Pfarrer Bernoulli

In den vierziger Jahren machte in der Schweiz ein Pfarrer mit diversen Veröffentlichungen über die Zeugen Jehovas von sich reden. Man wird ihn im Prinzip als „Multiplikator" einschätzen können. Mit anderen Worten: Er brachte nichts neues, eigenständiges zum Vortrag. Seine „Stärke" war, dass bekannte, noch einmal gezielt auf den Punkt zu bringen. Offensichtlich ging er damit den Zeugen Jehovas „langsam aber sicher" auf die Nerven. Symptom dafür ist auch ihre diesbezügliche Berichterstattung dazu. Im „Trost" (Nr. 518; 15. 4. 1944) konnte man beispielsweise dazu lesen:

„Ein Pfarrer spricht über Jehovas Zeugen.

Am 19. Januar 1944 konnte man folgendes Inserat im Tagblatt der Stadt Zürich lesen:

Glockenhaus, Sihlstrasse 33. Heute abend, 20 Uhr.

Vortrag von Herrn Pfr. W. Bernoulli. Thema: Die Zeugen Jehovas.

Diesen Vortrag haben auch wir mit angehört. Das Bild, dass Pfarrer Bernoulli darin über Jehovas Zeugen entwarf, entstellte in vielen Punkten die Tatsachen derart, dass sich die Vereinigung Jehovas Zeugen veranlasst sah, auf diese unsachlichen und teilweise unwahren Ausführungen des Herrn Pfarrer zu antworten. Dies geschah dann in einem Gegenvortrag im Versammlungslokal der Zeugen Jehovas in Zürich. Zu diesem Vortrag wurden sowohl die Mitglieder des christlichen Vereins junger Männer als auch Herr Pfarrer Bernoulli selbst eingeladen.

'(An) Herrn Pfarrer Bernoulli, Greifensee (22. Januar 1944).

Herr Pfarrer!

Die Wiedergabe der stenographischen Aufnahme Ihres Vortrages über 'Die Zeugen Jehovas', den Sie am Mittwoch den 19. Januar im Glockenhaus, im Kreise des christlichen Vereins junger Männer, zu dem im Tagesanzeiger der Stadt Zürich öffentlich eingeladen wurde, gehalten haben, liegt uns vor.

Leider müssen wir feststellen, dass Sie nicht ein sachliches, sondern ein schiefes Bild über die Zeugen Jehovas entworfen und dass Sie aus bekannten trüben Quellen geschöpft haben. Sie benutzen nationalsozialistisches Propagandamaterial und teilweise Material der katholischen Aktion. Eine biblische Widerlegung, wie man sie von einem Geistlichen erwarten darf, waren Sie nicht in der Lage zu geben. Wie es möglich sein konnte, dass Sie durch Ihren Freund, einem Staatsanwalt in St. Gallen, in den Besitz von Gerichtsakten gelangten, ist noch eine andere Sache, die wir durch unseren Anwalt untersuchen lassen möchten.'

'Schweizerisches Reformiertes Diakonenhaus - Greifensee (Kt. Zürich)

Vereinigung Jehovas Zeugen, Allmendstraße 39, Bern

Greifensee, am 25. Januar 1944.

Sehr geehrte Herren!

Ihre Zuschrift vom 22. Januar habe ich erhalten und teile Ihnen gerne zur Erwiderung Folgendes mit:

1. Von katholischer Seite ist mir in der Tat einiges Material zur Verfügung gestellt worden, jedoch kenne ich kein nationalsozialistisches Propagandamaterial gegen Jehovas Zeugen, noch habe ich welches benützt. Die Broschüre von Hans Jonak von Freyenwald, erschien 1936, ist der offiziösen katholischen Literatur zuzuzählen und hat mir Dienste geleistet durch ihre umfassenden Literaturangaben und durch den Abdruck wörtlicher Zitate aus Schriften von Russell und Rutherford.

2. Von befreundeter Seite aus, die über Verbindungen mit der St. Galler Staatsanwaltschaft verfügt, ist mir die Einsichtnahme in die Akten des Prozesses Dr. Fehrmann ermöglicht worden. Ich habe keinen Grund diese Tatsache zu verheimlichen, da dadurch mein Bestreben, die Wahrheit festzustellen, dargetan wird.

3. Für Ihre höfliche Einladung zu Ihrem Gegenvortrag danke ich Ihnen. Da ich zur selben Zeit durch eine dienstliche Verpflichtung in Anspruch genommen bin, kommt für mich ein Besuch Ihrer Veranstaltung ohnehin nicht in Frage.

Hochachtungsvoll: W. Bernoulli.'"

Das „Trost" kommentierte diesen Vorgang mit den Worten:

„Pfarrer Bernoulli bestreitet es, nationalsozialistisches Propagandamaterial gegen Jehovas Zeugen benutzt zu haben. Es steht aber fest, dass Pfarrer Bernoulli sich bei Heinrich Metzler in St. Gallen über Jehovas Zeugen erkundigte und sich von ihm Unterlagen geben ließ. Ferner, dass er neben einigen andern Schriften, größtenteils Hans Jonaks Hetzbroschüre wider Jehovas Zeugen zitierte."

Im folgenden wird dann nochmals zusammenfassend referiert, dass das Trio, Toedtli, Metzler, Jonak, sehr wohl einen faschistischen Hintergrund, angereichert mit einer katholischen Komponente, hat. Sicher wird man dieser Feststellung beipflichten können. Dennoch machen es sich die Zeugen Jehovas zu einfach, wenn sie meinen mit solchen Hinweisen, ihre Kontrahenten außer Gefecht setzen zu können. Bernoulli war ein „Kind seiner Zeit". Wie auch andere - auch in der Gegenwart - nutzte er die ihm zur Verfügung stehenden Quellen. Er konnte zwar ahnen, dass diese Quellen dereinst mal diskreditiert sein würden. Verbindlich wissen indes konnte er es Anfang 1944 noch nicht. Noch war der Zweite Weltkrieg nicht zu Ende. Noch war die Niederlage des Hitlerdeutschland nicht ein geschichtlicher Fakt. Bernoulli hat in seiner Argumentation sehr wohl vom Schweizer Standpunkt aus argumentiert. Diesen als identisch mit dem des Nazideutschland zu erklären, ist eine zu grobe Vereinfachung.

Dies lässt sich z. B. an seinen Ausführungen in der Zeitschrift „Kirchenbote für das reformierte Volk des Aargaus" belegen. Dort schrieb er unter anderem (März 1944 S. 21):

„Die II. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Bern hat am 23. Mai 1937 M. C. Harbeck, damals Geschäftsführer der Zweigniederlassung Bern der 'Wachtturm-, Bibel- und Traktatgesellschaft, und Franz Zürcher, deren Sekretär, wegen Herabwürdigung der Religion verurteilt und in der Urteilsbegründung den Zeugen Jehovas unflätige Art, die Sprache eines Landsknechtes, Überschreitung der Grenzen sachlicher Kritik und abscheuliche Besudelung und Verspottung der Religion der christlichen Kirchen vorgeworfen.

Wir müssen es als Hetze bezeichnen, wenn Rutherford in der Broschüre 'Freiheit für die Völker' (S. 24) schreibt: 'Die Könige und Präsidenten der Nationen sind nicht die wirklichen Herrscher. Sie sind gewöhnliche Menschen, die ihre Plätze ausfüllen und lediglich das Symbol der Herrschermacht darstellen. Die herrschende Macht hinter dem Sitze der Autorität ist Satan, der Teufel.' Dasselbe 'Mundstück Gottes', wie Rutherford von seinen Verehrern genannt wird, wirft in 'Licht' (Band I S. 332) allen Herrschern der Erde vor, dass sie den Teufel anbeten.

Der 1938 im Europa-Verlag unter dem Titel 'Kreuzzug gegen das Christentum' erschienene Bericht über die furchtbaren Leiden der Zeugen Jehovas im Dritten Reich erbringt einem wirklich aufmerksamen Leser den Beweis, dass im Grunde jede politische Mitarbeit gegenüber jedem Staat verweigert wird. 'Schon von jeher haben Jehovas Zeugen Wahlenthaltung geübt.' (S. 126, ebenso 91, 117 und 129). In der Schrift 'Neutralität', abgedruckt im 'Wachtturm' vom 1. Dezember 1939 findet sich folgender Satz:

'Nichts würde also einen wahren Christen rechtfertigen, wenn er in einem Angriffskrieg oder auch nur in einem Verteidigungskrieg einer weltlichen Nation gegen eine andere weltliche Nation im Gehorsam gegen die politischen und religiösen Herrscher zu den Waffen griffe.'

Durch schweizerische Militärgerichte haben von Kriegsausbruch bis zum 23. November 1942 36 Zeugen Jehovas wegen Dienstverweigerung, Dienstverletzung, Befehlsverweigerung, Ungehorsam und Ausreißen verurteilt werden müssen. Das Militärkassasationsgericht verurteilte Franz Zürcher 1943 zu einem Jahr Gefängnis, bedingt zu vollziehen unter Auferlegung einer Probezeit von fünf Jahren. Diese Tatsachen sprechen deutlich genug und verdienen umso mehr festgenagelt zu werden, als sich verantwortliche Vertreter der Sekte im Bedarfsfall auf ihre Legalität und ihre ausschließlich religiöse Zielsetzung zu berufen pflegen.

Mit ernsthafter Bibelforschung und gar mit dem Glauben an Jesus Christus, den Sohn Gottes, lässt sich die hasserfüllte Irrlehre dieser Sekte nicht vereinen."

Grobe Vereinfachung
geschrieben von: Drahbeck
Im Zeitspiegel
Grobe Vereinfachung

In der Januar-Ausgabe 1943 der Zeitschrift „Evangelischer Kirchenbote für den Kanton Thurgau" (Schweiz) gab es von einem W(ilhelm) Bernoulli (mit der Angabe: Vorsteher des Schweiz. Ref. Diakonenhauses, Greifensee) einen Artikel über die Zeugen Jehovas.
Selbiger beklagt insbesondere den aus kirchlicher Sicht, Hetzcharakter der Zeugen Jehovas-Verkündigung.

In der November-Ausgabe 1943 desgleichen Blattes, gab es dann noch ein Nachwort zu der von dem Verfasser als mehrteilige Serie angelegten Sekten-Artikeln in besagtem Blatt. Darin liest man dann auch die Angabe, seitens der Zeugen Jehovas sei gegenüber der Redaktion, Verwahrung den sie betreffenden Artikel eingelegt worden.
Weniger die Dissenze auf theologischem Gebiet stechen bei diesem Disput hervor. Dafür um so mehr die Bernoullischen Wertungen zum Staatsbürgerlichen Verhalten der Zeugen Jehovas.
Einen empfindlichen Nerv traf Bernoulli wohl dergestalt auch, als er mit formulierte:

„Der 1938 im Europa-Verlag unter dem Titel 'Kreuzzug gegen das Christentum' erschienene Bericht über die furchtbaren Leiden der Zeugen Jehovas im Dritten Reich erbringt einem wirklich aufmerksamen Leser den Beweis, dass im Grunde jede politische Mitarbeit gegenüber jedem Staat verweigert wird. ...
In der Schrift 'Neutralität', abgedruckt im 'Wachtturm' vom 1. Dezember 1939 findet sich folgender Satz:

'Nichts würde also einen wahren Christen rechtfertigen, wenn er in einem Angriffskrieg oder auch nur in einem Verteidigungskrieg einer weltlichen Nation gegen eine andere weltliche Nation im Gehorsam gegen die politischen und religiösen Herrscher zu den Waffen griffe.'

Durch schweizerische Militärgerichte haben von Kriegsausbruch bis zum 23. November 1942 36 Zeugen Jehovas wegen Dienstverweigerung, Dienstverletzung, Befehlsverweigerung, Ungehorsam und Ausreißen verurteilt werden müssen. Das Militärkassasationsgericht verurteilte Franz Zürcher 1943 zu einem Jahr Gefängnis, bedingt zu vollziehen unter Auferlegung einer Probezeit von fünf Jahren. Diese Tatsachen sprechen deutlich genug und verdienen umso mehr festgenagelt zu werden, als sich verantwortliche Vertreter der Sekte im Bedarfsfall auf ihre Legalität und ihre ausschließlich religiöse Zielsetzung zu berufen pflegen."

In der genannten November-Ausgabe verteidigt sich nun Bernoulli gegenüber seinen Kritikern. Dabei formuliert er erneut:

„Wir bringen allerdings der Gerechtigkeit unserer Schweizerischen Militärgerichte mehr Vertrauen entgegen als der Wahrheitsliebe der Zeugen Jehovas. Sie erklären, der Vorwurf maßloser Hetze gegen Kirche und Staat erfolge zu Unrecht. Wir erinnern sie deshalb daran, daß die 2. Strafkammer des Berner Obergerichtes M.C. Harbeck, damals Geschäftsführer der Zweigniederlassung Bern der Wachtturm Bibel- und Traktatgesellschaft, und den bereits erwähnten Franz Zürcher wegen Herabwürdigung der Religion verurteilt hat.
Die Urteilsbegründung spricht von

"abscheulicher Besudelung und Verspottung der Religion der christlichen Kirchen"

Wir müssen es als Hetze bezeichnen, wenn Rutherford in der Broschüre „Freiheit für die Völker" (Seite 24) schreibt:

"Die Könige und Präsidenten der Nationen sind nicht die wirklichen Herrscher. Sie sind gewöhnliche Menschen, die ihre Plätze ausfüllen und lediglich das Symbol der Herrschermacht darstellen. Die herrschende Macht hinter dem Sitze der Autorität ist Satan, der Teufel".

Dasselbe "Mundstück Gottes", wie Rutherford von seinen Verehrern genannt wird, wirft in "Licht" (Band I, Seite 332) allen Herrschern der Erde vor,  „daß sie den Teufel anbeten."

Wenn in diesem Zitat auch von einem Prozeß „wegen Herabwürdigung der Religion" die Rede war, dann ist damit unfraglich jener von dem berüchtigten Boris Toedtli als nazistischer Handlanger, vor Schweizer Gerichten gegen die Zeugen Jehovas angestrengte Prozeß gemeint.
Herr Bernoulli macht es sich etwas zu einfach, noch in den 1940er Jahren, auf jenen Prozess aus den 1930er Jahren Bezug zu nehmen, ohne im gleichem Atemzug, den Kläger Toedtli etwas näher vorzustellen und zu charakterisieren. Eine objektive Charakterisierung des Toedtli indes, kann kaum zu dessen Gunsten ausfallen.
Es sei nun Herrn Bernoulli nicht unterstellt, dass auch er von faschistischen Verhältnissen träumte, wohl aber sei ihm eine Oberflächtlichkeit attestiert, welche schon mal die ertragbare Schmerzgrenze überschreitet.
Siehe zu Toedtli unter anderem:
19382Toedtli
Parsimony.24148
Parsimony.24911

Weiter gibt es dann im Bernoullischen Novembertext den Passus:

„Deshalb wundert es uns nicht, daß Herr Harbeck 1936 insgeheim nach Moskau gereist ist und nach dem Zeugnis eines ehemaligen Mitarbeiters von Seiten der bolschewistischen Machthaber moralische und finanzielle Hilfe zugesichert erhielt für seine Bewegung, die vorzüglich geeignet sei für die Arbeit in "religiös denkenden und fühlenden Landein"!

Auch bei dieser Aussage muß man Bernoulli Oberflächlichkeit attestieren, welche wiederum die zulässige Schmerzgrenze überschreitet.
Siehe dazu auch:
19402Also
Kommentarserie1937

Herr Bernoulli konnte doch wohl im Jahre 1944 schon erkennen, dass die Tage des Naziregimes gezählt sein werden. In dieser Konstellation weiter pro-faschistische Stimmen (wenn auch innerhalb der Schweiz selber) zu bemühen, zeugt nicht unbedingt von sonderlichem Fingerspitzengefühl.

Die Entschuldigung für Bernoulli hatte ich schon mal dergestalt zusammengefasst:

„Bernoulli war ein „Kind seiner Zeit". Wie auch andere - auch in der Gegenwart - nutzte er die ihm zur Verfügung stehenden Quellen. Er konnte zwar ahnen, dass diese Quellen dereinst mal diskreditiert sein würden. Verbindlich wissen indes konnte er es Anfang 1944 noch nicht. Noch war der Zweite Weltkrieg nicht zu Ende. Noch war die Niederlage des Hitlerdeutschland nicht ein geschichtlicher Fakt. Bernoulli hat in seiner Argumentation sehr wohl vom Schweizer Standpunkt aus argumentiert. Diesen als identisch mit dem des Nazideutschland zu erklären, ist eine zu grobe Vereinfachung."

Grobe Vereinfachung identisch mit Oberflächlichkeit.
Nicht nur kirchlichen Kreisen in Deutschland, sondern eben auch in der Schweiz attestierbar.

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1944er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte