Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Spieglein, Spieglein an der Wand

"Spieglein, Spieglein an der Wand: Sag mir, wer ist die schönste im Land? Frau Königin das seid ihr, doch hinter den sieben Bergen, das Schneewittchen ist noch viel schöner als Ihr".

Auch wenn ich persönlich dem Alter entwachsen bin, wo Märchen noch eine dominante Rolle spielten, so ist mir jener Passus dennoch vage im Gedächtnis haften geblieben und ich hoffe, ihn wenigstens sinngemäß, einigermaßen korrekt wiedergegeben zu haben.

Verfolgt man die Diskussion in Sachen Zeugen Jehovas, so wird man eine interessante Feststellung konstatieren können. Da gibt es solche unter Ihnen, die mit allen Ihnen zur Verfügung stehenden Krallen, meinen sich auf Gedeih oder Verderb an ihre Organisation klammern zu müssen. In einer "schwachen Stunde", geben einige von Ihnen auch mal zu, dass nicht so sehr die Dogmatik ihrer Organisation für sie motivierend ist (da hat man zwischenzeitlich auch gewisse Vorbehalte), sondern der vermeintlich brüderliche Umgang unter ihresgleichen, werten sie als den großen Pluspunkt. Nun gibt es solche, die da inzwischen diesbezüglich etwas ernüchtert wurden und solche, wo dies noch so nicht der Fall ist. Von letzteren "lebt" die WTG, denn ihre Dogmatik hält in der Tat keiner kritischen Hinterfragung stand.

Da sind also einige bei den Zeugen Jehovas gelandet, anstelle eines Kegelklubs, Tanzklubs, politischer Partei oder anderer Kirche usw. Ihnen gefällt "derzeit" noch das soziologische Klima dort. Und wo man sich wohl fühlt, da lässt man sich nieder. Sind gar noch Eltern und sonstige Verwandtschaft dort, sind die Fesseln ziemlich starker Natur.

Indes die Zeugenleitung ist "Zahlenverliebt". Möglichst hohe Mitgliederzahlen, dass ist ihr Credo, und ihre Existenzgrundlage. Diesem "Goldenen Kalb" wird so ziemlich alles geopfert. Dennoch, sind auch die Zeugen "Spätgeborene". Andere waren schon vor ihnen da und haben es zu weit größeren Mitgliederzahlen gebracht. Beispielsweise die "Neuapostolische Kirche", deren deutsche Mitgliedschaft auf rund 400 000 beziffert wird (als Schätzungszahl) und die damit nach wie vor - unangefochten - auf den dritten Platz der numerischen Mitgliederzahlen rangiert unter den in Deutschland vertretenen christlichen Kirchensystemen. Da können hier zu Lande auch nicht die sogenannten Freikirchen mithalten, die allesamt weit abgeschlagen, auch hinter der Neuapostolischen Kirche liegen. Die Neuapostolische Kirche verdient daher auch für Jehovas Zeugen einer gewissen Beachtung.

Letztere ist ja nun auch noch "Körperschaft des öffentlichen Rechts", was die WTG ebenfalls um jeden Preis, auch um den Preis der Verleugnung ihrer eigenen konfliktreichen Geschichte, werden möchte. Der Weg der NAK war dagegen anders. Dort passte man sich politischen Gegebenheiten an und "heulte, wenn es mal sein musste, auch mal mit den Wölfen mit". Im Hitlerregime, in der "DDR" und anderswo. Also hat man den Preis erringen können, den die "Liebhaber von Babylon der Großen" zur Vorbedingung einer Aufwertung als KdöR gemacht haben. Von Wehrdienst und Ersatzdienstverweigerung, von Wahlenthaltung, von Bluttransfusionsverweigerung und anderem mehr, ist in der NAK keine Rede. Womit schon mal eine ganze Reihe von konfliktträchtigen Feldern, die bei den ZJ relevant sind, entfallen. Allerdings, im "Kreideessen", hat sich inzwischen auch die WTG eingeübt.

Könnte man also meinen, da obige Konfliktfelder bei der NAK keine Bedeutung haben, dort sei nun alles "eitel Sonnenschein"? Wer indes die Bücherangebote, beispielsweise des Gütersloher Verlagshauses mit in sein Blickfeld einbezieht, der wird erkennen, das dies - trotz allem - auch dort nicht der Fall ist. Mögen die Konflikte dort anders akzentuiert sein. Eines kann man trotzdem sagen: Es besteht eine nicht zu übersehende Parallelität zu denen der Zeugen Jehovas.

Am 9. Januar 1997 veranstaltete die Radiostation "Südwestfunk" auf einem ihrer regionalen Programme eine Diskussionsveranstaltung. Der Moderator Theo Schneider hatte dazu drei Gäste mit ins Studio eingeladen. Einer von ihnen war der Hallenser Theologieprofessor Dr. Helmut Obst, mehrfach ausgewiesen durch einschlägige Publikationen zum Thema Neuapostolische Kirche.

Obst bekannte denn in der Diskussion auch, dass für ihn "liberales Christentum" kein Vorgabekriterium sei. Er könne und werde auch solch autoritär geführte Varianten, wovon die NAK eine sei, ihre Berechtigung nicht aberkennen. Er gab zu, dass auch in der Evangelischen Kirche nicht erfüllte Endzeiterwartungen daeinst mal eine Rolle spielten, und bestätigte dies, als ihm das Stichwort Albrecht Bengel genannt wurde. Obst weiter. Er will der Eschatologie auch für seine, die Evangelische Kirche, eine größere Bedeutung verbal zuerkennen, als sie ihn dort derzeit besitzt.

Solche Thesen waren dann schon mal "Wasser auf die Mühlen" des Herrn Gerd O..., der als Bischof der Neuapostolischen Kirche an jener Diskussion auch mit teilnahm. Über ihn vermerkte Obst in seinem Schlusswort auch noch: "Zweifellos hat es Veränderungen in der Neuapostolischen Kirche gegeben; dass wir hier heute sitzen wäre vor Jahrzehnten revolutionär gewesen."

Damit hatte Obst seinem neuapostolischen Gegenüber durchaus einige Vorlagen geliefert, mit der letzterer "komfortabel" leben konnte. Dennoch hat die Vokabel des Obst von dem "revolutionären" Charakter jenes Gespräches durchaus eine gewisse Berechtigung. Sie kam explizit in der Person des dritten Diskussionsteilnehmers zum Ausdruck und der hieß Dr. Olaf S.... Über ihn vermerkte der Moderator, dass er im Februar 1996 aus der Neuapostolischen Kirche ausgestiegen sei, also ein Ausstiegsdatum im Kontext zu dieser Diskussionsveranstaltung von relativ kurzer Zeitspanne. Befragt über seine Gründe gab S... zu Protokoll:

"Der erste Punkt ist, dass man uns die Kirchengeschichte verheimlicht hat. Weder der (neuapostolische) Verlag, ich weise auch explizit darauf hin, rückt einfach Informationen heraus noch kommt man sonst (an sie) heran. Ich bin, und verweise auf das Buch von Herrn Obst, dankenswerterweise an diese Quellen herangekommen. Erst dann habe ich gemerkt, wie schwierig, wie problematisch die Geschichte der Neuapostolischen Kirche ist, wieviel verdrängt, verleugnet wird in meinen Augen. Das war der erste Aspekt Ich habe versucht, diese Kirchengeschichte heranzubringen an die Geschwister, an die sogenannten Vorangänger; eisiges Schweigen hat mich getroffen. Man wollte nicht mit mir darüber reden."

Weiter führte S... aus: "Die zweite Schiene war, dass ich gemerkt habe, wie das System Menschen erniedrigt. Ihnen Ihre Autonomie nimmt, wie Kinder behandelt und misshandelt werden in meinen Augen, siehe Sonntagsschule und Sonntagsvorschule; auch da fühle ich mich als Täter."

Sein Credo fasst S... in die Worte zusammen:

"Und wenn ich die Chance gehabt hätte, mich zu artikulieren und wenn ein Reformbedarf dagewesen wäre in der Neuapostolischen Kirche, wäre ich möglicherweise geblieben. Aber so sehe ich für mich keine Möglichkeit und ich kann mir nicht vorstellen, dass man von diesen Dogmen abgeht."

An dieser Stelle brachte dann der Moderator der Sendung auch den Einwand zum Vortrag:

"Ich sehe nicht, wo die Katholische Kirche nicht vergleichbare Probleme hat." Darauf S... als Antwort: "Ja, darf ich das gerade noch kurz sagen, wo der Unterschied liegt? Der Unterschied liegt für mich darin, dass Sie mit dieser Naherwartung einen unheimlichen Druck auf Ihre Gläubigen ausüben. Das dieser Druck soweit geht, dass Kinder, wenn sie alleine sind Angst haben, dass ihre Eltern schon entrückt worden seien, bloß weil sie gerade einkaufen gegangen sind."

Mit letzterem ist denn indirekt auch der Fall des vormaligen neuapostolischen Stammapostels Bischoff angesprochen, der Anfangs der 1950-er Jahre die These verkündete, er werde nicht vor Jesu Wiederkunft sterben. Er ist dann aber doch 1960, über 80-jährig gestorben, ohne das Christus wiedergekommen wäre. Damit wurde ein neuralgischer Punkt der neuapostolischen Theologie angesprochen.

Interessant, wie sich O... aus dieser Zwickmühle herauswand. Er gab dazu zum besten: "Wissen Sie, ich selbst hab' in der Zeit nicht gelebt, als das gewesen ist. Ich habe das von den Eltern, auch von anderen, die damals in der Zeit gelebt haben gehört. Ich kann mich da nicht zum Richter über den Glauben der Vorgänger aufwerfen." Indem er so seine Inkompetenz zu Protokoll gab äußert er noch an anderer Stelle: "Wir stellen (die Naherwartung) ganz klar in den Vordergrund, und wenn Sie Stammapostel Bischoff ansprechen, wissen Sie, wir können das auch gegenwärtig nicht erklären, dass sage ich in aller Offenheit, was da geschehen ist. Das war den Gläubigen damals ein Bedürfnis das zu glauben; natürlich nicht allen, denen die gegangen sind mit Sicherheit nicht. Und als Stammapostel Bischoff dann starb, sich die Botschaft nicht erfüllte …  dann hat sich dennoch nicht die wirkliche Naherwartung verflüchtigt, sondern wir bekennen uns auch heute absolut dazu, dass wir täglich auf das Wiederkommen Christi warten."

Lässt man sich jene Argumentationskette einmal "auf der Zunge zergehen", so springen einem die unübersehbaren "Eiertänze" der Zeugen Jehovas zu einer ähnlichen dortigen Problemlage sofort ins Gesicht.

Unrühmlich sei noch das diesbezügliche Statement von Obst zitiert. Auf diese neuapostolische Apologie wusste er lediglich ausweichend zu antworten, dass dies für ihn nicht der Knackpunkt sei. Wie auch. Obst, bewandert in der Kirchengeschichte, kennt auch die Leichen dazu im eigenen Kirchenkeller; will sich also nicht in eine Diskussion verstricken, die ihn in letzter Konsequenz gleichfalls in ein schiefes Licht setzt. Auch wenn er dieser Diskussion aus dem Wege ging, in diesem schiefen Licht steht er trotzdem!

Als Kritikpunkt seinerseits arbeitet Obst heraus: "Dass die Neuapostolische Kirche von ihrem Selbstverständnis her nicht bußfähig sei" und in seinem Schlusswort bringt er seine Ansicht zur Sachlage mit dem Satz auf den Punkt:

"Die neuapostolische Kirche, diese Prognose möchte ich zum Abschluss wagen, geht trotz ihrer äußeren Erfolge, wenn sie nicht eine Art zweites Vatikanisches Konzil in ihren Reihen erlebt, einer tiefen Krise entgegen."

Letzteren Satz von Helmut Obst aufnehmend ist man geneigt hinzuzufügen: Und nicht "nur" die Neuapostolische Kirche.

Summa Summarum: eine interessante, und über weite Strecken auch anregende Diskussion. Stoff, über den auch Jehovas Zeugen einmal tiefer nachdenken sollten.

Zu der eingangs referierten Diskussionsveranstaltung in Sachen Neuapostolische Kirche, gab es im Infolink-Diskussionsforum auch noch einen interessanten weiteren Kommentar:

Er ist unter dem nachfolgenden Link erreichbar, wie auch die eigentliche Diskussionsveranstaltung.

Neuapostolische Kirche Diskussionsveranstaltung

Als weiterer Link in Sachen Neuapostolischer Kirche empfiehlt sich auch:

Siegfried Dannwolf und Luise Kraft

Zu Helmut Obst vergleiche man auch noch: Helmut Obst

Videos zum Thema Neuapostolische Kirche

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