Der vorangegangene Jahrgang   1922

Vor (mehr als) 50 Jahren

Was 1923 Wahrheit war

Die "kurz bevorstehende Verwandlung"

Der "Wachtturm" notierte im Jahre 1923 (S. 374): Die "Bibelforscher glaubten allgemein, dass das Jahr 1914 das Ende aller Bemühungen der Kirche auf dieser Seite des Vorhangs sein, und das ihre Verwandlung dann stattfinden würde. Manche waren hiervon so gründlich überzeugt, dass sie Vorkehrungen trafen, am letzten Tage des Monats September alles und jedes hinter sich zu lassen und einzugehen mit dem Herrn. Manche hielten Ansprachen, worin sie sagten: 'Dies ist das letzte Mal, dass ich zu den Freunden sprechen werde. Morgen gehen wir heim.'

Jedoch der Herbst 1914 kam und ging vorüber, und viele der Heiligen, die noch auf dieser Seite in dem Fleische sind, wunderten sich, wann ihre Verwandlung stattfinden würde. Seitdem haben sie vorausgeblickt und gefragt: Wann dürfen wir erwarten, dass wir heimgehen werden?

In dem Watch Tower vom 1. November 1914 sagte Bruder Russell:

'Wir können aber von unserer Verwandlung nicht weit entfernt sein, und wir raten dazu, dass alle vom Volke des Herrn Tag für Tag gerade so leben, als ob dies der letzte Tag auf dieser Seite des Vorhangs sein, und das der heutige Abend oder der morgige Tag uns in die herrlichen Dinge jenseits des Vorhangs einführen würde."

Die Glut dieser Erwartung glimmte in der Asche weiter. Sie wartete nur darauf neue Sauerstoffzufuhr zu bekommen um alsdann als neue Stichflamme in Erscheinung zu treten. Symptom dieser Sachlage ist auch jene Fragenbeantwortung im "Wachtturm" (1923 S. 208):

"Frage: Ist es wahr, dass vor acht Monaten den Pilgerbrüdern der Auftrag zuging, aufzuhören, über 1925 zu predigen? Haben wir mehr Grund oder ebenso viel um zu glauben, dass das Königreich 1925 errichtet werden wird, als Noah hatte, um zu glauben, dass eine große Flut kommen würde?

Antwort: Es ist überraschend, wie Berichte in die Welt hinausgehen. Den Pilgerbrüdern ist niemals zu irgendeiner Zeit auch nur ein Wink zugegangen, dass sie aufhören sollten, über 1925 zu predigen. Irgend jemand, der die Behauptung aufgestellt hat, dass eine solche Instruktion ausgesandt wurde, hat dies ohne irgendwelche Ermächtigung oder Entschuldigung oder Ursache getan. Unser Gedanke ist der, dass der Zeitpunkt 1925 endgültig von der Schrift festgelegt ist als ein Markstein des Endes der vorbildlichen Jubeljahre."

Offensichtlich erwies sich die Bibelforscherführung als ein gelehriger Schüler der Phytia. Jener "Seherin" des Altertums, der schon Lukian von Samosta (120 bis 180 u. Z.) ein bleibendes Denkmal gesetzt hatte. Lukian referiert jenen zweideutigen Spruch dem sie dem König Krösus (560-546 v. u. Z.) zu Protokoll gab: "Wenn er den Halys (Fluss zwischen Lydien und Persien) überschreite, werde er ein großes Reich zerstören". Der Kommentar von Lukian:

"Sprich mir nicht von den Orakeln, mein Bester, oder ich werde dich fragen, an welches du dich am liebsten erinnern lassen willst: ob an das, dass der delphische Apollo dem Könige von Lydia gab und das so doppelgesichtig war wie gewisse Hermon, die einem das Gesicht zuwenden, man mag sie nun von vorne oder von hinten betrachten - denn wie wusste nun Krösus, ob er nach dem Übergang über den Fluss Halys das Reich des Cyrus oder sein eigenes zugrunde richten würde? Und gleichwohl bezahlte der unglückliche Fürst diesen doppelsinnigen Vers mit vielen Tausenden." Indem nach Anfangserfolgen sein eigenes Reich zerfiel und somit zerstört wurde.

An jene historische Reminiszenz wird man erinnert, wenn man im "Wachtturm" Jahrgang 1923 (S. 131) auch lesen konnte:

"Manche sind geneigt, zweifelhaft mit Bezug auf 1925 zu werden, und darum werden sie lauwarm. Aber, Geliebte im Herrn, was für einen Unterschied macht es, ob die Dinge, von denen erwartet wurde, dass sie sich im Jahre 1925 zutragen würden, sich wirklich zutragen oder nicht? Gott wird seine Pläne nicht ändern. Er machte seine Pläne vor langen Zeiten. Er hat keine Fehler gemacht. Er wird seine Pläne ausführen und genau das herbeiführen, was er vorher angeordnet hat. Haben wir uns nicht vor langer Zeit bereit erklärt, seinen Willen zu tun? Dann sollten wir jetzt, und zwar freudigen Herzens sprechen: 'Ich will mich in alles und jedes schicken, was immer dein Wille ist und deine eigene, gute Zeit abwarten, es zuwege zu bringen.

Angenommen aber, dass das Jahr 1925 die ganze Brautklasse jenseits des Vorhangs vorfindet. Wenn ihr auch im Geiste fest an dem Glauben gehalten habt und in eurem Eifer für den König und das Königreich nicht nachgelassen habt, dann werden eure Freuden völlig und vollständig sein. Es ist sicherer, jetzt kein Risiko zu laufen, indem man müde wird, das Rechte zu tun."

Bereits im Jahre 1922 hatte Rutherford auf einer spektakulären Bibelforscherveranstaltung die Parole ausgegeben ("Wachtturm" 1923 S. 27):

"Das Königreich des Himmels ist nahe gekommen; der König regiert; Satans Reich bricht zusammen; Millionen jetzt Lebender werden niemals sterben.

Glaubt ihr es? Glaubt ihr, dass der König der Herrlichkeit gegenwärtig ist, dass er seit 1874 gegenwärtig gewesen ist? Glaubt ihr, dass er während dieser Zeit einen treuen und klugen Knecht gehabt hat, durch welchen er sein Werk leitete und den Haushalt des Glaubens mit geistiger Speise versorgte? Glaubt ihr, dass der Herr jetzt in seinem Tempel ist, die Nationen der Erde richtend? Glaubt ihr, dass der König der Herrlichkeit seine Herrschaft begonnen hat? Dann zurück in das Feld, o ihr Söhne des höchsten Gottes! … Geht mutig vorwärts in dem Kampfe, bis jede Spur Babylons wüst und öde gemacht ist!"

Nicht all und jeden war diese Umstrukturierung der Bibelforscher zu einer Kampforganisation recht. Symptom dafür ist auch jene im "Wachtturm" (1923 S. 134) wiedergegebene Klage:

"Von Zeit zu Zeit hören wir Klagen und Murren von einigen, die dagegen protestieren, dass das Werk von der Gesellschaft nach dem Prinzip der Tüchtigkeit und Leistungsfähigkeit reguliert wird, und die unzufrieden sind, weil immer und immer über den Dienst zu den Freunden gesprochen wird. Um ihre eigenen Worte zu gebrauchen: 'Immerfort ist die Rede vom Dienst und noch einmal Dienst und noch einmal Dienst, und wir haben die Sache satt."

Auch Rutherford selbst sah sich genötigt mal in einem Nebensatz auf diese Sachlage einzugehen. Etwa mit seiner Bemerkung ("Wachtturm " 1923 S. 26):

"Es ist zu einem deutlich ausgeprägten Wechsel im Charakter des Werkes der Herauswahl seit 1918 gekommen. Hier entsteht die Frage. War dieser Wechsel gerechtfertigt? Diejenigen, die einst mit uns gegangen sind, die aber jetzt nicht mehr mit uns gehen, sagen: 'Nein'.

Esperanto

Zu den Bedenklichkeiten der WTG-Strategie gehört es bekanntlich auch, dass sie sehr wohl praktische Ratschläge, manchmal ziemlich bedenklicher Art damit verbindet. Mag der nachfolgenden Bericht einem auch nur ein "müdes Lächeln" abringen, so sollte man meines Erachtens die Sache durchaus etwas ernsthafter betrachten, denn er offenbart eine Grundsatzhaltung. Am 15. 12. 1923 (Schweizer Ausgabe 15. 7. 1923) veröffentlichte das "Goldene Zeitalter" eine Leserfrage und ihre Beantwortung:

"Frage: Hat es mit Rücksicht auf den Anbruch des Goldenen Zeitalters noch Wert, Fremdsprachen zu erlernen?

Antwort: Wir glauben mit Bestimmtheit, dass im Goldenen Zeitalter der Sprachenunterschied verschwinden wird. Die Bibel bezeugt, dass die Sprachenverwirrung als eine Strafe von Gott über eine Generation herbeigeführt wurde, die kurz nach der Sinflut im Begriffe war, einen riesigen Turm zu bauen, um einem ähnlichen Gottesgericht wie dem der Sinflut künftighin wirksam begegnen zu können. …

In den letzten fünfzig Jahren hat sich mehr und mehr das Bestreben bemerkbar gemacht, nebst vielen anderen nationalen Schranken, auch diese Schranke zu überwinden und eine Universalsprache einzuführen. Wir erblicken hierin ein weiteres bemerkenswertes Zeichen der nahe bevorstehenden Einführung des Goldenen Zeitalters. -

Das Esperanto scheint in der Tat berufen zu sein, diese Jahrtausende alte Schranke niederzureißen und die ganze Menschheit auch auf diesem Gebiete einander nahe zu führen. In manchen Ländern ist diese universale neue Hilfssprache bereits offiziell eingeführt und auf Weltkongressen mit großem Erfolg angewandt worden.

Wenn also keine besonderen zwingenden Gründe vorliegen, irgend eine andere Sprache zu erlernen, würden wir dem Fragesteller empfehlen, Esperanto zu lernen, denn es scheint in der Tat die Sprache zu sein, die die meisten nutzbringenden Erfolge für die nächste Zukunft verspricht."

Jener Ratschlag sollte sich alsbald als Eintagsfliege erweisen. Er wurde denn auch nicht mehr wiederholt. Die Rutherford-Organisation gab in den nachfolgenden Jahren ganz andere Ratschläge. Rutherford's Bücher und Broschüren in Klinkenputzermanier verkaufen und nochmals verkaufen - hieß jetzt die Parole. Da konnte man sich natürlich nicht mehr mit solch zeitaufwendigen Vorhaben, wie etwa das erlernen von Esperanto oder anderen Fremdsprachen abgeben.

Kommentierung der Inflation

Deutschland hatte den Ersten Weltkrieg verloren. Dies, so nüchtern gesagt, wollten die damaligen Stützen in Politik und Kirche nicht unbedingt wahrhaben. "Schuld" waren in deren Lesart natürlich immer andere. Die "überstaatlichen Mächte", der "Dolchstoß der bolschewistisch verseuchten Heimat"; das nicht "rechtgläubig genug" seien Volk usw. usf.

Die Siegernationen nahmen auf diese Empfindlichkeiten vorerst keine Rücksicht. Sie diktierten ihre Forderungen im Versailler Vertrag und die von den alten Stützen der Gesellschaft ungeliebten demokratischen Regierungen in Deutschland, mussten sehen wie sie damit klar kamen. Wie man weiß, gelang ihnen das mehr schlecht als recht. Die Notenpressen wurden angeworfen und der Geldwert sang ins Bodenlose. Außer einigen wenigen Kriegsgewinnlern hatten breite Volksschichten die Zeche mit zu zahlen. Wer da noch Ersparnisse aus früheren Zeiten hatte, sah sie zum Nichts zerrinnen. Verständlich, dass es viele gab, die in dieser Situation ihr Heil in extremistischen Positionen suchten. Linke und rechte Politprediger gründeten in jenen Tagen ihre Massenbasis und auch religiöse Kriegsgewinnler sahnten bei diesem Fischzug mit ab - namentlich auch die Bibelforscher. Passten doch diese Rahmenbedingungen scheinbar nur zu gut in ihr Weltbild.

Ein Symptom dafür ist auch jener Kommentar in der Schweizer Ausgabe ihrer Zeitschrift "Das Goldene Zeitalter" (15. 11. 1923 S. 64) in der man unter der Überschrift "Erschütterung der Gesellschaftsordnung in Deutschland" lesen konnte:

"In der Tat, die Aufstellung der beiden Heerlager ist in Deutschland nun eine vollendete Tatsache. Auf der einen Seite das Kapital, die Kirche und die Großpolitik und auf der anderen Seite das Proletariat. Die riesenhafte Schlachtfront ist da, die deutschen Volksmassen marschieren mit Riesenschritten dem großen entscheidenden Klassenkampf entgegen, der in der Bibel als der 'Krieg von Harmagedon' bezeichnet wird … Aber nicht nur auf politischem Gebiet entwickelt sich die große Drangsal in Deutschland in geradezu rasendem Tempo, sondern ebenso in wirtschaftlicher Hinsicht.

Sind das nicht gewaltige Zeichen der Zeit?

Klafft nicht die Erde (die soziale Ordnung) auseinander? Zerberstet und schwankt sie nicht hin und her? Taumelt sie nicht wie ein Trunkener? Schaukelt sie nicht wie eine Hängematte? Und wenn ja, erfüllt sich dann nicht vor unser aller Augen die Prophetie der Hl. Schrift, dass die alte Ordnung der Dinge auf der Erde zusammenbricht und das Goldene Zeitalter unmittelbar vor der Türe steht?"

Wunderweizen

"Das Goldene Zeitalter" nannte sich jene Bibelforscher-Zeitschrift die ab 1922/23 auch im deutschsprachigen Raum erschien. Ihr Titel sollte zugleich Programm sein. Das "Goldene Zeitalter" käme in der Lesart ihrer Herausgeber natürlich nicht durch menschliche Anstrengungen, sondern nur durch Gottes dereinstiges "Eingreifen" am Sankt Nimmerleinstag. Das mit dem "Sankt Nimmerleinstag" sagte man so natürlich nicht. Man wähnte es ganz nahe. Und aufmerksam wie man war, registrierte man auch alle Indizien die in die vermeintliche, ersehnte Richtung wiesen.

Da gab es also zu Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA eine Presseschlagzeile, die von einem sogenannten "Wunderweizen" redete. Kein geringerer als C. T. Russell höchstpersönlich nahm sich ihrer auch an um sie in seinen Publikationsorganen zu kolportieren. In zeitgemäßer "religiöser Einfalt" - letzteres versteht sich fast selbstredend. Jahrzehnte später hat sich auch der Zeuge Jehovas Marley Cole nochmals mit der Angelegenheit befasst. Dabei stellte er fest, dass jener einst für Schlagzeilen sorgende Weizensorte, schon Anfang der zwanziger Jahre wieder verschwunden war. Es war somit keine dauerhafte Züchtung gelungen. Auch merkt er an, dass die Mühlenfachleute diese Sorte nicht gerne annahmen, weil sie einen "Bart" hatte (was immer dies auch bedeuten mag, werden die Mühlenfachleute sicher besser beurteilen können). Aber zeitweise machte jene Sorte durchaus von sich reden. Die Bibelforscher waren angesichts ihrer angedichteten Bedeutung "völlig aus dem Häuschen". Cole vermerkt:

"Im Jahre 1911 spendeten J. A. Bohnet … und Samuel J. Fleming … gemeinsam ungefähr 30 Scheffel Wunderweizen für die Wachtturm-, Bibel- und Traktat-Gesellschaft. Sie schlugen vor, die Gesellschaft solle den Weizen als Saatgut zu einem Dollar pro Pfund verkaufen. … Die Spender hatten verfügt, dass der Erlös von etwa 1800 Dollar der Gesellschaft zukommen und für ihre religiöse Tätigkeit verwendet werden sollte.

Die Gesellschaft, deren Präsident Pastor Russell war, nahm den Beitrag dankend entgegen und verkaufte den Wunderweizen.

Dann kam der 22. März 1911, und das Brooklyner Blatt 'Daily Eagle', ein … Gegner der 'Wachtturms', begann mit einer Serie von Artikeln und Zeichnungen, die sich über den Pastor, seine Religion und seinen Weizen lustig machten. Am 23. September brachte der 'Eagle' eine Karikatur des Pastors und darunter die Frage: 'Wenn Pastor Russell einen Dollar je Pfund Wunderweizen kriegen kann, was hätte er als Direktor der alten Unionbank für die Wunderaktien und -obligationen bekommen können?'

Russell verklagte den 'Eagle' wegen Verleumdung. Der Prozess der darauf folgte, war einer der sensationellsten Gerichtsfälle in den Annalen von Kings County im Staate New York. Es ging um den Streit, 'ob der in Frage stehende Weizen dem gewöhnlichen Weizen überlegen war oder nicht'. … Der Brooklyner 'Eagle' gewann den Prozess."

Jener Vorgang spielte sich "Jenseits des großen Teiches" in den USA ab. Die Hand voll zeitgenössischer deutscher Bibelforscher, die es schon damals hier zu Lande gab, hatte nicht die Einflussmöglichkeit um auch hier eine "Wunderweizeneuphorie" zu starten. Anfang der zwanziger Jahre sah das schon etwas anders aus. Jetzt hatte man auch hierzulande mit dem "Goldenen Zeitalter" ein Publikationsorgan, dass sich auch durchaus an das weiter gespannte Sympathisantenumfeld richtete. Und so fand man dann es für angebracht, auch dem deutschen Publikum jenen Fall zu offerieren. Die von Cole genannten kritischen Aspekte lies man selbstredend weg. Man schilderte den Fall lediglich so, wie er sich in euphorischer Sicht darstellte. Im "Goldenen Zeitalter" vom 1. 10. 1923 (Schweizer Ausgabe 15. 4. 1923) konnte man dazu lesen:

"Die Herkunft des Wunderweizens.

Vor bald zwanzig Jahren entdeckte ein Herr K. B. Stoner in seinem Garten in Fincaetle, Virginia, USA eine ungewöhnliche Pflanze, die er zuerst als eine Art Seegras hielt, dass sich aber bei näherer Betrachtung als Weizen erwies. Die Pflanze zeigte in ihrer vollen Entwicklung hundertzweiundvierzig Stengel, wovon jeder einen ausgereiften Halm trug. Stoner war aufs höchste erstaunt, denn er hatte vorher nie eine Kornpflanze mit mehr als fünf Halmen gesehen. Der ungewöhnliche Ertrag dieser einzigen Pflanze veranlasste ihn, die erzeugten Körner aufzubewahren. Er säte sie im nächsten Herbst auf seinen Acker, das gleiche tat er im folgenden Jahr, um so seinen neuen Weizen aufzuziehen. Der Erfolg war ein ungeahnter. Stoner nannte darum sein neues Korn der wunderbaren Erzeugungseigenschaften wegen 'Wunderweizen'.

Nachstehende Einzelheiten geben uns ein Bild von der Fruchtbarkeit dieses Weizens. Stoner berichtet, dass die Mutterpflanze mehr als 4000 Körner enthielt. Seine erste Saat bestand in 1800 Körnern und jedes Korn brachte durchschnittliche 250 Körner hervor, wogegen der Durchschnittsertrag des gewöhnlichen Weizens auf seinem Gute nur etwa 10 Körner pro Saatkorn betrug. Stoner konstatierte ferner, dass 1 Peck (ein Maß - 15 Pfund) dieses Wunderweizens auf einem Morgen Land über 40 Scheffel ergab (1 Scheffel - ca. 13 Liter), ja sogar erntete er bis zu 80 Scheffel.

Wir können somit ausrechnen, dass der Wunderweizen im Verhältnis zur gesäten Quantität fünfundzwanzigmal soviel Ertrag liefert. Die Ausgiebigkeit dieser Getreideart besteht in ihrer Eigenschaft, eine breite Pflanze zu bilden. Dieser Eigenschaft wegen muss beim Ansäen dem gewöhnlichen Weizen gegenüber ein Platzunterschied beobachtet werden. Zwischen den Samenfurchen sollte ein ungefähr 6 Zoll breiter Abstand bestehen. Wird dieser Weizen wie gewöhnliches Getreide gesät, so misslingt der Versuch. Hauptursache des Erfolges also ist genügende Anbaufläche. Eine Fläche von 4 ½ Zoll Größe, wie sie z. B. heute die amerikanische Regierung gestattet, ist natürlich viel zu klein, um dieser Pflanze die normale Entwicklung zu ermöglichen.

Nach zweijähriger Probe brachte Stoner seinen Weizen nun auf den amerikanischen Markt. Sogleich fand er bei einigen großen Gutsbesitzern Absatz …

Bei verschiedenen landwirtschaftlichen Ausstellungen in Amerika, so z. B. in der Vereinigten Ausstellung Appalachia für die Staaten Tennessee, Georgia und Nord Carolina wurde der Weizen mit 49, 60 und 80 Stengel mit dem ersten Preis ausgezeichnet …

Nach dem im 'Goldenen Zeitalter' schon beschriebenen erstaunlichen Erfolgen, die in der Zucht der Riesengemüse und Riesenfrüchte erzielt wurden, ist es für den Leser des G. Z. nicht weniger interessant, etwas über Wunderweizen zu hören, und zu vernehmen, dass tatsächlich durch diese neue Entdeckung in der Zukunft mühelos unser tägliches Brot um das fünfundzwanzigfache sich vermehren wird. Wie sich auf der einen Seite die Anzeichen der Auflösung der bisherigen Weltordnung mehren, so treten auch schon allseitig die Vorboten eines neuen Zeitalters in Erscheinung, und zu letzterem zählen wir die ans wunderbare grenzenden neuentdeckten Ernährungsmöglichkeiten. Wenn auch zur Zeit die Bedingungen zur rationellen Anpflanzung, Pflege und Verbreitung der neuen Nährpflanzen noch nicht allgemein vorhanden sind, so können Naturgewalten, eruptive Ereignisse usw. doch die Bodenfläche unserer Erde - vielleicht mit einem Schlage, oder doch in kürzester Zeit - derart umgestalten, dass der großzügigsten Entwicklung solcher Wunderpflanzen nichts mehr im Wege steht." Man vergleiche hierzu auch:

Um das Bild abzurunden, sei noch ein zeitgenössischer Bericht zum Thema "Wunderweizen" zitiert. Die in den USA erscheinende deutschsprachige Zeitschrift "Der Lutheraner" berichtete in ihrer Ausgabe vom 6. Juli 1915:

"'Wunderweizen' zu einem Dollar das Pfund haben die Führer der Russelliten vor einigen Jahren verkauft. Im Jahre 1911 erschien in 'Pastor' Russells Blatt 'Watch Tower' folgende Anzeige: 'Ein Geschenk von Wunderweizen. Bruder Bohnet schreibt uns, daß er nach und nach eine ziemliche Menge Wunderweizen gesammelt hat aus den wenigen Körnern, die er zuerst besaß. Er wünscht, daß die Leser des 'Watch Tower' die ersten sein sollen, die sich von diesem Weizen einen Vorrat sichern können. Er wird ihn für einen Dollar das Pfund (portofrei) verkaufen, und der ganze Profit soll in unsere Vereinskasse fließen. Man adressiere seine Bestellungen: 'Miracle Wheat Bohnet, 17. Hick Street, Brooklyn, N.Y.' Auch in dem Brooklyn-Tabernacle, dem Hauptquartier Russells, das sich eben an 17 Hicks Street in Brooklyn befindet, konnte man den Wunderweizen kaufen. Die Anzeige besagte noch, daß diese Weizenart nur ein Viertel so dicht gesät zu werden brauche als gewöhnliche Sorten, also etwa ein Viertel Bushel zum Acker, daß sie aber etwa zehn- bis fünfzehnmal so reichlich trage als andere Weizen, also mindest hundert Bushels zum Acker.

Der 'Brooklyn Eagle' sandte einen Berichterstatter nach Russells Tabernacle, und dieser kaufte eine Quantität des Wunderweizens. Es wurden Proben davon im Ackerbauamt in Washington untersucht, und das Ergebnis war, daß dieser Wunderweizen nicht besser war als die Sorte, die man zu einem Dollar den Bushel im offenen Markte kaufen konnte! Der 'Brooklyn Eagle' verspottete darauf Russell als Volksbetrüger und Schwindler.

Russell sah sich gezwungen, das Blatt zu verklagen. Er tat es, und die Klage ist nach einer Reihe von Berufungen (appeals) erst vor einigen Wochen vom höchsten New Yorker Gerichtshof entschieden worden, und zwar zugunsten der Zeitung. Den Russelliten ist der Wunderweizenfall sehr unangenehm, denn Russell hat sich dadurch lächerlich gemacht; doch haben sie bisher, wenn man sie im bezug auf diesen Fall fragt, geantwortet, der Prozeß sei 'noch nicht entschieden'. Jetzt ist er entschieden. Übrigens kam bei den Verhandlungen heraus, daß $ 2 000 Wert von dem Weizen verkauft worden war. Man möchte fragen: Wie kam Russell auf diesen Einfall?

Die Sache ist höchst einfach: Russell predigt ja, Christus sei schon seit vierzig Jahren wieder auf Erden und werde bald öffentlich auftreten; die 'Auserwählten', also die Russelliten, kennten ihn schon. Und als ein Wunder des angebrochenen Milleniums stellte er auch eine neue, ungeahnte Fruchtbarkeit des Bodens in Aussicht. Der 'Wunderweizen' sollte ein Zeichen sein, daß die Weissagung anhebt sich zu erfüllen. Und die betörte Menge glaubte ihrem Propheten, meinte, in diesem 'Wunderweizen' die Erstlinge des tausendjährigen Reichs zu sehen!…"

J. F. Rutherford Eine grosse Schlacht i. d. kirchlichen Himmel

Technologische Auslegungen

Zeitgenössisches Stimmungsbild (1923)

Wie man weiß ist der Nazismus nicht "vom Himmel gefallen". Er hatte auch Vorläufer. Als da waren der "Alldeutsche Verband" und nachfolgend unter anderem der "Deutschvölkische Schutz und Trutzbund". Letzterer wurde für die Ermordung des Reichsaußenministers Walter Rathenau politisch verantwortlich gemacht und in einem Akt seltenen entschiedenen Handelns, nach dem Rathenau-Attentat verboten. Er lebte aber weiter. Unter anderem mittels seines Publikationsorganes "Deutschvölkische Blätter". Einer seiner herausragenden Protagonisten war ein gewisser Thomas Westerich. In der Nr. 17/1923 der "Deutschvölkischen Blätter" veröffentlichte letzterer einen Artikel, der auch als Sonderdruck als Flugblatt zum Einsatz kam. Der Titel lautete: "Die Kirchen, der religiöse Ringkampf und das Jahr 1925". Die Grosskirchen waren in der Vor-Weimarer-Republikzeit Staatskirchen. Nur widerwillig fügte man sich in die neue Lage nach 1918. In der kurzen Zeit hatte man selbstredend die nationalistische Grundeinstellung bei weitem nicht überwunden. Genau an jene Ressentiments knüpften nun Westerich und Konsorten an. Das in jenen Jahren aufgekommene Bibelforscherthema war für sie das entsprechende Vehikel, um die Kirchen möglichst weiter auf stramm nationalistischen Kurs zu drängen. Wie man weiß hatten sie letztendlich Erfolg damit, denn die "Deutschen Christen" beispielsweise, als nazistischer Ableger des Christentums, waren keineswegs eine "unbedeutende Minderheit". In den zwanziger Jahren war es allerdings noch nicht so weit. Da redeten nicht die "Deutschen Christen", wohl aber die stramm antisemitischen Kräfte um Westerich und Konsorten in der Öffentlichkeit. Das genannte Flugblatt ist gewissermaßen ein "Kardinaldokument" für die damalige Stimmungslage. Aus ihm sei nachstehend etwas ausführlicher zitiert:

"Während unser Volkstum, infolge des verhängnisvollen Zusammenwirkens einer christlich gerichteten Partei (Zentrum) … immer mehr dem Abbau verfällt, greift die Wühlarbeit der 'Ernsten Bibelforscher' dank der furchtbaren Verbohrtheit und Selbstverblendung eben dieser christlichen Kreise beharrlich und ungestört um sich. Während das Zentrum, im vermeintlichen Glauben, dass rollende Rad nicht zu bremsen, dem nahenden Bolschewisierungsweg einer politisch-wirtschaftlichen Judendiktatur als Steigbügelhalter dient, lenken übereinstimmende Pläne Europas Mitte aus drei Richtungen auf ein Ziel hin, für dessen Erreichung die geistige Grundlage längst vorbereitet und für dessen Eintreten längst 'organisatorisch' das Jahr 1925 festgelegt ist. Wir haben in Nr. 15 dieser Blätter nochmals nachgewiesen, dass, wie die Ernsten Bibelforscher mit Nachdruck bestimmt haben, im Jahre 1925 jüdischen Patriarchen die Weltherrschaft antreten sollen. Man tut gut, diese Sache nicht von der lächerlichen Seite zu nehmen, denn es handelt sich hier nicht um Offenbarungen, sondern um augenscheinlich berechnete, also von langer Hand vorbereitete Pläne.

Inzwischen arbeitet der 'Scheinchristentum des Überganges' genannt 'Ernste Bibelforscherlehre', fieberhaft dem festgesetzten Zieljahr 1925 vor; unter ungeheurem Aufwande; unter Ausnutzung von unerschöpflichen Geldmitteln, deren Herkunft niemand kennen lernt, die es aber ermöglichen, fast täglich und in großen Städten sogar an verschiedenen Stellen zugleich eintrittsfrei die Riesenstätten von Massenversammlungen in großen Sälen auf sich zu nehmen und das Volk mit Flugschriften und zusammen auch mit Büchern spottbillig oder auch kostenfrei zu überschwemmen. Allmählich lernt Mitteleuropa, wie man es ja will, hypnotisiert auf das Jahr 1925 starren und sich an gewisse Gedanken gewöhnen, die den Weg pflastern helfen, den man es führen will. Das rätselhafte, in sich verschwiegene Vorgehen der E. B. aber erscheint, ebenso allmählich wie sicher dem betörten Nichtjuden als etwas Gottgewolltes. Und wenn dann 1925 dieses Rätsel sich löst, wird im Verein mit dem inzwischen sichergestellten politisch-wirtschaftlichen Zustand dieses "Gottgewollte" erreicht sein.

Es liegt uns nichts daran, Vorwürfe gegen die deutsche Geistlichkeit zu richten, obwohl solche, der Besorgnis entsprechend, innerlich berechtigt sein könnten. Man wird Geistlichkeit und Kirchenleitungen kaum als ein Ganzes ansehen können, obwohl gerade das sicher das Verhängnis fördern hilft. Viele Pfarrer regen sich rührig auf eigene Faust. Aber die Auswirkungen aus den geistlichen 'Kraftsammelstellen' fehlen bisher, wobei wir die Frage offen lassen wollen, ob hier Erkenntnismangel, Schwäche oder Gebundenheiten obwalten.

Der Einzelne hat freie Hand, der Mittelpunkt lässt alle Kräfte ungenutzt. Einzelne Pastoren … scheinen ihre Lebensaufgabe als Seelsorger ihres Volkes darin zu erblicken, einem fremden Volke einem fremden Glauben den Mantel der christlichen Liebe umzuhängen. Das ist mehr als Groteske.

Dieser Kampf deutscher Kirchenmänner dient dem gleichen Zweck, den auch die Bibelforscher anstreben. Die Tatsache, dass auch eine starke völkische Gegenströmung in der Geistlichkeit besteht, bestätigt zunächst nur, dass auch hier die Kräfte sich gegenseitig verzehren und aufheben lässt. Die 'Leitungen' haben keine starke Zielrichtung und geben eine solche nicht aus.

Dennoch scheinen sich in geistlichen Kreisen Versuche zur Kraftsammlung und einheitlichen Nutzung anzubahnen. Mit der Erkenntnis der Bibelforschergefahr muss auch die Judenfrage in deutschen Seelsorgerherzen lebendig werden. …

Es ist selbstverständlich, dass die weit aufgeschlossene Duldsamkeit unseres Bundes (Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund) in religiösen Dingen, Männer und Führer nicht behinderte, den Kampf ums Christentum geradezu als ihre Lebensaufgabe zu betrachten, wie dies durch Dinter und andere geschieht.

Da erhebt sich nun die Frage: Gedenken die Kirchenleitungen der Front der untergrabenden Kräfte von den Judenparteien (Bolschewismus) bis zu den scheinchristlichen Bibelforschern gegenüber sich weiterhin Bethmänn'sche Vorsichtigkeiten einzukapseln? Lästerungen Christi sind schon jetzt zur literarischen Marktware geworden, gegen die man von dorther nichts zu unternehmen scheint, sondern dies den völkischen Bünden überlässt.

Diese beharrliche Taktik des Ausweichens vor dem damit immer drohender herannahenden Verhängnis erscheint uns freilich weit gefährlicher, als ihr Gegenteil. Es ist die Taktik der Schwäche. Es ist zugleich Vogel-Strauß-Politik, denn die Stunde der Auseinandersetzung wird von der anderen Seite dennoch heraufbeschworen. Bolschewismus, Welt-Demokratie, Sozialdemokratie, Weltfreimaurertum, Judentum und Ernste Bibelforscherlehre sind sich einig in dem Ziel das 'Überwindung des christlichen Zeitalters' heißt. Das sind nicht nur starke, sondern es sind heute die herrschenden Mächte und das Jahr 1925 erscheint als Zieljahr kaum unglaubhaft.

Vorläufig führen auch auf diesem Frontabschnitt die Völkischen den Kampf allein, und sie führen ihn in ihrer überwiegenden Mehrheit im christlich-reformatorischen Geiste. Es scheint aber wirklich noch Kirchenleitungen zu geben die (wer weiß, durch wen beeinflusst!) das heute noch nicht erkennen und die Parole ausgegeben haben, die deutschvölkische Bewegung als 'wotanistisch' oder baldurgläubig zu bekämpfen. So begegnet man dort dem kommenden Verhängnis, indem man sich gegen die eigene Front wendet, denn die Schar der Deutschgläubigen in völkischen Reihen, die doch zum mindesten für deutsche Kirchenleitungen die gleiche Berechtigung haben dürften, wie die von manchen Geistlichen beschirmten fremdgläubigen Juden, verhält sich zur völkischen Gesamtheit heute noch wie etwa die Altkatholiken an Zahl zu den Römisch-katholischen. Auch dieses Beispiel, so grotesk es scheint, wirkt erschütternd! Verhängnispolitik!

Aus Berlin meldet uns die Ortsgruppe Osten: 'Die 'Ernsten Bibelforscher' halten allein in einer Woche in ein und derselben Schule (die E. B. also dürfen in deutschen Schulen Religion lehren!) sieben Versammlungen (also täglich) hintereinander. Sonntags fanden sieben große öffentliche Versammlungen statt. Aus fast allen deutschen Städten gehen uns täglich ähnliche Meldungen zu.

Wir fragen: Wer bezahlt die ungeheuren Aufwendungen für diese kostenfreien Darbietungen? Wer die Antwort nicht findet, dem ist nicht zu helfen. Solchen Kreisen erteilt die Quittung alsdann - das Jahr 1925."

"Rein christliche Verfechter"

In den Ausführungen "Zeitgenössisches Stimmungsbild (1923)" kam der prononciert antisemitische "Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund" mehr als genug zu Wort. Ein geflügeltes Wort besagt: "Eines Mannes Rede, ist keines Mannes Rede". Und so sei denn auch noch eine Art zeitgenössischer Gegendarstellung dazu zitiert. Der Antisemitismus war schon in der Weimarer Republik eine ernst zu nehmende Erscheinung. Verständlich, dass jüdische Kreise über ihn im besonderen Maße besorgt waren. Sie artikulierten ihre Besorgnis auch in publizistischer Form. Symptom für diese Sachlage war auch, dass ihre bis Ende 1922 erscheinende Monatsschrift "Im Deutschen Reich", ab 1923 in eine Wochenschrift umgewandelt wurde unter einem anderen Titel. Sie nannte sich nunmehr CV-Zeitung. Wobei das CV als Abkürzung für "Central Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" diente. In der Nr. 28/1923 der "CV-Zeitung" ging der Rabbiner Dr. M. Salomonski auch auf das Bibelforscherthema ein. Aus seinen Ausführungen sei das nachfolgende zitiert:

"Seit etwa drei Jahren gehen uns von Freunden aus dem ganzen Reiche Mitteilungen über Versammlungen zu, die die Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher abhält. Da der Central-Verein bisher der Ansicht war, dass die Streitigkeiten um diese christliche Sekte die Judenheit nichts angehen, so hat er trotz vieler Angriffe und Verdächtigungen geschwiegen. Infolge verschiedener Vorgänge der letzten Zeit erscheint es nunmehr zweckmäßig, alle Freunde der Wahrheit über die Bewegung kurz aufzuklären und uns gegen die Verleumdungen der Judengegner, die die Judenheit mit der Internationalen Vereinigung Ernster Bibelforscher fortgesetzt in Zusammenhang bringen, zu wehren.

Wenn unsere Widersacher recht hätten, dann haben religiöse und politische Beweggründe, der geplante Sturz der Kirche und die Thronerhebung des Bolschewismus die Juden in Amerika und der ganzen Welt veranlasst, die Agitation der Ernsten Bibelforscher zu unterstützen und unter Aufwendung großer Geldmittel sogar zu gründen. Ein angeblich jüdisches Bankhaus soll die weitverzweigte Institution, deren Schöpfer Charles Taze Russell, ein 'rassenbewußter Jude' genannt wird, speisen. … Gegenüber diesen Phantasien ergeben die Untersuchungen des bekannten Hallenser evangelischen Professors Geheimrat D. Dr. Friedrich Loofs, ganz andere Tatsachen.

In Deutschland ist Russell predigend, kurz vor dem Kriege als moderner Apostel aufgetreten, der kaufmännisch, mit dem umfangreichen Büro eines Warenhausmagnaten und Preislisten arbeitete.

Wir werden nun die Ernsten Bibelforscher mit dem Judentum zusammengebracht? Obwohl sie, wie die überwiegende Mehrzahl aller Juden, Revolution, Gewalt und Anarchismus glatt ablehnen, werden sie als Bolschewisten abgestempelt, die in jüdischem Solde stehen. Und fragt man nach dem Schatten eines Beweises, dann berufen sich die Interpreten auf das jüdische Bankhaus Hirsch in New York, dessen Existenz uns bis jetzt unbekannt ist. Aber selbst wenn es bestände, warum soll es möglicherweise nicht auch Geld christlicher Bibelforscher verwalten? Vertraut doch sogar mancher völkischer Edelling sein Geld beruhigter sogenannten Judenbanken an!

Und nun setzt eine merkwürdige Kampfgemeinschaft gegen uns ein, zu der gewisse kirchliche und kirchenfeindliche deutsche Kreise deutschvölkischer Prägung sich treffen. Beiden ist anscheinend auffällig und unerwünscht, dass die Vereinigung Ernster Bibelforscher sich ziemlich abseits von dem großen Kesseltreiben gegen die Juden hält und auf ihre in Palästina schneller erhoffte Bekehrung zum Christentum vertraut. Darin wittern die sonderbaren Verbündeten eine große Gefahr

Darum ein Wort an die, welche der Einsicht ihr Ohr nicht verschließen. Es gibt dogmatisch keinen größeren Gegensatz als Judentum und Ernste Bibelforscher!

Damit dieser Darlegung der heitere Ausklang nicht fehle, sei erwähnt, dass Hans Lienhardt in seiner Broschüre 'Ein Riesenverbrechen' usw. auch den katholischen Jesuitenorden als ein von jüdischer Seite gespieltes Instrument bei der Durchführung der Bibelforscher-Ideen bezeichnet. Um so verwunderlicher wirkt dann, wenn der katholische Geistliche Fritz Schlegel für sein umfangreiches Buch 'Die Wahrheit über die Ernsten Bibelforscher' das Imprimatur erhalten hat. Denn auch er behauptet, dass wir Juden hinter den Bibelforschern stehen, und enthüllt zwar keinerlei Wissenschaft, aber einen bösen Hass, dem die zum Segnen berufene Hand das Siegel der Billigung aufdrückte.

'Nur tief erschrocken', um Schlegel zu zitieren, kann man diesen wütenden Hass betrachten, der nicht zu überbietenden Oberflächlichkeit in ihm und allen anderen judenfeindlichen Gegnern dieser Sekte. … Mit Entrüstung weisen wir Juden den verwerflichen Versuch zurück, unbequeme Irrlehren uns in die Schuhe zu schieben und ihre rein christlichen Verfechter uns aufzuhalsen."

Im Goldenen Zeitalter gelesen - Eine Zeitreise (1923)

Der nächste Jahrgang   1924)

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