„Und als ich 1937 in die
Schule gekommen bin, hatte meine Mutter mich gefragt, ob ich zu den
Großeltern in die Ferien wollte. ... Als die Ferien zu Ende waren,
dachte ich, ich ginge jetzt wieder zurück zu meiner Mutter. Aber meine
Oma fragte nur:
»Willst du bei uns bleiben? Deine Mutter ist im Krankenhaus.« Ich war
gern bei meinen Großeltern. Die hatten Tiere und ein bisschen
Landwirtschaft. Da habe ich mich wohlgefühlt. Eine Cousine sagte eines
Tages zu mir: »Du glaubst auch alles, was man dir sagt. Deine Mutter ist
gar nicht im Krankenhaus.
Deine Mutter ist im Gefängnis. Und weißt du, warum? Die ist ein
Bibelwurm.«
Auf Grund dieser Gemengelage bleibt sie also dort; aber nicht bei der Oma
sondern bei ihrer Tante (der Schwester der Mutter). Sie beschreibt die
Sachlage so. Bei der Oma ging es ihr eigentlich gut; selbiges indes konnte
sie von ihrer Tante kaum berichten. Primär wohl auch aus wirtschaftlichen
Gründen, den auf „Rosen gebettet" war wohl auch diese Tante nicht.
Weiter im Zitat:
„1942 wurde meine Mutter aus
dem KZ entlassen. Ich hätte sie auf der Straße nicht erkannt. Sie war
nur noch Haut und Knochen, wie ein altes Weiblein.
Die hat in sich hineingestopft, was sie nur essen konnte. Der Vater kam
1945 raus. Auch er hat überlebt."
Dann habe sie mit 14 Jahre drei Jahre lang eine Landwirtschaftliche
Ausbildung (nach 1945) absolviert.
Bereits im Jahre 1952 wird sie vom Ostdeutschen Regime verhaftet.
Gelebt habe sie zu der Zeit in einem kleinen Dorf.
„Dort gab es in dem ganzen Umkreis außer mir nur einen anderen Zeugen Jehovas. Das war Herr Wegner, der besaß ein großes Gut. Ich habe bei dem Gutsbesitzer gearbeitet."
Und weiter:
„Auch der Gutsbesitzer ist damals verhaftet worden. Ich bekam zehn Jahre Zuchthaus und er acht, nur weil er mich beschäftigt hat. Ihn hat man dann enteignet."
Im April 1957 sei sie dann aus der Haft entlassen worden (also eine
„vorzeitige" Haftentlassung).
Ungebrochen setzt sie die ZJ-Predigttätigkeit fort, und wird schon nach ganz
kurzer Zeit, erneut erwischt, kommt aber diesmal dergestalt mit dem
Schrecken davon, ohne damit verbundenes erneutes Gerichtsverfahren.
Lediglich ihre Adressdaten werden wohl aufgenommen, und sie ist wieder frei.
In der Folge:
„Und der Aufseher der Zeugen Jehovas sagte, ich solle in den Westen gehen, ich sei ihnen keine Hilfe mehr. Er sagte: »Jetzt stehst du auf einem ganz schwarzen Brett. Kaum entlassen, haben sie dich wieder geschnappt. Im Westen bist du frei und kannst deine Pionierdienste machen.«
Nachdem sie nach einigem Zögern dieser Empfehlung nachkam, wird in der
Folge eine ihrer nächsten Stationen das
Notaufnahmelager
in Berlin-Marienfelde sein.
Dort wird sie noch eine Erfahrung der „besonderen Art" sammeln.
„Eines Tages wurden einige von
uns in eine grüne Minna geladen. Das waren Lehrer und ganz verschiedene
Leute. Und wo haben sie uns hingefahren? In ein amerikanisches
Hauptquartier.
Zunächst habe ich mich gefragt, ob Landwirtschaft wohl für die
Amerikaner interessant ist? Die haben doch genügend Farmer. Denn die
anderen, die mit mir fuhren, waren Intellektuelle. Ich habe aber ganz
schnell rausgekriegt, was die wollten. Ich hatte in der Volkshochschule
Russisch gelernt und konnte auch ganz gut Russisch.
Die haben mir den Vorschlag gemacht, ich solle in den Osten gehen, ich
wäre der Typ für russische Offiziere. Ich sollte russische Offiziere in
den Westen locken."
Gemäß ihren Angaben habe sie dieses Ansinnen aber abgelehnt.
„Da wurden die richtig pampig. Die US-Militärpolizei hat mir sogar gedroht: »Sie können in Marienfelde schmoren. Wir fliegen Sie nicht nach dem Westen aus.«
Letztendlich wurde diese Drohung nicht umgesetzt, und die spätere Renate
B. wird als neuen Wohnort demnächst
Witzenhausen in
Hessen
angeben können.
Unabhängig davon, dass jener Anwerbeversuch wohl nicht so aufging wie die
westlichen Stasi-Kollegen sich das so vielleicht vorgestellt hatten.
Unabhängig davon redet sie ja auch davon. Nicht nur sie, sondern eben auch
andere Ostflüchtlinge wurden den US-amerikanischen
„Sichtungsstellen"
zugeführt. So wie in ihrem Falle festgestellt wurde, die könne aber
verhältnismäßig gut russisch sprechen, so wurden auch in all den anderen
Fällen seitens der westlichen Geheimdienste Überlegungen darüber angestellt,
wie die nun unter ihrer Fuchtel sich befindlichen Ostflüchtlinge, für die
Ziele der westlichen Geheimdienste instrumentalisiert werden könnten. Und
das wie man sieht, sogar im Falle von Zeugen Jehovas. Und dabei wurde auch
mit Drohungen gearbeitet, wie in diesem Falle mit der Drohung sie im
Marienfelde „verschmoren" zu lassen, wenn sie nicht gefügig würde.
Über die Erfolgsquoten solcher Machenschaften mag man - vielleicht - Zweifel
anmelden. Ausschlaggebend ist indes, das diese Anwerbeversuche überhaupt
unternommen wurden. Und es ist weiter als gesichert unterstellbar, bei einem
gewissen Teil sogar erfolgreich.
Nun im Westen.
Flogen ihr da nun die „gebratenen Tauben" nur so ins Maul?
Wer diesen Bericht aufmerksam liest wird das kaum sagen können.
Zwar sollte auch sie noch eine Haftentschädigung von etwa 20.000 DM
erhalten. Nur, wann erhielt sie die? Gleich nachdem sie im Westen ankam, und
wo sie die vielleicht am allernötigsten hätte gebrauchen können. Wohl kaum.
Das trat erst ein, als der DDR-Staat nicht mehr existierte, man sich in
Bundesrepublikanischen Gefilden - eher unwillig - auch mal Gedanken über
eine Entschädigung der Opfer der Ostdeutschen politischen Justiz machen
musste.
Im Westen musste sie zusehen, wie sie sich über Wasser hielt. Sie entschied
sich für den Weg eines Wäschereibetriebes, und es kann unterstellt werden,
einen gewissen Kundenstamm dabei kann sie wohl als gesichert betrachten,
zumindest in früheren Jahrzehnten. Ob in der Gegenwart so auch noch; dabei
wären wohl Zweifel anzumelden, was „zwischen den Zeilen gelesen" im Bericht
auch deutlich wird. Immerhin handelte es sich um einen alteingesennenen
Familienbetrieb, welcher durch Einheirat dann quasi von Renate B.
fortgesetzt wurde. Dieser Job vermochte dann zu damaliger Zeit, seine
Frau/Mann halbwegs zu ernähren. Auf welchem Level? Dafür mag ihre Angabe
auch aufschlußreich sein:
„Im Westen hat Renate B...
nicht mehr in der Landwirtschaft gearbeitet.
Sie bekommt einen Job in der Wäscherei eines Kinderheims in Hildesheim.
Ihr Wissen stammt von der Fachschule, auf der sie in Landwirtschaft
ausgebildet worden ist. Waschen und Babypflege wurden dort ebenfalls
gelehrt....
Renate B ... heiratet in Witzenhausen in Hessen den späteren Vater ihrer
Kinder. Von dessen Onkel übernehmen sie und ihr Mann die Wäscherei, die
sie nach dessen Tod zunächst allein weitergeführt und nun an die Tochter
weitergegeben hat."
Was ihre sonstige finanzielle Ausstattung anbelangt, dürfte wohl auch die Angabe erhellend sein:
„Gleich nach der Wende bin ich
rehabilitiert worden und bekam die Haftentschädigung. Damals war die
Wäscherei verschuldet. Da habe ich die ganzen 20.000 Mark hier in die
Wäscherei gesteckt. Wir hatten damals gerade einen Maschinenschaden. Ich
habe die Wäscherei retten können.
Ein andermal gingen die Fabriken im Umland pleite, und die Frauen
blieben zu Hause und wuschen ihre Wäsche selbst. Ich musste damals mein
Häuschen verkaufen, um den Betrieb zu retten.
Die Rentabilität jenes Betriebes mag auch der Umstand verdeutlichen, dass
er es für angebracht hielt, auch noch als Dienstleistungszentrum für einen
Paketdienst mit zu fungieren. Ergo ist der eigentliche Umsatz des
Wäschereibetriebes wohl kaum als „überragend" zu bezeichnen.
Nachwirkungen
Natürlich habe ich was davongetragen. ..
(das mag hier jetzt nicht weiter zitiert werden. Man kann es sich auch so
gut vorstellen).
Weiter im Zitat:
„Ich lebe jetzt von einer
knappen Altersrente. Aber daran bin ich selber schuld. Ich habe nicht
geklebt, solange ich die Wäscherei hatte. Ich habe Maschinen gekauft,
und für mich selbst war nie Geld da. Der von der Handwerkskammer hat
gesagt, ich hätte immer nur für andere gesorgt. Es war auch so. Aber
jetzt kommt wenigstens noch die Opferrente dazu.
Ohne die Opferrente komme ich auf 580 Euro Rente und Wohngeld. Ich lebe
in einer Einraumwohnung für 260 Euro inklusive der Nebenkosten im Monat.
... Ich bin ja doch die meiste Zeit in der Wäscherei.
Wenn es mit dem Geld knapp wurde, habe ich mich bisher schon mal an die
Häftlingshilfestiftung gewendet, um finanziell etwas Luft zu bekommen.
Künftig wird das nicht mehr gehen. Meine Kinder haben gerade so Ihr
Auskommen. Von der Wäscherei kann die Familie der Tochter leben, aber
sie können nichts auf die Seite bringen.
Medikamente könnte ich mir nicht kaufen von meiner kleinen Rente.
Als ich jetzt von der Stiftung Geld bekommen habe, habe ich gedacht,
jetzt kann ich mir mal etwas gegen die Schmerzen besorgen, dafür habe
ich jetzt einen Notgroschen.
So also sieht die tatsächliche Wirklichkeit für etliche von der
WTG-Betörten aus; die da den Rattenfängerthesen eines „bevorstehenden
Paradieses" auf den Leim krochen.
Ausnahmen mögen dann die Regel bestätigen, wie die Ausnahme des
Firmeninhabers
Waldemar Hirch,
oder der da mal den Herrn Franke gesponsert habende
„Ricky King"
getreu dem Motto:
„Wer gut schmiert, der fährt gut".
Der Bericht der Erika
von Hornstein