Annotationen zu den Zeugen Jehovas
Domitila Barrios de Chungara
"Die mineros Boliviens sind abergläubische Leute. Vielleicht ist daran ihre indianische Herkunft schuld. ... Teufelsmetall, sagen sie zum Zinn. Und wenn dessen Preis fällt, so vermutet man in Minerokreisen, holten die Vereinigten Staaten wiedr einmal aus ihren strategischen Reserven Zinn auf den Weltmarkt. Mehr als einmal manöverierten sie damit das Land in Schwierigkeiten, genau immer dann, wenn sich eine Regierung in La Paz anschickte, das Los der Bergleute zu ändern."
Menschen leben nicht nur von Brot allein. Sie leben auch davon, dass
sie soziale Wesen sind und auch den Austausch mit anderen suchen. Und gerade in solchen
Regionen ist es die Religion in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen, die für die
Menschen diese soziale Funktion wahrnimmt.
Domitila hatte nun das Glück" oder vielleicht sollte man doch lieber sagen das
Pech, dass sie in ihrem Fall diese Sozialisation durch die Zeugen Jehovas vorfand. Sie
beschreibt das mit den Worten:
Nach dem ich nach Siglo XX kam, widmete ich mich fast fünf Jahre dem Studium der
Bibel bei den Zeugen Jehovas, zu denen ich durch meinen Vater gehörte. Ich nahm an ihren
Versammlungen teil, ich praktizierte vieles von dem, was sie mir sagten. Aber später bin
ich ausgetreten, besonders, als ich in das Hausfrauenkomitee eingetreten bin, weil ich
andere Sachen entdeckte, die für mich nun mal wichtig waren und die sie nicht akzeptieren
wollten.
In das Komitee bin ich aus Notwendigkeit eingetreten, um mit den anderen Frauen an der
Seite unserer Genossen zu sein in ihrem Kampf für unsere Lebensbedingungen. Da sagten mir
die Zeugen Jehovas, ich dürfe mich nicht damit abgeben, dass Satan darin wäre, dass in
der Religion diese Sachen, die reine Politik seien, nicht erlaubt seien. Aber gut, ich
blieb im Komitee.
Zuletzt ließen sie mich rufen und sagten, sie würden mich bestrafen, sie würden mich
einem Jahr der Reflexion (Bewährung) unterwerfen. Ich hätte jeden Versammlungstag zu dem
Treffen der Sekte zu gehen, und niemand dürfe ein Wort für die Dauer eines Jahres mit
mir sprechen. Und wenn ich in einem Jahr nicht mit dem aufhörte, was sie mir verboten,
dann würden sie mich aus ihrer Gemeinschaft ausstoßen. Sie sagten, ich würde schlechte
Sachen tun, indem ich Mitglied im Komitee wäre.
Ich antwortete ihnen: Erstens hat Gott gesagt, wir dürften niemandem richten. Und wer
sind Sie, mich in dieser Form zu richten? Und außerdem beurteilen Sie die Sache von ihrer
Sicht aus und sie kümmern sich nur um die kleine Gruppe, die die Versammlungen besucht.
Deswegen werden Sie sich nicht der Situation bewusst, in der der größte Teil des Volkes
lebt. Das interessiert sie nicht, nicht wahr?
All das sagte ich ihnen. Und ich sprach weiter: Nehmen wir zum Beispiel an, eine Witwe hat
allzu viele Kinder und das jemand ihr sagt, sie solle um ihre Kinder zu ernähren, lügen
und er gibt ihr ein Stück Brot. Also lügt sie und verdient ein Stück Brot für ihre
Kinder. Sagen wir, später müsste sie stehlen, weil sie nichts hätte um es den Kleinen
zu geben. Nehmen wir weiter an, dass später eins der Kinder krank geworden ist, und sie
brauchte so dringend Geld, dass sie es auf sich genommen hat, sich zu prostituieren um das
Leben ihrer Kinder zu retten.
Nun also im anderen Leben wird diese Witwe - nach ihnen werden die Prostituierten, die
Lügnerinnen, die ich weiß nicht was alles, Gott, den Herrn nicht kennenlernen - diese
Witwe wird das Angesicht Gottes nicht sehen, wird nicht in das Paradies kommen können?
Das kann ich nicht glauben.
Außerdem sind die Zeugen Jehovas in Siglo XX -Llallagua meistens Reiche, sie leiden kein
Elend wie wir. Ich weiß nicht, wie es in anderen Ländern ist, aber hier ist es so.
Dann sagte Bruder Alba, der damals der Reichste in Llaallagua war er lebt glücklich und
zufrieden in diesem Leben, weil er keine Not leidet und weil er das Wort Gottes kennt -
wird er sich nicht prostituieren, wird nicht lügen, wird nichts von diesen Sachen tun.
Und er wird also in das Himmelreich kommen. Und zu dieser Witwe, die soviel in diesem
Leben leidet, wird Gott zum Schluss sagen: Gut, ich habe Euch gesagt, Ihr sollt diese
Sachen nicht tun. Nun fahre zur Hölle. Wird das geschehen?
Und wird also der, der arm geboren ist, niemals den Segen Gottes erlangen, und der Bruder
Alba sagt, ja, der wird den Segen Gottes erlangen, weil er die Bibel kennt.
Das erscheint mir nicht gerecht und auch, wenn Sie glauben, dass die geistige Hilfe das
einzig wichtige ist, mir scheint es so, dass man mit der materiellen Hilfe beginnen muss.
Wenn ich zum Beispiel eine Arbeit für die Witwe finde und ihr sage: Sieh mal, du
arbeitest hier, komm hierher mit deinen Söhnen leben, dann kann ich ihr also später
sagen: Sieh mal, in der Bibel steht geschrieben, du sollst nicht lügen, du sollst nicht
stehlen, du sollst dich nicht prostituieren. Klar, dann hat sie Arbeit, dann kann sie ihre
Pflicht erfüllen, weil sie ja in keiner hoffnungslosen Lage mehr ist, nicht wahr?!
Dann antworteten sie mir, jetzt hätte ich mich vollkommen in ein Kind Satans verwandelt
und dass sie nicht mit dem einverstanden seien, was ich sagte. Und ich sagte ihnen, ich
ginge. Und ich ging. Später habe ich nach und nach gemerkt, dass diese Gruppe eine mehr
im Dienste des Imperialismus war. Denn sie sagten, wir sollen uns nicht mit Politik
beschäftigen.
Aber ohne Zweifel, dort im Tempel machten sie die ganze Zeit Politik, durch die Art, wie
sie die Fragen behandelten. Außerdem gaben sie uns einige Broschüren, und in einer von
denen war geschrieben: Freiheit der Religion", aber da waren einige Stiefel,
die auf einige Religionen traten, und es war geschrieben: Kommunismus,
Marxismus." Und in einer anderen Broschüre war Marx gezeichnet - ich kannte Marx
damals noch nicht, ich lernte ihn erst später kennen - wie eine Krake, der die Welt
umarmt und den man töten müsste.
So, nicht wahr? Ich musste also wählen: Entweder im Hausfrauenkomitee zu arbeiten um an
der Seite der Arbeiter zu kämpfen, oder ich blieb bei den Zeugen Jehovas, wohnte ihren
Gottesdiensten bei ohne mich mit den Sachen zu beschäftigen, die sie Satans Werk nannten.
Nun für mich war es wichtig, eine Entscheidung zu treffen. Es gab andere Religionen in
Siglo XX, besonders die katholische. Aber ich gab mich auch nicht mit Leuten dieser Gruppe
ab, weil damals die Christen, besonders die Priester und Nonnen, sehr gegen uns waren. Sie
hatten einen Auftrag, den ihnen der Papst Pius XII. gegeben hatte, den Kommunismus zu
bekämpfen, und deswegen machten sie uns viele Schwierigkeiten und verstanden uns nicht,
und oft verteidigten sie unsere Unterdrücker.
Das geschah oft in Bolivien: dass die Religion sich in den Dienst der Mächtigen stellte,
indem sie ihren Gesichtspunkten Gehör schenkte. Und die, die sagen, sie folge der Lehre
Christi, die sind meistens für die Unterdrücker, sie wachen mehr über deren Sicherheit,
um genug Geld für all das zu haben. Und deswegen stellen sie die Religion einfach in den
Dienst der Kapitalisten.
Und bis heute gibt es nur wenige Repräsentanten der Kirche, die verstehen, was wirklich
in Bolivien vor sich geht. Und auch, wenn sie sich sogar der Ungerechtigkeiten bewusst
werden, ziehen sie es vor zu schweigen, wegen ihrer persönlichen Sicherheit.
Deswegen zählt die Kirche bei den Mineros fast nichts, obwohl in den letzten Jahren
verschiedene Priester, Nonnen und sogar Bischöfe sich geändert haben und mit den
Unterdrückten sind, und unter diesen gibt es einige, die auf unserer Seite geprügelt,
deportiert wurden, ins Gefängnis kamen und verhört wurden. Aber das Bild der
beherrschenden Kirche, die ihre Hände dem kapitalistischen Unterdrücker leiht, ist noch
sehr lebendig.
Meines Erachtens ist der vorstehend wiedergebende Fall auch ein Fall, der es verdient
beachtet zu werden, bei der Würdigung der Aspekte die im Zusammenhang mit dem Antrag der
Zeugen Jehovas stehen, Körperschaft des öffentlichen Rechtes" werden zu
wollen.
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