Höhere Gewalten

Von dem 1950-er DDR-Verbot und den sich daran anschließenden Gerichtsprozessen, war noch nicht einmal die "Tinte trocken", als der "Wachtturm", schon in seiner Ausgabe vom 15. 1. 1951 unter der Überschrift "Untertan den Höheren Gewalten" einen Grundsatzartikel brachte. Im Prinzip beinhalten diese Ausführungen nichts wesentlich Neues. Aber im Kontext des noch keineswegs "vernarbten" DDR-Verbotes, bedeutet die Wiederholung und Bekräftigung der entsprechenden Thesen, durchaus auch ein politisch zu bewertender Tatbestand. Keineswegs nur "religiös", wie die "Sand in die Augen streuen" WTG-Schreiberlinge im fernen Brooklyn und im etwas näheren Wiesbaden, dies gerne interpretieren möchten. Daher sei nachstehend einiges aus diesem Artikel zitiert:

"Die Geistlichkeit führt auch das Schreiben des Apostels in Römer 13:1 an: 'Jede Seele unterwerfe sich den obrigkeitlichen Gewalten; denn es ist keine Obrigkeit, außer von Gott, und diese, welche sind, sind von Gott verordnet.' Dieser Text, so erklärt sie, zeige an, dass der Cäsar und derartige politische Autoritäten die von Gott verordneten 'obrigkeitlichen Gewalten' seien, denen sich christliche Seelen zu unterstellen hätten und denen sie ungeteilten Gehorsam darbringen müssten. Zufolge dieser kirchlichen Auslegung des Textes konnten sogenannte Christen leicht in politische Bewegungen hineingezogen und mitgerissen werden; zu den Nazi, Faschisten, Kommunisten und andern Diktatoren, die einen totalitären Staat aufrichten, die wahren Anbeter Jehovas und die treuen Nachahmer seines Christus brutal verfolgen und sich auf den Weg militärischer Angriffshandlungen begeben, um die Weltherrschaft zu erringen und alle Völker ihrer sozialen und politischen Ideologien zu unterwerfen.

Wohin diese Deutung der Schrift durch Geistliche geführt hat, kann aus zwei Zeitungsberichten ersehen werden. Eine Sondermeldung an die New York Times mit der Datumszeile 'Moskau, 24. April' besagte:

'Die sorgsam durchdachte russische orthodoxe Osterfeier begann gestern Abend mit dem traditionellen Mitternachtsgottesdienst, der vom Patriarchen Alexej in der Kathedrale Yelokhovsky in Moskau geleitet wurde. Die Kathedrale war gepackt voll. Kurz vor Mitternacht sprach Alexej Gebete für das Sowjetvolk sowie für die Bewahrung des Friedens und für die Segnung des Führers des Sowjetstaates, Joseph Stalin.' - New York Times, 25. April 1949.

Die andere Meldung wurde von der Süddeutschen Zeitung am 7. Dezember 1945 veröffentlicht und spricht von dem Bekenntnis des wohlbekannten Pastors Niemöller kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Nach der Datumzeile 'Frankfurt am Main, 6. Dezember (DANA)' besagte dieser Artikel unter der Überschrift 'Kritik an der Evangelischen Kirche'.

'Vor einer tausendköpfigen Menge von Frauen und Männern aus allen Berufs- und Altersklassen predigte Pastor Niemöller hier am ersten Advents-Sonntag. Er verlieh dem Wunsche nach Frieden Ausdruck und warnte vor den, die sagen, dass Frieden unmöglich und undurchführbar sei. Mit scharfen Worten geisselte Pastor Niemöller die Evangelische Kirche, die in vergangenen Jahrhunderten oft KRIEGE GUTGEHEISSEN UND DIE WAFFEN GESEGNET habe. …

Der Friede, den wir erstreben, sagte Niemöller, die Arbeit, die uns bevorsteht, werden nicht durch eine einflussreiche Kirche möglich gemacht werden, sondern einzig und allein dadurch, dass wir zur Bescheidenheit und Nächstenliebe, den Grundlagen des Christentums, zurückkehren.'

Die Meldung lautete dem Inhalt nach, dass 'in Frankfurt innerhalb der Evangelischen Kirche eine starke Bewegung im Gange sei, die auf eine Reform der Kirche auch in theologischer Beziehung abziele. Nichts habe der Evangelischen Kirche in den letzten 12 Jahren so sehr geschadet wie theologische Grundsätze, die da lauten: 'Seid untertan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat', also auch der Hitler-Diktatur und 'Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist', demnach auch dem 'Führer was des Führers ist.' Diese Lehren hätten den Übergang in das Lager des Nationalsozialismus allzu leicht gemacht, auch der Schritt, Kanonen für den Krieg zu segnen, sei sehr leicht gewesen. Lehren dieser Art, die vom Standpunkt Luthers aus verständlich gewesen seien, seien überholt, hier müsse eine Reform einsetzen.'

Wie weit die Evangelische Kirche von Deutschland im Revidieren ihres Verständnisses der eben erwähnten Schrifttexte gegangen ist, können wir hier nicht sagen. Doch hat Pastor Niemöller in seinem Bekenntnis, von dem oben berichtet wird, die Bibelforscher oder Jehovas Zeugen in Deutschland erwähnt und dazu ihr christliches Vorgehen selbst unter dem Druck der Diktatur und des Zweiten Weltkrieges.

Bis zum Jahre 1928 hatten auch sie sich an die kirchliche Auslegung von Römer 13:1-7 hinsichtlich der 'obrigkeitlichen Gewalten' gehalten.

Doch in jenem Jahre wurde dieser Schrifttext einer Neuprüfung unterzogen, besonders angesichts der Tatsache, dass die 'Zeiten der Heiden' im Jahre 1914 n. Chr. geendet hatten und das von Christus regierte Reich Gottes, damals in den Himmeln aufgerichtet worden war, um eine neue Welt einzuführen, die gehorsamen Menschen guten Willens ewige Segnungen bringen wird. Die Schlussfolgerungen, zu denen man gelangte, sind in dem zweiteiligen Artikel, betitelt 'Die höheren Gewalten im Wachtturm vom 1. und 15. Juli 1929 veröffentlicht worden. Dass sich Jehovas Zeugen an diese Folgerungen seither stets hielten, kostete manchen von ihnen ihre persönliche Freiheit, ja selbst ihr Leben.

Statt aber Römer 13: 1-7 als Anweisungen des Apostels anzusehen, wonach dem Cäsar das zu geben ist, was dem Cäsar gehört, ist dieser Text seit 1929 von Jehovas Zeugen vielmehr als Anweisung betrachtet worden, Gott das zu geben, was Gott gehört. Weshalb? Weil man unter dem Ausdruck 'die höheren' oder 'obrigkeitlichen Gewalten' nur in erster Linie Gott, den Höchsten, und seinen regierenden Sohn Jesus Christus versteht. Bestimmt gibt es keine Gewalten und Obrigkeiten, die höher sind als diese. Gemäss der Wiedergabe in der kürzlich herausgegebenen Neue-Welt-Übersetzung der Christlichen Griechischen Schriften lautet Römer 13:1 "Jede Seele sei untertan den höheren Obrigkeiten, denn da ist keine Obrigkeit ausser vor Gott, die bestehenden Obrigkeiten sind durch Gott in ihre bezüglichen Stellungen gesetzt.'

Im Jahre 1914 . Chr. sind die 'bestimmten Zeiten der Nationen', die 607 v. Chr. mit der Vernichtung Jerusalems durch den König Nebukadnezar begonnen hatten, abgelaufen. Seither sind die Nationen in der 'Zeit des Endes' dieser Welt gewesen. Unter dem internationalen Druck dieser kritischen Zeit, und besonders jetzt, angesichts des kalten Krieges zwischen dem Ost- und dem Westblock der Nationen, der in einem dritten Weltkrieg heiss zu werden droht, fühlt sich der politische Staat, dergestalt durch den Cäsar, unter dem Druck, von seinen Bürgern fordern zu sollen, dass sie dem Cäsar alles zahlen und das beständige Wohl und die Rettung seiner Bürger dem Staate zuschreiben. Mehr und mehr ist er geneigt, auf jene von Gott gegebenen Dinge überzugreifen, die echte Christen dem lebendigen wahren Gott zurückzahlen müssen; und er stellt Forderungen, die der Vorschrift widersprechen, welche Jesus Christus niedergelegt hat. Die stolzen, ehrgeizigen, auf sich selbst eingestellten Nationen ziehen nie in Erwägung, dass sie als Nationen Jehova Gott etwas schulden. Dessen ungeachtet sind sie schuldig, Gott das zurückzuzahlen, was ihm gehört, besonders seit 1914.

Extreme Nationalisten, die aufgebracht sind über die Treue, die Jehovas Zeugen gegen ihn bewahren, wollen diese aus Jehovas eigenem Besitztum und Gebiet vertreiben. Sie reden wie gottlose Totalitätsverfechter und fordern laut, dass man Jehovas Zeugen aus dem Lande verbanne, als ob diese Zeugen auf Grund und Boden lebten, auf den sie nicht hingehörten. In der Tat möchten sie sie von der Fläche des Erdbodens vertreiben. SIE ERKENNEN WOHL KAUM, DASS DIE TREUEN KNECHTE JEHOVAS DIE EINZIGEN SIND, DIE JETZT EIN RECHT HABEN, DIE ERDE EINZUNEHMEN (Hervorhebung von mir M. G. ). Gott wird dieses Recht in der Schlacht zwischen dem Lamm und den weltlichen Nationen kundmachen. Dann wird Jehova die Erde von den fanatischen Superpatrioten dieser Welt säubern und wird nur seine treuen Zeugen auf Erden in die neue Welt hinüberleben lassen, wo alle Geschöpfe Gott das zurückzahlen werden, was Gott gehört.

In Anbetracht der Tatsache, dass christliche Zeugen weltliche politische Mächte nicht als die von Gott verordneten 'höheren Obrigkeiten' annehmen, sondern nur Gott und Jesus Christus jetzt als solche anerkennen, stehen sie von einer Teilnahme an der Politik dieser Welt, ja selbst vom Stimmen, gewissenhaft ab …

In Ländern, wo der militärische Aushebungszwang besteht, lassen sich Jehovas Zeugen gleichwie alle andern innerhalb der Altersgrenze eintragen, und sie legen ihr Verhältnis zur Sache schriftlich nieder. Sie erinnern sich daran, wie Joseph und Maria der Verordnung des Cäsars entsprachen und nach Bethlehem-Juda reisten, um sich in ihrer Heimatstadt einschreiben zu lassen (Luk. 2: 1-5 NW) Doch wenn diese Diener des Wortes Jehovas zur Eingliederung in die Armee einberufen werden, ist es an ihnen, sich dann zu stellen und dem Worte Gottes gemäss Stellung zu beziehen und Gott das zu zahlen, was ihm gehört. Dasselbe trifft zu, wo der Cäsar den Bürgern das Stimmen zur Zwangspflicht macht. Nachdem sie sich einschreiben lassen, können sie sich, wenn der Wahltag kommt, zur Abstimmung und zu den Wahlurnen begeben. Hier ist es, wo sie genötigt sind, den Stimmzettel zu bezeichnen oder das hineinzuschreiben, wofür sie eintreten. Die Stimmenden verfahren mit ihren Stimmzettel gemäß ihrem Willen. Somit ist hier, in Gottes Gegenwart, der Ort, wo seine Zeugen im Einklang mit seinen Geboten und in Übereinstimmung mit ihrem Glauben handeln müssen.

Es gehört nicht zu unserer Verantwortung, sie anzuweisen, was sie mit dem Stimmzettel tun sollen. Sie müssen in Übereinstimmung mit ihrem Gewissen handeln, das durch das Studium des Wortes Gottes erleuchtet ist. In Ländern, wo kein Wahlzwang besteht, erinnern sich die Diener des Wortes Jehovas daran, dass sein Volk theokratisch organisiert ist. Gemäss dem göttlichen Gesetz, unter dem sie organisiert sind, werden die Diener nicht auf Grund einer Wahl durch die Mehrheit des Volkes ins Amt eingesetzt, sondern alle Ernennungen in der theokratischen Organisation kommen von Gott und durch jene, denen er in seiner Organisation Autorität verleiht. So nehmen die einzelnen Glieder der Versammlung in seiner sichtbaren Organisation keine demokratische Wahl vor, um durch Stimmenmehrheit geeignete Männer in die Stellungen der Aufseher und Diener im Amte einzusetzen. Nein, sondern die Ernennungen zu allen amtlichen Dienststellungen erfolgen durch den Geist Gottes und durch die leitende Körperschaft gemäss den Erfordernissen der Schrift.

Da sie selbst zur Einsetzung geweihter Diener in ihr Amt, selbst innerhalb der theokratischen Organisation, nicht das beim Volke übliche Stimmrecht ausüben, erachten sie es als unangebracht, das demokratische Wahlrecht zu benutzen, wodurch nichtgeweihte Personen in weltliche, politische Ämter eingesetzt werden. Sie wollen nicht an der Verantwortung für die Sünden solcher Weltlinge in Regierungsämtern teilhaben. Sie wollen sich von dieser Welt rein erhalten. Sie halten sich an Gottes Ernennungen durch seine theokratische Organisation und anerkennen die Einsetzung Jesu Christi in das Königtum der gerechten neuen Welt." Man vergleiche auch: Obrigkeit

1951er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

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