Geschrieben von D. am 04. Mai 2002 22:57:15:

Als die "theokratische" Diktatur noch nicht ganz so perfekt war
Rückblick auf den Fall Halle (Saale)
Auszugweise entnommen aus der CV 86 (September 1976)

In Halle verließen im Zusammenhang mit dem falschen Endzeittermin von 1925 die Mehrzahl aller (102 von 150) seinerzeit die WTG. In der entscheidenden Zusammenkunft stimmten 102 für den damaligen Hallenser Altesten Br. Karl Berke und gegen den damaligen Leiter des Bibelhauses und WTG-Vertreter Paul Balzereit, Magdeburg. WTG-Präsident Rutherford erhielt in Halle überhaupt keine Stimme. Er hatte als Hauptverantwortlicher völlig das Vertrauen verloren. Pilgerbruder Georg Rabe damals: "Da sieht man doch, daß die Versammlung nicht in Harmonie ist mit dem Werke des Herrn. Die Persönlichkeit erkennt ihr nicht an, sonst würdet ihr sie gewählt haben. Im Gegensatz zu den Persönlichkeiten stehen heißt im Gegensatz zum Werke stehen. Wenn ihr zu den Persönlichkeiten kein Vertrauen habt, habt ihr auch zum Werke keins. Br. Rutherford keine Stimme, Br. Binkele (Zentraleurop. WTG-Büro Bern) nur eine, Br. Balzereit nur 60, wie könnt ihr da in Harmonie mit dem Werke sein?"

Als Br. Rabe aufforderte, aufzustehen, wer für Br. Rutherford sei, protestierte die Versammlung dagegen, sich Entscheidungen .aufzwingen zu lassen, Zuvor hatten Br. Rabe und Br. Bobsin versucht die Wahl von WTG-Vertrauten durchzusetzen. Als dadurch Erregung entstand, griff Br. Bobsin zu … Einschüchterungen, indem er die Protestierenden mit Kommunisten verglich.

Einige Tage später setzte die WTG in Halle eine "wichtige Besprechung" an. Die Leitung übernahmen die Br. Bobsin und H. Dwenger, den später WTG-Zweigdiener Erich Frost bei der Gestapo als "unverheirateten Sonderling" denunzierte. Es sollte Klarheit darüber geschaffen werden, wer für die WTG sei. Als ein Bruder mit dem WT nachwies, daß die WTG kein Recht habe, sich in die Wahl der Versammlung zu mischen, unterbrach ihn Br. H. Dwenger ebenfalls mit … Einschüchterungen. Die Bibelhausbrüder würden die WTs selbst kennen, aber jetzt sei eine "andere Zeit"! Die dadurch entstandene Erregung und große Unruhe wurde versucht, durch Aufforderung zum Gebet zu unterdrücken! 91 bekannten sich unter diesen Bedingungen zur WTG. Nur diese 91 wurden dann am nächsten Tag eingeladen.

… Am nächsten Sonntag setzte die WTG dann eine neue Ältestenwahl an, zu der nur noch eine nichtwahlberechtigte Minderheit von 70 erschien. Paul Balzereit, Heinrich Bobsin und Heinrich Dwenger wurden so zu Ältesten für Halle gewählt. Alle anderen galten als abgesetzt, Kasse und Bücherlager wurden ihnen abgenommen. Als Hauptgegner der WTG wurde Br. Berke behandelt. In einem besonderen Schreiben von WTG-Präsident Rutherford, USA, an die Versammlung in Halle vom 16. 2. 1925, wurde Br. Berke entsprechend "bloßgestellt" …

Eine Krise und ein Aderlaß waren mit dem erneuten falschen Weltendetermin von 1925 sowieso nicht zu vermeiden. So war die WTG 1924/25 dabei, verstärkt Älteste zur Wahl zu bringen, die ihr bedenkenlos folgten, die "Flucht nach vor" anzutreten und die zu erwartenden Spaltungen selbst zu provozieren und die zu erwartende Opposition möglichst schon vorher aus der Organisation auszuschließen, selbst um den Preis des Verlustes der Mehrheit aller in den Versammlungen wie in Halle. … Die Äußerung von Heinrich Dwenger, die WTG kenne selbst ihre WTs, aber jetzt sei eine "andere Zeit", zeigt, wie die WTG nunmehr keine Skrupel mehr hatte, gestern dies, heute das und morgen das erneute Gegenteil davon als "göttliche Wahrheit" durchzusetzen.

Die Hallenser Ältesten Br. Hoppe, Br. Strödke und Br. Berke schilderten diese Entwicklung. "Nicht lange, nachdem das Bibelhaus nach Magdeburg verlegt war, hatten wir dauernd von dort Besuch und waren bald durch den Einfluß von dort zu einer Ortsgruppe von Magdeburg abgesunken. Die Versammlung wurde langsam aber sicher immer mehr entmündigt. Bei jeder Gelegenheit mußte erst einmal das Bibelhaus gefragt werden. Warnungen vor übertriebenen und selbstsicheren Erwartungen bezüglich des Jahres 1925 galten als ketzerisch, ja der Glaube an das Jahr 1925 wurde als Prüfstein für die kleine Herde hingestellt. Br. Balzereit und seine Vertrauten sprachen von bevorstehenden Spaltungen in Halle, obgleich die allermeisten davon keine Ahnung hatten, noch je solche Absichten besaßen. Bruder Berke, der die Gefahr sah, galt es unschädlich zu machen.

Hierzu bildete sich hinter dem Rücken der Versammlung heimlich ein Komitee von Brüdern, den Vertrauten des Bibelhauses, an der Spitze der Erntewerksvorsteher von Halle, Br. Schreiber, der gegen den Willen der Versammlung dazu ernannt war und kein Vertrauen genoß. Doch das Bibelhaus verharrte darauf. Jedenfalls wird sich der Herr auf die Dauer nicht zu solchen bekennen, die uns wiederum, und zwar bezüglich des Jahres 1925, in die Irre führten und uns mit suggestiver Kraft antrieben, im Hinblick auf dieses Jahr großer Ereignisse (!) ein Werk zu verrichten, welches letzten Endes der Verkündigung des Evangeliums sehr schaden und den Glauben vieler an die Bibel erschüttern wird. …

Die WTG-Verantwortlichen seien "ungetreue Knechte", wenn sie nun behaupten, "ihre Zeitrechnungen seien richtig (mit 1925), nur der Herr verziehe, und die anfangen, ihre Mitknechte zu schlagen und (entgegen den Richtlinien der Gesellschaft, WT 1920, S. 115) Macht ausüben und Autorität sich anmaßen, indem sie sich den armen (zum großen Teil noch unmündigen) Kindlein präsentieren als von Gott Berufene, unter allen Umständen zu respektierende Repräsentanten, ja ihre Person mit der Gesellschaft, der Organisation des Herrn identifizieren, um ihre Vertrauenswürdigkeit und die Unerschütterlichkeit ihrer Stellung darzutun und die Geschwister einzuschüchtern. Ungetreue Knechte, die sich ferner eine Unachtsamkeit noch der anderen in der Lehre zuschulden kommen lassen, so daß wir einen Fehlschlag nach dem anderen erleben." So die Altesten Br. Hoppe, Strödke und Berke, Halle, über die Umstände von 1925.

Am 3. Februar 1925 schrieben die Hallenser Ältesten Br. Hoppe und Br. Strödke an die WTG: "Was tut ihr? Ihr setzt alles daran, unsere Rechte und unsere Glaubensfreiheit zu beschränken, uns zu zwingen, uns eurem Willen unterzuordnen und dem Willen der Minderheit zu fügen. Wir würden euch dankbar sein, wenn ihr euer Vorgehen gegen uns und eure aufgestellten Grundsätze irgendwo aus dem Wachtturm oder sonstwie mitgeteilten Richtlinien der Gesellschaft begründen würdet."

Es war zwecklos. … Die Weichen für eine zukünftige "theokratische" Diktatur waren längst in Brooklyn gestellt. Die WTG fegte ohne Skrupel ihre eigenen biblischen Grundsätze der ursprünglichen Tätigkeit und die sich darauf berufenden Ältesten hinweg. … Die Brüder Hoppe und Strödke schrieben: "Br. Balzereit sagte schon Anfang 1924 zu Br. Pilz, es stünden Spaltungen in Halle bevor, er solle sehen, daß er auf der richtigen Seite bleibt. Wer brachte Br. Balzereit diese Meinung bei, wer arbeitete darauf hin, daß diese Spaltung unter Gewaltanwendung von seiten des Bibelhauses vollzogen wurde? Unter Ausschluß der meisten Kinder Gottes setztet ihr bei der Ältestenwahl am 7. September v. J. euren Willen durch und ließet von einer nicht wahlberechtigten Versammlung Alteste wählen, wie sie euch wohlgefielen, nämlich Br. Balzereit, Br. Bobsin und Br. Dwenger. Diese so konstituierte Versammlung soll die zu "Recht" bestehende Versammlung in Halle sein! So etwas wagt ihr uns gegenüber zu behaupten?"

Um der Wahrheit und der Gerechtigkeit willen muß heute zu den Hallenser Vorgängen von 1925 hinzugefügt werden, daß die Brüder Paul Balzereit (sen.) und Heinrich Bobsin zu denen gehören, die später aus den WTG-Verstrickungen herausfanden und nach 1945 einen hervorragenden Anteil an der Gründung freier christlicher Gemeinden an (einigen) Orten in der DDR hatten, wo die endzeitlichen Abwege der WTG erkannt wurden. Solche WTG-Getreue wie Br. Konrad Drebinger in Halle als Gruppendiener noch 1945 stempelten natürlich solche Freigewordenen zu "Abtrünnigen". Nun dürfte Konrad Drebinger selbst, im September 1976 ist sein 82. Geburtstag, zu der wieder vergehenden Generation gehören. Für seinen "Mitkämpen" gegen diese vermeintlichen " 'Abtrünnigen', Stefan Ignatzy, Halle, ist 1976 der 86. Geburtstag! So vergeht jene 1914-Generation unaufhaltsam.

Geschrieben von Drahbeck am 05. Mai 2002 19:05:45:

Als Antwort auf: Glaubhaft? <2513.htm> geschrieben von Daniel am 05. Mai 2002 17:26:10:

Was die Glaubwürdigkeit, unter anderem der CV betrifft, so muss man meines Erachtens differenzieren, zwischen mitgeteilten F a k t e n und der Kommentierung derselben. Die Kommentierung der CV mache ich mir durchaus nicht zu eigen.
Jede CV-Ausgabe die neu ins Netz gestellt wird, enthält einleitend den Abschnitt "Kommentare zu den eingescannten CV-Ausgaben". Darin ist in der Regel dass bemerkt, was ich meine bezüglich der CV nicht akzeptieren zu können.

Diese Kommentare sind auch konzentriert nachlesbar, ohne die jeweilige CV (so man denn möchte). Siehe z. B.
Kommentar2CV

Im Prinzip liegen die Vorbehalte gegen die CV ja auf der gleichen Ebene, wie die Vorbehalte gegen das Uraniabuch. Zu letzterem habe ich auch schon detailliert Stellung genommen. Das dort Gesagte ist analog auch auf die CV übertragbar.

Uraniabuch

Geschrieben von Gerd  am 05. Mai 2002 09:23:02:

Als Antwort auf: Als die theokratische Diktatur noch nicht ganz so perfekt war <2510.htm> geschrieben von D. am 04. Mai 2002 22:57:15:

>Für seinen "Mitkämpen" gegen diese vermeintlichen " 'Abtrünnigen', Stefan Ignatzy, Halle, ist 1976 der 86. Geburtstag! So vergeht jene 1914-Generation unaufhaltsam.

Ich könnte mir vorstellen, dass genannter Stefan Ignatzy der Vater von Reinhardt war.
Reinhardt und Brigitte Ignatzy waren auch als Artikelschreiber im CV tätig und schrieben meist biblische Gedanken. Reinhardt saß als Noch-ZJ mit anderen Zeugen fast 10 Jahre im "Roten Ochsen" bei Halle im Knast. Beim Lesen der zerfledderten Bibel kam er von selbst dahinter, dass die WTG die Leute auf eine falsche Spur lenkt.

Seine Artikel im CV hatten die Initialen "IR" und Brigitte "IB", oder waren die Buchstaben möglicherweise umgekehrt. Solltest du Manfred von diesen Artikeln etwas gescannt haben, bitte könntest du ein oder zwei Beispiele posten. Ich habe beim Umzug aus Wien, die meisten CV-Hefte entsorgt, DDR-Papier ist nämlich - wie das Regime - sehr schnell vergilbt.

Übrigens, das Ehepaar Ignatzy lebt immer noch in Halle.

Geschrieben von Drahbeck am 05. Mai 2002 09:56:55:

Als Antwort auf: Re: Als die theokratische Diktatur noch nicht ganz so perfekt war <2511.htm> geschrieben von Gerd am 05. Mai 2002 09:23:02:

Gerd schreibt:
"Reinhardt und Brigitte Ignatzy waren auch als Artikelschreiber im CV tätig und schrieben meist biblische Gedanken. Reinhardt saß als Noch-ZJ mit anderen Zeugen fast 10 Jahre im "Roten Ochsen" bei Halle im Knast.
... Seine Artikel im CV hatten die Initialen "IR" und Brigitte "IB", oder waren die Buchstaben möglicherweise umgekehrt."

Ja, aber bisher habe ich in der Richtung noch nichts bewusst registriert. Bin beim einscannen auch erst im Jahre 1976 angelangt. Es kann also durchaus noch was in der Richtung des von Gerd gesuchten kommen - Geduld ist zur Zeit noch angesagt!

Sofern es sich nicht um Ausgaben nach 1985 handelt. Die habe ich nämlich nicht. Ich wurde zu diesem Zeitpunkt von der Versandliste der CV gestrichen. Ich habe die zwar mal in der Deutschen Bücherei Leipzig eingesehen. Jedoch die Deutsche Bücherei rückt grundsätzlich keine Komplettkopien heraus. Auch haben sich die finanziellen Konditionen für Kopien aus Bibliotheksbeständen, mittlerweile derart drastisch verschlechtert, so dass ich auch unter diesem Gesichtspunkt meinerseits "freiwillig verzichte".
Geschrieben von
Emil J...  am 06. Mai 2002 10:56:44:

Bei den Zeugen bist du schneller ein Abtrünniger als du Erahnen kannst.

Auf Grund widerwärtiger Vorfälle in den Reihen der Ältestenschaft meiner Versammlung Wien- Simmering, habe ich die Zusammenkünfte nicht mehr besucht. Schwere Verleumdungen gegenüber meinen minderjährigen Sohn, die unter normalen Umständen eine gerichtliche Verurteilung des Vorsitzführenden Aufsehers nach sich gezogen hätte. Parteilichkeiten unter dieser Ältestenschaft, die bis in das Zweigbüro Wien- Gallgasse reichten, haben in mir die ersten Zweifel an der Wahrheit und Aufrichtigkeit dieser der Organisation geweckt.
Den Höhepunkt der Grausamkeiten bildete ein Rechtskomitee, und ein Widerrufungskomitee gegenüber einen psychisch schwerkranken jungen Bruder, von dem allgemein bekannt war, daß er hochgradig suizidgefährdet ist. Die unmenschliche und extrem harte Vorgangsweise dieser Ältesten, haben diesen jungen Mann zum Selbstmord getrieben. Seine etwas ältere Schwester, die ebenfalls eine Glaubensschwester war und eine enge Gemeinschaft zu ihrem Bruder hatte, konnte diese unchristliche, hartherzige Misshandlung seitens der Ältestenschaft, gegenüber ihrem kranken Bruder nicht überwinden und nahm sich kurz darauf ebenfalls das Leben
Ich hatte mit dieser Familie einen relativ guten Kontakt und führte noch kurz vor ihrem Tod ein inniges Gespräch., indem sie mir all diese Ungerechtigkeiten mitteilte. Ich möchte über diese grauenhaften Geschehnisse hier nicht näher eingehen, da sie den Rahmen bei weitem sprengen würde und vom eigentlichen Thema ablenken könnte. Über diese und noch andere schwerwiegende Vorfälle werde ich demnächst in „ http://connect.to/ZeugenJehovas" berichten. Ich war ca. 30 Jahre ein aktiver Zeuge Jehovas, wobei ich die letzten 20 Jahre als Ältester diente. Ich diente all diese Jahre treu und in Unterwürfigkeit. Ein Zeuge, der niemals nach dem warum fragte und Widerwärtigkeiten als menschliche Schwächen oder als Prüfungen Satans ansah.
Auf Grund dieser extrem grausamen Geschehnissen, die zum Teil auch mich persönlich betrafen, wurden Zweifel in mir wach. Ich begann jetzt zu fragen: Warum all das in der wahren Christenversammlung? Jetzt erst begann ich zu prüfen. Ich begann ein freies, intensives Bibelstudium ohne der Wachtturmbrille und erkannt viele schwerwiegende Ungereimtheiten über die ich mir früher niemals Gedanken machte. Nach ca. einem halben Jahr meines Fernbleibens der Zusammenkünfte, wurde ich von zwei Ältesten besucht (Hirtenbesuch.) Es entstand eine Diskussion, wobei ich immer nur wortwörtlich die Bibel benutzte und mich sehr bemühte, eigene Gedanken wegzulassen. Thema: Die Aufgabe des hlg. Geistes in der heutigen Zeit. Ich begann mit den Hinweisen aus Jer.31:31, Hebr. 8:10, 2.Joh. 2:20-29. Weiters mit Johannes 14:26, 16:13, Eph 1:17, daß der hlg. Geist alle Dinge mitteilen wird und für jene der Hinweis gilt: Nicht mehr wird Bruder den Bruder belehren, weil der Geist sie alle Dinge belehren wird. So steht es wortwörtlich in der Bibel. Die beiden Ältesten waren natürlich bei weitem überfordert. Ihre Worte: „Das haben wir noch nie im Wachtturm gelesen." Daraufhin fragte ich sie wortwörtlich: Was ist für euch bindend; Wenn ihr in der Bibel liest und versteht, eine Sache ist „Rot," die selbe Sache im Wachtturm liest und versteht, die Sache ist „Schwarz," was ist für euch entscheidend? Ihre Antwort: „Der Wachtturm, denn das ist die Speise des Treuen und Verständigen Sklaven." Ich meinte: „Das ist Götzendienst. Ihr stellt den Wachtturm an eine Stelle, an der er in der wahren Anbetung niemals stehen darf." Alle diese Dinge berichtete ich in einem Schreiben den „Brüdern" in Brooklyn, und auch jenem im Zweigbüro Wien. In einigen Wochen besuchten mich dann zwei Kreisaufseher, mit denen ich diese Sache ebenfalls besprach, wobei sie sich nicht dazu äußerten. Des weiterem besprach ich mit ihnen 1:Kor. 5:10,11, und 2.Joh. 9-11 wobei ich aus der Bibel vorlas, daß ich mich von diesen Dingen rein erhalten muß und mit dem Unreinen keine Gemeinschaft haben darf. Ich erwähnte noch, daß ich mich sehr bemühe, mein Leben nach der Bibel auszurichten. Ältesten und Kerisaufseher besuchten mich nochmals kurz und stellten an mich die Frage: Ob ich bei meiner Meinung bleibe, worauf ich antwortete: „Als Christ ist es meine Pflicht, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen". Nach wenigen Wochen wurde ich telefonisch zu einem Rechtskomitee vorgeladen, wobei ich erwähnte: „ Ich möchte mit diesen Menschen keine Gemeinschaft mehr pflegen." In rel. kurzer Zeit wurde ich benachrichtigt, daß ich wegen Abtrünnigkeit aus der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas ausgeschlossen sei. Ich betonte noch, wenn es mit dieser Organisation so weit ist, daß man wegen dem Vorlesen und besprechen einiger Bibelverse als Abtrünniger gilt, dann bin ich nur froh und glücklich solch einer gottesfeindlichen Organisation nicht mehr anzugehören. Heute bin ich frei und glücklich. Ich habe die wahre Freiheit und den wahren Frieden gefunden.
So schnell bist du bei den Zeugen Jehovas, wegen dem Vorlesen und Besprechen einiger Bibeltexte, ein Abtrünniger. Solch eine Vorgangsweise kennen wir doch aus der Bibel. Sie erinnert uns an Jesus und die Pharisäer. Also, nichts neues unter der Sonne.
Emil

connect.to/ZeugenJehovas

Geschrieben von Curl  am 06. Mai 2002 19:48:30:

Als Antwort auf: Wie schnell gilt man als Abtrünniger <2519.htm> geschrieben von Emil Jestl am 06. Mai 2002 10:56:44:

Hi Emil,

als ich mit 18 im Italien-Urlaub abgehauen bin, weil ich das Geheuchel und die Misshandlungen von meinen Alten nicht mehr ertragen konnte, haben sie mich mit falschen Versprechungen zurückgelotst. Ich wurde nie ausgeschlossen, nicht mal öffentlich zurechtgewiesen. Trotzdem wunderte sich eine Schwester aus einer der Parallelversammlungen, als ich sie ansprach, als ich sie in einem Geschäft traf. Sie meinte, "ich dachte, du seist ausgeschlossen???". Ich erklärte ihr, dass ich nicht ausgeschlossen sei, auch nicht die Gemeinschaft verlassen habe. Da war sie froh. Heute bin ich froh, dass ich die Heuchelei im sog. Volk Gottes nicht länger ertragen muss.

Ciao,
Curl.
Geschrieben von
Franz  am 06. Mai 2002 18:29:06:

Als Antwort auf: Wie schnell gilt man als Abtrünniger <2519.htm> geschrieben von Emil Jestl am 06. Mai 2002 10:56:44:

Eine wahrhaft ergreifende Geschichte, vor allem mit einem guten Ausgang :-)

Ich wünsche dir weiterhin Gottes Segen und Glück in Jesu Namen.

Gruss,
Franz

Infos über Sekten www.sekten-infos.de

Geschrieben von Drahbeck am 06. Mai 2002 12:36:45:

Sie waren "dünn gesät". Die katholischen Wehrdienstverweigerer im Hitlerregime. Man kann ihre Zahl an den Fingern der Hände abzählen. Einer von ihnen, Franz Jägerstätter, nahm insofern noch eine Sonderrolle ein, als er stark durch in seiner Verwandtschaft vorhandene Zeugen Jehovas beeinflusst wurde. Von seiner Amtskirche bekam er denn auch keinerlei Hilfe. Nur noch einen zusätzlichen "Fußtritt". Besagte Amtskirche tat sich denn auch äußerst schwer, ihr Urteil nach 1945 zu revidieren.

Ein anderer Name wird gelegentlich noch genannt, wenn es um katholische Wehrdienstverweigerer geht. Franz Reinisch. Was weiß man über ihn? Erst mal. Wer das Personenregister in Garbe's Lobesbuch "Zwischen Widerstand und Martyrium" aufschlägt, registriert: Fehlanzeige. Fehlanzeige bei jenem Garbe, der da in einem Grußwort zu einem von Rammerstorfer herausgegebenen Buch schrieb:
"Denn das konsequente 'Nein' des Leopold Engleitner hätte nicht jene leiderfüllten Folgen gehabt, wenn es ein 'Nein' der vielen gegeben hätte."

Abgesehen davon, dass Engleitner meines Erachtens das nahezu "typische" Beispiel eines Zeugen Jehovas im Hitlerregime ist, der mit weltlicher Bildung nicht gerade "gesegnet" ist. Man also Garbe zurückfragen muss. Sollen gemäß weltlichen Maßstäben Ungebildete, wirklich eine Vorbildfunktion wahrnehmen? Und kann man dies Gebildeteren überhaupt zumuten? Und, die Geschichte verläuft nicht nach "was wäre wenn" - sondern nach "es kam aus diesem und jenem Grunde dazu". Bin ich mit einer Geschichtsentwicklung unzufrieden, dann habe ich lediglich die Chance zu versuchen, die Ursachen dieser Entwicklung, möglichst emotionsfrei zu analysieren. Habe ich das getan, kann ich den nächsten Schritt tun und versuchen praktikable Konsequenzen daraus zu ziehen. Eine nebulöse Bewunderung a la Garbe hilft da in der Regel nicht weiter.

Der 1903 geborene Franz Reinisch, unterschied sich von Jägerstätter und Engleitner schon mal dadurch, dass er durchaus über eine gewisse Bildung verfügte. Er brachte es zum Priester innerhalb der katholischen Kirche.
Am 8. 4. 1942 erhielt er von der Nazi-Wehrmacht einen für den 14. 4. terminierten Stellungsbefehl. Er leistete diesem mit einem Tag Verspätung Folge. Dieses verspätete Eintreffen hatte für ihn eine disziplinarische Befragung zur Folge. Anstatt der Verwendung einer möglichst plausibel klingenden Ausrede, brachte er seine Aversion gegen das Naziregime zum Ausdruck.

Zitat:
"Als der Hauptfeldwebel wegen der nicht rechtzeitigen Meldung an ihn die Frage richtete, ob er keinen Wert darauf lege, Soldat zu werden, antwortete er: 'Ich würde dann Wert darauf legen, wenn das gegenwärtige Regime nicht am Ruder wäre.'"
Das Gerichtsprotokoll vermerkt weiter:
"Bei seiner Vernehmung durch den Gerichtsoffizier am 16. 4. 1942 gab er an, daß er durch sein verspätetes Erscheinen bei der Truppe von vornherein habe zum Ausdruck bringen wollen, daß er weder Furcht noch Flucht kenne, daß er jedoch mit dem Gestellungsbefehl nicht einverstanden sei. ...

Auf die Folgen seines Verhaltens hingewiesen, hat er erklärt, daß er 1 ½ Jahre mit seinem Entschluß gerungen habe, daß er sich jetzt aber klar und bereit sei, für seine Überzeugung in den Tod zu gehen. An eine Änderung seiner Gesinnung denke er nicht. Dadurch, daß die Priesterseminare in Trier und Köln als staatsfeindliche Institute durch die Geheime Staatspolizei aufgehoben seien, sei jeder Priester grundsätzlich zum Staatsfeind geworden. Von einem e r k l ä r t e n Staatsfeind könne aber nicht verlangt werden, daß er für das gegenwärtige Regime Wehrdienst leiste. Für j e d e s a n d e r e R e g i m e würde er zur Verteidigung des Vaterlandes den Fahneneid leisten."

Damit war für die Nazijustiz der Fall eindeutig und sie reagierte auch entsprechend.
Anlässlich seiner Verurteilung zum Tode, bekam er auch noch die Formalie zugesprochen, ein letztes Wort in dieser Gerichtsverhandlung sprechen zu dürfen. In dieser seiner Erklärung vom 25. 4. 1942 führte er aus:

"Denn es wird die Kriegszeit vornehmlich dazu benutzt, um in der Heimat den Glauben an den Gott-Menschen Jesus Christus - wie es ungezählte Beispiele beweisen - dem Volke und besonders der Jugend aus dem Herzen zu reißen, wodurch die Soldaten an der Front - durch ihren Urlaub, wie durch Briefe ihrer Angehörigen belehrt - in ihrer Wehrkraft gewaltig erschüttert werden. Aus Rußland kamen Fronturlauber wie Verwundete, durchweg Familienväter, und erklärten mir: "Was hat unser Kämpfen für einen Sinn? Wir kämpfen g e g e n den Bolschewismus des Auslandes, f ü r den Bolschewismus in der Heimat", z. B. Entfernung der Kruzifixe aus den Schulen, Aufhebung der Klöster und Schließung der Kirchen. Der Verurteilte ist kein Revolutionär, d. h. Staats- und Volksfeind, der mit der Faust und der Gewalt kämpft; er ist ein katholischer Priester, der die Waffen des Geistes und des Glaubens gebraucht. Und er weiß, wofür er kämpft!

Es läge daher nahe, daß man jene Kräfte zuerst unschädlich machen und zum Tode verurteilen müßte, die diese Zersetzung der Wehrkraft vollziehen. Da aber gerade die gegenwärtige Regierung diesen Kräften nicht im geringsten das Handwerk legt, sondern sie sogar begünstigt, so glaubt der Verurteilte, durch die Verweigerung des Treueides auf die gegenwärtige Regierung 'dem deutschen Volke die Treue in seinem Daseinskampfe zu halten' als umgekehrt."

Summa Summarum: Der katholische Wehrdienstverweigerer Reinisch hat in seiner Entscheidung sehr wohl eine politisch akzentuierte Tendenz gesehen. Er hätte womöglich diesen Schritt nicht getan, hätte das Naziregime seine Kirche konzilianter behandelt. Hier ergibt sich in der Tat eine Interessenparalellität mit den Zeugen Jehovas, die ihrerseits sich auch vom Naziregime unredlich behandelt fühlten. Letztere pflegten als ihre Motivation jedoch in der Regel Argumente anzuführen, die die betonte Endzeit-Naherwartung zum Ausdruck brachten. Dergestalt politisch argumentierend wie Reinisch, tat nur ein Bruchteil der fraglichen Zeugen Jehovas. Und dass dann noch nicht einmal mit Bewusstheit.

Zur Frage der Vorbildfunktion zurückkehrend. Ohne Zweifel verdient der Schritt die letzte Konsequenz in Kauf zu nehmen Achtung.
Dennoch fällt es schwer - in beiden Fällen - die jeweilige Motivationslage als wirkliche Vorbildsfunktion anzuerkennen.

Geschrieben von LuckyX am 06. Mai 2002 14:14:06:

Als Antwort auf: Katholische Wehrdienstverweigerer <2521.htm> geschrieben von Drahbeck am 06. Mai 2002 12:36:45:

Interessanter Beitrag, nicht neu, aber zum Nachdenken anregend. Wie hätten die ZJ sich im Dritten Reich verhalten, wenn sie NICHT verboten worden wären ? Schwer zu sagen.

Da wäre es aber doch erhellend, sich einmal anzusehen, wie sich in eben diesen Jahren in den anderen am Kriege beteiligten Mächten verhielten. Mir liegen dazu nur wenige brauchbare Informatioen vor, bestenfalls Einzelfälle -im WT-Jargon "Erfahrungen". Daraus aber ergibt sich der Eindruck, sie hättenm den wehrdienst auch in den anderen Kriegsnationen verweigert, nur mit dem Unterschied, daß die Sanktionen dort überwiegend weniger schwerwiegend waren.

Gibt es dazu eine eine ernstzunehmende Übersicht ?

Geschrieben von Drahbeck  am 11. Mai 2002 12:18:17:

Als Antwort auf: Jonak <2525.htm> geschrieben von D. am 06. Mai 2002 14:42:58:

Mit einigen, wie mir erscheint, notwendigen Einschränkungen, sind Teile des Jonak-Textes zu Studienzwecken, jetzt auch im Internet zugänglich.
Zitat aus der Einleitung der Internet-Ausgabe desselben:

Die erneute Durchsicht seines Textes macht deutlich, dass er als der profundeste deutschsprachige Kenner der Bibelforscher/Zeugen Jehovas in der Nazizeit anzusehen ist.
Daran ändert auch sein besonders kritisch zu wertenden, teilweise in "Nebensätzen" untergebrachter Antisemitismus nichts.
Soweit es um die Auswertung der bis dahin vorliegenden WTG-Literatur (d. h. Bis Ende der 1920er Jahre) geht, hat er gründliche Arbeit geleistet. Noch heute kann man davon profitieren.

Er ist allerdings ein "Kind seiner Zeit". Staatskirchentum und seine Verteidigung ist ihm ein Herzensanliegen. Und da registriert er nun aufmerksam, dass die Bibelforscher damit nichts im Sinne haben. Was ich bei Jonak nicht vorfinde, ist auch nur die Spur von Verständnis, dass man dem Staatskirchentum in der Tat kritisch gegenüberstehen kann In Vergangenheit und Gegenwart. In diesem Punkte steht für mich Jonak auf der "anderen Seite der Barrikade".

Jonak führt Jonak auch Dinge an, wo es ihm die WTG in der Tat einfach gemacht hat. Man kennt ja die seinerzeitige WTG-Euphorie in Sachen wissenschaftlich-technischer Fortschritt, als vermeintlicher Gottesbeweis. Neu ist das alles nicht. Dennoch ein Schmunzeln kann man kaum unterdrücken, wenn man registriert, wie schon Jonak das aufs Korn genommen hatte. Nachstehend eine Kostprobe daraus:

Doch gehen wir zu lustigeren Sachen über. Auf Seite 104 wird das Buch Hiob 40, 10 bis 41, 25 interpretiert und behauptet, daß Hiob in seinen Prophezeiungen die Errungenschaften heutiger Zeiten, die Dampfmaschine vor Bahnzügen und zur See, vorausgesagt habe. Hiobs Worte werden dabei absichtlich frei wiedergegeben und die erfundenen Interpretationen in Klammern beigesetzt. Zum Verständnis bemerke ich, daß in der mißbrauchten Stelle in Wirklichkeit Gott dem Hiob seine Allmacht an dem Behometh, einem biblischen Riesennilpferd, und an dem Leviathan, einem biblischen Riesenfisch, zeigt. Nun zitiere ich wörtlich, nur etwas gekürzt, den kommentierten Text:

"Siehe doch einen mit großen Hitze (der feststehenden Dampfmaschine), den ich mit dir gemacht habe; er wird Futter verzehren (Torf, Holz, Kohle) wie das Vieh. Siehe doch, seine Kraft ist in seinen Lenden (Kesselplatten). Sein Schwanz (Schornstein gegenüber dem Futterende) wird aufrecht stehen wie eine Zeder. Seine Gebeine (Stangen des Kesselrostes) sind wie Eisenstangen."

Über die Weissagung der L o k o m o t i v e heißt es auf Seite105:
"Du wirst den Leviathan (die Lokomotive) mit dem Angelhaken (automatische Kuppelung) ausdehnen oder mit einer Schlinge (Kuppelbolzen), mit der du seine Zunge (Kuppelverbindung) sich senken lassen wirst. Willst du nicht einen Rink (Kolben) in seine Nase (Zylinder) legen ? Wird er viel Flehens an dich richten (entgleisen)?
Oder wird er dir sanfte Worte geben (durch einen schrillen Ton mit der Dampfpfeife)?"

Auf Seite 115 werden die Worte des Propheten Nahum (2,3-5), der über die Bestrafung der Assyrer und die Zerstörung Ninives schreibt, folgendermaßen verdreht:
Nahum weissagte von einer in weiter Ferne liegenden Erfindung, die um die Zeit, wann das Königreich errichtet ist, eine alltägliche Erfahrung für die Menschheit geworden ist. Er beschreibt einen 'Eisenbahnzug in voller Fahrt (nicht ein Automobil, wie einige glauben), und wir können genau sehen, was er in seiner Vision sah. Zuerst steht der Prophet da und sieht die Lokomotive auf sich zukommen und sagt dann: Die Schilde sind gerötet (die Kopflaterne scheint hell), die tapferen Männer (der Zugführer und der Heizer) sind in Karmesin gekleidet (wenn die Flammen den Lokomotivführer beleuchten, indem der Heizer die Kesseltür öffnet). Die Wagen (Eisenbahnwaggons) glänzen von Stahl. Dann versetzt der Prophet sich im Geiste in das Innere des Zuges und blickt zum Fenster hinaus, wobei sich ihm der Anblick bietet, das die Lanzen werden geschwungen' (die Telegraphenstangen längs des Geleises scheinen auf und ab zu tanzen). Ihr Aussehen ist wie Fackeln' (ein Zug sieht bei Nacht in voller Fahrt wie eine sich schnell bewegende riesige Fackel aus). Des weiteren sieht der Prophet im Geiste den Kondukteur, der die Fahrkarten einsammelt, und sagt: 'Er gedenkt seiner Edlen' (der Kondukteur verwendet fast seine ganze Zeit darauf, seine Passagiere zu zählen); 'sie straucheln auf ihren Wegen' (versuchen in dem schnellfahrenden Zug zu gehen); sie eilen zu ihrer Mauer (zur nächsten Ortschaft), und das Schutzdach (das Stationsgebäude) wird aufgerichtet."

Selbstverständlich sei auch das R a d i o von den Propheten vorausgesagt worden:
"Gott hat den Gebrauch des Radios vor mehr als 3000 Jahren durch seine Propheten geschildert. Gott kannte es von Anfang an. Wir wissen wohl daß Elektrizität zum Radio nötig ist, aber wir wissen nicht, was Elektrizität ist. Wir wissen, das es angebracht ist, von elektrischen Ladungen als von Blitzen zu schreiben. In dunkler Sprache schrieb hierüber der Prophet Hiob in Kap. 38, Vers 35: ,Kannst du Blitze entsenden, daß sie hinfahren, daß sie zu dir sagen:Hier sind wir?' Der Prophet verstand zu jener Zeit nicht, was er schrieb, aber Gott verstand es, und er wollte, daß die Menschen es verstehen sollten, wenn es geschehen würde." ("Trost für das Volk", S. 8.)

Jawohl, der gute Hiob hat wirklich nicht ahnen können, daß es einmal Phantasten geben werde, die die Prophezeiung des Rundfunks ihm in den Mund legen. Die gleiche Stelle aus Hiob mißbraucht Rutherford, um in seiner Broschüre "Die letzten Tage", S. 15, zu beweisen, Gott habe damit den drahtlosen Nachrichtenverkehr vorausgesagt.
Ähnlich hat Rutherford entdeckt, daß auch die Erfindung des L u f t s c h i f f e s von dem Propheten Isaias in Kap. 60, ;Vers 8, vorausgesagt wurde; Rutherford schreibt:

"Auch das Luftschiff hat Gott durch seinen Propheten schon vor Jahrtausenden vorausgesagt: Wer sind diese, die wie eine Wolke geflogen kommen, un gleich Tauben zu ihren Schlägen?. ("Die letzten Tage", S. 15.)

Sehr gelungen macht sich folgende Interpretation. In "Schriftstudien" VII, S. 365, wird die Stelle aus Offenbarung, Kap. 18, Vers 1, zitiert:"Nach diesem sah ich einen anderen Engel aus dem Himmel herniederkommen, welcher große Gewalt hatte, und die Erde wurde erleuchtet von seiner Herrlichkeit."
An das Wort "Herrlichlikeit" knüpft nun Russell folgende Auslegung:
"Einige der Herrlichkeiten des neuen Tages, alle seit 1874 entdeckt, sind eine Menge großartiger E r f i n d u n g e n wie z. B.: Additionsmaschinen, Aluminium, antiseptische Chirurgie, automatische Bahnkuppelung, Automobile, Dynamit, elektrische Schweißmethoden, feuerlose Kochapparate, künstliche Farben, Leuchtgas, Luftschiffe, Nordpol, Panamakanal, Radio, Rahm-Separatoren, rauchloses Pulver, riesenhohe Geschäftsgebäude, Röntgenstrahlen, Schuhnähmaschinen, Streichholzmaschinen, Telephon, Unterseeboote, Vakuum-Teppichreiniger, Zweiräder usw." (Ebenso in "Harfe Gottes", S. 220, und "Schöpfung", S. 304.)

Die Worte in Offenbarung 20,9: "Und Feuer kam von Gott hernieder aus dem Himmel und verschlang sie" legt Russell dahin aus, daß der Prophet die Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl gemeint habe, indem er interpretiert: "Sie werden auf barmherzige Art in einem Nu elektrisch hingerichtet. nicht gequält." ("Schriftstudien" VII, S. 413.)

Ich glaube, das dürfte genügen, den Ernst der Ernsten Bibelforscher darzutun. Es ist ja richtig, daß seit 1874 eine Unzahl Entdeckungen gemacht wurde. Aber was hat das schon mit der "Herrlichkeit" der Offenbarung Johannis zu tun? Über diese Art der Bibelauslegung können wohl nur ganz ungebildete, geistig minderwertige Menschen staunend den Mund aufreiben. der halbwegs Gebildete aber muß über die Frechheit solcher Bibelfälschung entweder lachen oder, was mehr zu empfehlen ist. empört sein.

Hans Jonak von Freyenwald  JonakBuch

Geschrieben von D. am 11. Mai 2002 16:47:49:

In der örtlichen Regionalpresse waren sie ein Thema zwischen dem 26. - 30. März 1993 geworden. Wer wohl? Nun die Zeugen Jehovas in Selters.
Einige Artikelüberschriften:
"Kreiselternbeirat: Paktieren mit Zeugen Jehovas legalisiert Form von Sklaventum"
"Kreiselternbeirat kritisiert Handel zwischen Selters, dem Kreis und den Zeugen Jehovas".
Was konnte man als sachliche Substanz aus diesen Artikeln entnehmen? Einige Zitate:

"Als die Wachtturm-, Bibel- und Traktatgesellschaft Ende der 80er Jahre daranging, ihre Einrichtungen auf dem Steinfels zu erweitern, schloß sie mit der Gemeinde Selters einen Vertrag über dafür zu erbringende Finanz- und Sachleistungen. Dazu gehörte unter anderem auch die Anschaffung einer Drehleiter für die Freiwillige Feuerwehr, der der Brandschutz für die Anlagen auf dem Steinfels übertragen wurde, anstatt eine eigene Werksfeuerwehr zu bilden.

Im vergangenen Jahr hatte die Gemeindevertretung eine Änderung des Bebauungsplans für das Steinfels-Gelände genehmigt, um der Wachtturm-Gesellschaft die Erweiterung ihrer Druckerei und die Schaffung zusätzlicher Lagerflächen zu ermöglichen. In Erweiterung des früheren Vertrags erklärten sich die Zeugen Jehovas bereit, der Gemeinde 400 000 Mark für Investitionen zur Verfügung zu stellen und den Anbau eines Realschultraktes an die Mittelpunktschule kostenlos auszuführen.

Auf dieser Basis wurden nun zwischen der Gemeinde und der Wachtturmgesellschaft und dem Kreis Gespräche und Verhandlungen geführt, die, so der Selterser Bürgermeister Dr. Norbert Zabel, kurz vor dem Abschluß stehen …

Die Planung für die Erweiterung der Schule um sechs Klassen obliegt dem Kreisbauamt. Bauträger wird, so Bürgermeister Zabel, die Gemeinde sein, während der Kreis die Materialkosten von etwa 400 000 Mark übernimmt … Die Bauarbeiten soll nach Auskunft des Bürgermeisters ein ehemaliger Bauunternehmer ausführen, der zu den Zeugen Jehovas gehört. … Die Beteiligung der Zeugen Jehovas ist der Hauptkritikpunkt des Kreiselternbeirats…

Genauso schwer wiegt für den Kreiselternbeirat die Struktur der Zeugen Jehovas: 'Wer sich über diese Sekte informiert hat, weiß, daß zwischen den Lebensumständen der einfachen Sektenmitglieder und denen der Sklaven zur Zeit der Antike Ähnlichkeiten nicht zu leugnen sind. Diese Menschen arbeiten für Essen, Trinken und Unterkunft … Früher oder später fallen sie der Sozialhilfe anheim."

Der eben zitierte Artikel endet dann mit einem gleichfalls müden Dementi seitens der Zeugen Jehovas, zu den vorstehend skizzierten "Lebensumständen".
Ein weiterer, namentlich von Heinz Zimmermann gezeichneter Pressebericht vom 27. 3. 1993 berichtet:

"Gleichwohl ihr Reich nicht von dieser Welt ist, so verstehen sie doch gut, auf derselben ihre Interessen geschickt durchzusetzen, die Zeugen Jehovas, die … mit ihrer Deutschland-Zentrale auf dem Steinfels zwischen Niederselters und Eisenbach residieren. Jüngstes Beispiel waren die hunderttausend Mark Zuschuß, die man mal so eben der Gemeinde Selters zur Erweiterung der Wasserversorgung zukommen ließ … Und auch die reine Genehmigung ihres riesigen Bauprojektes, das jetzt seiner Vollendung entgegen geht, ließen sie sich Millionen kosten.

Auf rund 50 Millionen Mark schätzen Experten die Kosten für die Erweiterungsbauten auf dem Steinfels. Konkret wird die Druckerei, die schon vor 14 Jahren als eine der modernsten Europas galt, um die Hälfte vergrößert. Dafür benötigt man dann 200 weitere Mitarbeiter, womit die Gesamtzahl der dort Lebenden auf fast 1000 ansteigt.

Alles Mitglieder der Religionsgemeinschaft, die dort für Gotteslohn arbeiten. Um die Neuen unterzubringen, sind auch zwei weitere Wohnsilos geplant. Abgerundet wird das Projekt durch Tiefgaragen.

Ein Heer von 15 000 Glaubensbrüdern hatte Anfang der 80er Jahre auf dem Steinfels bereits einen riesigen Gebäudekomplex errichtet. … Auf 300 000 Quadratmetern wurden Werkstätten, Verwaltung- und Wirtschaftsgebäude, sowie fünf Wohnhäuser für anfänglich 500 Mitarbeiter geschaffen und 40 000 Bäume und Sträucher neu gepflanzt. … Niemand wollte sagen, wie hoch die Kosten waren, doch Experten schätzen an die 150 Millionen Mark … Doch schon bald waren die Räumlichkeiten auf dem Steinfels zu klein …

Vorsorglich hatte man auch bereits 50 Hektar Land gekauft. Doch es stellte sich heraus, daß die Erweiterung des Druckhauses außerhalb des bis dahin gültigen Bebauungsplanes lag. Die Änderung des Planes ließ sich die Gemeinde Selters durch einen Millionenbetrag und den Kauf eines Feuerwehrautos mit einer besonders hohen Drehleiter teuer bezahlen.

Gleichwohl herrscht nicht nur räumlich große Distanz zwischen der Wachtturmgesellschaft und der weltlichen Gemeinde. Dies hängt unter anderem auch mit der Art und Weise zusammen, wie einige Sachen von der Religionsgemeinschaft behandelt werden …

Auf zwei Gebieten sind die Zeugen zudem derzeit in die Defensive geraten. Zum ersten mal müssen sie für einige Bereiche ihres Unternehmens erstmals Steuern zahlen. Zum anderen laufen derzeit (einige) Verfahren von früheren Mitarbeitern auf Nachzahlungen für die Rentenversicherung. Denn auch die Altersversorgung wurde unter "Gottesdienst" abgehakt."

Ein weiterer Presseartikel desselben Autors vom 30. 3. 1994, kommt besonders auf das schon genannte Projekt Schulerweiterung zu sprechen.

"Bürgermeister Norbert Zabel sieht in dem Handel, der vor geraumer Zeit auch im Gemeindeparlament eine deutliche Mehrheit fand, nur Vorteile. …

Soweit wäre kaum etwas einzuwenden. Jetzt kommen aber die Zeugen Jehovas ins Spiel: ein ehemaliger Bauunternehmer, der Mitglied der Sekte ist, soll zusammen mit freiwilligen Helfern … den Anbau hochziehen. …

Der Gemeinde Selters sollen dabei keine Kosten entstehen und der Kreis bezahlt lediglich das Baumaterial: 400 000 Mark stehen dafür im diesjährigen Haushalt, der mit großer Mehrheit beschlossen wurde. Gewußt haben alle von dem Deal, wie SPD-Sprecher Helmut J ... bestätigt, der jetzt aber 'skeptisch ist und lieber nichts mehr damit zu tun haben will'.

Sowohl die SPD wie auch seine Partei seien anfangs gegen dieses Abkommen gewesen, meint Klaus W ... von den Grünen. Als sich dann SPD und CDU in Richtung 'große Koalition' bewegten, haben die Sozialdemokraten wohl die Kröte geschluckt. Landrat F ... habe ursprünglich sogar noch einmal mit den Zeugen Jehovas verhandeln wollen, damit die auch noch die Kosten für die Baumaterialien übernehmen, es dann aber unterlassen, um die Vereinbarung mit der CDU, deren Sprecher im Kreistag ja Norbert Zabel ist, nicht zu stören.

Für den Kreiselternbeirat stellt sich nun die Frage, so Achim Göbel aus Weilmünster, 'wie in diesem Stadium ein Bauunternehmer ohne Abgabe eines Angebotes mit der Bauausführung beauftragt werden kann. Für die Vergabe eines Bauvorhabens der öffentlichen Hand ist eine öffentliche Ausschreibung zwingend vorgeschrieben. Nach Aussage von Herrn R ... (Leiter des Kreisbauamtes) ist eine solche Ausschreibung nicht erfolgt und soll auf Grund des Vertrags zwischen Kreis und Gemeinde auch nicht erfolgen. …

Wer sich über die Struktur dieser Sekte informiere, so meint dagegen der Kreiselternbeirat, wisse, daß zwischen den Lebensumständen der einfachen Sektenmitgliedern und den Sklaven der Antike Ähnlichkeiten nicht zu leugnen seien …

Und weiter: 'Wer in Kenntnis der Fakten mit dieser Sekte paktiert, akzeptiert und legalisiert nicht nur diese Form des Sklaventums, sondern wird auch korrumpierbar. Das gilt auch für die Annahme von Geschenken in Form von Feuerwehrautos, wie in Selters geschehen.'"

Geschrieben von O. N. am 11. Mai 2002 17:11:55:

Als Antwort auf: Korrumpierbar <2539.htm> geschrieben von D. am 11. Mai 2002 16:47:49:

Ergänzendes zu vorstehendem findet man auch in dem Buch von Eva-Maria Kaiser und Ulrich Rausch: "Die Zeugen Jehovas. Ein Sektenreport" S. 86-96.
Nur noch antiquarisch beschaffbar.
Geschrieben von
Drahbeck am 15. Mai 2002 07:42:36:

Als Antwort auf: Re: Ihr werdet es chon sehen, was ihr davon habt. <2555.htm> geschrieben von M. B ... am 14. Mai 2002 23:07:31:

"Doch, wenn die Zeit Jehovas gekommen ist, gibt es kein Zurück mehr, und dann erst recht kein Erbarmen.
M"
Genauso (sinngemäß) argumentierte (bzw. in einigen fundamentalistischen Kreisen argumentiert man noch) wurde kirchlicherseits die Höllenlehre "hochgejubelt". Wer nicht selbständiges Denken an der Garderobe abzugeben bereit war und wer statt eigenen Denkens nur vorgegebene Dogmen wiederkäute. Wer also aus dieser Schiene "ausbrach", dem wurde die "Hölle" in allen nur möglichst schrecklichen Farben aufgemalt. Von der Kultivierung dieser "Urängste" der Menschheit lebte die Priesterschaft, und wie man an ihren zahllosen Kirchenbauten (Dome usw.) noch heute optisch erkennen kann. Sie lebte davon nicht schlecht!

Theoretisch hat nun Bibelforschergründer Russell den "Wasserstrahl" auf die Hölle gerichtet. Das aber doch wohl wirklich nur theoretisch. Ersetz wurde das ganze bei den Zeugen Jehovas durch die Kultivierung ihrer Harmagedonängste. Erst 1914 und danach noch zu etlichen anderen ausgesprochenen oder nur indirekt (vielleicht noch verwerflicher) angedeuteten Daten.

Hier wurde die Pest durch die Cholera ersetzt. Und die Substanz des Postings von Manfred B...; ich kann es nicht anders nennen, ist auch solch ein Virenverbreiter. Kommt eine eMail mit virenbehafteten Anhang, weiß man was man zu tun hat (oder sollte es wissen). Nämlich die Löschtaste drücken. Dies erscheint mir auch im Falle des vorgenannten Postings die einzig sinnvolle Antwort. Nicht das physische löschen dieser Mail. Sehr wohl aber das geistige. Indem seine Aussage mit Entschiedenheit zurückgewiesen wird

Geschrieben von D. am 16. Mai 2002 05:20:16:

Als Antwort auf: Re: Friedliche Eintracht ohne Grenzen, weltweite Bruderschaft <2562.htm> geschrieben von Bauer am 16. Mai 2002 02:07:55:

Auch eine Form der "Liebe" von Jehovas Zeugen. Der Fall Domitila in Bolivien. Dort wo es ums nackte Überleben geht. Wo es legitim ist menschenunwürdige Verhältnisse anzuprangern. Auch dort die These der Zeugen Jehovas "Schicksalsergebenheit". In der "Neuen Welt" am Sankt Nimmerleinstag wird dann ja alles besser. Vielen "Dank", für diese Art von verlogener "Liebe"!

Domitila

Geschrieben von Drahbeck am 16. Mai 2002 20:35:13:

Als Antwort auf: Suche ehrlich Antworten <2564.htm> geschrieben von un wichti am 16. Mai 2002 17:38:05

In einem anderen Forum antwortet auf vorstehendes Posting auch Gerd. Tenor seiner Antwort. Er meint der Mittelweg sei es, den er empfehle. Die Aufrechterhaltung des Gottesglaubens in privatisierter Form. Dies alles sei ihm persönlich unbenommen.
Mit in sein Statement baute er auch einen Hinweis auf das 1970 erschienene Buch von Holbach "Religionskritische Schriften" ein, dass genau besehen, aus drei Büchern dieses Verfassers besteht:
Entschleiertes Christentum
Taschentheologie und
Briefe an Eugenie

Was ist zu diesem Buch zu sagen. Zu sagen ist zu ihm auch, dass diese "Waffensammlung" auch andernorts schon kritisch bewertet wurde. Etwa in der pauschalen Aussage von Engels, dass man mit so einer alten Religion nicht wirklich "fertig" wird, reduziert man sie auf den Spruch "Priesterbetrug". Engels ging denn auch folgerichtig den nächsten Schritt und äußerte sich weit positiver über einen anderen Religionskritiker namens Feuerbach. An letzterem faszinierte ihn das Herausarbeiten der sozialen Wurzeln des Christentums und die Ablehnung der Priesterbetrugstheorie.

Das jenes vorgenannte Holbach-Buch 1970 noch in beiden Teilen Deutschlands erscheinen konnte (Aufbau-Verlag Ostberlin und Hubert Freistühler-Verlag, Schwerte/Ruhr. Letzterer verlegte bekanntlich auch das Uraniabuch über Jehovas Zeugen in der alten BRD). Das jenes Holbach-Buch 1970 noch erscheinen konnte, kann man als zeitbedingt einschätzen. 1966 gründete die DDR an der Universität Jena einen "Lehrstuhl für wissenschaftlichen Atheismus". Schon wenige Jahre später gab es den dort nicht mehr. Sein spiritus rector, Olaf Klohr wurde in die "Verbannung" nach Wustrow an der Ostsee auf einer dortigen Ingenieurschule für Seefahrt geschickt. 1972 beispielsweise wäre jenes Buch in der DDR nicht mehr neu herausgekommen. 1970 war es als "Klohr-Ausläufer" noch möglich.

Der Deal hieß "Befriedigung der DDR-Kirchen". Dafür musste ein Bauernopfer gebracht werden. Klohr und seine Mannen erwischte es in dieser Konsequenz.

Gerd brachte zum Ausdruck. Atheismus ist für ihn keine Alternative. Akzeptiert. Ich will hier auch niemand zum Atheismus "bekehren". Auch Menschen mit einer christlichen Sozialisation können einen geachteten Platz in der Gesellschaft einnehmen. Was ich allerdings doch tun möchte ist dies. Ein paar nähere Textauszüge aus Holbach vorstellen. Jedenfalls ein paar mehr Auszüge daraus, als wie sie Gerd feilbot. Was der Einzelne daraus macht oder nicht macht, so völlig ihm überlassen. Aus Zeitgründen kann ich diese Auszüge erst in ein paar Tagen an dieser Stelle offerieren.

Vorab schon mal zur "Einstimmung": Das Titelbild des "Entschleierten Christentums"; sowie eine Buchbesprechung, die in Heft 10/1972 der Zeitschrift "Glaube und Gewissen" damals dazu publiziert wurde.

Geschrieben von D. am 18. Mai 2002 11:37:15:

Als Antwort auf: Re: Suche ehrlich Antworten <2565.htm> geschrieben von Drahbeck am 16. Mai 2002 20:35:13:

Paul Thiry d Holbach
Religionskritische Schriften
(Auszüge aus dem 1970 erschienenen Buch)

- Ohne Kommentar - bewusst ohne Kommentar - Letzterer sei dem Leser überlassen!

Das entschleierte Christentum
oder Prüfung der Prinzipien und Wirkungen der christlichen Religion

S. 59:
Mit einem Wort, die Religion ändert nichts an den Leidenschaften der Menschen, sie schenken ihr nur dann Gehör, wenn sie mit ihren Begierden übereinstimmt.

Vergebens predigt die Religion Tugend, wenn diese Tugend mit den Interessen der Menschen in Widerspruch gerät und zu nichts führt.

Anstelle von Moral schärft man den Christen die wunderlichen Fabeln und unbegreiflichen Dogmen einer Religion ein, die der gesunden Vernunft völlig entgegengesetzt ist.
S. 60:
Trotz der Nutzlosigkeit und der Verkehrung der Moral, die das Christentum die Menschen lehrt, wagen uns seine Anhänger zu erklären, daß es ohne Religion keine guten Sitten geben könne. Gute Sitten - was bedeutet das aber in der Sprache der Christen? Das bedeutet unaufhörlich beten, die Tempel besuchen, Buße tun, den Vergnügungen entsagen und in Andacht und Zurückgezogenheit leben.

Mögen Sitten dieser Art in den Himmel führen, für die Erde sind sie äußerst nutzlos.
S. 64:
Viele sittenlose Menschen haben die Religion angegriffen, weil sie ihren Neigungen zuwiderlief; viele Weise haben die Religion verachtet, weil sie ihnen lächerlich schien; viele Menschen haben sie für gleichgültig erachtet, weil sie ihre wirklichen Nachteile nicht bemerkt haben. Ich bekämpfe sie als Staatsbürger, weil sie mir für das Glück des Staates schädlich zu sein scheint, weil sie eine Feindin des Fortschritts des menschlichen Geistes ist, weil sie gegen eine gesunde Moral gerichtet ist, von der die Interessen der Politik niemals zu trennen sind.
S. 67:
Die Priesterschaft verleumdet die Wahrheit, weil sie ihre prunkvolle Anmaßung zunichte macht.
S. 68:
Das sicherste Mittel, die Menschen zu täuschen und ihre Vorurteile zu verewigen, besteht darin, sie in der Kindheit zu täuschen. Bei fast allen modernen Völkern scheint die Erziehung nur das eine Ziel zu haben, Fanatiker, Frömmler und Mönche hervorzubringen, das heißt für die Gesellschaft schädliche oder nutzlose Menschen. Nirgends denkt man daran, Staatsbürger heranzubilden.
S. 69:
Unter dem Vorwand, ihnen Frieden zu bringen, brachte sie ihnen nur Raserei, Haß, Zwietracht und Krieg.

Es bildeten sich in jedem Staat zwei verschiedene Mächte heraus: die Macht der Religion, auf Gott selbst gegründet, siegte fast immer über die Macht des Herrschers. Dieser wurde gezwungen, Diener der Priester zu werden; und immer dann, wenn er sich weigerte, das Knie vor ihnen zu beugen, wurde er geächtet und seiner Rechte beraubt, wurde er von seinen Untertanen vernichtet, welche die Religion zur Revolte anstachelte, oder von Fanatikern, in deren Händen die Religion zum Dolch wurde.
S. 71:
Dieser unter dem Namen Moses bekannte Mann, erzogen in den Wissenschaften dieser Gegend, die an Wundern fruchtbar und die Mutter des Aberglaubens war, setzte sich also an die Spitze einer Schar von Flüchtigen, denen er einredete, er sei der Deuter des Willens ihres Gottes, pflege mit ihm geheime Unterredung und empfange direkt von ihm seine Befehle.

Der erste Befehl, den er ihnen im Auftrag seines Gottes gab, war der, ihre Herren zu bestehlen, als die sie gerade verlassen wollten. Als er sie auf diese Weise mit der Beute Ägyptens bereichert hatte und ihres Vertrauens sicher war, führte er sie in eine Wüste, wo er sie vierzig Jahre hindurch an blinden Gehorsam gewöhnte.

Den Hebräern, diesen Räubern, Usurpatoren und Mördern, gelang es schließlich, sich in einer wenig fruchtbaren Gegend niederzulassen, die ihnen aber, da sie aus ihrer Wüste kamen, lieblich erschien. Dort gründeten sie unter der Autorität ihrer Priester, der sichtbaren Vertreter ihres verborgenen Gottes, einen Staat, der von ihren Nachbarn verabscheut und zu allen Zeiten der Gegenstand ihres Hasses oder ihrer Verachtung war. Unter der Bezeichnung Theokratie regierte das Priestertum lange dieses verblendete und wilde Volk; es redete ihm ein, wenn es seinen Priestern gehorche, gehorche es Gott selbst.
S. 74:
Die Juden sagen, Jesus sei der Sohn eines Soldaten namens Pandira oder Panther gewesen, der Maria verführte, eine Haarmacherin, die mit einem gewissen Jochanan verheiratet war; oder, wie andere berichten, vergnügte sich Pandira mehrere Male mit Maria, während diese glaubte, es mit ihrem Mann zu tun zu haben. Auf diese Weise wurde sie schwanger, und ihr betrübter Gatte zog sich nach Babylon zurück. Andere behaupten, Jesus habe in Ägypten die Magie erlernt und sei von dort nach Galiläa gekommen, wo er seine Kunst ausübte und umgebracht worden sei. ...
S. 75:
Paulus, der ehrgeizigste und schwärmerischste unter den Jüngern Jesu, brachte also seine Lehre mit Erhabenem und Wunderbaren schmackhaft gemacht, zu den Völkern Griechenlands, Asiens, ja sogar zu den Einwohnern Roms; er fand Anhänger, weil jeder, der die Einbildungskraft ungebildeter Menschen anspricht, sie für seine Interessen verwenden kann. Dieser tatkräftige Apostel kann mit vollem Recht als Begründer einer Religion gelten, die sich ohne ihn nicht hätte verbreiten können, weil es seinen unwissenden Gefährten an Erleuchtung mangelte; er zauderte nicht, sich von ihnen zu trennen, um Oberhaupt seiner Sekte zu sein.

Die Ebioniten oder ersten Christen sahen in Paulus einen Abtrünnigen, einen Ketzer, weil er völlig vom Gesetz Moses abwich, während es die anderen Apostel reformieren wollten.
Die ersten Christen wurden geringschätzig Ebioniten genannt, was soviel wie Bettler und Lumpen bedeutet. Siehe: Origenes gegen Celsus Buch II, und Eusebius Kirchengeschichte, Buch III, Kap. 37. Ebion heißt im Hebräischen arm. Später hat man das Wort Ebion personifizieren wollen, und man hat daraus einen Ketzer, einen Sektenführer gemacht.
S. 76:
Die römische Regierung bemerkte die Fortschritte der verachteten Vereinigung zu spät. Die Christen, zahlreich geworden, wagten es, den Göttern des Heidentums bis in ihre Tempel hinein zu trotzen. Die Kaiser und Beamten, unruhig geworden, wollten die Sekte, die nun ihren Argwohn erregte, auslöschen. Sie verfolgten die Menschen, die sie nicht durch Milde zurückgewinnen konnten und die ihr Fanatismus halsstarrig machte. Ihre Martern riefen Anteilnahme zu ihren Gunsten hervor, ihre Verfolgung vervielfachte nur die Zahl ihrer Freunde. Schließlich erschien ihre Standhaftigkeit unter der Folter denen, die Zeugen davon wurden, übernatürlich und göttlich. Die Schwärmerei griff um sich und die Tyrannei diente nur dazu, der Sekte, die man auslöschen wollte, neue Verteidiger zu verschaffen.
S. 77:
Man verfolgte schonungslos diejenigen, die am Kult ihrer Väter festhielten; die Christen gaben also den Heiden mit Zins und Zinseszins alle Übel zurück, mit denen sie von ihnen bedacht worden waren.

Man entlastete die Priester von allen bürgerlichen Funktionen, damit nichts sie von ihrem heiligen Dienst ablenke. So wurden die Priester einer ehemals demütigen und unterdrückten Sekte unabhängig. Nachdem sie schließlich mächtiger geworden waren als die Könige, maßten sie sich bald das Recht an, diesen selbst zu befehlen.

"Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen." So verkündet es dieses Evangelium, welches das Menschengeschlecht mehr Blut gekostet hat als alle anderen Religionen der Welt zusammengenommen.
S. 83:
Endlich, wie sind im christlichen System mit der Güte Gottes oder mit seiner Weisheit sein oft barbarisches Verhalten und seine blutdürstigen Befehle zu vereinbaren, welche die heiligen Bücher ihm zuschreiben? Wie kann ein Christ einem Gott Güte zuschreiben, der die meisten Menschen nur erschaffen hat, um sie auf ewig zu verdammen?
S. 86:
Gott, so sagt man uns, hat zu den Menschen gesprochen, aber wann hat er denn gesprochen? Er hat vor Tausenden von Jahren zu auserwählten Menschen gesprochen, die er zu seinen Werkzeugen gemacht hat. Aber wie will man sich dessen versichern, ob es wahr ist, daß dieser Gott gesprochen hat, wenn man sich nicht auf das Zeugnis derer verlassen will, die behaupten, seine Befehle empfangen zu haben?
S. 87:
Wie soll man heute noch herausfinden, ob es wirklich wahr ist, daß sich Moses vor einigen tausend Jahren mit seinem Gott unterhalten und von ihm das Gesetz des jüdischen Volkes empfangen hat? Was für eine Veranlagung hat denn dieser Moses? War er phlegmatisch oder schwärmerisch, aufrichtig oder verschlagen, ehrgeizig oder uneigennützig, wahrhaft oder verlogen? Kann man sich auf das Zeugnis eines Menschen verlassen, der, nachdem er so viele Wunder getan hat, dennoch sein Volk nie von Götzendienerei befreien konnte und der, nachdem er 47 000 Israeliten hatte über die Klinge springen lassen, die Stirn hatte zu behaupten, er sei der sanftmütigste aller Menschen? Sind die Bücher, die diesem Moses zugeschrieben werden und die von so vielen Tatsachen berichten, die erst nach ihm geschehen sind, wirklich authentisch? Endlich, welchen Beweis haben wir von seiner Mission außer dem Zeugnis von 600 000 unzivilisierten, abergläubischen, unwissenden und leichtgläubigen Israeliten, die sich vielleicht von einem grausamen Gesetzgeber anführen ließen, der immer bereit war, sie auszurotten?
S. 89:
Wenn der Christ Jerusalem und das Zeugnis von ganz Galiläa anführt, um mir die Wunder Jesu Christi zu beweisen, sehe ich ebenfalls nur einen unwissenden Pöbel, der sie bezeugen kann. Ich frage mich, wie es möglich war, daß ein ganzes Volk, Zeuge der Wunder des Messias, seinem Tod zustimmte, ja ihn sogar mit Eifer forderte. Würde das Volk von London oder Paris es dulden, daß man vor seinen Augen einen Menschen umbringt, der Tote auferweckt hat, der Blinde sehend und Lahme gehend gemacht hat und der Gelähmte geheilt hat? Haben die Juden wirklich den Tod Jesu gefordert, so müssen alle seine Wunder für jeden unvoreingenommenen Menschen ungültig sein.
S. 91:
Man will uns glauben machen, daß bei dem Tode des Gottessohnes die Erde gebebt und die Sonne sich verfinstert habe und daß die Toten aus ihren Gräbern auferstanden seien. Weshalb sind solch außergewöhnliche Ereignisse nur von einigen Christen beobachtet worden? Waren sie denn die einzigen, die etwas davon bemerkten? Man will uns glauben machen, daß Christus auferstanden sei. Man führt uns Apostel, Frauen und Jünger als Zeugen an. Wäre ein feierliches Erscheinen auf einem öffentlichen Platz nicht viel überzeugender gewesen als jene geheimen Erscheinungen, die den Menschen zuteil wurden, die an der Bildung einer neuen Sekte interessiert waren? Der christliche Glaube gründet sich nach dem Heiligen Paulus auf die Auferstehung Jesu Christi. Es wäre also notwendig gewesen, diese Tatsache den Völkern auf die klarste und unzweifelhafteste Art und Weise zu beweisen.

Die Wunder scheinen außerdem nur erfunden worden zu sein, um stichhaltige Begründungen zu ersetzen. Wahrheit und Evidenz haben keine Wunder nötig, um sich durchzusetzen. Ist es nicht recht merkwürdig, daß Gott es leichter findet, die Ordnung der Natur zu stören, als die Menschen eindeutige Wahrheiten zu lehren, die geeignet sind, sie zu überzeugen und ihnen ihre Zustimmung abzuringen? Die Wunder sind nur erfunden worden, um den Menschen Dinge zu beweisen, die zu glauben unmöglich ist. Würde man die Vernunft predigen, brauchte man keine Wunder.

Die Basilidianer und die Cerinther, Ketzer, die zur Zeit der Entstehung des Christentums lebten, behaupteten, daß Christus gar nicht gestorben und das Simon von Cyrene statt seiner gekreuzigt worden wäre. Siehe: Epiphanius, Ketzereien, Kap. 28. Seit der Entstehung der Kirche zogen also die verschiedensten Menschen den Tod und folglich auch die Auferstehung Jesu Christi in Zweifel. Und man verlangt, daß wir heute daran glauben!
92:
So dienen also unglaubliche Dinge als Beweis für andere unglaubliche Dinge. Fast alle Betrüger, die den Völkern Religionen brachten, haben ihnen unwahrscheinliche Dinge verkündet, und dann vollbrachten sie Wunder, um die Menschen zum Glauben an das, was sie ihnen verkündeten zu zwingen.

Man sieht also, daß Wunder nichts beweisen, es sei denn die Geschicklichkeit und Betrügerei derer, welche die Menschen täuschen wollen, um die Lügen zu bekräftigen, die sie ihnen verkündet haben. Sie beweisen die dumme Leichtgläubigkeit derer, die von diesen Betrügern verführt werden.
S.93:
Die Prophezeiungen, welche die Christen Jesus Christus nachsagen, werden von den Juden mit anderen Augen angesehen. Sie erwarten diesen Messias noch immer, von dem die Christen glauben, er sei vor achtzehnhundert Jahren erschienen.

Alle Menschen neigen natürlicherweise dazu, das Ende ihres Unglücks zu erhoffen, und glauben, die Vorsehung könne nicht umhin, sie glücklicher zu machen.
94:
In der Tat, wenn wir das Verhalten dieser Propheten untersuchen, die vom Alten Testament so gerühmt werden, so werden wir in ihnen alles andere als tugendhafte Persönlichkeiten entdecken. Wir finden anmaßende Priester, unablässig mit Staatsaffären beschäftigt, die sie immer mit denen der Religion zu verbinden wußten.
95:
Die Christen, deren Geist von der Idee ihres Christus erhitzt war, haben ihn überall zu sehen geglaubt und selbst in den dunkelsten Stellen des Alten Testaments deutlich wahrgenommen. Mit Hilfe von Gleichnissen, Haarspaltereien, Kommentaren und gewaltsamen Auslegungen sind sie endlich dahin gekommen, sich selbst Illusionen zu machen und in den zusammenhanglosen Träumereien, in den unklaren Orakeln, in dem ungereimten Wortschwall der Propheten bündige Weissagungen zu entdecken.

Der Prophet Samuel, unzufrieden mit Saul, der sich weigerte, an seinen Grausamkeiten teilzunehmen, erklärt ihn der Krone für verlustig und schafft ihm einen Rivalen in der Person Davids. Elia scheint nur ein Aufsässiger gewesen zu sein, der in den Streitigkeiten mit seinen Herrschern den Kürzeren zog und gezwungen war, sich durch Flucht gerechten Züchtigungen zu entziehen. Jeremia läßt uns wissen, daß er ein Verräter war, der mit Assyrien ein Bündnis gegen sein belagertes Vaterland einging; er scheint nur mit der Sorge beschäftigt gewesen zu sein, seinen Mitbürgern den Mut und den Willen zur Verteidigung zu nehmen. Er kauft von seinen Verwandten einen Acker, und gleichzeitig verkündet er seinen Landsleuten, daß sie verstreut und in Gefangenschaft geführt würden. Der König von Assyrien empfiehlt diesen Propheten seinem Feldherrn Nebusaradan und sagt ihm, er möge sich seiner annehmen.

Man kann sehr leicht alles in der Bibel finden, wenn man sich an sie klammert, wie es der heilige Augustin tat, der das ganze Neue Testament im Alten Testament gesehen hat. Ihm zufolge ist die Opferung Abels das Bild der Opferung Jesu Christi. Die zwei Frauen Abrahams stellen die Synagoge und die Kirche dar, ein Stück rotes Tuch, getragen von einem Freudenmädchen, das Jericho verriet, bedeutet das Blut Jesu Christi. Das Lamm, der Bock, der Löwe sind Figurationen Jesu Christi. Die eherne Schlange stellt das Kreuzopfer dar. Selbst die Mysterien des Christentums sind schon im Alten Testament angekündigt. ...

Im Evangelium des heiligen Lukas, Kap. 21, kündigt er offensichtlich das Jüngste Gericht an. Er spricht von den Engeln, die beim Schall der Trompeten die Menschen versammeln werden, auf daß sie vor ihm erscheinen. Er fügt hinzu: "Wahrlich, ich sage euch: Dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis daß es alles geschehe." Allerdings existiert die Welt heute noch, und die Christen warten nun seit achtzehnhundert Jahren auf das Jüngste Gericht.
96:
Überall wo die Menschen unwissend sind, wird es Propheten, Inspirierte und Wundertäter geben. Diese beiden Geschäftszweige verringern sich stets im gleichen Verhältnis, in welchem die Aufklärung der Völker zunimmt.

Und die Märtyrer beweisen nichts anderes als die Kraft der Begeisterung, der Verblendung, der Halsstarrigkeit, die der Aberglaube hervorbringen kann, und den grausamen Wahnsinn all derer, die ihresgleichen wegen religiöser Anschauungen verfolgen.
97:
Alle starken Leidenschaften haben ihre Märtyrer: Stolz, Eitelkeit, Vorurteil, Begeisterung für das Gemeinwohl, selbst das Verbrechen lassen jeden Tag Märtyrer entstehen oder bewirken zumindest, daß die, welche von diesen Dingen berauscht sind, die Augen vor Gefahren verschließen. Ist es also überraschend, daß Begeisterung und Fanatismus, die beiden stärksten menschlichen Leiden schafften, so oft diejenigen dem Tode trotzen ließen, welche sich an Hoffnungen berauscht hatten, die diese beiden Leidenschaften erwecken?

Wenn Märtyrer die Wahrheit einer Religion beweisen könnten, dann gäbe es keine Religion und keine Sekte, die nicht als wahr angesehen werden könnte.
99:
Das Dogma der Trinität ist offensichtlich den Traumgespinsten Platos entlehnt oder vielleicht den Allegorien, hinter denen dieser phantastische Philosoph seine Lehre zu verbergen suchte. Ihm verdankt das Christentum wahrscheinlich die meisten seiner Dogmen. Platon ließ drei Hypostasen oder Seinsweisen der Gottheit zu.
102:
Niemals sind sich die christlichen Theologen untereinander über die Beweise der Existenz eines Gottes einig gewesen. Sie behandeln sich gegenseitig als Atheisten, weil ihre Beweisführung nie dieselben sind. Nur sehr wenige Christen haben über die Existenz Gottes geschrieben, ohne des Atheismus bezichtigt worden zu sein. Descartes Clarke, Pascal, Arnauld, Nicole sind als Atheisten angesehen worden. Der Grund hierfür ist sehr einfach: die Existenz eines so wunderlichen Wesens wie das, zu dem das Christentum seinen Gott gemacht hat, ist völlig unmöglich zu beweisen.
104:
So haben der Tartarus und das Elysium aus der heidnischen Mythologie, die von Betrügern erfunden wurden, welche die Menschen zittern machen oder sie verführen wollten, in dem religiösen System der Christen ihren Platz gefunden, welche die Namen dieser Aufenthaltsorte in Paradies und Hölle umänderten.
106:
Die heiligen Bücher der Juden und Christen sind voll von Erscheinungen dieser wunderbaren Wesen, welche die Gottheit solchen Menschen sandte, denen sie ihre Gunst erweisen wollte, damit sie ihre Führer, ihre Beschützer, ihre Schutzgötter seien. Hieraus ersieht man, daß die guten Engel in der Vorstellung der Christen das sind, was die Nymphen, die Laren, die Penaten in derjenigen der Heiden gewesen sind und was die Feen für unsere Romanschreiber waren.
107:
Indem man die Menschen zittern macht, gelingt es, sie zu unterwerfen und ihre Vernunft zu trüben.

Es ist augenscheinlich, daß die römischen Katholiken ihr Fegefeuer Platon verdanken. Dieser exaltierte Philosoph teilt die Seelen in reine, heilbare und unheilbare ein. Die ersteren, die den Gerechten angehört hatten, strömen in die universale Weltseele zurück, das heißt in die Gottheit, deren Emanation sie gewesen sind. Die zweiten fahren zur Hölle, wo sie jedes Jahr den Richter dieses finstersten Reiches vorgeführt werden; diese lassen jene Seelen, die ihre Fehler genügend abgebüßt haben, zum Lichte zurückkehren. Die unheilbaren Seelen schließlich bleiben in der Unterwelt, wo sie für immer gemartert werden. Wie die christlichen Kasuisten gibt Platon die Verbrechen und die Fehler an, die diese verschiedenen Arten der Peinigung verdienen.
112:
Die ganze Geschichte der Hebräer bietet uns eine Sammlung von Märchen, die des Ernstes der Geschichte und der Majestät Gottes unwürdig sind. Lächerlich für den gesunden Menschenverstand scheint sie nur erfunden zu sein, um die Leichtgläubigkeit eines kindischen und stumpfsinnigen Volkes zu unterhalten.
113:
Was soll man zu den falschen und nicht vorhandenen Prophezeiungen sagen, die im Evangelium auf Jesus angewandt werden? So behauptet St. Matthäus, Jeremia habe geweissagt, Christus werde für dreißig Silberlinge verraten werden, hingegen ist dieser Prophezeiung bei Jeremia gar nicht zu finden. Nichts ist seltsamer als die Art, mit der die christlichen Gelehrten sich aus diesen Schwierigkeiten herauswinden. Ihre Lösungen haben nur das Ziel, die Menschen zufriedenzustellen, die es für ihre Pflicht halten, in der Verblendung zu verharren.
116:
Wenn man sich an die Gelehrten der Christen hielte, hätte es den Anschein, als ob es vor der Ankunft des Begründers ihrer Sekte keine wirkliche Moral auf Erden gegeben habe. Sie schildern uns die ganze Welt wie in Finsternis und Verbrechen getaucht. Die Moral war jedoch immer notwendig für die Menschen. Eine Gesellschaft ohne Moral kann nicht bestehen. Wir sehen vor Jesus Christus blühende Völkerschaften, aufgeklärte Philosophen, welche die Menschen beständig an ihre Pflichten erinnert haben. Mit einem Wort, wir finden bei Sokrates, Konfuzius, bei den Gymnosophisten Indiens Lebensregeln vor, die denen des Messias der Christen in nichts nachstehen. Wir finden im Heidentum Beispiele von Rechtlichkeit, Menschlichkeit, Vaterlandsliebe, von Mäßigkeit, Uneigennützigkeit, Langmut und Güte, welche die Ansprüche des Christentums entschieden widerlegen und beweisen, daß es vor seinem Begründer sehr viel echtere Tugenden gab als die, welche er uns lehren kam.
118:
Muß ein wahrer Christ nicht die Notwendigkeit empfinden, grausam und blutdürstig zu sein, wenn man ihn die Heiligen und Helden des Alten Testaments als Beispiel hinstellt? Findet er nicht Beweggründe zur Grausamkeit im Verhalten des Moses, dieses Gesetzgebers, der zweimal das Blut der Israeliten vergoß und mehr als 40 000 Menschen seinem Gott als Opfer darbringen ließ? Findet er nicht in der hinterlistigen Grausamkeit von Pinehas, Jael und Judith genug Gründe, um seine eigene Grausamkeit zu rechtfertigen. Sieht er nicht in David, diesem vollendeten Vorbild der Könige, ein Ungeheuer an Barbarei, Gemeinheit, Ehebrecherei und Aufrührerei, Eigenschaften, die ihn keineswegs hindern, ein Mann nach dem Herzen Gottes zu sein? Mit einem Wort, in der Bibel scheint alles den Christen zu verkünden, daß man der Gottheit nur durch einen rasenden Glaubenseifer gefallen kann und daß dieser Glaubenseifer genügt, um alle Verbrechen vor ihren Augen zu verbergen.
119:
Mit einem Wort, die Religion, die sich rühmte, Eintracht und Frieden zu bringen, hat seit achtzehnhundert Jahren Verwüstungen verursacht und mehr Blutvergießen verschuldet als aller Aberglaube des Heidentums. Zwischen den Bürgern der gleichen Staaten wuchs eine Scheidewand. Einigkeit und zärtliche Liebe wurden aus den Familien verbannt. Man hielt es für seine Pflicht, ungerecht und unmenschlich zu sein. Unter einem Gott, der ungerecht genug ist, die Irrtümer der Menschen übelzunehmen, wurde jeder ungerecht; unter einem neidischen und rachsüchtigen Gott glaubte sich jeder verpflichtet, in seine Streitigkeiten einzugreifen und die Beleidigungen zu rächen, die man ihm zugefügt hatte. Schließlich wurde es unter einem blutdürstigen Gott zum Verdienst, Menschenblut zu vergießen.

Es gibt keinen Christen, den man nicht von Kindheit an lehrt, daß man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen. Aber Gott gehorchen heißt niemals etwas anderes als den Priestern gehorchen. Gott spricht nicht mehr selbst. Die Kirche ist es, die an seiner Statt spricht, und die Kirche ist eine Körperschaft von Priestern, die oft anhand der Bibel feststellt, daß die Herrscher unrecht haben, daß die Gesetze verbrecherisch und höchst sinnvolle Einrichtungen gotteslästerlich sind und daß Toleranz ein Verbrechen ist.
120:
Die Völker lehnten sich immer dann gegen ihre Herrscher auf, wenn man ihnen einredete, daß diese sich gegen ihren Gott auflehnten. Aufruhr und Königsmord erscheinen den eifrigsten Christen als rechtmäßig, da sie Gott mehr gehorchen müssen als den Menschen und, wollen sie ihre ewige Seligkeit nicht gefährden, nicht zwischen dem ewigen Monarchen und den irdischen Königen hin und her schwanken dürfen.
121:
Sind sie allzu schwach, predigen sie Toleranz, Geduld und Sanftmut. Sind sie mächtiger, so predigen sie Verfolgung, Rache, Räuberei und Grausamkeit. In ihren heiligen Büchern finden sie immer etwas, womit sie die widerspruchsvollen Grundsätze rechtfertigen können, die sie verbreiten.

Geschrieben von D. am 18. Mai 2002 11:42:18:

Als Antwort auf: Holbach Teil I <2574.htm> geschrieben von D. am 18. Mai 2002 11:37:15:

Paul Thiry d Holbach
Religionskritische Schriften
(Auszüge aus dem 1970 erschienenen Buch)

- Ohne Kommentar - bewusst ohne Kommentar - Letzterer sei dem Leser überlassen!

Das entschleierte Christentum
oder Prüfung der Prinzipien und Wirkungen der christlichen Religion

124:
In den vielgerühmten Geboten und Ratschlägen, die Jesus Christus uns gegeben hat, finden wir schließlich nur überspannte Leitsätze, deren Anwendung unmöglich ist, Regeln, die wörtlich befolgt, der Gesellschaft schaden würden. In jenen Geboten aber, die wirklich angewendet werden können, finden wir nichts, was nicht den Weisen der Antike ohne die Hilfe der Offenbarung schon besser bekannt war.
Dem Messias zufolge besteht sein ganzes Gesetz darin, Gott über alles zu lieben und seinen Nächsten wie sich selbst. Ist dieses Gebot möglich? Einen zornerfüllten, launischen, ungerechten Gott lieben, den Gott der Juden lieben! Einen ungerechten, unversöhnlichen Gott lieben, der grausam genug ist, seine Geschöpfe auf ewig zu verdammen! Das fürchterlichste Wesen lieben, das der menschliche Geist jemals hervorbringen konnte! Ist ein derartiges Wesen etwa geeignet, im Herzen des Menschen ein Gefühl der Liebe zu wecken? Wie soll man lieben, was man fürchtet? Wie soll man einen Gott verehren, unter dessen Geißel man zittern muß? Belügt man sich nicht selbst, wenn man sich einredet, ein so furchteinflößendes, zur Empörung reizendes Wesen zu lieben?

Seinen Nächsten wie sich selbst lieben, ist das ehr möglich? Es liegt in der Natur jedes Menschen, vor allen anderen sich selbst zu lieben. Seine Nächsten liebt er überhaupt nur nach Maßgabe dessen, was sie zu seinem eigenen Glück beitragen. Er ist tugendhaft, wenn er seinem Nächsten Gutes tut, er ist großmütig, wenn er ihm seine Eigenliebe opfert. Er liebt ihn aber immer nur um der nützlichen Eigenschaften willen, die er in ihm findet. Er kann ihn nur lieben, wenn er ihn kennt, und seine Liebe zu ihm muß sich nach den Vorteilen richten, die ihm daraus erwachsen.
125:
Seine Feinde zu lieben ist also ein unmögliches Gebot. Man kann es sich versagen, dem, der einem schadet, Böses zu tun; aber die Liebe ist eine Regung des Herzens, die nur in uns erwacht angesichts eines Gegenstandes, den wir als vorteilhaft für uns ansehen.

Die Christen mögen doch aufhören, uns die Vergebung des Unrechts als ein Gebot zu rühmen, das nur von einem Gott habe ausgehen können und das die Göttlichkeit seiner Moral beweise! Pythagoras hatte lange vor dem Messias gesagt, man räche sich an seinen Feinden nur, indem man sich bemüht, sie zu Freunden zu machen; und Sokrates sagte im "Kriton", daß es keinem Menschen gestattet sei, sich mit einem neuen Unrecht für ein erhaltenes Unrecht zu rächen.
126:
Ganz allgemein kann man sagen, daß Fanatismus und Schwärmerei die Grundlage der Moral Christi bilden.

Das Christentum ist fortwährend damit beschäftigt, entweder die Menschen durch bedrohliche Schrecken zu entwürdigen oder sie mit leichtfertigen Hoffnungen zu berauschen.

Wie man sieht, erfordert diese Tugend (Glauben) einen totalen Verzicht auf den gesunden Menschenverstand, eine widersinnige Anerkennung unwahrscheinlicher Tatsachen, eine blinde Unterwerfung unter die Autorität der Priester, der einzigen Bürgen für die Wahrheit der Dogmen und Wunder ...
127:
Diese Tugend, obgleich für alle Menschen notwendig, ist dennoch eine Gabe des Himmels und die Wirkung einer besonderen Gnade. Sie verbietet Zweifel und Prüfung; sie beraubt den Menschen der Fähigkeit, seine Vernunft zu gebrauchen, und der Freiheit zu denken. Sie beschränkt ihn auf eine tierische Stumpfheit gegenüber Dingen, von denen man ihm nichtsdestoweniger einredet, sie seien die wichtigsten für sein ewiges Glück. Hieran erkennt man, daß der Glaube eine Tugend ist, die von Menschen erfunden wurde, die das Licht der Vernunft fürchten ...
128:
Die Wissenschaft war und wird stets ein Gegenstand des Hasses für die christlichen Gelehrten sein. Sie wären ihre eigenen Feinde, wenn sie die Weisen liebten.
130:
Es war immer erlaubt, Hinterlist, Betrug und Lüge anzuwenden, sobald es darum ging, die Sache Gottes zu verteidigen. Die jähzornigsten, heftigsten, verdorbensten Menschen sind für gewöhnlich am eifrigsten.

Das ökumenische Konzil zu Konstanz ließ Johannes Hus und Hieronymus von Prag trotz des kaiserlichen Geleitbriefes verbrennen. Mehrere Christen haben gelehrt, daß man Ketzern gegenüber sein Wort nicht zu halten brauche. Die Päpste haben hundertmal von den Eiden und Versprechungen entbunden, die man Irrgläubigen gemacht hat. Die Geschichte der Religionskriege zwischen Christen zeigt uns Verrätereien, Grausamkeiten, Treulosigkeiten, die in anderen Kriegen ohne Beispiel sind. Wenn man für Gott kämpft, ist alles gerechtfertigt. In diesen Kriegen sieht man nichts als an Mauern zerschmetterte Kinder, hingeschlachtete schwangere Frauen ...
131:
Für einen Christen war ein Ungläubiger niemals mehr als ein Hund. Daß sich die Christlichen Nationen die Besitzungen der Bewohner der Neuen Welt widerrechtlich angeeignet haben, ist augenscheinlich eine Folge der jüdischen Ideen. Die Kastilien und Portugiesen hatten offensichtlich die gleichen Rechte, sich Amerika und Afrikas zu bemächtigen, wie die Hebräer sie hatten, sich zu Herren über die Länder der Kanaaniter zu machen, die Bewohner zu vernichten oder in die Sklaverei zu führen.

Der heilige Augustinus lehrt uns, daß nach göttlichem Recht alles den Gerechten gehört - ein Leitsatz, der sich auf eine Stelle aus den Psalmen stützt, die besagt, daß die Gerechten die Frucht der Arbeit der Gottlosen essen werden ... Man weiß, daß der Papst durch eine Bulle, die er für die Könige von Kastilien festlegte, welche die Eroberungen regelte, die jeder von ihnen in den von Ungläubigen bevölkerten Ländern gemacht hatte.
132:
Es scheint, als habe das Christentum nur den Vorsatz, niederträchtige, für die Welt nutzlose Sklaven hervorzubringen, denen blinde Unterwerfung unter ihre Priester jede Tugend ersetzt.
133:
Als Folge dieser fanatischen Ideen bevölkerten sich, vor allem in den ersten Zeiten des Christentums, Wüsten und Wälder mit vollkommenen Christen, die der Welt entsagten und damit ihren Familien den Beistand und ihrem Vaterland die Bürger entzogen, um sich einem müßigen und beschaulichen Leben hinzugeben. Daher diese Scharen von Betbrüdern und Klostermönchen, die sich unter den Fahnen verschiedener Schwärmer für ein dem Staate nutzloses oder sogar schädliches Heer anwerben ließen.
134:
Mit einem Wort, das Christentum scheint sich die Aufgabe gestellt zu haben, in allem die Natur und die Vernunft zu bekämpfen. Wenn es irgendwelche Tagenden anerkennt, die vom gesunden Menschenverstand gutgeheißen werden, will es sie stets übertreiben. Das Christentum hält nie jene richtige Mitte, die das Merkmal der Vollkommenheit ist. Wollust, Ausschweifung, Ehebruch, mit einem Wort, die verbotenen und schändlichen Freuden sind offensichtlich Dinge, denen jeder, der auf seine Erhaltung bedacht ist und die Achtung seiner Mitmenschen erwerben will, widerstehen muß. Die Heiden haben diese Wahrheit erkannt und gelehrt, trotz der Zügellosigkeit der Sitten, die das Christentum ihnen vorwirft. Die christliche Religion, mit diesen vernünftigen Lebensregeln unzufrieden, empfiehlt das Zölibat.
135:
Wenn wir die Vernunft zu Rate ziehen, werden wir feststellen, daß die Freuden der Liebe uns selber schaden, wenn wir ihnen mit Maßlosigkeit frönen, und daß sie zum Verbrechen werden, wenn sie anderen schaden. Wir werden erkennen: ein Mädchen verführen bedeutet sie zu Schande und Ehrlosigkeit verurteilen und ihr die Vorteile der Gesellschaft entziehen. Wir werden feststellen, daß der Ehebruch ein Eingriff in die Rechte eines anderen ist, der die Vereinigung der Gatten zerstört, zumindest Herzen entzweit, die bestimmt waren, einander zu lieben. Wir werden aus diesen Tatsachen schließen, daß die Ehe als einziges Mittel, auf ehrbare und rechtmäßige Weise das Bedürfnis der Natur zu befriedigen, die Gesellschaft zu vermehren, sich eine Stütze für das Alter zu verschaffen, ein viel ehrenwerterer und geheiligter Zustand ist als jenes zerstörerische Zölibat, jene freiwillige Kastration, die das Christentum die Dreistigkeit hat, in eine Tugend zu verwandeln.

Es ist offensichtlich, daß die christliche Religion in der Ehe einen Zustand der Unvollkommenheit sieht. Vielleicht rührt das daher, daß Jesus Christus der Sekte der Essener angehörte, die ähnlich wie die Mönche der Neuzeit der Ehe entsagten und sich dem Zölibat weihten. Diese Ideen sind wahrscheinlich von den ersten Christen übernommen worden, die nach den Prophezeiungen Christi jeden Augenblick das Ende der Welt erwarteten und es daher als unnütz ansahen, Kinder zu haben und die Bande zu vervielfältigen, die sie an eine zum Untergang bestimmte Welt fesselten. Wie dem auch sei, der heilige Paulus sagt, daß es besser ist zu freien, den Brunst zu leiden ... Jesus selbst hat lobend von denen gesprochen, die sich zu Eunuchen machten um des göttlichen Reiches willen. Origenes nahm diesen Rat oder dieses Gebot wörtlich. Der heilige Märtyrer Justinus sagt, daß Gott von einer Jungfrau geboren werden wollte, um die gewöhnliche Zeugung, welche die Frucht einer ungesetzlichen Begierde ist, abzuschaffen. Daß das Christentum die Vollkommenheit ans Zölibat bindet, war einer der Hauptgründe, weshalb es aus China verbannt wurde. Eduard der Bekenner enthielt sich seiner Frau während seines ganzen Lebens. Die Vorstellung, daß die Vollkommenheit an die Keuschheit gebunden ist, war die Ursache des allmählichen Aussterbens des sächsischen Königshauses in England. Der heilige Mönch Augustinus, Apostel der Engländer, befragte Papst Gregor, wieviel Zeit ein Mann brauche, der mit seiner Frau verkehrt habe, um wieder die Kirche betreten und in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen zu werden.
136:
Das Zölibat, den Priestern der römischen Kirche vorgeschrieben, scheint das Ergebnis einer sehr raffinierten Politik der Päpste zu sein, die ihre Priester diesem Gesetz unterwarfen. Zunächst sollte es die Verehrung der Völker steigern, die glaubten, daß ihre Priester nicht Menschen von Fleisch und Blut wie die anderen seien. Um anderen zerriß man, indem man den Priestern die Ehe verbot, jene Bande, die sie an Familie und Staat fesselten, um sie einzig und allein an die Kirche zu binden, deren Güter dadurch nicht geteilt und immer als Ganzes erhalten wurden. Durch das Zölibat sind die Priester der römischen Kirche so mächtig und so schlechte Bürger geworden. Das Zölibat macht sie in gewisser Weise unabhängig. Sie sind nicht genötigt, an ihre Nachkommenschaft zu denken. Ein Mann, der Familie hat, hat Bedürfnisse, die einem Unverheiratetem unbekannt sind, für den mit seinem Tode auch alles andere zu Ende ist. Die größten Fürsprecher des priesterlichen Zölibats waren immer jene Päpste, die am ehrgeizigsten waren. So bemühte sich Gregor VII. Mit höchstem Eifer, es durchzusetzen. Wenn die Priester sich verheiraten konnten, so würden die Könige und Fürsten sich bald selbst zu Priestern machen, und der Papst fände in ihnen keine genügend gehorsamen Untertanen mehr. Das Zölibat ist es, dem die Hartherzigkeit, die Unmenschlichkeit, die Halsstarrigkeit, der unruhestiftende Geist zu verdanken sind, die man der katholischen Geistlichkeit von jeher vorgeworfen hat.
137:
Scheint die Kirche mit dem Verbot der Ehe zwischen Verwandten nicht auch gleichzeitig verboten zu haben, daß diejenigen, die sich vereinigen wollen, einander genau kennen und allzu innig lieben?
138:
Alle Tugenden, die das Christentum bewundert, sind entweder überspannt und fanatisch oder bezwecken nur, den Menschen zu erniedrigen und ihn furchtsam und unglücklich zu machen.
141:
Kein anderer Glaube hat jemals seine Anhänger vollständiger und andauernder von seinen Priestern abhängig gemacht als das Christentum. Sie verloren ihre Beute nie aus den Augen. Sie ergriffen immer die geeignetsten Maßnahmen, um die Menschen zu versklaven und sie zu zwingen, etwas zu ihrer Macht, ihrem Reichtum, ihrer Herrschaft beizusteuern.
142:
Das Leben der Christen ist ein Kreislauf von Zügellosigkeiten und periodischen Beichten. Allein die Priesterschaft zieht Nutzen aus diesem Brauch, der sie befähigt, eine absolute Herrschaft über das Gewissen der Menschen auszuüben.
143:
In einigen christlichen Sekten scheint sich die Religion bemüht zu haben, den Tod für den Menschen noch tausendmal bitterer zu machen. Ungerührt tritt der Priester ans Bett eines Sterbenden, um ihn in Unruhe zu versetzen. Unter dem Vorwand, ihn mit Gott zu versöhnen, läßt er ihn das Schauspiel seines Todes im voraus kosten.

Man braucht sich nur ein wenig in der Geschichte umzusehen, so wird man finden, daß sich die christlichen Priester in alles haben einmischen wollen: Die Kirche als gute Mutter kümmerte sich um die Kopfbedeckung, die Haartracht, die Kleidung und das Schuhwerk ihrer Kinder. Im 15. Jahrhundert nahm sie Anstoß an den spitzen Schuhen, die man damals Schnabelschuhe nannte. Der heilige Paulus hatte bereits zu seiner Zeit bestimmte Haartrachten verboten.

Nichts ist barbarischer als die Bräuche der römischen Kirche bezüglich der Sterbenden. Die Sakramente lassen mehr Leute sterben als Krankheiten und Ärzte.
144:
Mit Hilfe des Dogmas vom Fegefeuer und der Wirksamkeit der kirchlichen Gebete, um diesem zu entgehen, ist s der römischen Kirche oft gelungen, die Familien ihrer reichsten Erbschaften zu berauben. Oft enterbten gute Christen ihre Verwandten, um ihren Besitz der Kirche zu geben.
150:
Das sind die Vorteile, welche die christliche Religion der Gesellschaft einbringt. Sie bildet einen unabhängigen Staat im Staate. Sie macht die Völker zu Sklaven. Sie begünstigt die Tyrannei der Herrscher, wenn diese der Religion willfährig sind; sie wiegelt die Untertanen auf und macht sie zu Fanatikern, wenn die Fürsten nicht gefügig genug sind. Befindet sich die Religion in Übereinstimmung mit der Politik, so richtet sie die Nationen zugrunde, erniedrigt sie, macht sie arm und beraubt sie der Wissenschaft und des Gewerbefleißes; wenn sie sich von der Politik trennt, macht sie die Bürger ungesellig, aufsässig, intolerant und rebellisch.

Wenn man nur ein wenig nachrechnet, so wird man bemerken, daß in Italien, Spanien, Portugal und Deutschland die geistlichen Einkünfte nicht nur diejenigen der Herrscher, sondern auch die der übrigen Bürger überschreiten. Man sagt, daß es allein in Spanien mehr als 500 000 Priester gibt, die über ungeheure Einkünfte verfügen.

Es ist sicher, daß der König von Spanien nicht den sechsten Teil dieser Gelder für die Verteidigung des Staates zur Verfügung hat. Wenn die Mönche und Priester für ein Land notwendig sind, muß man zugeben, daß der Himmel sich die Gebete ziemlich teuer bezahlen läßt.
151:
Lactantius sagt, ein Christ dürfe weder Soldat noch Kläger sein ... die Quäker und Mennoniten tragen keine Waffen, sie sind konsequenter als andere Christen.

Der heilige Papst Gregor ließ zu seiner Zeit heidnische Bücher in großer Zahl vernichten. Zu Beginn des Christentums sehen wir, daß sich der heilige Paulus Bücher bringen ließ, um sie verbrennen zu lassen.
152:
Mit einem Wort, würde man mit aller Strenge den Leitsätzen des Christentums folgen, so könnte kein Staatswesen existieren. Sollte man an dieser Behauptung zweifeln, dann höre man sich an, was die ersten Kirchenväter sagen, und man wird sehen, daß ihre Moral mit der Erhaltung und Macht eines Staates völlig unvereinbar ist. Man wird erfahren, daß nach Lactantius kein Mensch Soldat sein darf, daß nach dem heiligen Justinus kein Mensch sich verheiraten darf, daß nach Tertullian kein Mensch Beamter sein darf, daß nach dem heiligen Chrysostomus niemand Handel treiben, daß vielen anderen zufolge niemand studieren soll. Vereinigt man schließlich diese Grundsätze mit denen des Welterlösers, so wird sich daraus ergeben, daß ein Christ, der nach Vollkommenheit strebt, wie er soll, das nutzloseste Glied seines Landes, seiner Familie und seiner ganzen Umgebung ist. Er ist ein müßiger Grübler, der nur ans Jenseits denkt, mit den Interessen dieser Erde nichts gemein hat und nichts inniger ersehnt, als sie schnell zu verlassen.

Lactantius zeigt, daß die Vorstellung vom nahen Ende der Welt einer der Hauptgründe für die Ausbreitung des Christentums gewesen ist.
154:
Es gab zu allen Zeiten Menschen, die aus den Irrtümern der Welt ihren Gewinn zu ziehen verstanden. Die Priester aller Religionen fanden Mittel, auf den Ängsten des gemeinen Volkes ihre eigene Macht, ihre Reichtümer und ihre Größe zu begründen.
158:
Die Interessen der Priesterschaft wurden auf diese Weise von denen der Gesellschaft getrennt. Menschen, die ihr Leben Gott geweiht hatten und auserwählt waren, seine Diener zu sein, waren keine Staatsbürger mehr; sie wurden mit den weltlichen Untertanen nicht auf eine Stufe gestellt; die Gesetze und bürgerlichen Gerichtshöfe besaßen keine Macht über sie; nur von Menschen ihrer eigenen Körperschaft wurden sie gerichtet. Deshalb blieben die größten Frevel oft ungestraft. Sie waren Gott allein unterworfen, und ihre Person war daher unverletzlich und geheiligt.
159:
Denn täuschen wir uns nicht: das Christentum, noch nicht zufrieden damit, den Menschen Gewalt anzutun, um sie äußerlich seinem Kult zu unterwerfen, hat die Kunst erfunden, das Denken zu tyrannisieren und das Gewissen zu martern, eine Kunst, die jedem heidnischen Aberglauben fremd war.
160:
Anstatt sich mit nützlichem Wissen zu beschäftigen, kümmerten sich die Theologen stets nur um ihre Dogmen. Anstatt die wahre Moral zu erforschen und die Völker mit ihren wirklichen Pflichten bekannt zu machen, suchten sie nur Anhänger zu gewinnen. Die Priester des Christentums vertrieben sich ihren Müßiggang mit nutzlosen Spekulationen über eine barbarische und rätselhafte Wissenschaft, die sich unter dem Namen Gotteswissenschaft oder Theologie die Ehrfurcht des gemeinen Volkes erwarb.
161:
In fast allen Jahrhunderten beklagte man sich lauthals über die Mißbräuche der Kirche; man sprach davon, sie zu ändern. Doch trotz dieser angeblichen Reformen der Kirche an Haupt und Gliedern blieb sie immer korrumpiert.
162:
Überall läßt die herrschende Sekte die anderen ihre Überlegenheit auf grausame Weise fühlen.
164:
Die katholischen Nationen sind in Europa die unwissendsten und die am meisten versklavten. Die religiöse Sklaverei zieht die politische Sklaverei nach sich. Die Priester der römischen Kirche scheinen den Herrschern den gleichen Vorschlag zu machen wie der Teufel Jesus Christus als er ihn in der Wüste versuchte ... Wir werden dir alle deine Untertanen, an Händen und Füßen gebunden, ausliefern, wenn du dich unseren Hirngespinsten unterwerfen willst.
166:
Alles, was bisher gesagt wurde, beweist klar und deutlich, daß die christliche Religion einer gesunden Politik und dem Wohlergehen der Nationen widerspricht. Sie kann nur uneinsichtigen und tugendlosen Fürsten von Vorteil sein, die es für ihre Pflicht halten, über Sklaven zu herrschen, und die sich, um die Völker ungestraft tyrannisieren und ihnen das Fell über die Ohren ziehen zu können, mit der Priesterschaft verbünden, deren Funktion es stets war, sie im Namen des Himmels zu betrügen.
167:
Die Religion ist die Kunst, die Menschen durch Schwärmerei trunken zu machen, um sie daran zu hindern, sich mit den Übeln zu befassen, mit denen ihre Herrscher sie hienieden plagen. Mit Hilfe unsichtbarer Mächte, mit denen man ihnen droht, zwingt man sie, schweigend alles Elend zu erleiden, das ihnen von sichtbaren Mächten zugefügt wird. Man läßt sie hoffen, daß sie in einem anderen Leben glücklicher sein werden, wenn sie sich mit einem unglücklichen Dasein in dieser Welt abfinden.
170:
Ein paar nutzlose Bekehrungen, einige fruchtlose und späte Reuebekenntnisse, einige wertlose Entschädigungen, können sie den fortwährenden Zwistigkeiten, den blutigen Kriegen, den gräßlichen Metzeleien, den Verfolgungen und unerhörten Grausamkeiten die Waage halten, für welche die christliche Religion seit ihrer Begründung Ursache und Vorwand war? Gegen einen verborgenen Gedanken, den sie ersticken will, bewaffnet diese Religion ganze Völker, die sich gegenseitig vernichten. Sie trägt den Aufruhr in die Herzen von Millionen Fanatikern; sie bringt Unruhe in die Familien und Staaten; sie tränkt die Erde mit Tränen und Blut.

Geschrieben von D. am 18. Mai 2002 18:22:41:

Als Antwort auf: Re: Holbach Teil II <2575.htm> geschrieben von D. am 18. Mai 2002 11:42:18:

Paul Thiry d Holbach
Religionskritische Schriften
(Auszüge aus dem 1970 erschienenen Buch)

- Ohne Kommentar - bewusst ohne Kommentar - Letzterer sei dem Leser überlassen!

Briefe an Eugenie
Oder Schutzmittel gegen die Vorurteile
305:
Überall sind die hinterlistigen Diener der Religion offen oder insgeheim Feinde der Vernunft gewesen, weil sie stets bemerkten, daß die Vernunft ihren Absichten zuwiderläuft. Überall verleumdeten sie die Vernunft, weil sie zu Recht fürchteten, daß die Vernunft ihre Herrschaft durch die Aufdeckung ihrer Ränke und der Nichtigkeit ihrer Fabeln zerstört. Überall waren sie bestrebt, auf den Trümmern der Vernunft die Herrschaft des Fanatismus und der Einbildung aufzurichten.
307:
Tatsächlich sehen wir recht oft, daß die aufgeklärtesten Menschen für immer in den Vorurteilen ihrer Kindheit befangen bleiben.

Mit einem Wort, alles beweist uns, daß nichts schwieriger ist, als sich von den Begriffen zu lösen, die uns in unserer Jugend eingeflößt worden sind.

Sie brauchen sich also nicht einer Schwäche zu schämen, die sie fast mit aller Welt gemeinsam haben und von der nicht einmal die größten Menschen ausgenommen sind.
308:
Die religiösesten Menschen sind selten die liebenswertesten und die geselligsten. Da die Frömmigkeit, selbst die aufrichtigste, diejenigen, welche von ihr ergriffen sind, lästigen Andachtsübungen unterwirft, da sie deren Einbildungskraft mit unheimlichen und niederdrückenden Gegenständen erfüllt, da sie deren Eifer antreibt, ist sie kaum geeignet, den Frommen die ausgeglichene Laune, die milde Sanftmut und die Anmut zu geben, die für die Gesellschaft so wertvoll sind.
310:
Die empfindlichsten und mitfühlendsten Menschen halten sich ganz ehrlich für verpflichtet, hart zu sein, sich Gewalt anzutun, die Natur zu unterdrücken, um sich gegen diejenigen grausam zu zeigen, die man ihnen als Feinde ihrer Denkweise bezeichnet. Erkennen Sie zum Beispiel in den Verfolgungen, denen in Frankreich die Protestanten so oft ausgesetzt waren, die Sanftmut unseres Volkes und seiner Regierung wieder? Finden Sie in den Quälereien, den Einkerkerungen, den Ausweisungen, die man heutzutage über die Jansenisten verhängt, Vernunft, Gerechtigkeit, Menschlichkeit? Wenn diese jedoch jemals stark genug würden, um ihrerseits Verfolgungen anstellen zu können, so würden sie ihre Gegner zweifellos nicht gerechter und milder behandeln.
312:
Ist es nicht seltsam, daß diejenigen, deren Beruf es ist, sich selbst in der Religion zu unterrichten, um andere darin zu unterweisen, zugeben, daß sie deren Dogmen selbst nicht verstehen, und dennoch dem Volk hartnäckig aufdrängen wollen, was sie nach ihrem eigenen Eingeständnis nicht begreifen! Würden wir wohl Vertrauen zu einem Arzt haben der uns - nachdem er zugegeben hat, daß er sein Handwerk nicht versteht - dennoch einreden möchte, wie ausgezeichnet seine Heilmittel sind? Das jedoch tun unsere geistlichen Quacksalber täglich.
324:
Aber alle jene Antworten, welche die Theologen unaufhörlich im Munde führen, dienen nur dazu, die hervorragenden Ideen, die sie uns von der Gottheit geben, mehr und mehr zu vernichten. Aus ihren Antworten folgt in der Tat, daß Gott sich wie ein eigenwilliger Herrscher benimmt, dem es genügt, einigen Günstlingen Gutes zu erweisen, und der sich für berechtigt hält, seine übrigen Untertanen zu vernachlässigen und sie im schrecklichsten Elend schmachten zu lassen.
343:
Dieser Gott ist nur damit beschäftigt aufzubauen, um zu zerstören, zu vernichten, um wiederaufzurichten; gleich einem Kinde, das seiner Spielsachen überdrüssig wird, zerstört er unaufhörlich das, was er geschaffen hat, zerbricht er das, was der Gegenstand seiner Begierden war. Keine Voraussicht, keine Beständigkeit, keine Harmonie in seinem Verhalten, keine Verbindung und keine Klarheit in seinen Reden; wenn er handelt, billigt er einmal das, was er geschaffen hat, ein andermal bereut er es; er erzürnt und ärgert sich über das, was er zu machen erlaubt hat; er duldet trotz seiner unendlichen Macht, daß der Mensch ihn beleidigt; er läßt zu, daß Satan, sein Geschöpf, alle seine Pläne durchkreuzt.
345:
Ein System, das von falschen Prinzipien ausgeht, kann immer nur zu einer Anhäufung von Unrichtigkeiten führen.
357:
Und man hat Zuflucht genommen zur Allmacht Gottes, zu seinem höchsten Willen und zu Wundern, die immer die letzte Rettung der Theologen sind, wenn sie sich nicht mehr aus der Affäre zu ziehen wissen.
369:
Sie werden mich vielleicht fragen, ob es, wenn man die Idee einer künftigen Welt zerstört, noch Gewissensbisse geben kann, also jene Strafen, die für den Menschen so nützlich sind und so geeignet, ihn im Zaum zu halten. Ich antworte, daß es immer Gewissensbisse geben wird, auch wenn man die entfernte und ungewisse Rache der Gottheit nicht mehr zu fürchten braucht. Jeder Mensch, dessen Vernunft nicht völlig getrübt ist, merkt sehr wohl, daß er sich bei den anderen verhaßt macht, daß er ihre Feindschaft fürchten muß, wenn er Verbrechen begangen hat, wenn er sich von seinen Leidenschaften fortreißen ließ, wenn er sich weigerte, ihnen Gutes zu tun, wenn er sein Mitleid erstickte; er schämt sich also, weil er von ihnen verachtet und verabscheut wird. Er weiß, daß er ständig ihrer Wertschätzung und ihrer Hilfe bedarf. Die Erfahrung beweist ihm, daß auch seine verborgensten Laster ihm selbst schaden; so muß er stets befürchten, daß seine schändlichen Laster und seine geheimen Verbrechen, die er vielleicht begangen hat, durch einen unglücklichen Zufall aufgedeckt werden. Aus all diesen Ideen erwachen sowohl Reue als auch Gewissensbisse selbst bei denen, die nicht an die Hirngespinste eines künftigen Lebens glauben.
370:
Das wahre Mittel, auf Erden glücklich zu leben, besteht darin, andere glücklich zu machen; seinesgleichen glücklich zu machen heißt tugendhaft zu sein.
374:
Wenn Sie mich fragen, wie es möglich war, daß sich die Menschen nicht gegen so viele wiedersinnige und unverständliche Träumereien empörten, so werde ich Ihnen meinerseits erklären, worin dieses große Mysterium, das Geheimnis der Kirche, das Mysterium unserer Priester, besteht.
Man muß nur die allgemeinen Neigungen des Menschen, besonders wenn er unwissend und zum Nachdenken unfähig ist, aufmerksam betrachten. Jeder Mensch ist neugierig. Sobald man die Dinge, die man ihm als für sein Glück wichtig hinstellt, mit einem Geheimnis umgibt, wird seine Neugier angestachelt, und seine Einbildungskraft beginnt zu arbeiten. Der Pöbel verachtet, was er kennt und was er zu begreifen vermag. Das Mittel, ihn für sich einzunehmen, besteht darin, ihn zu blenden, ihm Wunder und außergewöhnliche Dinge zu verkündigen. Er bewundert und achtet nur das, was sein Erstaunen bewirkt, seine Einbildungskraft reizt und seinen Geist beschäftigt, der selbst meist keine Ideen hat. Man wird also immer den Priester, die die meisten Wunder und Mysterien verkünden, am begierigsten lauschen; sie werden vom Volk am besten aufgenommen, am meisten geachtet und am besten bezahlt.
381:
Jene Priester merkten bald, daß sie für sich selbst arbeiteten, wenn sie für die Götter arbeiteten, und daß sie sich die Geschenke und die Opfer zunutze machen konnten, die man den Wesen darbrachte, die niemals erschienen, um das zu fordern, was für sie bestimmt war.

Auf diese Weise haben die Priester mit der Gottheit gemeinsame Sache gemacht. Ihre Politik zwang sie also, die Irrtümer des Menschengeschlechts zu begünstigen und zu vermehren. Sie sprachen von diesem unbestimmbaren Wesen wie von einem eifersüchtigen, von Eitelkeit und Selbstsucht erfüllten Monarchen, der nur gibt, damit auch ihm gegeben werde; der ständig die Zeichen der Unterwerfung, der Achtung und der Ergebenheit, die man ihm entgegenbringt, sehen und wiederholt haben will; der um seine Gunst gebeten sein will und der sie, um sie kostbarer zu machen, nur den ganz Eifrigen erweist und sich besonders durch Geschenke besänftigen und gewinnen läßt, aus denen seine Priester Nutzen zu ziehen wissen.
382:
Wenn nun jemand einen solchen Menschen nach dem Grund seines Verhaltens fragt oder von ihm wissen will, warum er dieses Verhalten zu einer wichtigen und heiligen Pflicht gemacht hat, so wird er nur sagen können, daß man ihn von Kindheit an gelehrt hat, ehrfurchtsvoll die Bräuche zu achten, die heiliggehalten werden müssen, da sie ihm unverständlich sind. Wenn man ihn über diesen gewohnheitsmäßigen Flitterkram aufzuklären sucht, so wird er entweder nicht darauf hören, oder er wird sich gegen denjenigen erzürnen, der den in seinem Gehirn verwurzelten Begriffen widerspricht. Jeder Mensch, der ihn zum gesunden Verstand zurückführen und gegen die Gewohnheiten, die er angenommen hat, angehen will, wird ihm lächerlich und unvernünftig erscheinen, oder er wird ihn sogar als einen Ketzer und Gotteslästerer von sich weisen.
385:
Würden sie tatsächlich die angeblichen Pflichten, welche die Religion Ihnen auferlegt, mit unvoreingenommenen Augen prüfen, so müßten Sie eingestehen, daß sie allein den Priestern nützen, für Gott und die Gesellschaft aber, der sie häufig offensichtlich Verderben bringen, gleichermaßen nutzlos sind.
389:
Diese religiösen Übungen, die sich die meisten Menschen zur Hauptsache machen, drängen gewöhnlich die wahren Pflichten der Moral völlig zurück; sind die Frommen religiös, so sind sie doch sehr selten tugendhaft: sie sind damit zufrieden, das erfüllt zu haben, was die Religion fordert und sorgen sich sehr wenig um das Übrige. Sie glauben von Gott geliebt zu werden, und kümmern sich kaum darum, ob sie von den Menschen verachtet werden, oder sie tun nichts, um deren Liebe zu erringen. Das gesamte Leben eines Frommen ist damit ausgefüllt, daß er peinlich genau die Pflichten erfüllt, die einem Gott gleichgültig, dem Frommen selbst unbequem und für die anderen nutzlos sein müssen.
392:
Die guten Christen können mit jenem Philosophen aus dem Altertum verglichen werden, welcher, da er die Augen unaufhörlich auf die Sterne gerichtet hatte, in einen Brunnen fiel, den er vor seinen Füßen nicht sah.
397:
Prüfen wir ohne Vorurteil die Quelle einer Unzahl von Übeln in unserer Gesellschaft, so werden wir sehen, daß sie auf die unheilvollen Spekulationen der Religion zurückzuführen sind, welche die Menschen mit Schwärmerei, Fanatismus und Wahnsinn erfüllen und sie auf diese Weise blind, unbesonnen und zu Feinden ihrer selbst und der anderen machen.
402:
Der Gott der Christen hat wie der Janus der Römer zwei Gesichter: einmal stellt man ihn uns unter den Zügen der Güte dar, zum anderen zeigt man ihn uns dürstend nach Rache, Zorn und Grausamkeit.
403:
In der Theorie freilich predigt das Christentum zwar Nachsicht, Duldsamkeit, Eintracht und Frieden, aber in der Praxis üben die Christen niemals diese Tugenden, es sei denn, sie sind nicht stark genug, ihrem vernichtenden Eifer freien Lauf zu lassen. In der Tat zeigen die Christen nur denen gegenüber die allgemeinen Gefühle der Menschlichkeit, die ebenso denken wie sie und die gleichen Dinge zu glauben vorgeben; sie hegen einen mehr oder weniger großen Abscheu gegen alle, die nicht alle theologischen Spekulationen ihrer Priester teilen.

Mit einem Wort, nirgends herrscht aufrichtige Toleranz. Die Priester der verschiedenen Sekten lehren die Christen von Kindheit an, sich gegenseitig zu mißtrauen oder sich sogar um theologischer Fragen willen, die niemand jemals verstehen wird zu hassen.
416:
Sind denn jene endlosen Auseinandersetzungen, in die sich unsere tiefsinnigen Metaphysiker verstricken, für die Völker, die nichts davon verstehen, von Interesse? Hat das Volk von Paris oder in den Provinzen irgendwelche Vorteile davon, wenn sich unsere Gottesgelehrten untereinander darüber streiten, was man von der Gnade zu halten habe?
417:
Im Gegenteil, würde man die Priester entsprechend ihrem Verdienst bezahlen, würde man ihre Funktionen entsprechend ihrem wahren Wert einschätzen, so fände man vielleicht, daß sie keinen besseren Lohn verdienen als jene Kurpfuscher, welche an den Straßenecken Heilmittel feilbieten, die gefährlicher sind als die Leiden, welche sie zu heilen versprechen.
430:
Mit einem Wort: ein guter Christ ist ein Mensch des Jenseits; für unsere Welt ist er nicht geschaffen.
439:
Mit einem Wort, wenn man in der Bibel einige Gebote einer gesunden und nützlichen Moral findet, so findet man dort ebenfalls alles, womit man die schrecklichsten Verbrechen rechtfertigen kann.
444:
Wenn man also fragt, was man an die Stelle der Religion setzen könnte, so würde ich antworten: eine vernünftige Moral, eine rechtschaffene Erziehung, vorteilhafte Gewohnheiten, klare Prinzipien und weise Gesetze, die auch die Bösen beeindrucken, sowie Belohnungen, die zur Tugend ermuntern.
Geschrieben von
Gerd  am 19. Mai 2002 21:19:40:

Als Antwort auf: Re: Holbach Teil III <2576.htm> geschrieben von D. am 18. Mai 2002 18:22:41:

>Wenn man also fragt, was man an die Stelle der Religion setzen könnte, so würde ich antworten: eine vernünftige Moral, eine rechtschaffene Erziehung, vorteilhafte Gewohnheiten, klare Prinzipien und weise Gesetze, die auch die Bösen beeindrucken, sowie Belohnungen, die zur Tugend ermuntern.

O, wie schön! Das meinte Thiry d´Holbach so um 1750 und 1970 hat gerade die Deutsche Demokratische Republik diese seine Gedanken im "Aufbau Verlag Berlin und Weimar" als zitiertes Buch herausgebracht. Im Kampf gegen die (christliche) Religion kam ihr das gerade richtig. Aber genau die Werte die d´Holbach - im obigen Text - erwartete, konnte die DDR ihrem Volk nicht bieten und erfüllen und ist daran gestorben, wie d´Holbach und seine Geistesgenossen. So werden auch die sterben, die seine Gesinnung teilen, oder lebt nur die Idee ewig weiter und d a s ist das Ziel der Menschheit, in einem Traumgebilde?

Auch das Christentum hat in seinen angeblichen Nachfolgern versagt, ob das Christentum ohne seine versagenden Nachfolger auch immer versagen wird, weiß weder d´Holbach, noch seine Zitateschreiber und ich auch nicht.

Aber Totgesagte und Ideen leben oft viel länger, vielleicht sogar ewig und könnten den sterblichen "Zeitlichen" dann dereinst eine Moralpauke verpassen...

Geschrieben von LuckyX am 20. Mai 2002 11:48:42:

Als Antwort auf: Re: Holbach Teil III <2579.htm> geschrieben von Gerd am 19. Mai 2002 21:19:40:

Gerd : Aber Totgesagte und Ideen leben oft viel länger, vielleicht sogar ewig und könnten den sterblichen "Zeitlichen" dann dereinst eine Moralpauke verpassen...

*** Da ist er wieder, der drohende Zeigefinger der Ewiggestrigen, die von ihrem Lutscher einfach nicht ablassen wollen. :-)) Soll man denn von der Zeit überholte Irrtümer nur aus Angst weiterpflegen, aus Angst vor solchen trüben und irrationalen Drohungen, die dem Drohenden schon jetzt die Mühe einer Öffnung abnehmen und dafür auch noch Genugtuung zu verschaffen scheinen ?
Geschrieben von
Gerd  am 20. Mai 2002 15:05:07:

Als Antwort auf: Re: Holbach Teil III <2584.htm> geschrieben von LuckyX am 20. Mai 2002 11:48:42:

Warum guckst du so ängstlich Lucky und schlägst so grob auf deine ehemaligen Mitsklaven?

Merkest du nicht die 2malige Möglichkeitsform in meinem Text. Welche Beweise kannst du denn schon bieten, dass es so nicht kommt?

Zitat "...vielleicht sogar ewig und könnten den sterblichen "Zeitlichen"..."

Zitter weiter, ich lächle nur

Geschrieben von Drahbeck am 20. Mai 2002 06:27:54:

Als Antwort auf: Re: Holbach Teil III <2579.htm> geschrieben von Gerd am 19. Mai 2002 21:19:40:

Gerd meint:
"Aber genau die Werte die d´Holbach - im obigen Text - erwartete, konnte die DDR ihrem Volk nicht bieten und erfüllen und ist daran gestorben."

Sorry, ich sehe das etwas anders. Gestorben ist die "DDR" primär an ihrer wirtschaftlichen Uneffizienz". An ihrem Dogma das der Staat die wirtschaftlichen Belange voll "im Griff" haben müsse, was in der Praxis Gängelei und Bürokratismus und das ersticken jeglichen Innovatismus beinhaltete. Gestorben ist die "DDR" auch daran, dass sie analog ihrem Vorgängerstaat glaubte sich nur mittels Geheimpolizeipraktiken über Wasser halten zu können.

Vielleicht muss man da auch noch das Thema Religionspolitik der "DDR" mit ansprechen.
Die unterschied sich von der, wie sie die Sowjetunion praktizierte erst mal schon dadurch, dass sie relativ "liberaler" war. Aber auch für die Religionspolitik galt, dass der "DDR"-Staat alles "fest im Griff" haben wollte. Dieses Ziel aber nie erreichte, wie schon der Fall Zeugen Jehovas um 1950 verdeutlicht.

Aber als Detail ist festzuhalten.
Freidenker, der Art wie Holbach, bekamen nach 1945 in der DDR k e i n e Chance. Im Zuge ihrer "Vereinigungspolitik", die auch die SPD zwangsvereinigte, galt ähnliches für den Kirchensektor. Erklärte Prämisse nach 1945 war: K e i n Kirchenkampf. Letzteres war die Domäne der "Freidenker" beispielsweise in der Weimarer Republik.

Dieser löbliche Vorsatz hielt allerdings nicht lange an. Der kalte Krieg, das Trauma Zeugen Jehovas und anderes mehr, kippten diesen Vorsatz. Und so sind denn die 50-er Jahre in der "DDR" vom tatsächlichen Kirchenkampf gezeichnet. Im Bereich der Grosskirchen besonders auf dem Felde Konfirmation sichtbar. Erst in den 50-er Jahren hatte die DDR, als Konkurrenz zur Konfirmation usw. die Jugendweihe wieder eingeführt. Und nachdem letztere etabliert war, mit allen Mitteln, die einem Staat zur Verfügung stehen, auch weiter forciert. Das war klar gegen die Interessen der Kirchen gerichtet und wurde von denen auch so bewertet.

Geschichtlich gesehen muss man sagen. Die Kirchen haben diesen Machtkampf verloren. Noch heute klagen sie darüber, dass in ostdeutschen Gefilden, obwohl die staatliche Protektion der Jugendweihe nunmehr der Vergangenheit angehört. Noch heute klagen die Kirchen darüber, dass die Jugendweihe-Konkurrenz ihnen in ostdeutschen Gefilden schwer zu schaffen macht. Das, obwohl inzwischen erheblich andere Rahmenbedingungen als zu Ostzeiten bestehen, sie dennoch immer (noch?) nicht, die Ostdeutschen "verkirchlichen" können.

Der Jugendweihekonflikt hatte das "Nebenergebnis", dass das Verhältnis "DDR"-Staat - Kirchen, lange Jahre äußerst gespannt blieb. Der "DDR"-Staat damit seine Zielstellung "alles im Griff" haben zu wollen, eben n i c h t erreichte. Als dann Mitte der 60-er Jahre gar, nach sowjetischem Vorbild, an den Universitäten "Lehrstühle für wissenschaftlichen Atheismus" errichtet wurden, und die Kirchen gar noch fürchten mussten, dass ihre bis dahin fortbestehende Theologenausbildung an staatlichen Universitäten, in dieser Konsequenz, "gekippt" werden könnte, verschlechterte sich das ohnehin schlechte Klima, zwischen Staat und Kirche noch weiter.

Die Ära Ulbricht endete definitiv im Jahre 1972, nachdem Honecker sich zu jenem Zeitpunkt endgültig an die Macht geputscht hatte. Honecker, dieser Name steht zugleich mit für den Untergang der "DDR". Dennoch ist festzuhalten, dass er es war, der in der Kirchenpolitik neue Akzente setzte. Oder besser gesagt. Das er wieder die ursprünglichen Intentionen, wie sie kurz nach 1945 bestanden, wieder zur Geltung bringen wollte, und dass muss man ihm auch konstatieren: zur Geltung brachte.

Er vermied "spektakuläre" Schritte. Aber im Rückblick muss man ihm durchaus eine gewisse Konsequenz bei dieser Politik bescheinigen. Schon erstes sichtbares Signal. Die sang und klanglose Eliminierung der "Lehrstühle für wissenschaftlichen Atheismus". Der schon genannte Olaf Klohr, konnte zwar seine Meinung nicht mehr revidieren, und publizierte auch weiterhin im atheistischem Sinne. Aber er erfuhr zugleich die harte Hand des "DDR"-Staates. Publikationen in offiziellen DDR-Verlagen gab es für ihn und seinesgleichen nach 1972 nicht mehr.

Erst Mitte der 70-er Jahre begann Klohr, faktisch außerhalb der wahrnehmbaren Öffentlichkeit, in Wustrow wieder seine Publikationen. Hektographiert hergestellt, mit dem Vermerk versehen: "Nur für den Dienstgebrauch". Dieses Verschlußsachenwesen trieb denn solche Blüten, dass man aus Angst vor den Kirchen, diese Publikationen sogar teilweise der Deutschen Bücherei Leipzig, die als Sammelstelle einen gesetzlichen Anspruch darauf hatte, vorenthielt. Die DB-Leipzig hat denn diese Schriftenreihe bis heute nicht vollständig! Und auch so ein bezeichnendes Merkmal. Die Teile jener Schriftenreihe, die zu "DDR"-Zeiten sich dorthin "verirrten" (aber in kaum eine andere wissenschaftliche Bibliothek) wurden dort dem berüchtigten "Sachgebiet für spezielle Forschungsliteratur" zugeordnet. Im Klartext. Im trauten "Verein" mit der gleichfalls gesperrten faschistischen Literatur.

Wenn heutzutage gelegentlich die "DDR" als atheistischer Staat apostrophiert wird, so ergibt das genauere Hinsehen, durchaus ein anderes Bild!
Geschrieben von
Gerd  am 20. Mai 2002 08:44:30:

Als Antwort auf: Re: Holbach Teil III <2580.htm> geschrieben von Drahbeck am 20. Mai 2002 06:27:54:

Die Sprache im DDR-Buch von Gerald Götting "Als Christ in unserer sozialistischen Gemeinschaft" (Union Verlag Berlin), klingt nicht sehr verbindlich. Wahllos ein paar Sätze daraus:
S. 84; "Westdeutsche evangelische Kirchenleitung an der Seite der Spalter Deutschlands"...Die freie und unabhängige evangelische Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik kann mit der durch den Militärsorgevertrag der NATO verhafteten und verpflichteten evangelischen Kirche in Westdeutschland nicht in einem Atemzug genannt werden. Zwischen diesen Extremen gibt es keine institutionelle Einheit. Die imperialistischen Kreise haben eine über die Staatsgrenzen hinausreichende organisatorische Einheit des deutschen Protestantismus - unter Mithilfe leitender kirchlicher Männer in Westdeutschland - in ihre gegen die DDR gerichtete revanchistische Politik einbezogen und sie damit preisgegeben....

Das ist der mir vertraute Ton in der DDR gegen die Kirche (Religion). Am Grenzübergang Hirschberg wurde ich mit meiner Frau einmal von VOPOS gefilzt, weil sie in meiner Tasche eine Elberf.-Bibel mit vielem Beiwerk und Unterstreichungen darin fanden, das war exakt im März 1970. Allein die unmenschliche Grenze zeigte deutlich, welcher Geist diesen diktatorischen Staat beherrschte.
Mit ist eine elende Kirche im freien Westen lieber, als eine staatsbestimmte in der Diktatur!

Geschrieben von Drahbeck am 20. Mai 2002 09:31:24:

Als Antwort auf: Re: Holbach Teil III <2581.htm> geschrieben von Gerd am 20. Mai 2002 08:44:30:

Gerald Götting und seine „CDU". Ein Kapitel für sich. Theoretisch gab es in der „DDR" ein „Mehrparteiensystem". Unter anderem auch eine „CDU". Nach 1990 hatte denn auch die alte Bundesrepublikanische CDU nichts eiligeres zu tun, als wie diese „Blockflöten" sich einzuverleiben; auch und nicht zuletzt deren materielle Besitztümer. So befindet sich beispielsweise das Archiv der Ost-CDU nicht mehr an seinem alten Platz in Ostberlin. Das haben die Bonner schleunigst an sich gezogen. Und nicht unwichtig. So wie Herr Kohl alles in Bewegung gesetzt hat, dass die Öffentlichkeit keinen Einblick in seine Stasiakten gewinnen kann; so haben auch die Bonner, das Archiv der Ost-CDU strengen Restriktionen unterworfen, was Einsichtnahmen dort anbelangt. Jedenfalls sind diese Restriktionen erheblich schärfer, besonders für diejenigen, die eine nicht CDU-konforme Biographie haben, als für andere Bereiche der archivalischen Hinterlasssenschaft der früheren „DDR".

Die Blockflötenpartei, war nicht immer eine solche. Ihr Gründungsmitglied Jakob Kaiser beispielsweise, pflegte mit den Kommunisten „Tacheles" zu reden, was letzteren überhaupt nicht schmeckte. Und da es zu den kommunistischen Grundprinzipien gehört, nicht auf Argumente zu vertrauen, sondern nur auf die eigene Geheimpolizei; brachte man diesen Grundsatz auch schleunigst der CDU gegenüber zur Anwendung. Einer dieser Stasi-CDU-Koryphäen, namens Herbert Trebs (beispielsweise) arbeitete denn auch „folgerichtig" mit dem wohlbekannten Dieter Pape in dem Stasikircheninstitut „Wandlitz".

Trebs und Götting. Nebenbei bemerkt: Duzfreunde. Das sagt dann wohl einiges über diese Blockflötenpartei aus. Die sogenannte „Christliche Verantwortung" von Stasi Gnaden, war faktisch dem Einfluss der CDU entzogen. Letztere registrierten das durchaus missgelaunt. Um sich dennoch als „notwendig" für den DDR-Staat darzustellen; sahen die CDU-Koryphäen ihr Heil darin, die SED-Kirchenpolitik noch möglichst von links zu überholen. Und so waren diese angeblichen Christentumsinteressenvertreter, bei den allermeisten DDR-Kirchenfunktionären alles andere als „wohlgelitten".

Was das genannte Beispiel von Filzungen an der DDR-Grenze anbelangt. Da gibt es nur einen Kommentar dafür. Ausdruck des Totalitarismus. Und der „DDR"-Staat war insgesamt ein solcher. Totalitarismus. Ist das nun eine spezielle Eigenschaft des Atheismus? Meine Antwort: Nein. Es gibt auch klerikalen Totalitarismus, dort wo er sich zu entfalten vermag. Jüngstes Beispiel: Georgien. Die dortigen Zeugen Jehovas können ein Trauerlied darüber singen!
Geschrieben von
Gerd  am 20. Mai 2002 11:36:02:

Als Antwort auf: Re: Götting und Co <2582.htm> geschrieben von Drahbeck am 20. Mai 2002 09:31:24:

Die diktatorischen Auswüchse sind natürlich dort wie da. Das Urchristentum war an der Verbreitung der Lehre interessiert, aber die politische Diktatur mit heidnisch-religiösem Anstrich (Rom) war ihr größter Gegner, bis die Christen Kompromisse mit dem Cäsar eingingen. Dann sind sie selbst diktatorisch geworden (römische Großkirche). Aus einem Artikel dazu folgende Gedanken:

Atheismus und Fanatismus
Unter den Menschen hat sich ein Phantom eingenistet und konnte größtes Unheil anrichten: das Phantom der religiösen Absolutheitsansprüche. Wie noch klar werden wird, kam es nicht zufällig zu dieser Entwicklung.

Dogmatismus und Fanatismus sind die machtvollsten Mittel, um Religion von innen her zu untergraben. Daraus entsteht doppeltes Unheil: Einerseits wird die Heiligkeit der Religion an sich zerstört, das heißt, Gottes Offenbarung wird durch die Menschen verfälscht, und andererseits kann die Religion, ist sie einmal verfälscht, als despotisches Machtmittel eingesetzt werden - weil es plötzlich möglich ist, im Namen von "Gott" Feindbilder zu schaffen, blinde Leidenschaft zu schüren und jegliche Brutalität abzusegnen.

Das mag überspitzt klingen, aber übertrieben ist es nicht. Diskrimination, Inquisition, Kreuzzüge, "heilige" Kriege, Elitestreben, Absolutismus, Diktatur - wie die Geschichte zeigt und noch zeigen wird, kann im Namen von "Gott" viel Unglaubliches und Unvorstellbares inszeniert werden.

Die scheinbar entgegengesetzten Behauptungen "Alles ist relativ" und "Wir sind die einzigen" haben also eine auffällige Gemeinsamkeit: Beides sind Absolutheitsansprüche! Beides führt zur Verfälschung der Wahrheit und zur Verführung der Massen, wodurch sie gegen jede höhere Vernunft "immun", d.h. leicht manipulierbar werden. Ende Zitat

Aber wir kennen das Geschriebene ja alle sehr gut aus eigenen Erlebnissen. Jedenfalls meine erlebte Leibesvisitation bis hin zum Röntgen des Autos in einer Baracke an der DDR-Grenze (bei der AUSreise) wegen "verdächtiger" Bibel war schon eine Spezialität dieses Regimes.

Aber in moslemischen Ländern mit islamischer "Denke" ist es heute genauso, wenn nicht ärger - nur - psst! darüber darf man nicht laut sprechen, denn allein die Sekten sind gefährlich, aber niemals eine Großreligion. Denn mit diesen will man weiter Geschäfte machen und das Öl, das schwarze Gold, ist viel zu wichtig um sich Kritik zu erlauben.

Geschrieben von Prometeus am 17. Mai 2002 10:56:48:

Als Antwort auf: Re: Suche ehrlich Antworten <2565.htm> geschrieben von Drahbeck am 16. Mai 2002 20:35:13:

Was man dem Baron Holbach zugute halten kann, ist u.a. letztlich der temporäre Einfluß den seine Schriften auf die französischen Revolutionsgardisten hatte, welcher immerhin 1799 zur Verhaftung des alten Papstes Sylvester in Rom führte, was dann Russel später als Beginn der "letzten Tage" definierte. Daß schon 8 Jahre später Napoleon das Rad wieder zurückdrehte und dem römischen Klerus wieder zu Macht und Besitz verhalf (er übereignete ihr sogar die Markuskirche in Venedig, die vorher gleichberechtigt allen Venezianern, nämlich auch Armeniern, Gregorianern, Juden und Orthodoxen gehört hatte) zeigt, daß die Religionskritik Holbachs keine breite Basis im Volk hatte.

Erst Ludwig Feuerbach ("Wesen des Christentums") Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war es vergönnt, daß Religionskritik hoffähig wurde (allerdings nur bei den sogenannt "Intellektuellen"). Daß sein Werk u.a. auch von Engels zitiert und mißbraucht wurde, wie Drahbeck schreibt, ändert nichts daran, daß es noch heute ein Standartwerk ist, dessen Lektüre ich jedem empfehlen würde. Allerdings muß man Feuerbach zugutehalten, daß er vor 150 Jahren noch so manchem Irrtum erlag, z.B. indem er das Märchen vom "römischen Joch" zur Zeit Jesu übernahm und auch die alttestamentarischen Geschichten gelegentlich mit historischen Tatsachen verwechselte. Aber das trifft auch auf seinen Zeitgenossen Otto von Corvin zu ("Pfaffenspiegel"), dem das Verdienst zukommt auch dem gemeinen Volk Aufschluß über die historischen Machenschaften der römischen Kirche vermittelt zu haben. Peter de Rosa ("Gottes erste Diener") hat da wohl nur abgeschrieben.
Geschrieben von
Drahbeck am 17. Mai 2002 14:34:15:

Er gehört zu den wenigen Zeugen Jehovas, die trotz des WTG-Ukas, der etliche Webseitenbetreiber aus den Reihen der Zeugen Jehovas, wieder aus dem Netz vertrieb. Er gehört zu den wenigen der vorgenannten Gruppe, die schon seit etlichen Jahren, bis in die Gegenwart im Internet präsent sind. Die Rede ist von Karlo Vegelahn (aus Osterode/Harz).
Zwar gastierte er in der Regel auf den Webseiten anderer Zeugen Jehovas. Musste in der Folge dort auch "die Koffer packen", als sein Webhosting, aufgrund des WTG-Druckes aus dem Netz verschwand. Er gab aber nicht auf und war schon bald auf einer anderen Webseite; der sogenannten "Standhaft"-Webseite wieder präsent. Letztere Webseite gehört wohl auch nicht mehr zu denen, die durch laufende "Aktualisierungen" sich beachtlich machen würden. Eher ist auch dort das Gegenteil davon zu registrieren.
Dies betraf auch die dort mit eingestellten Bibliographien von Vegelahn. Längere Zeit, ja sogar jahrelang, nicht mehr aktualisiert.
Jetzt ist diesem Punkt betreffend in der Tat eine äußerst bemerkenswerte Veränderung eingetreten. Karlo Vegelahn hat sich jetzt "selbstständig gemacht und präsentiert seine Bibliographien nunmehr auf einer eigenen Webseite!
Die Gestaltung von Bibliographien kann durchaus unterschiedlich sein. Das sei jetzt keine Bewertung, sondern nur eine Feststellung. Worin ich die Unterschiede zum Bibliographieangebot von Karlo Vegelahn und meiner eigenen Zeugen Jehovas-Bibliographie sehe, habe ich in der Einleitung zu letzterer vermerkt, die seit kurzem auch auf meiner eigenen Webseite mit eingestellt ist.

Vegelahn www.archiv-vegelahn.de

Geschrieben von Heini am 23. Mai 2002 00:07:07:

Hallo Drahbeck,
in einer deiner Untersuchungen schreibst du, dass ...? nichts weiter über den Verbleib von Willi Töllner schreibt.
Nur zur Info:
Dieser ist nicht im KZ umgekommen, sondern erst Anfang der 80er Jahre gestorben.
Bis dahin war er einer der "prominenten" Überrestglieder und wurde auch dementsprechend "verherrlicht".

Geschrieben von Drahbeck am 23. Mai 2002 04:51:56:

Als Antwort auf: KZ <2592.htm> geschrieben von Heini am 23. Mai 2002 00:07:07:

Interessant der Hinweis. Sehe ich es richtig oder sehe ich es falsch. In der eigentlichen WTG-Literatur habe ich ihn namentlich noch nicht entdeckt. Zwar wird er im "Deutschlandbericht" des ZJ-Jahrbuches sinngemäß zitiert, aber doch wohl nicht namentlich. Seinen Namen konnte ich eígentlich nur aus dem Garbe-Buch entnehmen. (S. 430).

Geschrieben von Heini am 24. Mai 2002 19:52:56:

Als Antwort auf: Re: KZ <2594.htm> geschrieben von Drahbeck am 23. Mai 2002 04:51:56:

.....Sehe ich es richtig oder sehe ich es falsch....

Was meinst du damit?

Leider ist mein beitrag von gestern verschwunden, ich fasse ihn deshalb nur kurz nochmal zusammen.

Willi Töllner ist sogar heute, ca. 20 Jahre nach seinem Tod noch eine "Ikone", sogar ältere Leute nannten ihn "Onkel Willi" ich will damit sagen, dass er in den Augen der Meisten etwas ganz Besonderes war, eben ein Überrestglied und dann noch im KZ...

Einige wenige (wirklich, nicht ZJ-Jargon ;-) ) haben ihn aber durchschaut, dass er nicht wirklich so der liebe Onkel war, der er vorgab zu sein.

Andererseits denke ich, er war lange nicht so schlimm, wie die Ältesten, die man schon selbst mitgemacht hat oder von denen man liest, die buchstäblich über Leichen gehen, nein W.T war eher einer, der sicherlich noch mit "menschlicher unvollkommenheit "(vielleicht etwas zuviel, dafür dass er eigentlich "gesalbt" war) durchgeht.

Einen dieser wirklich "schlimmen" Ältesten hatte er noch zu seinen Lebzeiten zu ertragen, das ist ihm auch schwer abgegangen.

Natürlich kann ich nur von der zeit reden, die ich ihn kannte, ich weiß ja nicht, wie schlimm seine Vergehen im KZ waren. ich weiß nur, dass in einem Jahrbuch von buchenwald berichtet wurde und von einem bestimmten Bruder, der sich ja nicht korrekt verhalten hatte (ohne namen), da hat er sich auf der bühne ziemlich aufgeregt!

Trotzdem ist sicher nur einem verschwindend geringen Anteil der brüder aufgefallen, dass "Onkel Willi" sich über seine eigene "schlechte Presse" aufregte, denn er galt, wie gesagt, als DER liebe Onkel schlechthin! Mit Nimbus!
Keiner würde denken, dass ausgerechnet ER derjenige sein sollte!

Ich kann mich allerdings auch nicht mehr erinnern, was er eigentlich genau gemacht hat im KZ, was so schlimm war.

An anderer Stele las ich, dass die ZJ, die diese Erklärung unterschrieben hatten, ausgeschlossen wurden. In deinem bericht sagst du ja, dass er Brüder ausgeschlossen hat. Falls das wegen dieser Erklärung war, kann ich das allerdings nachvollziehen, denn so wird es ja heute auch gemacht, wenn jemand einen "Austritts-Brief" schreibt.

Weißt du Näheres, was damals tatsächlich passiert ist?

Geschrieben von Drahbeck am 25. Mai 2002 09:41:49:

Als Antwort auf: Re: KZ <2598.htm> geschrieben von Heini am 24. Mai 2002 19:52:56:

Lieber Heini,
Ich bedanke mich ich für Dein letztes schon etwas ausführlicheres Votum. Irritiert hat mich dabei allerdings Deine Aussage: "Leider ist mein beitrag von gestern verschwunden."
Das verstehe ich nun wieder nicht. Unter
Parsimony.2592 ist er doch zu lesen. Da hat sich doch zu keinem Zeitpunkt etwas verändert!

Was ist zu Willi Töllner sonst noch zu sagen? Zu sagen ist, dass die WTG in Ihrem 1974-er Jahrbuch (Deutschlandbericht) auf ihn zu sprechen kam. Allerdings in anonymer Form! Nirgends wird dort sein Name genannt. Im besagtem Jahrbuch konnte man bezüglich des KZ Buchenwald lesen, dass die dortigen Zeugen Jehovas von der aktuellen WT-Literatur in der Regel abgeschnitten waren. Neuzugänge wurden deshalb "ausgequetscht" was sie denn über aktuellere WTG-Aussagen zu berichten wüssten. In der Regel konnte dies nur mündlich realisiert werden, dergestalt, dass der Neuzugang erzählte, was ihm diesbezüglich so im Gedächtnis haften geblieben war. Die WTG kommentiert: "Manchmal wurden die Informationen genau vermittelt, manchmal aber auch nicht."

Und im gleichem WTG-Kommentar liest man auch den Satz: "Es gab auch Brüder, die versuchten, anhand der Bibel das Datum festzustellen, an dem sie befreit werden würden, und obwohl ihre Argumente schwach waren, griffen doch einige hoffnungsvoll nach diesem „Strohhalm"."
Im weiteren Verlauf dieses Berichtes kommt die WTG nun auf Töllner zu sprechen (der wie gesagt, nicht namentlich genannt wird). Über ihn schreibt sie:
"In dieser Zeit wurde ein Bruder, der ein außergewöhnlich gutes Gedächtnis hatte, nach Buchenwald gebracht. Zuerst war seine Fähigkeit, sich zu erinnern und anderen die Dinge mitzuteilen, die er gelernt hatte, eine Quelle der Ermunterung für die Brüder. Aber im Laufe der Zeit wurde er ein Idol, „das Wunder von Buchenwald", und seine Äußerungen, sogar seine persönliche Meinung, wurden als maßgebend betrachtet. Von Dezember 1937 bis 1940 hielt er jeden Abend einen Vortrag, insgesamt also etwa 1 000 Vorträge, und viele davon wurden in Kurzschrift mitgeschrieben, damit sie vervielfältigt werden konnten. Obwohl es viele ältere Brüder im Lager gab, die die Fähigkeit hatten, Vorträge zu halten, war dieser Bruder der einzige, der dies tat. Alle, die nicht völlig in Übereinstimmung mit ihm waren, wurden als „Feinde des Königreiches" und als „Achans Familie" bezeichnet und sollten von den „Treuen" gemieden werden. Fast vierhundert Brüder waren mehr oder weniger bereit, diese Vorkehrung anzuerkennen."

Die Schattenseite dieser durchaus als charismatisch zu nennenden Persönlichkeit beschreibt die WTG indirekt mit den Worten, dass Töllner diejenigen, die ihm nicht bedingungslos unterwürfig waren, kalt abblitzen ließ. Zitat WTG: "Auch sie waren ins Lager gebracht worden … . Zwar wandten einige von ihnen biblische Grundsätze nicht völlig an. Doch wenn sie mit den Verantwortlichen Verbindung aufnehmen wollten, damit auch sie aus der geistigen Speise Nutzen ziehen konnten, die in Buchenwald erhältlich war, betrachteten diese es als „unter ihrer Würde", solche Angelegenheiten zu besprechen."

Dann nennt die WTG noch einen "Kronzeugen" namentlich, der zu den von Töllner "geschassten" gehörte:
"Wilhelm Bathen aus Dinslaken … erzählt, wie es ihm persönlich erging: „Als ich wußte, daß ich auch ausgeschlossen war, war ich seelisch derart herunter und deprimiert, daß ich mich fragte, wie so etwas möglich sein könne. . . . Ich habe oft auf den Knien gelegen und zu Jehova gebetet, er möge mir ein Zeichen geben. Ich fragte mich, ob ich etwa selbst daran schuld sei und ob auch er mich ausgeschlossen habe. Da ich eine Bibel hatte, habe ich darin bei verdunkeltem Licht gelesen und fand großen Trost bei dem Gedanken, daß dies mir zur Prüfung widerfahren sei. Sonst wäre ich zugrunde gegangen, denn es war ein gewaltiger Schmerz, von der Gemeinschaft der Brüder ausgeschlossen zu sein."

Abschließend kommentiert die WTG, dass sie Töllner eine "übertriebene Ansicht über die eigene Wichtigkeit" attestiere und dass dies zu Spaltungen unter den Zeugen Jehovas in Buchenwald geführt habe.

Was die WTG im gleichem Atemzug nicht sagt ist; dass erst 1938 ihre berüchtigte "Theokratie" endgültig durchgesetzt wurde. Das es davor noch in den örtlichen Bibelforscher/Zeugen Jehovas-Versammlungen "Wahlälteste" gab. Gegen die hatte Rutherford zwar immer schärfer werdende Attacken gestartet. Aber wie gesagt. Erst 1938 war es endgültig so weit, dass auch der letzte "Wahlälteste" verschwunden und durch von der WTG bestimmte Funktionsträger ersetzt wurde.

Wie der Name "Wahlälteste" schon sagt, bestimmte die örtliche Versammlung, in eigener Kompetenz, wem sie mit diesem Amt betraute. Es ist schon verständlich, dass da eben die gewählt wurden, die von ihrer Persönlichkeit her, die besten Anlagen dazu hatten. Die Wahlältesten waren der WTG besonders deshalb ein Dorn im Auge, weil sie nicht selten, zu unabhängig von der WTG waren. Letztere wollte jedoch um jeden Preis ihre Diktatur durchsetzen. Und da störten in der Tat die "Wahlältesten".

Vielleicht kann man es so einschätzen, dass auch Töllner wesentlich noch von dem Wahlältestensystem geprägt wurde. Und dass er von seiner Veranlagung her, über einige überdurchschnittliche Fähigkeiten verfügte, scheint ja schon aus dem vorzitierten hervorzugehen.

In seiner Dissertation merkt nun Detlef Garbe an, dass zwischen den Sachsenhausener Zeugen Jehovas unter Erich Frost und denen von Buchenwald unter Willi Töllner, auch nach 1945 noch gewisse Spannungen sichtbar wurden. Die Buchenwalder Gruppe kennzeichnet er als die "Radikaleren", während er der Sachsenhausener Gruppe glaubt das Prädikat "Gemäßigter" zuerkennen zu können.

Zitat Garbe:
"Während die Buchenwalder Gruppe der Auffassung war, daß die "Gemäßigteren das unerschrockene, allein auf Jehova vertrauende Bekenntnis einer zu weit gehenden Kompromißbereitschaft opferten, waren jene der Ansicht, daß die Glaubensbrüder in Buchenwald eigensinnige Ausleger seien, die eine Priesterherrschaft über den 'Wachtturm' anstrebten, durch ihre Bewunderung Töllners einen "Kult" errichteten und "Heiligenverehrung" betrieben."

Von Frost weiss man, dass er in der WTG-Hierarchie nach 1945 sehr schnell aufstieg. Von Heinrich Ditschi, auch einer der führenden Funktionäre in der Nazizeit, der beispielsweise die zweite Protestaktion der Zeugen Jehovas in Deutschland während der Nazizeit ("Offener Brief an das Bibelgläubige und Christus liebende Volk Deutschlands") maßgeblich verantwortete. Von besagtem Ditschi weiß man, dass er nach 1945 zumindest zeitweise Kreisdiener der WTG war, bevor auch er "geschasst" wurde; weil er der WTG-Spitze zu unabhängig war. Von beiden Genannten weiß man, dass sie mit höheren WTG-Posten betraut wurden. Nichts ähnliches ist im Falle Töllner bekannt.

Wenn Heini beispielsweise schreibt:
"Andererseits denke ich, er war lange nicht so schlimm, wie die Ältesten, die man schon selbst mitgemacht hat oder von denen man liest, die buchstäblich über Leichen gehen, nein W.T war eher einer, der sicherlich noch mit "menschlicher unvollkommenheit "(vielleicht etwas zuviel, dafür dass er eigentlich "gesalbt" war) durchgeht.
Einen dieser wirklich "schlimmen" Ältesten hatte er noch zu seinen Lebzeiten zu ertragen, das ist ihm auch schwer abgegangen."

Weiter betont Heini, dass Töllner in seiner örtlichen Versammlung doch relativ gut gelitten war. Zwar nicht für die WTG-Apparatschiks, die das auch dadurch dokumentieren, dass sie ihn im WTG-Deutschlandbericht nicht einmal namentlich nennen. Aber gut gelitten war er offenbar durchaus bei einer Reihe der einfachen Zeugen Jehovas in seiner örtlichen Versammlung. Beleg dafür ist meines Erachtens durchaus auch die Aussage in obigem Posting:

"Willi Töllner ist sogar heute, ca. 20 Jahre nach seinem Tod noch eine "Ikone", sogar ältere Leute nannten ihn "Onkel Willi"… ich weiß nur, dass in einem Jahrbuch von buchenwald berichtet wurde und von einem bestimmten Bruder, der sich ja nicht korrekt verhalten hatte (ohne namen), da hat er sich auf der bühne ziemlich aufgeregt!
Trotzdem ist sicher nur einem verschwindend geringen Anteil der brüder aufgefallen, dass "Onkel Willi" sich über seine eigene "schlechte Presse" aufregte, denn er galt, wie gesagt, als DER liebe Onkel schlechthin! Mit Nimbus!
Keiner würde denken, dass ausgerechnet ER derjenige sein sollte!"

Zum Fall Töllner, in seiner Buchenwalder Zeit berichtet Garbe noch:
"Zu heftigen Auseinandersetzungen unter den Bibelforscher-Häftlingen - bei denen Einvernehmen herrschte, daß die Gebote der Bibel einem Christen die Herstellung von Waffen und Munition verbieten - führte jedoch die Frage, wo die Grenzziehung bei der Ablehnung von "Kriegsdiensten" jeweils genau zu verlaufen habe. Für die "Gemäßigten" galt nur die direkte Mitwirkung an der Herstellung von zur Tötung bestimmten Kriegsgerät als Arbeit für den Krieg, während für die "Radikaleren" auch andere Tätigkeiten eine Unterstützung für die Kriegsführung darstellten, die - so ihre Ansicht - deshalb ebenso aus Glaubensgründen zu verweigern seien. Beispielsweise kam es zu einem solchen Konflikt, als in einer Werkstatt im KZ Buchenwald die Produktion von Skiern aufgenommen wurde, weil man erfahren hatte, daß die Bretter für die im russischen Winter steckengebliebenen Wehrmachtseinheiten bestimmt waren. Willi Töllner, der Wortführer der Bibelforschergemeinde in Buchenwald, verkündete, daß die in der Werkstatt eingesetzten Zeugen Jehovas auch diese Arbeit verweigern müßten, da es sich bei den zur Ausrüstung der Truppe dienenden Skibrettern um Kriegsgerät handele.

Die Mehrheit der Zeugen Jehovas folgte willig diesem Beschluß, doch eine kleinere Gruppe schloß sich der Beurteilung Töllners nicht an. Diese Gruppe argumentierte, daß man mit Skibrettern niemanden töten könne und es deshalb etwas anderes sei, an deren Herstellung mitzuwirken, als Granaten zu produzieren. Diese Arbeit zu verweigern, beschwöre unnötigerweise eine Strafaktion durch die SS herauf, die es gerade auch im Sinne der kranken und geschwächten Glaubensgeschwister zu verhindern gelte. Außerdem müsse es erlaubt sein, dem eigenen persönlichen Gewissen zu folgen und nicht dem Gewissen eines anderen. Als die in der Werkstatt für die Ski-Produktion eingesetzten Zeugen Jehovas, die sich zu der Minderheitsauffassung bekannten, dort die Arbeit nicht einstellten, wurden sie wegen ihres als "unbiblisch" gewerteten Verhaltens kurzerhand aus der Buchenwalder Bibelforschergemeinschaft ausgeschlossen."

Zeitgenössisch (das heißt aus dem Jahre 1946) liegt noch ein weiterer Bericht vor, der Töllner ein respektables Zeugnis ausstellt (Man kann dazu auch vergleichen "Geschichte der ZJ" S. 629, 630). In diesem Bericht konnte man lesen:
"An einem Osterfeiertag erging der Befehl an die Bibelforscher, sich geschlossen auf dem Appellplatz einzufinden. Als ich über den Platz ging, sah ich, wie ein Oberscharführer diese Gruppe in zwei Teile stellte: Ein Teil bestand nur aus jüngeren Leuten im wehrfähigem Alter, der andere aus älteren Jahrgängen. … Es entstand nun eine sehr interessante Debatte zwischen dem SS-Mann und dem Sprecher der Bibelforscher. Der Sprecher der Bibelforscher, ein glänzender Redner, entwickelte ein … Programm, als wäre er in Freiheit. … 'Soldat sein heißt töten!' waren seine ersten Worte. 'Du sollst nicht töten! Krieg ist ein Verbrechen am Volke, besonders wenn ein einzelner Mensch sich als Gottesvertreter aufspielt, wenn er ohne das Volk zu fragen, Gesetze macht und auf seine alleinige Macht gestützt, anderen Völkern Kriege erklären kann.'
Der SS-Mann machte Einwendungen. … Der Sprecher war sich seiner Sache sicher, so dass der SS-Mann ihn als Schwätzer lächerlich machen wollte und einen anderen Sprecher aus ihrer Mitte wünschte, der nur kurz auf seine Fragen zu antworten hätte. Niemand von den anderen hunderten Bibelforschern meldete sich zum Worte. Der Sprecher blieb derselbe.
Ich traute meinen Ohren nicht, als er die versprochene Heimkehr zu Frau und Kindern von dieser Stelle nochmals zurückwies und sagte: 'Warum wollt ihr nicht alle zehntausend Häftlinge entlassen, die genau so unschuldig hier sind wir Bibelforscher?' Seine letzten Worte, trotz Protest des SS-Mannes, lauteten:
'Wir bleiben hier; denn es kommt die Stunde, wo das Unwetter hereinbrechen wird um die ganze Menschheit zu bestrafen. Wir wollen mit Geduld abwarten, bis uns Jehova ein Zeichen gibt. Dann erst werden wir dieses Lager verlassen. Der ganze Erfolg der zweistündigen Debatte war, dass nur zwei Bibelforscher unterschrieben. Sie waren sterbenskrank, die Tuberkulose fraß sie auf. Sie gingen nur heim zu Frau und Kind um zu sterben. …"

Auch dieser Bericht ist in der WTG-Literatur nicht zitiert. Würde sie ihn zitieren, ergäbe sich folgerichtig die Frage nach dem darin genannten Zeugen Jehovas-Sprecher in Buchenwald. Dies beinhaltet dann auch, dass man die Zusatzfrage stellen kann, ob die bisherigen WTG-"Würdigungen" überhaupt Töllner "gerecht" geworden sind. Diese Frage ist zu verneinen. Den WTG-Appratschiks geht es nur um den "Glanz" ihrer Organisation. Der Einzelne, der einen maßgeblichen Anteil daran hat, ist für sie im Zweifelsfalle "der letzte Dreck"!

Geschrieben von Heini am 25. Mai 2002 12:36:47:

Als Antwort auf: Re: Willi Töllner <2600.htm> geschrieben von Drahbeck am 25. Mai 2002 09:41:49:

Vielen Dank, das ist wirklich sehr aufschlussreich für mich!In seiner Meinerzhagener Versammlung war W.T. Hilfsversammlungsdiener, (als es die noch gab)später natürlich Ältester. Über Jahre hinweg war er WT-Leiter und Beerdigungs- und Hochzeitsansprachen waren auch sein Ressort.
Besonders extrem war er auch nicht mehr, was die "Theokratie" betraf, so konnte zu seinen Lebzeiten die Kapelle bei Beerdigungen genutzt werden, was später bei dem o.g. Ältesten nicht mehr seitens der Kirche erlaubt wurde, weil dieser irgendeinen Passus nicht unterschreiben wollte, was W.T. aber offensichtlich nicht gegen sein Gewissen ging. Ebenso schien er es mit dem "Geburtstag-NICHT-Feiern" nicht soo streng zu sehen.

Was ich auch erlebt habe, dass keiner an seinem Ego kratzen durfte! Er war schon tatsächlich "das Gesetz"! Bis ihm ein anderer eben seinen "Posten" streitig machte! Und unter DEM hatte die Versammlung Meinerzhagen dann wirklich eine Schreckensherrschaft! Nur war dieser Älteste eben jemand, der enge Kontakte zu Brooklyn pflegte und so durften auch wir aus den Nachbarversammlungen mal "das Licht" aus Brooklyn leuchten sehen, wenn LK-Mitglieder Meinerzhagen "die Gunst erwiesen".

Nur aus dieser Sicht fand ich W.T. vergleichsweise harmlos! Wie er aber mit den Brüdern in Buchenwald umgegangen ist, ist sicherlich NICHT als harmlos zu bezeichnen.

Vielen Dank noch einmal für diese Informationen!

Geschrieben von Mumpitz am 25. Mai 2002 14:55:21:

Als Antwort auf: Re: Willi Töllner <2601.htm> geschrieben von Heini am 25. Mai 2002 12:36:47:

Ich finde das interessant. So gab es überall die regionalen und lokalen Helden. Die meisten sind schon lange gestorben, andere leben noch immer wie der derzeitige Stadtaufseher von München, A. Epstein, als Jude im KZ, dort angeblich zur "Wahrheit" gekommen und als ZJ befreit. Uns waren sie Vorbilder, darunter auch der Pötzi, einstmals Kreisaufseher im Süden, auch der Helmut Knöller, jung und noch gar nicht getauft im KZ, dann Kreisaufseher, dann Familienvater und Vers.diener sowie Stadtaufseher in München. Der Kölbel, der große Begräbnisredner, dessen tragende Baßstimme weit über den Friedhof hallte, bis er selbst hinabsank ins Grab. Und der berühmte Chiropraktiker Stettin, zu dessen Vorträgen man nach dem Krieg an die 50, 60 oder mehr km radelte und der mit seiner Schwester Decker im Münchner Westen zusammenlebte, die ihren todkranken Mann Decker (alle drei im KZ gewesen) bis in den Tod so aufopfernd pflegte und nach dessen Ableben bei ihrem Bruder Stettin blieb - nur hatte sich da nach des letzeren Tod herausgestellt, daß die beiden nie Bruder und Schwester gewesen waren. Sie wurde dann wohl ausgeschlossen, ihm konnte man nichts mehr anhaben ...

Das alles sollte doch irgendwo der Nachwelt aufbehalten bleiben.

Geschrieben von Drahbeck am 25. Mai 2002 15:34:55:

Als Antwort auf: Und die anderen ... <2602.htm> geschrieben von Mumpitz am 25. Mai 2002 14:55:21:

Bezüglich des mitgenannten Helmut Knöller, erinnert mich das daran, dass die CV (Nr. 23) ihn einmal zitierte. Es drehte sich dabei in der Sache um den Kennedy-Mord und in einigen Tageszeitungen sollen da wohl Meldungen erschienen sein, die irgendwie auch die Zeugen Jehovas dazu in Beziehung setzten. Jedenfalls hat wohl Knöller das in einem Leserbrief entschieden bestritten. Was an der ganzen Sache, Wahrheit, Halbwahrheit oder Lüge ist, ist mir bis heute allerdings noch nicht so recht einleuchtend.

CV23

Geschrieben von Mumpitz am 25. Mai 2002 16:05:27:

Als Antwort auf: Re: Und die anderen ... <2603.htm> geschrieben von Drahbeck am 25. Mai 2002 15:34:55:

Damals war in der Presse ein Foto zu sehen, nach denen Vater Sirhan den Namen Jehova auf seine Lehmbude gepinselt hatte. Das ist aber kein Beweis, daß es sich um ZJ handelt. Ich gehe heute davon aus, daß Sirhan niemals ein ZJ war.

Interessant aber, wieso ausgerechnet ein H. Knöller dazu kommt, einen solchen fast offiziellen Leserbrief zu schreiben. Seine Kontakte zu Ko-Ex-KZ-Insassen wie Franke waren ja gfut bekannt und auch nachvollziehbar.
Geschrieben von
Drahbeck am 23. Mai 2002 16:34:23:

Er war eine "schillernde Persönlichkeit". Geredet werden soll einmal von Eugen Gerstenmaier (1906-1986) in der alten Bundesrepublik zuletzt, bis zu seinem nicht ganz freiwilligen Rücktritt am 31. 1. 1969, Bundestagspräsident. Eigentlich ist er kein Thema für dieses Forum. Und der Anlass über ihn zu sprechen ist auch relativ dürftig. Nur ein unbedeutender Nebensatz, indem er seinerseits einen Zeugen Jehovas positiv würdigt.

Gerstenmaier stand in der alten BRD für eine bestimmte Politik. Der Verlag der seine Autobiographie veröffentlichte, macht dies auch auf dem Schutzumschlag deutlich durch ein Foto, dass Gerstenmaier zusammen mit dem Bundeskanzler Konrad Adenauer abbildet. Im Verlauf der Autobiographie charakterisiert sich Gerstenmaier selbst als einer, der es aus Prinzip ablehnte, mit den ostdeutschen Machthabern in irgendwelche Verhandlungen einzutreten. Bestenfalls wäre er bereit gewesen mit Moskau zu sprechen, aber niemals mit Ostberlin.

Wie man weiß konnte sich diese "glasharte" Linie, die lange Jahre in der BRD dominierend war, doch nicht auf Dauer durchhalten lassen. Angesichts dessen kann man es schon verstehen, das Ostberlin an der Demontage von Gerstenmaier interessiert war, was letztendlich auch gelang. Der Ansatzhebel, jedenfalls der wirksamere dabei war, dass Gerstenmaier sich vom Staat alte BRD auch für seine Rolle als "Widerstandskämpfer" im Naziregime finanziell entschädigen lassen wollte. Das ruchbar werden, des damit zusammenhängenden, brach im letztendlich "das Genick".

Zur Erinnerung. Zeugen Jehovas, die im Naziregime als Wehrdienstverweigerer hingerichtet wurden, respektive deren Erben, haben von der BRD keinerlei finanziellen "Ausgleich" zuerkannt bekommen. Gerstenmaier sah seine Rolle etwas anders. Am Tag des Hitlerputsches am 20. 7. 44, hielt er sich in der Berliner Verschwörerzentrale "Bendlerblock" mit auf und wurde dort auch festgenommen. Während die anderen dortigen Akteure mit ihrem Leben bezahlen mussten, wurde Gerstenmaier "lediglich" zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Ein durchaus ungewöhnlicher Vorgang.

An diesem Punkt setzte Ostberlin, aus seiner vorgenannten Interessenlage an und ließ über die Kirchenabteilung der Stasi eine "Dokumentation" "Vom SD-Agenten P38/546 zum Bundestagspräsidenten" veröffentlichen. Die Stasi unterstellt nun, dass dieses "relativ milde" Urteil ursächlich in einer Doppelagentenfunktion Gerstenmaiers begründet sei, neben Kontakten zu den Verschwörern auch solche zu den Naziverfolgungsbehörden. Gerstenmaier seinerseits bestreitet dies. Ostberlin fuhr weiteres "scharfes Geschütz" auf. Man analysierte seine Biographie und stellte dabei auch fest, er war in der Nazizeit Mitarbeiter des "Kirchlichen Außenamtes". Letzteres wurde, insbesondere in Devisenfragen staatlicherseits subventioniert. Auch Gerstenmaier kann dies nicht bestreiten. Weiter analysierte man die Berichte, die Gerstenmaier für diese und andere Institutionen schrieb, und beschrieb auch die als "braungetönt". Gerstenmaier wendet sich zwar gegen diese Interpretation mit allen Mitteln. In der Sache kann jedoch auch er nicht bestreiten, dass man solches Schrifttum, heute gelesen, als "braungetönt" charakterisieren kann.

Damit soll der Überblick über Gerstenmaier beendet sein.

Nach dem 20. Juli 1944 war auch Gerstenmaier kein "freier Mann" mehr. Und nun sei dazu noch ein Abschnitt aus seiner Autobiographie zitiert:

"Ich sah mich in der Zelle um. Sie war geräumig und hell. Eine alte Schlafstelle, verrostetes Eisen, ein alter Klapptisch, der Kübel in der Ecke und von oben bis unten in mehreren Sprachen bekritzelte Wände - es hätte schlimmer sein können. Als ich mir den riesigen Holzboden ansah, ahnte ich, daß dieses Lokal eine üble Wanzenbude sein werde. Ein alter, müder und milder Wachtmeister sah nach mir. Ich fragte ihn nach Wanzen. Er schüttelte langsam und kummervoll den Kopf. Bald darauf meldete sich ein Kalfaktor mit einem Kübel Wasser. Er hieß mich nicht nach Kalfaktorenart den Boden putzen. Er tat es selbst. Offensichtlich hatte sich in seinem Kollegenkreis bereits herumgesprochen, daß jetzt nicht Feldpostmarder und Fahrraddiebe in das alte Loch - es wurde unter Johann Hinrich Wichern gebaut - eingezogen waren, sondern hochfeine Todeskandidaten. Ihnen gegenüber waren die herkömmlichen Zuchthausmanieren nicht am Platz. Vielleicht hatten sich die Kalfaktoren an die besseren Manieren aber auch schon in dem Militärgefängnis gewohnt, als das die Lehrterstraße zeitweilig diente. Es mag auch sein, daß der Einfluss eines wahren Juwels unter den Kalfaktoren, Theo Baensch, eines Ernsten Bibelforschers, so groß war, daß er sich geltend machte."

Nähere Einzelheiten, über den von ihm so positiv Genannten, teilt Gerstenmaier nicht mit. Da bietet es sich an, einen anderen Zeitzeugenbericht, über das gleiche Gefängnis Lehrterstraße mit heranzuziehen, der schon etwas ausführlicher und teilweise auch wertend ist. Vor jener Zitierung, noch eine Zwischenbemerkung. Friedrich Zipfel hat in seinem "Kirchkampf in Deutschland" auch einige Gerichtsurteile dokumentiert, die auf einige erst 1944 erfolgte Verhaftungen von Zeugen Jehovas Bezug nehmen. Einige dieser Fälle hat er weiter analysiert und dabei registriert, dass in einigen Fällen, die verhängten Todesurteile nicht vollstreckt wurden. Mit in diesem Zusammenhang nennt er auch den bekannten Fall Horst-Günther Schmidt. Beachtlich nun der Kommentar, den Zipfel diesem Umstand angedeihen lässt. Er schätzt ein, dass die Urteilsvollstreckung seitens der Gestapo aus dem Grunde hinausgezögert wurde, weil sie gedachte, die derart noch "Erhaltenen" für weitere beabsichtigte Verhaftungen, als Zeugen zu benutzen. Wenn sie erst mal wie beabsichtigt, einen "Kopf kürzer" gemacht wurden, wäre diese Option auch entfallen. Vielleicht sollte man diesem Aspekt durchaus nicht unbeachtet lassen!

Nun zu dem, was Hans Lilje in seinem Buch "Im finstern Tal" zu einem ähnlichen Sachverhalt auch schrieb:
"Wegen ihrer absoluten Wahrheitsliebe benutzte die Gestapo sie (die Ernsten Bibelforscher") sehr gern in den verschiedenen Gefängnissen als 'Kalfaktoren'; denn in ihrer Wahrheitsliebe gingen sie stets so weit, daß sie auch die Grenzen der Kameradschaftlichkeit nicht gelten ließen. So war es für die Gestapo leicht, mit ihrer Hilfe die andern Gefangenen zu beaufsichtigen ... Nun dienten sie auch bei uns und trugen unleugbar ein Element der Menschlichkeit in das dunkle Haus. Nicht alle von ihnen sind dem landeskirchlichen Pfarrer freundlich begegnet, aber meist waren sie gütig und umgänglich. Noch in ihrer schwärmerischen Einseitigkeit waren sie menschlicher als viele der SS-Jünglinge, die brutal und in jeder Hinsicht formlos waren ..."
Geschrieben von
Drahbeck am 24. Mai 2002 18:50:05:

Der Bremer Rechtsanwalt Heinrich Hannover, hat in Buchform seine Erinnerungen über einige von ihm im Zeitraum 1954-1974 anwaltlich betreute Gerichtsverfahren vorgelegt. Hannover, einer gutbürgerlichen Familie entstammend, begann seine Verteidigerlaufbahn damit, dass er als Neuanfänger eine gerichtliche Pflichtverteidigung zugesprochen bekam. Das heißt eine, deren Honorar aus der Staatskasse bezahlt wird. Dabei handelt es sich gleich zum Beginn seiner Laufbahn schon um einen politisch akzentuierten Prozess. Er hatte in der Hochphase des kalten Krieges, im konkreten einen Kommunisten zu verteidigen.

Wie das manchmal so ist. Gewisse Weichenstellungen ziehen Weiterungen nach sich. Und so ist Hannover auch in den folgenden Jahren eine der "ersten Adressen", wenn es um Kommunistenprozesse in der alten Bundesrepublik zu Adenauers Zeiten, ging. Bemerkenswert fand ich es schon, dass in einem dieser Prozesse ihm selbst der Ostberliner Staranwalt Friedrich Karl Kaul, zuarbeitete. Dieweil diesergestalt wohl die Ostseite glaubte ihre Interessen in der feindlichen Bundesrepublik am besten wahrnehmen zu können.

Anfang der 1960-er Jahre bekam er dann eine neue Klientel. Die Zeugen Jehovas. Selbige landeten vor Gericht, weil sie nebst dem Wehrdienst auch den Ersatzdienst verweigerten.
Schon zeitgenössisch hatte sich Hannover publizistisch zu den Zeugen Jehovas-Prozessen zu Wort gemeldet. So etwa in Heft 2/1964 der Zeitschrift "Goldtammer's Archiv für Strafrecht". Seinen dortigen Aufsatz lies er mit dem Ausruf ausklingen, dass die Annahme, die Zeugen Jehovas könnten mit Gefängnisstrafen gebrochen werden, illusionär sei.

Hannover musste auch die Erfahrung machen, dass in erster Gerichtsinstanz in der Regel keine für die Zeugen Jehovas günstige Gerichtsurteile erstritten werden konnten. Im Verfolg dieser Erkenntnis gelang es ihm, einen seiner Mandanten dahingehend zu motivieren, in weiteren Berufungsverfahren die Sache voranzutreiben. Einen solcher von ihm betreuter Fall war der des Fliesenleger Ewald G. Den trieb Hannover soweit, dass er schließendlich eine Verfassungs-Beschwerde-Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht erreichte. Was Hannover dabei nicht sagt, aber trotzdem durchaus der Anmerkung wert ist, besteht darin, dass die nicht geringen Kosten für die diversen Gerichtstermine, in diesem (und auch in ähnlichen Fällen) prinzipiell der Mandant zu tragen hat. Der Fliesenleger Ewald G. musste die für ihn bittere Erkenntnis ziehen, diesen gesamten Rechtsstreit bezahlen zu dürfen, nebst absitzen der verpassten Gerichtsstrafe. Denn auch die Verfassungsbeschwerde ging für ihn negativ aus.

Einige Zitate aus dem Rückblick von Heinrich Hannover:
"Je katholischer die Gegend, in der die Gerichte amtierten, um so intoleranter gingen sie mit der abweichenden Glaubenshaltung der Zeugen Jehovas um. Kamen die jungen Ersatzdienstverweigerer in nicht-katholischen Landstrichen mit Strafen davon, die vier oder fünf Monate Gefängnis (beim ersten Mal) nur selten überstiegen, so mußten sie in Bayern regelmäßig mit einem Jahr Gefängnis und mehr rechnen. Auch das Prozeßklima unterschied sich deutlich. Während man im Evangelischen doch mitunter das schlechte Gewissen der Richter zu spüren glaubte, die hier über Glaubensdinge zu Gericht saßen, hatte man im Katholischen eher das Gefühl, daß die Gelegenheit, Leute mit falschem Gesangbuch einzusperren, ganz gern genutzt wurde.

Aber nicht nur die religiöse Einstellung, auch das politische Bewußtsein der Richter schlug oft spürbar durch, wenn sie gefordert waren, einer gefährlichen Minderheit - und welche Minderheit wird von Konservativen nicht für gefährlich gehalten? - Toleranz zu erweisen. Solchen Richtern fehlte jede selbstkritische Distanz, wenn sie ohne mit der Wimper zu zucken ihrem Strafterror Beugehaftcharakter zumaßen und dessen Wiederholung ohne Ende ankündigten. So zum Beispiel in einem Urteil des Landgerichts Braunschweig, nachdem die guten Zwecke des Ersatzdienstes aus der Sicht der Richter dargelegt waren:

'Eine Grundanschauung, die solche Zwecke mißbilligt, muß als staatsgefährlich, asozial und unchristlich bezeichnet werden. Man gewinnt den Eindruck, daß Anschauungen dieser Art unbemerkt von den Anhängern der betreffenden Sekte absichtlich gesteuert werden, um Schwierigkeiten hervorzurufen. Da es sich diesmal um eine erstmalige Bestrafung handelt, kann man der Strafe im wesentlichen noch Beugecharakter beimessen. Es wird also festzustellen sein, ob der Angeklagte durch die Verbüßung vielleicht Vernunft annimmt. Wenn das nicht der Fall sein sollte, so scheint für jeden künftigen Fall der Dienstverweigerung eine Gefängnisstrafe erforderlich, die an Dauer mindestens der Zeit der Dienstverpflichtung gleichkommt. (LG Braunschweig, 8. 10. 1962).

Der Fliesenleger Ewald G. war nur einer von vielen Zeugen Jehovas, die ich wegen Verweigerung des zivilen Ersatzdienstes zu verteidigen hatte. Der beim Kreiswehrersatzamt in Stuttgart gebildete Prüfungsausschuß hatte ihn wegen seiner religiösen Überzeugung am 27. 3. 1957 als Kriegsdienstverweigerer anerkannt. Daß er aber darüberhinaus, wie alle Mitglieder seiner Glaubensgemeinschaft, auch den zivilen Ersatzdienst für unvereinbar mit Gottes Geboten erklärte, brachte ihn in Konflikt mit dem Strafgesetz.

Ewald G., Jahrgang 1937, war, ebenso wie seine Mutter und seine ältere Schwester, 1954 aus der evangelischen Kirche ausgetreten und zu den Zeugen Jehovas gegangen. Der Vater hatte diesen Schritt schon vier Jahre früher vollzogen, zwei jüngere Geschwister folgten noch nach, so daß inzwischen die ganze Familie sich zu dieser Religionsgemeinschaft bekannte.

Als ich das Verteidigermandat übernahm, war Ewald G. schon vom Amtsgericht Leonberg "wegen Vergehens der Dienstflucht i. S. des § 37 des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst" zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten, ohne Bewährung, verurteilt. Seine strafbare Handlung wurde darin gesehen, daß er seiner Einberufung zum Dienst bei einem staatlichen Erziehungsheim nicht nachgekommen war. Der Amtsrichter hatte einige Mühe gehabt, den Sinn einer Strafe zu begründen, da er die 'unerschütterliche Festigkeit' der, wenn auch 'irrigen', Glaubenshaltung des Angeklagten erkannt hatte. Und so schrieb er ins Urteil, es gehe allein darum, 'daß die hartnäckige Weigerung, sich dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst zu beugen, geahndet werden muß'.
… In dem Verfahren gegen Ewald G. konnte ich leider noch nicht aus der vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen im April 1964 herausgegebenen 'Partei-Justiz' betitelten Schrift zitieren - in späteren Verfahren habe ich es getan -, die sich als 'vergleichende Dokumentation über den nationalsozialistischen und kommunistischen Rechtsmißbrauch in Deutschland' vorstellte und ein Kapitel über die Verfolgung der Zeugen Jehovas im Hitler-Reich und in der DDR enthielt. Da wurde, so als ob es in der BRD Vergleichbares nicht gäbe, der Empörung über die Bestrafung von Zeugen Jehovas durch die DDR-Justiz Ausdruck gegeben, die ihre Freiheit einbüßten; 'einfach weil beiden totalitären Systemen ihre religiöse Überzeugung staatsfeindlich erschien.'

Für den Richter und die Schöffen der Stuttgarter Strafkammer war der Vergleich mit Ulbrichts 'Unrechtsstaat' wohl auch zu 'starker Toback' gewesen. Sie hatten meinen Ausführungen über die Behandlung der Ernsten Bibelforscher in Hitlers Unrechtsstaat mit steinernen Gesichtern zugehört. Ihre rechtsstaatliche Selbstgewißheit blieb unberührt von jedem Zweifel, als sie die vom Amtsrichter verhängte zweimonatige Gefängnisstrafe für Ewald G. bestätigten.

Der Angeklagte lebe in der 'irrigen Meinung' er könne die Ableistung des zivilen Ersatzdienstes mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, hieß es in der Urteilsbegründung. Die Frage, ob durch eine Maßnahme die Freiheit des Gewissens verletzt werde, könne nicht nach subjektiven, sondern nur nach objektiven Maßstäben beurteilt werden. Anders als der Amtsrichter hatten Richter und Schöffen der Strafkammer auch keine Schwierigkeiten mit dem Strafzweck. Es gehe um eine 'generalpräventive', also um eine abschreckende Wirkung der Strafe. Auch ist die Rede von der 'Gefährlichkeit des Verhaltens des Angeklagten für die Allgemeinheit.'

Der im Gerichtssaal anwesende Vater meines Mandanten weinte bei der Urteilsverkündigung. Ich versuchte zu trösten, es gebe ja noch die Revisionsinstanz. Und ich legte gegen das Urteil das Rechtsmittel der Revision ein, über die das Oberlandesgericht zu entscheiden hatte. …
Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart gab mir nur insoweit recht, als ich mich gegen den Anspruch des Landgerichts gewandt hatte, die Gewissensentscheidung des Angeklagten nach 'objektiven Maßstäben' als irrig beurteilen zu können. Aber das Revisionsgericht widersprach meiner Auffassung, daß die Glaubens- und Gewissensfreiheit den Vorrang vor der staatlich verordneten Ersatzdienstpflicht habe. Der Staat trete in seinen Anforderungen dem einzelnen nicht mehr wie im Zeitalter des fürstlichen Absolutismus als fremder 'Staatsapparat' entgegen, sondern sei mit der Gemeinschaft identisch, deren Glied der einzelne sei. Ohne Unterordnung unter die Anforderungen dieser Gemeinschaft sei für den einzelnen ein Leben innerhalb der modernen Zivilisationsgesellschaft nicht denkbar. - Große Worte dunklen Inhalts, die mich mit dem unguten Gefühl erfüllten, Ähnliches schon mal irgendwo gelesen zu haben, als noch das Hohelied der Volksgemeinschaft gesungen wurde.

Ich rief für den Fliesenleger Ewald G. das Bundesverfassungsgericht mit der Verfassungsbeschwerde an, dessen 1. Senat unter seinem damaligen Präsidenten Dr. Müller und unter Mitwirkung der Richter Dr. Bergler, Dr. Stein, Ritterspach, Dr. Haager, Rupp-von Brünneck und Dr. Böhmer am 4. Oktober 1965 einstimmig beschloß:
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen."
Nachdem Hannover auch mit seiner Verfassungsbeschwerde gescheitert war, versuchte er ein letztes mal, durch eine Publikation in der Zeitschrift "Vorgänge" (Heft 10/1966) auch die Öffentlichkeit zu alarmieren. In seiner Sachstandsdarstellung band er dabei bewusst auch die Vergleiche zu Hitlerdeutschland und der DDR mit ein. Der Fall Fliesenleger G. war allerdings schon mit der gescheiterten Verfassungsbeschwerde endgültig zu den Akten gelegt. Und die damit verbundenen Kosten, die er als Unterlegener selbstredend alleine zu tragen hat, dürften wohl seine Ambitionen auf weitere gerichtliche Kapriolen endgültig demotiviert haben. Und auch Hannover merkt an, dass er nach vorgenanntem letztinstanzlichen Urteil keinen Kontakt zu seinem, bis dato, Mandanten mehr hatte.

Im weiteren Verlauf schildert Hannover, wie sich die Sachlage erst ab 1968 zu entspannen begann; genauer erst ab 1969 durch Einfügung des § 15a in das Zivildienstgesetz, mit der Mogelpackung, freiwilliges Arbeitsverhältnis in einem Krankenhaus oder ähnliches. Auch diese Lösung wird von Hannover kritisch bewertet, wenngleich er den Fortschritt gegenüber dem davor bestehenden Zustand, durchaus anerkennt.

In seinem abschließenden Kommentar äußert er dann noch:
"Da zeigte sich, daß es letztlich nur um die Durchsetzung des förmlichen Rituals staatlicher Autoritätsentfaltung ging, dessen Nichtbeachtung konservativen Geistern nun einmal unerträglich ist und deshalb bestraft werden muß, egal ob die Regelverletzung in der Nichtbegründung eines staatlich verordneten Arbeitsverhältnisses oder in der Weigerung besteht, einen leeren Hut zu grüßen (Schillers 'Wilhelm Tell')."

Als liberal gesinntem Rechtsanwalt lag auch Heinrich Hannover sehr viel daran, dass Maximum für seine Mandanten herauszuholen. Wenn er also vorstehend beklagt und den Staat bezichtigt ein "förmliches Ritual staatlicher Autoritätsentfaltung" um jeden Preis durchgesetzt zu haben. Dann wäre da wohl bloß noch hinzuzufügen. Genau dieser Vorwurf autoritärer Machtenfaltung ist auch auf eine andere Adresse übertragbar, deren Name n i c h t "der Staat" lautet!

Geschrieben von
Mumpitz am 24. Mai 2002 20:22:44:

Als Antwort auf: Heinrich Hannover <2597.htm> geschrieben von Drahbeck am 24. Mai 2002 18:50:05:

Es gab natürlich auch im katholischen Bayern Richter, die anders dachten. Sie würdigten die Gewissensnot der beklagten Totalverweigerer, auch wenn ihnen klar war, daß deren Gewissensentscheid wohl eher das Ergebnis gewisser Gruppenfunktionen war. So wurden Ende der 60-Jahre, wie mir bekannt ist, in Starnberg die Totalverweigerer F. und S. bei erster Verweigerung zu drei Monaten, bei der erneut verweigerten Wiedereinberufung zur Mindeststrafe von einem Monat verdonnert. Und der Richter bat sie förmlich, das Urteil anzunehmen, widrigenfalls sie zur Berufung in die Hauptstadt verwiesen würden, wo man mit 12 - 16 Monaten zu rechnen hatte ...

Wieviel Glück sie damit hatten, wurde ihnen erst viel später klar.

ZurIndexseite