Re: Die im Dunkeln, sieht man nicht ...

Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 24. November 2007 15:38:47:

Als Antwort auf: Re: Günter Grass / Erwähnung im WACHTTURM vom 15.Oktober 2007 S. 32 geschrieben von Frau von x am 24. November 2007 11:16:38:

Mag man dem „Wachtturm" auch zubilligen, als Zeitschrift mit internationaler Verbreitung, und somit nicht speziell nur an die deutsche Leserschaft gerichtet, in seinen Berichten eine gewisse Oberflächlichkeit zu offenbaren, so ändert das nichts an dem Umstand, dass solche vorrangig auf PR-Wirkung getrimmten Berichte, dennoch einen faden Nachgeschmack hinterlassen.

"Die im Dunkeln sieht man nicht" www.solwodi.de/179.html
lässt Bertolt Brecht in seiner „Dreigroschenoper" ausrufen. Und das was die WTG da offeriert, ist auf ihre Art auch nur eine billige - zu billige - „Dreigroschenoper".

Quelle der Lokalisierung ist offenbar Hermine Schmidt, was denn WT-nahe Autoren, an anderer Stelle selbst sagen.

Jedes KZ-Schicksal, war eines zuviel. Darüber kann es keine Frage geben. Aber ohne Frage ist es auch, dass es diverse KZ-Schicksale gegeben hat, in deren Vergleich gesehen, Frau Hermine Schmidt noch Glück im Unglück hatte. Wer ihr Buch „Die gerettete Freude" einmal gelesen hat, der weis auch. Sie wurde zu Verwaltungsarbeiten im KZ abkommandiert. Faktisch kam dies einer Überlebensversicherung gleich. Sicherlich in den sich überstürzenden Geschehnissen der Endphase des Naziregimes, traf es sie dann auch hart. Aber eben nicht nur sie. Und im Gegensatz zu anderen, hat sie sehr wohl überlebt.

Tote hingegen können sich heute nicht mehr marktgerecht per von Herrn Poppenberg in Szene gesetzten Video präsentieren. Tote können auch keine „Standhaft"-Veranstaltungen als Zeitzeugen besuchen. Tote können auch keine Erinnerungsbücher, mit tatkräftiger Unterstützung eine gewissen Lobby, mehr verfassen. Tote sind schlichtweg eines: tot!

Insofern, diejenigen, die aus jenem Milieu eben doch überlebten, groß vermarktet werden. Bleibt die fade Frage zurück. Und wer vermarktet die, die eben nicht überlebt haben? Wer analysiert ihr Schicksal?

Da wird es dann still, sehr still auch bei der Zeugen Jehovas-Lobby, die für sich persönlich immer darauf achtet. Geschäfte mit den Zeugen zu machen. Wo denn möglich, nur zu. Persönlich aber nie selbst Zeuge Jehovas zu werden.

Angesichts solcher Lobby könnte ich garnicht soviel essen, wie ich denn kotzen müsste!

Frau Hermine Schmidt war bekanntermaßen in Danzig geboren. Schon aus ihrer dortigen Jugendzeit als einer Bibelforscher/Zeugen Jehovas-Familie entstammend, kannte sie offenbar auch die dort wohnhafte, dem gleichem Milieu zugehörige Familie Alfermann.

Namentlich mit Frau Rosa Alfermann verband sie dann noch das Schicksal, zusammen mit einigen anderen (auch Zeugen Jehovas), auf einem nicht Hochseetauglichen Kahn in die Ostsee ausgesetzt gewesen zu sein, und auf einer dänischen Insel dann gestrandet zu sein.

Hier wiederum hatte sie (sie mag sich dessen nicht so bewusst sein. Aber es ist so. Das riesengroße Glück im Unglück).
Wie war denn die Lage zu jener Zeit? Halb Europa war von den Nazihorden überrannt worden. Auch Dänemark ab 1940. Man vergleiche doch mal wie es etwa den Zeugen Jehovas in Österreich zu der Zeit erging. Mit ihrem extrem hohen Blutzoll, den sie zu zahlen hatten. Und dann setzte man mal das Schicksal der Zeugen Jehovas in Dänemark zur gleichen Zeit in den Vergleich. Das waren doch unterm Strich entgegengesetzte Pole wie „Hölle und Paradies". Wobei die Österreicher das Pech hatten die „Hölle" zu erwischen, die aber in Dänemark dagegen das relative „Paradies".

Wem diese These zu gewagt erscheint, der sei auf einige Passagen in dem WTG-eigenen Geschichtsbericht über Dänemark hingewiesen.

Schon bevor die deutschen Nazis an die Macht kamen, gab es in Kopenhagen das Nordeuropäische WTG-Büro. Selbiges war völlig unabhängig etwa von dem Zentraleuropäischen Büro in Bern (Schweiz) und unterstand direkt Brooklyn.
Als die deutsche Gestapo dann hiesige hochrangige Zeugen in ihrer Mangel hatte, lies sie sich dann auch von denen (sie mögen anfänglich schweigsam gewesen sein. Am Ende der Gestapo-Mangel waren sie es - nachweisbar - nicht mehr). Von diesen Gestapo-Opfern, liess sich selbige auch detailliert über die WTG-Organisationsstrukturen berichten. Und da bekam sie auch das Nordeuropäische WTG-Büro genannt. Einer der da so (vielleicht mehr zum Ende der Gestapo-Tortouren) plauderte, Konrad Franke sein Name.

Franke lieferte dann der Gestapo einen ausgesprochenen Steckbrief ab, über den von der Gestapo fieberhaft gesuchten, in Danzig wohnhaften Verbindungsmann, der die Verbindung zwischen der deutschen Untergrundorganisation und dem Schweizer WTG-Büro aufrecht erhielt. Das Schicksal diesen Mannes ist auch dergestalt bezeichnend. Er wurde auf offener Straße im Auftrag der Gestapo gekidnappt, und verschwand als berüchtigte „Nacht- und Nebel-Aktion" auf Nimmerwiedersehen.

Mag der Anteil des Herrn Franke an diesem Vorgang in Prozentzahlen beschrieben, auch relativ gering sein. Eines indes steht in seinem Schuldbuch auch geschrieben. Auch er hatte einen gewissen (begrenzten) Anteil an dieser „Aktie".

Zur dänischen Geschichte zurückkehrend, mögen vielleicht noch die nachfolgenden Passusse aus dem diesbezüglichen WTG-Bericht zitiert werden:
„Aus politischen Gründen zogen es die Besatzungsmächte vor, Dänemark als ein „Musterbeispiel der Schutzherrschaft" hinzustellen, und dadurch wurde den Dänen recht viel persönliche Freiheit gewährt. Da die Brüder vorsichtig waren, konnten sie ihre Predigttätigkeit fortsetzen....

So fehlte es also nie an geistiger Speise. All die Kriegsjahre hindurch war es möglich, sowohl die Zeitschriften Der Wachtturm und Trost als auch andere Literatur zu veröffentlichen und zu verbreiten. Sogar Ende des Jahres 1941, als in englischen Ausgaben des Wachtturms eine Artikelserie über die Prophezeiung Daniels veröffentlicht und darin Deutschland als der König des Nordens bezeichnet wurde, erhielten die Brüder trotz allem auch diese Information. Man hielt es nicht für ratsam, diese Artikel im dänischen Wachtturm zu drucken; deshalb wurden sie vervielfältigt, und Kreisaufseher, die von Versammlung zu Versammlung reisten, lasen sie einer Zuhörerschaft vor, die nur aus Brüdern und Schwestern bestand, die ihren Ausweis bei sich hatten....

Während des Krieges konnten verschiedene Kongresse stattfinden. Ein denkwürdiger Kongreß wurde am 28. und 29. August 1943 in Kopenhagen im Odd-Fellow-Palais abgehalten. Der erste Kongreßtag verlief planmäßig. Da jedoch die Besatzungsmacht mehr und mehr Forderungen an die dänische Regierung stellte, fühlte sich Dänemark politisch in die Enge getrieben, und am Samstag, den 28. August — der Tag, an dem der Kongreß im Odd-Fellow-Palais begann — verweigerte die Regierung weitere Unterstützung.

Am Sonntag morgen trat das deutsche Heer in Aktion. Der Oberbefehlshaber der Deutschen verhängte über Dänemark das Kriegsrecht. Die dänische Armee und die Kriegsflotte wurden kampfunfähig gemacht, einige führende Persönlichkeiten wurden verhaftet, und die Regierung wurde aufgelöst. Nicht nur das Versammlungsrecht wurde aufgehoben, sondern es durften sich auch keine Gruppen mehr auf den Straßen bilden. An jenem Morgen trafen sich die Brüder in Privatwohnungen. Man besprach die Lage und war sich im klaren darüber, daß der Kongreß abgebrochen werden müßte.

Aber es ergab sich, daß eine Art des Zusammenkommens nicht verboten war — kirchliche Gottesdienste. So wurde schnell eine Mitteilung verschickt, die besagte, daß man sich am Nachmittag im Odd-Fellow-Palais zu einem „kirchlichen Gottesdienst" treffen könne. Brüder aus dem Bethel wurden mit Taxis zu den verschiedenen Wohnungen gebracht, und von dort breitete sich die Botschaft unter den Brüdern wie ein Lauffeuer aus. Um nicht unnötig die Aufmerksamkeit auf ihr Vorhaben zu lenken, kamen die Brüder zu zweit oder zu dritt an. Durch einen Seiteneingang wurden sie in den Saal gelassen. Bald darauf waren 1 284 Brüder und Schwestern versammelt.

Im Jahr 1943 ging das Gerücht um, daß die Zeugen in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien eigene Bibelschulen hätten. Da die Brüder in Dänemark wegen des Krieges keinen direkten Kontakt zur Weltzentrale hatten, machten sie in gutem Glauben Pläne für eine Schule. Sie kauften in Lohals auf der Insel Langeland ein Haus in schöner Umgebung. Dort, mit Blick aufs Meer, richteten sie ihre ganz private Bibelschule ein. ...

Am Montag, den 5. Juni 1944 begann der Unterricht für die erste Klasse. Jeder Kurs dauerte zwei Wochen....
Obwohl die Schule nur einen Sommer lang durchgeführt wurde, hatten sich ungefähr 450 Brüder und Schwestern in die Liste der Teilnehmer einschreiben lassen. Eigentlich war die Schule aufgrund eines Mißverständnisses ins Leben gerufen worden.

Diesem, wie es die heutige WTG formuliert „Missverständnis" war es zuzuschreiben, dass seitens der dänischen Zeugen Jehovas eine perfekte Infrastruktur bestand, die nun auch ihren gestrandeten deutschen Glaubensgeschwistern, tatkräftig helfen konnte. Die Ostsee soll ja relativ groß sein. Kommissar Zufall (oder in der Lesart der Zeugen, eben Jehova), hatte bewirkt, dass der Kahn mit der Frau Hermine Schmidt mit an Bord, eben in Dänemark gestrandet war. Was aber wäre, er wäre überhaupt nirgendwo mehr gestrandet, sondern schlicht und einfach in der Ostsee abgesoffen? Wie es ja die eigentliche Naziplanung war?

Dann wäre wohl kaum etwas mit dem tingeln von einer zur anderen „Standhaft"-Veranstaltung geworden, wie es ja auch Frau Hermine Schmidt noch vergönnt war. Dann hatte sie sich auch eingereiht gesehen in das große Heer der die im Dunkeln sind, und die man nicht mehr sieht.

Zu den Alfermanns zurückkehrend; wie erging es ihnen? Dazu ist aus der veröffentlichten Literatur unter anderem dieses entnehmbar.
Oscar Alfermann (geb. 1884), der Vater des in Rede stehenden Jochen Alfermann, geriet zusammen mit seiner (zweiten) Frau Rosa Alfermann (geb 1889), im Februar 1937 erstmals in die Mühlen der Gestapojustiz. Wie es heisst sollten sie eine zweimonatige Haftstrafe absitzen, oder Ersatzweise eine Geldstrafe dafür leisten. Welche Variante davon eintrat, ist nicht näher überliefert. Überliefert hingen ist ihre Einweisung in das KZ Stutthof im Jahre 1944. Das Schicksal von Oscar Alfermann in der Endphase des Naziregimes wird mit den Worten beschrieben:

„ Oscar Alfermann reiste mit einem der Häftlingstransporte über die Ostsee und landete in der Flensburger Förde. Er starb kurz nach der Befreiung in einem Flensburger Krankenhaus an Typhus."

Da hatte seine Frau, mit ihrer Mit-Strandung in Dänemark dann in der Tat mehr Glück.

Aus der ersten Ehe des Oscar Alfermann entstammten zwei Söhne. Eberhard (geb. 1924)
und Joachim (geb. 11. 5.1926).
Über den Joachim Alfermann heisst es dann:

„Soweit bekannt, wurde Joachim Alfermann am l. Februar 1944 ebenfalls ins KZ Stutthof gebracht und blieb dort bis April 1944."

Das dürfte dann zeitlich, mit hoher Wahrscheinlichkeit nach der von Günter Grass geschilderten Episode liegen. Über den Joachim Alfermann schrieb Frau Schmidt dann noch in ihrem Erinnerungsbuch (und selbiges war vor dem Text des Herrn Grass veröffentlicht worden):

„Jochen Alfermann war ein lieber Junge. Groß und blond und ungefähr so alt wie ich. Seine Mutter starb sehr früh an Diabetes und Jochen war dadurch möglicherweise ein wenig erblich geschädigt. Sein Bruder Eberhard der Erstgeborene und die Mutter da noch gesund - war das Gegenteil von ihm. Er war nicht nur sehr hübsch und ein dunkler Typ, sondern auch pfiffig und charmant, soweit ich mich erinnern kann.
Jochen aber geriet bei der Verhaftung seines Vaters, Oskar Alfermann, und der seiner lieben Stiefmutter Rosa, mit in die Maschinerie der Gestapo. Und somit landete auch er im KZ Stutthof.

Jochen hat überlebt, ich weiß leider nur wenig über ihn.
Eberhard, sein Bruder, sorgte später liebevoll bis zu ihrem Tod für seine Stiefmutter Rosa, die mit mir zusammen in Dänemark befreit wurde."


Ein neuerer Text hingegen stellt das weitere Schicksal des Joachim Alfermann etwas anders dar. Und dieser Text wurde von keinem Geringeren als von Herrn Wolfram Slupina nebst einem offenbar besonders für Polnischsprachige Quellen zuständigen Ko-Autor, verfasst.
In diesem Text liest man:

„Soweit bekannt, kam er am 1.2.1944 (wie seine Eltern) ins KZ Stutthof und blieb dort bis März 1945; er starb 1998."
„Religion - Staat - Gesellschaft" 2007 Heft 1 S. 63 Fn.57.

„Er starb 1998". Das war also schon zu einer Zeit, wo die „Standhaft"-Kampagne auf vollen Touren lief. Nie indes, in keinem bekannten Ort selbiger, ist ein Herr Alfermann als Zeitzeuge je aufgetreten.
Die Zeugen rühmen sich ja ihrer relativ perfekten Organisation. Für eine perfekte Organisation dürfte es dann, wenn man schon das Todesjahr weis, auch keine unüberwindbare Schwierigkeit sein zu eruieren. Wo ist denn dieser Joachim Alfermann nach 1945 abgeblieben. Hat er sich einer örtlichen Zeugen Jehovas-Gemeinde angeschlossen? Und wenn ja, welcher denn. Nichtsdergleichen indes vernimmt man.

Das erinnert dann penetrant an die Sprachlosigkeit
von WTG-Kreisen, etwa in den Fällen Fritz Winkler,Heinrich Ditschi, Frieda Christiansen und andere mehr!

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