Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Radioduell

Eine Siegesfanfare meint der „Wachtturm" in seiner Ausgabe vom 15. 2. 1957 anstimmen zu können:

„Es kommt nicht oft vor, daß das Radio benutzt werden kann aber eines Tages empfing das (Berner) Zweigbüro einen Brief vom Leiter einer Radiostation, worin Jehovas Zeugen eingeladen wurden, an einer Diskussion mit Vertretern der Reformierten Landeskirche teilzunehmen. Berichte, die aus allen Gegenden des Landes eingegangen sind, besagen, daß Tausende diese Diskussion mit anhörten, und als Ergebnis schrieben viele dem Zweigbüro und teilten mit, Jehovas Zeugen hätten in der Diskussion gewonnen. In einer Zeitung stand über dieses Radioprogramm folgendes zu lesen:

'Mit Bedauern muß gesagt werden, hätte man sich für die eine oder andere Gesprächspassage entscheiden müssen, man sich eher zugunsten der Vertreter der Sekte (Jehovas Zeugen) entschieden haben würde."

Offenbar gibt es dazu noch einen Parallelbericht. Josy Doyon, zur fraglichen Zeit noch aktive Zeugin Jehovas, berichtet in ihrem Buch „Hirten ohne Erbarmen" auch darüber. Der diesbezügliche Doyon-Bericht sei nachstehend auch noch zitiert:

Bald, nachdem wir aus Nürnberg zurückgekehrt waren, verkündete man in der Versammlung, es finde demnächst am Radio eine Diskussion zwischen Zeugen Jehovas und einigen Vertretern der Landeskirche statt. Wir sollten nicht versäumen, dies mitanzuhören.

Auch Mutter hatte davon in der Radiozeitung gelesen und sagte ein bisschen anzüglich zu mir: «Es ist ein sehr bekannter Professor und Theologe, der an dieser Diskussion teilnehmen wird.»

Mir machte das herzlich wenig Eindruck, ich hatte mich inzwischen daran gewöhnt, alle Sorten von Geistlichen zu den Heuchlern zu zählen. Trotzdem war ich gespannt auf das Gespräch.

An jenem Nachmittag ging Mutter vorsichtshalber fort, und ich sass allein vor dem Radio.

Die Sache liess sich von Anfang an für den bekannten Theologen schlecht an, das merkte ich. Er hatte nämlich einen Klang in der Stimme, der ganz offen andeutete, er könne als Professor die Sekte der Zeugen Jehovas nicht ernst nehmen und mit ihren lächerlichen Lehren werde er im Handumdrehen fertig werden. Aber er sollte sich täuschen. Das Bethel hatte an diese Diskussion zwei durchtrainierte Brüder geschickt, welche die Bibel so gut wie auswendig kannten. Zwei Männer, die es seit vielen Jahren gewohnt waren, bei jeder Argumentation die Oberhand zu behalten. Für sie gab es keine überraschenden Angriffe, wären sie auch noch so spitzfindig und hinterhältig gewesen.

Und der gute Professor hatte sich offensichtlich auch gar nicht auf spitzfindige Argumente gefasst gemacht. Er packte den Stier sozusagen gleich beim Schweif, statt bei den Hörnern, indem er den Zeugen in sarkastischem Tonfall vorwarf, sie berechneten Zeiten und Jahre ungefähr so, wie ein Metzger eine Wurst durch die Maschine lasse. Und das sei bestimmt nicht biblisch, denn Jesus habe ja gesagt, Zeit und Stunde wisse niemand ausserdem Vater im Himmel, was die Endzeit anbelange.

Einer der Brüder erwiderte ihm daraufhin in seelenruhigem Ton, dass es nichts Neues sei, wenn man gewisse biblische Zeiten errechnen wolle, das hätten schon die Propheten getan. Und er schlug sogleich den ersten Petrusbrief auf und las die Verse 10 und 11 vor: über welche Errettung Propheten nachsuchten und nachforschten, die von der Gnade gegen euch geweissagt haben, forschend, auf welche oder welcherlei Zeit der Geist Christi, der in ihnen war, hindeutete, als er von den Leiden, die auf Christum kommen sollten, und von den Herrlichkeiten danach zuvor zeugte.»

So, da hatte der Professor seine Wurstmaschine! Er schien tatsächlich durch die prompte Bibelstelle unsicher geworden zu sein. Er ging sofort zu einem neuen Angriff über. Aber was immer er auch vorbrachte, prompt bekam er eine treffende Bibelstelle an den Kopf, die ihm wohl kaum den gewünschten Eindruck machte, umsomehr aber den Radiohörern, die ob solcher Bibelkenntnis der Zeugen nur staunen mussten. Er war auch offensichtlich gar nicht drauf gefasst gewesen, mit den Zeugen anhand von Bibelstellen zu kämpfen. Er hatte sich einfach einige ihrer vermeintlichen Irrlehren herausgepickt und diese theologisch zu widerlegen versucht. Und das schlug entschieden fehl.

Während dieser Radiodiskussion sprang ich vor Aufregung auf und nieder und freute mich wie ein Kind an dem offensichtlichen Sieg der Brüder. Nach so vielen bedrückenden Stunden wurde mir wieder einmal sonnenklar, dass es die Wahrheit sein müsse, die ich gefunden hatte, weil nicht einmal ein Professor der Theologie imstande sei, sie zu widerlegen.

Bald darauf traf ich an einer Kreisversammlung den einen der Zeugen, die an der Diskussion teilgenommen hatten, persönlich und sagte zu ihm:

«Das war einfach grossartig, wie ihr am Radio diesen Theologen geschlagen habt. Ich habe mich riesig darüber gefreut, denn der Mann hat so geredet, als seien Jehovas Zeugen eine nicht ernst zu nehmende Sekte.»

Der Bruder — er ist inzwischen gestorben — lächelte und sagte:

«Ja, die Diskussion war eine grosse Niederlage für die kirchlichen Kreise. Es gingen nachher bei uns viele Schreiben von Leuten ein, die uns offen sagten, sie hätten bis jetzt viel von der Landeskirche gehalten, aber nun schämten sie sich ob der offensichtlich mangelnden Bibelkenntnis eines Theologieprofessors. Gerade durch diese Diskussion haben sich viele Menschen für die Wahrheit zu interessieren begonnen.»

Ich war wieder einmal überwältigt und begann mit neuem Elan und Eifer die Lehren der Wachtturmgesellschaft zu vertreten. Es kam mir gar nicht in den Sinn, dass jener Theologe wohl kaum eine derartige Niederlage erlitten hätte, wenn er die Gesellschaft und ihre Taktiken durch und durch gekannt hätte. Zu dem Zweck jedoch hätte er schon selbst viele Jahre lang ein Zeuge sein müssen, er hätte selbst ein höheres Dienstamt in der Gesellschaft bekleiden müssen, dann erst wäre er imstande gewesen, wenigstens einen provisorischen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Aber wer hätte schon Lust, einen Teil seines Lebens als bewusster Gegner unter der totalitären Herrschaft einer frommen Gesellschaft zu verbringen?"

WBBR

Der Rubrik „Niederlagen in Siege" umgefälscht ist letztendlich auch die Mitteilung über den Verkauf der WTG-Radiostation WBBR zuzuordnen, worüber der „Wachtturm" vom 15. 7. 1957 berichtet. Im geschönten WTG-Vokabular liest man da:

„Der Rundfunk hat beim Predigen des Reiches Gottes in den vergangenen dreißig Jahren eine große Rolle gespielt. Am 24. Februar 1924 begann die nichtkommerzielle Radiostation WBBR, die der Watch Tower Society gehörte, in der Stadt New York ihre Sendungen auszustrahlen.

Die große Geldsumme, die nötig war, um die Radiostation zu betreiben, kann nun sehr gut für das Missionar- und Sonderpionierwerk in anderen Ländern und auch in Amerika verwendet werden. Daher hat die Gesellschaft beschlossen, die Radiostation WBBR zu verkaufen, und sie hat dies am 15. April 1957 bereits getan. Die Station WBBR hat ihren Zweck erfüllt und den Interessen des Reiches Gottes gut gedient. …"

„Dezent" unterschlägt der WT aber jene Euphorie, die gerade bei den Bibelforschern (Zeugen Jehovas) zeitgenössisch mit dem Thema Radio verbunden wurde.

Wieder mal platzt eine Seifenblase!

Zu weiterem siehe auch:

Radio

19402Kampf

Wahrheit

1957er Rückblick zur Zeugen Jehovas Geschichte

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