Es ist wohl wahr. Über 100 Jahre werden nur wenige. Ist der
Betreffende dann noch rüstig genug, um etwa eine 1600 km lange Autofahrt von
seiner Heimat, zurück zur Wewelsburg zu absolvieren. Jenem Ort, der auch für
ihn unangenehme Erinnerungen beinhaltet, dann ist solch eine Leistung - allein
vom Physischen her - aller Achtung wert. Von den Flugzeug-Reisen in die USA
und noch vieles mehr in der Richtung, erst gar nicht zu reden.
Also zur physischen Kondition des Herrn Engleitner, kann man wohl ohne
Einschränkung sagen: Alle Achtung!
Als der Herr Rammerstorfer im Jahre 1999 die erste Auflage seines
Engleitner-Buches herausbrachte. Im Timing gut abgestimmt, mit der zu jener
Zeit auch auf Hochtouren laufenden WTG-Standhaft-Kampagne, da war mir dieses
Buch keinen separaten Bericht wert. Warum? Das ist in meinen seinerzeitigen
Zeilen dazu, in der Sammel-Rezension
Literaturbericht
nachlesbar.
Es ist weiter wahr. Es gibt je mittlerweile etliche „Stars" aus dem Umfeld der
„Standhaft"-Kampagne. Horst und Hermine Schmidt. Simone und Max Liebster, und
noch etliche, keineswegs an zwei Händen abzählbare mehr. Aber der
ausgesprochene „Shoutingstar" dabei, ist offenkundig Herr Leopold Engleitner.
Es fragt sich allerdings, wenn nicht sein ausgesprochen cleverer Mentor, seine
Wege gekreuzt hätte, ob es dann auch diese Ausmaße dabei gegeben hätte.
Allerdings, das muss man ja erneut einräumen. Die Schmidts, die Liebsters und
wie sie denn alle heißen, haben ihre 100 noch nicht vollendet. Insofern sitzt
da Herr Engleitner in der Tat auf einem unangefochtenem Thron.
Diesem „Thron" mag man ja einiges nachsehen. Muss man wohl auch nachsehen.
Wenn sich selbst Regierungshäupter bei Herrn Engleitner der Reihe nach,
gegenseitig „die Türklinke in die Hand" drücken. Dann ist man, zumindest
anfänglich, sprachlos.
Unter den Honoratioren, für die das zutrifft, befindet sich übrigens auch die
derzeitige deutsche Bundeskanzlerin, wie man einem voller Stolz, auf dem
Buchumschlag offerierten Bild einer neuen „Engleitner-Auflage" des Herrn
Rammerstorfer entnehmen kann.
Als besagte Frau Dr. Merkel da so posierte, war sie zwar noch nicht
Bundeskanzlerin, was im Buchinneren auch vermerkt wird. Aber clever wie Herr
Rammerstorfer ohne Frage ist, hält er sich mit solchen Details auf dem
Buchumschlag nicht weiter auf.
Also auch auf die Gefahr von all den Honoratioren (die auch kaum noch zählbar
sind) Prügel zu beziehen, kann ich mir doch ein Urteil nicht ganz verkneifen.
Da wird Personenkult hoch zehn betrieben!
Sicherlich, weitere Hundert Jahre werden Herrn Engleitner wohl nicht mehr
vergönnt sein. Das weis und ahnt wohl auch Herr Rammerstorfer. Deshalb lässt
er denn auch keine Zeit verstreichen, das Eisen zu schmieden, solange es noch
heiß ist.
Es tut mir leid. Zur 1999er ersten Auflage fand ich schon kritische Worte.
Auch wenn es all den Honoratioren nicht schmeckt. Auch diesmal wird es wieder
kritische Worte von mir geben.
Herr Rammerstorfer hat nun in der derzeitigen Auflage des Engleitner-Buches,
dessen Inhalt, formal, nahezu verdoppelt. So findet man jetzt auch einige
Details, die in der ersten Auflage, so noch nicht ausgeführt wurden. Unter
anderem dieses Detail. Für zwei Tage befand sich Herr Engleitner auch
innerhalb des „Strumpfstopferkommandos". Die kurze Dauer dort wird mit den
Worten erklärt:
„Wegen seiner schmerzenden Hände meldete sich Engleitner zum
Strumpfstopfkommando" und bat den zuständigen Kapo darum, dort arbeiten zu
dürfen. Diese Bitte wurde ihm gewährt und er war froh, nicht mehr draußen in
der Kälte schuften zu müssen. Obwohl sich Engleitner sehr bemühte, war er zu
langsam und konnte den Kapo mit seiner Leistung nicht zufrieden stellen.
Während die anderen in dieser Tätigkeit schon sehr geübten Häftlinge,
vorwiegend russische Gefangene, zehn Strümpfe stopften, schaffte er mit seinen
zerschundenen Händen gerade einmal einen Strumpf. Das war zuwenig. Darum
musste Engleitner nach zwei Tagen wieder in der Kälte beim Zaunbau arbeiten."
Das ist dann wohl auf das KZ Wewelsburg (Niederhagen) bezüglich.
Offenbar gab es aber solche „Strumpfstopfkommandos" auch im KZ Buchenwald.
Das ist besonders deshalb auch interessant, weil es genau zu diesem Aspekt,
bereits einen einschlägigen Zeitzeugenbericht gibt. Den des Schriftstellers
Ernst Wiechert. Er sei im nachfolgenden als „Salz für die süße Suppe der
Honoratioren", die sich da wohl in erster Linie selbst feiern, wobei Herr
Engleitner für sie das willkommene Alibi ist, zitiert.
Schon Konrad Algermissen zitierte mit als einer der ersten nach 1945, die
Wiechert'schen Zeugen Jehovas bezüglichen Aussagen, wenn er zusammenfasst:
„Mit Recht schreibt Ernst Wiechert im Hinblick auf die Zeugen Jehovas", mit
denen er im Dachauer Konzentrationslager so viel schweres Leid unschuldig
ertrug, die Worte: Der Märtyrer, der für den Glauben stirbt, daß man nur Gras
essen dürfe, begibt sich des Heiligenscheines um seine Stirne" (E. Wiechert,
Totenwald, S. 118 f).
Es soll jetzt hier nicht darüber reflektiert werden. Wiechert nahm auf
Buchenwald, nicht auf Dachau bezug. Solche marginalen Fehler muss man auch
einer „Koryphäe" wie dem katholischen Konfessionskundler Algermissen,
verzeihend nachsehen.
Im Detail schrieb Wiechert schrieb damals über seine Eindrücke, nachdem er
selbst im Strumpfstoferkommando gelandet war:
"Dumpfe, holzgeschnittene Gesichter hinter Brillengläsern, mit asketischen
Lippen und der leisen, beschwörenden Stimme von Eiferern. Gesichter, die aus
derselben Enge, derselben Not und derselben Verheißung geprägt schienen und
von denen Johannes (das ist Wiechert) sich gut denken konnte, dass sie mit
unbewegtem Antlitz zusehen würden, wie alle Ketzer auf einem langsamen Feuer
in die ewige Verdammnis hinüberbrieten."
Bezogen auf die Ideologiegrundlage äußert er:
"Was nun allerdings bei näherem zusehen auf dem Grunde dieser
Weltanschauung lag, war so beschaffen, dass es sich jeder ernsthaften
Diskussion völlig entzog. Wer bis auf das Jahr genau weiß, wann diese Welt
erschaffen wurde, und fast ebenso genau auch das Jahr, wann sie zugrunde gehen
wird mit dem ist schwer zu disputieren und noch schwerer zu rechten, weil ein
anderes Zeitalter, ja ein anderer Stern unter seinen Füßen zu legen scheint."
Sein abschließendes Urteil fasste er in die sinngemäßen Worte:
Das man sie achten und zugleich doch auch bedauern kann. Das ihr Verhalten auf
dem Boden
eines Dogmas beruht, dass mit dem theoretisch "denkbaren Dogma" vergleichbar
sei, nur "Gras als Nahrung" zu essen.
"Man konnte sie alle achten, aber man musste sie auch alle bedauern. Der
Märtyrer, der für den Glauben stirbt, dass man nur Gras essen dürfe (im
übertragenem Sinne), begibt sich des Heiligenscheins um seine Stirn."
Wie bereits eingeräumt, kann man Engleitner mit seinen zwei Tagen in
einem solchen Kommando, im engeren Sinne nicht vereinnahmen. Dennoch erlaube
ich mir die These. Wäre es Herrn Engleitner vergönnt gewesen längere Zeit dort
tätig zu sein, würden die von Wiechert genannten Kriterien, auch auf ihn
zutreffen.
Leopold Engleitner, geboren 1905, berichtet in einem Gespräch vom März 2005
mit der Chefredakteurin der Zeitschrift „Welt der Frau", Christine Haiden, für
ein Buchprojekt der letzteren, in der Substanz unter anderem auch folgendes.
Einfachen Verhältnissen entstammend: die Mutter streng katholisch, der Vater
selbiges nicht. Daraus ergaben sich schon einige familiäre Spannungen.
Die Schulerziehung war streng militaristisch ausgerichtet. Schon als junger
Mensch hatte er gesundheitliche Probleme, welche unter anderem für ihn die
Befreiung vom Sportunterricht in der Schule zur Folge hatten. Die „andere
Seite" der Medaille. Er geriet damals schon in eine gewisse
Außenseiterposition.
Etwa um 1931, derart „vorgeprägt" schloß er sich den Bibelforschern/Zeugen
Jehovas an. Ein einfaches Weltbild suchend, fand er bei selbigen offenbar das
Gesuchte. Seiner Vorprägung nach, den - mit Verlaub gesagt - sozialen
Unterklassen zugehörig, vermochte er auch bis dahin sich nicht aus diesen
Fesseln zu befreien. Das „religiöse Opium" der Zeugen Jehovas erschien ihm
auch bezogen auf die eigene Situation, als „hilfreich". Je länger, je mehr
setzte der bei Rauschgiftsüchtigen (gleich welcher Coleur) einsetzende
Suchtmechanismus ein. Im katholisch geprägten Österreich, verstärkte sich
somit seine faktische Außenseiterposition, die nach der faschistischen
Annexion, dann für ihn existenzbedrohende Ausmaße annahm. Schon relativ früh
gehörte er somit zu den in den Hitler'schen KZ Eingewiesenen.
Es wurde schon erwähnt. Bereits als Kind gesundheitliche Probleme habend,
hatten selbige nun im Umkehrschluß zur Folge, dass sogar das Naziregime, ab
etwa 1943, auf eine weitere Inhaftierung des Engleitner verzichtete, gekoppelt
mit einer Bedingung. Er hätte keine freie Berufswahl. Er müsse und dürfe nur
in der Landwirtschaft tätig sein. 1945, das „letzte Aufgebot"
zusammenkratzend, wollte das Naziregime allerdings auch ihn noch für den
Militärdienst rekrutieren. In dieser Zwangslage sich befindend, entschloss er
sich zu einer abenteuerlichen Flucht. Hilfe hätte er dabei sicherlich
gebrauchen können. Sie wurde ihm aber - faktisch - sowohl von den eigenen
Verwandten, als auch den damaligen Arbeitgebern, weitgehend verweigert. Er
musste unter diesen Rahmenbedingungen, in der Tat einige traumatische
Erfahrungen sammeln.
Zum Glück für ihn, waren dann doch die Tage des Naziregimes gezählt. Aber auch
in der nachfolgenden Zeit galt. Die Chance sich vom Odium den sozialen
Unterklassen zugehörig zu sein, sich zu befreien. Diese Chance hatte er auch
weiterhin nicht. Nach 1945 konnte er erst heiraten. Zitat:
„Nach dem Krieg hat Leopold Engleitner auch geheiratet. Eine geschiedene
Frau mit zwei Kindern. Es war vielleicht nicht die große Liebe, aber eine
Beziehung mit Respekt und Vertrauen. Viele Jahre hat
Leopold Engleitner seine schwer kranke Frau dann auch gepflegt. Heute ist er
selbst auf Unterstützung angewiesen."
Zudem interessierte kaum jemand, was er denn so auf seiner Lebensreise an
Widrigkeiten bisher erfahren hatte.
Im Sog der Zeugen Jehovas war er weiterhin. Selbiges bewirkte, dass er, der
sich nur noch mit Krücken fortbewegen konnte, etwa im Jahre 1987, in einem
Kurpark auf einer Bank sitzend, die Zeugen Jehovas-Zeitschriften anbot. Viele
gingen an dem Mann mit den Krücken achtlos vorbei. Einer allerdings nicht, der
Herr Rammerstorfer. Der interessierte sich in der Tat näher für das Schicksal
des Engleitners. Und erst ab diesem Moment, fand noch der - späte - soziale
Aufstieg des Engleitner statt. Seine Enkelkinder und eine Glaubensschwester
würden sich um Engleitner kümmern, nebst Rammerstorfer, weis Frau Haiden zu
berichten. Und so sind denn - durchaus beachtlich - Herrn Engleitner mehr als
102 Lebensjahre (Zeitpunkt des Interviews) beschieden.
Wasser auf die Mühlen der einschlägigen bei den Zeugen Jehovas stark
vertretenen Klientel, dürften ohne Frage auch solche in der Neuauflage lesbare
Passagen sein wie die:
„Als Joachim Escher im Mai 2003 erfuhr, dass Leopold Engleitner schwer
erkrankt war, kämpfte er mit den Tränen und drängte darauf, Engleitner
umgehend ins Krankenhaus einliefern zu lassen. Das war für Engleitner
lebensrettend. Darüber hinaus sandte Joachim Escher, der als Heilpraktiker auf
jahrzehntelange Erfahrung zurückgreifen konnte, Leopold Engleitner regelmäßig
unentgeltlich spezielle Arzneimittel zur Förderung des Wohlbefindens im
Alter."
Man vergleiche im Kontext, dass auch der den einschlägigen Zeitzeugen
zuzurechnende Max Hollweg, in Personalunion zugleich ebenfalls der
Heilpraktikerszene zugehört (gelernter Maurer).
Diesen Joachim Escher betreffend, keineswegs zum Hauptthema des Buches
gehörend, hat Rammerstorfer in der jetzigen Neuauflage einige Details
eingefügt.
Danach habe Herr Escher im Jahre 1946, Ruth Töllner geheiratet. Tochter des
Willi Töllner, welcher unter den ZJ-Buchenwald-Häftlingen, durchaus als
charismatisch eingeschätzt werden kann. Ein Urteil das ich bezogen auf
Engleitner als Person, nun überhaupt nicht gelten lassen würde.
Nach einer „ordentlichen Beamtenkarriere" nach 1945, habe dann Herr Escher
nach seiner Pensionierung, im September 1977 seine Tätigkeit als Heilpraktiker
begonnen. Ausgeübt bis zu seinem Tode am 28. 9. 2004. Also selbst „seinen
Heilpraktiker" (der zudem Altersmäßig jünger war als Engleitner), hat
letzterer überlebt.
Wie will ein „flotter Spruch" wissen. „Arzt - heile dich doch erst mal
selbst". Demzufolge scheint wohl die Heilpraktikerszene, trotz aller
Selbstinszenierung, wohl doch noch nicht der „Weisheit letzen Schluss"
entdeckt zu haben.
Siehe auch:
Parsimony.8152
Parsimony.13287
Parsimony.13291
Parsimony.23169
Parsimony.23174
Parsimony.23187