wortlaut dieser Petition ist schon im New-York-Herald vom 17. Februar ds. J. erschienen. Sie erwähnt, daß schon einmal im Jahre 1858 eine ähnliche Petition, aber ohne Erfolg, an die Königliche Großmutter des Königs eingereicht worden sei, als sie die Vertreterin dieses Zweiges des Königreiches Christ(?) war.

Ist dies alles nicht sehr ungereimt! Sehr sonderbar? Welche Heuchelei haben wir verübt! Wie sollten wir uns alle dessen schämen! Bedenken wir doch - eine der hauptsächlichsten Nationen der Erde sendet mit der einen Hand Bibeln und Missionare zu den Heiden, und Branntwein und Opium mit der anderen. Ist es da Wunder, daß die Heiden unsere Falschheit erkennen und unsere Anträge, so gut sie eben können, zurückweisen? Ist es zu verwundern, daß das 'gewöhnliche Volk' Großbritanniens nicht imstande ist, es mit der Religion ernst zu nehmen, und von jeder Verbindung mit der Kirche ab- und in den Unglauben fällt?

Es ist kein Wunder! Kehren wir zurück zur Ehrlichkeit und Wahrheit. Räumen wir ein, daß Großbritannien eines der Reiche dieser Welt ist. Legen wir die Fehler unserer Selbstsucht nicht Gott und dem Königreiche Christi zur Last. Befürworten wir das Bestmögliche in weltlichem Regiment und fahren wir fort, zu beten und zu hoffen und zu warten - auf das Königreich, das da kommen soll, damit Gottes Wille auf Erden geschieht wie im Himmel, entsprechend dem Gebete unseres teuren Erlösers und Herrn!"

Es wurde bereits gesagt. Was die Darstellung der geschichtlichen Fakten in diesem Vergleichsbeispiel anbelangt, so habe ich da keinen wesentlichen Dissens. Aber am Ausklang dieses Berichtes klang es wieder an. Gemäß Jehovas Zeugen könne die Devise nur lauten: Warten auf Gottes Königreich. Selbst wenn ringsum alles in Scherben fällt! Dieser Grundsatzthese vermag ich nicht beizupflichten. Mir drängt sich eher ein anderer Vergleich auf. Das die Brooklyner Führungscrew hier den Part Großbritanniens übernommen hat. Sie will auch, um jeden Preis, ihr Opium verbreitet wissen. Der Hauptkern ihrer Ideologie. Der Verzicht auf Politik zugunsten des imaginären "Königreiches Gottes" ist nicht mehr oder weniger als wie im übertragenem Sinne Opium!

Deutschland - enttäuschend

Der "Wachtturm" vom Juni 1911 notiert:

"In seinem Reisebericht erwähnt Bruder Russell auch Deutschland, daß die Geschwisterzahl und ihr Interesse zunehme, aber er sei enttäuscht in der Gesamtzahl der Interessierten, wenn die große Bevölkerung und die Anstrengungen und die angewandten Geldmittel in Betracht gezogen werden. Wir haben persönlich Bruder Russell darauf aufmerksam gemacht, daß ein großer Prozentsatz unserer Bevölkerung katholisch ist, ein weiterer großer Prozentsatz entschieden sozialistisch und zumeist bibelfeindlich, und ein sehr großer Teil der gebildeteren Klassen wissenschaftlich gottentfremdet. Dennoch wollen wir nicht sagen, daß wir schon 'alles getan haben, was wir konnten', um das Licht der Wahrheit unsern Mitmenschen leuchten zu lassen."

Weiter vermerkt der WT: "Die Kolportage, der Verkauf der Schriftstudien von Haus zu Haus, ist in Deutschland ein undankbares Geschäft, weil der Prozentsatz von völlig gleichgültigen Menschen und in manchen Gegenden von Katholiken - sehr groß ist."

Generalmajor W. P. Hall

Russell beabsichtigt im Jahre 1912 eine Weltreise zu unternehmen. Zu den zu seiner Begleitung eingeladenen gehört auch W. P. Hall. Anlässlich eines Bibelforscherkongresses im Jahre 1911 notiert der "Wachtturm" (1911 S. 181)

"General des Heeres W. P. Hall, hielt die Eröffnungsrede, die markig und zielbewußt war, wie es von unserem berühmten Kämpfer auf den Philippinen zu erwarten war. "

http://www.manfred-gebhard.de/HallUniform.jpg

Bild General Hall

 Dazu notierte die CV 148 ergänzend:

Daß zum engsten Mitarbeiter von C.T. Russell der aktive Brigade-General William P. Hall vom USA-Kriegsministerium in Washington gehörte. Er hatte sich seine Kriegsverdienste vor allem beim Niederwerfen des Widerstandes auf den seit 1898 von den USA eroberten Philippinen erworben. In sog. US-Strafexpeditionen wurden dabei Zehntausende Filipinos niedergemetzelt. ...

Es war im Jahre 1907, Eine Ansprache von C.T. Russell an Kolporteure. Russell:

"Vor nicht langer Zeit sagte ein Bruder in Washington zu mir: Nun, Bruder Russell, einige von uns denken, auf folgende Weise ist ein kleiner Fehler gemacht worden: Du weißt, General Hall von der Armee der Vereinigten Staaten, er ist jetzt an der Wahrheit interessiert?

Ja.

Gut, wir wählten General Hall dieses Jahr zum Leiter des Freiwilligenwerkes.

Ja.

Und was wir für falsch halten: ... alle Soldaten und Leutnants, wenn sie ihn treffen, sind vom Gesetz verpflichtet, ihn zu grüßen und General Hall als Leiter des Freiwilligenwerkes teilt die Gebiete zu, bestimmt, wer wohin geht, und sehr unweise, denken wir, wählt für sich den Teil der Stadt, in dem er wohnt...

Ich sagte: Nun, mein lieber Bruder, sage so etwas nicht. Wenn ich in General Halls Schuhen wäre, ob ich solche Courage hätte wie er, ich bin nicht sicher, General Hall hat mehr Courage gezeigt in dem, was du erzählst, als er je auf dem Schlachtfeld der Philippinen zeigte... Ihr seht, liebe Freunde, Gott gebraucht seine wahrhaftigen Mittel... nicht nur in General Hall und .einigen jener anderen".

Es war 1913 in Manila, Hauptstadt der Philippinen. C.T. Russell hatte einen Vortrag gehalten über "Wo sind die Toten". Zu Ende kündigte er eine Sonderzusammenkunft für den Abend an: "General W. P. Hall :vom Kriegsministerium Washington, spricht über das Thema: Bibel und Christentum vom Standpunkt eines Soldaten". Die Einführung von Hall nahm der US-Offizier in Manila, Colonel H.O.S. Heistand, vor.

Er sagte: "Ich habe das Vergnügen, einen Soldaten einzuführen, den ich viele Jahre meines Lebens als engen Gefährten kenne, einen christlichen Mann. Ich brauche kaum seinen Namen zu erwähnen, er ist gut bekannt. Ich habe das große Vergnügen, Brigade-General William P. Hall von der Armee der Vereinigten Staaten einzuführen".

Und Hall vom Kriegsministerium in Washington, Pentagon, begann:

"Kameraden Soldaten, Kameraden Christen, es bereitet mir großes Vergnügen, heute abend bei euch zu sein und einige Ausführungen zu machen über die Bibel vom Standpunkt eines Soldaten, denn seitdem ich die Philippinen verließ, hat Gott mich mit einer Sicht der Bibel gesegnet, die ich vorher nicht hatte und ich nun präsentieren möchte..."

Zum Schluß jener WTG-Ostasienreise 1912/ 1913 ließ C.T. Russell seinen Bruder General vom Kriegsministerium wie folgt zu Wort kommen:

"Bruder Hall: Ich habe gedacht, und bevor wir diese Reise antraten im letzten Dezember, und von jener Zeit bis jetzt bin ich mehr und mehr überzeugt und bin dessen absolut gewiß, daß diese Reise und die Aufgaben und Pflichten, die damit auf uns gekommen waren und die jetzt auf uns fallen, sind gewiß auf der Linie der Führung des Herrn. Ich bin durchaus befriedigt und kann die Hand des Herrn sehen, verbunden mit unserer Reise".

Ergänzend, siehe Parsimony.23634

Kommentarserie1911

Die "Konkurrenmz"-Zeitschrift Die Aussicht Jahrgang 1911

 

Der nächste Jahrgang   1912

Zur Indexseite.