Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Fallbeispiel Georg Bär

In dem Buch "Geschichte der Zeugen Jehovas. Mit Schwerpunkt der deutschen Geschichte" liest man zum Fall Georg Bär:

Die Tragik der Zeugen Jehovas, die in der illegalen Organisation im Hitlerregime aktiv waren, lässt sich auch am Fall des Georg Bär verdeutlichen. Bär, geboren 1900, war seit 1921 Bibelforscher. Von 1930 an war er bis zu seiner Verhaftung Ende August 1936 als Dienstleiter für die Bibelforscherorganisation tätig. Nach 1933 emigrierte er in die Tschechoslowakei. Im Zuge der von der Zeugenleitung angeordneten Aktivierung der Tätigkeit in Deutschland bekam er den Auftrag nach Deutschland zurückzukehren, was Mitte April 1936 der Fall war.

Er wurde von der Zeugenleitung beauftragt, den Bereich Schleswig-Holstein zu aktivieren. Dazu suchte er etliche dortige Zeugen Jehovas auf. Teilweise lehnten sie es ab, sich in der illegalen Organisation zu aktivieren, teilweise entsprachen sie diesem Ansinnen. Nachdem es der Gestapo gelungen war Fritz Winkler festzunehmen und aufgrund seiner Aussagen die Zeugenorganisation „aufzurollen", konnte sie am 31. 8. 1936 auch Bär festnehmen. Seine Verhörung fand am 8. und 9. 9. 1936 statt.

Bär selbst schreibt dazu: „Jeden Abend gegen 10 Uhr hörte ich, wie aus verschiedenen Zellen Gefangene geholt wurden. Kurz danach hörte ich, wie sie unten im Keller geschlagen wurden; ich hörte auch ihr Schreien und Weinen." [52] Als Bär nach einigen Tagen abends auch zum Verhör gebracht wurde, war er in gewisser Hinsicht überrascht, dass dies nicht mit Schlägen begann wie er befürchtet hatte.

Er beschreibt die Situation mit den Worten: „Diesmal war es ein SS-Mann, der mich in sein Zimmer führte und mich aufforderte, dort Platz zu nehmen. Dann sagte er zu mir: 'Wir wissen, dass Sie uns mehr erzählen können, als Sie wollen. … Ich will es Ihnen nicht schwermachen, kommen Sie einmal her.' Er forderte mich auf, an seinen Schreibtisch zu treten, zeigte mir einige maschinengeschriebene Blätter und ließ sie mich lesen. Da standen all die Namen der Brüder, die in Deutschland reisten, als letzter auch meiner. Dann konnte ich die Namen der Versammlungen lesen, die wir besucht hatten. und auch die Namen der Brüder.

Ja, ich konnte es kaum glauben, unsere ganze Untergrundorganisation war hier aufgeführt und lag ausgebreitet in den Händen der Gestapo. Wahrlich, ich brauchte eine Weile, bis ich die Situation begriffen hatte. … Ich hätte an der Echtheit des Berichtes noch gezweifelt, wenn nicht auch meine eigene Tätigkeit genau aufgezeichnet gewesen wäre. Der mich verhörende SS-Gestapo-Mann mit Namen Bauch aus Dresden ließ mir Zeit, meine Gedanken zu sammeln. Ich glaube, ich habe ein ziemlich dummes Gesicht gemacht, als ich mich wieder auf meinen Platz setzte. Dann sagte er zu mir: 'Nun hat es doch keinen Zweck mehr zu schweigen.'" [53]

Die Vernehmungsprotokolle des Gestapo-Mannes Bauch sind noch erhalten. Unter dem Datum des 8. 9. 1936 kann man darin von Bär auch lesen: „Adressen sind mir zur Zeit nicht gewärtig. Falls sie mir noch ins Gedächtnis kommen, gebe ich sie noch nachträglich bekannt." [54]

Dennoch nannte Bär schon am 8. 9. einige konkrete Namen und Adressen:

„Bruder Klug, Schrebergasse 10, Flensburg.

Steinbeck, Gärtnergasse, Lübeck.

Starke, Brüggemannstr. 31, Husum.

Reimers, Brückenstr. 13, Itzehoe.

Eidelstadt, Elbgaustr. 110."

Das Protokoll vom 9. 9. 36 notiert noch: „Bär, der nach Vorhalt bereit ist, ein volles Geständnis abzulegen, erklärte weiterhin. … Ergänzend möchte ich bemerken, dass der Bruder Wiese in Rendsburg, Fockbecken-Chaussee 54 wohnt. Der zweite Bruder in Altona heißt Helmut Brembach, Eidelstadt, Elbgaustr. 100. Von Rubau (falsche Schreibweise, richtig: Ruhnau) ist mir bekannt, dass er zwischen Bruder Harbeck, Bern und Winkler die Verbindung aufrecht erhielt." [55]

Bär wurde daraufhin am 13. 7. 1937 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. [56]

Über das Resultat dessen, notiert Elke Imberger noch:

"Am 31. August 1936 wurde Georg Bär ... festgenommen - Resultat der kurz vorher erfolgten Verhaftung des damaligen IBV-Reichsleiters, der im Verhör die Namen der Bezirksleiter preisgegeben hatte. Aufgrund von Bärs Aussagen kam es am 5. November 1936 zur Festnahme von Georg Paulsen, Conrad Klug und Gustav Bressem. Damit waren die Flensburger Bibelforscher ihrer führenden Funktionäre beraubt."

Nachdem die weitgehend zerschlagene Zeugenorganisation mit Beginn des Zweiten Weltkrieges sich zu reorganisieren begann, wobei die Zeitverhältnisse für die Zeugen Jehovas offensichtlich einen Motivationsschub darstellten, sind solche Reorganisierungsbemühungen auch im Raum Dresden feststellbar. Bär wurde offensichtlich nach seiner Haftentlassung nicht in ein KZ überführt, wobei sicherlich seine seinerzeitige Aussagebereitschaft eine gewichtige Rolle spielte, für dieses gemessen an anderen Fällen von Zeugen Jehovas, relative „Privileg". Er spielt erneut eine Rolle in der Zeugenorganisation.

Circa 1944 erfolgte im Dresdner Raum eine erneute Verhaftungswelle. Unter den Verhafteten befindet sich auch Georg Bär und seine Ehefrau. Der Hauptangeklagte Buchhalter Paul Otto Grützner, der die Funktion eines Bezirksdieners wahrnahm, wird vom berüchtigten Volksgerichtshof zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Das Urteil für andere in diesem Prozess gleichfalls Mitangeklagte Zeugen Jehovas lautet fünf Jahre Zuchthaus. Am unteren Ende bewegt sich in diesem Verfahren das Strafmaß für das Ehepaar Bär. Georg Bär wird zu vier, seine Frau zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. [57]

Jenes vor dem berüchtigten Volksgerichtshof durchgeführte Verfahren, ist offenbar als "Folgeverfahren" gegen Engelhard zu werten, wofür auch die Aussage im Gerichtsprotokoll spricht:

"Im einzelnen wird wegen des Inhalts der Schriften auf den Abschnitt II der Anklageschrift in dem Verfahren 7 (8) J 191/43 gegen Engelhard und Andere verwiesen."

Auch aus anderen einschlägigen Gerichtsverfahren ist bekannt, dass insbesondere der Wehrdienstgegnerische Aspekt und die Aspekte politischer Gegnerschaft gegen das Naziregime in solchen Verfahren aus den Schriften der Zeugen Jehovas "herausdestilliert" wurden. Namentlich das "Mitteilungsblatt der deutschen Verbreitungsstelle des WT" bot da eine Fülle von Anhaltspunkten. Das Verfahren gegen Engelhard sollte für ihn mit dem Todesurteil enden. In dem VGH-Prozeß gegen Karl Bernhard Schindler und sieben Weitere (eben auch Bär) indes gab es kein Todesurteil. Beide Verfahren wurden aber vom VGH abgewickelt.

Nach 1945 wurde Georg Bär unter anderem Mitglied des Landesschiedsausschußes für Opfer des Faschismus. Im Zuge der sich anbahnenden Verbotsentwicklung der Zeugen Jehovas in der DDR, gehört Bär erneut zu denen, die schon im ersten großen Schauprozess gegen die Zeugen Jehovas in der DDR verhaftet wurden. In diesem Prozess werden extrem drastische Urteile verhängt. [58] Das Urteil für Georg Bär lautet auf 15 Jahre Zuchthaus!

In diesem Prozess hatte der Generalstaatsanwalt Melsheimer die Behauptung aufgestellt, dass die Filiale der Wachtturmgesellschaft in Magdeburg „nichts anderes ist als eine Filiale des amerikanischen Geheimdienstes." [59]

Auf dieser Linie lagen auch die Anklagevorwürfe gegen Bär: „Der Angeklagte Bär gab zu, über Wiesbaden den Auftrag erhalten zu haben, Berichte über alle 'Vorkommnisse, politische Aufstände, Wahlen, Auseinandersetzungen, Revolutionen, Katastrophen, Flugzeuge, Fliegerei, Berge und Landschaften, Verfolgungen und Opposition' anzufertigen. Dem Auftrag entsprechend hat Bär u. a. Berichte über Polizeimaßnahmen, Vorkommnisse in volkseigenen Betrieben und beim Landessender Dresden den Amerikanern ausgeliefert." [60]

Soweit die Buchzitate.

Ergänzend sei noch die zitierte Anmerkungsnummer 56 mit zitiert:

Von dem im Protokoll auch genannten Helmut Brembach berichtet auch die Zeugenleitung, dass er daraufhin Besuch von der Gestapo bekam. Brembach war insofern eine wichtige Person, als er mit der illegalen Wachtturmvervielfältigung befasst war. Es wurde eine gründliche Hausdurchsuchung bei ihm durchgeführt. Erst die Wohnung, dann den Keller. Da man in der Wohnung nichts fand und offenbar schon etwas frustriert darüber war, wurden bei der Kellerdurchsuchung auch nicht alle potentiellen Möglichkeiten ausgeschöpft. Bei der anschließenden Dachbodendurchsuchung fand man jedoch einige ältere Bibelforscherschriften und schloss mit diesem „Erfolg" die Hausdurchsuchung ab. Vgl. Jahrbuch 1974 S. 139-141.

Anzumerken ist auch noch, dass die von Bär auch genannten Diedrich Hübner und Hermann Wiese nebst anderen von der Gestapo verhaftet wurden. In einem Massenprozeß vom 26. 2. 1937 wurden auch sie mit abgeurteilt. Vgl. „Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung" Band 7, Frankfurt/M. 1993 S. 35.

Immerhin belegt auch dieser Fall, wie es um das Ausmaß der "Aussageverweigerung" inhaftierter Zeugen Jehovas in der Praxis bestellt war.

Die Archivarin Elke Immberger, die bei Aktenstudien sich sowohl mit dem Widerstand politisch motivierter Gruppen im "Dritten Reich" als auch mit dem passiven Widerstand (Dissens) der Zeugen Jehovas befaßte, kam zu einem bemerkenswerten Ergebnis. Im Vergleich zu dem Widerstand politisch motivierter Gruppen fiel ihr auf, daß die Vernehmungsprotokolle von Zeugen Jehovas ein unverhältnismäßig hohes Maß an Aussagebereitschaft gegenüber der Gestapo offenbaren.

Es steht außer Frage, daß die Gestapo in der Wahl ihrer Mittel - um zum Ziel zu kommen - nicht "wählerisch" war. Immerhin ist sie aber in sehr vielen Fällen zum Ziel gelangt.

Frau Imberger stellt dazu die Frage, ob diese ungewöhnlich hohe Aussagebereitschaft nicht "auch im Zusammenhang mit der Weltabgewandheit der Bibelforscher gesehen werden (muß), die an ein in Kürze anbrechendes Königreich Gottes auf Erden und ein göttliches Strafgericht über die Feinde der Zeugen Jehovas glaubten und daher der weltlichen Justiz kaum Bedeutung zumaßen."

Exemplarisch ist dafür eben auch der Fall Georg Bär.

Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung im NS-Regime war er 36 Jahre alt und als Bezirksdienstleiter für den Bereich Schleswig-Holstein eingesetzt. Wenn man sich das Vernehmungsprotokoll ansieht, dann springt einem sofort ins Auge, wie präzise und umfänglich dort die Namen und Anschriften anderer Zeugen Jehovas, mit denen er in Berührung kam, mitgeteilt wurden. Die Gestapo hatte bei ihm offenbar ein leichtes Heimspiel!

In ihrem Gesichtsbericht über Deutschland, zitiert die WTG ihrerseits Georg Bär und wie der ihn vernehmende Gestapobeamte Bauch ihm gut zuredet mit den Worten: "Nun hat es doch keinen Zweck mehr zu schweigen". Es ist offensichtlich, dass auch Bär in der Tat nicht geschwiegen hat.

Es soll keineswegs beschönigt werden, dass Bär zum Kreis der Doppeltverfolgten gehörte (NS-Regime und DDR). Er gehörte mit zu denjenigen die im ersten großen DDR-Schauprozess in Sachen Zeugen Jehovas, sich erneut auf der Anklagebank wiederfanden. Diese persönliche Tragik ist unbestritten. Emotionen sind das eine. Die nüchterne Einschätzung dessen was gewesen ist, dass andere.

Und zur nüchternen Einschätzung gehört auch dies. Es gab Zeugen Jehovas die die Folterungen ihrer Peiniger im NS-Regime nicht überlebten, bzw. nur als Krüppel. Das waren die wirklich Standhaften. Dann gab es die, die da auch mehr oder weniger gefoltert wurden. Wie zum Beispiel die Herren Frost, Franke, Bär und andere. Sie hingegen überlebten; dieweil sie den dafür fälligen Preis gezahlt hatten!

Festzustellen ist auch: Entgegen der durch ihr praktisches Verhalten dokumentierten Zeugen Jehovas-These, die "Gestapo-Nachtwächter" könnten ja angesichts des "Schutzes Jehovas", nicht sonderlich viel ausrichten. Entgegen dieser These ist zu rekapitulieren (nach anfänglichem "Herumstochern im Nebel"), dass die vermeintlichen "Nachtwächter" sich durchaus in die Zeugen-Thematik einarbeiteten. Ist auch die Qualität nachfolgender Repros sehr unbefriedigend, so machen sie zumindesrt die Tendenz deutlich.

Die Gebetskunst des Hans Müller

Franz Fritsche

Standhaft - aber nur bis 7,5 Minuten vor zwölf

Winkler Frost Franke

Ziel erreicht ...

Hitlerzeit

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