Annotationen zu den Zeugen Jehovas
Zur seelischen Gesundheit


Das Urteil der Autoren Kaiser/Rausch in ihrem Buch "Die Zeugen Jehovas. Ein Sektenreport" vorstehend.

"Zur seelischen Gesundheit von Zeugen Jehovas" nannte Jerry R. Bergman eine seiner Schriften. In ihr kommt er auch zu dem Resultat:
"Wenn Jehovas Zeugen von Beweisen für eine hohe Anzahl psychischer Erkrankungen in ihren Reihen hören, reagieren sie darauf im allgemeinen so, dass sie erstens die Fakten leugnen, zweitens versuchen, beschwichtigende Gründe aufzuführen, drittens die Motive der beteiligten Wissenschaftler in Frage stellen, und viertens das Problem einfach ignorieren und nicht konkret darauf eingehen."

Bergmans Studie im Detail zu lesen ist in der Tat sehr empfehlenswert. Sie ist jetzt auch im Internet zugänglich:
Vielleicht noch ein Zitat aus der Bergman-Studie:

"Den negativen Effekt der häufig üblichen Abschottung der Kinder gegenüber der Außenwelt fasst die ehemalige Bethelmitarbeiterin Barbara G. Harrison zusammen: 'Die 13 Jahre, in denen ich aktive Zeugin Jehovas war, haben mich genauso gut auf das Leben vorbereitet wie ein gleichlanger Aufenthalt in einer Skinner-Box am Nordpol."

Wenn man nun beklagt, das (extreme) Auswirkungen dieser Fehlerziehung auch zu unliebsamen Presseschlagzeilen führen, die man lieber nicht sehen möchte, dann gilt es aber hierbei auch Ursache und Wirkung nicht aus dem Auge zu verlieren.

Man mag die Darstellung der "Wirkungen" vielleicht nicht angenehm empfinden und sie lieber in "dezenterer" Art dargestellt wissen. Wo ist der Künstler der diese Kunst beherrscht?
Zur Chronistenpflicht gehört meines Erachtens auch das namhaft machen solcher Fälle. Nicht im Sinne der Schadenfreude, sondern in dem Sinne das im internen Erziehungsstil der Zeugen Jehovas durchaus einiges verbesserungswürdig ist. Auch dazu ein Zitat aus Bergman:

"Das Leben des Durchschnittszeugen führt auf vielfältige Weise zu emotionalen Problemen.
(1) extremes Beschäftigtsein mit leeren, routinemäßigen und langweiligen Tätigkeiten, die oft keine Erfolgserlebnisse bringen.
(2) Mangel an Zeit, sich mit freudebringender Erholung und Entspannung oder Hobbys zu beschäftigen.
(3) Die vielen Regeln und Gesetze sind für den durchschnittlichen Zeugen schwer vollkommen einzuhalten, so dass das 'unsichtbare Talmud' wiederholt gebrochen wird, doch die 'gewichtigeren Dinge des Gesetzes' kaum Beachtung finden.
(4) Niederes Selbstwertgefühl und das Gefühl, man sei zum Fehlschlag verurteilt, ganz gleich, wie sehr man sich anstrenge und wie erfolgreich die Bemühungen aus objektiver Sicht sein mögen."

Vielleicht gibt es kaum eine andere Religionsgemeinschaft, die einen so subtilen Druck ausübt, wie gerade die Zeugen Jehovas.
Im Diskussionsforum des InfoLink wurde neulich der Fall geschildert, wie der subtile Druck zum Predigtdienst bei den Zeugen Jehovas, für ein älteres Ehepaar der Anlass war, den Ausweg zu suchen: „Unbekannt verzogen".

Im gleichen Forum stritten sich zwei darüber, ob es möglich sei, bei den Zeugen Jehovas ein jugendgemäßes Leben zu führen, oder ob man gezwungen sei, sich von letzteren zu verabschieden.
Erklärte Zeugen Jehovas legten in diesem Forum großen Wert darauf festzustellen, dass in der Presse berichtete Kriminalfälle „nur" extreme Ausnahmefälle sein könnten.

Hingegen wurde gefragt, wieviele solcher angeblichen Ausnahmefälle denn wohl noch passieren müssten, um endlich zu erkennen, dass zwischen der heilen Welt in den WTG-Publikationen, mit den zu „streichelnden Löwen" und der Alltagspraxis eine abgrundtiefe Kluft besteht.

Man kann nicht umhin zu sagen: Es ist etwas grundsätzlich faul an der Erziehungspraxis der ZJ-Organisation. Dies offenbart sich immer dann in besonders signifikanter Weise, wenn man Fälle registrieren muss, wo ein Außenstehender objektiver Beobachter sagen würde: Der oder die Betroffenen hätten auch in anderen Konstellationen nicht zu übersehende Schwierigkeiten - und das nicht nur bei den Zeugen Jehovas.

Dem mag in der Tat so sein. Der gravierende Unterschied dabei ist nur, dass sie im Falle der Sozialisation durch die Zeugen Jehovas in besonders gefahrvolle Dimensionen potenziert werden.

Friedrich-Wilhelm Haack hatte mal seinerzeit einen in der Zeitung „Südwestpresse" vom 24. 6. 1980 veröffentlichten Artikel auch in Buchform dokumentiert. Er war überschrieben: „Die Tragödie im Hirrlinger Wald". Es handelte sich dabei um den Selbstmord von zwei jugendlichen Zeuginnen Jehovas. In der sich an diese Tragödie anschließenden journalistischen Ausleuchtung der Details und Hintergründe ist letztendlich auch eine grundsätzliche Infragestellung des Lebensstils und der Erziehungspraxis der Zeugen Jehovas zu erkennen.

Einige Zitate daraus: "Für die Teenager war all das tabu und mit Strafe bedroht, was für ihre Schulkameraden in einer 9. Klasse … normales Freizeitvergnügen und Selbstverständlichkeit war. Die beiden in einer Notgemeinschaft befreundeten Mädchen durften nicht zum Tanzen, wenn sie dem allmächtigen Kontrollsystem doch einmal entwischten, wurden sie von den Älteren aus der Diskothek geholt.

Sie durften keine Freunde haben, sie durften nicht an Schulfeiern oder gar 'religiösen' Veranstaltungen wie Adventsfeiern mitmachen. Auch mit anderen Kindern von Jehovas Zeugen spielten sich oft genug erschütternde Szenen in der Schule ab, wenn ein (seltener) Lösungsprozeß vom überstrengen Elternhaus begann. So ist es schon vorgekommen, dass ein Vater seinen 14-jährigen Sohn im Lehrerzimmer verdammte: 'Ich kenne diesen Menschen nicht.'

'In der Schule', sagte ein Mitschüler, 'haben sie sich noch am wohlsten gefühlt.' Von den Noten her brachten Sibylle und Evelin gute bis befriedigende Leistungen, da gab es keinerlei Probleme. Die gab es allenfalls dadurch, dass sich die beiden 'stillen und scheuen' (einer der Lehrer) Schülerinnen nur sehr schwer in den Klassenverband integrierten. Das nicht etwa, weil sie selbst nicht wollten oder die Klasse sie nicht angenommen hätte, sondern weil sie von den strenggläubigen Eltern immer wieder zum Ausscheren aus der Klasse gezwungen wurden, weil immer wieder dies verboten und jenes unter Strafe gestellt wurde.

Ausschlaggebend für den Selbstmord der beiden Kinder war dann offenbar die Forderung, ab kommenden Sonntag für die Sekte auch als Prediger von Haus zu Haus zu ziehen und den 'Wachtturm' auf der Straße zu verkaufen. 'Das machen wir nicht', sollen sie angekündigt haben, 'eher hängen wir uns auf.'
Vgl. dazu auch: Friedrich-Wilhelm Haack „Erkaufte Hoffnung", München 1980.


Vorstehendes ist auch ein Beispiel dafür für das, was ein Detlef G. noch niemals bei seinen Auftritten in von den Zeugen Jehovas initiierten Veranstaltungen, oder in Stellungnahmen von G. in diversen wissenschaftlichen Büchern oder sonstwie, in relevanter Weise je thematisiert hat!

Leider sind das durchaus keine Einzelfälle. Man mag zu der "Bild"-Zeitung berechtigte Vorbehalte haben. Seriösen Zeitungen sind solche Schattenseitenmeldungen in der Regel nicht die Erwähnung wert. Die "Bild"-Zeitung hat da diesbezüglich keine Skrupel. Wie auch immer, bezüglich des eingangs zitierten abwiegelns der Zeugen Jehovas kommt man nicht umhin, auch auf in der "Bild"-Zeitung veröffentlichte Beispiele hinzuweisen. So z. B.

"Bild"-Zeitung, (Berlin) 27. August 1975.
"Zeugin Jehovas sprang mit Sturzhelm vom Bierpinsel. AEG-Stenotypistin Anneliese K. (54) aus (Berlin) Steglitz. Offensichtlich hoffte sie, dass der Sturzhelm ihr Gesicht vor Entstellungen bewahren würde. Sie war vom Bierpinsel gesprungen, weil sie sich vereinsamt fühlte. Jetzt, als sie mit der Bibel in der Hand und den roten Sturzhelm auf dem Kopf den Bierpinsel hoch kletterte - da gab es keine Rettung. Fünfzig Meter tief stürzte Anneliese K. Sie war sofort tot."

"Bild"-Zeitung, 28. Juni 1976.
"Zeugin Jehovas brachte ihre blinde Schwägerin um. Sie hatte ihre Kinder taufen lassen.
von Udo Röbel

Die Blinde Annemarie Sauer (38). Schwägerin Helga Sauer (41) eine religiöse Fanatikerin. Die Blinde war überzeugte Katholikin. Ihr Mann und ihre Schwägerin aber gehörten den 'Zeugen Jehovas' an. Und vor zwei Jahren ließ sie die beiden Kinder Elke (5) und Frank (3) katholisch taufen. Das hatte den 'abgrundtiefen Hass' (so die Polizei) der Sektiererin ausgelöst. Als die beiden Frauen allein zu Hause waren, kam es zur Tat. Die 'Zeugin Jehovas' wirkte danach völlig geistesabwesend; sie kam in die Heilanstalt.

Der katholische Dorfpfarrer sagte verbittert: 'Frau Sauer hat oft geklagt, dass sie von ihrer Familie stark unter Druck gesetzt wird. Hier sieht man, wohin religiöser Fanatismus führen kann".

Exkurs:

Unter der Überschrift "Wie man die Trennung von den Zeugen Jehovas heil übersteht", nahm die CV 257 auch eine Detail-Referierung der Broschüre "Zur seelischen Gesundheit von Zeugen Jehovas" vor, die im nachfolgenden kommentarlos vorgestellt sei:

... Wie lange jemand nach der Trennung bis zur Genesung braucht, hängt davon ab, wie sehr er sich in der Gemeinschaft engagiert hatte, wie lange er dabei war, wie lange sich der Bruch hinzog, ob Freunde oder Familienmitglieder mitbetroffen sind und wieviel Unterstützung man findet. Die für die Heilung wesentlichsten Faktoren sind wohl der Grad des Einsatzes für die Wachtturm-Gesellschaft, der Beistand durch andere und die Stärke der Persönlichkeit. Nach dem Bruch mit der Organisation ist häufig eine völlige Umstrukturierung des Lebens notwendig...

... Die Umstrukturierung ist so umfassend, daß man ein "neuer Mensch" wird und einem der alte Mensch, der man war, wie ein Fremder vorkommt. Nach einigen Jahren sagen viele Zeugen rückblickend, wenn sie sich anschauen, was sie durchgemacht haben und "was für Leute sie mal waren", daß sie es kaum fassen können, wie sie so manche Wachtturm-Lehre überhaupt schlucken konnten. Ihr früheres Leben ist ihnen fremd, und die Erinnerung verblaßt.

Die Trennung fällt besonders schwer, wenn man noch einige Freunde oder seine Familie in der Organisation hat...

... Das wichtigste Heilmittel ist die Zeit. Solange jemand noch auf dem Weg der Gesundung ist, müssen Freunde und Familie ihn einfach ertragen, so gut es geht, wenn er gereizt oder niedergeschlagen ist. Wer einem Zeugen Jehovas helfen will, das Trauma der Trennung zu überstehen, muß äußerst geduldig und tolerant sein und erkennen, daß dieser sich in gewisser Weise von einer schweren Krankheit erholt. Der Genesungsprozeß kann sehr schwierig sein und dauert manchmal Jahre. Man muß sein ganzes Weltbild und seine Zukunftserwartungen umstellen, was keineswegs einfach ist. Um grob abzuschätzen, wie lange die Hauptphase der Umstellung dauern wird (so richtig vollständig erholt sich wohl keiner sein Leben lang), multipliziere man die Zahl der Jahre der Zugehörigkeit mit zwei und ziehe dann die Wurzel...

... Um über die schwierige Anpassungszeit hinwegzukommen, kann zusätzlich auch eine medikamentöse Behandlung notwendig werden.

Es wird Schwierigkeiten mit dem Schlaf geben ... Das Schlafproblem löst sich meist innerhalb weniger Wochen, spätestens nach einigen Monaten ...

... Der vielleicht wichtigste Schritt besteht darin, sich mit einer Selbsthilfegruppe von ehemaligen Zeugen Jehovas zusammenzutun. Nur wer selbst einmal Zeuge Jehovas war, kann die Probleme, die jemand hat, der sich gerade trennt, voll erfassen und darauf eingehen. Gerade in dieser Zeit ist Unterstützung wichtig, und Ehemalige sind am besten in der Lage zu helfen, da sie dieselben Erfahrungen hinter sich haben. Viele dieser Gruppen kümmern sich sehr um den Einzelnen, sind oft gern bereit, mit den Ehemaligen viel Zeit zu verbringen und sich über gemeinsam bewegende Fragen zu unterhalten; manche rufen auch ab und zu bei ihnen an oder besuchen sie, um zu sehen, ob es ihnen gut geht. Darauf kommt es besonders an, denn in dieser Zeit sind Selbstmordgedanken durchaus nichts Ungewöhnliches. Ein ehemaliger Zeuge sollte sich also nicht erschrecken, wenn sie auftauchen. Er sollte verstehen lernen, daß es den meisten Menschen, die einmal mit ganzem Herzen Jehovas Zeugen waren und dann ihre Religion (und damit zugleich ihren zentralen Lebensinhalt) verloren, ganz ähnlich erging. Die meisten überstehen das und sind hinterher wertvollere Menschen ...

Sehr nützlich ist es auch, anderen Zeugen beizustehen. Die Hilfe für andere hilft einem selbst, sich wieder zu fangen ...


Einen besonders tragischen Fall hat auch die "Bild"-Zeitung (Ausgabe München) thematisiert. Man beachte dazu auch den nachfolgenden Link:
30. 06. 2000

http://web.archive.org/web/20070402110403/www.sektenausstieg.net/index.php?option=content&task=view&id=21

http://web.archive.org/web/20070320163749/http://www.sekteninfo-bayern.de/Biolek.htm (Text der Bild-Zeitung)

Der Text von Jerry R. Bergman "Zur seelischen Gesundheit der Zeugen Jehovas" ist auch über: Online-Texte und Links erreichbar.

Suizid und Mord

Kindererziehung und Totalitär

Zeugen Jehovas aus der Sicht eines Psychologen

http://forum.mysnip.de/read.php?27094,21342,21342#msg-21342

Querbeet03

„Sollte ein Christ den Psychiater konsultieren?"

Dieser für „Friede Freude Eierkuchen"-Verkäufer doch wohl eher ungewöhnlichen Frage: „Sollte ein Christ den Psychiater konsultieren?" begegnet man in der „Erwachet!"-Ausgabe vom 22. 5. 1960.

Es kann unterstellt werden, ohne Not hat die WTG dieses Thema sicherlich nicht aufgegriffen.

„Diese Frage wurde schon von vielen aufrichtigen Christen gestellt", weis „Erwachet!" weiter zu berichten. Und weiter:

„Die Antwort hängt davon ab, wie stark die seelischen Störungen sind und was für einen Psychiater man aufsuchen will."

Auch die WTG muss einräumen, im Falle eines Nervenzusammenbruchs, geht es wohl kaum anders.

Aber „wohl" ist den WTG-Apparatschicks bei ihrem Antwortversuch nicht. Dafür steht dann auch das WTG-Postulat:

„In der Regel heißt es jedoch soviel wie Waffenstreckung, wenn ein Christ zu einem weltlichen Psychiater geht; es bedeutet soviel wie, 'nach Ägypten hinabzuziehen um Hilfe'"

Und weiter WTG an die Adresse der Psychiater:

„Sie stimmen sicher mit Freud, dem bekannten Psychiater überein, der behauptete, die Religion sei 'die große Illusion' und der Mensch werde ihr eines Tages entwachsen ..."

Das indes will die WTG nicht gelten lasse; und so bringt sie ihre Grundbesorgnis mit dem Satz auf den Punkt:

„Wenn ein Zeuge Jehovas zum Psychiater geht, kommt es häufig vor, daß der Pschiater ihn davon zu überzeugen sucht, daß seine seelischen Störungen von seiner Religion herrühren."

Indem die WTG nach Kräften bemüht ist, letzteres abzuleugnen, ist aber mit dieser Ableugnung, das Problem keineswegs aus der Welt. Einiges spricht eher dafür, es potenziert sich noch durch die Ableugnung.

Es kann jetzt und hier nicht darum gehen das bereits erfundene Rad erneut zu erfinden. Auch andernorts wurde das Thema ja schon aufgegriffen.

Als Beispiel solcher zusammenfassenden Referierung andernorts dann mal ein paar thematische Auszüge dazu, aus der einschlägigen Printzeitschrift „Brücke zum Menschen"

"Jehovas Zeugen sind das glücklichste Volk auf Erden. Wir brauchen einen Psychiater noch weniger als sonst irgend jemand."

Diese Behauptung wird gegenüber Zeugen und Außenstehenden oft erhoben (siehe beispielsweise in Erwachet! vom 22. Mai 1960, S. 27, 28). Und Außenstehende können auf den ersten Blick sehr wohl den Eindruck haben, daß sie "ein glückliches Volk" sind.

In letzter Zeit aber ergibt sich aus der Forschungs- und der allgemeinen Literatur ein ganz anderes Bild. Es hat sich nämlich gezeigt, daß Psychische Probleme unter Jehovas Zeugen ziemlich häufig auftreten. ...

Innerhalb des Glaubensgebäudes der Zeugen Jehovas gibt es viele Faktoren, die eine positive geistige und emotionale Entwicklung ermöglichen. Genauso aber (Gegenteiliges).

Als sehr großes Problem erweist sich allerdings die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Zeugen und den Angehörigen der helfenden Berufe. Die Tatsache, daß die Wachtturm-Gesellschaft sich in dieser und vielen anderen Fragen so unbeweglich verhält, ist einer der Hauptgründe dafür, daß psychische Erkrankungen auftreten und daß sich eine allgemein fortschreitende Entfremdung vieler Zeugen von ihrer Organisation einstellt.

Das Engagement in einer festgefügten, unterstützenden sozialen Gruppierung kann zu intellektuellem, spirituellem, emotionalem Wachstum und zu einer Verbesserung der Lebenstüchtigkeit führen, sofern diese Umgebung eine Entwicklung auf diesen Gebieten befürwortet. Wenn andererseits alle Gedanken um eine kurz bevorstehende Zukunft kreisen, in der alle Probleme automatisch und schmerzlos gelöst werden, dann wird man sich nicht um eine Besserung seiner gegenwärtigen Lage bemühen.

Den Zeugen wird ganz offen davon abgeraten, Verbesserungen in den verschiedendsten Lebensbereichen anzustreben, besonders dem der Bildung, des beruflichen Werdegangs und des wirtschaftlichen Aufstiegs, alles Bereiche, die sehr wichtig sind für eine erfolgreiche Eingliederung in die Gesellschaft.

Aktivität wird nur auf jenen Gebieten gefördert, die den Zielen der Wachtturm-Organisation dienen.

Nicht immer ist der Einfluß, unter dem die Zeugen stehen, zum Guten. Wer sich mit der Sache der Zeugen immer mehr identifiziert und sich für sie engagiert, wird sich auch gefühlsmäßig daran binden. Wie zu erwarten, führt das zu einer Verteidigungshaltung gegenüber Gedankengut, das als nicht vereinbar mit den theologischen Vorstellungen der Zeugen angesehen wird, unabhängig davon, ob diese Gedanken wahr oder falsch sind. Das führt dazu, daß die Gläubigen immer weniger fähig sind. Die Wirklichkeit korrekt einzuschätzen, sie stattdessen zensieren oder verzerren, weil sie alles durch

die Brille ihres Glaubens sehen. ...

An eine unmittelbar bevorstehende Schlacht von Harmagedon zu glauben, in der fast die gesamte Welt vernichtet wird und nur die treuen Zeugen überleben werden (die dann für immer auf einer paradiesischen Erde leben werden), das weicht völlig vom Weltbild der Allgemeinheit ab. Wer so etwas vertritt, setzt sich von der Mehrheit ab. Wer als Zeuge Jehovas alle Lehren seiner Gemeinschaft glaubt, zeigt ein abweichendes Verhalten, wenn man ihn mit einem Außenstehenden vergleicht. Er verhält sich aber sehr angepaßt, vergleicht man ihn mit dem sozialen System innerhalb der Zeugen Jehovas.

Vielfach sind Zeugen nicht in der Lage, sich gegenüber Außenstehenden anzupassen, können dies aber innerhalb der Gemeinschaft recht gut. Von solchen Fällen erfahren Psychologen und Psychiater fast nie etwas. Würde man sie in der Statistik mit erfassen, so wäre die Quote der seelischen Erkrankungen bei Jehovas Zeugen um ein Mehrfaches höher.

(Viele Zeugen leiden an einem ständigen Mißtrauen gegenüber Außenstehenden und versuchen, den Kontakt mit ihnen soweit irgend möglich zu meiden, abgesehen von den normalen Alltagskontakten.) Doch obwohl die meisten in ihrer eigenen Welt gut angepaßt sind und bestens mit ihresgleichen umgehen können, würde die Diagnose recht häufig "paranoide Persönlichkeitsstruktur" lauten.

Dieses Verhalten zeigen die meisten nach außen abgeschlossenen Gruppen. Die klare Trennung in "Wir" und "die anderen" kennzeichnet sogar recht viele soziale Kollektive. Trotzdem sind viele Forscher der Ansicht, darin spiegele sich ein Fehlverhalten, und sehen es dementsprechend als pathologisch an, zumindest als schlecht angepaßt ...

Der Glaube an eine bevorstehende neue Welt kann dazu benutzt werden, eine generell optimistische Grundhaltung zu erzeugen, dem Leben einen Sinn zu geben und sich von den Enttäuschungen des Alltags nicht zu sehr erschüttern zu lassen. Ein anderer Zeuge dagegen kann denselben Glauben als Fluchtmittel benutzen, um den täglichen Problemen zu entgehen, und statt in der Gegenwart in seiner eigenen "neuen Welt" zu leben ...

Die Deutung, die die Zeugen Jehovas der Wirklichkeit geben, wird fortlaufend verstärkt dadurch, daß sie sich gegen soziale Kontakte mit Personen außerhalb der Wachtturm-Organisation aussprechen und dafür zum Umgang mit anderen Zeugen ermuntern. So sind sie fast ausschließlich nur einer einzigen Sichtweise ausgesetzt, der der Wachtturm-Gesellschaft. Alle Fakten, die dieser widersprechen, werden als Teil der "Welt Satans" zurückgewiesen und sind darum wertlos.

Oft wird Glaube mit Rigidität, Starrheit gleichgesetzt. Wer an den Wachtturm-Meinungen und -Ideen festhält und sich nicht durch Vernunft oder Fakten davon so leicht abbringen läßt, gilt als "glaubensstark". ...

Durch eine streng autoritäre Erziehung werden Jehovas Zeugen seit jeher angehalten, feindselige Gefühle zu unterdrücken oder zu sublimieren ...

Wer seine Gefühle auslebt, wird üblicherweise streng zurechtgewiesen und damit gezwungen, die feindseligen Regungen nach innen zu lenken. Die Folge sind Depressionen oder sogar verschleierte Aggressionen. Dringen feindselige Triebe ins Bewußtsein, so ruft das gewöhnlich Schuld hervor. Das wiederum verstärkt die Feindseligkeit nur und führt, wie leicht vorhersehbar, zu noch mehr Depressionen.

Die wenigen Ablenkungen, die sich die Zeugen gestatten, reichen gewöhnlich

nicht aus, um die bei manchen über Jahre hinweg angestaute Feindseligkeit wirkungsvoll zu sublimieren.

"Mißtrauen gegenüber allen Fachleuten ..."

Selbst vom Einsatz von Tranquilizern und Anti-Depressiva bei psychischen Erkrankungen wird abgeraten. ...

Viele Zeugen verlassen sich lieber auf eine "natürliche" Heilung, worunter sie vor allem gute Ernährung, Vitamin- oder Mineralkuren und Ruhe verstehen. Darüber hinaus besteht eine Neigung, etwas nur dann als akzeptabel anzusehen, wenn die Wachtturm-Organisation es ausdrücklich gebilligt hat.

Solange sie sich zu einer Behandlungsform oder Tätigkeit noch nicht geäußert hat, fürchtet man, sie könnte verkehrt sein, und man meint dann meistens, es sei das beste abzuwarten, bis man sicher sei ...

Darüber hinaus besteht ein generelles Mißtrauen gegenüber allen Glaubensfremden und damit praktisch gegenüber allen Ärzten (insbesondere Psychiatern und Nervenärzten) und Psychologen. Ironischerweise kommt auch Mißtrauen gegenüber Ärzten aus den eigenen Reihen häufig vor.

Die wenigen Psychologen und Psychiater unter den Zeugen sind in ihren Möglichkeiten, Hilfe zu leisten, sehr beschränkt. Die allgemeine Reaktion der Zeugen Jehovas ihnen gegenüber lautet oft sinngemäß:

"Warum wird diesem Menschen nicht die Gemeinschaft entzogen dafür, daß er Jehova die Zeit stiehlt, um sich weltliche Weisheit anzueignen statt der höheren Weisheit Gottes? Er vergeudet nur seine Zeit, statt sie zu nutzen, um rechtgesinnten Menschen beizustehen, in Gottes Organisation zu gelangen."

Angesichts dieser Einstellung ist es fraglich, ob mit Zeugen überhaupt das nötige Arzt-Patienten-Verhältnis zustande kommt.

Besser ist es, wenn ein Zeuge seine Ausbildung abgeschlossen hat, bevor er oder sie zu der Gemeinschaft stößt, denn das wird erheblich leichter akzeptiert. Dann herrscht die Ansicht vor, ein Mensch, der einer Ausbildung nachging, während er noch kein Zeuge war, tat dies "in Unwissenheit", wogegen ein aktiver Zeuge, der es tat, während er in der Wahrheit war, "in vollem Bewußtsein seines Fehlverhaltens sündigte". ...

Was daher die Zeugen wirklich denken und fühlen und wie sie handeln, wird nicht nur von der Wachtturm-Organisation unter den Teppich gekehrt und beschönigt, auch die einzelnen Mitglieder tragen dazu bei, daß sich nach außen ein besseres Bild ergibt, als es der Realität entspricht. ...

Damit versucht man natürlich, den Unterschied zwischen dem, wie ein Zeuge sein sollte, und dem, wie er manchmal ist, wegzuerklären.

"Wer sich niemand ungefährdet anvertrauen kann, behält seine Gefühle für sich, und das verstärkt häufig die Depressionen"

Die Zeugen halten hartnäckig an ihren Glaubenansichten fest, auch wenn ihnen himmelschreiende Widersprüche allerorten vor Augen stehen. Dies verschlimmert die bereits vorhandenen inneren Konflikte, die dann dadurch abgeschwächt werden, daß man sie wegerklärt oder indem man sich sowohl von der Außenwelt wie auch von der Welt der Zeugen abkapselt. In jedem Fall führen diese Widersprüche beim Einzelnen zu Zweifeln und inneren Konflikten.

Erzählt ein Zeuge von Fällen schweren Fehlverhaltens und von seinen Schwierigkeiten, damit fertig zu werden, so wird er oder sie von den anderen dann oft als "unreif" abgestempelt, als "jemand, der keine auferbauende Gesellschaft darstellt".

Das führt nicht selten dazu, daß er oder sie von den anderen gemieden wird, die damit offenbar versuchen, ihre eigenen Konflikte zu reduzieren. Diese Zurückweisung schafft dem Zeugen wieder neue Probleme. Häufig spricht er überhaupt nicht mehr über seine Sorgen, oder er vertraut sich nur noch den wenigen einzelnen Zeugen an, denen zu vertrauen er gelernt hat.

Da die Wachtturm-Organisation nur wenige Möglichkeiten läßt, über normale Aggressionen zu sprechen und mit ihnen umzugehen, werden sie meist nach innen gelenkt und rufen dann unter anderem Depressionen, Schuldgefühle, Nervosität und diverse körperliche Beschwerden hervor.

Zu beachten ist, daß ein Zeuge, der seinen Gefühlen, Zweifeln und Fragen über bestimmte Wachtturmlehren Ausdruck verleiht, als "schwach, unreif, ohne Glauben" abgestempelt wird, weil er oder sie "Jehovas Organisation nicht mit ganzer Seele ergeben ist".

Nach einigen negativen Erfahrungen hört er oft auf, seine Sorgen mit den Ältesten oder anderen Zeugen zu besprechen. Wer sich niemand ungefährdet anvertrauen kann, behält seine Gefühle für sich, und das verstärkt häufig die Depressionen und kann sogar zu aggressivem Verhalten führen, nicht selten auch zum Einsatz körperlicher Gewalt.

Die vielen Probleme, die im Lehrgebäude der Zeugen Jehovas enthalten sind, sorgen dafür, daß es unweigerlich zu Konflikten kommen wird ... Mitglied der Gemeinschaft

bleiben dann vor allem jene Menschen, die sich der Abwehrmechanismen Leugnung,

Rationalisierung und Projektion bedienen. ...

Exkurs:

Depressionen bei Zeugen Jehovas
geschrieben von: Gerd B.
Datum: 31. Juli 2008 13:39

Per Mail zugesandt:
Depressionen -- und die wechselnden Ansichten der Wachtturm-Gesellschaft
Ende des Jahres 1991 wurde in der Schweiz im Rahmen einer Königreichsdienstschule, veranstaltet vom dortigen Zweigbüro der Wachtturm-Gesellschaft im Auftrag der leitenden Körperschaft von Jehovas Zeugen und durchgeführt für Älteste, vom Leiter des damaligen Zweigkomitees unter anderem ein Vortrag über Depressionen und die Art der Behandlung durch die Ältesten in den Versammlungen gehalten. (In Deutschland gab es damals in den entsprechenden Schulungen andere Themen).

Während zuvor immer eine gewisse Skepsis, wenn nicht sogar Mißtrauen, gegenüber Psychotherapeuten an der Tagesordnung war, hörte man hier plötzlich neue Töne. Man gab zu, daß es unter Jehovas Zeugen zahlreiche an Depressionen leidende Menschen gab; es war bekannt, daß in psychosomatischen Kliniken ständig Patienten zu finden sind, die sich zu Jehovas Zeugen bekennen. Man führte als Grund an, daß die Religion der Zeugen besonders auf Menschen anziehend wirke, die bereits unter Depressionen leiden. Das mag sein; aber es ist nur ein Teil der Realität. Denn man sollte annehmen, daß die am Anfang dargebotene ,Nestwärme' und vor allem das behauptete ,geistige Paradies' zumindest keine Verschlimmerung depressiver Zustände bewirken dürften. Dennoch ist das der Fall; wenn die Nestwärme nach der Taufe durch die Anforderungen der Religion ersetzt oder zumindest verdrängt werden, steigern sich die Depressionen wieder, und es werden auch zahlreiche Menschen depressiv, die es vorher nie waren. Insoweit ist dieses 'geistige Paradies' eine sehr bedenkliche Sache -- wenn man es nicht nur als ein Placebo, als ein Trostpflästerchen für in ihren Erwartungen enttäuschte Gemüter betrachten will.

Doch zurück zu der Schulungsveranstaltung. Es wurde den Ältesten gesagt, daß sie, wenn bei jemand eine Depression länger als 5 Tage anhalten würde, dieser Person dringend nahelegen sollten, zu einem Arzt oder Therapeuten zu gehen. Sie selbst als Älteste seien keine Fachleute, hätten keine fachliche Kompetenz und sollten sich daher von medizinischen oder anderen Behandlungsratschlägen völlig zurückhalten.
Dieser -- vernünftige -- Rat wurde sehr ausführlich begründet und -- wie bei allen Vorträgen üblich, selbst wenn das Gegenteil gesagt worden wäre
-- mit Beifall bedacht. In schriftlicher Form habe ich jedoch diesen Vortrag in keiner Publikation gesehen. Er war eine Weisung an Älteste.

Inzwischen sind 17 Jahre vergangen, und man ist schon lange von der sachlichen und begründeten Ansicht von 1991 abgerückt. Als ich vorige Woche mit einem Ältesten über das Thema sprach, sagte mir dieser, daß die neuen Anweisungen auf Grund schlechter Erfahrungen (Verlassen der Organisation) ganz anders lauten würden. Auf keinen Fall solle man zu einem Besuch bei Ärzten oder Therapeuten ermuntern oder auffordern, auch wenn deren Inanspruchnahme nicht verboten ist. Die Gründe; man habe festgestellt, daß diese Leute sehr häufig die Religion als Ursache für die Depressionen bezeichnen würden. Als ich einwandte, daß es doch auch gläubige Ärzte und Therapeuten gäbe, die ihre Patienten auf christlicher Grundlage berieten, wurde diese Möglichkeit abgelehnt mit der Begründung, daß auch diese in der Religion d e r Z e u g e n die Ursache für die vermehrten Depressionen sähen. Tatsächlich sind auch Fälle bekannt, in denen Menschen nach ihrer Trennung von den Zeugen ihre Depressionen verloren oder davon geheilt wurden.

Ich fragte, was denn die Ältesten im Fall von Depressionen nun tun sollten, denn ihre Inkompetenz sei ja immer noch gegeben. Die Antwort war, daß sie angewiesen seien (oder daß man ,empfohlen' habe), die Erkrankten auf Themen über Depressionen in der Zeitschrift ,Erwachet' hinzuweisen, in denen gute Ratschläge gegeben würden. Da aber auch die Schreiber von diesen Artikeln keine Fachleute sein dürften, sondern ihre Artikel von anderer Seite erhielten oder sie auf Grund anderer Quellen zusammenstellten, ist das eine eigenartige Behandlungsmethode. Eine Art Therapie in Selbstbedienung, eine Art Selbstbehandlung durch kranke Menschen. Die Ergebnisse -- oder Nicht-Ergebnisse -- kann man sich vorstellen. Aber es zeigt wieder einmal, daß die leitende Körperschaft ihre Autorität über die Menschen für wichtiger ansieht als deren fachgerechte Behandlung zu ihrer Gesundung, und daß sie nicht bereit ist, die ursächlichen Quellen für Depressionen in ihrer eigenen Organisation bzw. in ihren den Menschen auferlegten Lasten zu suchen.
Das Rezept ,mehr Studium, mehr Zusammenkunftsbesuch, mehr Predigtdienst' -- also in Wirklichkeit Erhöhung der Lasten -- wird auch hier als Allheilmittel empfohlen. Aber bekanntlich heilt ein Rezept, das für alles gut sein soll, in aller Regel gar nichts; es verschlimmert nur noch. Kein Wunder, wenn dann ein Kreisaufseher anläßlich seines Besuchs meinte, die Zeugen müßten doch die glücklichsten Menschen sein; statt dessen hätten sie alle ,graue, freudlose Gesichter'. Ja, da sind eben viele depressive Menschen, viele, die es auf Grund der neuen Einstellung der Organisation nicht einmal zugeben möchten, daß sie unter Depressionen leiden (wie elegant kann man das alles verpacken in ,vegetative Dystonie'), viel mehr Gejammer als Lust, viele Griesgrämige, Kummervolle, Klagende, Murrende, Undankbare, Freudlose, kein Geisteschristen, sondern Regelchristen, Gesetzeschristen, die sich gegenseitig beobachten und kritisieren. Aber das stört nicht die großen Geister in Brooklyn. Wenn die Tatsachen ihren Theorien nicht entsprechen, um so schlimmer für die Tatsachen!
E.F.

Re: Depressionen bei Zeugen Jehovas
geschrieben von: Gerd B.
Datum: 01. August 2008 10:15

Auch der Ex-ZJ und Psychologe, Jerry R. Bergman, bestätigt die Abneigung der ZJ gegenüber Psychotherapeuten in seinem Buch: "Zur seelischen Gesundheit von Zeugen Jehovas" in diesen Sätzen ab Seite 13:

Rigidität steht mit dem Autreten von Selbstmorden und psychischen  Erkrankungen in Verbindung (Wolff 1970:37). Durch eine streng  autoritäre Erziehung werden Jehovas Zeugen seit jeher angehalten,  feindselige Gefühle zu unterdrücken oder zu sublimieren (Sprague  1943). Wer seine Gefühle auslebt, wird üblicherweise streng  zurechtgewiesen und damit gezwungen, die feindseligen Regungen nach  innen zu lenken. Die Folge sind Depressionen oder sogar  verschleierte Aggressionen. Dringen feindselige Triebe ins  Bewußtsein, so ruft das gewöhnlich Schuld hervor. Das wiederum  verstärkt die Feindseligkeit nur und führt, wie leicht vorhersehbar,  zu noch mehr Depressionen.

Die meisten sozialen Gruppen werden mit  solchen feindseligen Gefühlen fertig, indem sie sie in konstruktive  Tätigkeiten ableiten. Den Zeugen aber wird von den meisten gängigen  konstruktiven Betätigungen abgeraten. Wie noch gezeigt werden wird,  wendet man sowohl verbale Kritik wie auch Gruppendruck an, um die  Zeugen von der Beschäftigung mit ausgleichenden Tätigkeiten wie  Fotografie, Modellbau, allen Formen des Sammelns und den meisten  sportlichen Aktivitäten (abgesehen von ganz seltener Ausübung in der  Freizeit) abzuhalten. Die wenigen Ablenkungen, die sich die Zeugen  gestatten, reichen gewöhnlich nicht aus, um die bei manchen über  Jahre hinweg angestaute Feindseligkeit wirkungsvoll zu sublimieren.

Selbst vom Einsatz von Tranquilizern und Anti-Depressiva bei  psychischen Erkrankungen wird abgeraten. Bei den Zeuginnen ist es  der Normalfall, in der Menopause jede Hormonbehandlung abzulehnen.  Eine Zeugin litt an schweren Depressionen und Selbstzweifeln und  hatte hochgradige Probleme im Umgang mit anderen, weil sie eine  Hormonbehandlung ablehnte - bis dann im Erwachet! (vom 22. 8.  Oktober 1975) ein Artikel erschien, der den Zweck von Hormonspritzen  erklärte. Es wurde darin angedeutet, daß es "nicht in jedem Fall  unangebracht" sei, sich dieser Therapieform zu unterziehen. Doch bis  der Wachtturm seine Gutheißung ausgesprochen hatte, befand sie sich  bereits in einem solch schweren Stadium ihrer Depression, daß sie  völlig verzweifelt war. Durch die richtigen Medikamente erholte sie  sich äußerst rasch und war bald vollständig wiederhergestellt. Ihr  Ehemann, ein Ältester, stand der ganzen Entwicklung unbeteiligt  gegenüber und betonte, sie könne tun, was sie wolle.

Dieser Fall veranschaulicht mehrere Dinge zugleich. Als erstes muß  das typische Mißtrauen gegenüber allen Fachleuten, die nicht zur  Wachtturm-Organisation zählen, genannt werden, ganz besonders  gegenüber Medizinern und Psychologen (Salzman 1951; Penton 1985). Im  beschriebenen Fall lehnte die Patientin die von ihrem Arzt  empfohlene Hormonbehandlung ab. Viele Zeugen verlassen sich lieber  auf eine "natürliche" Heilung, worunter sie vor allem gute  Ernährung, Vitamin-oder Mineralienkuren und Ruhe verstehen. Darüber  hinaus besteht eine Neigung, etwas nur dann als akzeptabel  anzusehen, wenn die Wachtturm-Organisation es ausdrücklich gebilligt  hat. Solange sie sich zu einer Behandlungsform oder Tätigkeit noch  nicht geäußert hat, fürchtet man, sie könnte verkehrt sein, und man  meint dann meistens, es sei das beste abzuwarten, bis man sicher sei
(Rogerson 1969).

Darüber hinaus besteht ein generelles Mißtrauen gegenüber allen  Glaubensfremden und damit praktisch gegenüber allen Ärzten  (insbesondere Psychiatern und Nervenärzten) und Psychologen.  Ironischerweise kommt auch Mißtrauen gegenüber Ärzten aus den  eigenen Reihen häufig vor. Für die meisten Zeugen Jehovas zählen die  wenigen Zeugen, die Ärzte sind (etwa ein Arzt pro Bundesstaat in den  USA [in Deutschland etwa ebenso; Anm.d.Üb.]) eher zu den  Außenstehenden. So kommt es, daß ein Zeuge Jehovas mit  Hochschulabschluß, selbst wenn er Ältester ist, bis zu einem  gewissen Grad als "Teil der Welt" angesehen wird.

Man vergleiche ergänzend auch:

Neumann

http://griess.st1.at/gsk/totland4.htm (extern)

Bergman Zur Seelischen Gesundheit von Zeugen Jehovas

 

ZurIndexseite