"Mißbrauch der Glaubensfreiheit"
geschrieben von:  Drahbeck 
Datum: 11. Oktober 2014 08:22
Nun also liegt sie vor, die vorangekündigte Studie von Falko Schilling mit dem Titel:
"Die Zeugen Jehovas in der SBZ/DDR 1945 bis 1951
Neuanfang, Behinderung und Verfolgung".
Um zuerst die dem Organ der Ost-CDU vom 2. 9. 1950 entnommene Artikelüberschrift "Mißbrauch der Glaubensfreiheit" pauschal etwas zu vertiefen (in der Studie von Schilling als Teilabdruck auf dem Titelblatt abgedruckt), so bringt diese Überschrift schon mal die Befindlichkeit, angesichts der Hausforderung durch die Zeugen Jehovas, sowohl Ostdeutscher politischer Kreise, aber auch bis hinein in kirchliche Kreise, zum Ausdruck. Für letztere These mag neben den Hinweis auf weitere Verlautbarungen einschlägiger Art in der "Neuen Zeit" auch der Hinweis dienen auf das in Dresden erscheinende Kirchenblatt "Der Sonntag" (Ausgabe vom 17. 9. 1950).
Da von Schilling in seinen Ausführungen nicht zitiert, mag es an dieser Stelle geschehen.
Unter der Überschrift: "Zum Verbot der „Zeugen Jehovas" verlautbarte jenes Blatt:

"Als Christen freuen wir uns nicht darüber, wenn eine Vereinigung, die Gott dienen will und sich auf die Bibel beruft, einem staatlichen Verbot zum Opfer fällt, auch dann nicht, wenn diese Berufung auf die Bibel zu Unrecht geschieht und eine solche Vereinigung in einer alten Feindschaft zur Kirche und Gemeinde Jesu steht, wie das bei den „Zeugen Jehovas" (Bibelforscher) der Fall war. 

Wir wissen, daß die Gewissens- und Glaubensfreiheit ein hohes Gut ist und empfinden es schmerzlich, wenn diese aus irgendeinem Grunde durch die Organe des Staates eingeschränkt werden muß. Wir haben es auch nicht vergessen, daß gerade die Anhänger dieser Sekte es gewesen sind, die während der Hitlerzeit tapfer für ihre Überzeugungen gelitten und gestorben sind, gewiß für eine abwegige Überzeugung, aber doch immerhin für ihre Überzeugung. Viele Christen haben dieses Opfer für ihren Glauben nicht gebracht. 

Immerhin - wir haben uns nicht gewundert, als in den letzten Wochen durch die Tagespresse und den Rundfunk Nachrichten verbreitet wurden, die auf einen ernstlichen Konflikt zwischen dem Staat und den „Zeugen Jehovas" schließen ließen und haben es vorausgesehen, daß es zu einem solchen Verbot kommen würde. Denn wir wissen es seit langem, jeder, der sich mit der Lehre der Bibelforscher einmal beschäftigt hat, weiß es: Die Bibelforscher sind nicht nur ein erklärter Feind der christlichen Kirche, sie sind auch ein Feind jeder staatlichen Ordnung, ganz gleich, welcher Art diese Ordnung ist. So waren sie ein Feind des nationalsozialistischen Staates, nicht deshalb, weil dieser Staat so oder so war, sondern weil es ein Staat überhaupt war. So werden sie jeden Staat ablehnen, denn sie sehen im Staat ein Werk des Teufels. Das hängt mit ihrer Lehre zusammen, auf die wir hier nicht näher eingehen können. 

Wir Christen denken da anders. Wir wissen, daß Gott den Staat will um der Ordnung willen, um dem Bösen in der Welt zu wehren. Das ist die Aufgabe, die Gott dem Staat zugedacht hat, auch dem nichtchristlichen Staat. Solange er diese Aufgabe erfüllt, sind wir Christen zum Gehorsam gegen den Staat verpflichtet. Dieser Gehorsam der Christen gegen den Staat hat eine Grenze nur dann, wenn der Staat selbst Böses tut, das heißt, wenn er gegen die 10 Gebote handelt.
Dann kann auch ein Christ nicht mehr gehorchen und muß bereit sein, um seines Glaubens willen zu leiden. Wir sehen also, welch himmelweiter Unterschied besteht zwischen dem Ungehorsam der Bibelforscher gegen jede staatlichen Ordnung und dem Ungehorsam, zu dem auch ein Christ sich unter Umständen berufen weiß. Dort handelt es sich um Ungehorsam auch gegen Gott, der den Staat will. Hier handelt s sich letztlich um Gehorsam gegen Gott, der auch vom Staat Gehorsam gegen seine Gebote verlangt. 

Man hat seit 1945 die Kirche oft gefragt, warum sie sich denn mit der offensichtlichen Irrlehre der Bibelforscher nicht öffentlich auseinandersetzte. Das hat die Kirche in den zwanziger Jahren getan, damals nach dem ersten Weltkrieg, als die Bibelforscher auch schon viel von sich reden machten. Aber gerade in den damaligen Auseinandersetzungen haben wir gelernt, daß sie zwecklos sind, und daß man damit höchstens noch Propaganda für sie macht. Man muß sich mit den Bibelforschern nicht auseinandersetzen, sondern man muß für sie beten, daß Gott sie von ihrem Irrtum bekehre. Und man muß auch eine solche Verwirrung sich auswirken lassen bis zum Ende.

Nun ist dieses bittere Ende für die Bibelforscher gekommen. Wie gesagt: wir frohlocken nicht schadenfroh über dieses Verbot, aber wir haben es kommen sehen, daß die Bibelforscher wieder so enden würden."

Um noch beim Aspekt der zeitgenössischen Publizistik zum 1950er ZJ-Verbot zu verbleiben, so stimme ich mit Schilling darin überein, das wohl ein thematischer Artikel dazu des SED-Funktionärs Horst Sindermann ist;
"den Höhepunkt der Kampagne stellte der Artikel von Horst Sindermann: „Eine raffiniert getarnte amerikanische Spionageorganisation. Dokumentarische Beweise für die Agententätigkeit der 'Zeugen Jehovas'" erschienen am 3.9. 1950 September"

darstellt. Bereits mal als Volltext mal zitiert.
Siehe dazu. http://27093.foren.mysnip.de/read.php?27094,356392,427314#msg-427314 
„Zu mager ausgefallen". Dort mehr am Textende.
Zu Sindermann hätte ich noch zu kritisieren, nicht nur seine Einbeziehung des Spionagevorwurfes, auch kritisch zu sehen ist sein Versuch, die ZJ in die Ecke der Antisemiten zu stellen.
Es gab Wandlungen in der Theologie der Zeugen Jehovas, noch in der ersten Auflage des WTG-Buches "Gott bleibt wahrhaftig" lassen sich isoliert, antisemitische Passagen nachweisen. Auch in weiteren WTG-Schriften jener Zeit. Das waren dann aber "Ausläufer" der 1932 von Rutherford eingeleiteten Veränderung in der Bewertung der Juden. Um 1950 waren sie keineswegs mehr so dominierend, dass man die ZJ generell als Antisemiten verschreien konnte, wie Sindermann es noch versucht.
Da überzieht er in seiner Argumentation.
Auch der Spionagevorwurf gehört zu den überzogenen Elementen der Agitation des Ostdeutschen Regimes.
Schilling ist diesbezüglich zuzustimmen;
"Der Bestrafung der Angeklagten lagen keine tatsächlichen Spionagehandlungen zugrunde, sondern in erster Linie wurden sie wegen ihrer aufopferungsvollen Dienstbarkeit für eine Organisation verurteilt, deren Tätigkeiten insgesamt als staatsfeindlich angesehen wurden, da sie angeblich dem nach offizieller Lesart einen dritten Weltkrieg vorbereitenden USA-Imperialismus unterstand."

Zustimmbar ist auch dem Text auf dem Buchumschlag: "Die Abhandlung zeigt an ... dass bereits die frühe DDR keinen Spielraum für liberale bürgerliche Freiheitsrechte einräumte."

Und weiter den sonstigen Aussagen in den verschiedenen Vorworten zum Buch.

"Nach innen regiert (bei den ZJ) ein restriktives System der Berichterstattung und der Kontrolle. Aussteiger haben über dieses restriktive Binnensystem der ZJ berichtet. ...
Dazu gehören die Ablehnung des Militärdienstes oder die Wahrnehmung des Wahlrechts. Das ließ und lässt sie für diktatorische Systeme zur Zielscheibe für Verfolgung werden.
Schnell stießen jedoch zwei zentralistisch geführte, hierarchisch organisierte und autoritäre Systeme aufeinander.

Und: "Wer will ihnen (den ZJ) vorwerfen, dass sie die Kommunisten als Nachfolger der Nazis bezeichneten?"

Auf letztere gemischt ambivalente Aussage komme ich weiter unten (dann allerdings nur in indirekter Form) nochmals zurück.

Etwas erstaunt nimmt man zur Kenntnis, dass der Autor seine Studie mit zwei Vorworten versehen hat. Eins datiert mit 1998 und das zweite mit 2014.
Das Rätsel löst sich dann dergestalt auf das er desweiteren mitteilt: "Die vorliegende Arbeit wurde im April 1998 als wissenschaftliche Hausarbeit zur Zweiten Theologischen Prüfung in Magdeburg eingereicht."

Und weiter für die jetzige Publikation "wurde das Manuskript nochmals durchgesehen und an einigen Stellen geringfügig verändert."

Besonders die Seiten 15 - 39 sind wohl jener 1998er Ausarbeitung zuzurechnen.
Weiter verweist er darauf, das wesentliche Teile seiner Studie bereits im Jahre 2001 in einer Festschrift für Helmut Obst (dort die Seiten 88 - 105) publiziert wurden.
Insider wissen, dieser Teil ist im Internet durchaus als Volltext greifbar.

http://books.google.de/books?id=Tf3wC4Izm8EC&pg=PA88&dq=falko+schilling&hl=de&cd=1&redir_esc=y#v=onepage&q=falko%20schilling&f=false
"der mit Teilen dieser Arbeit identisch ist."

Auch Schilling muss berichten: "Für den Verfasser dieser Studie war das Archiv des Deutschen Zweigbüros in Selters dagegen nicht zugänglich!"

Wir wahr!
Wer nicht gerade in die Trompete der WTG-Begünstigung mit einstimmt, wie etwa die Garbe und Co, bekommt halt diese Chance nicht.
Zu dem Autor Dirksen und dessen voluminösen Studie merkt auch Schilling an: "Kritisch ist anzumerken, dass sich Teile der Arbeit Dirksens wie eine Selbstdarstellung der Zeugen Jehovas lesen"

Auch dazu ein: Wie wahr!
Zu den mir persönlich einige "Bauchschmerzen" verursachende Aussage Schilling zähle ich seine Aussage, indem er den Autor Lothar Gassmann und dessen Buch "Die Zeugen Jehovas", Neuhausen/Stuttgart 1996, zu den thematisch "guten" Büchern zählt. Das sehe ich allerdings, grundlegend anders.
Weiter erfährt man in einer Fußnote:
"Der Verfasser hat seine gesammelten Archivalien wegen schwerer Krankheit im Sommer 2012 dem Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft in Berlin übergeben."

Damit ist wohl Schilling aus dem Kreis jener ausgeschieden, die auch noch zukünftig relevante Forschungsbeiträge vorzulegen vermögen.

In einem Teil seiner Studie (1998) beschreibt er auch die Wandlungen der WTG-Obrigkeitslehre mit den relevanten Daten 1929 und 1962/63 die man beim ZJ-Thema - auch im Hinblick auf Ostdeutschland - keinesfalls unberücksichtigt sein lassen kann.
Auch Schilling erwähnt:
"Eine von der sowjetischen Besatzungsmacht nicht geduldete Form der Betätigung der ZJ stellte deren intensive Haustürmission dar. Sie war seit dem 4. Juni 1948 gemäß einer mündlichen Weisung Oberleutnant Kolosenkos von der Zentralkommandantur Dresden in Sachsen grundsätzlich verboten. Für die Stadt Chemnitz lässt sich eine ebenfalls mündlich gegebene Anordnung des zuständigen Offiziers der Kommandantur vom 30. Juni 1949 über das Kommissariat 5 (K 5) zur Untersagung der Hauswerbung der ZJ durch die Polizei nachweisen."

Damit wären wir langsam an dem Punkt angelangt, der weiter oben in die Worte zusammengefaßt wurde:
"Wer will ihnen (den ZJ) vorwerfen, dass sie die Kommunisten als Nachfolger der Nazis bezeichneten?"
Auf letztere gemischt ambivalenten Ausage komme ich weiter unten (dann allerdings nur in indirekter Form) nochmals zurück."

Dazu mag eine neutrale Quelle die "Wikipedia" zur weiteren Veranschaulichung dienen:
Prinzipiell gibt es in der Bibel auch die Aussage, man wolle eigentlich nur ein ruhiges und ehrbares Leben führen. Nicht so die ZJ, was den Aspekt "ruhig" anbelangt.
Unter dem Stichwort "American way of life" notiert die "Wikipedia" unter anderen auch:
"Der American way of life (etwa „amerikanische Lebensart", früher auch „Amerikanismus") bezeichnet eine für die Vereinigten Staaten typische Art zu leben und das Leben zu gestalten. Vom 'way of life' vieler anderer Nationen oder Weltregionen (z.B. Europa, Asien) unterscheidet sich der amerikanische deutlich ... In der Wirtschaft wird dieses Konzept durch den Glauben ausgedrückt, dass ein Wettbewerbsmarkt Talente fördere. In der Politik drückt es den Glauben an die Überlegenheit einer freiheitlichen Demokratie aus, die auf einem produktiven und wirtschaftlichen Wachstum basiert. Während des Kalten Krieges wurde der Ausdruck oft in Medien verwendet ...
Der Begriff wurde und wird - oft mit antiamerikanischem Unterton - mit als solchen wahrgenommenen negativen Aspekten der amerikanischen Kultur in Zusammenhang gebracht, beispielsweise mit exzessivem Konsum, Umweltverschmutzung, der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft wie natürlicher Rohstoffe oder Sendungsbewusstsein.
Präsident George W. Bush erklärte nach 9/11, der amerikanische Lebensstil sei „nicht verhandelbar" ("the 'way of life' of the Americans is not negotiable."

http://de.wikipedia.org/wiki/American_Way_of_Life
Bei der WTG-Religion hat man es mit einer besonders aggressiven Form jener Tendenz zu tun.
Gegenreaktionen durchaus provozierend. Etwa in Griechenland ausgesprochene (wenn auch nicht realisierte) Todesurteile - nach 1945 - für Wehrdienstverweigerer aus dem Zeugen Jehovas-Bereich. Oder eben auch die Ostdeutsche Tragödie in ihren verschiedenen Facetten.
Man kann sich durchaus der Meinung von Schilling anschliessen:
"gerieten die Zeugen Jehovas immer wieder in Auseinandersetzungen mit den großen Kirchen und den jeweiligen politischen Machthabern, die ihrerseits den Einfluss und die Ziele der Sekte als weit gefährlicher bewerteten, als sie tatsächlich waren."

Dennoch gilt es die USA-Politik in Gesamtheit dabei, keineswegs unberücksichtigt zu lassen
Schilling referiert, nicht mal ansatzweise den McCarthyismus in den USA die manchen zu dem Ausruf veranlassen, der Faschismus nach 1945 hat eine Wiedergeburt (abgewandelter Art) in den USA.
Neuere Meldungen etwa wie die USA systematische Telefonspionage - auch gegen Regierungen angeblich befreundeter Art - betreiben, die einen Aufdecker dieser Tendenz dann zwangen in Russland Asyl zu suchen.
Oder auch jener Bericht aus einem Hamburger Politikmagazin (Nr. 40/2014 S. 33)
Artikelüberschrift: "Unter den Wolken. Flugverkehr. US-Grenzbeamte entscheiden, wer von Deutschland in die Vereinigten Staaten fliegen darf. Auf welcher rechtlichen Grundlage eigentlich? Datentschützer sind alarmiert"
 

Danach nehmen besagte US-Grenzbeamte auf europäischem und auch deutschen Boden, insistierende Verhöre von Fluggästen vor, die falls sie nicht mit dem Wohlwollen jener US-Grenzbeamten enden, in der Verweigerung eines Flugantrittes enden können. Realisiert auf deutschen Flughäfen.
Das zeigt dann wohl, was die Souveränität dieses Staates "wert" ist. Im Falle der USA noch nicht mal das Papier auf dem sie denn gedruckt! 
Ein Ausläufer jener faschistischen USA war und ist dann auch in der WTG-Religion zu besichtigen, einschließlich Folgewirkungen!
Weiteres zu Schilling

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