Der vorangegangene Jahrgang   1928

Vor (mehr als) 50 Jahren

Was 1929 Wahrheit war

Obrigkeit

Es ist zur Genüge bekannt, dass im Jahre 1929 die Rutherford'sche Bibelforscherorganisation den allgemein christlichen Konsens in der Obrigkeitsfrage gemäß Römer Kapitel 13, kappte. Man weis auch, dass gerade jene dogmatische Zäsur es gewesen ist, die sie dann noch im Hitlerregime dazu befähigen sollte, im besonderem Masse die Kraft für widerständiges Verhalten zu entwickeln. Man weiß weiter, dass im aufbrechenden kalten Krieg der Nachkriegsjahre, jene modifizierte Obrigkeitslehre weiter wirksam war und sich auch in den Speerspitzenaktivitäten der Zeugen Jehovas im kalten Krieg "bewährte". Man weiß schließlich auch, dass bezeichnenderweise nach dem "DDR"-Mauerbau jene modifizierte Obrigkeitslehre wieder zu den Akten gelegt wurde, dieweil sie die theoretische Möglichkeit beinhaltete, vom passiven zum aktiven Widerstand umschlagen zu können. Dies aber war selbst den Brooklyner Gewaltigen nicht "geheuer". Weniger indes weiss man, wie seinerzeit im Jahre 1929 jener dogmatische Schwenk im "Wachtturm" begründet wurde. Im nachstehenden sei daher aus jenen Ausführungen des "Wachtturms" vom 1 + 15. Juli 1929 zitiert, der sich dem Thema der vermeintlichen "Höheren Gewalten" widmete:

"Die Anweisung im dreizehnten Kapitel des Römerbriefes ist lange falsch angewandt worden. Diese unpassende Anwendung ist tatsächlich die Grundlage für die falsche Lehre, dass Könige oder Herrscher ein ihnen durch Gottes Gnade gegebenes Recht hätten, die Menschen zu beherrschen und zu unterdrücken. Die hier von dem Apostel gegebene Anweisung war aber nicht für die Menschen im allgemeinen bestimmt, sondern zum Nutzen der Versammlung Gottes.

Viele Abhandlungen sind bereits über das dreizehnte Kapitel des Römerbriefes geschrieben worden um zu zeigen, dass die Nationen oder Regierungen dieser Welt 'diese (obrigkeitlichen Gewalten), welche (vorhanden) sind', darstellten und das diese Regierungen ihre Gewalt und Macht von Jehova Gott erhalten hatten. Man sieht sofort, dass dadurch die Grundlage für die "König-von-Gottes-Gnaden-Idee" gelegt wäre; denn man sucht zu beweisen, dass jede von einer Nation innegehabte und ausgeübte Gewalt von Gott verordnet sei und dass das Kind Gottes deshalb dieser Obrigkeit gehorchen müsse.

Die Verfassung der Vereinigten Staaten erklärt, dass ein Mensch seine Religion in irgendeiner ihm gefälligen Weise ausüben mag. Diesem grundlegenden Gesetz zuwider machen einige Staaten dieses Landes ein Gesetz, dass das Evangelium an gewissen Orten oder unter gewissen Bedingungen nicht gepredigt werden darf, und sie verhaften und bestrafen solche, die versuchen, es nach ihrer Weise zu predigen. In Russland bestimmt das Gesetz, dass man das Evangelium überhaupt nicht ohne Erlaubnis der Regierung predigen darf. Gott befiehlt seinen Söhnen durch Jesus Christus, sein Evangelium allen Nationen zu einem Zeugnis zu predigen (Matthäus 24:14). Soll nun das Kind Gottes den Gesetzen der Vereinigten Staaten und Russlands oder dem Gesetze Gottes gehorchen? Ist es möglich, dass Gott den verschiedenen Nationen das Recht und die Autorität gegeben hat, Gesetze zu machen und in Kraft zu setzen, die nicht mit seinem zum Ausdruck gebrachten Willen übereinstimmen, ja geringschätzig darüber hinweggehen?

Ist es nicht klar, dass die Worte des Apostels Paulus ganz entschieden verkehrt ausgelegt worden sind, wenn sie auf die Regierungen dieser Welt angewandt wurden? Wenn Paulus sagt: 'Diese (obrigkeitlichen Gewalten), welche sind, sind von Gott verordnet', bezieht er sich da irgendwie auf die Nationen der Erde? Ist es nicht vernünftiger anzunehmen, dass Gott seine Worte ausschließlich an jene obrigkeitlichen Gewalten richtet, die in der Organisation Gottes bestehen und funktionieren, und nicht an die Gewalten in der Organisation Satans?

In den Vereinigten Staaten von Amerika ist es für einen Bürger ungesetzlich, berauschende Getränke zu besitzen oder zu versenden. In Deutschland, England, Kanada und andren Ländern, die auch christliche Länder zu sein behaupten, ist es nicht ungesetzmäßig berauschende Getränke zu besitzen oder zu versenden. Hat Gott diesen verschiedenen Nationen verschiedenartige Gewalt oder Vollmacht gegeben? In den Vereinigten Staaten kann in Friedenszeiten kein Bürger gesetzlich einberufen und zum Militärdienst herangezogen werden. In Italien und andren sogenannten christlichen Ländern sind alle Bürger selbst in Friedenszeiten dem Militärdienst unterworfen; im Weigerungsfalle würden die Betreffenden schwer bestraft werden. Welche Nation macht nun ihre Militärgesetze in Übereinstimmung mit dem Gesetz Gottes, da wir doch sehen, dass ihre Gesetze verschieden sind?

In den Vereinigten Staaten gilt für Kriegszeiten ein Gesetz, dass Personen zwischen bestimmten Altersgrenzen zwingt, in den Militärdienst einzutreten. Ist nun das Gesetz Gottes zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Ländern verschieden? Die Schrift antwortet: Gott verändert sich nicht (Maleachi 3:6) Notwendigerweise muss Gott zu allen Zeiten mit sich übereinstimmen, und er ist es auch.

Die 'Emphatic-Diaglott'-Übersetzung gibt den Text in folgender Weise wieder: 'Jede Seele unterwerfe sich den höheren Autoritäten.'

Diese Schriftstellen sind lange Zeit von Christen auf die Regierungen und obrigkeitlichen Gewalten der Nationen bezogen worden. Es ist jedoch klar, dass Paulus, als er diese Worte schrieb, nicht solche Gedanken zum Ausdruck bringen wollte. Kann etwa geleugnet werden, dass auch die Herrscher der jetzigen Regierungen gerade für das 'gute Werk' ein Schrecken sind? Völlig Geweihte und von Gott Gesalbte ziehen durch das Land, indem sie durch die Predigt der frohen Botschaft über Gott und sein Königreich Gutes tun, und gerade die Regenten der Nationen verhaften und bestrafen sie mit Geld- und Gefängnisstrafen, eben weil sie in dieser Weise Gutes tun. Werden treue Ganzmissionsgehilfen und die Missionsarbeiter der Ortsgruppen, die - von Tür zu Tür gehend - Gutes tun, indem sie den Völkern der Erde die Botschaft des Königreiches bringen, für diese Arbeit von den Fürsten oder Herrschern dieser Welt 'gelobt'? Niemand hat jemals gehört, dass sie deswegen Lob empfangen hätten.

Wir geben hier ein Beispiel. Ein Vertreter der Gesellschaft, ein Kind Gottes in dem ferngelegenen Land Liberia, Afrika, begann dort das Evangelium zu predigen, indem er Ansprachen hielt und Bücher mit der Evangeliumsbotschaft unter dem Volke verbreitete. Die Regierung teilte ihm mit, dass er davon Abstand nehmen müsse, dass er keine Bücher oder Broschüren oder irgendwelche Literatur verbreiten und keine öffentlichen Reden halten dürfe, bis die obrigkeitlichen Gewalten ihm die Erlaubnis hierfür geben würden. Er fuhr dessen ungeachtet mit der Arbeit fort und brachte eine große Anzahl von Büchern unter das Volk. Wenn er den weltlichen Obrigkeiten gehorcht hätte, so würde er das Evangelium nicht gepredigt haben. Er gehorchte aber dem Herrn und wurde beschützt. Er tat ein gutes Werk, erhielt aber kein Lob von den Regenten der Nationen.

Die Tatsache, dass der Apostel von der Entrichtung von Steuern spricht, ist als starker Beweis dafür angesehen und angeführt worden, dass das ganze Kapitel sich auf die Nationen beziehe. Dieses Argument ist aber nicht stichhaltig und die Schlussfolgerung nicht gerechtfertigt.

Was ist demnach die richtige Stellung der gesalbten Söhne Gottes hinsichtlich der Teilnahme am Kriege, wo die Absicht vorliegt, Menschen zu töten? Das dreizehnte Kapitel des Römerbriefes und die Worte des Apostel Petrus (1. Petrus 2: 13, 17) sind häufig gebraucht worden um zu beweisen, dass Christen unter dem Zwang ständen, an den Krieg und Verderben bringenden Schlachten des Krieges teilzunehmen, weil die Gesetze des Landes es bestimmen. Eine solche Auslegung ist ganz verkehrt. Diese Schriftstellen nehmen nicht Bezug auf die Gesetze der Nationen, wie die vorhergehende Beweisführung gezeigt hat; sie beziehen sich vielmehr auf die Regierung, Ordnung und Disziplin in der Organisation des Herrn. Die Anwendung dieser Schriftstellen auf irdische Regierungen ist, soweit Christen in Frage kommen, irreleitend und falsch gewesen. Das für sein Volk bestimmte Wort Gottes ist klar und deutlich, indem Gott seinem Volke sagt: 'Du sollst nicht töten'. Der Christ, der im Kriege tötet, bricht nicht nur das von Gott gegebene Gebot, dass wir gerade angeführt haben, sondern auch den ewigen Bund Gottes, und wird deswegen nicht gebilligt und von einem Anteil am Reiche Gottes ausgeschlossen werden.

Es ist nicht die Aufgabe der Bibelforscher als Christen, den Nationen und Völkern der Erde zu sagen, dass sie nicht am Kriege teilnehmen sollten. Das ist nicht ihre Angelegenheit. Es würde verkehrt sein, wenn sie versuchten, die Nationen daran zu hindern, in den Krieg zu ziehen oder Mannschaften für diesen Zweck zu rekrutieren. Ein Christ hat kein Recht, sich irgendwie einzumischen, wenn sich eine Nation ans Werk macht, eine Armee auszuheben und einzuexerzieren. Das ist eine Angelegenheit, die von der Nation selbst entschieden werden muss. Aber kein wirklich geweihter Christ kann an einem fleischlichen Kampfe teilnehmen und dennoch seine Stellung Gott gegenüber unverletzt bewahren. Es ist seine Pflicht, sich von den Angelegenheiten der Nationen, die unter sich Krieg führen, fernzuhalten, und sich dem Herrn zu widmen und seinen Geboten zu gehorchen.

Wenn ihm von den Herrschergewalten der Nationen befohlen wird, in den Krieg zu ziehen und zu töten, dann muss er sich weigern, in den Krieg zu ziehen um so dem Gebote Gottes treu zu sein. Eine solche Weigerung wird dem Christen aller Wahrscheinlichkeit nach den Zorn der Regierung zuziehen, die ihm gebietet, in den Krieg zu ziehen. Der Christ sollte sich aber lieber dem Zorn einer irdischen Regierung aussetzen, als den Grimm Gottes durch Ungehorsam gegen sein Gesetz auf sich zu ziehen.

Der geweihte und gesalbte Christ weiß, dass er sterben muss um zu einem Gliede des herrlichen Leibes Christi gemacht zu werden. Wenn er wegen seiner Treue Gott und seinem Bunde gegenüber den Tod erleidet, so steht es gut um ihn. Wenn er Gott ungehorsam ist und lieber willentlich der irdischen Herrschergewalt gehorcht, in den Krieg zieht und darin umkommt, dann ist seine Gelegenheit, einen Platz in dem Königreiche Gottes zu erhalten, auf immer dahin. Er muss daher die Wahl treffen, entweder den Menschen oder Gott zu gehorchen, wohl wissend, was die Folgen sein werden.

Seit langer Zeit sind Christen hinsichtlich ihrer Dienstpflicht in der Organisation des Herrn in einem schlafenden Zustand gewesen. Sie haben versucht, den Herrschern dieser Welt zu gefallen, und hierzu haben sie eine Handlungsweise eingeschlagen, die ein Kompromiss zwischen Treue zum Herrn und zur Welt ist. Sie sagen dem Sinne nach etwa folgendes: 'Wir müssen der Welt zeigen, dass wir so nett und harmlos sind, dass die Herrscher bemerken werden, dass wir mit Jesus gewesen sind und von ihm gelernt haben.' Die Schrift ist verdreht worden um eine solche Haltung zu rechtfertigen.

So ist auch Gott nur mit denen zufrieden, die kühn und furchtlos in der Vertretung seiner Sache und der Verkündigung seines Namens sind.

Möge ein jeder, der den Anspruch erhebt, zu den Gesalbten Gottes zu gehören, mit der gegenwärtigen Wahrheit und mit Christus, dem Haupt der Organisation Gottes, Schritt halten."

Die neue Obrigkeitslehre blieb nicht ohne Folgewirkungen. Im "Wachtturm" (1931 S. 229) wurden sie mit den Worten umschrieben:
"Jehova ist der große König und Christus Jesus ist Gottes gesalbter König, der Gottes Willen ausführt. Sie sind die in der Schrift angeführten 'obrigkeitlichen Gewalten'. Bis vor kurzem dachte Gottes Volk, dass diese Schriftstelle, nämlich Römer 13: 1, die von den 'obrigkeitlichen Gewalten' spricht, auf weltliche Herrschermächte Bezug habe. Die sich von der Gesellschaft zurückgezogen haben, haben immer noch diese verkehrte Ansicht. Jetzt aber sieht der treue Überrest ganz deutlich, dass sich diese Schriftstelle nicht auf Satans Organisation, sondern auschließlich auf Gottes Vorkehrung für sein Volk innerhalb seiner Organisation bezieht. Die sich weigern, diese Wahrheit zu sehen, und die Erklärung des Wachtturms hierüber bestreiten, haben die Auslegung als eine Entschuldigung dafür benutzt, Anstoß zu nehmen, und sie haben sich zurückgezogen und sind in die Finsternis gegangen."

Man vergleiche: Höhere Gewalten

Er nannte sie "Feinde"

Notiz aus dem "Wachtturm" (1929 S. 6): "Einige, die behaupten, sich dem Herrn geweiht zu haben, machen ihren Brüdern Vorwürfe, dass sie mi scharfen Worten gegen die heuchlerische Geistlichkeit auftreten. Die Schrift macht es klar, dass die vorher beschriebenen Geistlichen die Kinder des Teufels, des Feindes Gottes sind. Diese Geistlichen sind daher die Feinde Gottes, weil sie Schmach auf seinen Namen bringen. Gottes Feinde müssen zu Feinden seiner Kinder werden. Das wahre Kind Gottes hält den Feind seines Vaters für seinen eigenen Feind."

Als weitere Detailausführung zum Thema konnte man im gleichen "Wachtturm"-Jahrgang (1929 S. 291, 296) dann noch lesen:

"Einige, die sich geweiht haben, den Willen Gottes zu tun, haben eine irrige Ansicht über die Pflicht des wahren Nachfolgers Christi. Sie sagen: Wenn wir Gesandte Christi sind, wie können wir dann der Welt, in der wir leben, so feindlich gesinnt sein? Ist es recht, wenn ein Gesandter dem Lande, worin er wohnt, feindlich gegenübersteht? Zur Stütze ihrer Stellungnahme bringen sie dann vor, dass ein Gesandter zu einer Nation gesandt wird, die im Frieden ist mit der Nation, die ihn sendet; entstände ein gespanntes Verhältnis zwischen solchen Ländern, dann würde der Gesandte abberufen.

Solche, die dieses Argument vorbringen, folgern daraus, dass der Gesandte Christi zu allen Zeiten so handeln müsse, dass er auf möglichst geringen Widerstand stoße, dass er milde sprechen und seine Worte so wählen müsse, dass sich keiner, der andrer Ansicht ist, irgendwie beleidigt fühlen könne. Sie behaupten, dass es verkehrt sei, irgend etwas zu sagen, dass die Geistlichen ärgern oder das Großgeschäft oder die politischen Weltherrscher beleidigen könnte. Sie kämpfen für die Idee, dass ein Christ durch sein Benehmen so gering Anstoß erregen sollte, dass dadurch alle wünschen, seinem Beispiel zu folgen und seine Religion anzunehmen; und dass er die Menschen dadurch zur Versöhnung mit Gott führe …

Einige Älteste weigern sich, die Organisation des Teufels oder die Elemente bzw. Gruppen von Menschen, welche diese Organisation bilden, auch nur öffentlich zu erwähnen. Sie begnügen sich damit, von Gottes liebreicher Güte zu reden, welche für die Errettung der Menschen vorgesorgt hat. Ganz gut. Aber damit erfüllen sie nicht ihren Bund. … Darum muss der 'Wachtturm' den Gesalbten oder der 'Knechtsklasse' den folgenden Rat erteilen: Wenn es unter euch Älteste gibt, die sich weigern, auf Satans Organisation und auf die sie Bildenden hinzuweisen, und die Verfehlen oder sich weigern, Gottes Absicht der Zerstörung der Organisation Satans zu zeigen, so lasst solche ihren eigenen Weg gehen. Ihr aber, die ihr treu seid, solltet euch von ihnen zurückziehen. Streitet und argumentiert nicht mit ihnen. Tut freudevoll das, was der Herr euch aufgetragen hat, und mögen alle, die anderer Ansicht sind, irgendeinen ihnen gefälligen Weg einschlagen."

Fred W. Franz und die Pyramide

Zum folgenden ist auch der Abschnitt "Die 'Bibel in Stein'" in

1924er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte empfehlenswert als Hintergrundinformation.

Noch im "Goldenen Zeitalter" von 1926 (S. 287) hatte man sich euphorisch zum Thema Pyramiden verbreitet. Man konnte dort lesen: "In den Pyramiden steht die Zukunft der Welt geschrieben. Ein gelehrter Londoner Ägyptologe, der sich, wie die Blätter erklären, internationalen Ansehens als Forscher erfreut, der aber gleichwohl in dieser Sache nicht mit seinem Namen hervortritt, hat erklärt, dass er in den Pyramiden Fingerzeige gefunden habe, um die großen Ereignisse vorauszusagen, die in Zukunft das Gesicht der Welt verändern würden. In der Londoner Zeitung die diese Notiz wiedergibt, bestätigt ein Kapitän Seton Karr dem ihm befreundeten Gelehrten, dass er den Weltkrieg viele Monate vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten prophezeit habe. Außerdem habe er den genauen Termin vorausgesagt, an dem dann auch tatsächlich der Waffenstillstand abgeschlossen worden ist. Der Forscher gibt als Daten, die in Zukunft für den Ablauf der Geschichte eine große Bedeutung haben werden, den 11. Juli 1927, den 28. Mai 1928, sowie den 15. und 16. September 1936 an. Der Prophet teilt jedoch gleichzeitig mit, dass er nur die Daten dieser kommenden Ereignisse, nicht aber ihren Charakter voraussagen könne. Wir erinnern die Leser des 'G.Z' an … Band 3 der Schriftstudien von Pastor Russell, wo sie nicht nur eine eingehende Beschreibung des Steinzeugen Gottes der Pyramide von Giseh, sondern viele wertvolle Daten usw. vorfinden, die dem Christen beim Studium der Heiligen Schrift eine wertvolle Hilfe sind."

Nachdem auch das Spekulationsdatum 1925 vorüber war, nicht jedoch die Datenspekulation in Bibelforscherkreisen, meinte Rutherford zu einer Art "Befreiungsschlag" ausholen zu sollen. Dazu nahm er insbesondere die Spekulationen zum Anlass, die auch seitens der Bibelforscher mit der großen Pyramide von Gizeh verbunden wurden. In der "Wachtturm"-Ausgabe vom 15. 12. 1928 findet man eine diesbezügliche "Abrechnung". In ihr konnte man lesen:
"Im Lande Ägypten, im nördlichen Teile Afrikas, steht ein großer Steinbau, der die 'große Pyramide von Gizeh' genannt wird. Seit dem letzten halben Jahrhundert ist manchen Erforschern des Wortes Gottes gelehrt worden, dass Gott durch seinen Propheten Jesaja in dem … Text (Jes. 19:19) auf die große Pyramide Ägyptens Bezug nimmt, und sie haben dies geglaubt. Manche haben diesem Steinbau die Bedeutung zugemessen, dass er das Zeugnis vom göttlichen Plane bestätige, dass im Worte Gottes niedergelegt ist. Tatsächlich haben manche die Pyramide 'die Bibel in Stein' oder 'Gottes Steinzeuge' genannt. Einige haben an diesem Steinbau Berechnungen angestellt und mit ihrem eigenen Verstand die genaue Zeit berechnet, wo Gott seinen Plan zum Höhepunkt bringen würde. Durch gewisse Messungen und mathematische Berechnungen haben sie versucht, die genaue Zeit zu bestimmen, wo Gott alle seine Kinder von der Erde fortnehmen und im Himmel aufnehmen werde. Solche, die darauf ihr Vertrauen gesetzt haben, mussten Kummer und Enttäuschung erfahren. Wenn das erwartete, auf einen bestimmten Tag festgesetzte Ereignis nicht eintrat, machten die Pyramidenverehrer andere Messungen in ihr, mit deren Hilfe sie dann spätere Zeitpunkte festsetzten, und dann gründeten sie ihren Glauben auf solche Zeugnisse. …
Die Sphinx ist zweifellos eine Darstellung des Teufels. Gewiss wird niemand behaupten, dass sie von der Hand Jehovas errichtet worden sei. Dort sitzt die Sphinx und scheint mit einer hochmütigen Miene als Mundstück des Teufels zu sagen: 'Ich habe die Christen erfolgreich hintergangen und ihre Gedanken von Gott abgewandt, und jetzt suchen sie Erkenntnis in diesem toten Steinbau.' …
Es scheint, dass John Taylor, ein Engländer, im Jahre 1859 zum ersten Male die Behauptung aufstellte, die Pyramide von Gizeh vermittle wissenschaftliche Aufklärungen. …
Wir wundern uns jetzt, weshalb wir jemals an die Pyramide von Gizeh geglaubt und Zeit auf deren Studium verwandt haben."
Nach diesem "Befreiungsschlag" konnten sich gewisse "Bibelforscher" nunmehr gar nicht genug tun, sich als in Einklang mit diesen neuen Erkenntnissen darzustellen.

Wie in einem totalitären System üblich, sind auch diesbezüglich einige bemerkenswerte Purzelbäume von vormaligen Beifallsklatschern jener Lehre nachweisbar. Einer von jener Sorte himmelt seinen Chef Rutherford mit den Worten an ("Wachtturm" 1929, S. 78, 80):

"Der Schreiber des Briefes hat seit mehreren Jahren viele Forschungen hinsichtlich der Pyramide von Gizeh angestellt. Er hat seinerzeit die mit Bezug auf die Pyramide gemachte Schlussfolgerung, wie sie in Band 3 der Schriftstudien veröffentlicht worden ist, stark unterstützt. Wie es bei allen aufrichtigen Menschen der Fall sein sollte, war er schnell bereit, die Pyramide zu verwerfen, als er erkannte, dass sie nicht schriftgemäß ist. Das vorgelegte Material liefert bestätigende Beweise dafür, dass der Steinbau auf Satans Geheiß erbaut worden ist."

Dann wird ein Beifallsbrief an Rutherford zitiert in dem man lesen kann:

"Lieber Bruder Rutherford!

Ich habe kürzlich den zweiten Teil des Artikels 'Der Altar in Ägypten' gelesen. Wenn der erste Teil für einige nicht völlig überzeugend gewesen sein sollte, so waren doch im zweiten Teil die Blitze Jehovas sehr klar erkennbar; dies ist für mich ein unumstößlicher Beweis, dass hinter dem Entwurf und dem Bau der großen Pyramide von Gizeh Satans Absichten verborgen liegen."

Sich selbst beruhigt jener Briefschreiber dann noch mit den Worten:

"Den einzigen zufriedenstellenden Grund, den ich dafür angeben kann, dass Gott gestattete, dass Pastor Russell die große Pyramide dem göttlichen Plane anpasste, ist erstens der, dass Gott des Teufels eigene Werke benutzte, um dessen Evolutionstheorie zu widerlegen; und zweitens damit zu jener Zeit, die für die Läuterung der Wahrheit bestimmt worden war, den Kindern Gottes zur Prüfung dienen möchte, auf das sie lernen würden, alle Dinge zu prüfen und das, was gut ist, festzuhalten."

Es sollte aber noch "besser" kommen. Ein gewisser Fred W. Franz, später selbst noch zum Präsidenten der Wachtturmgesellschaft aufgestiegen, ließ in der "Wachtturm"ausgabe vom 1. 9. 1929 zum Thema Pyramide eine umfängliche pseudowissenschaftliche Abhandlung abdrucken, deren apologetischer Charakter, allerdings evident ist. Im Einzelnen konnte man dort lesen:

Lieber Bruder Rutherford!

Von wem die "große Pyramide von Gizeh" erbaut wurde, ist, wie Dir ja bekannt ist, bis jetzt noch nicht festgestellt worden. Dem Pyramidenbau wurde aber durch die Annahme, dass die Erbauer wahrscheinlich geheiligte Charaktere der Bibel gewesen seien, ein heiliger Anstrich gegeben. Man braucht nur aus Band III der Schriftstudien, Seite 312, Absatz 2, und Seite 315, Absatz 1, folgendes als Beispiel anführen:

"Man hat sich ausgedacht (also lediglich eine Annahme), dass Melchisedek, obwohl selbst kein Ägypter, ägyptische Arbeiter zu dem Bau der großen Pyramide verwandte … Zu diesen Hyksos oder friedlichen Königen, so nimmt man an (also nicht durch Gottes Wort bestätigt), gehörte auch Melchisedek, und sie, denkt man sich (der Beweis ist also nie geliefert), seien die Erbauer der großen Pyramide - des Altars und 'Zeugen' Gottes im Lande Ägypten gewesen.

Manetho, ein ägyptischer Priester und Schriftgelehrter, wird von Josephus und anderen in folgenden Worten angeführt: Wir hatten vordem einen König mit Namen Timaus. Zu seiner Zeit geschah es, ich weiß nicht wie, dass die Gottheit uns zürnte; und da kamen in einer sonderbaren weise vom Osten her Leute von unedler Rasse (keine Krieger), Hyksos, welche die Kühnheit hatten, in unser Land einzudringen und es durch ihre Macht ohne eine Schlacht auf leichte Weise zu unterwerfen. Und als sie unsere Herrscher in ihrer Hand hatten, zerstörten sie die Tempel unserer Götter."

Über Melchisedek sagt das Buch "Regierung" auf Seite 42 oben folgendes:

"Da doch Gott von allüberlegener Macht ist und Melchisedek Priester des Höchsten war, warum übte nicht Melchisedek seine ihm von Gott verliehene Macht aus… um die vom Teufel beherrschten Könige (von der Art wie die Herrscher Ägyptens) zu stürzen? Die Antwort ist, dass Gott nicht beabsichtigte, Satans Macht schon zu jener Zeit zu vernichten."

Dieser eben angeführte Umstand würde wohl nicht die Annahme gestatten, dass Melchisedek zu den Hyksos gehörte, von denen der heidnische Priester Manetho berichtet, dass sie in Ägypten einfielen und seine Herrscher unterwarfen und beherrschten.

Hier entsteht nun die Frage: Wer sind die Hyksos, und gibt die Geschichte irgendwelche Berechtigung, eine heilige Persönlichkeit der Bibel (Melchisedek oder einen anderen Diener Jehovas) den Hyksos auch nur beizuzählen? Darüber bringen die nachfolgenden Auszüge aus weltlichen, autoritativen Schriften einiges von Interesse:

"Die Hyksos waren, wie die ägyptischen Aufzeichnungen angeben eine kriegerische Nomadenrasse des Ostens, die unter Salatis, ihrem ersten Könige, Memphis einnahmen und ganz Ägypten tributpflichtig machten. Ihr Name hat wahrscheinlich die Bedeutung 'fremde Könige', während die Erklärung Hirten-Könige späteren Ursprungs ist. Die Zeit ihres Einfalls und ihrer Eroberung war etwa 1 700 v. Chr. (oder 270 Jahre nach dem Tode Sems und 245 Jahre nach dem Tode Abrahams) und die Zeit ihrer Vertreibung etwa 1600 v.Chr. (oder etwa zur Zeit der Auswanderung der Israeliten aus Ägypten. …

Sie bedienten sich ägyptischer Sitten, und sechs ihrer Monarchen wählten ägyptische Namen … Der einzige ausführlichere Bericht den wir von allen Geschichtsschreibern im Altertum kennen, ist ein unzuverlässiger Bericht eines verlorenen Werkes Manethos, den Josephus in seiner Erwiderung an Apion gebraucht." - The Americana vol. 14.

"Pharao ist der hebräische Name" der den Königen Ägyptens in der Bibel gegeben wird, und der dem Per-o (Großes Haus) Ph-ra oder P-ra der ägyptischen Hieroglyphen (die Sonne bezeichnend) entspricht.

Der Pharao zur Zeit Abrahams (1. Mose 12:10) (man nimmt an, es sei Osirtesen I gewesen) und zur Zeit Josefs (welcher der nach Minister von Apophie II, Aa-Kendn-Ra. war) waren wahrscheinlich die Hirtenkönige oder Hyksos." The Americana, Band 21.

Diesen Auszügen aus The Americana nach zu urteilen könnten also weder Sem noch Melchisedek den Hyksos zugezählt werden; wenn die Hyksos aber tatsächlich die Pyramide gebaut haben, wie man angenommen hat, dann machen schon die geschichtlichen Beweise ganz allein es zur Gewissheit, dass weder Sem noch Melchisedek sie bauten.

Da nun Christus Jesus sich selbst den "guten Hirten" nennt, so könnte der Ausdruck "Hirten-König" etwa einen guten König, einen Diener des großen Hirten, Jehovas bezeichnen; und wenn nun angenommen wurde, dass ein solcher Hirtenkönig der Erbauer der großen Pyramide gewesen wäre, dann würde jener Bau eine gewisse Heiligkeit annehmen, die von Bibelforschern berücksichtigt werden müsste. Kürzlich wurde ich aber hinsichtlich der Ableitung des Wortes Pharao auf folgendes aufmerksam gemacht. Die Bedeutung, die diesem Worte gewöhnlich zugeschrieben wird, ist "das große Haus" und außerdem "Sonne"; Funk & Wagnalls Standard Dictionary sagt hierüber folgendes:

"Das ägyptische Wort Per-aa bedeutet "das große Haus" d.h. der königliche Palast, nämlich per für Haus oder Wohnung und aa für groß. Dies war die zeremonielle Bezeichnung für die Person des Könige. Das hebräische Wort Phar-o ist eine semitische Übertragung des ursprünglichen ägyptischen Wortes und kam ohne Zweifel seit der Zeit der Wanderung und Gefangenschaft in Gebrauch. In der koptischen Sprache stehen die beiden ersten Buchstaben für sich um als Geschlechtswort zu dienen."

Ich war nun auf höchste überrascht, folgende Erklärung des tiefen Forschers der hebräischen Sprache und der alten babylonischen Sprache, Alexander Hislops, zu lesen:

Der wohlbekannte Name Pharao, der Titel der Priesterkönige Ägyptens ist einfach die ägyptische Form des hebräischen Wortes Phe-Roe. Pharao in 1. Mose, ohne den Akzent ist "Phe-Roell, Phe ist das ägyptische Geschlechtswort. Die Hirtenkönige waren die Ägypter nicht ein Greuel, sondern die Roi-Tzan" die "Viehhirten". (1. Mose 46:34) Ohne den Artikel ist Roe, ein "Hirte" offenbar das Grundwort, von dem das französische Wort "Roi," ein König, und das Beiwort "royal" (königlich) kommt; von Roh, mit der Bedeutung "als Hirte tätig zu sein", und das häufig "Reg" ausgesprochen wird (mit ch, was bedeutet: "Er, der ist" oder ausgesprochen wird (mit oh, was bedeutet: "Er, der ist" oder "der handelt", hinzufügt), kommt das Wort "Regch", mit der Bedeutung "er, der als der Hirte tätig ist", wovon das lateinische Wort "Rex" und das englische Beiwort "regal" abstammt …

Die chaldäischen Beschwörer und Priester hatten bei der Verrichtung ihrer Zauberriten meistens einen Hirten- oder Krummstab. Die Benutzung dieses magischen Hirtenstabes kann direkt auf den ersten König Babylons zurückgeleitet werden; d.h. also auf Nimrod der, wie von Berosus ("Altertümliche chaldäische Geschichte") berichtet wird, der erste war der den Titel "Hirtenkönig" führte. Im Hebräischen oder Chaldäischen der Zeit Abrahams ist Nimrod der Hirte einfach Nimrod "Hä-Roe" (Pharao); von diesem Titel des "gewaltigen Jägers vor Jehova" kommen ohne Zweifel sowohl das englische Wort "hero" Held (im Deutschen: heroisch, Heroismus, Heroin), wie auch alle "hero-worship" (Heldenverehrung), die seitdem die ganze Welt überflutet hat. - "The Two Babylons", Seite 218, Fußnote und Seite 217.

Nach diesem hier zuletzt angegebenen Auszuge waren die Hyksos einfach Nachkommen Nimrods des ersten heidnischen Könige und Gründers Babylons, und als solche wären sie in der Tat besonders geeignet dafür gewesen, jenen abgöttischen Bau, die große Pyramide von Gizeh zu errichten; die große Pyramide erinnert sehr an die hängenden Gärten Babylons. Es scheint, dass die Verehrer der großen Pyramide der Klasse der "hero" (Helden)-Anbeter zugerechnet werden müssen.

In Wertschätzung Deines treuen Kampfes für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben, verbleibe ich

Dein Bruder im Dienste des Herrn

Fred W. Franz, N.Y."

Man protestiert

Die Bibelforscher waren auch in Deutschland nicht sonderlich gut gelitten. Diese Sachlage offenbarte sich auch in ihrem Kampf um das Radio. In seiner 1929 veröffentlichten Broschüre "Des Volkes Freund" schrieb Rutherford beispielsweise:

"Das Radio ist Jehovas Erfindung. Der Mensch hat lediglich herausgefunden, wie es zu gebrauchen ist. Die Zeit wird noch kommen, da Jehova Gott es seinen treuen Vertretern ermöglichen wird, von Jerusalem aus klar und deutlich vernehmbar zu allen Völkern der Erde zu reden … Daher ist es nur passend und zeitgemäß, dass Jehova Gott den größten jemals auf der Erde über ein Netz vereinigter Radiostationen gehörten Rundspruch zum Ruhme seines Namens gebrauchen ließ. Das geschah in Detroit, Michigan, am Sonntag dem 5. August 1928."

Weiter wird in der gleichen Broschüre ausgeführt:
"Radionetz von 100 Stationen stellt neuen Rekord auf. … 'Ich habe ein Telegramm von einer der New Yorker Tageszeitungen erhalten', erwähnte Richter Rutherford im Laufe seines Vortrages, worin gefragt wird, wieviel dieser Vortrag koste und wer ihn bezahle. 'Meine Antwort ist, dass er 50 000 Dollar kostet und von einer Anzahl Christen in den Vereinigten Staaten bezahlt wird, die froh sind, es tun zu können."

Trotz dieser Euphorie gelang es den Bibelforschern in Deutschland nicht, in gleicher Weise einen Fuß in die Radiostationen setzen zu können. Hier machten sich die Kirchen stark, nachdem es den Bibelforschern 1928 mal gelungen war, ein oder zwei Radiovorträge in Deutschland senden zu lassen. Hier machten sich die Kirchen stark, mittels ihrer Lobbyschiene und Protesten, eine Wiederholung dieses Vorganges zu verunmöglichen. Ein Dokument des diesbezüglichen Frustes auf Bibelforscherseite, ist auch in der 1929 erschienenen Rutherford-Broschüre "Bedrückung. Wann wird sie enden?" abgedruckt, in der man lesen konnte (S. 60, 61):

"Deutsche Leser und Radiohörer!

Durch mehr als 100 in allen Teilen der Vereinigten Staaten gelegene Radiostationen vermittelt die Internationale Bibelforscher-Vereinigung dem amerikanischen Volke die für jedermann so wichtige Aufklärung … und nach Hunderttausenden zählen auch die in Deutschland an solchen Radioveranstaltungen aufs höchste Interessierten … Dennoch aber werden in Deutschland Hunderttausende willkürlich ihrer berechtigten Ansprüche enteignet. Alle ihre an die Sendegesellschaften gerichteten dringenden Ersuchen wurden direkt oder durch Ausflüchte abgelehnt.

Protest-Resolution

11 000 auf der diesjährigen Bibelforscherkonferenz zu Leipzig (Pfingsten 1929) versammelte Vertreter der Bibelforschergruppen Deutschlands übermitteln hiermit dem Leipziger Rundfunk den Ausdruck ihres schärfsten Protestes gegen die Maßnahmen der hiesigen Sendeleitung, die eine Benutzung des Radios für die Übertragung der Kongreßeröffnung verhindert haben, und versichern dem Leipziger Sender, dass sie in ganz Deutschland die Kulturfeindlichkeit dieser rückständigen Maßnahmen gebührend bekanntgeben werden … Diese einseitige Parteilichkeit des hiesigen Senders und die an das Mittelalter erinnernde Zensur, die der deutsche Rundfunk - mit Bezug auf dem geübten Umfang dieser Zensur - zweifellos völlig unberechtigt ausübt, auch dem Auslande in gebührender Weise bekanntgeben. … Wir beauftragen hiermit die Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft als die Zentralstelle der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung, diesen Protest mit unsrer eben ausgedruckten Forderung an die zuständigen Stellen der Deutschen Regierung weiterzuleiten mit dem entschiedenen Ersuchen, uns den uns unberechtigterweise vorenthaltenen Anteil des Rechtes der Benutzung des Radios zu verschaffen:"

Unterschrieben von: Oskar Graf von Wartesleben; Baron Nicolaus v. Tornow; Amtsgerichtsrat Dr. Mütze; Alfred Zimmer, Reg.-Sekretär.

Im Rückblick wird man zu konstatieren haben, dass trotz dieser "starken" Worte, die deutsche Bibelforscherleitung ihr diesbezügliches Ziel nicht erreichte.

Man vergleiche als Kontrastprogramm dazu, ihre gegenwärtigen Bemühungen in Sachen "Körperschaft des öffentlichen Rechtes" und ihre publizistisch-juristische Darstellung!

Nicht nur die Bibelforscher protestierten, ihre Kontrahenten die Kirchen, taten es in gleicher Weise. Auch die zeitgenössischen kirchlichen Urteile waren von Vorurteilen und Ressentiments geprägt. Man wird wohl kaum sagen können, dass sie die Bibelforscher-Herausforderung wirklich "begriffen" haben. An Oberflächlichkeiten herum kratzend, offenbaren sie letztendlich nur eines. Ihre Abhängigkeit von deutschnationalistischen politischen Strömungen. Hugenberg lässt grüßen - auch und besonders bei den Kirchen! Symptom dafür ist auch jener kirchliche Kommentar, den sie dem Leipziger Bibelforscherkongress von 1929 widmeten, den die "Leipziger Neuesten Nachrichten" am 18. 5. 1929 veröffentlichten und in dem man lesen konnte:

"Von kirchlicher Seite werden wir um Aufnahme folgender Zeilen gebeten:

Eine für unser gesamtes Volksleben recht gefährliche Bewegung ist die aus Nordamerika zu uns herübergekommene Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher. Nicht genug, dass unser Volk sich wehren muss gegen den Ansturm des politischen Bolschewismus. Auch auf religiösem Gebiete mehren sich die Sturmzeichen, dass man versucht, die ganze bisherige abendländische Kultur, die im Christentum und christlicher Sitte und Lebensauffassung gerade in unserem deutschen Volke ihre besondere Vertiefung erfahren hat, über den Haufen zu werfen. Die IVEB, stellen nach ihrer Lehre keine christliche Bewegung dar. Auch ihre Zukunftserwartung nach ihrem 'göttlichen Plan der Zeitalter' ist eher eine Verherrlichung des jüdischen Volkes als ein Ausfluss christlicher Glaubensüberzeugung. Bekannt ist ihre fanatische Einstellung gegen die geschichtlich gewordenen christlichen Bekenntniskirchen. Es werden unbesehen amerikanische Verhältnisse auf die Beurteilung deutscher kirchlicher Angelegenheiten übertragen. Leicht ist das Einreißen. Positiver Aufbau zu einer Durchdringung des Volkslebens mit den Kräften des Evangeliums scheint der IVEB nicht am Herzen zu liegen. Wenn diese Bewegung in unserem Volke siegt, dann treiben wir rettungslos dem religiösen Bolschewismus zu."

Rumänische Episode

Noch heute kann man im Internet eine rumänische Bibelforschergruppe "begutachten", bei der die Meinungen hin und her wogen, wie sie denn einzuordnen sei. Aus dem Erbe Russells entstanden? Von Rutherford beeinflusst? Fest steht jedenfalls das es sich dabei auch um eine Gruppierung handelt, die einen von der WTG unabhängigen Kurs eingeschlagen hat. Mehr kann man zu ihr - jedenfalls in der deutschen Literatur - nicht ermitteln. Die Sache bekommt allerdings ein schon etwas anderes Gesicht, wenn man einen zeitgenössischen Bericht dabei mit im Blickfeld hat. Er sagt auch einiges über die "Brüderlichkeit" der damaligen Bibelforscher aus. Er sei deshalb hier nachstehend (kommentarlos) wieder gegeben. In der seinerzeitigen "Vossischen Zeitung" vom 10. 3. 1929 konnte man unter der Überschrift: "Die den jüngsten Tag erwarten" die nachfolgenden Ausführungen von Dr. Wolfgang von Weisl lesen:

"In einem soeben beendeten Massenprozeß gegen rumänische und deutsche Anhänger der internationalen Sektion der Bibelforscher die in Rumänien (und übrigens auch in Ungarn) verboten und kommunistischer Tendenzen verdächtigt sind, hat das Kriegsgericht des VI. Rumänischen Armeekorps in Klausenburg ein überaus hartes Urteil gefällt: neben einer Reihe von Gefängnisstrafen gegen rumänische Staatsbürger, wurden zwei Deutsche, Balzereit und Dollinger, der Vorsitzende und der Syndikus der deutschen Sektion der 'Bibelforscher' wegen Propaganda für diese Organisation zu nicht weniger als zehn Jahren Zuchthaus in in Contu macium verurteilt.

Die beiden Deutschen waren vor einem Jahr nach Klausenburg gekommen, um den dortigen Führer der 'Bibelforscher' Sima, einen Druckereibesitzer und zugleich Neffen des rumänischen Patriarchen, zur Verantwortung wegen seiner auffälligen Geschäftsgebarung zu ziehen, die unter anderem dafür verantwortlich war, dass die Organisation in Ungarn und Rumänien verboten war. Sima, der überdies den großen Betrag von über sieben Millionen Lei der Organisation schuldete, denunzierte die beiden Deutschen wegen 'kommunistischer' Umtriebe; sie und 14 rumänische Bibelforscher wurden verhaftet und die Deutschen erst gegen Zahlung einer Kaution von 200 000 Lei und nach zehntägigem Hungerstreik nach Deutschland entlassen.

In ihrer Abwesenheit wurde nun vom Kriegsgericht der Prozess gegen sie durchgeführt, bei dem Sima, der bisherige Führer der Bibelforscherbewegung in Rumänien, die Rolle des Kronzeugen gegen die Deutschen spielte, denen er etliche Millionen Lei schuldete. Das einzige Moment, dass bei dieser Verhandlung zugunsten der rumänischen Gerichtsbarkeit ist, dass Sima wenigstens am Ende des Prozesses unter Anklage gestellt wurde …"

Nach dieser Darstellung des speziell rumänischen Aspektes, wird in dem fraglichen Artikel dann noch relativ umfänglich, auf die zeitgenössische Bibelforschertheologie eingegangen. Man wird dem Autor bestätigen können, dass es ihm durchaus gelungen ist, auch dabei die wesentlichen Aspekte "einzufangen". Im einzelnen schrieb er dazu:

"Die 'Bibelforscher' sind eine der radikalsten, und zweifellos die rührigste christliche Sekte der Nachkriegszeit. … Sie sind zugleich aber - wenn man von den Quäkern absieht - die einzige christliche Sekte, die mit der Losung der Kriegsdienstverweigerung und des unbedingten Pazifismus Sturm gegen die bestehenden kirchlichen Organisationen sämtlicher Konfessionen läuft. 'Frömmelnde Heuchler predigen von den Kanzeln darüber, dass Kriegsdienst Gott wohlgefälliges Opfer sein könne - es sind ruchlose Diener Satans', so etwa formuliert die Bewegung der 'Bibelforscher' ihre Stellung zu diesem weltbewegenden Problem unserer Zeit.

Mit dem Worte 'Diener des Satan' kennzeichnet sie aber nicht nur jene Geistlichen, die etwa für den Krieg Stellung genommen haben, sondern letzten Endes - alle Geistlichkeit, alle Autorität überhaupt. Die uralte Menschheitsfrage, warum unsere Welt so viel Unglück, so viel Ungerechtigkeit und Leid füllen, beantworten die 'Bibelforscher' einfach: weil nicht Gott, sondern der Satan auf dieser Welt regiert - weil der Satan die Menschen belügt, weil er alle menschlichen Institutionen in seinen Dienst gebracht und vor allem, weil er selbst die Kirche dazu gewonnen hat, seine Lehren und nicht das Evangelium zu verbreiten.

Und so bildet die 'Vereinigung der Bibelforscher' eine Bewegung gegen jegliche christliche Lehre im Dienste der freien, unorganisierten - der Nachfolge Christi. Ihre Glaubenssätze verwerfen alles, was nicht auf Wort und Buchstabe der Bibel beruht.

Diese Lehrmeinungen sind an und für sich nicht neu; zum Teil sind sie Gemeingut einer ganzen Reihe von christlichen Sekten seit den Tagen der Gnostiker. … Aber die 'Bibelforscher' sind zugleich die entschiedensten Verkünder der (nach innen) bereits erfolgten Wiederkehr Christi und des baldigen Anbruches des Weltendeschicksal-Krieges von Harmagedon … Jetzt, in unseren Tagen, bilden die 'Bibelforscher' eine eigenartige und merkwürdige Gruppe in unserer aus ihren Fugen geratenen Zeit.

Auf Grund der bekannten Prophezeiung des Buches Daniels und unter der Annahme, dass die Zerstörung des Reiches Israels Anno 606 v. Chr. erfolgt sei - worüber man ja allerdings streiten kann -, errechnen die Bibelforscher, dass der 'Beginn des Endes der Zeiten' von dem die Bibel spricht, Anno 1799 (Napoleons Zug nach Ägypten) eintrat, dass der Beginn der Zeit über die man 'sich freuen wird', sie zu erleben, 1874 - Gründung der Arbeiter-Internationale - war, an dem Christus 'wiederkam' (das heißt, begann, wieder Anteil an dem Geschehen auf der Welt zu nehmen), und das 1918 das angekündigte 'Ende der Nationen' eingetreten sei. Die 'Nationen' seien im Begriff zugrundezugehen, und nun werde bald der Tag des letzten entscheidenden Kampfes kommen, zwischen Gut und Böse, zwischen Jehova und den Seinen gegen Satan … Das große Harmagedon.

Nun, diesen entsetzlichen Kampf, bei dem man nach den Worten der Bibel 'die Erschlagenen Jehovas von einem Ende der Erde bis zum anderen liegen' werden, - diesen entsetzlichen Kampf sieht jeder Militärschriftsteller von heute auch voraus, ohne das er deswegen ein 'Bibelforscher' zu sein brauchte. Nur, dass die 'Bibelforscher' aus ihm einige andere Folgerungen ziehen: sie glauben erstens, dass dieser neue Weltenbrand unvermeidlich und nahe bevorstehend ist; sie glauben ferner, dass er 'kein Krieg zwischen Nationen', sondern gemäß den Worten der Apokalypse ein Krieg 'Gottes des Allmächtigen' selbst sein wird, den er gegen den Satan führt, um die Herrschaft auf dieser Welt, das 'Königreich Gottes' anzutreten, und drittens, dass es die Aufgabe jeden Menschen sei, sich für diesen Tag dadurch vorzubereiten, dass er dem Satan entsage und sich auf die Seite Jehovas stelle - die Armee von morgen.

Das aber es Satan sei, der heute regiere, dass 'beweisen' die Bibelforscher nicht aus den Worten der Schrift, sondern aus dem Anblick des täglichen Lebens: sie verdammen nicht nur den Krieg, nicht nur die Kirche, nicht nur den Staat und jedes Ritual als sein teuflisches Werk, sondern auch die kapitalistische Gesellschaftsordnung, die auf Eigennutz aufgebaut sei. Aber sie glauben nicht daran, dass irgendeine andere von Menschen geschaffene Ordnung etwas bessern könne; weder Sozialismus noch Kommunismus sind besser als die Weltordnung des Privateigentums, dass sie für schlecht halten. Nur die Herrschaft Gottes kann etwas ändern - die Liebe und das Gericht, dass sie bald erwarten.

Und mit diesem Pessimismus gegenüber dem Staat in seiner heutigen Form bilden sie letzten Endes doch wieder nur ein Glied in der langen Reihe von Pessimisten, die die Hilfe von anderen erwarten. Und die warten, bis dahin warten …"

 

Der nächste Jahrgang   1930

ZurIndexseite