Gespräche und Kommentare der Studiengruppe Christliche Verantwortung"
Nr. 10 (1973)

"Der Fragenkomplex 'Endzeitlehren' war ohne Zweifel auch schon im Urchristentum besonders stark ausgeprägt. Er erwies sich aber schon dort in seiner zeitlich begrenzten Hauptaussage als Irrtum. Die nachfolgenden Ausführungen über Albert Schweitzer sind als Diskussionsbeitrag gedacht, da sie in bemerkenswerter Weise das genannte Problem mit ansprechen.

EINIGE ASPEKTE AUS DEM LEBEN DES ALBERT SCHWEITZER
'Die höchste Ehre, die man einem Denksystem erweisen kann ist, es unbarmherzig auf seinen Wahrheitsgehalt zu untersuchen, wie der Stahl auf seine Härte geprüft wird' (II/426)
Albert Schweitzer, der diese Worte im Zusammenhang mit seiner Untersuchung über 'Die Weltanschauung der indischen Denker' gebrauchte, hat sie, dass steht außer Zweifel, auch in gleicher Weise mit auf das Christentum angewandt.

Es ist sicher nicht jedermanns Sache, sich durch 3816 Seiten einer fünfbändigen Werkausgabe 'durchzulesen'. Dennoch, wer die Energie dazu aufbringt, wird es im Anschluss daran als einen wertvollen Gewinn betrachten. Es ist in der Tat ein verdienstvolles Ereignis, dass sich der Berliner UNION-VERLAG entschlossen hatte, als erster deutschsprachiger Verlag diese G e s a m t - Ausgabe vorzulegen (Jedenfalls was die wichtigsten Werke betrifft 1971 erschienen, 68.- Mark).

Wenn auch erst am 14. Januar 1975 der 100-jährige Geburtstag Albert Schweitzers weiteren Anlass zu entsprechender Würdigung seines Wirkens in der Öffentlichkeit bilden wird, so dürfte unabhängig davon sein wissenschaftliches Vermächtnis zu den einschlägigen 'Standardwerken' zu zählen sein.

'Stein des Anstoßes'.
Als Albert Schweitzer 1954 den ihm für das Vorjahr verliehenen Friedensnobelpreis erhielt, konnte man sicherlich bei oberflächlicher Betrachtung meinen, dass sein Lebensweg im großen und ganzen vorgeebnet war. Indes das Gegenteil war der Fall. So berichtet er z.B., dass man auf seine Bemühungen, als Missionsarzt in die Kongo-Mission eintreten zu wollen, man ihm dies verweigern wollte mit der Begründung, dass er 'nur die rechte christliche Liebe, nicht aber auch den rechten Glauben hätte' (I/111). Erst als er sich ausdrücklich verpflichtete, 'nur Arzt sein zu wollen' und im übrigen in theologischer Beziehung 'stumm wie ein Karpfen' im Missionsgebiet zu sein, war man bereit, ihn zu akzeptieren. (I/129)

Weshalb diese schroffe Ablehnung? Was hatte Albert Schweitzer denn 'verbrochen', dass man ihm eine Aufgabe, die andere bürgerlich Situierte eindeutig als 'Strafarbeit' überhaupt nicht in Erwägung ziehen würden, meinte verweigern zu müssen? Ein Blick in die Erarbeitung seines theologischen Standpunktes kann hierauf nur die Antwort geben.

Kein vergeistigtes 'Reich Gottes'.
Worum ging es Albert Schweitzer? Er fasst seine Erkenntnisse in die Worte zusammen: 'Es stand mir fest, dass Jesus nicht ein von ihm und den Gläubigen in der natürlichen Welt zu gründendes und zu verwirklichendes Reich verkündet, sondern eines, das mit dem baldigen Anbruch der übernatürlichen Weltzeit zu erwarten sei' (I/30).
Er begründete seine Ansicht damit: 'Nach den Worten, die Markus und Matthäus von ihm überlieferten, lebt Jesus in der auf die alten Propheten und das um 165 vor Christus entstandene Buch Daniel zurückgehenden messianischen Erwartung des Spätjudentums, wie wir sie durch das Buch Henoch (etwa 100 vor Christus, die Psalmen Salomos (63 vor Christus) und die Apokalypsen des Baruch und des Esra (etwa 80 nach Christus) kennen. Wie seine Zeitgenossen identifiziert er den Messias mit dem 'Menschensohn', von dem im Buche Daniel die Rede ist, und redet von seinem Kommen auf den Wolken des Himmels. Das Reich Gottes, dass er predigt. ist das himmlische, messianische Reich, dass bei der Ankunft des Menschensohnes am Ende der natürlichen Weltzeit auf Erden anbrechen wird. Ständig heißt er seine Hörer für alsbald des Gerichts gewärtig zu sein, durch das die einen zur Herrlichkeit des messianischen Reiches und die anderen zur Verdammnis eingehen werden. Seinen Jüngern stellt er sogar in Aussicht, dass sie bei diesem Gericht auf zwölf Stühlen um seinen Thron herum die zwölf Stämme Israels richten werden.
Jesus lässt also die spätjüdische messianische Erwartung in allen ihren Äußerlichkeiten gelten. In keiner Weise unternimmt er es sie zu vergeistigen'. (I/55)

Albert Schweitzer stellt weiter fest: 'Zu einer bestimmten Zeit - ob dies Wochen oder Monate nach seinem Auftreten war, wissen wir nicht - hat Jesus die Gewissheit, dass die Stunde des Anbruchs des Reiches gekommen sei. Eilends entsendet er seine Jünger zu zweienundzweien in die Städte Israels, dass sie diese Kunde verbreiten. In der Rede (Matthäus 10), mit der er sie entlässt, bereitet er sie auf die messianische Drangsal vor die jetzt alsbald anbrechen soll, und indes sie, wie die anderen Erwählten, schwere Verfolgungen, ja vielleicht den Tod erleiden werden. Er erwartet nicht, dass sie wieder zurückkehren worden, sondern verkündet ihnen, dass die 'Erscheinung des Menschensohnes' (welche gleichzeitig mit dem Anbrechen des Reiches erwartet wird), stattfinden werde, ehe sie nur mit den Städten Israels zu Ende sein würden.
Seine Erwartung verwirklicht sich aber nicht' (I/56,57).

Mit dieser nüchternen Erkenntnis - ohne fragwürdige Umdeutungen und 'Wegerklärungen' - hatte Albert Schweitzer offensichtlich empfindlich den Nerv eines nicht nur pietistisch geprägten Christentums seiner Zeit getroffen, was sich auch in seiner Bemerkung widerspiegelt:

'Anstoß bereitet vielen, dass der historische Jesus irrtumsfähig gelten müsse, weil das übernatürliche Reich Gottes dessen Erscheinen er für alsbald verkündigte, ausgeblieben ist' (I/74).

Dass Schweitzer die Konsequenzen, die daraus resultieren, nicht leicht gefallen sind, macht auch seine Aussage deutlich: 'Ich selber habe darunter gelitten, an der Zerstörung des Christusbildes, auf das sich das freisinnige Christentum berief, mitarbeiten zu müssen. Zugleich aber war ich der Überzeugung, dass dieses nicht darauf angewiesen sei, von einer geschichtlichen Illusion zu leben, sondern sich auch auf den geschichtlichen Jesus berufen könne und zudem sein Recht in sich selber trüge … Überdies ist Jesu Religion der Liebe durch das Hinfälligwerden der spätjüdisch-eschatologischen Weltanschauung von dem Dogmatischen das sie an sich hatte, frei geworden. Die Form in der der Guss stattfand, ist zerbrochen. Nun sind wir berechtigt, die Religion Jesu ihrem unmittelbaren geistigen ethischen Wesen nach in unserem Denken lebendig werden zu lassen' (I/75).

Ethische Postulate.
Seinen aus diesen Positionen erwachsenen Standpunkt formulierte er wohl einigermaßen deutlich mit den Worten: 'Wer erkannt hat, dass die Idee der Liebe der geistige Lichtstrahl ist, der aus der Unendlichkeit zu uns gelangt, der hört auf, von der Religion zu verlangen, dass sie ihm ein vollständiges Wissen von dem Übersinnlichen biete.' (I/247)

Und: 'Nach meiner Ansicht nach gibt es kein anderes Schicksal der Menschheit als dasjenige, das sie sich durch ihre Gesinnung selber bereite' (I/250).
Ferner: 'Das höchste Wissen ist also, zu wissen, dass ich dem Willen zum Leben treu sein muss. Dieses reicht mir den Kompass für die Fahrt dar die ich in der Nacht ohne Karte unternehmen muss. Das Leben in der Richtung seines Laufes auszuleben, zu steigern, zu veredeln, ist natürlich. Jede Herabminderung des Willens zum Leben ist eine Tat der Unwahrhaftigkeit mit sich selbst oder eine Erscheinung von Krankhaftigkeit.'
Das Wesen des Willens zum Leben ist, dass er sich ausleben will. Er trägt den Drang in sich in höchst möglicher Vollkommenheit zu verwirklichen. Im blühenden Baum, im den Wunderformen der Qualle, im Grashalm, im Kristall: Überall strebt es danach, Vollkommenheit die in ihm angelegt ist, zu erreichen. In allem was ist, ist durch Ideale bestimmte, vorstellende Kraft am Werke. In uns freibeweglichen, eines überlegten, zweckmäßigen Wirkens fähigen Wesens ist der Drang nach Vollendung in der Art gegeben, dass wir uns selber und alles von uns aus beeinflussbare Sein auf den höchsten materiellen und geistigen Wert bringen wollen' (II/354, 346).

Historische Wahrheit kontra Dogma.
In seinem theologischen Standardwerk, der 'Geschichte der Leben Jesu-Forschung', hat er seine Grunderkenntnisse weiter präzisiert, indem er die schon damals umfangreich angeschwollene einschlägige Literatur näher untersucht, Er gelangt dabei zu einigen bemerkenswerten Aussagen, die auch heute noch einigen Leuten ein Dorn im Auge sind, auch wenn man es nicht wagt, das immer so d i r e k t auszusprechen Es wird da mehr die 'Methode' gewählt, nebensächliche Ungenauigkeiten stark herauszustellen, um so indirekt eine Pauschalverneinung auszusprechen. 'Wer kennt die - Namen - wer zählt die Beispiele?'

Schweitzer kristallisiert seinen Standpunkt im Vorwort mit den Worten: 'Die Forschung, die von der Eschatologie absehen will, muss große Partien der Berichte der zwei ältesten Evangelien als spätere Zutat ausscheiden und behält zuletzt nur noch einen ganz zerfetzten Text übrig, mit dem nichts Rechtes mehr anzufangen ist' (III/23).
Die Situation, wie andere Theologen der jüngeren Neuzeit darauf reagieren, verdeutlicht er mit der Feststellung: 'Dennoch aber hat sich die eschatologische Lösung in der neuesten Leben-Jesu-Literatur nicht allgemein durchgesetzt und hat keine Aussicht, dies bald zu erreichen. Sie befindet sich in der merkwürdigen Lage, dass sie nicht widerlegt, aber auch nicht ohne weiteres anerkannt werden kann. Das letztere hat seinen Grund darin, dass das, was sie historisch leistet, in Schatten gestellt wird durch die Schwierigkeiten, die sie der überlieferten Glaubensanschauung schaft' (III/33).

Vorwärtsführende Kritik.
In seinem Bemühen, die Aussagen aus der ältesten Literatur, die zum Teil bewusst in Vergessenheit geraten waren, wieder neu zu sichten, vermittelt Schweitzer auch dem Leser der Jetztzeit interessante Einblicke, die auch dadurch ihren Wert haben, dass es ja nicht immer so einfach ist, heute noch an diese Veröffentlichungen heranzukommen (wenn man von Spezialbibliotheken einmal absieht).
Er beginnt seine Darstellung mit der interessanten Information:
'Denn auch mit Hass kann man Leben-Jesu schreiben - und die großartigsten sind mit Hass geschrieben: das des Reimarus, des Wolfenbüttler Fragmentisten, und das von David Friedrich Strauß.- Es war nicht so sehr ein Hass gegen die Person als gegen den übernatürlichen Nimbus, mit dem sie sich umgeben ließ und mit dem sie umgeben wurde. Sie wollten ihn darstellen als einen einfachen Menschen, ihm die Prachtgewänder, mit denen er angetan war, herunterreißen und ihm die Lumpen wieder umwerfen, in denen er in Galiläa gewandelt hatte. Weil sie hassten, sahen sie am klarsten in der Geschichte. Sie haben die Forschung mehr vorwärtsgebracht, als alle anderen zusammen' (III/48).

Albert Schweitzer versäumt es aber auch nicht zu verdeutlichen, welche - oftmals bitteren - Konsequenzen das für diese Exponenten, indem Ringen nach der historischen Wahrheit mit sich brachte. So berichtet er z.B.:
'Aber an Strauß, der als Siebenundzwanzigjähriger das Ärgernis der Welt preisgab erfüllte sich der Fluch. Er ging zugrunde an seinem Leben-Jesu, aber er hörte nicht auf, stolz darauf zu sein, trotzdem alles Unglück von dorther kam. 'Ich könnte meinem Buche grollen', schreibt er 25 Jahre später in der Vorrede zu den Gesprächen von Ulrich von Hutten, 'denn es hat mir (von Rechts wegen rufen die Frommen) viel Böses getan. Es hat mich von der öffentlichen Lehrtätigkeit ausgeschlossen, zu der ich Lust, vielleicht auch Talent besaß, es hat mich aus natürlichen Verhältnissen herausgerissen und in unnatürliche hineingetrieben, es hat meinen Lebensgang einsam gemacht. Und doch bedenke ich, was aus mir geworden wäre, wenn ich das Wort, das mir auf die Seele gelegt war, verschwiegen, wenn ich, die Zweifel, die in mir arbeiteten, unterdrückt hätte - dann segne ich das Buch, dass mich zwar äußerlich schwer geschädigt, aber die innere Gesundheit des Geistes und Gemüts mir, und ich darf mich dessen getrösten, auch manchem anderen noch, erhalten hat' (III/ 489,449).

Hermann Samuel Reimarus.
Über das von Gotthold Ephraim Lessing herausgegebene Werk von Hermann Samuel Reimarus (1694-1768) berichtet Schweitzer unter anderem: 'Dann ist aber das Grundproblem der alten Dogmatik, die Verzögerung der Parusie. Schon Paulus musste sich da an die Arbeit machen und im II. Thessalonicherbrief alle möglichen und unmöglichen Gründe finden. warum die Wiederkunft sich hinauszog. Reimarus beleuchtet mitleidlos die Lage des Apostels, der die Leute hinhalten muss. Der Autor des II. Petrusbriefes geht schon zielbewusster vor und richtet sich ein, die Christenheit definitiv mit dem Sophisma von den tausend Jahren die vor Gott wie ein Tag sind, zu vertrösten, wo doch bei der Verheißung nicht mit Gottes- sondern Menschenjahren gerechnet wurde.

'Unterdessen haben die Apostel bei der ersten einfältigen Christenheit so viel damit gewonnen, dass, nachdem einmal die Gläubigen damit eingeschläfert wurden, und der eigentliche Termin ganz verstrichen war, die folgenden Christen und Kirchenväter sich durch eitle Hoffnungen bis in alle Ewigkeit halten konnten' (III/72).

Albert Schweitzer fügt noch hinzu: Reimarus war der erste, der nach achtzehnJahrhunderten wieder ahnte was Eschatologie sei… Mag die Lösung bei Reimarus falsch sein - die Beobachtungen, von denen er ausgeht, sind unfehlbar richtig, weil die Grundbeobachtung eben historisch ist' (III/75).
Reimarus selbst hatte es vorgezogen, angesichts der herrschenden Umstände Vorsorge dafür zu treffen, dass sein Werk erst nach seinem Tode veröffentlicht wurde. Welch ungeheurer 'Sprengstoff' damit gezündet wurde, verdeutlicht Schweitzer mit seiner Information: 'Reimarus hatte die fortschrittliche Theologie diskreditiert. Studenten - Semler erzählt es in seiner Vorrede - wurden irre und suchten sich einen anderen Beruf' (III/77).

'Rationalisierte' Orthodoxie.
Natürlich gibt es zur gleichen Zeit auch allerlei anders orientierte Tendenzen, von denen z.B. auch der folgende Bericht kündet: 'Wir sehen hier in demselben Bewusstsein Orthodoxie und Rationalismus schichtweise übereinandergelagert…
Die dogmatische Vorstellung von Jesus soll nicht angetastet werden, oder wenigstens glaubt man sie nicht anzutasten …
Bei alledem versteht es sich ebenfalls von selbst, dass die Gelegenheit die Zahl der Wunder zu vermindern, nicht vorübergehen lassen darf. Wo eines natürlich erklärt werden kann wird keinen Augenblick gezögert' (III/80,81).

Immer wieder gelangt Schweitzer bei seinen Darstellungen der verschiedensten 'Lösungsversuche' doch indirekt, wenn auch verschieden artikuliert, zu der Erkenntnis: 'Es ist ein merkwürdiges Phänomen in der Leben-Jesu-Forschung, dass eine gewisse Halbwissenschaft die entscheidenden Probleme erfassen und zu lösen versucht, ehe die gemessen einherschreitende Zunftheologie an jenem Punkte angekommen ist' (III/95).

David Friedrich Strauß.
Über den schon vorher erwähnten David Friedrich Strauß (1806-74) berichtet Schweitzer noch: 'Man muss Strauß lieben um ihn zu verstehen. Er war nicht der größte und nicht der tiefste unter den Theologen, aber der wahrhaftigste' (III/137).
'Die Angst vor Strauß zeitigte überhaupt katholisierende Gedanken in der protestantischen Theologie. Einer seiner verständigsten Rezensenten, Dr. Ullmann, in den Studien und Kritiken, hätte gewünscht, dasss er sein Werk lateinisch verfasst hätte, damit es unter dem Volke keinen Schaden anrichtete. In einem anonymen Dialog sehen wir den Schulmeister zum Pfarrer kommen. Er hat sich von seinem Stammtischgenossen, dem Herrn Major, verleiten lassen, Straußens Werk zu lesen, und möchte nun die Zweifel, die es in ihm angeregt hat, wieder loswerden. Nach glücklich beendeter Kur entlässt ihn Hochwürden mit folgender Vermahnung: 'Übrigens hoffe ich, nach der Erfahrung, die Sie gemacht haben, dass sie sich für die Zukunft des Lesens solcher Schriften enthalten werden, die nicht für sie geschrieben sind, zu deren Beachtung Sie keinen Beruf und zu deren Bestreitung sie keine Waffen haben. Leben Sie der Überzeugung, dass das, was aus solchen Schriften für Sie nützlich und brauchbar bewähren kann, Ihnen bald genug auf geeignetem Wege und auf die rechte Weise dargeboten werden wird, wobei Sie nichts von Ihrer Ruhe der Gefahr des Zufalls auszusetzen genötigt sind' (III/181,182). Ein auch für die Gegenwart noch aktueller Dialog, der verdeutlicht, wie die im Besitz eines organisatorischen Instrumentariums befindlichen geistig Unterlegenen versuchen, ihre Selbsterhaltung mit allen Mitteln - wenn auch recht fraglichen - zu 'sichern'.

Albert Kalthoff.
Ein weiterer Forscher aus der weitgespannten Galerie (bei der nur ausgewählte Beispiele erwähnt werden konnten), war Albert Kalthoff (1850-1906). Über ihn schreibt Schweitzer: 'Nach Albert Kalthoff entstand das Christentum durch Selbstentzündung, als die religiösen und sozialen Zündstoffe, die sich im römischen Imperium angesammelt hatten, mit den jüdischen Messiaserwartungen in Berührung kamen. Jesus von Nazareth hat nie existiert, und wenn er einer der zahlreichen Judenmessiasse war, die den Tod am Kreuz fanden, hat er das Christentum dennoch nicht gegründet. Die in den Evangelien niedergelegte Geschichte Jesu ist in Wirklichkeit nur die Entstehungsgeschichte des Christusbildes, das heißt Geschichte der werdenden Gemeinde. Es gibt also kein Problem des Lebens Jesu, sondern nur ein Christusproblem …
Die Kritik, die Kalthof an den historisch-positiven Darstellungen übt, ist zum Teil sehr treffend. 'Jesus', sagte er einmal, ist für die protestantische Theologie das Gefäß geworden, in welches jeder Theologe seinen eigenen Gedankeninhalt hineingießt' (III/502, 503).

Gemeinsames Wollen.
Zur Zusammenfassung kommend fasst Schweitzer seine Gesamterkenntnis noch einmal in die Worte: 'Die konsequente Eschatologie ist besser daran. Sie erkennt in der Tatsache des Nichteintreffens der Mt 10,23 verheißenen Parusie das im Sinne Jesu 'historische Faktum' … Die ganze 'Geschichte des Christentums' bis auf den heutigen Tag, die innere, wirkliche Geschichte desselben beruht auf der 'Parusieverzögerung', dass heißt auf dem Nichteintreffen der Parusie, dem Aufgeben der Eschatologie, der damit verbundenen fortschreitenden und sich auswirkenden Enteschatologisierung der Religion' (III/586).

Und als persönliches Bekenntnis am Ausgang seiner Studie wählt Schweitzer die Worte: 'Im letzten Grunde ist unser Verhältnis zu Jesus mystischer Art. Keine Persönlichkeit der Vergangenheit kann durch geschichtliche Betrachtung oder durch Erwägungen über ihre autoritative Bedeutung lebendig in die Gegenwart hineingestellt werden. Eine Beziehung zu ihr gewinnen wir erst, wenn wir in der Erkenntnis eines gemeinsamen Wollens mit ihr zusammengeführt werden, eine Klärung, Bereicherung und Belebung unseres Willens in dem ihrigen erfahren und uns selbst in ihr wiederfinden' (III/886).

Das für Albert Schweitzer seine Einsichten und Erkenntnisse keine leeren Floskeln waren, davon hat sein integrer Lebenslauf beredtes Zeugnis abgelegt. Vieles wäre für die Darstellung seines Lebens, Denkens und Wirkens noch zu sagen. Es konnte nur ein begrenzter Detailausschnitt sichtbar gemacht werden. Das bei einer vielfach anderweitig praktizierten Würdigung seiner verdienstvollen Tätigkeit in und für Lambarene oftmals seine geistigen Auseinandersetzungen grundsätzlicher Art mit dem herkömmlichen Christentum faktisch überspielt und aus dem Bewusstsein verdrängt wurden, ist ebenso ein Faktum, dass durch die Lektüre dieser Albert-Schweitzer-Werkausgabe notwendigerweise korrigiert werden kann.

Ebenfalls auch, dass jene, die, wie z. B. Jehovas Zeugen, versuchen, historische Irrtümer der Vergangenheit durch Neuanwendung auf die Gegenwart nicht zur Kenntnis nehmen, ebenfalls Zeit und Energie für einen Irrweg vergeuden."

Eine Zusammenfassung, teilweise auch Ergänzung, der vorstehend angesprochenen "Grundfragen"; auch noch im nachfolgenden Text, der einiges verstreutes, etwas mehr bündelt:

Schon Albert Schweitzer hatte in seiner theologischen Phase ("Geschichte der Leben Jesu-Forschung") herausgearbeitet. Im Urchristentum war die Endzeit-Naherwartung latent ("Ihr werdet mit den Häusern Israels nicht zu Ende kommen" bevor das alles geschieht). Das Urchristentum, ursprünglich als jüdische Sekte in Erscheinung getreten, erlebte danach noch eine gewaltige Akzentverschiebung. Begünstigt auch dadurch, dass seine Klientel sich zunehmend aus "Heidenchristen" zusammen setzte: Solche also die keine geborene Juden mehr wahren. Schon anderthalb Jahrhunderte später, etwa zu Zeiten Tertullians, gab es in Nordafrika (Karthago) blühende Christengemeinden, deren missionarische Ursprünge wiederum auf Christen in Rom basierten. Die Ursprungsgemeinde in Jerusalem hingegen, versank in die zunehmende Bedeutungslosigkeit.

Mit dieser soziologischen, ging auch die ideologische Wandlung einher. Die ursprüngliche Naherwartung konnte so nicht mehr länger aufrecht erhalten werden. Abgesehen von einigen Sektenkreisen; sagte der Hauptstrom des Christentums ihm Ade.

Aber schon bei Tertullian kann man es nachlesen. "Heilige Schriften" waren für ihn nicht nur die des heutigen Bibelkanons. Tertullian beispielsweise berief sich auch ausdrücklich auf das "Henoch"-Buch, dass er hochschätzte. Gleichwohl wissend. Es fand nicht Eingang in den jüdischen Kanon des Alten Testaments. Gerade aber in diesem Schrifttum außerhalb der heutigen Bibel, begegnet man solchen Endzeiterwartungen die auch auf bestimmten Chronologien basieren. Letztendlich hat der Petrusbrief mit der entsprechenden Aussage, dass bei Gott ein Tag wie bei Menschen tausend Jahre seien, nur diesen "Ball" mit aufgenommen, um auch die "Kurve zu kriegen". Weg von der akuten Naherwartung - hin zu nebulösen Formulierungen, die sich als Gummiband in allerlei Richtungen hinziehen lassen.

Albert Schweitzer stellt weiter fest: 'Zu einer bestimmten Zeit - ob dies Wochen oder Monate nach seinem Auftreten war, wissen wir nicht - hat Jesus die Gewissheit, dass die Stunde des Anbruchs des Reiches gekommen sei. Eilends entsendet er seine Jünger zu zweienundzweien in die Städte Israels, dass sie diese Kunde verbreiten. In der Rede (Matthäus 10), mit der er sie entlässt, bereitet er sie auf die messianische Drangsal vor die jetzt alsbald anbrechen soll, und indes sie, wie die anderen Erwählten, schwere Verfolgungen, ja vielleicht den Tod erleiden werden. Er erwartet nicht, dass sie wieder zurückkehren worden, sondern verkündet ihnen, dass die 'Erscheinung des Menschensohnes' (welche gleichzeitig mit dem Anbrechen des Reiches erwartet wird), stattfinden werde, ehe sie nur mit den Städten Israels zu Ende sein würden.
Seine Erwartung verwirklicht sich aber nicht' (I/56,57).

Mit dieser nüchternen Erkenntnis - ohne fragwürdige Umdeutungen und 'Wegerklärungen' - hatte Albert Schweitzer offensichtlich empfindlich den Nerv eines nicht nur pietistisch geprägten Christentums seiner Zeit getroffen, was sich auch in seiner Bemerkung widerspiegelt:

'Anstoß bereitet vielen, dass der historische Jesus irrtumsfähig gelten müsse, weil das übernatürliche Reich Gottes dessen Erscheinen er für alsbald verkündigte, ausgeblieben ist' (I/74).

Schweitzer bezieht sich bei seiner Wertung insbesondere auf Matthäus 10: 23 wo es auch nach der NW-Übersetzung heisst:
"Denn wahrlich , ich sage euch: Ihr werdet mit dem Kreis der Städte Israels keinesfalls zu Ende sein, bis der Sohn des Menschen gekommen ist."

http://www.manfred-gebhard.de/Schweitzer57.jpg

Einige weitere Auszüge aus dem Theologischen Werk Albert Schweitzers noch:

http://www.manfred-gebhard.de/Schweitzer.1.74.jpg

http://www.manfred-gebhard.de/Schweitzer.3.72.jpg

http//www.manfred-gebhard.de/Schweitzer.3.48.jpg

Bekannt ist aber auch, dass die von Schweitzer vertretene sogenannte "konsequente Eschatologie" bei dem vom Christentum materiell lebenden Funktionären, keine sonderliche Begeisterung ausgelöst hat. Das Gegenteil war der Fall. Schweitzer erfuhr es noch am eigenen Leibe. Der erste Weltkrieg leitete auch eine theologische Zäsur ein. Schon die katholische Kirche hatte mit ihrem Syllabus, den Schweitzer'ischen Denkansatz Anathematisiert. Der französische katholische Theologe Alfred Loisy, der sich da besonders hervortat, musste es auch bitter erfahren.
Im deutschen Protestantismus war es dann Karl Barth mit seiner sogenannt "dialektischen Theologie", welcher der liberalen Theologie generell (zu der auch Schweitzer zugerechnet werden darf), den einstweiligen "Garaus" machte.

Dazu stellte Heinrich Ackermann, durchaus zutreffend , fest:
"Vor einigen Jahren sprach ein angesehener Theologe der Universität Zürich aus, die Kirche lebe davon, daß die Ergebnisse der 'Leben-Jesu-Forschung' in ihren Gemeinden unbekannt seien.
Seit dem 'Siege' der Katholischen Kirche über den Modernismus oder Reformkatholizismus, der der wissenschaftlichen Forschung folgen wollte, seit der Einführung des Antimodernisteneides im Jahre 1910, hat in der Katholischen Kirche das mittelalterliche Dogma sich völlig gegen die Forschung durchgesetzt. Schon im Jahre 1907 war es den katholischen Theologen verboten worden, den in den Neunzigerjahren wiederentdeckten Endglauben Jesu, die im Spätjudentum verbreitete Eschatologie, den Glauben an das bevorstehewnde Ende 'dieser Welt' und den Einbruch eines Gottesreiches ... zum Kernbestand des Evangeliums zu zählen.
Im Protestantismus - der heute diesen Namen kaum noch verdient - hat im Jahre 1945 der seit den Zwanzigerjahren vorbereitete 'Sieg' des 'Bekenntnisses' und der dialektischen Theologie über die - doch einzig wissenschaftliche liberale Forschung die völlige Wiederherstellung des Dogmas und damit auch der mittelalterlichen Christologien gebracht."

http://books.google.de/books?id=VEQMAAAAYAAJ&printsec=frontcover&dq=reimarus&hl=de&sa=X&ei=8d10T-JZxM6yBqTv8dcN&ved=0CFcQ6AEwBg#v=onepage&q&f=false

Exkurs: Franz Griese
Datum: 15. April 2011 01:14
Religionskritische Strömungen gibt es sicherlich nicht erst seit "heute".
Die Kirchen "jubelten" (jubelten sie wirklich) zu Nazizeiten, das selbiges dem organisierten Freidenkertum, namentlich wegen seiner Sozialdemokratischen Tendenz (und da dieses kein Monolithischer Block war) teilweise auch kommunistischer Tendenz. Das also das Naziregime dem organisatorischen Freidenkertum auch den Garaus beschert hatte.
Sollten sich Anfangs 1933 noch die Kirchen ob dieser Entwicklung gefreut haben, so verging ihnen aber alsbald dieses "Freudegefühl".

Politik der Nazi orientierten sogenannten "Deutschen Christen" zu damaliger Zeit war, auch eine "Einheitskirche" zu schaffen. So wie der "Führer" auf politischem Gebiete allen anderen Parteien den Garaus beschert hatte; diese Vision hatten besagte "Deutsche Christen" auch fürs evangelische Spektrum.
Nur noch eine "Reichskirche" unter einem strammen Nazibischof von Hitlers Gnaden.
Und zur Durchsetzung dieses Zieles war man auch nicht zimperlich. Da wurde schon mit massiver Verwendung der Staatsgewalt, den Widerstrebenden das fürchten gelehrt.
Auch wenn da mancher wirklich das fürchten gelehrt bekam, bedeutete das indes nicht, dass die "Deutschen Christen" auch ihr Ziel tatsächlich erreichten.
Namen wie Karl Barth und Martin Niemöller, stehen beispielhaft für das sich dem "Deutschen Christen" in den Weg stellen.

Eine Kundgebung der "Deutschen Christen" im Berliner Sportpalast, im November 1933, brachte dann das "Fass zum überlaufen". Genug Praxiserfahrung mit den "Deutschen Christen" hatte dann ja so mancher Kirchenmann bis dahin selbst gesammelt, auch diejenigen, die eigentlich den "Deutschen Christen" mal wohlwollend gegenüberstanden.

Auch im Naziregime galt. Nur der Erfolgreiche ist gefragt. Der "Erfolg" indes verließ zusehends die "Deutschen Christen". Und die Skandalisierung trat dann mit besagter Sportpalastkundgebung und den Folgewirkungen ein. War schon so mancher Kirchenmann, vor der "Sportpalastkundgebung" ziemlich hoch auf der "Wutpalme" hochgeklettert, bewirkte diese Kundgebung nun, das auch noch die allerhöchste Spitze der "Wutpalme" erklommen wurde.

Auch das Naziregime konnte nun - widerwillig - nicht länger mehr seine Augen vor diesem Umstand verschließen. Es musste notgedrungen, die vorherige staatliche Protektion der "Deutschen Christen" zurückfahren, da man auch Naziseitig einsehen musste:
Denen ist aber kein tatsächlicher Erfolg beschieden.
Symptom dieser veränderten Gemengelage, war dann Anfang 1934 die Einladung etlicher Kirchenführer zu einem Empfang bei Hitler.

Unter den Eingeladenen auch einer der Wortführer der Opposition gegenüber den "Deutschen Christen", der schon genannte Martin Niemöller. Mit dem allerdings spielten die Nazichargen dann noch ein spezielles "Spiel".
Bei besagtem Empfang verlas dann der mit anwesende Göring, ein abgehörtes Telefonat von Niemöller.
Ergebnis: Sämtliche anwesende Kirchenführer, "schissen sich nun vor Angst in die Hosen" (bildlich gesprochen). Keiner wagte es, sich bei diesem Anlass, mit dem dann doch wohl arg mitgespielt wordenden Niemöller, zu solidarisieren.
Mit diesem Eklat ging dann dieser Empfang zu Ende, und die theoretisch angedachte "Versöhnung" der feindlichen Gruppen rückte noch in weitere Ferne.
Damit war für das Naziregime der Punkt erreicht, vorherige Protektionen von Teilen der Religionsindustrie, nunmehr endgültig ad acta zu legen.

Noch Jahre danach, geisterte auch in Nazikreisen, bem Erinnerungsschwelgen jener Ekltat umher.
Rosenberg etwa notierte unterm 19. 1. 1940 in seinem Tagebuch dazu:

"Der Führer schilderte dann den Empfang der Kirchenführer, auf dem die "Bekenntnistreuen" und die "deutschen Christen" sich vor seinen Augen fast wegen der Deputate geprügelt hätten. Er ahmte dann die salbungsvollen Redensarten Niemöllers nach, dessen vorheriges im Matrosenjargon (geführtes) Telefongespräch der Führer sogleich verlesen ließ: Folge peinliches Zusammensinken der Brüder.

Jetzt schlug die Stunde allerlei religionskritischer Strömungen, (außerhalb der sozialistisch orientierten Kreise), die nun Morgenluft wittern konnten.
Unter diesen Gruppierungen auch (und keineswegs an letzter Stelle), die Ludendorfferianer.
Waren die zwar nach dem mißglückten Hitlerputsch der 1920er Jahre auch in zunehmende Opposition zu den Nazis geraten, so basierte diese Opposition, eher in der unterschiedlichen Bewertung, wie die Tagespolitik auszusehen haben. Weitaus weniger indes in weltanschaulichen Belangen.

Beide: Nazis und Ludendorfferianer waren beispielsweise militante Antisemiten. Die Ludendorfferianer vielleicht sogar noch ein "Zacken schärfer" als die Nazis, und dass will schon einiges heißen.
In dieser Gemengelage, dass dem Naziregime der Kirchenkampf zusehends zu schaffen machte (namentlich seine Kommentierung im Ausland), bekamen auch die Ludendorfferianer wieder mehr Spielraum.

"Hohepriesterin" jener Truppe die famose Mathilde Ludendorff (geborene Spiess). Die strotze förmlich vor Selbstgefälligkeit über ihre "überragende Bedeutung", die man berechtigt, durchaus anders sehen kann.
Zu ihren Kindheits und Jugenderinnerungen gehörte dann auch die, das ihr Vater als Übersetzer der Schriften des Dreieinigkeitskritkers Michael Servet (er übersetzte noch weiteres, etwa von Calvin) in kirchliche Ungnade gefallen war.
War seine Calvin-Übersetzung in kirchlichen Kreisen auch hochgelobt, so schlug nunmehr das Pendel drastisch um, dieweil er dem Calvin-Gegner Servet, die gleiche Aufmerksamkeit widmete.

Betrafen diese Vorgänge die junge Mathilde Spiess auch noch nicht direkt, so hatten sie sicherlich auch eine indirekte Auswirkung bei ihr.
Es wurde schon erwähnt beim Thema "Freidenker", es gab da verschiedene Strömungen (keineswegs nur die sozialistisch orientierte).
Als sich nun (in Stichworten) im Gefolge der Linie Charles Darwin - Ernst Haeckel eine weitere Freidenkerströmung organisatorisch festigte (ohne sozialistische Tendenz), der sogenannte "Monistenbund", da gehört die junge Mathilde mit zu den ersten, die in diesen Verein eintraten. Und sie realisierte um diese Zeit auch, ihren eigenen Kirchenaustritt.

Später ist sie dann wieder aus dem Monistenbund ausgetreten, da wie sie wähnte, selbiger zunehmend eine "jüdische Führerschaft" bekam (eine These die durchaus angezweifelt werden kann, was aber hier jetzt nicht weiter referiert werden kann.)

Jedenfalls und das steht unfraglich fest, waren so etwa ab 1934, die Ludendorfferianer die vielleicht bedeutendste kirchenkritische Gruppierung, die sich außerhalb der geächteten Freidenker, auch weiter artikulieren konnten.
Um diesen Kreis sammelten sich einige weitere Persönlichkeiten, denen man eher unrecht tut, will man sie mit dem Ludendorffschen Antisemitismus pauschal stigmatisieren.

Unter denen auch ein vormaliger katholischer Priester namens Franz Griese. Dessen Biographie weiter zu beschreiben erspare ich mir. Ein Blick in die Wikipedia zu seinem Namen, kann da weiteres mitteilen.

Mir geht es hier und jetzt nur um eines. Um die Zitierung einer 1936 erschienenen Schrift des Herrn Griese. Auf Seitenangaben der Zitierung verzichte ich. Selbige sind fallweise durchaus nachweisbar. Ihr etwas geschraubter Titel:
"Der große Irrtum des Christentums:
nachgewiesen durch einen Priester".
Nun, dass er selbst mal katholischer Priester war, ist ja bereits notiert worden.
Ziemlich am Ende seiner Ausführungen liest man auch den Satz:

"Um jedem Einwurf zu begegnen, müßte diese Einzeldarstellung auf ein ganz ähnliches Ereignis hinweisen, das sich in unsern Tagen ereignet hat: ich meine die Prophezeiungen des Gründers und Leiters der "Ernsten Bibelforscher" Russell und Rutherford, die ebenfalls verschiedentlich das Weltgericht verhießen."

Damit kann deutlich werden, dass auch eine gewisse Relevanz für die hiesigen Thematiken gegeben ist.
Und er fügt daran noch den weiteren Satz mit an:

"daß Prophezeiungen, die das Weltgericht aufs Jahr festlegten, und sich natürlich nicht erfüllten, selbst in neuester Zeit möglich waren, ohne daß deshalb die Gläubigen den Propheten den Rücken gekehrt hätten.
Wieviel mehr mag solches zu einer Zeit möglich gewesen sein, wo die Erkenntnis noch in den Kinderschuhen stak."

Und genau dieser Zeit "der Kinderschuhe" widmet er in seinen Ausführungen das eigentliche Augenmerk.
Einleitend schon doziert er:

"Hieraus ergibt sich ohne weiteres, daß das ganze Christentum auf einer ungeheuren Täuschung aufgebaut ist, die, falls der Urheber sie als solche erkannt hätte, einen religiösen Betrug schlimmster Art darstellt; falls er aber unbewußt sie aussprach, als eine Selbsttäuschung bezeichnet werden muß, die die Person Christi in den Augen jedes unvoreingenommenen Menschen völlig unmöglich macht."

Und weiter sagt der Autor über sich selbst:

"Als ich mich von der Kirche trennte, blieb ich zunächst noch Christ. Da aber die andern bestehenden christlichen Kirchen mehr oder weniger ebenfalls sich im Irrtum befanden, wollte ich mir ein eignes Christentum bauen, und zwar auf Grund eines eingehenden Studiums der Person Christi und seiner Lehre. Dabei stieß ich nun zuerst auf die Frage von der Gottheit Christi, die ich einwandfrei beweisen wollte, zumal mich alle bisherige Lektüre darüber unbefriedigt gelassen hatte.
Damals war es als die Prophezeiung von seiner nahen Wiederkunft mich endgültig davon überzeugte, daß Christus nicht Gott war noch ist.
Es wird mir schwer, den ungeheuren Eindruck zu schildern, den diese Entdeckung auf mich gemacht hat. An dem Tage sagte ich dem ganzen Christentum Lebewohl, obwohl ich noch nichts an seine Stelle zu setzen hatte."

Und weiter Griese:

"Haben wir eine Tatsache, die uns in der einwandfreisten Weise bezeugt, daß Christus sich mit seiner immer und immer wiederholten Prophezeiung vom nahen Weltende so gründlich - gelinde gesagt - geirrt hat, daß jedweder Anspruch auf Gottgleichheit oder Gottähnlichkeit zu einem wahren Hohn und Spott wird. Je öfter ich heute das Neue Testament zur Hand nehme, um so mehr erkenne ich, daß das gesamte Lehrgebäude Christi sich auf diese seine Prophezeiung vom nahen Weltende gründet und daß hier die verborgene Triebkraft zu suchen und zu finden ist, wenn man sich erstaunt fragt, wie so die Lehre Christi eine so über Erwarten rasche Verbreitung fand. ... Es ist mir aber persönlich ganz und gar unmöglich, jemand auch nur als gottgesandten Religionsstifter anzuerkennen, der seine ganze Lehre auf eine Verheißung stützte, von der sich nachträglich erwiesen hat, daß sie sein größter Irrtum war."

Und weiter kommentiert er:

"Was die Millionen erster Christen, die damals im Glauben an Jesu baldige Wiederkunft und ihrer eigenen, damit verbundenen Auferstehung Gut und Blut unter den grausamsten Qualen gelassen haben, was diese Millionen sich heute zu der Nichterfüllung jener Verheißung sagen würden, entzieht sich meiner Kenntnis; ich selbst würde in gleicher Lage nur tiefste Entrüstung über eine derartige Handlungsweise empfinden können.

Man komme da nicht mit der Ausrede, daß die Märtyrer gleich nach ihrem Tode in den Himmel eingegangen wären und so den Lohn für ihre Leiden sogleich erhalten hätten. Das wäre erstens kein Entschuldigungsgrund für eine falsche Prophezeiung, und zweitens war es auch nicht die Anschauung der damaligen Zeit.
Vielmehr glaubten die ersten Christen, daß auch die Toten bis zur Wiederkunft Christi zu warten hätten und beim letzten Posaunenschall erst wiedererweckt werden müßten, um so mit Christus nach dem Weltgericht in das Reich einzugehen. Das geht aus allen diesbezüglichen Texten, vor allem bei Paulus unwidersprochen hervor."

Und weiter kommentiert er:

"Ja, meine lieben Ex-Konfrates, da kann einem der helle Schweiz vor Glaubenszweifeln aus der Stirne brechen, wenn man sieht, daß alles ganz anders ist, als die Theologie es einem hat glauben machen.
Vor allem aber sollte hier der ganze zweite Brief Petri herangezogen werden, von dem ich zu meiner größten Überraschung feststellen mußte, daß er einzig und allein dieses Thema behandelt, und zwar mit dem deutlich ausgesprochenen Zwecke, die Christen über das Ausbleiben ihres Meisters hinwegzutrösten und sie erneut seiner baldigen Ankunft zu versichern."

Auch noch dieser Kommentar von Griese:

"Am besten gefällt mir der gelehrte Bruder Paulus, der eigentlich am meisten Lärm über Christi Wiederkunft geschlagen hat und dessen Worte über diesen Gegenstand, obwohl sie klar wie Wasser sind, von Petrus als dunkel und schwerverständlich bezeichnet werden, woraus sich dann erklärt, daß ungelehrte und schwankende Menschen (ob hier wohl die Theologen gemeint sind?) sie zu ihrem Verderben mißbrauchen.
Wahrhaftig, wenn das die Leute sind denen man Glauben schenken soll, und die sich uns als Kronzeugen der Wahrheit der Wunder und der Lehren Christi verstehen, dann hat man allen Grund, an ihrem Evangelium zu verzweifeln."

Individualbiographien verlaufen selbstredend unterschiedlich. Zeit und Umstände spielen auch ihren nicht unwesentlichen Part dabei.
In gewisser Hinsicht erinnert mich der Fall Griese, an den Fall Albert Schweitzer, der auch meinte das Selbstbelügungsunternehmen Christentum, nur dadurch beherrschen zu können, das er als gestandener Doktor der Theologie, noch ein zweites Studium (der Medizin) absolvierte.

Und um überhaupt dann noch im kirchlichen Umfeld weiter tätig sein zu können; den Geschäfts-Christen das Versprechen abgeben musste, bezüglich seiner theologischen Erkenntnisse, "Stumm wie ein Karpfen sein zu wollen."

In der 1932 erschienenen Schrift von Kurt Hutten mit dem Titel: "Um Blut und Glauben. Evangelium oder völkische Religion?" definiertte selbiger beispielsweise:

"Denn der Tannenbergbund (einer der damaligen Namen für die Ludendorfferianer), der auch hier einer der lautesten Rufer im Streite ist, befindet sich selbst auf dem besten Weg zu einer dogmatischen Fixierung der Lehre Mathilde Ludendorrfs."

Diese Einschätzung wird man auch heute noch zustimmen müssen.
Gleichwohl "singt" Griese in den verwendeten Zitaten, keineswegs das Hohelied der Ludendorff. Insoweit ist unabhängig von der Ludendorff bewertbar. Desweiteren liegt er eher auf der Linie eines Albert Schweitzer, bei den hier thematisierten. Es gilt also das Anrüchige, durchaus vom substanziell sachlichen, zu unterscheiden.

Es ist nicht zu verkennen, dass solcherlei Thesen, wie auch die von Griese, ganze Divisionen von "Wegerklärern" mobilisiert hat. Auch Albert Schweitzer hatte als eine Kardinalbibelstelle jene aus Matthäus 10: 23 herausgestellt:

"Wahrlich sage ich euch, ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende sein, bis der Menschensohn kommt".

Ein Beispiel diesbezüglicher Wegerklärungskunst, kann man auch der 1916 erschienenen Schrift eines Herrn Karl Weiss mit dem Titel:
"Exegetisches zur Irrtumslosigkeit und Eschatologie Jesu" entnehmen.
Selber belehrt dann unter anderem:

"Man setzt voraus (es) wird von einem baldigen Kommen des Menschensohnes gesprochen; und da mit dem "Menschensohn" nur Jesus selbst gemeint ist, so kündete er damit an, er werde bald zum Weltgerichte wiederkommen. Dies ist aber offenbar bis auf den heutigen Tag noch nicht eingetroffen; also hat er geirrt."

Das aber meint Herr Weiss mit den Worten deuten zu sollen:

"Aber unsers Ermessens handelt es sich darum, zu untersuchen, ob Jesus mit diesem seinem "kommen" wirklich sein Kommen zum Weltgericht gemeint hat, oder ob er ein anderes "kommen" im Auge hatte." (S. 149)

Und man ahnt es schon, Herr Weiss plädiert für letzteres. Er meint zu wissen:

"Wir können demnach feststellen, daß Jesus den Terminus "kommen" und wiederkommen in bezug auf seine Person nicht bloß im eigentlichen, sondern im bildlichen Sinne gebraucht, sein "kommen" ist nur der plastische Ausdruck für die alle Zeiten und Menschen umfassende Bedeutung und Wirksamkeit Jesu.(S. 157)

Mit solchen Sophisten, welche sich ja "gekonnt" in die eigene Tasche lügen, weiter zu disputieren, ist wohl vergebliche Liebesmüh.

Zum Thema Seele noch:
In der theologischen Auseinandersetzung zwischen den Bibelforschern und ihren kirchlichen Kritikern spielte die Bibelstelle in Lukas 23 Vers 43 eine dominante Rolle. Es geht in diesem Text darum das Jesus einen mit ihm gekreuzigten [1] Übeltäter versprochen habe, er werde mit ihm im Paradies sein. Die theologische Streitfrage dabei war die Interpunktion dieses Textes.

Hieß es nun richtig: "Wahrlich ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein."
Oder trifft die Variante zu: "Wahrlich ich sage dir heute: Du wirst mit mir im Paradies sein."
Die Kirchen entschieden sich im allgemeinen für die erste Variation, während die Bibelforscher eindeutig der zweiten Variante den Vorzug geben. Dieser Streit hat grundsätzliche Bedeutung. Würde es zutreffen, dass die Interpretation: "ich sage dir heute" zutreffend ist, beinhaltet dies, dass Paradies als zukünftige Möglichkeit. So deuten es auch die Zeugen Jehovas. Hingegen: "Heute wirst du mit mir im Paradies sein" beinhaltet die Himmel-Hölle Lehre, von der nach dieser Lesart alle beim Tode betroffen sein würden.

Die Auslegung der Zeugen Jehovas fand bei den Kirchen nur wenig Gegenliebe, wie überhaupt dort eine "Aktualisierung" von Endzeiterwartungen (wie bei den Zeugen Jehovas) nicht die Regel ist. Folglich wurde auch ihre Darstellung abgelehnt.
Es gibt aber auch Ausnahmen. Das wären dann kirchliche Kreise, die Endzeiterwartungen des Urchristentums positiv bewerten und einer "Aktualisierung" nicht unbedingt grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen.

Ein solcher Fall liegt bei Ludwig Reinhardt vor. Im Jahre 1878 hatte er eine eigene Bibelübersetzung vorgelegt. [2] Reinhardt vertrat Positionen, wie sie auch von den Bibelforschern vertreten werden:
"Für uns und unsere Zeit ist aber die Erkenntnis von höchster Wichtigkeit, dass die der ganzen Bibel zugrundeliegende Welt- und Lebensanschauung eine der kirchlichen Orthodoxie nicht nur völlig fremde, sondern ihr geradezu entgegengesetzte ist. Der einseitige und verkehrte Spiritualismus unserer Kirchen, gegen welche sich eine immer gewaltigere und teilweise berechtigte materialistische Bewegung erhoben hat, ist nicht biblisch, sondern stammt aus der platonischen Philosophie, welche von den Kirchenvätern der Bibel und kirchlichen Orthodoxie unbewusst untergeschoben und auch die Reformatoren noch völlig beherrschte." [3]

Zu dem fraglichen Bibeltext äußert er: "Die jetzt übliche Interpunktion dieser Stelle ist ohne allen Zweifel falsch und konnte nur darum aufkommen und zur Herrschaft gelangen, weil die katholische Theologie der platonischen Welt- und Lebensanschauung huldigte." [4]
Es lag in der Konsequenz von Reinhardts Auffassung, dass er sich dazu durchrang die Sozialdemokratie unbefangener zu beurteilen, als dies bei anderen kirchlichen Kreisen der Fall war: "Das wahre Christentum und die ideale Sozialdemokratie sind also an sich keine unversöhnlichen Gegensätze, sondern sie sind vielmehr, wie Ursache und Wirkung, Seele und Leib usw. die beiden einander bedingenden Seiten einer und derselben Sache, nämlich der gerechten und göttlich gewollten Gesellschaftsordnung." [5]

Genau diese Auffassung vertrat auch die frühe Bibelforscherbewegung, angereichert mit Endzeitdatenspekulationen. Letzteres ist bei Reinhardt nicht der Fall.
Reinhardt erlangte nicht die Breitenwirkung wie die Bibelforscher. Aber die konservativen Gegner verschiedener Couleur registrierten aufmerksam, dass beide Bibelforscher wie Reinhardt, den politischen Bestrebungen der Sozialdemokratie nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstanden. Da die Bibelforscher Öffentlichkeitswirkung erzielten, lag es in der Konsequenz, dass die Konservativen innerhalb und außerhalb der Kirchen sich auf die Bibelforscher einschossen.

Es ist interessant festzustellen, dass Reinhardt auch in Korrespondenz zu einigen Bibelforschern stand. In dem Schreiben vom 16. 1. 1908 an einen amerikanischen Bibelforscher teilt er mit, dass er von Russells "Schriftstudien" zu diesem Zeitpunkt schon die Bände 1 bis 5 (in Englisch) zur Kenntnis genommen habe.
Es war sicher "Balsam für die Seele" der Bibelforscher, wenn Reinhardt sein Schreiben mit den Worten ausklingen ließ: "Die mir zugesandten Zeitungsabschnitte sende ich Ihnen anbei zurück. Sie haben mich recht interessiert, besonders diejenigen, worin sich die Katholiken für ihre Hölle wehren. Ohne Hölle hat die katholische Priesterschaft verlorenes Spiel, darum fahren Sie nur fort, tapfer gegen diese altheidnische Irrlehre zu kämpfen; mit ihr steht und fällt alle widergöttliche Priesterherrschaft. … Bitte, grüßen Sie Br. Russell recht herzlich von mir und seien Sie mit ihm und Ihrem ganzen Werke der reichen Gnade unseres Gottes und Heilandes empfohlen. In brüderlicher Liebe. L. Reinhardt." [6]

Wesentliches Element der Russellbewegung ist, dass sie zwar für den kirchlichen Sakramentalismus wenig Verwendung hat, dass sie aber andererseits dafür "Gott auf den Thron" wieder erheben möchte. Oder um es mit Feuerbach zu formulieren:"Wo aber die Vorsehung geglaubt wird, da wird der Glaube an Gott von dem Glauben an die Vorsehung abhängig. Wer leugnet, dass eine Vorsehung ist, leugnet, dass Gott ist oder - was dasselbe - Gott Gott ist; denn ein Gott, der nicht die Vorsehung des Menschen, ist ein lächerlicher Gott, ein Gott, dem die göttlichste, anbetungswürdigste Wesenseigenschaft fehlt." [7]
Was den Glauben an eine göttliche Vorsehung oder Weltregierung anbelangt, so begegnet man ihm nicht "nur" in christlichen Kreisen. Abgesehen von einem Hitler, der seine politischen Entscheidungen auch als von der "Vorsehung" inspiriert darzustellen beliebte, sind auch andere Beispiele außerhalb des Christentums belegt.

Ein klassisches Beispiel war das Orakel des Königs Krösus (letzter König von Lydien, 560-546 v. u. Z.). Er bekam durch die Phytia im Apollo-Tempel zu Delphi auf seine Anfrage hin die Auskunft, "wenn er den Halys (Fluss zwischen Lydien und Persien) überschreite, werde er ein großes Reich zerstören." Lukian von Samosta (120 bis 180 u. Z.) setzte sich mit diesem Fall auseinander:

"Sprich mir nicht von den Orakeln, mein Bester, oder ich werde dich fragen, an welches du dich am liebsten erinnern lassen willst: ob an das, dass der delphische Apollo dem Könige von Lydia gab und das so doppelgesichtig war wie gewisse Hermon, die einem das Gesicht zuwenden, man mag sie nun von vorn oder von hinten betrachten - denn wie wusste nun Krösus, ob er nach dem Übergang über den Fluss Halys das Reich des Cyrus oder sein eigenes zugrunde richten würde? Und gleichwohl bezahlte der unglückliche Fürst diesen doppelsinnigen Vers mit vielen Tausenden." Indem nach Anfangserfolgen sein eigenes Reich zerfiel und somit zerstört wurde. [8]Nicht nur Reinhardt stand dem konventionellen Christentum kritisch gegenüber. Auch für Albert Schweitzer beispielsweise, war die intensive Beschäftigung mit diesen Fragen, zu einer existentiellen Frage geworden. Im Gegensatz zur herrschenden Zeitmeinung hatte Schweitzer in einer "Geschichte der Leben Jesu Forschung" herausgearbeitet, dass bereits im Urchristentum starke Endzeiterwartungen kultiviert wurden, die sich schon damals als Irrtum erwiesen. [9] Mit solchen Thesen verbaute der Pastorensohn Schweitzer sich eine weitere theologische Laufbahn. Er vermochte diesen Konflikt nur dadurch zu lösen, dass er noch das Wagnis eines medizinischen Zusatzstudiums auf sich nahm um als Arzt in Afrika zu wirken. Auch dort war man, ob seiner theologischen Erkenntnisse, nicht gerade "erbaut" über ihn. [10]

--------------------------------------------------------------

Er war mal maßgeblicher Mitarbeiter der "Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen", als die noch ihren Sitz in Stuttgart hatte. Dann fällte diese Kirche die Entscheidung, dieses Institut wird ins "heidnische Berlin" verlegt. Nicht jeder ihrer Mitarbeiter war über diese Entscheidung "glücklich". Weiß man doch, dass kleinere Religionsgemeinschaften (ein Hauptthema dieses Institutes) in Baden Württemberg, geschichtlich bedingt, in weit relevanterem Umfang anzutreffen sind, als wie im "halbheidnischen" Berlin, dessen Ostteil während der DDR-Zeit auch eine spürbare Entkirchlichung erfuhr.

Indes trotz Protestes einiger Mitarbeiter der EZW blieb es bei der Entscheidung. Maßgebliche Überlegung bei den Kirchenoberen, Berlin nimmt wieder Hauptstadtfunktionen war. Und auch aus lobbyistischen Gründen, wolle man doch lieber in der Nähe der politischen Entscheidungsträger sein. Des einen Freud, des anderen Leid. So auch in diesem Fall. Jedenfalls machte der zeitweilig für die Zeugen Jehovas in der EZW zuständige Werner Thiede den Umzug nicht mit. Er zog es vor, lieber seinen Dienst bei der EZW zu quittieren und sich in der Württembergischen Landeskirche nach einer ihm geeignet erscheinenden Stelle umzusehen. Damit ist die Phase, dass man Thiede als besondere "Kapazität" in Sachen Zeugen Jehovas anredete, mehr oder weniger zum Abschluss gekommen.

1994 war es noch nicht so weit. Da hatte er noch was in Sachen Zeugen Jehovas zu sagen. Einiges davon hat er so "lautstark", unter faktischem Ausschluss der relevanten Öffentlichkeit gesagt, dass man fast sicher sein kann, es wurde nicht gehört.

Denn wer tut es sich schon an, eine weitgehend außerhalb des Buchhandels erscheinende "Festschrift", die Querbeet viele Themen abhandelt, einmal zu sichten? Wohl kaum einer. Kaufen werden solch ein Exemplar die allerwenigsten. Und bestenfalls greift der eine oder andere "Experte" mal gelegentlich auf ein Bibliotheksexemplar davon zurück, sollte ihm der ihn interessierende Aufsatz, darin mal bekannt werden.

Also Thiede kann sicher sein. Zielstellung: Veröffentlichung unter weitgehenden Ausschluß der Öffentlichkeit - erreicht. Zudem die gewählte Überschrift: "Gnostisierende Fundamentalisten? Zur Mythologie der Zeugen Jehovas"
ist kaum geeignet, einen "Run" auf diesen Aufsatz auszulösen. Schon bezeichnend, dass er seine Überschrift einer anderen Theologenpublikation entnahm, und demjenigen, der dieses Wortungetüm kreierte Oberflächlichkeit bescheinigte. Das kann man nur bestätigen.

Wenn das oberflächlich ist; warum übernimmt es dann Thiede, muss man weiter fragen. Eine plausible Antwort darauf ist er jedenfalls schuldig geblieben. Offenbar erschien ihm das als geeigneter Aufhänger, um einmal zu zwei Kernthesen der Zeugen Jehovas etwas näher Stellung zu beziehen.
Bekanntlich hatte es Russell die Lehre von der "Feuerhölle" besonders angetan. Und er hielt sich auch viel darauf zugute, auf sie seinen "Wasserstrahl" gehalten zu haben. Gleichfalls schon seit Russells Tagen, die Ablehnung des Glaubens an eine "Seele".

Sichtet man einschlägige "Publikumsbücher" zum Thema Zeugen Jehovas, die von "gestandenen Theologen" verfasst wurden, fällt schon mal auf, dass um diese beiden Thesen ein großer Bogen des Schweigens gezogen wird. Ist das nicht der Fall, dann eher hilfloses Gestammel. Oder auch das gibt es. Ideologische Rückkehr ins Mittelalter, und von dieser Basis die ZJ "widerlegend". Letztere sind aber doch wohl eher eine Randgruppe. Dominierend drängt sich der Eindruck des "großen Schweigens" bei der Theologenzunft aus. Offenbar aber mit einer Ausnahme, besagtem Herrn Thiede. Der hat doch tatsächlich mal in einer Festschrift (die Otto Normalverbraucher nie lesen wird), dazu Stellung genommen. Welch "großer Fortschritt".

Wie aber "löst" Thiede das Problem? Nun er verkündet vollmundig:
"Diesen Widerspruch gegen eine in der Kirche zumindest noch im vorigen Jahrhundert verbreitete Höllenpredigt halten die ZJ bis heute aufrecht - wobei sie freilich bei vielen Theologen inzwischen offene Türen einrennen. In der Tat wird kaum jemand, der eine ewige Hölle theologisch auch nur für möglich hält, den Grausamkeiten der Harmagedon-Botschaft überzeugend entgegentreten können."

Hört, hört, kann man da nur sagen.
Er weiss weiter zu sagen:
"Kirchliche Eschatologie sollte sich durch die Botschaft von der größeren Liebe und nicht durch die vom größeren Zorn Gottes abgrenzen von den 'Propheten der Angst'"
.
Es liegt mir fern, die Höllenlehre "verteidigen" zu wollen. Mir drängt sich aber im Gegensatz zu Thiede der Eindruck auf, auch in Kenntnis der "Petrusapokalypse", die auch Thiede als Universitätstheologen nicht unbekannt sein dürfte (auch wenn sie in späteren Jahrhunderten den "Neutestamentlichen Apokryphen" zugeschlagen wurde). Mir drängt sich jedenfalls der Eindruck auf. Im Urchristentum wurde das durchaus real als Feuerhölle verstanden.

Davon setzen sich nun die "liberalen", die Universitätstheologen heutzutage mehr kleinlaut ab. Ihnen geht es ja nur um eines. Um die Aufrechterhaltung ihrer jeweiligen Organisationen. Der Wahrheitsgehalt einer Aussage, mutiert in diesem Kontext zum Spielball.

Interessant auch wie sich Thiede in Sachen Seelenlehre windet. Zitat:

"Gänzlich ungnostisch fällt hingegen die Haltung zur Frage der Unsterblichkeit aus. Die vor allem von katholischer Seite tradierte Lehre von der Unsterblichkeit der Seele wird hier in einer Weise korrigiert, die durchaus Luthers Beifall finden könnte: Zu reden sei vom bewußtlosen Schlaf der Seele bis zur Auferstehung. Der 'Wachtturm' … zitiert denn auch als Beleg die berühmte Studie des evangelischen Neutestamentlers Oscar Cullmann mit dem Titel 'Unsterblichkeit der Seele oder Auferstehung der Toten?' (1989), um allerdings sogleich wieder pauschal auf den Vorwurf zu verfallen: 'Die Kirchen der Christenheit glauben an die Unsterblichkeit der Seele …' (WT 1. 5. 1990, S. 26).

In Wahrheit gehören in den evangelischen Konfessionen unserer Zeit die Anhänger der Lehre von der Seelenunsterblichkeit, namentlich im Sinne eines wachen 'Zwischenzustandes', eher zur Minderheit."

Um nicht falsch verstanden zu werden. Es geht hier nicht um Verteidigung der Höllen- oder Seelenlehre. Die wird meinerseits nicht erfolgen. Stören tut mich eigentlich nur die "Kaltschnäuzigkeit", wie hier ein ideologischer Bankrott, als der "allerneueste Schrei" verkauft wird.

Parsimony.7191

Der 1999 verstorbene Theologieprofessor Oscar Cullmann hatte im Jahre 1962 (auch in Deutsch) einmal eine Schrift veröffentlicht mit dem Titel:
"Unsterblichkeit der Seele oder Auferstehung der Toten?"
Schon in seinem Vorwort erwähnt er:
"Keine einzige meiner Veröffentlichungen hat so lebhafte Reaktionen ausgelöst wie diese: auf der einen Seite Begeisterung, auf der anderen Seite schroffe Ablehnung.
Einen dieser Leser hat mein Artikel zu folgender bitteren Betrachtung veranlaßt: 'Unserem Volk, das stirbt, weil es das Lebensbrot nicht hat, bietet man Steine statt Brot an, sogar Skorpione.'"

Dieses harte Votum kam deshalb zustande, weil Cullmann zu dem Resultat gelangte:
"'Die Unsterblichkeit der Seele'. In dieser Form ist diese Meinung jedoch eines der größten Mißverständnisse des Christentums. Es hilft nichts, diese Tatsache zu verschweigen oder sie durch willkürliche Umdeutungen, die dem Text Gewalt antun, zu verschleiern."
Und weiter:

"Die Antwort auf die Frage. 'Unsterblichkeit der Seele oder Auferstehung der Toten?' im Neuen Testament ist somit eindeutig, Die Lehre des großen Sokrates, des großen Plato läßt sich mit derjenigen des Neuen Testaments nicht in Einklang bringen."
Auch Cullmann räumt de facto ein, dass schon die Urchristen wähnten, die ersten und zugleich letzten Christen zu sein. Weil diese Erwartung aber nicht eintraf, weil die Funktionäre der sich bildenden Kirche ihren "Laden am laufen halten wollten", gewann die Seelenlehre zunehmend an Bedeutung. Dies alles ändert nichts an der Tatsache, dass gemessen an den Aussagen des NT, eine Lehre einer "fortbestehenden" Seele nach dem Tode, nicht gedeckt ist. Dies sprach auch Cullmann aus und erntete, auf seiten der Gemeindetheologie einen Sturm der Entrüstung. Dieweil deren Erwartungshorizont eben nicht mit dem wissenschaftlichen Forschungsergebnis übereinstimmt

http://www.manfred-gebhard.de/Cullmann.jpg

Ein weiterer Exkurs:

Der „Wachtturm" vom 15. 3. 1958 zitiert:
„Schon vor dem zweiten Weltkrieg schrieb der Missionar und Arzt Dr. Albert Schweitzer in seinem Buch 'Das Christentum und die Weltreligionen':
'Schwere Demütigung wartet unser aller, die wir draußen das Evangelium predigen.
'Wo ist denn eure ethische Religion?' fragen sie uns, ob es Primitive des Urwaldes sind oder Gebildete des fernen Ostens [und Afrikas]. Was das Christentum als Religion der Liebe geleistet hat, gilt als ausgelöscht dadurch, daß es nicht stark genug war, die christlichen Nationen zur Friedfertigkeit zu erziehen, und daß es im Kriege selber sich noch mit so viel weltlicher und häßlicher Gesinnung vergesellschaftete, ja keine noch sich noch nicht von ihr losgerissen hat. In grausiger Weise ist es dem Geiste Jesu untreu geworden ... Wir sind so tief gefallen, weil wir es uns zu leicht vorstellten, den Geist Jesu zu besitzen."


Nun kann man wohl niemand daran hindern, andernorts entlehnte Zitate zu bemühen. Das gilt dann wohl auch in diesem Falle. Dennoch muss die Frage gestattet sein, ob denn der Zitierer, in diesem Falle die WTG, ein besonderes Recht hätte, sich auf Albert Schweitzer zu berufen?

Kurze aber klare Antwort: Dieses Recht sehe ich in moralischer Wertung, als nicht gegeben an!

Warum? Schon aus dem Grunde, dieweil Albert Schweitzer in vielfacher Hinsicht, ein Gegenpol zur WTG ist.

Warum? Nun Schweitzer wollte ursprünglich Theologe werden, vielleicht sogar Universitätstheologe, der weiteren theologischen Nachwuchs ausbildet. Dieser Zielstellung gemäß begann er einschlägige Studien, mit der erreichten Zielstellung, eine Dissertation zum Erwerb des Doktorgrades zu schreiben.

Nun trat aber etwas ein, was er vor Beginn vorgenannter Laufbahn, sich selbst nicht hätte erträumen lassen. Im Verlauf seiner Studien wurde es ihm immer mehr klar. Das Christentum hat noch ein Versäumnis. Es hat noch nicht seinen Offenbarungseid, seinen ideologischen Bankrott erklärt. Das alles kann man in seinem sehr empfehlenswerten Buch zur „Geschichte der Leben Jesu Forschung" nachlesen. Insbesondere arbeitet er darin den eschatologischen Grundcharakter des Urchristentums, und dessen Scheitern mit heraus.

Von Erziehung und Herkommen war aber Schweitzer durchaus im konventionellen Sinne „religiös" geprägt. In Erkenntnis seiner eigenen Einsichten, stand er vor einer Weggabelung. Soll er nun mit wehenden Fahnen sich zum Atheisten erklären?

Diese Konsequenz schloss Schweitzer für sich selbst ausdrücklich aus. Er meinte insbesondere die „christliche Ethik" („Religion der Liebe" - in der Theorie), weiter hochhalten zu sollen und zu können. Allerdings nahm er dann noch eine Zäsur in seinem weiteren Lebensweg vor. Obwohl bereits gestandener Theologe, mit einem theologischen Doktortitel, begann er noch ein zweites, ebenfalls erfolgreich beendetes Studium, als Arzt. Arzt hingegen wollte er nicht im medizinisch (relativ) gut versorgten Europa sein. Nein, besonders dort, wo die diesbezügliche Not am grössten. Also (unter anderem) in Afrika.

Schweitzers Weg erzwingt durchaus Hochachtung. Wenn schon - wegen seiner theologischen Einsichten - eine weitere Universitätslaufbahn ihm verwehrt war. Für's reguläre Pfarramt (und sei es notfalls auch nur als Dorfpfarrer), hätte es allemale gereicht. Eine wirklich existenziell zwingende Notwendigkeit zu diesem zweiten Arztstudium bestand so nicht. Es war seine freie Entscheidung dies zu tun. Wesentlich motiviert eben von der vermeintlich „christlichen Ethik".

Was hingegen tut und postuliert die WTG. Bis zum Erbrechen ist ja ihre Parole bekannt: Predigen, predigen und nochmals predigen.

Eigene karitative Tätigkeit? Fehlanzeige. Das geht dann so weit, dass in einem ihrer „Königreichsdienste" von Anfang 2008, in gewundenen Worten ihrer Anhängerschaft auch zugestanden wird, notwendigen Krankenhausaufenthalt, oder Aufnahme in ein Altenheim, auch unter der Konstellation zu akzeptieren, das der Träger solcher Einrichtungen eine „babylonische" Kirche sei. Zwar nicht gern gesehen, und von der Abwägung aller Umstände im Einzelfall abhängig gemacht. Aber doch nicht expressis verbis mit einem Totalverbot belegt.

Nun stehen wohl auch andere Bevölkerungsschichten fallweise vor einem ähnlichem Dilemma. Fühlt sich eine Organisation stark genug, kann man es nicht selten erleben, dass sie versucht, Krankenhäuser, Altenheime, Kindergärten, Schulen usw. in eigener Regie zu betreiben, um so der eigenen Klientel wenigstens ansatzweise ein den eigenen Vorstellungen entsprechendes Angebot zu machen.

Nicht so die WTG. Die schluckt aus Kostenersparnis, selbst relativ ungeliebte „Kröten"

Auch unter diesem Aspekt erweist sich Albert Schweitzer als vielleicht „der" Gegenpol zur WTG-Religion.


Einige Auszüge aus dem Theologischen Werk Albert Schweitzers noch:

Pikant auch, sich das von der WTG zitierte Buch „Das Christentum und die Weltreligionen" einmal näher anzusehen.
Einleitend berichtet Schweitzer darin. Die Entstehung jener Schrift hatte die Ursache, auf Einladung der Quäker („Religiöse Gesellschaft der Freunde") einen Vortrag vor ihnen zu halten.
Auch hier wiederum das Charakteristikum. Die Quäker, welche besonderen Wert auf eine uneigennützige „Religion der Tat" legen (beispielsweise ihre in die Geschichtsbücher eingegangenen „Quäkerspeisungen" nach dem ersten Weltkrieg und anderes mehr). Auch sie erweisen sich als diametraler Gegenpol zur WTG-Religion.

Dann referiert er im weiteren Text, solche Religionskritiker wie Bruno Bauer und Arthur Drews. Nicht um über sie einen „Zerriß" zu formulieren, sondern um den ehrlichen Versuch zu unternehmen, selbige zu verstehen. Auch hierbei ein himmelweiter Unterschied zur Wallstreet-Religion aus Brooklyn/Patterson.

Er leitet dann zu den großen Nichtchristlichen Religionen über. Auch hierbei wiederum charakteristisch sein Bemühen, selbige zu „verstehen". Nicht aber die der WTG zu unterstellende Tendenz. Wenn sie denn schon mal religiöse Konkurrenz zitiert, dann doch wohl nur um selbige „madig" zu machen, auf das man - vermeintlicherweise - im „strahlenden Lichte" bei den Unbedarften erscheinen möge.

Auch solche Schweitzer'sche Sätze darin, wie der nachfolgende, würde die WTG ihrerseits wohl kaum formulieren; wenn Schweitzer da äußert:

„Mit den logischen Religionen des Ostens verglichen ist das Evangelium Jesu unlogisch."

Nun anerkenne ich sehr wohl die Verdienste Albert Schweitzers. Andererseits muss ich mich aber auch von ihm absetzen. Er bewältigt den Christentumsbankrott dergestalt, dass er sich versucht auf eine Art „mystische Linie" zurückzuziehen. Und wenn andere Religionen Mystik predigen, warum nicht auch das Christentum, so sein Tenor.

Symptomatisch dafür ist auch seine nachfolgende Aussage, ebenfalls dem von der WTG zitierten Schweitzer'schen Buche entnommen:


„Wenn Sie das Evangelium verkündigen, hüten Sie sich, es als Religion zu predigen, die alles erklärt. Es wird bei Ihnen in England sein wie bei uns auf dem Festland, daß nämlich die Menschen zu Tausenden und Tausenden an dem Christentum irre geworden sind, weil sie die Greuel des Krieges gesehen und erlebt haben. Vor diesem Unerklärlichen ist die Religion, in der sie Erklärung für alles zu besitzen glaubten, zusammengebrochen.

Zehn Jahre lang habe ich, vor meinem Weggang nach Afrika, den Knaben der Kirche zu St. Nicolai in Straßburg Konfirmandenunterricht erteilt. Nach dem Kriege kamen welche zu mir und dankten mir, daß ich sie so bestimmt gelehrt hätte, daß Religion nicht etwas sei, das alles erkläre. Dadurch seien sie davor bewahrt worden, im Schützengraben, wie so viele, die auf das Unerklärliche nicht vorbereitet waren, das Christentum von sich zu werfen. Wenn Sie predigen, führen Sie die Menschen aus dem Alles-erkennen-Wollen zu dem einen, was not tut, zu dem Wollen des Seins in Gott, durch das wir anders als die Welt und , als aus der Welt Erlöste über allen Rätseln stehen."


Zu diesem „Gewäsch" würde allerdings, und er hat es bereits getan, ebenfalls ein Pfarrerssohn, namens Friedrich Nietzsche kommentieren, weshalb er denn nun das Christentum ablehne.
„Erlöster müssten sie (die Christen) erscheinen" - dieweil sie denn in der Praxis diesen Eindruck keineswegs erwecken (sinngemäß zitiert).

Beispiel Tertullian

Alfred Adam bescheinigt in seinem "Lehrbuch der Dogmengeschichte":

"Der zweite große Theologe der frühkatholischen Zeit ist Tertullian."

Karlheinz Deschner meint in seinem "Und abermals krähte der Hahn" ebenfalls, er sei

"der erste große lateinische Kirchenschriftsteller, der Schöpfer des institutionellen Kirchenbegriffs."

Und weiter Deschner, die Kirche sei

"für ihn nicht mehr nur eine Heils-, sondern auch eine Gesetzesanstalt, eine Institution der Disziplin, ja "ein militärischer Verband".

Nicht mit Unrecht habe man daher Tertullian den "Begründer des Katholizismus genannt."

Aber: "zu den zahlreichen Paradoxien der Kirchengeschichte gehört es, daß Tertullian kein Katholik geblieben ist.

Er erkannte die Gefahr der durch Ihn begründeten institutionellen Kirchenauffassung und schwor der Orthodoxie im Alter ab.

Er ging ins Lager der Montanisten über, aus dem rabiaten Ketzerbekämpfer wurde ein begeisterter Ketzer,

aus dem fanatischen Verteidiger kirchlicher Traditionen ein glühender Gegner derselben."

Zum ideologischen Umfeld des Übertritts zu den Montanisten, gehört dann wohl auch das, was Martin Robbe in seinem

"Der Ursprung des Christentums" wie folgt zusammenfasst:

"Auch an anderen Orten lebte die Erwartung des baldigen Weltendes auf. In der Landschaft Pontus verkündete

ein Bischof seiner Gemeinde die ihm zuteil gewordene Offenbarung, daß das Weltgericht innerhalb eines Jahres kommen werde,

woraufhin alle ihr Hab und Gut verschleuderten, die Äcker brachliegen ließen und in Furcht und Zittern den jüngsten Tag erwarteten.

In Syrien zog ein Bischof mit seiner Gemeinde in die Wüste, um den wiederkommenden Christus zu empfangen;

sie verirrten sich, und nur eine Polizeistreife rettete sie vor dem Hungertode. Montanus und seine Gefährtinnen

galten bei ihren Anhängern, deren Zahl trotz der Angriffe der offiziellen Kirche rasch wuchs, als die letzten

und endgültigen Träger göttlicher Offenbarung. Sie sollten die Gläubigen unmittelbar in das neue Jerusalem führen,

das als die Verwirklichung der himmlischen Ordnung verstanden wurde."

Und weiter Robbe:

"Die Montanisten setzten die Linie fort, die über die Essener zu den Begründern des Christentums geführt hatte.

Aber bereits ihre Zeit und noch entschiedener die Nachwelt hat sie als Ketzer verurteilt,

obgleich die offizielle Kirche den Montanisten entscheidende Grundzüge ihres Lehrgebäudes verdankt."

Also befand vor langen, langen Jahren Herr Tertullian (etwa 160 - 220 u. Z.):

dass die "wiedererweckten Heiligen auf dem Boden gesammelt würden, auf dem sie einst leiden mussten."

Diese seine Aussage wird etwa dem Jahre 207 zugeordnet, als er es vorzog dem Hauptstrom des Christentums,

dem er als Offiziersohn seit etwa 190 zugehörig war, doch wieder den Laufpass zu geben, zugunsten einer radikaleren Gruppe,

den Montanisten.
Über letztere notiert die Wikipedia unter anderem:

"In der phrygischen Ortschaft Pepuza würde das neue Jerusalem vom Himmel herabkommen,

und hier sollte man auch gemeinsam den Anbruch des Tausendjährigen Reiches ...erwarten."

Diese These also hat es also auch Herrn Tertullian in seinen späteren Jahren angetan.
In seiner Schrift "Die Prozeßeinreden gegen die Häretiker" hatte er selbst noch kräftigst, auch gegen Montanus gewettert,

was aber nun, zum "Schnee von gestern" wurde.
In seiner Vor-Montanistischen Zeit, vertrat offenbar auch Tertullian andere Thesen.
Beleg dafür auch die Aussage in seiner Schrift
"Über die Auferstehung des Fleisches":

"Weil der Herr selbst in seinem Befehl, in der Stimme des Erzengels und in der Posaune Gottes herabsteigen wird

vom Himmel und die in Christus Gestorbenen zuerst auferstehen werden.

Dann werden wir, die wir noch leben, zugleich mit ihnen in die Wolken emporgehoben werden, Christus entgegen in die Luft,

und so werden wir immerdar bei dem Herrn sein." ... Wo hat man sonst schon die Stimme eines Erzengels

oder eine Posaune Gottes gehört, als nur in den Kammern der Häretiker?"

Pech für Herrn Tertullian, als Wanderer zwischen den Welten, dass sein "Nachruhm" dieserhalb etwas lädiert ist.

Christliche Kreise rechnen Herrn Tertullian, namentlich auch wegen seiner Schrift "Apologeticum" als zu ihren frühen "Sternen" gehörend.
Allerdings dann wohl nicht "alle" christlichen Kreise.
Zitat Wikipedia:

"In der Orthodoxen Kirche wird Tertullian teilweise als Quelle einer unguten theologischen Tendenz angesehen,

die sich in Augustinus von Hippo fortsetzte und 1054 schließlich zum Bruch zwischen West- und Ostkirche führte."

Neben verschiedenen anderen "Verdiensten" darf Herr Tertullian sich wiederum nach der Wikipedia zitiert, auch dieses "Verdienst" zurechnen:

"Seine Thesen hatten auch Einfluss auf das Verschwinden des Theaterspiels aus Westeuropa im Frühmittelalter."

Kann man vielleicht sogar verstehen. Die Religionsindustrie liefert ja selbst genug Theater. Das muss halt die Konkurrenz "weggebissen" werden.

In seiner Schrift "Über die Schauspiele" postulierte Tertullian beispielsweise:

"Wenn wir in das Taufwasser hineinsteigen und, die Worte seines Gesetzes nachsprechend, den christlichen Glauben bekennen,

so beteuern wir mit unserm eigenen Munde, dem Teufel, seiner Pracht und seinen Engeln entsagt zu haben."

Jenes von ihm postulierte Entsagen möchte er halt auf die Schauspiele mit angewendet wissen.
Mag man solcherart Argumentation auch als gewagt ansehen. Wie man sah fand er durchaus diesbezügliche Wiederkäuer.

Er meint zur Stützung seiner These auch noch anführen zu sollen:

"Das Theater ist eigentlich ein Heiligtum der Venus. In dieser Eigenschaft ist überhaupt erst diese Art von Bauwerken in die Welt eingeführt."

Und weiter in seiner kruden Philosophie:

"Aber Venus und Bacchus halten zusammen; sie sind ja beide böse Geister der Trunkenheit und Wollust,

die miteinander in einer Verabredung und Verschwörung stehen. Daher ist das Theater der Venus auch ein Haus des Bacchus oder Liber."

Das alles will er dann auch noch auf den Sport übertragen wissen, und meint zu ihm:

"Ihrem Ursprunge nach sind sie (Wettkämpfe oder Sport) mit den Spielen verwandt."

Einen Kernsatz seiner Ausführungen kann man wohl in dem Satze sehen:

"Kein Schauspiel geht vor sich ohne starke geistige Erregung."

Genau, da dürfte "der Hund begraben liegen". Besagte "starke geistige Erregung", möchte er vorrangig für die eigene

Aberglaubensform kanalisiert wissen. Ergo muss diesbezügliche Konkurrenz "weggebissen" werden, in seiner Sicht.
Gemessen an diesem Hauptargument rangiert der von ihm auch vorgebrachte Vorhalt, eher zu einem Nebenargument:

"Wird uns nicht ebenso befohlen, jegliche Schamlosigkeit fernzuhalten? Auch hierin liegt für uns ein Verbot des Theaters,

welches die Heimat und der Tummelplatz der Schamlosigkeit ist."

Auch dieser Satz sei noch zitiert, was er denn so als Alternative wähnt anpreisen zu sollen:

"Deine Zirkusspiele seien: Betrachte den Lauf der Welt, zähle die flüchtig dahineilenden Stunden und Zeiten,

erwarte den Wendepunkt der Vollendung, verteidige die kirchlichen Genossenschaften, erwache beim Signal Gottes,

erhebe dich bei der Posaune des Engels, setze deinen Ruhm in die Palme des Martyriums! ...
Welches Schauspiel für uns ist demnächst die Wiederkunft des Herrn, an den man dann glauben wird, der dann erhöht ist und triumphiert!"

Die Märtyrer haben es ihm dann wohl im besonderen angetan. Eine eigens "An die Märtyrer" betitelte Schrift,

beginnt dann schon mal mit der Einleitung:

"Mit der leiblichen Nahrung, welche Euch unsere Herrin und Mutter, die Kirche, aus ihrem Schoße

sowie einzelne Eurer Mitbrüder aus ihren Privatmitteln in den Kerker bringen, empfanget, Gebenedeite,

die Ihr zu Blutzeugen ausersehen seid, auch eine Gabe von mir zur Stärkung des Geistes."

Zu seiner von ihm postulierten "Geistesstärkung" sollen dann wohl auch nachfolgende Beispiele beitragen:

"Mucius verbrannte seine rechte Hand auf dem Opferaltar, damit diese seine Tat berühmt werde.

Etwas Geringeres war es, was die Philosophen taten: Heraklit, der sich den Leib mit Kuhmist bestrich und sich verbrannte,

ebenso Empedokles, der in die Flammen des Berges Ätna hinabsprang, und Peregrinus, der vor nicht langer Zeit

sich dem Scheiterhaufen überlieferte, da ja auch schon Frauen die Feuerflammen verachtet haben, nämlich Dido,

als sie, nachdem sie einen andern geliebt, zum Heiraten gezwungen wurde, und die Gattin des Hasdrubal, welche,

als Karthago schon in Flammen stand, mit ihren Kindern in das Feuermeer ihrer brennenden Vaterstadt eilte,

um nicht ihren Mann vor Scipio als einen um Gnade Flehenden sehen zu müssen, Regulus, der von den Karthagern gefangene r

ömische Feldherr, wollte nicht, er als einzelner, gegen viele kriegsgefangene Karthager ausgetauscht werden,

sondern zog es vor, sich den Feinden zurückgeben zu lassen, und erduldete, in eine Art Kasten gepreßt

und von außen allseitig mit Nägeln durchbohrt, ebenso viele Kreuzesqualen. Was die wilden Tiere anlangt,

so hat ein Weib sehr danach begehrt und noch nach schlimmeren als Stier und wilder Bär, nämlich Nattern,

welche Kleopatra sich ansetzte, um nicht in die Hände ihres Feindes zu fallen.

Indessen die Furcht vor dem Tode ist nicht so groß als die vor der Folter."

Sein Rigorismus kommt auch in seiner Schrift "Über das Fliehen in der Verfolgung" zum Ausdruck,

welche er grundsätzlich verneint, als mit Gottes Zulassung deutet, und auch etwa Vermeidung, etwa via Bestechungsversuche, verneint.
Im Kontrast dazu läßt das Verhalten von Zeugen Jehovas, in der Wehrdienstfrage in Mexiko, dann wohl grüssen.

Herr Tertullian hatte auch noch eine ganze Reihe anderer "Events" auf Lager. Wie z. B. dieses:

"Sein Verbot der Wiederheirat nach dem Tod des Partners".

In seiner wohl der Montanischen Phase zuortbaren Schrift "Über die einmalige Ehe",

meint er diese unter anderem wie folgt begründen zu sollen:

"Hat indes der Herr vorbereitende Aussprüche getan. Wenn er nämlich sagt: "Ich habe euch noch vieles zu sagen,

aber ihr könnt es noch nicht tragen; wenn aber der Heilige Geist kommt, der wird euch in alle Wahrheit einführen",

so gibt er hinlänglich zum voraus zu verstehen, daß derselbe manches bringen werde, was, weil früher noch nicht gesagt, f

ür neu und manchmal als drückende Last - eben darum war es noch nicht bekannt gegeben - würde gelten können."

Vielleicht darf man auch diese These seinem vielgepriesenen Lobgesang auf das Märtyrertum, im weiteren Sinne zuordnen.

Letztendlich wohl auch dem Bereich der Endzeit-Naherwartung zuschlagbar, welche bei den Montanisten besonders hoch im Kurs stand.

Dafür steht dann wohl auch sein Satz:

"Wenn wir aber an eine Auferstehung der Toten glauben, so bleiben wir sicher denen verpflichtet, mit welchen wir auferstehen werden,

um gegenseitige Rechenschaft abzulegen."

In seiner Schrift "Über die Aufforderung zur Keuschheit" kann man von ihm auch die markigen Worte vernehmen:

"Es kommt auch vor, daß Christen, für die es doch kein Morgen gibt, auf Nachkommenschaft bedacht sind.

Leibeserben sollte der Knecht Gottes sich wüschen, er, der sich selbst zum Enterbten vor der Welt gemacht hat!? ...

Die Christen vor die Löwen! Solche Rufe sind es, welche die zu hören wünschen, die nach Kindern verlangen."

In "Die zwei Bücher an seine Frau" liest man dann:

"Ich (Tertullian) schreibe Dir (seiner Gattin) also vor, nach meinem Hinscheiden mit aller Enthaltsamkeit,

deren Du fähig bist, jeder ehelichen Verbindung zu entsagen."

Angesichts solcher Thesen ist es dann in der Tat nicht mehr weit, zu der eines Herrn Rutherford, mit dem Heiraten

bis "nach" Harmagedon zu warten.

Markant auch seine Forderung in:
"Über die Verschleierung der Jungfrauen"

"Will ich nun auch ... den Beweis führen, dass sich unsere Jungfrauen von dem Zeitpunkt an,

wo sie die Grenze dieser ihrer Alterstufe überschritten haben, verschleiern müssen."

Und da fühlen sich mancherlei christliche Pharisäer der Neuzeit, auch dazu berufen, mit dem Finger auf islamistische Kreise hinzuzeigen.
Soll man über letzteres nun weinen? Oder doch lieber lachen?
Auch dieses Argument findet man bei ihm, wer denn vielleicht damit liebäugelt, seinen Rigorismus so nicht zu befolgen:

"Es werden Euch die heidnischen Frauen Arabiens beschämen, welche nicht bloss ihr Haupt,

sondern auch das ganze Gesicht derart verhüllen, dass es ihnen genügt, wenn sie ein einziges Auge frei haben

und die lieber das Licht nur halb geniessen, als ihr ganzes Antlitz prostituieren."

Der im Englischsprachigen Raum zum Thema Zeugen Jehovas publizierende James Beverly, meint jedenfalls ausrufen zu sollen;

"Lest in einer ruhigen Minute einmal nach, was er (Tertullian) "Über die Kleidung der Frauen" und "Bescheidenheit" schrieb

und stellt dann fest, wie sehr manche unserer Redner ihm und nicht Jesus oder Paulus gleichen."

In seiner Schrift "Über den weiblichen Putz", kann man etwa den "argumentativem" Satz lesen:

"Konnte er (Gott) nicht auch purpurrote oder stahlblaue Schafe erschaffen? Wenn er es vermochte

[und nicht tat], so hat er es eben nicht gewollt; was Gott aber nicht machen wollte, das darf man auch nicht machen."

Weiter meinte Herr Tertullian:

"Zur vollkommenen, d.h. christlichen Sittlichkeit, müßt Ihr wissen, gehört, daß man nicht nur niemals wünsche,

ein Gegenstand des Verlangens zu werden, sondern dies sogar verabscheue."

Dann war er wohl selbst, in seiner Lesart, solch ein "vollkommenes" Exemplar. Jedenfalls Grund zum Abscheu lieferte er übergenug.
Alsbald weis er weiter zu belehren:

"Denn er ist es, gegen den diejenigen fehlen, welche sich die Haut mit Salben einreiben,

die Wangen durch Schminke entstellen, die Augenbrauen durch Schwärze verlängern.

Natürlich, ihnen mißfällt das Gebilde Gottes; natürlich, sie bekritteln sich damit selbst und tadeln den Schöpfer aller Dinge.
Die Mittel dazu entlehnen sie natürlich von einem rivalisierenden Künstler; der aber ist der Teufel."

Weiter fragt er:

"Ist das die Unverweslichkeit, mit der wir fürs neue Haus des Herrn überkleidet werden sollen,

welche durch die Dreieinigkeit uns verheißen ist?"

Hier also kommt sie mit vor, die These von der Dreieinigkeit, das nur so am Rande mit notiert.
Der Kirchenhistoriker Nigg bescheinigt ihm desweiteren:

"Während noch Tertullian die einschneidende Frage aufwarf, "was haben Jerusalem und Athen miteinander zu tun?",

hielt Origenes das Studium der griechischen Philosophie "auch für sich selbst für sehr notwendig",

so daß "er sich ständig mit Plato beschäftigte".

Bemerkenswert empfand ich in einem katholischen Zeitschriften-Aufsatz (Klerusblatt 1953, Aufsatz von einem Herrn Raimund Vatter)

auch die Angabe:

"In ähnlicher Weise fertigen die Zeugen Jehovas die Schrifttexte ab, die von katholischer Seite z

um Beweis des Dogmas von der Allerheiligsten Dreifaltigkeit angeführt werden. Sie sind nach ihrer Meinung

von den Religionisten in die Schrift eingeschmuggelt oder aber falsch ausgelegt worden.
Ein Religionist namens Tertullian und ein Geistlicher namens Theophilus haben die Lehre von der Dreieinigkeit erfunden."

Nun kann und möchte ich mich nicht in das Gebiet der Dreieinigkeitslehre - diesem theologischen Schrott  aus dem verschimmelten Hinterhofkeller - verirren. Ich muss also schon die Verantwortung für die zitierte Aussage,  den katholischen Herrschaften selbst überlassen.
Sollte sie indes zutreffend sein, hätte besagter Herr Tertullian wohl auch eine "Aktie"  an der von den Zeugen Jehovas bekanntermaßen, nicht geliebten Dreieinigkeitslehre.
Möglicherweise muss man seine Schrift "Gegen Praxeas" als eine polemische  namentlich zum Thema Dreieinigkeitslehre ansehen, etwa wenn darin einleitend die Sätze zum besten gegeben werden:

"Der Teufel hat die Wahrheit auf gar verschiedene Weise bekämpft. Er liebt es manchmal, sie durch Verteidigen zu schädigen.

Er behauptet einen einzigen Herrgott, allmächtigen Schöpfer der Welt ---- um in betreff dieses einzigen eine Häresie hervorzurufen,

und sagt, der Vater selbst sei in die Jungfrau herabgestiegen, aus ihr geboren, habe gelitten, mit einem Wort, er selbst sei Jesus Christus."

Oder auch den nebulösen Satz in selbiger Schrift:

"Wenn Dich in der Trinität noch immer die Mehrzahl ärgert, weil sie zur einfachen Einheit nicht passe, so frage ich,

wie kann der Einzige und Einpersönliche in der Mehrheit sprechen: "Lasset uns den Menschen machen

nach unserm Bilde und Gleichnisse", da er doch hätte sagen müssen: Ich will den Menschen machen nach meinem Bilde und Gleichnisse!?"

Weiter meint er postulieren zu sollen:

"Aber in der Weise an die Einheit Gottes zu glauben, dass man ihm keinen Sohn und dem Sohne keinen hl. Geist beigeben will,

das entspricht dem Glauben der Juden. Was für einen Unterschied zwischen ihnen und uns gäbe es denn sonst noch, wenn nicht diesen?"

Ergo kann die Trinitätslehre in der Motivation ihrer ersten Macher, als Abgrenzungselement gegenüber dem Judentum gesehen werden.

Er redet desweiteren in dieser Schrift von "gewissen Häretikern" mit denen er sich halt auseinandersetzt,

und nennt dabei auch ausdrücklich die Marcioniten.

Noch an einer weiteren von den Zeugen Jehovas nicht geliebten Lehre, hat er dann wohl einen Anteil.
In dem 1916 erschienenen Buch von Siegmund Linde, "Der vermeintliche Opfertod Jesu im Lichte der Evangelien." (S. 23, 24)

liest man auch die Sätze:

"Im Orient und in Griechenland existieren die Worte Kreuz und Kreuzigung nicht; überall hieß es 'an den Pfahl hängen'. ...

Der Erfinder des festgefügten Kreuzes mit Querbalken ist Tertullian, der absolut wollte, dass Jesus nicht

wie die vielen Tausende seiner Leidensgenossen an den einfachen Baum oder Marterpfahl gebunden wurde,

sondern auf besondere Art gekreuzigt sein müsse."

Auch und besonders, beim Thema Wehrdienst, ist Herr Tertullian dann in die Geschichte eingegangen, wofür auch die Einschätzung steht:

"Kein christlicher Schriftsteller des Altertums hat so scharf den Militarismus bekämpft, wie dieser temperamentvolle Apologet,

der selbst Offizierssohn war."

Diese Position soll nach Meinhold dann aber erst in seiner Montanistischen Phase akut geworden sein. Zur Erinnerung nochmals.

Das war jener weltfremde Verein, welcher da auf seine wundersame Entrückung in Pepuzia wartete.

Und wenn sie dann nicht gestorben sind (was wohl inzwischen doch der Fall sein dürfte), dann warten sie noch heute.
Da passt dann wohl Herr Tertullian als verschärfender Ideenlieferant mit hinzu.
Zitat Peter Meinhold:

"Tertullian ... der in seiner katholischen Zeit zwar das Vorhandensein christlicher Soldaten im Heer

zur Verteidigung des Christentums benutzt, aber nach seiner Trennung von der katholischen Kirche und in seiner montanistischen Zeit

auf das schärfste den christlichen Soldaten verurteilt. Man kann, so spricht er in der Schrift "Vom Kranze des Soldaten" aus,

überhaupt keinem ändern Herrn den Fahneneid leisten als Christus allein."

Sieht man sich seine genannte Schrift "Vom Kranze des Soldaten" näher an, bleibt ein eher zwiespältiger Eindruck zurück.
Einleitend meint er folgende Episode zum besten geben zu sollen, die auch zugleich das Hauptgerüst seiner Ausführungen darstellt:

"Kürzlich trug es sich zu, daß die von unsern erhabensten Kaisern bewilligte Geldspende im Lager zur Auszahlung kam.

Die Soldaten traten mit Lorbeer bekränzt hinzu. Einer, mehr ein Soldat Gottes und standhafter als seine übrigen Kameraden,

die sich vermaßen, zweien Herren dienen zu können, stach, als der einzige im bloßen Kopfe,

den Kranz in der müßigen Hand, rühmlich von den andern ab, indem er schon in dieser Taktik den Christen kundgab."

Namentlich genannter Lorberkranz als ein für ihn "Stein des Anstoßes" hat es ihm besonders angetan.
Über selbigem schreibt er dann noch:

"Ich will zuerst über den Kranz selbst sprechen. Lorbeerkränze wie der in Rede stehende sind dem Apollo und dem Bacchus heilig".

Ergo ortet er das ganze dem von ihm verabscheuten "Götzendienst" zu.
Auch wenn er sich desweiteren zu der These durchringt, man könne und solle nicht zwei Herren dienen.

Und als solch einen Konfliktfall den Soldatenstand bewertet, so hat er dennoch durch seine eigenen Ausführungen eingeräumt,

das es sehr wohl Christen in der kaiserlichen Armee gab.
Er hätte es nun gerne, die würden alle ein ähnliches Spektakulum der Verweigerung des Anlegens von Lorberkränzen veranstalten.
Da es nun solch einen zu seiner Kenntnis gelangten Fall gab, fühlt er sich bemüßigt,

diesen und dessen Folgewirkungen dann noch mit den Sätzen zu kommentieren:

"bekränzt durch die Anwartschaft des Martyriums, so erwartet er (sein Fallbeispiel) im Kerker die Spende Christi."

So so! Weiter sein Kommentar:

"Da werden denn nun Urteile über ihn laut - ich weiß nicht einmal, waren es solche von Christen; denn die der Heiden klangen nicht anders.

Wahrhaftig, es fehlt weiter nichts mehr, als daß sie noch darauf ausgehen, auch das Martyrium abzuschaffen."

Ergo Abschaffung des Märtyriums ist für ihn offenbar das eigentliche Schreckgespenst!

Nun hat also der "Wachtturm" vom 15. 7. 1961 in einem Artikel zum Thema Blut, erneut Herrn Tertullian entdeckt.

Kaum verwunderlicherweise hat es dem WT auch angetan, dass Herr Tertullian sich auch wörtlich gegen das Essen von Blutwurst aussprach.

Was Herr Terullian dann noch so "alles auf dem Kasten hat" wovon vorstehend einiges genannt wurde, darüber indes, redet der WT nicht.
Und was die Tertullian'sche Aussage, keine Blutwurst zu essen, anbelangt, hat sie Herbert Weber in seiner ZJ-Dissertation

wohl zutreffend charakterisiert mit der Wertung:

"Die Grundlage der Praxis auf die sich Tertullian ... beruft, ist folgende: Blutopfer waren bei den Römern üblich.

Blut hatte bei den Römern eine magische Bedeutung. Um sich von diesen abscheulichen Praktiken zu distanzieren,

lehnten manche Christen jeden Blutgenuss ab. Interessant ist dabei, dass es sich nie auf ihre Heilige Schrift beriefen.

Es gibt auch keine Hinweis, dass Christen wegen Blutgenuss vor ein Rechtskomitee zitiert wurden."

WTG-Kreise werden Weber vielleicht mit den bekannten Bibelstellen zum Thema Blut widersprechen.

Gleichwohl hat Weber richtig festgestellt. Just auf jene Bibelstellen beruft Tertullian sich eben nicht.
Wie immer man sich in diesem Streit auch positioniert, bleibt desweiteren der Umstand bestehen,

dass WTG-Kreise sich in Sachen Tertullian nur die vermeintlichen "Rosinen" herauspicken.
Zusammenfassend kann man sich bei diesem Thema auch der Wertung von Holbach anschließen:

"Dann höre man sich an, was die ersten Kirchenväter sagen, und man wird sehen, daß ihre Moral mit der Erhaltung und Macht

eines Staates völlig unvereinbar ist.
Man wird erfahren, daß nach Lactantius kein Mensch Soldat sein darf,

daß nach dem heiligen Justinus kein Mensch sich verheiraten darf, daß nach Tertullian kein Mensch Beamter sein darf,

daß nach dem heiligen Chrysostomus niemand Handel treiben, daß vielen anderen zufolge niemand studieren soll.

Vereinigt man schließlich diese Grundsätze mit denen des Welterlösers, so wird sich daraus ergeben,

daß ein Christ, der nach Vollkommenheit strebt, wie er soll, das nutzloseste Glied seines Landes, seiner Familie

und seiner ganzen Umgebung ist. Er ist ein müßiger Grübler, der nur ans Jenseits denkt,

mit den Interessen dieser Erde nichts gemein hat und nichts inniger ersehnt, als sie schnell zu verlassen."

Siehe auch:

http://de.wikipedia.org/wiki/Tertullian

http://www.tertullian.org/articles/kempten_bkv/index.htm

Zum fallweisen weiterlesen "bei Bedarf" aus der Unmenge einschlägiger Texte, siehe unter anderem:

http://www.unifr.ch/bkv/awerk.htm

 

Sakramentalismus.pdf

Kahl, Das Elend des Christentums
 

Noch was zum Nachdenken: Ludwig Feuerbach

 

Zur Indexseite