Der vorangegangene Jahrgang   1920

Vor (mehr als) 50 Jahren

Was 1921 Wahrheit war

Bibel lesen - "nicht zu empfehlen"

Bereits im Wachtturm (1919 S. S. 58) war jener flotter Spruch Russells abgedruckt:

"Ferner, wir finden nicht nur, dass die Leute den Göttlichen Plan nicht sehen können, wenn sie die Bibel allein studieren sondern wir sehen auch, dass, wenn jemand die Schriftstudien beiseite legt, nachdem er sie gebraucht hat, nachdem er wohl bekannt geworden ist, nachdem er sie zehn Jahre gelesen hat, wenn er sie dann beiseite legt und sie ignoriert und zur Bibel allein geht, obwohl er seine Bibel zehn Jahre lang verstanden hat, unsere Erfahrung zeigt, dass er binnen zwei Jahren in die Finsternis geht."

Sie nannten sich zwar Bibelforscher, indes wie es um dieses "Bibelforschen" auch zu Rutherford's Zeiten bestellt war, macht auch jene Fragenbeantwortung im "Wachtturm" (1921 S. 187) deutlich:

"Frage. Ist es am ratsamsten, wenn wir uns zum Beröer-Studium versammeln, jedesmal vor Beginn der Stunde ein Kapitel aus der Bibel zu lesen?

Antwort: Wir glauben, dass für ein Beröer-Studium - wenn richtig betrachtet - die in Band VI Kap. 6 gegebenen Anregungen die Vorteilhaftesten sind. In Anbetracht der für die Versammlungen angesetzten knappen Zeit können wir das Lesen eines Kapitels der Bibel nicht das Wort reden".

Die knappe Zeit sollte besser anderweitig verwandt werden. Wie? Auch darüber berichtet der "Wachtturm" (1921 S. 2):

"Im Januar ist voraussichtlich die Broschüre fertig 'Millionen jetzt Lebender werden niemals sterben'. Dann beginnen unsere fähigsten Brüder mit öffentlichen Vorträgen über dasselbe Thema. Wichtig ist nach dem Vortrag weiteste Verbreitung der Broschüre. Deshalb beginnt sofort in der betreffenden Stadt ein Kolporteur-Werk. Nicht nur Berufskolporteure, sondern alle Brüder und Schwestern, die sich für gewisse Tagesstunden in diesem Dienste bereitstellen, nehmen gleich nach dem Vortrag diese Arbeit auf. Die Stadt wird in Bezirke geteilt, und ein jeder sucht in möglichst kurzer Zeit den Bezirk durchzukolportieren. Wir stellen der betreffenden Persönlichkeit eine Bescheinigung aus, aus der hervorgeht, dass diese Arbeit nicht erwerbsmäßig geschieht, sondern in Verfolgung eines gemeinnützigen Zweckes. Je schneller nach dem Vortrage desto erfolgreicher die Arbeit. Wo keine freiwilligen Kolporteure sind, wollen wir versuchen, einige Berufskolporteure zu senden. …

Jeder Abnehmer einer Broschüre wird (unauffällig) notiert … Die Adressen werden später besucht und zu Nachvorträgen und folgendem Bibelstudium eingeladen. Es wird alles ein leichtes und spielendes Arbeiten sein, wenn die Reklame gut ist...."

Zu den Besonderheiten der Rutherford-Schrift von den "Millionen jetzt Lebender die niemals sterben werden", gehörte auch die 1925-Verkündigung, die nachfolgend noch etliche Bibelforscher "aus dem Häuschen geraten" ließ. So hatte Rutherford darin auch die These aufgestellt:

"Da andere Schriftstellen der Tatsache bestimmt Ausdruck geben, dass eine Auferstehung Abrahams, Isaaks, Jakobs und anderer Treuen des alten Bundes stattfinden wird, und das diese die erste Gunsterweisung empfangen werden, können wir erwarten, im Jahre 1925 Zeuge zu sein von der Rückkehr dieser treuen Männer Israels aus dem Zustande des Todes, indem sie auferweckt und zur vollkommenen Menschlichkeit wiederhergestellt sein werden, um die sichtbaren gesetzlichen Vertreter der neuen Ordnung auf Erden zu sein. … Der Beginn des großen Jubeljahrzyklus ist mit dem Jahre 1925 fällig. Zu jener Zeit soll die irdische Phase des Königreiches vorhanden sein". Man vergleiche auch:

Dokument der heiligen Einfalt

Offensichtlich waren nicht alle über diese Art von Aktivitäten besonders erfreut, denn der "Wachtturm" (1921 S. 147) notierte auch:

"Einer der Pilgerbrüder schreibt uns, dass er gelegentlich Unzufriedene findet, welche Klagen gegen die Gesellschaft vorbringen wegen des Versuches der Gesellschaft, die Freunde zu allgemeiner eifriger Mitarbeit im Kolportagewerk anzuspornen, was von einigen als 'Treiben' bezeichnet wird, aber richtiger organisiertes energisches Bemühen zur Verkündigung der Botschaft vom Königreiche genannt werden sollte. Jene, welche so klagen, bestehen darauf, dass solch ein Verfahren dem entgegen sei, was Pastor Russell verfolgte und das er niemals die Freunde angetrieben habe, im Dienste tätig zu sein.

Zu den registrierenswerten Vorgängen der Jahre 1920/21 gehört auch der Europabesuch von Rutherford. Ein Pass für Deutschland zu erlangen, war ihm zu jenem Zeitpunkt nicht möglich. Und so agierte er im November 1920 von Basel (Schweiz) aus, wohin insbesondere auch 26 führende deutsche Funktionäre der Bibelforscher beordert wurden. Für den bis dato amtierenden deutschen Wachtturm-Redakteur Max Cunow, der noch von Russell maßgeblich geprägt war, war es das Ende seiner Amtsstellung. Offenbar hatte Cunow schon früher "die Nase voll"; denn in der August-Ausgabe 1920 des "Wachtturms" wurde er letztmalig als Schriftleiter genannt. Ab September 1920 vermerkt das Impressum nebulös "Redaktion: Wachtturm Bibel und Traktat-Gesellschaft". Ab 1921 trat dann der Name des Paul Balzereit in Erscheinung. Rutherford fand es offenbar angebracht, die verantwortlichen Posten im deutschen Zweig seiner Organisation mit jungen Leuten zu besetzen, weil er sich so erhoffen konnte, selbige besser gängeln zu können. Damit schlug die Stunde des Paul Balzereit den Rutherford zum Nachfolger des Cunow ernannte. Nicht ohne hinzuzufügen, dass er (vorerst) seinerzeit von dem Amerikaner C. C. Binkele, der in der Schweiz als Leiter des "Zentraleuropäischen Büros" ernannt wurde, abhängig sei.

Hans Lienhardt

Den Auftakt in der publizistischen Hetze gegen die Bibelforscher (jede andere Wort als Hetze wäre sicher unangemessen) machte nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg ein gewisser Karl Weinländer, der unter anderem auch unter dem Pseudonym "Hans Lienhardt" agierte. Schullehrer will er gewesen sein. Nun denn, seine Schüler können einem noch heute leid tun. Aber in gewisser Hinsicht war er durchaus repräsentativ. Er verkörperte alle einschlägigen Ressentiments jener Tage.

Die erste Auflage seines Pamphlets mit dem programmatischen Titel "Ein Riesenverbrechen am deutschen Volke und die ernsten Bibelforscher" leitet er schon mit der Behauptung ein:

"Es ist nun recht seltsam, dass seit jener verhängnisvollen übereilten Revolution und Waffenstreckung in Deutschland eine Sekte sich bemerkbar macht, welche das deutsche Volk zu noch törichteren Schritten verleiten will und die mit denselben notwendig kommenden schrecklichen Schicksale im Voraus als gottgewollt und in der Bibel prophezeit hinstellte."

Hier haben wir sie also schon, seine Grundeinstellung. Es gab zum Missvergnügen von Lienhardt und Konsorten keinen "Siegfrieden". Der Waffenstillstand war in seiner Sicht "übereilt". Ob er selbst denn in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges gelegen hat, darüber verliert Lienhardt kein Wort. Man mag es mit gewichtigen Gründen bezweifeln. Aber er hat sicher seinen Teil auch beigetragen, um ein Bibelforscherwort aufzunehmen, indem er seine Schüler in die Schützengräben hineingepredigt hat. Heinrich Mann hat ja solchen Kreaturen wie dem Lienhardt, in seinem Roman "Der Untertan" ein bleibendes "Denkmal" gesetzt. Da kann man nämlich auch solche "Volkserzieher" "bewundern", die andere in die Schützengräben hineinpredigen.

Es wäre müßig, alle unwahren Detailbehauptungen von Lienhardt jetzt hier im Detail "aufzuspießen". Sein Pamphlet ist reich damit "gesegnet". Es kann jetzt hier nur darum gehen, die entscheidenden Grundlinien zu skizzieren. Und eine solche ist, dass auch er sich als glühender Gläubiger, des just zu jener Zeit auch auf den deutschen Markt verbreiteten antisemitischen Pamphlets "Protokolle der Weisen von Zion" erweist. Bei Lienhardt liest sich das so:

"Ich höre den entsetzten Leser fragen: 'So wäre denn alles, was uns dieser Jude Russell und seine 'Ernsten Bibelforscher' vormachen, Schwindel? Gewiss! Noch mehr! Ein fein ausgedachter Plan des Weltjudentums zur Erlangung der Weltherrschaft."

Lienhardt weiß denn auch prompt eine abenteuerliche Variante zu präsentieren, wie denn in seiner Lesart die "Protokolle der Weisen von Zion" auf den deutschen Markt gelangt sein sollen. Dem Sachkenner dreht sich bei diesen falschen Behauptungen allerdings buchstäblich der Magen um. So behauptet denn der Märchenerzähler Lienhardt allen Ernstes:

"Da schrieb z. B. ein jüdischer Rabbiner namens Ascher Ginsberg für die Zionistenversammlung in Basel 1897 einen Plan zur Erlangung der Weltherrschaft durch die Juden. Eine nach Frankfurt a. M. gesandte, vermutlich für die jüdische Freimaurerloge 'Zur aufgehenden Morgenröte' bestimmte Abschrift des Planes und des Sitzungsberichts konnte durch Bestechung des Kuriers von Geheimagenten der russischen Regierung abgeschrieben werden. Die Abschrift wurde von dem russischen Professor Nilus, einem hochgeachteten Gelehrten, veröffentlicht. Bezeichnend ist, dass die jüdisch-russischen Bolschewisten alle erreichbaren Exemplare seines Werkes verbrannten. Etliche gelangten in die Hände des Verlages 'Auf Vorposten' in Charlottenburg, der durch Gottfried zur Beek eine deutsche Übersetzung unter dem Titel 'Die Weisen von Zion' besorgen ließ".

Von jenem Pamphlet lebt die gesamte Lienhardt-Schrift. Aus den "Protokollen" zitiert er denn in der Folge reichlich und wendet dies selbstredend auf die Bibelforscher an. Es wäre ein Fehler zu meinen, dass der Ulrich Fleischhauer mit seinem Kompagnon Hans Jonak von Freyenwald, die in den 30-er Jahren auch Furore mit den "Protokollen" machten. Das die da "neues" offeriert hätten. Mitnichten. Schon Lienhardt hatte das alles vorgekaut.

Bei Lienhardt kann man beispielsweise in Zitierung und Kommentierung der "Protokolle" lesen:

"'Wir erscheinen gewissermaßen den Arbeitern als Retter aus der Knechtschaft und schlagen ihnen vor, in die Reihen unseres Heeres von Sozialisten, Anarchisten und Kommunisten einzutreten. Diese Richtungen und Parteien unterstützen wir grundsätzlich und täuschen der Arbeiterschaft einen allgemeinen Gesellschaftsdienst im brüderlichen Sinne (Kommunismus) vor.'

'Unsere Hauptstützen sind die von uns beherrschten Freimaurerlogen. Sie müssen unser Feldgeschrei: 'Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit' verbreiten, den vaterländischen Gedanken zerstören und den internationalen fördern.'

Und euch ihr 'ernsten Bibelforscher', ist eine besondere Rolle ausgedacht: Ihr sollt dem deutschen Volke weismachen, die Wirkungen des schauerlichen jüdischen Weltverbrecherplanes seien ein vorbestimmter 'Plan Gottes' und 'göttliche Harmonie', und der von den Juden eingesetzte Weltkönig sei der verheißene Messias, der wiederkommende Christus und der jüdische Weltsowjetstaat sein tausendjähriges Gottesreich!

Ihr ernsten Bibelforscher seid zum Werkzeug des Werkzeug des Weltjudentums bestimmt und sollt einstweilen die Schulen und Universitäten schlecht machen, die Kirche untergraben, das deutsche Volk auf das Erscheinen des jüdischen Weltkönigs vorbereiten und ihm göttliche Ehre erweisen. Vergleicht und ihr werdet die Russellschen Lehren Zug um Zug in dem jesuitisch jüdischen Verbrecherplan wiederfinden! …

Russell musste als einer der offenbar in die Pläne des Judentums Eingeweihten genau wissen, dass der Weltkrieg vom Weltjudentum seit Jahrzehnten von langer Hand vorbereitet und sein Ausbruch auf Sommer 1914 bestimmt war. Infolgedessen konnte er auch leicht prophezeien, dass die Zeit der Drangsal und des Messianischen Weltreiches 1914 beginnen würde. Seine Berechnung der Zahl 1914 aus der Bibel ist nur ein Taschenspielerkunststück, darauf berechnet, und leichtgläubige Christenmenschen die vom Weltjudentum herbeigeführten schrecklichen Ereignisse, die nach ihrem Verbrecherplane kommen mussten, als Weltenplan Gottes erscheinen zu lassen.

Der 9. November 1918 brachte die vom Judentum schon längst vorbereitete Revolution, dass größte Verbrechen aller Zeiten am deutschen Volke. Die Juden um Kohn, Haase und Landauer und ihren Genossen rühmten sich laut und öffentlich, sie gemacht zu haben. Die Folge war der übereilte Abschluss des Waffenstillstandes, den wiederum ein Jude, der getaufte Erzberger unterschrieb, und zwar mit lächelndem Munde und ohne ein Wort des Widerspruches."

Es ließen sich noch mehr solche und ähnliche Äußerungen aus der Feder von Lienhardt zitieren. Sie offenbaren allesamt eines: Lienhardt war ein politisch denkender Mensch. Er gab zwar vor auch Christ zu sein. Letzteres kann jedoch mit Fug und Recht als aufgestülpte Maskerade bezeichnet werden. Um es akzentuierter zu formulieren.

Wenn es nach dem Politiker Lienhardt gegangen wäre, dann hätten wir in Deutschland noch heute eine Monarchie. Mehr noch. Das Ständesystem bestände unangefochten. Die "Blaublütigen" und die wenigen von ihnen auserwählten bürgerlichen Chargen hätten das sagen. Der Rest hätte zu schweigen, zu arbeiten und keinerlei Ansprüche zu stellen. Versteht sich, auch auf religiösem Gebiet. Eine Organisationsstruktur, wie etwa bei den Bibelforschern, ohne Hauptamtliche in den örtlichen Versammlungen, wäre auch für Lienhardt ein "Sakrileg". Oder um es mit einer Episode aus dem Roman "Der Narr in Christo. Emanuel Quint" von Gerhart Hauptmann wieder zugeben:

"Bete und arbeite, heißt es, mein lieber Sohn. Gott hat die Menschen in Stände geteilt. Er hat einem jeden Menschen nach seinem Stand und seinen Bildungsgrad in ein Amt gesetzt. Das meinige (als Pfarrer) ist, ein berufener Diener Gottes zu sein …"

Bekanntlich hielten sich die Bibelforscher nicht an dieses Ständesystem. Das aber nur nebenbei.

Zu seinem großen Missvergnügen musste auch Lienhardt registrieren, dass die politische Entwicklung in Deutschland einen ganz anderen Weg eingeschlagen hatte, als den, den er aus seiner Interessenlage für richtig hielt. Bezeichnend auch sein vielsagender Satz vom angeblich "voreilig abgeschlossenen Waffenstillstand".

Da die politische Entwicklung so ganz andere Wege ging, als er und seine "blaublütigen" Inspiratoren sie sich wünschte, musste ein Sündenbock her. Er fand ihn ohne Zweifel in den Bibelforschern.

Etwas lehrt der Fall Lienhardt noch. Das was die Bibelforscher/Zeugen Jehovas in ihrer religiösen Einfalt, als "Welterklärung" offerieren, ist für politisch denkende Menschen, zu allen Zeiten (nicht nur beim Fall Lienhardt) Null und nichtig. Politisch denkende Menschen fragen nach den politischen Implikationen des Tun und Lassens der Bibelforscher/Zeugen Jehovas. Was die für die "blaublütigen" Politiker des Ersten Weltkrieges waren, hat der Fall Lienhardt zur Genüge gezeigt.

Bei der nächsten Politikergeneration (namentlich des Nazismus) war ebenfalls das nicht Einstimmen in den nationalistischen Chor eine entscheidende Prämisse.

Bei ihren Nachfolgern, die sich da als "Kommunisten" betitelten, war es die Erkenntnis, dass Zeugen Jehovas-Verhalten nutzt den verhassten "amerikanischen Imperialismus" weit mehr als der eigenen Interessenlage.

Und selbst die heutige freiheitliche Bundesrepublik kam zu dem richterlichen Ergebnis. Ein Staat im Staate sein (etwa dokumentiert durch das Nichtwählen), ist zwar vom Grundgesetz her toleriert, reicht jedoch nicht aus um für weitergehende Ansprüche, etwa als "Körperschaft des öffentlichen Rechts" eine tragfähige Grundlage zu bilden.

Exkurs

„Moses als Pulverfabrikant"
Im „Goldenen Zeitalter" gelesen - Eine Zeitreise
Die Magdeburger Ausgabe des „Goldenen Zeitalters" vom 15. 5. 1929, ist sauer auf ein Buch, welches zu ihrer Kenntnis gelangte. Diese Verstimmung bringt sie dann auch mit den Sätzen zum Ausdruck:
„Mose als Pulverfabrikant
Weil sie unfähig sind, irgend etwas Vernünftiges zu schreiben, und weil die kranken Hirne ihrer in genasführten Nachfolger immer wieder nach auffälligen Dingen verlangen, welche die tote Ode ihrer armen Seelen etwas erheitern, findet man gelegentlich in jenem Teil der Presse, dem „das Kreuz zum Haken" geworden ist, Berichte unter obiger Überschrift wiederkehren. Diese Berichte haben natürlich den ausgesprochenen Zweck, die Bibel zu zerstückeln oder lächerlich zu machen. In Sonderheit ist jenen Schmierpinseln der Feder immer das alte Testament ein Dorn des Anstoßes, und wenn sie es bekämpfen und als ein Buch aufgelegten Schwindels hinzustellen versuchen, so scheint ihnen dabei zu entgehen, dann dass sie damit auch das Neue Testament und die Worte der Apostel, ja sogar die Worte Jesu diskreditieren und verächtlich machen. Von einem Leser des „Goldenen Zeitalters" wird uns die Beilage zur Rhein-Ems-Zeitung gesandt, wo wieder einmal unter obiger Überschrift zu diesem Zweck ein Unfug aufgelegt wird, zu welchem man sich nur fragen muss, wie es überhaupt eine Tageszeitung wagen kann, ihren Lesern ein solches Gemisch wilder Phantasie und Spekulation vorzulegen. Alle Berichte des alten Testamentes über geschehene Wunder, die Vernichtung der Heere Pharaos am Roten Meer, der Einsturz der Mauern Jerichos und so weiter, löst dieser Phantast einfach, in dem er schlankweg behauptet Mose habe schon das Schießpulver gekannt."

Nun ist die dem zugrunde liegende Pamphlet-Schrift in der Tat eine der Art, wo sich allen seriösen Forschern, „eher die Zehennägel hochkräuseln", als dass sie selbige „ernst" nehmen könnten.
Nur leider muss man registrieren, in Vergangenheit und Gegenwart (in der Gegenwart etwa insbesondere in der Esoterikszene, und nicht selten mit ihr eng verwoben, der Weltverschwörungszene), dass kaum eine These abstrus genug sein kann, um nicht dennoch gläubige Jünger zu finden. Das war nun, zurückprojektiziert auf die 1920er Jahre, offenbar schon damals ähnlich.

Man steht vor einer Weggabelung, soll man diese Spinnereien nun als das belassen, was sie sind, und einfach zur Tagesordnung übergehen? Oder muss man sich nolens volens bemühen, doch noch ein paar mehr Sätze dazu zu sagen?
Offenbar ist letzteres durchaus angezeigt, wofür auch der Umstand spricht, das jenes Pamphlet (wenn auch nur in sehr beiläufiger Form, als unbedeutende Zitierung) selbst schon in Englischsprachiger Literatur ihre Miterwähnung gefunden hat. Etwa in Penton's „Jehovah's Witnesses and the Third Reich".

Und noch etwas wird man sagen müssen. Der Verfassername „Jens Jürgens" ist ein Pseudonym.
Ausweislich der Kataloge der Deutschen Bücherei Leipzig steht fest, wie sein Klarname lautet:
Karl Weinländer.
Und noch etwas steht fest. Besagter Herr Weinländer hat noch einiges anderes publiziert, gleichfalls unter Pseudonymen. Zur Galerie seiner Pseudonynamen gehören auch noch die:
Hans Lienhardt
Hermann Wieland.
Friedrich Dollinger

Und spätestens bei dem Namen „Lienhardt" wird dem Sachkenner sofort klar. Der Zeugen Jehovas-Bezug ist gegeben. „Lienhardt" wurde schon kritisch kommentiert. Es ergibt sich, dass analoges auch im Fall „Jens Jürgens" angezeigt ist.

Erwähnt sei auch, dass meinerseits schon früher diese „Jens Jürgens"-Schrift einmal kommentiert wurde. Siehe dazu etwa
Weinlaender.pdf
Ergänzend auch
Elektrizitaet
Und noch etwas muss man mit dem Ausdruck des Bedauerns feststellen. Je abstruser gewisse Thesen, um so mehr „klingeln" bei den hinter ihnen stehenden Protagonisten die Kassen. Das weis man - ebenfalls mit dem Ausdruck des Bedauerns
zwar auch aus der Gegenwart.

Aber eben auch in den 1920er Jahren war es offenbar nicht viel anders. Für diesen Umstand spricht auch, dass die „Jens Jürgens"-Schrift mehrere Auflagen erlebte.
1921 erstmals erschienen als magere Broschüre von 32 Seiten Umfang, steigerte sie sich, in dem deren 9. Auflage (1937) schon mal einen Umfang von 100 Seiten hatte.

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Die Auflage von 1921 macht aus ihrem Hetz-Herzen schon mal keine Mördergrube, indem sie zu wissen vermeint (S. 3)

„Im deutschen Volke ist die Erkenntnis erwacht, daß es sein ganzes Elend dem internationalem Judentum zu verdanken hat."

Auch die Veränderungen des Untertitels jener Schrift sind beachtlich.
1921 wollte selbiger lediglich einen „2500jährigen Weltbetrug" aufdecken.
In der 9. Auflage hingegen glaubt man schon Moses als „Räuberhauptmann und Erzbolschewist" erkannt zu haben.

Nicht uninteressant. Auch Herr Hitler vertrat in der von einem seiner damaligen Intimusse herausgegebenen Schrift „Der Bolschewismus von Moses bis Lenin", eine ähnliche These!
So schließt sich auch in dieser Beziehung der Kreis!
Siehe den Ausriss aus einer Hitler'schen Pamphlet-Schrift:

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Anmerkung: Wenn Hitler in seiner Polemik auch besonders auf Sachsen abstellt, so muss das auch in dem Kontext gesehen werden, zu jener Zeit hatte Dresden die - weltweit - größte Versammlung von WTG-Hörigen. Schon davor erwies sich Sachsen als ein Einfallstor für Freikirchliche Kreise. Die Methodisten etwa, sind in dieser Region verhältnismäßig stärker als in anderen deutschen Regionen vertreten. Die Methodisten sind aber länger in Deutschland vertreten als die „Bibelforscher". Letztere profitierten von den bereits durch freikirchliche Kreise „aufgeweichten Boden", der ihnen eben jene Dominanz etwa in Dresden, oder auch im Vogtland ermöglichte, zu einer Zeit, wo der WTG andernorts, nur ein „steiniger Acker" begegnete.
Zu den regionalen Unterschieden in Deutschland, die Religionszene betreffend, kann man als weiteres exemplarisches Beispiel auch auf Schleswig-Holstein verweisen. Dort saßen die „frühen Nazichristen", eben wegen ihrer betont-nationalistischen Ausrichtung, besonders fest im Sattel. Exemplarische belegt auch in einem Aufsatz von Reimar Möller in Band 114 (1989) der „Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte". Möller stellt schon in der gewählten Überschrift seines Aufsatzes auf eine „Agrarisch-Kleinstädtische Region" ab, mit genannten Resultaten.
Man vergleiche als exemplarisches Beispiel auch einen frühen Hetzartikel aus dem „Landboten für Schleswig-Holstein".

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Die kommunistische Bibelforscherpest

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Sachsen ist dazu - soziologisch - auch ein Gegenpol.
Zurückkehrend zum Haupthema dieser Betrachtung.
In der 9. Auflage zitiert dieser „Jens Jürgens" auch aus den Vorworten seiner vorangegangenen Auflagen. So liest man etwa, aus dem Vorwort der 7. Auflage den durchaus charakteristischen Satz:

„Die Astrologisch-politische Rundschau veröffentlichte 1933/34 unter dem Titel „Die Rache der Pharaonen" eine Reihe von Artikeln, die sich auch mit des Mosesgeschichte befassen und ganz auf dem Boden unseres Buches stehen."

Damit gibt er denn wohl selbst einen Fingerzeig, wie sein Gewäsch einzuschätzen ist!
Eine Kostprobe aus seinen Absurditäten etwa die Seite 25 der 9. Auflage

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Das er nun - nach 1933 - auch „Morgenluft" zu wittern vermeinte, zeigt unter anderem die Seite 86 der 9. Auflage

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Nun, nachdem ja sein gelobtes „Naziparadies" angebrochen war, hatte er auch keine Skrupel mehr, sein seinerzeitiges Pseudonym „Lienhardt" selbst aufzulösen, wovon auch die Verlagsreklame in der 9. Auflage kündet.

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Weitere Ausführungen zu Lienhardt im Kapitel 7 des Buches "Geschichte der Zeugen Jehovas".

Neue Preußische Zeitung (Kreuz-Zeitung)

Die "Neue Preußische Zeitung (Kreuz-Zeitung)" war zwar ein politisches Presseorgan, zugleich aber auch eins, das den Belangen der evangelischen Kirche im besonderem Maße Rechnung trug. Unausgesprochen trauerte man auch dort der formalen Aufhebung des Staatskirchentums nach. Es war für diese Kreise eine Selbstverständlichkeit, stramm nationalistisch orientiert zu sein. Den Ersten Weltkrieg hatte man ideologisch mitgetragen einschließlich der Forderung, dass für diese Kreise nur ein "Siegfrieden" akzeptabel sei. Letzterer blieb allerdings aus und so schloss man sich dem Chor der Trauerarbeit an, die andere für das Missgeschick verantwortlich machten. Eine kritische Überarbeitung der eigenen bisherigen Position - auch für diese Kreise undenkbar. Wenn schon wenige Jahrzehnte später ein Hitler all die Ressentiments erneut aufnehmen konnte, so kann sich auch die "Neue Preußische Zeitung (Kreuz-Zeitung)" "zugute" halten, mit zu seinem indirekten Steigbügelhaltern zu gehören. Zwar nicht unbedingt im rein formalem Sinne, aber sehr wohl in ideologischer Hinsicht (mit der einen Einschränkung vielleicht, dass der von Hitler praktizierte Antiklerikalismus auch nicht im Sinne der "Neuen Preußischen Zeitung (Kreuz Zeitung)" lag.

Am 26. 1. 1921 veröffentlichte nun jenes Presseorgan einen programmatischen Artikel über die Bibelforscher von einem gewissen Conrad Bornhak. Letztendlich findet man in diesem frühen Beitrag schon all jene Ressentiments wieder, die auch nachfolgend in der Beurteilung der Bibelforscher durch politisch orientierte Kreise eine gewichtige Rolle spielten. Also schon Bornhak schrieb damals:

"Nach dem Niederbruche der äußeren Macht des deutschen Volkes, kann seine Wiedergeburt nur von innen heraus, durch ein neues Erstarken deutschen Geistesleben zur weltüberwindenden Macht erfolgen. So lange uns diese inneren Güter bleiben, können wir, wenn auch Schmerz erfüllt, von den äußeren Machtmitteln mit dem deutschen Reformator sagen: 'Lass fahren dahin, dass Reich muss uns doch bleiben.' Dieses Wiedererstarken deutschen Geistes ist das einzige, was unsere Feinde und die mit ihnen verbündeten internationalen Kräfte im inneren dermalen noch zu fürchten haben. Deshalb gilt es für sie, hier die Axt an die Wurzel zu legen um Deutschtum und Christentum von innen heraus zu vernichten. Seit einiger Zeit macht sich mehr und mehr eine Gemeinschaft geltend, die sich harmlos 'Vereinigung ernster Bibelforscher' nennt … In großen öffentlichen Vorträgen natürlich mit Lichtbildern, die halb einen wissenschaftlichen Anstrich haben, halb auf das religiöse Gefühlsleben spekulieren, sucht sie die Massen zu gewinnen, in ständigen Versammlungen kleinere Kreise der damit Gewonnenen dauernd zu fesseln. Sie bestreitet entschieden, eine neue Sekte zu sein, sondern will Christen aller Bekenntnisse um sich sammeln, und zwar auf Grund von Glaubenssätzen, die sich mit keinem der christlichen Bekenntnisse decken. Sie ist also doch eine neue Sekte. … Wesentlich alttestamentlich zionistisch gefärbt trägt sie sich mit Milleniumshoffnungen auf das nahe Bevorstehen des Gottesreiches auf Erden, dass sie hauptsächlich aus den Schriften des alten Testaments, zumal der Propheten - das ist der Gegenstand der angeblich ernsten Bibelforschung - nachzuweisen sucht. In diesem ewigen Reiche werden die Erwählten gut abschneiden und zur ewigen Seligkeit gelangen, während alle anderen zum ewigen Tode verdammt sind. Deshalb kommt in die Vereinigung ernster Bibelforscher! Es kostet auch nichts, wie ausdrücklich versichert wird.

Der ganze Humbug ist natürlich amerikanischen Ursprungs, was wohl kaum besonders hervorgehoben zu werden braucht. Begründer der Sekte - denn um eine solche handelt es sich trotz allen Bestreitens - war der Pastor Charles Taze Russell … Seine Anschauungen sind niedergelegt in einem siebenbändigen Werk 'Schriftstudien' … Entsprechend den sieben Gemeinden der Offenbarung hat Gott nacheinander sieben Verkünder seines Werkes erweckt. Paulus, Arius, Petrus Waldus, Wicliff, Huß, Luther und Russell - nur die Lumpe sind bescheiden -, nach Russell kommt keiner mehr, sondern das ewige Reich naht heran. Wer sich jetzt noch dafür ausgibt, ist eben ein falscher Prophet. Dahin gehören namentlich die Geistlichen der bestehenden Kirchen, da sie angeblich alle nicht glauben, was sie sagen.

Nicht nur für den wissenschaftlich gebildeten Theologen evangelischen wie katholischen Bekenntnisses, sondern auch für jeden Laien, der seine Konfirmanden- oder Kommunionunterricht einigermaßen mit Aussicht auf Erfolg besucht hat, bedarf es keiner näheren Ausführung, dass es sich um hellen Blödsinn, um die Ausgeburten eines kranken Gehirns handelt, die mit dem Christentum und der Bibel nichts mehr zu tun haben. Wunderbar ist dabei nur, wie niedrig dabei der geistige Standpunkt der Anhänger eingeschätzt wird, wenn wir z. B. ganz ernsthaft gemeinte Erzählungen über die Entstehung der Riesen finden, die aus der Paarung von auf der Erde wandelnden Engeln mit schönen Frauen entstanden sein sollen. Wie ungalant dabei die Engelhaftigkeit für die männliche Seite in Anspruch zu nehmen. Es ist eben eine alte Erfahrung: Man kann die Menschen nicht für dumm genug einschätzen, es gibt immer noch welche, die sich als noch dümmer erweisen und auf die Sache hereinfallen. Die Schriften reden allerdings im Interesse des Bauernfanges immer davon, dass sie nur auf intelligente Leser berechnet sind. Doch die Sache hat einen sehr ernsten Hintergrund. Ein heißes religiöses Sehnen beginnt allmählich die Massen zu durchziehen, die an dem auf das rein weltliche gerichteten Materialismus der Sozialdemokratie keine Befriedigung finden. Der Kirche waren sie einmal entfremdet und konnten sich nur schwer zu ihr zurückfinden. Andererseits sind es religiös gebliebene Kreise, die Trost in Gottes Wort suchen. Hier setzt die Vereinigung der ernsten Bibelforscher ein. Durch die Sozialdemokratie war man gewöhnt, mit Wissenschaft und Forschung Fetischdienst zu treiben und den Materialismus als Ergebnis wissenschaftlicher Forschung auszugeben. Es muss also verfangen, wenn man auch den Milleniums-Blödsinn mit dem Mantel der Wissenschaft umhängt und als Ergebnis ernster Bibelforschung ausgibt. Das Ergebnis ist eine weitere Zersetzung und Zerklüftung unseres religiösen Lebens. Denn bei der Unvereinbarkeit der Lehre mit den Grundlagen des Christentums handelt es sich eben nicht darum, Christen aller Bekenntnisse um ernste Bibelforschung zu sammeln, sondern um Bildung einer neuen religiösen Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft ist nicht christlich, wenn sie sich auch dafür ausgibt und noch wohlwollend Christus als Gottes Sohn anerkennt. Dagegen trägt sie gleich den englisch-amerikanischen Puritanern stark alttestamentlich-jüdische Züge und hegt eine ausgeprägte Vorliebe für das auserwählte Volk. Das geht soweit, dass man bei einem flüchtigen Blick auf die Schriften der Vereinigung, auf den Gedanken kommen könnte, es handle sich um eine zionistische Vereinigung. Die Anhänger der Vereinigung sind jedenfalls ihrer religiösen Geistesrichtung nach mehr Juden als Christen.

Das führt auf den brennenden Punkt: Welchen Zwecken dient das ganze, mit so großer Reklame betriebene Unternehmen? Die Beteiligung kostet nichts, wird ausdrücklich versichert. Die Teilnehmer werden, wie sie arm an Geist, auch durchweg arm am Beutel sein und trotz aller Begeisterung an freiwilligen Gaben für das Unternehmen auch nicht viel einbringen. Also, wer bezahlt das Ganze? Zunächst natürlich die Amerikaner. Dass es sich die klugen Yankees so viel Geld kosten lassen, nur um einige deutsche Seelen für das Himmelreich zu gewinnen, ist natürlich ausgeschlossen.

Aber das Unternehmen dient der Zersetzung deutschen Geisteslebens, der Zerstörung deutschen Geistes von innen heraus. Das kann man sich schon einige Dollars kosten lassen. Dazu kommt noch etwas anderes.

Eine starke antisemitische Strömung durchzieht unser Volk bis tief in die Kreise der von ihren jüdischen Führern betrogenen Sozialdemokratie. Da ist es für das Judentum von unschätzbarem Werte, über eine volkstümliche Bewegung zu verfügen, die im wesentlichen jüdischen Geistes ist und in den Juden noch heute die Auserwählten Gottes sieht.

Das führt uns zum Schlusse. Die Vereinigung ernster Bibelforscher ist nichts anderes als ein amerikanisch-jüdisches Unternehmen, um deutschen und christlichen Geist von innen auszuhöhlen und damit die Grundlagen für Deutschlands Erneuerung zu vernichten. Die Bekämpfung einer solchen Gemeinschaft ist eine nationale Tat, und Schmach und Schande über jeden Deutschen, der im amerikanischen Solde Christentum und Deutschtum verleugnet."

Der nächste Jahrgang   1922

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