Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Weitere (ausgewählte) Artikel der "Christlichen Verantwortung"-Publizistik

Man vergleiche auch: ProjektCV

Eine vollständige Wiedergabe der gesamten damaligen Publizistik ist vom Umfang, und vom Aufwand her (einscannen + notwendige Nachbearbeitung des Scanntextes) ziemlich aufwendig. Auch ist etliches zeitbedingt und und muß unter diesem Aspekt bewertet werden. Beschränkt auf die Beiträge, die ich seinerzeit selbst geschrieben hatte, sei an dieser Stelle noch einiges in Auswahl wiedergegeben.

"Die Harfe Gottes"

"Christliche Verantwortung" (Gera) Nr. 46, Januar 1973 S. 4-6.

Identisch mit: "Gespräche und Kommentare der Studiengruppe Christliche Verantwortung" (Berlin) Nr. 8 (1972)

Im Jahre 1922 (genau ab 1. 12. 1921) begann die Wachtturmgesellschaft mit der massenhaften Verbreitung ihres von J. F. Rutherford verfassten Buches "Die Harfe Gottes". Ein Buch, das gemäß WT-eigenen Angaben "die erste Abweichung von den sieben Bänden der Schriftstudien" darstellte.

Der Untertitel jener Veröffentlichung lautete: "überzeugender Beweis, dass Millionen jetzt Lebender niemals sterben werden", womit Rutherford an seinem Ende des Ersten Weltkrieges begonnenen (und auf 1925 orientierenden) gleichnamigen Predigtfeldzuges (Broschüre) anknüpfte. Noch Jahre danach konnte man in späteren WTG-Publikationen lesen: "Die Harfe Gottes ist seid Jahren in vielen Millionen Exemplaren auf der ganzen Erde verbreitet und wird als das führende Buch auf religiösem Gebiet betrachtet." Als Erklärung, weshalb es veröffentlicht wurde, hieß es im Vorwort: "Jehova entwarf einen großen Plan vor Grundlegung der Welt, aber niemand wusste davon."

Eine seiner Haupttendenzen stellt der krampfhafte Versuch dar, unbedingt die Bibel als Orakelbuch für die Erklärung des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts zu benutzen.

Schon auf Seite 18 der "Harfe Gottes" kann man einen Eindruck davon gewinnen, wenn es dort heißt:

Vermeintliche Prophezeiungen

"Illustrationen dieses Punktes (Begebenheiten der Zukunft in der Bibel vorausgesagt) sind die drahtlose Telegraphie und Luftschiffe als Erfindungen neuerer Zeit und doch finden wir heute, wo sie entdeckt sind, dass Gott durch seine heiligen Propheten vor vielen Jahrhunderten schon die Benutzung solcher Erfindungen voraussagte. (Hiob 38:35, Jesaja 60:8)

Eisenbahnzüge sind weniger als hundert Jahre bekannt, und doch gab der Prophet Gottes vor vielen Jahrhunderten eine klare, eingehende Beschreibung des Eisenbahnzuges und der Art seines Betriebes und weissagte, dass solche Züge allgemein zur Zeit des Endes benützt würden, zu der Zeit, wo der Herr Vorbereitungen zur Einsetzung seines Königreiches trifft. (Nahum 2:3-6)

Ebenso gab der Herr die Prophezeiung, dass es um diese Zeit ein großes Hin-und-Herrennen geben würde, bezugnehmend auf allgemeines Fortbewegen mit Transportmitteln verschiedener Arten, Automobile, elektrische Kraftwagen usw. (Daniel 12:4, engl. Übers.)"

Rutherford glaubte, mittels solcher "Beweisführung" seinen Lesern einreden zu können, dass dies alles wichtige Zeichen der Zeit des Endes seien. So führt er auf Seite 235 aus:

"Im Jahre 1831 wurde die erste Lokomotive erfunden. Solch wunderbarer Fortschritt ist seitdem in jeder Beziehung gemacht worden … Gottes Prophet bezeichnet diese Zeit als den 'Tag des Rüstens Gottes'. In Nahum 2:1-6 beschreibt der Prophet eine Vision eines Eisenbahnzuges in schneller Fahrt als ein anderes Anzeichen der Vorbereitung für die Einsetzung von Christi Königreich. Im Jahre 1844 wurde der Telegraph erfunden und später das Telefon. Die große Mehrung von Wissen und Erkenntnis und das gewaltige Hinundherlaufen der Menschen auf verschiedenen Teilen der Erde ist ohne Frage eine Erfüllung der Prophezeiung, die über die Zeit des Endes Zeugnis gibt. Diese physischen Tatsachen können nicht bestritten werden und sind genügend, jeden vernünftig denkenden Menschen davon zu überzeugen, das wir seit 1799 in der Zeit des Endes leben."

Da das Jahr 1799 als Endzeitbeginn mittlerweile schon ziemlich weit zurücklag, meinte Rutherford, dieselbe modifizieren zu können, indem er 1874 als Beginn des letzten Teiles der Zeit des Endes proklamiert. Dazu liest man auf Seite 236 der "Harfe Gottes':

Entdeckungen als "Endzeitbeweis"

"Mit dem Jahre 184 beginnt der letzte Teil der Zeit des Endes . . . Von diesem Zeitpunkt an hat es eine wunderbare Zunahme an Licht und Erkenntnis gegeben, und die seitdem gemachten Erfindungen und Entdeckungen sind zu zahlreich um sie hier alle aufzählen zu können. Doch einige derer, die seit 1874 ans Licht gekommen sind als weiterer Beweis der Gegenwart des Herrn seit jener Zeit seien genannt wie folgt:

Additionsmaschinen, Aluminium, antiseptische Chirurgie, automatische Bahnkupplung, automatische Pflüge, Automobile, bewegliche Bilder, drahtlose Telegraphie, Erforschung des dunklen Afrika, Dynamit, Eisenbahnsignale, elektrische Eisenbahnen, elektrische Schweißmethoden, Erntemaschinen, Eskalatoren, feuerlose Kochapparate, Gasmaschinen, große Erkenntnis über den göttlichen Plan der Zeitalter, Induktions-Motoren, Korrespondenz-Schulen, künstliche Farben, Leuchtgas, Luftschiffe, Panama-Kanal, Pasteursche Schutzimpfung, Radium, Rahm-Separatoren, rauchloses Pulver, riesenhohe Geschäftsgebäude, Röntgen-Strahlen, Schreibmaschine, spezielle Eisenfabriken, Streichholzmaschine, Südpol, Telefon, Untergrundbahn, Unterseeboote, VakuumTeppichreiniger, Zelluloid, Zweiräder usw., usw."

Baldige "Fürstenherrschaft"

Offensichtlich waren jedoch etliche seiner "Bibelforscher" mit solchen allgemein gehaltenen Erklärungen nicht einverstanden Sie wollten Genaueres wissen, wie es die gereizten Worte Rutherfords auf Seite 252 andeuten:

"Weshalb jetzt in spitzfindiger Art über Daten, Tage oder Stunden debattieren? Die wahrnehmbaren Tatsachen, die in Erfüllung gegangene Prophezeiung und die in Erfüllung begriffene Prophezeiung liefern einen überwältigenden, über den Schatten jedes Zweifels hinausgehenden Beweis, dass der Herr gegenwärtig ist, dass die Welt zu Ende und dass das Königreich des Himmels nahe ist".

Angesichts der auf 1799 und 1874 datierten "Endzeit" sah sich Rutherford zum Schluss doch noch genötigt, die Erfüllung der damit verbundenen Erwartungen auf die "nächsten paar Jahre" zu datieren, wie dies auf den Seiten 340 und 341 deutlich wird:

"Weil Abraham, Isaak, Jakob und andere glaubenstreue Propheten, die von dem Apostel Paulus im Hebräerbriefe, Kapitel 11, beschrieben sind, die Verheißung einer besseren Auferstehung erhalten haben, und auf Grund des Zeugnisses des Propheten Fürsten oder Herrschers auf der ganzen Erde sein werden (Psalm 45:16), so steht zu erwarten, dass sie die ersten sind, die unter den Bestimmungen des neuen Bundes aus den Toten auferweckt werden. Es ist deshalb vernünftigerweise zu erwarten, dass sie wieder auf der Erde sein werden, sobald die Wiederherstellungssegnungen beginnen. Somit mag zu erwarten sein, dass diese glaubenstreuen Überwinder des alten Bundes in den nächsten paar Jahren wieder auf der Erde erscheinen werden. Sie werden die gesetzlichen Vertreter des Christus auf Erden sein. Sie werden die sichtbaren Vertreter des Königreiches der Himmel sein. Sie sind diejenigen, welche die Angelegenheiten der Erde unter der Leitung des Herrn verwalten werden."

Nach fünfzig Jahren

Inzwischen sind seit der Erstveröffentlichung der "Harfe Gottes" mehr als 50 Jahre vergangen, und die tatsächliche Entwicklung hat diese Behauptungen und Thesen auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. Dennoch macht dieser Rückblick deutlich, wohin die Versuche, die Bibel als Orakelbuch zu strapazieren, hinführen können. Nämlich zur völligen Unglaubwürdigkeit jener, die meinen, mit solchen Hypothesen arbeiten zu müssen.

Es wird deutlich, dass die WTG jener Tage offensichtlich geistig überfordert war, dass sie einen krampfhaften göttlichen Nimbus am untauglichen Objekt aufzubauen versuchte. Hier offenbart sich eine Geisteshaltung, die die tatsächlichen gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten nicht versteht, und deshalb die Flucht in vermeintliche Prophezeiungen antritt. Zu beachten wäre noch, dass die Enttäuschungen der Jahre 1914 und 1918 noch keineswegs vernarbt waren. Aus dieser Sicht wird deutlich, dass die unangenehmen Erfahrungen jener Jahre nicht geistig verarbeitet, sondern nur verdrängt wurden, was unweigerlich zu neuen Enttäuschungen führen musste. Eine Feststellung, die auch für die Gegenwart noch ihre aktuelle Berechtigung hat.

Notwendiger Lernprozess

Das Beispiel der "Harfe Gottes" könnte mit veranschaulichen, dass man die Bibel (als Urkunde des Christentums) in der Gegenwart nicht in dem Sinne auslegen sollte, unbedingt vermeintliche Prophezeiungen aus ihr herauszupressen. Das Erwachen aus diesem Traum wird notwendigerweise ernüchternd und hart für die Betroffenen sein. Man sollte unter Beachtung der Zeitbedingtheit ihrer Aussagen nach ihrem geistigen Sinn fragen und seine Aspekte für die Gegenwart fruchtbar machen.

Bis sich diese Erkenntnis irgendwann auch bei der WTG einmal durchgesetzt haben wird, wird sie bis dahin noch etliche Ernüchterungen und Enttäuschungen für die Anhängerschaft parat haben. Denn, wem nicht zu raten ist - dem ist bekanntlich auch nicht zu helfen.

Feststellungen zum neuen Termin 1975

Aus Monaten wurden Jahrzehnte

Gespräche und Kommentare der Studiengruppe Christliche Verantwortung (Berlin)

Nr. 2 (1970)

"Hast du schon je daran gedacht, dass die Tage deiner Lebenszeit in gewissem Sinne den Sandkörnchen in einer Sanduhr gleichen? Sie verrinnen ebenso unaufhaltsam wie der Sand in einer Sanduhr, bis schließlich nichts mehr davon übrigbleibt. Da kannst den Ablauf der Zeit durch nichts aufhalten. Du siehst, wie durch ihn deine Lebensdauer immer mehr verkürzt wird. Solange du jung bist, machst du dir darüber wenig Gedanken, weil der größere Teil deines Lebens immer noch vor dir liegt. Erst wenn du merkst, dass du schon über die Blüte deiner Jugend hinaus bist und die Hälfte deines Lebens vorbei ist, beginnst du wahrscheinlich darüber nachzudenken." WT 21/1966 S. 643.

Für sich gesehen ist dies eine recht natürliche Betrachtung über den Ablauf des menschlichen Lebens, die im Hinblick auf 1975 sehr angebracht ist. Auch in einem Königreichslied heißt es nämlich mit Bezug auf den naturgesetzlichen Ablauf aller Dinge, dass die 'Satzung' des Natürlichen nicht gebrochen werden kann. "Lieder zum Preise Jehovas", 1952, Lied Nr. 58, zweite Strophe. Bezeichnenderweise wurde dieses Lied aus dem neuen Liederbuch von 1969 entfernt. Warum wohl?

Heute wie 1914 verhalten?

Nachdem im WT vom 1. 1. 1967 das Jahr 1975 als neues und letztes Endzeitdatum veröffentlicht worden war, brachte der WT vom 15. 5. 1967, S. 310, folgende Geschichte eines 87-jährigen Pionierverkündigers aus Neuseeland:

"Im Süden von Neuseeland dient ein siebenundachtzigjähriger Bruder immer noch als Pionier, und seine treue Frau, die ebenfalls im Pionierdienst steht, ist sogar noch einige Jahre älter. Er verkaufte im Jahre 1914 sein Geschäft, damit er mindestens noch einige Monate 'Kolporteur-Pionierdienst' leisten könne, bevor im Herbst jenes Jahres der erwartete große Zusammenbruch käme. Er führt gern Jeremia 20:7 an: 'Jehova, du hast mich beredet (betört, Me.) Und ich habe mich bereden lassen'. Er hatte gedacht, sein Pionierdienst auf der Erde werde nur noch kurze Zeit dauern. Nun sind aus dieser kurzen Zeit 50 Jahre geworden. … Nach den letzten Berichten ist er immer noch 'stark' wie Simson. Ob er es hätte anders haben wollen? Nein, im Gegenteil! Er ermuntert junge Menschen, ebenso eingestellt zu sein, wie er es im Jahre 1914 war."

Als Erklärung dafür, dass er immer noch "stark" sei, sagt der WT: "Die Wahrheit ist so sehr ein Teil von uns geworden, dass wir sie nicht mehr aufgeben können!"

Zunächst ist es recht aufschlussreich, dass der WT lehrt, im Hinblick auf 1975 so eingestellt zu sein, wie es dieser alte Bruder 1914 war. Dies würde bedeuten, felsenfest an 1975 zu glauben und lieber alles an den Nagel zu hängen, nur um noch eine kurze Zeit alles, aber auch alles einzusetzen. Andererseits ist doch aber Tatsache, dass die Erwartung von 1914 eine falsche WT-Prophezeiung war! Das in Wirklichkeit damals kein Harmagedon und keine Entrückung stattfand! Soll das für 1975 auch einkalkuliert werden?

Nebenbei bemerkt ist die Geschichte von diesem 87-jährigen Bruder arg verfälscht. Der "große Zusammenbruch" war keine bloße Erwartung irgendwelcher Zeugen in jenem Jahr. Der WT vertuscht die Wahrheit hier. Der WT selbst hatte im Namen Jehovas für 1914 Harmagedon, die Entrückung des Überrests und die Auferstehung der Fürsten prophezeit! 5. Mose 18:20-22.

Bedenklich ist auch, dass hier Jeremia 20:7 zitiert wird! Als habe Jehova die Schuld an diesen falschen Prophezeiungen von damals, als habe er die Brüder 1914 "betört". Warum bringt der WT hier überhaupt diesen Begriff "betört"? Das ist doch auch eine Übersetzungsfrage. Die 1914 auf Harmagedon gesetzt hatten, waren in der Tat hernach Toren, denn es kam nicht. Sie hatten alles umsonst verkauft und mussten von vorn anfangen. Es handelt sich obendrein hier um eine Falschzitierung, da Jeremia nicht im Zusammenhang mit falschen Prophezeiungen weder von Jehova noch von Jeremia selbst steht! Was soll also diese ganze bedenkliche Zitiererei im Hinblick auf das Jahr 1975?

Weder ja noch nein

Es ist auch eine Tatsache, dass die WTG zu 1975 weder ein klares Ja noch ein klares Nein sagt. Im WT vom 1. 1. 1967 antwortete WTG-Vizepräsident F. W. Franz, Brooklyn, auf die Frage nach 1975: "Es könnte das bedeuten. Doch wir sagen das nicht. Alle Dinge sind bei Gott möglich. Doch wir sagen das nicht." (S. 23) Wie ist das mit der Aufforderung zu vereinbaren, so eingestellt zu sein wie jener alte Bruder für 1914?

Es hat jedoch seinen Grund, wenn der WT solche alten "starken" Brüder heute vorstellt. Denn es liegen auch andere Alarmzeichen vor, von denen anzunehmen ist, dass sie für mehr stehen als nur für "einige" Brüder. Sonst würde der WT darüber nichts bringen. Aber das Haus fängt langsam Feuer.

"Heute beginnen einige Brüder, die schon viele Jahre in der Wahrheit sind, einen ähnlichen Geist der Unzufriedenheit zu bekunden, wie es die Israeliten zu Moses Zeiten taten. Jahrelang haben sie ihren Freunden und Bekannten gesagt, die Schlacht von Harmagedon stehe kurz bevor. Bestimmt sind sie von Zeit zu Zeit immer wieder in dieselben Häuser gegangen. … Nun sollte Harmagedon ihrer Meinung nach endlich kommen, und sie werden ungeduldig, weil Gott das Böse nicht sogleich vernichtet. Sie beginnen sich zu beklagen." WT 21/1967, S. 655.

Umfragen in den Versammlungen haben ergeben, dass es nicht nur einige Brüder sind. Es herrscht vielmehr eine große Unsicherheit, Unklarheit, Skepsis und Bedenklichkeit, und zwar überall, was 1975 betrifft. Man erinnert sich nämlich, dass der WT schon mehrmals falsche Daten angesetzt hat, wie 1914 und 1925. Die WTG ist gezwungen, dem zu begegnen.

Aber wie tut sie es? Sie versucht, wie dieses WT-Zitat "einige Brüder" betreffend zeigt, die Sache so darzustellen, als Beklagten sich die Brüder über Gott, indem sie murrten wie zur Zeit Moses. Das ist doch aber völlig abwegig!

Wer hat denn die Aufträge erteilt, immer wieder seit Jahrzehnten in die Häuser zu gehen und zu predigen, die Schlacht von Harmagedon stehe unmittelbar bevor? Gott? Nein, Gott war das nicht. Es war sein "treuer und kluger Knecht"! Es war die WTG angeblich im Auftrage Gottes! Das ist ein wesentlicher Unterschied! Könnte ein unfehlbarer Gott z. B. Verantwortlich sein für die falsche WT-Obrigkeitslehre von 1929 bis 1963, für die falschen Voraussagen von Harmagedon für 1914, 1925, den 2. Weltkrieg und für 1972? ("Die Wahrheit wird euch freimachen", Zeitrechnung. "Dein Name werde geheiligt" S. 329). Und könnte dieser Gott gebieten jetzt 1975 festzusetzen, wie es geschehen ist, und dann aber sagen lassen: "Es könnte sein, aber wir sagen das nicht?"

Die WTG möchte verhindern, dass die Brüder lernen, zwischen ihr und Gott zu unterscheiden. Denn gegen Gott wagt in der Tat nicht so schnell jemand zu murren. Darum wird alles immer wieder so hingestellt, als sei Gott für alle WT-Lehren verantwortlich. 5. Mose 18: 20-22 zeigt jedoch, dass Gott nie für die bisherigen WT-Endzeitdaten und -lehren verantwortlich war. Aber auch für 1975 ist er nicht verantwortlich. Auch dieses Datum stammt nicht von Gott. Denn der "treue und kluge Knecht" sagte deutlich im WT vom 1. 1. 1967, S. 23, mit Bezug auf 1975: "Es könnte sein, aber wir sagen das nicht", während es bekanntlich doch gesagt wurde. Der treue und wahrhaftige Zeuge Gottes, Jesus Christus, dagegen sagte: "Eure Rede sei vielmehr ja, ja, nein, nein. Jeder weitere Zusatz stammt vom Bösen!" Oder nach der NW-Übersetzung: "Euer Wort Ja bedeutet einfach Ja, euer Nein nein, denn was darüber hinausgeht, ist von dem, der böse ist!" (Bergpredigt Jesu, Matth. 5:37).

Bekanntlich wurde der westdeutsche WTG-Zweigdiener Konrad Franke, Wiesbaden, am 1. Oktober 1969 seines Dienstamtes enthoben, weil er mit Bezug auf 1975 ein klares und unzweideutiges Ja vertrat.

Wer ist nun der "treue und kluge Knecht"?

Die unbekannte Lebenszeit Adams

Aus dem Wachturm vom 1. 4. 1955, S. 233, entnehmen wir folgende Darstellung zur Lebenszeit Adams. Wie wir alle wissen, ist dies wichtig für die gesamte Zeitberechnung, denn es ist der Beginn dieser Berechnungen, auch für 1975.

Im Einzelnen wird dazu gesagt:

"Indes wäre auf Grund unserer gegenwärtigen Chronologie (die wie wir zugestehen müssen unvollkommen ist), der Herbst des Jahres 1976 im besten Fall das Ende der 6000-Jahresperiode Menschheitsgeschichte und nicht der siebenten 7000-Jahresperiode Jehovas. Warum nicht? Weil Adam nach seiner Schöpfung im letzten Teil der Schöpfungsepoche vor der siebenten Periode, vor dem Sabbat Jehovas, einige Zeit gelebt hatte. Gerade die Tatsache, dass niemand heute (da es zu Jehovas Geheimnis gehört) feststellen kann, wieviel Zeit Adam und später auch Eva während der Schlusstage der sechsten Schöpfungsepoche lebten, zeigt uns, dass auch jetzt niemand feststellen kann, wann sechstausend Jahre des heutigen Ruhetages Jehovas zu Ende kommen. Offensichtlich müsste die unbekannte Zeit, die Adam vor dem Beginn jenes siebenten Ruhetages lebte, zu dem Jahre 1976 hinzugezählt werden."

Zwölf Jahre später war diese "göttliche Wahrheit" des WT verworfen oder vergessen. Die WTG glaubte jetzt, den Begriff der unvollkommenen Chronologie dahingehend ausdeuten zu können, dass jene 6000 Jahre 1975 oder 1996/97 enden könnten, wie es im Buche "Ewiges Leben in der Freiheit der Söhne Gottes" auf den Seiten 28-30 dargelegt wird. Von der unbekannten Lebenszeit Adams, die zu 1976 hinzugezählt werden müsse, war nicht mehr die Rede. Stattdessen wurde der Ansicht Ausdruck gegeben: "Wie passend es für Jehova Gott sein würde, diese kommende siebente Periode von tausend Jahren zu einer Sabbatperiode der Ruhe und Befreiung zu machen, zu einem großen Jubeljahrsabbat, um Freiheit auf der ganzen Erde allen ihren Bewohnern auszurufen!"

Beachte, dass gesagt wird, "wie passend es für Jehova sein würde", eine unbestimmte Möglichkeitsform. Darüber hinaus: Wie kann die WTG wissen, was Jehova passt oder nicht? Um der Vollständigkeit willen machte die WTG in einer Fußnote auch noch auf die jüdische Chronologie aufmerksam: "Folglich ist das Jahr 1960 u. Z. gleichbedeutend mit dem jüdischen Jahr 5720."

Dem Leser stehen somit gleichzeitig 3 Daten zur Verfügung, die er sich als das Ende eines 6000-jährigen "Ruhetages Jehovas" auslegen kann. Sollten sich seine Erwartungen nicht erfüllen, so besteht immerhin noch die Möglichkeit, sich auf eine angeblich noch hinzuzurechnende "unbekannte Lebenszeit Adams" zu berufen.

Ist das jedoch im Einklange mit der Bibel? Der in 1. Mose 5:4,5 aufgeführte Stammbaum von Adam bis Noah besagt: "Nachdem Adam den Seth gezeugt, lebte er noch achtzehnhundert Jahre und zeugte Söhne und Töchter. So betrug Adams ganze Lebenszeit 930 Jahre, dann starb er." Hier wird also eine ganz bestimmte Lebenszeit angegeben, was also bleibt von einer "unbekannten Lebenszeit Adams?" Wie zuverlässig ist also die ganze WT-Zeitberechnung?

WTG-Präsident J. F. Rutherford

Über die Festsetzung von Daten und Zeiten

"Jehovas Getreue wurden in ihren Erwartungen für die Jahre 1914, 1918 und 1925 enttäuscht. Später lernten die Treuen, dass sie keine Daten mehr festsetzen sollten." ("Rechtfertigung" Bd. 1, S. 332; WTG-Magdeburg 1932).

Was wahr mit dem Jahr 1925?

"Wir haben, wie zuvor dargelegt, ü b e r z e u g e n d e B e w e i s e dafür, dass die alte Ordnung der Dinge, die alte Welt, zu Ende geht und deshalb gänzlich vergehen wird, dass die neue Ordnung hereinbricht, und dass das Jahr 1925 Zeuge der Auferstehung der alttestamentlichen Überwinder und der Beginn des Wiederaufbaus der zertrümmerten Weltordnung sein wird. Und gestützt auf diese B e w e i s e ergibt sich der vernunftgemäße Schluss, dass Millionen Menschen im Jahre 1925 noch auf Erden sein werden, die, gestützt auf die Verheißungen im Worte Gottes unanfechtbar niemals sterben werden!" (Broschüre "Millionen jetzt Lebender Menschen werden niemals sterben" WTG 1920) Lies die hierzu wichtigste Schriftstelle: 5. Mose 18:20-22.

 

An ihren Früchten erkennet sie

Gespräche und Kommentare der Studiengruppe Christliche Verantwortung (Berlin)

Nr. 4 (1970)

Ganz bestimmt hat die Feststellung, dass man die Menschen und Organisationen an ihren Früchten oder Werken erkennen wird, eine große Bedeutung. Das gilt auch für die von der WTG aufgeworfene Frage, was die Religion der Menschheit gebracht hat. Indes, man kann bei dem Bemühen, eine befriedigende Antwort zu finden, durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, je nachdem, von welcher Grundposition aus an die Beantwortung herangegangen wird.

Eines ist jedoch sicher, ein Pauschalurteil nach dem Motto: hier strahlendes Licht, dort tiefste Finsternis, wird wohl in jedem Fall unangebracht sein. Nicht Streitereien über die unterschiedliche Auslegung und Bewertung von Dogmen, sondern die schlichte und einfache Frage: was hat deine Religion für dein persönliches Leben bewirkt, soll einmal zur Sprache gelangen.

Berufliche Auswirkungen

Eines der Hauptfundamente deines Lebens, neben den familiären Bindungen, stellt die berufliche Tätigkeit dar. Sie ist von entscheidender Bedeutung, denn durch sie wirst du normalerweise deinen Lebensunterhalt mit allem, was dazu gehört, bestreiten. Für junge Menschen, die vor der Entscheidung über ihren weiteren Entwicklungsweg stehen, kann eine diesbezügliche Fehlentscheidung mitunter sehr unangenehme Konsequenzen zeitigen. Wie bereiten nun Jehovas Zeugen ihre Jugend darauf vor? Sind sie sich des vollen Ernstes der damit verbundenen Verpflichtung, für das Wohl ihrer Kinder Vorsorge zu treffen, bewusst?

Bedenke, dass die Wachtturmgesellschaft schon mehrere Male im Hinblick auf 1914, 1925, 1945 usw. sagte: "Als junger Mensch wirst du nie das Ende einer Laufbahn erreichen, die dir dieses System bietet." - "Erwachet!" 16/69.

Bedenke, dass die Wachtturmgesellschaft es peinlichst vermeidet, sich konkret zu ihrem Datum 1975 zu bekennen, dass dieses wiederum eine Verschiebung ihres vorherigen Datums 1972 ist! ("Die Wahrheit wird euch frei machen" S. 152).

Wenn du das auf die leichte Schulter nimmst, dann mag möglicherweise auch für dich zutreffen, was "Der Wachtturm" in unverbindlichem Beiwerk eingerahmt deutlich zu verstehen gab, dass du dann etwas zu bedauern hast!

Rückblick mit Bedauern

"Du weißt, was Bedauern ist. Es ist der Wunsch, etwas von neuem tun zu können, und zwar anders, als man es getan hat. Es ist die Reue über ein Verhalten oder Versäumnis der Vergangenheit. Hast du irgend etwas zu bedauern? Wir alle haben schon etwas getan, was wir gern von neuem, aber anders tun würden.

So wie wir auf die vergangenen Jahre zurückgeblickt haben, wollen wir fünf Jahre in die Zukunft schauen. Das wäre das Jahr 1975. Was werden wir dann bedauern? … Wenn in deinem Sinn irgendwelche Zweifel bestehen, irgendwelche Schwächen in deinem Glauben, wenn du nicht völlig überzeugt bist, dass das, was du glaubst, wahr ist, wirst du zu jener Zeit etwas zu bedauern haben." WT 3/70 S. 91-93.

Beispiele aus der Vergangenheit

Es ist nicht so, dass nur der gegenwärtigen jungen Generation von der WTG nahe gelegt wird, ihre berufliche Entwicklung zu Gunsten des Predigtwerkes zu vernachlässigen. Mitnichten! Für viele Beispiele mag eines stellvertretend zitiert werden, dass der "Wachtturm" selbst veröffentlicht, und dessen Verfasser sich durch die in den 1940-er Jahren geschürte Verkündigung, der Zweite Weltkrieg ende in einem göttlichen Harmagedon, beeinflussen ließ:

"Ich nahm mir vor, bis zum Kongress von St. Louis zu kündigen. Als die Zeit kam, ging ich zum Oberingenieur aufs Büro und sagte ihm: Ich möchte kündigen. Er konnte nicht verstehen, wie jemand einen solch guten Posten aufgeben konnte.

Der Pionierdienst war für mich etwas Neues. Am Ende des zweiten Monats erhielt ich von der Gesellschaft einen Brief, in dem es hieß, sie könnten jemanden nur dann als Pionier anerkennen, wenn er seine Stundenquote erreiche. Dann ging mir das Geld aus, und ich lernte erkennen, was es bedeutet, aus Glauben zu leben.

Ich hatte keine Unterkunft und wenig Geld um ein Zimmer zu mieten, aber ein Bruder, der bei einem Pöbelangriff derart verprügelt war, dass er vollständig arbeitsunfähig im Krankenhaus lag, lieh mir seinen Wohnwagen.

Das schlimmste erlebte ich an einem bitterkalten Abend im Zentrum von Reno. Zwei Zeitungsverkäufer stürzten sich auf mich um mich zu verprügeln, und ihr Hund biss mich ins Bein. … Als ich so schwach geworden war, dass ich dachte, ich müsste den Dienst aufgeben, wurde ich zur Mitarbeit ins Zweigbüro gerufen. Obwohl ich mich nie ganz erholt habe." - WT 17/60 S. 537-41.

Dieser Bruder musste also, nebst vielem anderen, erfahren, dass er sein Leben einer Sache gewidmet hatte, die viele, oftmals sehr harte Opfer von ihm verlangte, deren eigentlicher Anreiz sich letztendlich als Illusion erwies!

Beispiel aus der Gegenwart

Nicht nur das, auch in der Gegenwart sieht es nicht viel anders aus. Der gleiche Geist, eine vermeintlich "unmittelbar" bevorstehenden sichtbaren Tausendjahrreiches Christi wird von der WTG bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit geschürt, während sie es andererseits bewusst vermeidet, dazu klar Farbe zu bekennen. Nachdem durch die 1975-Spekulation entstandenen Konjunkturanstieg beim Verkauf ihrer Literatur wähnt man sich wieder einmal wie so oft in einem neuen endzeitlichen Siegestaumel:

"'Begeisternd, einfach begeisternd!' 'Jetzt kann ich mir vorstellen, wie es zu Pfingsten 33 u. Z. gewesen sein muss!' 'Darauf haben wir schon seit Jahren gewartet!' 'Das Ende des gegenwärtigen Systems der Dinge ist sehr, sehr nahe, dass wissen wir alle!' so äußersten sich einige Beobachter in der Brooklyner Zentrale der Zeugen Jehovas. Worüber? Über die vermehrte Tätigkeit ihrer Mitzeugen in der ganzen Welt. Gottes Diener spüren den Geist der Dringlichkeit, der heute, in der denkwürdigsten Zeit der Geschichte, durch ihre Reihen weht."- WT 9/69 S. 284.

Das ist die eine Seite der "Medaille". Die andere Seite sieht so aus:

"Sie (Jehovas Zeugen) werden nicht nur bis zum Jahre 1975 laufen." - WT 23/68 S. 693.

"Was nützen uns aber diese Berechnungen und der Aufschluss über diese Geschlechtsregister heute? Ist es für uns nicht ebenso uninteressant und nutzlos, uns damit zu befassen, wie wenn wir durch einen Friedhof gingen und uns die Daten auf den alten Grabsteinen abschrieben?" - WT 22/68 S. 691.

"Wir erwarteten bisweilen von einem bestimmten Datum mehr, als uns die Bibel zu erwarten berechtigte. Diese Erwartungen erfüllten sich nicht."- WT 21/66 S. 664-70.

Was hat diese Religion den Zeugen gebracht?

Wie gesagt, deine Religion übt einen bedeutenden Einfluss auf dein Leben aus, der selbst solch wichtige Gebiete wie deine berufliche Entwicklung mit beeinflusst. Es ist natürlich so, dass die edlen Grundgedanken des Christentums mitunter zu einer positiven Arbeitseinstellung führen können, aber nicht müssen. Hierbei Verallgemeinerungen vornehmen zu wollen, wäre bestimmt nicht angebracht. Welche praktischen Ergebnisse wurden und werden nun durch deine Religion hervorgerufen? Einige Beispiele, sämtlich der "Wachtturm"-Literatur entnommen, mögen dies veranschaulichen.

Beispiele

"Vor kurzem wurden einem jungen Bruder, der das letzte Jahr die Mittelschule besuchte, so viele Stipendien angeboten, dass sein ganzes Hochschulstudium bezahlt gewesen wäre. (Er lehnte aber ab)" - WT 9/67 S. 273.

"Einem jungen Mann aus Mittelamerika wurde zum Beispiel ein Stipendium für ein Musikstudium in Österreich angeboten. Er hätte dadurch eine aussichtsreiche Musikerlaufbahn einschlagen können. Er hätte auch eine Optikerschule in Deutschland besuchen und danach eine gute bezahlte Stellung erhalten können. Er lehnte jedoch beide Angebote ab." - WT 10/69 S. 291.

Auch die "Wachtturm"-Ausgabe 4/70 S. 16-19 berichtete weitere solcher Fälle. Da wird von einem jungen Zeugen berichtet, der das Abitur gemacht hatte, und ein Stipendium für ein Universitätsstudium ablehnte. Ein anderer, dem nach Absolvierung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Oberschule ein Stipendium von 10 000 Dollar angeboten wurde um Biochemie zu studieren. Eine Schwester, deren Vater ihr die Ausbildung als Sängerin bezahlen wollte. Einem Bruder, dessen Vater ihm ebenfalls ein sechsjähriges Studium mit allem Zubehör bezahlen wollte. Einem jungen chinesischen Zeugen in den USA, der nach zwei Jahren Medizinstudium es durch den WTG-Einfluss abbrach usw. Sie alle taten es in dem Glauben: 1975 spätestens! beginnt das sichtbare Tausendjahrreich Christi.

Wie wird wohl ihr weiterer Lebensweg verlaufen? Wenn sie treue Nachfolger der WTG sind, werden sie auch diesen Zeitpunkt in ihrem Dienst überstehen und sich allmählich eine spezifische Eigenschaft anerzogen haben, und die heißt Heuchelei!

Sie werden, statt 1975 eben 1997, vielleicht nicht so direkt, mehr "indirekt" den Leuten als neuen Termin verkündigen. Vergessen werden die Erfahrungen früherer Generationen sein, denen für 1914, 1925, 1945 usw. dem Sinne nach das gleiche erzählt wurde.

Wie soll es weitergehen?

Sicher muss das nicht so sein. Vieles hängt auch vom Einzelnen ab. Von seinem charakterlichen Willen. Von seiner Einsicht: Bis hier und nicht weiter! Indes verdeutlichen diese Beispiele, dass der WTG-Einfluss nicht der beste ist. Wann wird sie wohl ihre diesbezügliche Verantwortungslosigkeit aufgeben? Wann wird sie begreifen, dass der Mensch keine manipulierbare Masse ist? Wann wird sie begreifen, dass ihr eigenes Heil nur im Dienst für Fortschritt und Gerechtigkeit zu finden ist?

In diesem Zusammenhang stellt das Beispiel der "Kirche Jesu Christi - Heiligen der letzten Tage" (Mormonen) einen interessanten Vergleich dar. Diese Gemeinschaft, die ihren Ursprung ebenfalls in den USA hat, die ebenfalls auf eine von Extremen gezeichnete Geschichte zurückblicken kann, hat sich nun mittlerweile in den bald 150 Jahren ihres Bestehens zu einer Gemeinschaft entwickelt, die auf einigen Gebieten durchaus vorbildliches aufzuweisen hat.

Ihre vorbildlichen Eigenschaften kann man am besten mit den Worten charakterisieren, die der konfessionskundliche Forscher Dr. Hutten dahingehend zusammenfasste:

"Es muss aber anerkannt werden, dass dieser Glaube mit seiner starken Hervorhebung des optimistischen Elementes gute und wertvolle Antriebe geben kann. … Die Zahl ihrer Universitätsstudenten ist doppelt so groß wie der Durchschnitt."

Und dies alles wird von einer Glaubensgemeinschaft berichtet, die, wie ihr Name schon veranschaulicht, starke endzeitliche Impulse besitzt, die in ihren Gründerjahren in einem legendären, opferreichen Auszug nach dem menschenleeren Westen der USA ihren Angehörigen große Opfer auferlegte, deren "heilige Schriften" und führenden Personen teilweise heftig umstritten waren.

Die Mormonen haben, wenn man von ihrem ungeklärten Verhältnis zur Rassenfrage in den USA absieht, auf dem Gebiet der zwischenmenschlichen Beziehungen, durch ihr Bildungsniveau und echter, von Herzen kommender Freundlichkeit vorbildliches geschaffen, dass nicht so ohne weiteres seinesgleichen findet.

Ihre Geschichte verdeutlicht in sehr drastischer Weise, dass eine endzeitliche Religionsgemeinschaft, sofern sie sich nicht völlig unberechtigt anmaßt, allein den "Schlüssel zur Lösung aller Probleme" zu haben, als eines von vielen Gliedern wertvolle, anerkannt wertvolle Impulse zum Nutzen aller liefern kann!

Anderes Beispiel

Sicherlich ließen sich noch andere Beispiele anführen, unter anderem auch die als traditionelle Friedenskirche bekannte Evangelisch-methodistische Kirche. So ging sie z. B. auf ihrer regelmäßigen Jahreskonferenz im Jahre 1969 besonders auf die Notwendigkeit eines echten Friedensdienstes ein. In einem einmütig abgefassten Friedenswort wurde unter anderem angeführt:

"Der Friede ist im Atomzeitalter die Voraussetzung für die Existenz der Menschheit. Echter Friedensdienst schließe intensive Beschäftigung mit wirtschaftlichen und politischen Sachfragen ein. Zum Frieden gehöre auch die Bereitschaft zu stetem Gespräch, sowie die Veränderung unsozialer und ungerechter Gesellschaftsstrukturen." - "Neue Zeit", 5. 7. 69.

Mit anderen Worten: Nicht Verneinung, sondern positive, konstruktive Mitarbeit wird zu guten Früchten führen. Darin dürfte nicht zuletzt der Schlüssel zu suchen sein, wie Jehovas Zeugen aus ihren nicht endenden Schwierigkeiten herauskommen können!

"Dann ist das Geheimnis Gottes vollendet"
Anmerkungen zu einem Buch

Gespräche und Kommentare der Studiengruppe Christliche Verantwortung (Berlin)
Nr. 5 (1971)

Eines der neueren von der "Wachtturmgesellschaft" für die Versammlungen der Zeugen Jehovas herausgegebenes Studienbuch trägt den Titel: "Dann ist das Geheimnis Gottes vollendet". Es soll im besonderen als Ergänzung und Erweiterung der 1964 erschienenen Publikation "Babylon die Große ist gefallen" dienen.
Fanden sich im "Babylon"-Buch auch solche bibelverdrehende Stellen, die keinesfalls zum Nutzen für Jehovas Zeugen sind, wie (S. 535): "Russland und seine Satelitenländer sind gleich jenen, die in Jesaja 57:20 und 21 beschrieben werden: 'Aber die Gesetzlosen sind wie das aufgewühlte Meer; denn es kann nicht ruhig sein, und seine Wasser wühlen Schlamm und Kot auf. Kein Friede den Gesetzlosen spricht mein Gott."
So ist festzustellen, dass die gleiche verhängnisvolle Kontinuität einer aus einem kleinbürgerlich begrenztem Denkhorizont stammende politische Verblendung, auch in dem neueren Buch anzutreffen ist. Unser nachfolgender Kommentar, beschäftigt sich im einzelnen damit:

Ein Mottenzerfressenes "Geheimnis"

"Das vollendete Geheimnis" nannten die C. T. Russells Lehren zusammenfassenden Redakteure ihr Buch; bekannt auch als der 7. Band der "Schriftstudien". 1930, also 13 Jahre danach, musste jenes schon "vollendete" Geheimnis durch neues "Licht" ausgewechselt werden, und in der Gegenwart findet es unter dem Titel "Dann ist das Geheimnis Gottes vollendet", seine dritte Version dieser Offenbarungsauslegung.
Rückblickend kann man bestätigen, dass G. H. Fisher und C. J. Woodworth in ihrem 7. Band der "Schriftstudien" - wenn auch tendenziös gefärbt - wohl noch die geistvollste Variante der Offenbarungsauslegung durch die WTG zusammenstellten. Wenn in der Offenbarung 2 und 3 von sieben Sendschreiben an die einzelnen Gemeinden im Urchristentum die Rede ist, dann wurde das im "Vollendeten Geheimnis" so ausgelegt; dass damit Paulus, Johannes, Arius, Waldus, Wycliff, Luther und Russell als die einzelnen "Sendboten" zu verstehen seien. Sogar umfangreiche kirchengeschichtliche Zitate, aus allgemein anerkannten Nachschlagewerken wurden mit als Beweis für diese Theorie herangezogen. Andererseits blieben jedoch auch einige bemerkenswerte Überspitzungen nicht aus wie z. B.:

"Schriftstudien" Band 7

"Der besondere Sendbote für das letzte Zeitalter der Kirche war Charles T. Russell … Er hat in privatem Gespräch zugegeben, er glaube, dass er vor seiner Geburt für sein großes Werk ausersehen sei." (S. 65)
"Satan ist ein fleißiger Durchforscher von Zeitprophezeiungen; da er aber nicht den Heiligen Geist besitzt, so ist er nicht imstande, zu genauen Schlussfolgerungen zu kommen … Ohne Zweifel glaubte Satan, dass das tausendjährige Königreich im Jahre 1915 aufgerichtet werden sollte. … Jedenfalls sprechen Beweise dafür, dass die Errichtung des Königreiches in Palästina wahrscheinlich im Jahre 1925 stattfinden wird, zehn Jahre später als wir einmal berechnet hatten." (S. 164)
"Die Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft ist die bedeutendste Kooperation der ganzen Welt … Nur für sie allein steigen die Gebete der Heiligen empor." (S. 186/187)
Das zuletzt genannte Zitat fand dann in Rutherfords "Licht" seine weitere Ausprägung. War Russell noch bereit, Arius, Waldus, Wycliff und Luther mit in seine "Ahnenreihe" hineinzukonstruieren. So ist bei Rutherford davon nichts mehr zu verspüren. Kommentarlos werden jene kirchengeschichtlichen Persönlichkeiten in seinem "Licht" überhaupt nicht mehr erwähnt; um alle dadurch freiwerdende Bibelstellen nur noch auf die Wachtturmgesellschaft und ihre Geschichte anzuwenden, wie auch die folgenden Auszüge aus "Licht" Band 1 es veranschaulichen:

"Licht" Band 1

"Der Zeitabschnitt, worin die Prophezeiung der Offenbarung sich erfüllt, scheint ungefähr 1879 anzufangen und bis zur Zeit der vollen Wirksamkeit des Königreiches zu dauern." (S. 12)
"Demnach bezieht sich die Botschaft an die 'sieben Versammlungen' auf die Zeit von 1879 an." (S. 16)
"Manche von ihnen hatten ihr Herz darauf gesetzt, 1914 in den Himmel zu gehen, und als ihre Erwartung nicht eintraf, waren sie enttäuscht." (S. 18)
"Als 1914 und 1918 die Prüfung über die Versammlung Gottes kam, da fielen viele von denen ab, die bis dahin Führer in der Versammlung gewesen waren." (S. 20)
"Die Erfahrung, welche die Gesellschaft im Jahre 1918 durchmachte, glich der Enthauptung Johannes der Täufers." (S. 25)

Kirchengeschichtliches Vakuum

Ein Blick in das Sachverzeichnis des neueren WTG-Buches "Dann ist das Geheimnis vollendet" bestätigt diese Tendenz. Wollte man es ernst nehmen, so wäre zwischen dem Tod des Apostel Johannes und dem Beginn der WTG-Tätigkeit nichts wesentliches, durch die Bibel zu belegendes geschehen, während die nachfolgenden Jahre nur so von "bedeutenden" Geschehnissen strotzten.

Papsttum oder Christus?

Auch hierbei ist ein Vergleich mit dem 7. Band der "Schriftstudien" interessant. Während gemäß neuerer Auslegung der in Offb. 6:2 erwähnte "Reiter" Christus darstellen soll, so war dies zu Russells Zeiten noch das Papsttum! (S. 134) Als Erklärung dazu heißt es jetzt gemäß offiziöser WTG-Interpretation: "Die 'Schriftstudien' Band 7 versuchten 'zu früh' Offenbarung 6 zu erklären." ("Dann ist das Geheimnis Gottes vollendet" S. 52).
Doch ernsthaft bedenklich werden solche Lehrumfrisierungen wenn sie gleichzeitig dazu missbraucht werden, Gläubige Menschen zum Hass und politischer Verhetzung zu erziehen. Ein besonders markantes Beispiel dazu bildet jene Bibelstelle aus Offenbarung 8: 8,9 wo von einem zweiten posaunenden Engel die Rede ist. Ein Vergleich der dazu gehörigen Auslegungen mag einiges verdeutlichen.
Gemäß "Schriftstudien" Band 7 (S. 192-194) bezöge sich jene Bibelstelle auf König Heinrich VIII., dem Gründer der anglikanischen Kirche und seinen Selbständigkeitsbestrebungen gegenüber dem Papst.

Hasstiraden

In Rutherfords "Licht" Band 1 (S. 114-121) bekam sie schon wieder einen völlig anderen Sinn. Nach seiner Auslegung wäre damit die "Resolution" gemeint, die auf dem am 25. 8. 1923 tagenden Kongress in Los Angeles (USA), unter dem Titel "Eine Warnung" veröffentlicht wurde. Ein Auszug aus seiner entsprechenden Kommentierung dazu zur Verdeutlichung:
"Die Resolution ist nicht die Posaune, aber sie bedeutet die greifbare Kundgebung des Vorgehens Gottes durch die Glieder seiner Organisation. Die Wirkung wird sodann in Sinnbildern im neunten Vers angedeutet … Das 'Meer' bedeutet im Sinnbild die Völker der sogenannten Christenheit … Zu jener Zeit war der 'Berg' Satans oder seine Organisation, Christentum genannt … In Brand geraten. Die Christenheit stand besonders unter dem 'Feuer' des Zornes Gottes." (S. 115)
Die Tendenz dieser "Resolution" mag als Beispiel der Punkt 4 veranschaulichen:
"Mit ihren gotteslästerlichen Lehren der höheren Textkritik und der Evolution sind sie in selbstsüchtiger Absicht in die Volksschulen und höheren Schulen, Seminaren und Universitäten gedrungen und haben dadurch das Volk in grobe Irrtümer hineingeführt und den Glauben an Gottes inspiriertes Wort bei vielen Millionen zerstört." (S. 118)

Massive politische Stellungnahme

Ganz anders die Tendenz im neueren Buch "Dann ist das Geheimnis Gottes vollendet" wo die gleiche Bibelstelle (!) zur massiven politischen Verhetzung missbraucht wird. Unter Verleugnung ihrer bisherigen Auslegungen behauptet jetzt die WTG:
"Ein Drittel der Geschöpfe im Meer, welche Seelen haben, starb (Offenbarung 8: 8,9). Auf diese Weise zeigte Gott, dass durch keine dieser radikalen, revolutionären politischen Bewegungen Leben in einem materialistischen Paradies auf Erden möglich war … Wie ist jetzt, nach all diesen Jahren der kommunistischen Herrschaft, die Lage, wie sind die Zukunftsaussichten für dieses 'Drittel des Meeres' der Menschheit? … Wie das Blut von Toten!" (S. 259,260)
"Das Gleichnis zeigt, dass die sinnbildlichen 'Böcke' … verflucht werden. In Übereinstimmung mit diesem göttlichen Fluch führt die radikale, revolutionäre, sozialistische, kommunistische Bewegung zum Tode." (S. 262)
"Die radikalen, revolutionären, sozialistischen, kommunistischen Regierungen werden keinen Erfolg haben. … Heute gibt es keinen Grund, anders als so zu denken, wie es in dem 1928 veröffentlichten Buch der Watch Tower Society, betitelt 'Regierung' hieß: Die Sowjetregierung ist kein Erfolg gewesen und wird es nie sein." (S. 263)

Sie richten sich selbst

Da die WTG sich so ausdrücklich auch für die Gegenwart noch auf ihr Buch "Regierung" beruft, ist es angebracht, auch einmal einige andere Aussagen dieser Veröffentlichung zurück ins Gedächtnis zu rufen:
"Man sagt, dass von allen Regierungen auf der Erde die der Vereinigten Staaten von Amerika einer idealen Regierung am nächsten käme. Kein ehrlicher Mensch, der die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten kennt, kann aber behaupten, dass ihre Regierung eine zufriedenstellende wäre." (S. 14)
"Ein Mitglied des Senats der Vereinigten Staaten rief öffentlich aus: 'Die wichtigste Frage, die an das amerikanische Volk herantritt, besteht darin, die Regierung den Händen des Packes von Schwindlern, käuflichen Beamten und gewerbsmäßigen Bestechern der Volksvertretung zu entreißen und in die Hände des Volkes zu legen." (S. 15)
Wir meinen, dass die in den USA ansässige "Wachtturmgesellschaft" sich mit dem zuletzt genannten Zitat, schon selbst ihr eigenes Urteil ausgesprochen hat.
Abschließend noch eine uns bemerkenswert erscheinende Notiz in unserem Beitrag

Industriellenlob für die WTG

In ihrem Kommentar zu dem 1969 im Verlag für politische Literatur in Moskau, UdSSR, herausgegebenen Buch über "Jehovas Zeugen", von E. M. Bartoschewitsch und J. D. Borrissoglebski, bemerkt die WTG:
"Unser Werk wird darin so dargestellt, als befreunde es sich mit der kapitalistischen westlichen Welt und helfe ihr durch unsere Lehren, die Massen in ihrem Griff der Ausbeutung zu halten." (Jahrbuch 1971, S. 313)
Ein Beispiel praktischer Interpretation dessen lieferte auch das lobende Zitat einer amerikanischen Industriellen-Zeitschrift, veröffentlicht im "Erwachet!" (8/71, S. 24)
Unter der Überschrift "'Wachtturm' und 'Erwachet!' - steigende Tendenz" rezitiert die WTG:
"Obige Worte erschienen in einem Feature-Artikel (Hauptartikel) der Zeitschrift 'Magazine Indusrty Newsletter". Darin wurde der rückläufige Trend in der Verbreitung anderer religiöser Zeitschriften dem Trend der Zeitschriften 'Der Wachtturm' und 'Erwachet!' gegenübergestellt. …
In dem Artikel wurde auch auf die Tatsache hingewiesen, dass die beiden Zeitschriften nur für 5 Cent das Exemplar abgegeben werden, während andere viel teurer sind. Es hieß darin: 'Und nun einiges über die erstaunlich niedrigen Preise der Wachtturm-Schriften. Es ist der Gesellschaft möglich, die Zeitschriften zu redigieren, übersetzen, drucken und in der ganzen Welt für einen Betrag, der 5 Cent entspricht, zu verbreiten, weil sie mit ihren Mitarbeitern eine Abmachung hat, die von Herausgebern, die angesichts steigender Kosten Angestellte entlassen, nachgeahmt werden sollte. Das Rezept dafür lautet: Man flöße dem Angestellten - Drucker oder Redakteur - eine solche Hingabe ein, dass er zufrieden ist mit einem Schlafraum, drei … Mahlzeiten täglich und monatlich 14 Dollar Taschengeld…
Versuchen Sie, mit Ihren Gewerkschaften solche Vereinbarungen zu treffen!"

"Haltet den Dieb"
Gespräche und Kommentare der Studiengruppe Christliche Verantwortung (Berlin)
Nr. 9 (1972)

"Haltet den Dieb", so lautet bekanntlich ein geflügeltes Sprichwort das charakterisieren will, wie ein ertappter Dieb oftmals mit großem Geschrei andere beschuldigt um so von seinem eigenen Vergehen abzulenken. Es ist immer wieder bedauerlich festzustellen, dass auch und gerade die Wachtturmgesellschaft, sich dieser unseriösen Praktik bedient.
Ein neuzeitliches Beispiel ist auch die 1975-Verkündigung. Ganz abgesehen davon, dass hierbei eine um 100 Jahre verschobene Neuauflage von C. T. Russells 6000-Jahr-Theorie vorliegt, deren Ende und Beginn der unsichtbaren Gottesherrschaft er für 1874 verkündigte; so offenbart das jetzige lavieren der WTG den gleichen unseriösen Missbrauch der Bibel.
Es ist der WTG durchaus zu glauben das sie sich mit der Festsetzung dieses Datums keineswegs wohl fühlt, dass sie statt dessen lieber gar nichts in dieser Richtung gesagt hätte. Das sie es dennoch mit schlechtem Gewissen tat, offenbart einmal mehr die innere Fragwürdigkeit ihrer geistigen Grundlagen und das sie im Interesse ihrer institutionellen Selbsterhaltung zu einer Aussage in dieser Richtung gezwungen war.

Institutionelle Selbsterhaltung

Hatte sie doch seit ihren ersten Anfängen die Worte Jesu gemäß Matthäus 24:34, die er zu seinen d a m a l i g e n Landsleuten sprach, dass diese Generation keineswegs vergehen werde, bis gemäß seinen vorangegangenen Ausführungen (Matth. 24: 1,2) der Jerusalemische Tempel zerstört sein würde; über Gebühr auf eine unsachliche "gegenbildliche Erfüllung" umgemünzt.
Obwohl dann später behauptet wurde, die Generationstheorie, könne erst ab 1914 gerechnet werden, so zwang die Entwicklung der Zeit sie doch nun 1975 als "äußerste Grenze" zu bezeichnen. Dann würde auch jene Generation ihren Zenit endgültig überschritten haben. Jene Generation also, durch deren rastlosen Einsatz sie ihre institutionelle Ausweitung erreicht hat, auf deren Dienste sie noch angewiesen ist. Demzufolge biss sie 1967 in den sauren Apfel einer Opiat gleichen Illusionsverbreitung, mit allen daraus resultierenden Risiken. Im Bewusstsein ihrer früheren diesbezüglichen Ernüchterungen - man denke "nur" an 1925 - sucht sie nun alles vor ihren Karren zu spannen was ihr irgendwie nützlich erscheint.

Strohhalme

Ein erster Strohhalm den sie gierig ergriff, bildet für sie das Buch "Famine - 1975" (Hunger - 1975) von William und Paul Paddock, zwei Ernährungsexperten der "Foad and Agricultur Organisation" (der Welternährungsorganisation der Vereinigten Nationen, FAO).
Hat die Wachtturmgesellschaft ansonsten auch sehr wenig mit den Vereinten Nationen im Sinn und polemisiert bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten gegen sie, als angeblichen "Greuel der Verwüstung", so war ihr in diesem Fall diese Schützenhilfe doch offensichtlich sehr willkommen.
Was sagen nun die Paddocks? Sie berichten lediglich aus ihrer Sicht, dass in den Entwicklungsländern das Hungerproblem in dem für sie als Wissenschaftler überschaubaren Zeitraum bis 1975, nicht geringer wird, mit den sich daraus ergebenden Folgeerscheinungen. Über deren gesellschaftspolitische Ursachen wird jedoch herzlich wenig gesagt.
Was wäre wohl, wenn diese Wissenschaftler ihre Prognose auf 1980 konzipiert hätten? Die WTG wäre dann wohl um eine vermeintliche Ausrede ärmer. Das man im übrigen die Aussagen der Paddocks nur mit Vorbehalt annehmen sollte, wird auch aus ihrem 1969 in Deutsch erschienenem Buch "Vor uns die mageren Jahre" deutlich.
Danach wollen diese Experten wirtschaftliche "Hilfe" für die Entwicklungsländer nach dem Motto anwenden: "Wem nicht mehr zu helfen ist, der bleibt liegen; ebenso jeder, der ohne ärztliche Hilfe überleben kann. Nur diejenigen, die mit sofortiger medizinischer Hilfe eine Überlebenschance haben, werden versorgt." Zu denen, die "nicht zu retten sind", zählen die Verfasser neben anderen Ländern, Indien und die Vereinigte Arabische Republik, offensichtlich nicht zuletzt auch aus politischen Erwägungen! (Siehe hierzu: "Die Weltbühne" Nr. 11/1970 S. 335).

Politische Verleumdungen

Um jedoch das "Haltet-den-Dieb-Geschrei" auch noch als gezielte Attacke gegen die sozialistischen Länder und im konkreten gegen die Sowjetunion auszuweiten, schreckt die WTG auch nicht vor glatten Verleumdungen zurück. So behauptet sie in ihrer auch als öffentlicher Vortrag auf ihren Kongressen gehaltenen WT-Sonderausgabe, "Wenn alle Nationen frontal mit Gott zusammenstossen" (Nr. 20/1971, S. 622): Es sei "öffentlich bekanntgegeben worden" … "die russischen Führer sagen, sie würden erwarten, bis zum Jahre 1975 die ganze Welt kommunistisch gemacht zu haben."
Nicht nur, dass die Wachtturmgesellschaft jeglichen Quellenbeweis für diese Unterstellung schuldig bleibt, so offenbart diese Proklamation zugleich das ihre Kenntnisse und ihr Wissen über den Marxismus/Leninismus äußerst gering sind. Sie stellen bestenfalls das verzerrte Spiegelbild einschlägiger bösartiger Vorurteile dar. Dennoch fühlt sich die Leitung der Zeugen Jehovas dazu berufen, nicht nur selbst Illusionen zu propagieren, sondern zugleich ihre eigene Unwissenheit als billige politische Propaganda unters Volk zu bringen.

Aggressives Rückzugsgefecht

Angesichts solcher Vermengung von Religion mit Politik muss eindeutig festgestellt werden, dass sich die WTG nach wie vor als religiöse Exponentin einer die Wirklichkeit verkennenden aggressiven Politik gebärdet. Was da in Millionenauflagen von ihr in die Welt posaunt wird - um so von den eigenen Haltlosigkeiten abzulenken - beweist nur das ihre letztlich als aggressives "Rückzugsgefecht" zu bewertende Hetze, einmal mehr ihr eigenes geistiges Klima offenbart.
Sie, die sich als "alleinige Heilbringerin" der Menschheit verstanden wissen will, muss nun wieder einmal, mehr wiederwillig, den eigenen geistigen Bankrott zur Kenntnis nehmen und meint, nur durch geschicktes "Haltet-den-Dieb-Geschrei" davon ablenken zu können. Es ist ihr darauf mit den Worten der Bibel zu antworten:
"Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler, weil ihr getünchten Gräbern gleicht, die zwar von außen schön scheinen, innen aber voller Totengebeine sind und allerlei Unreinigkeit. So erscheint auch ihr von außen zwar vor Menschen gerecht, im Innern aber seid ihr voller Heuchelei und Gesetzlosigkeit.
Wehe euch Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler, weil ihr die Gräber der Propheten baut und die Gedächtnisgrüfte der Gerechten schmückt und ihr sagt: 'Wären wir in den Tagen unserer Vorväter, wir hätten nicht mit ihnen teil an dem Blute der Propheten.' Somit legt ihr gegen euch selbst Zeugnis davon ab, dass ihr die Söhne derer seid, die die Propheten ermordet haben. Nun, so macht denn das Maß eurer Vorväter voll." - Matthäus 23: 27-32.

 

"Geschichte und Geheimnis der Zeugen Jehovas"

- Ein Buchbericht -

Gespräche und Kommentare der Studiengruppe Christliche Verantwortung (Berlin)

Nr. 11 (1973)

Im Jahre 1969 erschien in Großbritannien eine neue Veröffentlichung über Jehovas Zeugen mit dem Titel: "Millions now living will never die - A study of Jehova's Witnesses". Sie liegt ab 1971 auch in deutscher Übersetzung vor (Furche-Verlag, Hamburg, BRD; Theologischer Verlag, Zürich, Schweiz). Der deutsche Titel lautet: "Viele von uns werden niemals sterben". Kritisch angemerkt sei, dass insbesondere der Untertitel: "Geschichte und Geheimnis der Zeugen Jehovas" doch wohl etwas zu frei übersetzt sein dürfte, denn von einem "Geheimnis" zu sprechen, rechtfertigen weder die allgemeinen Fakten noch der spezielle Inhalt dieser Veröffentlichung.

Der englische Verfasser - Alan Rogerson, 1944 geboren - hat offensichtlich eine ähnliche Erfahrung hinter sich wie einige andere Autoren (nicht alle) die Literatur über Jehovas Zeugen veröffentlichten. Er wurde von seinen Eltern als Zeuge Jehovas erzogen, als er aber bei nüchterner Betrachtungsweise erkannte, dass er sich diese Lehre nicht zu eigen machen kann, trennte er sich von ihnen.

Neben den üblichen Quellen der WTG-Literatur, verwendet er auch das in einem weltlichen Verlag erschienene Buch des früheren WTG-Direktors A. H. Macmillan aus dem Jahre 1957 ("Faith on the ;March" - "Glaube im Vormarsch"). Ferner auch einige Bücher der insgesamt siebzehn (!) Bände umfassenden "Schriftstudien-Epiphania" von Paul S. L. Johnson, wie sie von der jetzigen "Laien-Missionsbewegung-Epiphania" herausgegeben wurden. Johnson war bekanntlich eine Schlüsselfigur bei den mit dem Machtantritt von Rutherford verbundenen internen WTG-Schwierigkeiten. Unter Berücksichtigung dessen hätte man sich gewünscht, dass gerade diese bisher wenig erforschten Partien stärker herausgearbeitet werden können.

In seiner Darstellung der Geschichte beginnt Rogerson mit dem Jahre 1874 als adventistischem Endzeitdatum, dass von Russell übernommen und weiter entwickelt wurde. Über das darauf folgende Datum 1878, zitiert er A. H. Macmillan und dessen Bericht, dass "einige sich versammelten in der kritischen Nacht in weiße Gewänder gekleidet und warteten darauf, in den Himmel aufgenommen zu werden, aber Russell gehörte nicht zu ihnen. Was Macmillan jedoch nicht erwähnt ist, dass Russell tatsächlich glaubte, dass Königreich sei aufgerichtet worden - jedoch unsichtbar (S. 18).

An diesem kleinen Beispiel einer polemischen Auseinandersetzung mit der Darstellung des WTG-Direktors Macmillan wird deutlich, dass Rogersons erklärte Absicht (S. 12): "Ich habe versucht, meinen Standpunkt unparteiisch darzulegen, da ich persönlich weder für noch gegen die Zeugen eingenommen bin"; eben nur ein undurchdachter Versuch ist, da es letztlich keine wertfreien Urteile geben kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn man wie im vorliegenden Fall die Aufgabe übernommen hat, geschichtliche Irrtümer näher zu untersuchen.

Die Person C. T. Russells als des Begründers der jetzigen Zeugen Jehovas meint Rogerson mit den Worten einschätzen zu können: "Wir müssen daher zu dem Schluss kommen, dass Russell für seine Person nicht eitel war, dass jedoch die Ansprüche, die er für seinen Glauben erhob, alles andere als bescheiden waren" (S. 21). Ganz im Gegensatz zu dessen Nachfolger J. F. Rutherford über den er berichtet: "Rutherford ließ an seinem Platz am Esstisch ein Mikrofon einbauen, damit jedes Wort, dass er sagte, von allen Anwesenden zu ihrer Erbauung über Lautsprecher gehört werden konnte" (S. 80).

Über das Datum 1874, als angebliches Ende von 6000 Jahren Menschheitsgeschichte bemerkt Rogerson: "Das … Argument stammte ebenfalls nicht von Russell, sondern von einem Mr. Bowen in England. Er stellte fest, dass durch exakte Anwendung der Bibel-Chronologie errechnet werden konnte, wie viele Jahre seit der Schöpfung Adams vergangen waren. Bowen nahm die Zahlen der Bibel wörtlich und kam so auf das Jahr 4129 v. Chr. für die Erschaffung Adams." (S. 30).

Über Russells eigentlichen Glauben sagt Rogerson: "Trotz gegenteiliger Behauptungen der Zeugen Jehovas glaubte Russell jedoch nicht, dass Gottes Königreich 1914 aufgerichtet wurde (denn dies war bereits 1878 geschehen), und er glaubte keinesfalls, dass nach 1914 eine weitere Generation des Konfliktes ohne Intervention Gottes folgen würde" (S. 31).

Auch an diesem Beispiel wird deutlich, dass die angestrebte "Unparteilichkeit" in der Darstellung sich selbst widerlegt.

In der weiteren Darstellung von Rogerson, die hier nicht weiter wiederholt zu werden braucht, werden einige der geschichtlichen Endzeitirrtümer der Zeugen Jehovas in ihren wesentlichsten Punkten skizziert. Ferner einige der internen Schwierigkeiten aus der Zeit Russells, einschließlich seiner Ehescheidung, die Wunderweizenstory, sein Tod und die Machtkämpfe danach.

In diesem Zusammenhang tritt wieder die Person P. S. L. Johnson in Erscheinung, der offensichtlich der bedeutendste Gegner für Rutherford bei dessen Machtantritt darstellte. Zur Person Johnson muss man wissen, dass er, bevor er zu den "Bibelforschern" kam, ein lutherischer Geistlicher jüdischer Abkunft war und viele der anderen WTG-Mitglieder an Bildung und intellektuellen Fähigkeiten haushoch überragte. Rogerson schildert die Sachlage so:

Das kurz vor seinem Tode Russell A. H. Macmillan angewiesen hatte, Johnson nach England zu schicken mit der Aufgabe, die dortige Zweigstelle der Gesellschaft in Europa zu überprüfen. Um Schwierigkeiten mit den Einwanderungsbehörden während der Kriegszeit zu vermeiden, hatte Rutherford Johnson Vollmacht im Namen der Gesellschaft eingeräumt. Bei seiner Ankunft in England stellte Johnson fest, dass einige Bibelforscher planten, sich von der amerikanischen Kontrolle zu lösen und sich als unabhängige Gesellschaft in England eintragen zu lassen. Daraufhin entließ Johnson zwei der Londoner Manager und benutzte seine Vollmachten zur Neuorganisierung der britischen Zweigstelle. Rutherford, der diese Vorgänge offensichtlich missverstanden hatte, glaubte, Johnson habe den Verstand verloren und wolle von England aus eine Rebellion anführen. Mit unbarmherziger Machtpolitik, machte er nun den ursprünglich loyalen Johnson zu seinem wirklichen Gegner. Die Geschehnisse nach seiner Rückkehr in die USA schildert Johnson selbst mit den Worten:

"Er (Rutherford) befahl mir, dass Bethel am gleichen Tag zu verlassen, die vier Direktoren sollten am folgenden Montag gehen. Meine respektvolle, oft wiederholte Bitte, vor der Familie eine Erklärung abgeben zu dürfen, wurde nicht erfüllt … Bruder Hirsch bat darum, einen Brief von Bruder Pierson verlesen zu dürfen, in dem dieser schrieb, dass er Rutherfords Ausschluss der vier Brüder vom Direktorium nicht billigte und das er treu zu dem alten Direktoriumsausschuss hielte. J. F. R. schrie förmlich, dass Bruder Johnsons "Falschheit" daran schuld wäre, dass dieser Brief geschrieben wurde … Noch zorniger befahl er mir unter Androhung von gerichtlichen Schritten, dass Bethel zu verlassen. Ich antwortete, dass ich den Direktionsausschuss wegen dieser Entscheidung angerufen hätte; und da ich den Ausschuss als amtierend betrachtete, wobei dieser das Recht habe, bei einer Berufung Entscheidungen zu treffen, wartete ich nun auf diese Entscheidung; wenn mir der Ausschuss befehlen sollte, das Bethel zu verlassen, würde ich dies sofort tun. Auf diese Erwiderung hin verlor Rutherford alle Selbstbeherrschung. Um seinen Befehl durchzusetzen, stürzte er auf mich zu und schrie: 'Du verlässt dieses Haus'. Er packte mich beim Arm, so das ich fast hingefallen wäre …" (S. 49).

Mit diesem gewaltsamen Machtantritt Rutherfords, hatte in der Tat ein dunkles - von Aggressivität gezeichnetes Kapitel - in der Geschichte der jetzigen Zeugen Jehovas begonnen. Mittels verschärfter Aggressivität gegen andere Religionen, die Politik, die "Abtrünnigen" usw., wurde das eigentliche weltanschauliche Fiasko, der eigene Bankrott überspielt.

Rogerson zitiert in diesem Zusammenhang auch William Schnell, den jetzigen Leiter der "Christlichen Mission unter Jehovas Zeugen" in den USA. Gerade Schnells Erlebnisbericht, hat heute im Zusammenhang mit der Neuregelung der Ältestenfrage wieder eine hochbrisante Aktualität erlangt. W. J. Schnell führte unter anderem aus: "In ähnlich rücksichtsloser Weise wurde überall in Deutschland vorgegangen, bis schließlich eine neue Art von Versammlungen entstanden war. Jetzt rückte der Erntewerksleiter, der die Gesellschaft vertrat, an den ersten Platz. Das war schon deshalb nötig, weil die Flut der von der Gesellschaft erteilten Instruktionen immer mehr wuchsen. Die Ältesten, die sich nur noch mit geistlichen Dingen zu befassen hatten, verloren nach und nach sogar dieses Betätigungsfeld, da jetzt die Gesellschaft - durch ihr Organ die Wachtturm-Zeitschrift - zum Lehrer der Klassen wurde, bis man schließlich mit einem Federstrich die Einrichtung der Ältesten beseitigte" (S. 65).

Diese Aggressivität gegenüber allen Andersdenkenden konstatierte sich in den USA während der spannungs- und provokationsreichen 30-er Jahre auch dadurch, dass wie Rogerson in Polemik zu Macmillan schildert, bei den öffentlichen Zusammenkünften jener Jahre "die Ordner gewöhnlich schwere Stöcke mit sich führten um für alle Notfälle gerüstet zu sein" (S. 76).

Das die moralischen "Qualitäten" der verantwortlichen WTG-Manager ein bemerkenswertes Maß an Pervertierung erreicht haben, wird auch durch Rogersons Bemerkung deutlich: "Die meisten Zeugen würden die Dogmen der Gesellschaft auch dann akzeptieren, wenn durch Dokumente das Gegenteil bewiesen werden kann … Ich habe den Eindruck, dass sie nur die Fehler eingestehen, die ganz offen zutage liegen und die dazu führen könnten, dass einige Zeugen die Organisation verlassen. Wenn möglich, kehren sie den größten Teil ihrer früheren Fehler unter den Teppich beruhigender historischer Verallgemeinerungen" (S. 97, 98).

Über ihre Bibelauslegungen sagt er: "Die Zeugen stehen hier vor dem üblichen Problem: Da sie davon ausgehen, dass die Bibel keine Widersprüche enthält, müssen sie die 'unangenehmen' Texte neu interpretieren" (S. 118).

"Die Argumente der Zeugen drehen sich im Kreise: sie gehen davon aus, dass die Bibel keine Widersprüche enthält, und sie 'harmonisieren' die Texte durch ihre Auslegungen; dann führen sie die 'Harmonisierung' an um zu beweisen, dass es in der Bibel keine Widersprüche gibt!" (S. 140, 141).

Seine Gesamtbeurteilung kann man vielleicht am besten mit seiner Aussage wiedergeben: "Nach langer Bekanntschaft mit der Literatur der Zeugen Jehovas kommt man zu dem Schluss, dass sie in einem intellektuellen 'Dämmerzustand' leben. Die meisten Mitglieder - und sogar die Führer - sind nicht sehr gebildet und auch nicht sehr intelligent. Wenn sich ihre Literatur auf Gebiete der Philosophie, der akademischen Theologie, der Naturwissenschaften oder einer anderen strengen geistigen Disziplin begibt, sind ihre Ideen im besten Fall ein Spiegel weiterverbreiteter Missverständnisse und im schlimmsten Fall barer Unsinn (S. 137).

"Die Zeugen scheinen sich im geheimen vor den wissenschaftlichen Kritikern zu fürchten - es ist wiederum die Furcht der Unwissenden vor den Einflussreichen … Andererseits können sie auf dem Gebiet der Vermutungen mit den höheren Kritikern in Konkurrenz treten" (S. 141, 142).

Rogersons Einschätzung der gegenwärtigen 1975-These ist: "Ich glaube, es ist eine oberflächliche Beurteilung, wenn man annimmt, dass das Jahr 1975 über Sein oder Nichtsein der Zeugen entscheiden wird: sie sind schon jetzt bereit, dieses Datum zu überleben, und es ist wahrscheinlich, dass der Wandel in den sozialen Bedingungen den stärksten Rückgang in den Mitgliederzahlen mit sich bringen wird" (S. 208).

Insgesamt hat man den Eindruck, dass mit Rogersons Veröffentlichung eine lesenswerte und interessante Publikation vorgelegt wurde; trotz der durch seine eigene Argumentation als Illusion widerlegten These einer angeblichen "Neutralität".

Rogersons Veröffentlichung fügt sich somit ein in die Reihe anderer mehr oder weniger kritischer Publikationen … Der WTG dürfte es somit nicht an Erkenntnishilfen über ihren bisherigen Weg mangeln um klar erkennen zu können, womit sie sich nicht zuletzt in ihrem eigenen Interesse, noch alles an unbewältigter Vergangenheit zu befassen hat.

"Die Wahrheit über Jehovas Zeugen"

- Ein Buchbericht -.

Gespräche und Kommentare der Studiengruppe Christliche Verantwortung (Berlin)

Nr. 11 (1973)

Mit seinem 1961 erstmals erschienenen "Ich war Zeuge Jehovas" ist Günther Pape bereits bekannt geworden. Im Jahre 1970 hat er nun eine neue Veröffentlichung mit dem Titel: "Die Wahrheit über Jehovas Zeugen" herausgebracht (Verlag "Aktuelle Texte", Rottweil/Neckar, BRD). Sie ist offensichtlich aus dem ursprünglichen Plan eines Beitrages für das katholische Werk "Konfessionskunde" von Prof. Konrad Algermissen entstanden, was jedoch nicht praktiziert wurde, da wie G. Pape schreibt: "Es schien mir unmöglich, auf einer so eng begrenzten Seitenzahl die Situation betreffs der Zeugen auch nur annähernd verständlich darzustellen und vor allem zu begründen" (S. 6).

Zum Gesamtcharakter dieser Veröffentlichung muss man sich vergegenwärtigen, dass die katholische Kirche in der BRD ein legitimes Interesse hat, sich gegen die unqualifizierte Proselytenmacherei der Zeugen Jehovas entsprechend zu wappnen. Auch wenn der Rezensent den Schritt vom Zeugen Jehovas zur katholischen Kirche keineswegs zu teilen vermag, wie er hier seit 1963 vorliegt, so hat man dennoch den Eindruck, dass der katholische Charakter dieser Veröffentlichung durchaus maßvoll ist und keinesfalls "penetrant" in Erscheinung tritt. … G. Pape kommt in seiner einleitenden Einschätzung der Zeugen Jehovas zu durchaus interessanten Urteilen, für die seine Zwischenüberschriften "Willenlos gemachte Werkzeuge", "Auserwählten-Dünkel"; "Theokratischer Machtwahn" stellvertretend genannt seien. Auch sein nachfolgendes Urteil verdient durchaus beachtet zu werden:

"Diese geistige Krankheit, dieses induzierte Irresein, ist außergewöhnlich ansteckend. Das täglich von diesen geistig Kranken in die Häuser getragene 'Vertrauet nicht auf Menschen, bei denen keine Rettung ist', hat auf einfache, unaufgeklärte Gemüter eine anziehende Wirkung. Der Hörer dieser Proklamation muss zwar nicht unbedingt Zeuge werden, aber er wird in Zweifel und Unsicherheit gestürzt. … Als Folge dieser Überlegungen setzt ein Vertrauensschwund zu der den Menschen umgebenden Gesellschaft und ihrer Führung ein.

Daran trägt die Verkündigung der Zeugen in einem bisher nicht und nirgends gewürdigten Maße die Schuld" (S. 5, 6).

In seiner geschichtlichen Darstellung, folgt er den üblichen auch durch andere Veröffentlichungen schon bekannten Darlegungen der Zeit Russells und Rutherfords ohne wesentlich überragende Höhepunkte. Insgesamt sind seine diesbezüglichen Ausführungen generell etwas zu knapp ausgefallen.

Z. B. Erscheint mir seine Feststellung: "Viele Brüder, die ihn (Rutherford) persönlich kannten, behaupten, er habe stark getrunken und Rauschgift genommen und sei so zu Tode gekommen" (S. 14); etwas zu unbewiesen. Wenn sie den Tatsachen entsprechen sollte (was keinesfalls in Abrede gestellt werden soll) so hätte sie es doch verdient ausführlicher und begründeter dargelegt zu werden oder auf dieses Faktum zu verzichten.

Das G. Pape in wesentlichen Punkten sein einleitend gesetztes Ziel "ausführlicher zu sein als die 'Konfessionskunde'" nicht erreicht hat, wird auch an solch schwachen Punkten in seiner Darstellung wie die Erwähnung des "Datums 1975" deutlich (S. 17, 18) wo es doch wahrhaftig mehr und ausführlicheres zu sagen gäbe (z. B. Auszugsvergleiche aus der WTG-Literatur bezüglich 1914, 1925 usw.).

Natürlich ist ein solcher Vergleich wie der mit Algermissens "Konfessionskunde" immer problematisch, da die "Konfessionskunde" ihren Rahmen viel weiter gesteckt hat. Einzuräumen ist auch, dass die Detailbeiträge über Jehovas Zeugen bei Algermissen (aus seiner Gesamtkonzeption heraus) noch knapper ausgefallen sind. Doch sicherlich hätte man in G. Pape's Veröffentlichung noch etwas mehr an Information einbringen können.

Interessant ist auch das von G. Pape geschilderte Beispiel der Exkommunikation einer Zeugin Jehovas einzig und allein aus dem Grunde, weil sie ihren Hühnern ein Futter gegeben hat, dass Teile einer Blutsubstanz enthielt (S. 41)!

Seine Angabe: "Zudem besitzt sie (die WTG) eine eigene Bank in ihrem Hauptbüro unter dem auf dem Dach befindlichen Wachtturm. Nach Augenzeugenberichten bergen diese Räume erhebliche Mengen Gold (S. 47); dürfte wohl ebenfalls des Nachdenkens darüber wert sein.

Die von G. Pape gebrachten Auszüge aus dem WTG-Buch "Feinde und der Broschüre "Jehovas Zeugen im Feuerroten kommentiert er treffend mit der Zusammenfassung: "Hitler führte also in Europa Krieg, weil er einmal im Auftrag des Vatikans Jehovas Zeugen vernichten wollte, zum anderen, weil er die Welt für den Vatikan erobern wollte und sollte. Und in den USA haben Jehovas Zeugen das Land vor den Nazis gerettet! Wahnsinn, aber Wahnsinn mit System: Hier zeigt sich offen die Absicht, alles gegen die Kirche aufzuhetzen und den Zeugen eine Bedeutung zu geben, die sie nie hatten (S. 59).

Das dieser gleiche "Wahnsinn mit System auch noch in der Gegenwart vorhanden ist, wird auch durch G. Papps folgende Ausführung belegt:

"1950 wurde in der 'DDR' die gleiche Methode angewandt. Eben noch biederte man sich Ulbricht an und versprach ihm 'ewiges Leben in der Neuen Welt', wenn er die Zeugen nicht verfolge. Als dann das Verbot doch ausgesprochen wurde, zog man schärfstens gegen die Regierung los und verlangte von den Zeugen in der 'DDR' eine Untergrund-Organisation, ja man ging soweit, die Zeugen zur Übertretung der Finanzgesetze der 'DDR' zu veranlassen und einen Geldschmuggel großen Ausmaßes über die Grenzen des Landes zu tätigen" (s. 74).

Neben den circa 100 Seiten eigentlichen Textes, folgt dann noch ein dokumentarischer Anhang von circa 90 Seiten, der einem jedoch in mancher Beziehung fragwürdig erscheinen kann. Denn welchen Sinn es haben soll, z. B. Die Überschriften aus den WTG-Lehrbüchern "Theokratische Hilfe für Königreichsverkündiger" und "Zum Predigtdienst befähigt" im wesentlichen kommentarlos abzudrucken, ist nur schwer einzusehen. Gerade zu diesen genannten Büchern wäre vieles zu sagen, was dem vermeintlichen "göttlichen Nimbus" schweren Abbruch tun würde, dann sind aber Kommentare dazu unerlässlich.

Das gleiche gilt für die von der WTG vorgenommene Zusammenstellung der wichtigsten Zeugen-Lehren und deren Bibeltext-Begründung, die hier nach "Vergewissert euch über alle Dinge" und den "Predigtredeplänen" ebenfalls kommentarlos abgedruckt sind, was gelinde gesagt, eine grobe Unüberlegtheit darstellt.

Ein interessanter Höhepunkt dieser "Dokumentation" bildet auch die öffentliche Erklärung der WTG an Hitler vom 25. Juni 1933 wo sich unter anderem die Sätze finden:

Eine sorgfältige Prüfung unserer Bücher und Schriften wird deutlich zeigen, dass die hohen Ideale, die sich die nationale Regierung zum Ziel gesetzt hat und die sie propagiert, auch in unseren Veröffentlichungen dargelegt, gutgeheißen und besonders hervorgehoben werden. … Man möchte uns gestatten hier darauf aufmerksam zu machen, dass in Amerika, wo unsere Bücher geschrieben werden, Katholiken als auch Juden sich miteinander verbunden haben in der Beschimpfung der nationalen Regierung in Deutschland und in dem Versuch, Deutschland zu boykottieren wegen der von der nationalsozialistischen Partei verkündigten Grundsätze…"

Ferner sind auch die abgedruckten Briefe des ehemaligen Rechtsberaters von WTG-Präsident Rutherford, Olin R. Moyle bemerkenswert, in denen sich Moyle unter anderem auch über das schlechte von Intoleranz und Lieblosigkeit gezeichnete Arbeitsklima im WTG-Hauptbüro beklagt. Rutherfords luxeriöses Leben wird im Gegensatz zu den spartanischen Lebensbedingungen der anderen WTG Mitarbeiter herausgestellt.

Insgesamt gesehen ist sicherlich einzuräumen, dass diese neue Publikation von Günther Pape, unabhängig von den angedeuteten Schwächen, natürlich auch ihre nützlichen Seiten hat. Man wird ihr sicherlich nicht gerecht, wenn man außer acht lässt, dass ihr eigentlicher Leserkreis nicht auf die Zeugen programmiert ist.

 

Zeugen Jehovas - Dissertation

Gespräche und Kommentare der Studiengruppe Christliche Verantwortung (Berlin)

Nr. 15 (1974)

(Hinweis: Niemand lebt in einem "luftleeren Raum". Der Verfasser lebte in der seinerzeitigen DDR. Seine Biographie ist auch durch letztere mit geprägt worden. Er möchte sich erlauben darauf hinzuweisen, dass er meint, auch noch einen Lernprozess durchgemacht zu haben. Er glaubt weiter darauf hinweisen zu sollen, dass er einige nachfolgende Sätze, insbesondere das sogenannte "Blaubuch" betreffend, heute so nicht mehr formulieren würde).

Nachdem 1967 (im deutschsprachigen Gebiet) die erste Doktorarbeit eines evangelischen Theologen (Anmerkung von heute: Irrtum war Historiker, kein Theologe) über eine in Zentralafrika von der WTG abgesplitterte und "außer Kontrolle" geratene Bewegung vorgelegt wurde … liegt nun eine weitere Doktorarbeit vor. 1971 wurde an der Theologischen Fakultät der Universität Hamburg, BRD, von Dietrich Hellmund eine Darstellung der "Geschichte der Zeugen Jehovas (in der Zeit von 1870 bis 1920) mit einem Anhang: Geschichte der Zeugen Jehovas in Deutschland (bis 1970)" eingereicht. Dankenswerterweise stellte der Autor dem Berichterstatter eines seiner Exemplare (maschinenschriftlich vervielfältigt) zur Verfügung.

Adventistische Anfänge

Dr. Hellmund hat sich darin bemüht - aus der Sicht eines evang.-luth. Pastors - die Frühzeit der jetzigen Zeugen Jehovas zu erhellen. Er musste dabei die Erfahrung machen, dass die WTG nicht bereit war, Einsicht in ihre ältere gedruckte Literatur zu gewähren (!), während es Dr. Greschat, der ja nur eine Detailuntersuchung ausarbeitete, dies noch in begrenztem Maße möglich war. Dr. Hellmund bemühte sich unter anderem um die Darstellung der adventistischen Beeinflussung C. T. Russells durch die "Second-Adventisten" (die mit den Siebten-Tags-Advenisten nur indirekt identisch sind, durch den Ursprung aus der Miller-Bewegung). Er hebt hervor, dass man in dieser Gruppe bereits 1872/73 ein "Weltende" erwartete, nebst den darauf folgenden Datenspekulationen 1874, 1878 und 1914. Kritisch vermerkt sei, dass man in diesem Zusammenhang sich eine Bezugnahme auf das adventistische Endzeitdatum 1843/44 gewünscht hätte, da ja die "Second-Adventisten" ihre Spekulationen nicht aus dem "luftleeren Raum" geschöpft hatten.

Auf "gleicher Ebene"?

Zum Gesamtcharakter dieser Arbeit muss man sich vergegenwärtigen, dass der Verfasser in erster Linie den Mitarbeiterkreis seiner Kirche als engeren Leserkreis im Auge hat. Von dieser Interessenlage her ist seine Gesamtkonzeption bestimmt. Dies wird darin deutlich, dass er z. B. die im Laufe der Zeit variierenden unterschiedlichen Auslegungen der WTG zum Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (Lukas 16: 19-31) hervorhebt, die mit die schwächste Stelle in Russells Ablehnung der Lehre von einer Feuerhölle ist.

Solcherart unterschwellige Aufwertung des Glaubens an eine Höllenqual (die wohl bei den wenigsten Zeugen Jehovas Verständnis erwerben wird) kann wohl nur als fragwürdiger Versuch gewertet werden, den Zeugen Jehovas auf "gleicher Ebene" eines fundamentalistischen, unkritischen Bibelglaubens zu begegnen. Andererseits ist aber festzustellen, dass Dr. Hellmund durchaus kritische Forschungsergebnisse akzeptiert wie dies seine Bemerkung verdeutlicht:

"Leider hat Russell auch in dieser Hinsicht unter den heutigen ZJ seine Nachfolger gefunden. Noch immer werden in stiller Selbstverständlichkeit wissenschaftlich gesicherte Forschungsergebnisse beiseite geschoben oder außer Acht gelassen angeblich durch die 'reine Bibelauslegung' ersetzt".

Oder: "Ein modernes Schulungsbuch der ZJ sagt: 'Jehovas Zeugen sind an der Archäologie nur soweit interessiert, als sie den biblischen Bericht bestätigt oder ergänzt.' Genau das ist auch schon der Standpunkt Russells gewesen. Nur darf man an die Stelle der Archäologie auch jede andere Wissenschaft setzen".

Zu welch fragwürdigen Ergebnissen der Versuch führt, den Zeugen Jehovas auf der "gleichen Ebene" eines kritiklosen Bibelglaubens zu begegnen, wird stellvertretend auch an der Broschüre des Pietisten F. W. Bautz deutlich, wo man unter anderem folgende Glaubensempfehlung herauslesen kann:

"Das (der ZJ-Glaube) ist das goldene Zeitalter, in dem alle Wunsch- und Zukunftsvorstellungen der Menschheit Wirklichkeit werden … Das ist aber nicht neutestamentliche Hoffnung und christliche Enderwartung … Darin besteht in Ewigkeit das Glück und die Freude der Erlösten. Paulus schreibt: 'Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christus zu sein." … - Also Jenseitsglauben in Reinkultur!

Solcherart Argumentation läuft darauf hinaus den Zeugen Jehovas den Bärendienst zu erweisen, ihre soziale Konfliktsituation mit den Argumenten von vorgestern "heilen" zu wollen. Eine Argumentationsebene, die sie zum Teil schon selbst verlassen haben!

Unmittelbar nach dem vorläufigen Abschluss seiner Arbeit erhielt Dr. Hellmund auch Kenntnis von der 1970 (im Urania-Verlag) in der DDR erschienenen "Blaubuch"-Dokumentation; die er meint als "unzulänglichen Versuch" bewerten zu müssen. "Gesichtspunkte die weiterführen", sind in Hellmunds Darstellung "Fundamentalismus und Glaube", "Soziologische Gesichtspunkte: Gruppendenken" und "Religionspsychologische Gesichtspunkte". Soweit es seine Feststellung betrifft:

"So mancher ZJ ist das schwarze Schaf seiner Familie geworden. Am Ende hat der ZJ nur noch Freunde bei seinen Glaubensgeschwistern … Wie schwer findet man nach einem Ausschluss in diese Gemeinschaft zurück! Darum überlegt sich jeder, ob er gesellschaftlich diesen letzten Schritt in die totale Vereinsamung hinein tun darf. Gemessen an diesem Gang in die Wüste hinein wiegt es wenig, dass man in Glaubensfragen diese oder jene intellektuelle Kehrtwendung mit vollzieht."

Soweit es diese Feststellung betrifft, so ist hier in der Tat, ein ernst zu nehmendes Problem angesprochen. Ein Problem, dass im Individualfall unterschiedlich stark ausgeprägt sein mag, dass aber keineswegs von der Hand zu weisen ist. Unabhängig von dieser richtigen Erkenntnis bleibt es dennoch ein viel entscheidenderes Faktum, dass auch Jehovas Zeugen nicht auf einer "weltfernen Insel" leben, sondern ebenso wie die Mehrzahl aller anderen Mitbürger mehr oder weniger indirekt in die weltweite Auseinandersetzung zwischen Kommunismus und Kapitalismus hineingezogen sind. Und für die Zeugen Jehovas in den sozialistischen Staaten nützt es herzlich wenig, wenn man ihnen die fundamentalistisch-pietistischen Argumente von vorgestern als "Rezept" anbietet. Die "Ausstrahlungskraft" der alten aus der WTG-Krise von 1917 entstandenen Gemeinschaften, ist z. B. erfahrungsgemäß für die heutigen Zeugen Jehovas nicht übermäßig "groß". Hellmunds Fundamentalismus-Rezepte sind daher als wenig hilfreich zu bewerten.

Blaubuchrezeption

Es ist bezeichnend, dass sich selbst Dr. Hellmund bezugnehmend auf das "Blaubuch" zu dem folgenden Eingeständnis veranlasst sieht:

"Die Glaubenslehre der ZJ lässt sich von sehr unterschiedlichen Standpunkten aus kritisch beleuchten. Der Marxist, beispielsweise, wird lange nach einem passenden Objekt für die Berechtigung der marxistisch-leninistischen Religionskritik suchen müssen. Die ZJ sind und bleiben ein Paradebeispiel! Wo sonst gibt es diese völlige, bewusste Enthaltsamkeit in allen Fragen, die das gesellschaftliche, soziale und politische Wohlergehen eines Staatswesens betreffen? Wo sonst zieht sich eine ganze Gruppe so vollkommen aus der Verantwortung? Wo sonst gibt es diese passive Gleichgültigkeit gegenüber staatlichen Gesetzen und Verordnungen? Ausgenommen die Steuergesetze, ausgenommen freilich auch jene Gesetze, die im Sinne der ZJ verstandenen Gewissens- und Bekenntnisfreiheit einschränken. Hier lebt eine kleine Minderheit von dem Frieden, der Ordnung und der Sicherheit, die erst die Gesamtheit des Volkes gewährleistet.

Diese mehr allgemeinen Bedenken und Überlegungen sind in jüngster Zeit, seit 1970, in direkter Auseinandersetzung als 'Dokumentation über die Wachtturmgesellschaft' präzisiert worden. In dieser Arbeit ist die längst bekannte marxistisch-leninistische Religionskritik vor allem an den ZJ in Deutschland exemplifiziert und besonders im Blick auf die gesellschaftspolitischen Zielsetzungen dieser Glaubensgemeinschaft quellenmäßig belegt und geschickt begründet worden.

Die marxistische Kritik an den Soziallehren der ZJ ist an vielen Stellen mehr als berechtigt.

Das durch Tod, Leid und Krankheit, sowie andere seelische Nöte mitgenommene Menschen für trost- und endzeitverheißende Lehren ein besonderes Ohr haben - diese zweifellos richtige Feststellung will freilich nicht viel sagen, auch wenn solche Erscheinungen als 'Erbe des kapitalistischen Systems' gedeutet werden. Ein ganz anderes Gewicht haben Beobachtungen an sozialethischen Texten Russells. Russell hatte ja wegen seiner Naherwartung des Weltendes die Lösung aller sozialpolitischen Konflikte in die Zeit hinter Harmagedon abgeschoben. Er hat genau in Band IV die Riesenschäden der am Profitdenken ausgerichteten, kapitalistischen USA-Gesellschaft beschrieben, aber er hat sie auch entschuldigt und als unvermeidbar hingenommen.

Russell: 'So steht die Menschheit hilflos jenen Riesenauswüchsen unseres ökonomischen Systems gegenüber, und die einzige Hoffnung ist - Gott.'

Russell hat in einer unvorstellbar oberflächlichen und letztlich verantwortungslosen Weise auf jeden Versuch verzichtet, der kapitalistischen Ausbeutung und Verelendung ganzer Volksschichten durch gesellschaftliche Veränderungen abzuhelfen und Reformmodelle vorzuschlagen. Wer so sachkundig ist wie der Geschäftsmann Russell, so brillant in der Analyse des industriellen Gesellschaftssystem - den macht dies Wissen und die willentliche Verhinderung jeder Reform mitschuldig an den Mängeln seines Gesellschaftssystems. Denn gerade unter Hinweis auf das 1914 bevorstehende Gottesgericht hatte Russell seine Leser vor jeder Auflehnung gegen die sozialen Missstände und vom Kampf um bessere Arbeits- und Verdienstbedingungen abgehalten.

Wir fügen hinzu: Russells Leserschar umfasste nach den hauseigenen Mitteilungen über die Auflagenhöhe Millionen. Das ist Breitenwirkung, eine Beeinflussung der Massen nach der erwiesenermaßen falschen Seite hin.

Das ist nicht nur Kritik an Russell, es ist Gleichartiges genau so gegenüber den heutigen ZJ geltend zu machen. Denn bei allen Unterschieden in den Einzelheiten ist auch heute noch bei den ZJ eine Geringschätzung sozialethischer Fragen als Folgeerscheinung der apokalyptischen Betrachtungsweise festzustellen. Was wäre geschehen, wenn tatsächlich alle Sozialreformer, alle Sozialrevolutionäre des 19. Jahrhunderts in dem Vertrauen auf eine himmlische Weltverbesserung es unterlassen hätten, dass gesellschaftliche und soziale Leben zu verändern — und sich mit Russell auf eine, noch dazu falsche — Interpretation der unsozialen Welt beschränkt hätten? Nichts, - nein, weniger als nichts, denn alles wäre auf eine Rechtfertigung der bestehenden Ungerechtigkeiten und der monopolkapitalistischen Interessen hinausgelaufen.

Für ihre Abstinenz in sozialreformerischer Hinsicht werden die ZJ durch ihre Ausblicke auf das herrliche Leben in der zukünftigen Welt des Tausendjahrreiches entschädigt und hingehalten. Dann soll es die klassen- und rassenlose Gesellschaft geben ohne Ausbeutung und Ungerechtigkeit. Die gegenwärtige Welt lebt für die ZJ unter der Drohung von Harmagedon. Sie fühlen sich nicht gerufen, etwas zu ihrer Besserung zu unternehmen. Solche Anschauungen fordern natürlich in besonderer Weise die marxistische Kritik heraus: 'Nur Narren können darauf vertrauen, dass vom Himmel her die sozialen Fragen auf Erden gelöst werden'.

Auch der Christ hat als ein der Gesellschaft verhaftetes, politisches Wesen eine Mitverantwortung am sozialen Image seiner Zeit. Die politischen Notwendigkeiten, die Produktionsverhältnisse erzwingen einfach die planende menschliche Mitarbeit. Unsere naturnotwendigen Bedürfnisse - wie Nahrung und Kleidung, Wohnung und Arbeit, Beruf und Wirtschaft, Bildung und Lehre, Wissenschaft und Forschung, Gesundheit und Umweltschutz, Recht und Ordnung - erfordern gemeinsames, verantwortliches Planen und Handeln. Man wird zugeben müssen, dass mindestens diese letzte Überlegung alles andere als 'typisch marxistisch' ist. Sie beschreibt vielmehr Gesetzmäßigkeiten, die sich aus dem Zusammenleben der Menschen mit innerer Folgerichtigkeit ergeben. Dem wollen sich die ZJ entziehen. Es ist einfach zu wenig, wenn die ZJ ihren Beitrag zum Gemeinwohl im ehrlichen Bezahlen von Steuern erschöpft sehen. Es ist widersprüchlich, wenn sie einerseits die Dienste von Polizei und Feuerwehr in Anspruch nehmen, andererseits selber keine Polizisten werden wollen - von der Nichtbeteiligung an Wahlen und Wehrdienst ganz zu schweigen.

Zusammengefasst kann ein Marxist die Tätigkeit der WT-Gesellschaft kaum anders als so beurteilen: 'Die Politik der WTG in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens war sehr nützlich gegen das Aufbegehren hungernder und durch die kapitalistische Ausbeutung ruinierter Menschen. Sie war hervorragend geeignet, revolutionäre Strömungen, besonders unter den Christen ersticken zu helfen oder in ungefährliche Bahnen abzulenken, in tatenloses Hoffen und Harren auf die WTG-Endzeitillusionen.'"

Marxistisch?

Es ist nicht beabsichtigt zu Dr. Hellmunds oberflächlicher Etikettierung des "Blaubuches" als "marxistisch" lang und breit Stellung zu nehmen. Nur soviel sei festgestellt: Ein Marxist würde es sicherlich zu recht vermissen, dass in dieser Publikation keiner der einschlägigen Klassiker zitiert worden ist, die ja ohne Zweifel zu diesem Themenkomplex gewichtige Aussagen gemacht haben. Man könnte in diesem Zusammenhang - wenn man so will - auch die Bonhoeffer-Dissertation von Hanfried Müller zitieren (die in der BRD in einem Hamburger Verlag erschien). Die These Bonhoeffers: "Die Kirche muss aus ihrer Stagnation heraus. Wir müssen wieder in die freie Luft der geistigen Auseinandersetzung mit der Welt. Wir müssen es auch riskieren anfechtbare Dinge zu sagen, wenn dadurch lebenswichtige Fragen aufgerührt werden." Diese These ist sicherlich auch für das Zeugen Jehovas-Problem mit von Bedeutung.

Hanfried Müllers Feststellung als Abschluss seiner Arbeit ("Von der Kirche zur Welt" S. 429, Berlin 1966) ist sicherlich auch in unserem Zusammenhang übertragbar.

"Das man - um mit dem Unwesentlichen zu beginnen - mein Buch mit dem Geigerzähler des Antikommunismus prüfend als eine 'marxistische Bonhoefferinterpretation' durchschaut hat, hat mich wenig beeindruckt. Es ist bedauerlich, dass die Kenntnis des Marxismus mancherorts heute noch so wenig zur Allgemeinbildung gehört, dass die Benutzung von ihm entwickelter Methoden zur Klärung historischer Sachverhalte und Zusammenhänge viel interessanter zu sein scheint als die Prüfung, ob die so erhobenen Sachverhalte und Zusammenhänge stimmen. Mir jedenfalls scheint die Frage, ob etwas richtig oder falsch ist, immerhin wesentlicher zu sein als die Frage, ob etwas marxistisch oder nicht marxistisch sei; und jedenfalls weigere ich mich anzuerkennen, dass etwas darum falsch wäre, weil es marxistisch ist - wie auch umgekehrt. Wenn man aber mein eindeutiges Urteil in dieser Sache hören möchte. Ich bin mit den Marxisten darin einig, dass meine Arbeit nicht 'marxistisch' ist, und teile damit also -horrible dictu - schon wieder eine 'marxistische' Meinung".

Wertungen

Soweit es die Darstellung der WTG-Geschichte betrifft, so ist die Hellmund-Dissertation - im wesentlichen gesehen - für den Sachkenner guter Durchschnitt. (Obwohl man sich eine gründlichere Auswertung der von Hellmund verwendeten Primär- und Sekundärliteratur hätte vorstellen können). Völlig neue Quellen, wie es beispielsweise für den deutschsprachigen Bereich der Sekundärliteratur in Rogersons Buch die Rezeption von Veröffentlichungen des A. H. Macmillan und P. S. L. Johnson darstellt, sind in dieser Arbeit nicht enthalten. Was den Bereich der Wertungen betrifft, so sei unter anderem zitiert was Dr. Hellmund zum Aspekt der Naziära bemerkt:

"In den ausgesprochenen Vernichtungslagern wie Auschwitz und Treblinka sind ZJ selten. Das ist kein Zufall. Denn in diese außerhalb der alten Reichsgrenzen liegenden KZ kamen vor allem solche Personen und Gruppen, die man vernichten, ausrotten und vergasen wollte. Für die ZJ hat es aber unseres Wissens nie einen grundsätzlichen Vernichtungsbefehl gegeben, wie er für die Juden vorlag … So kann die Statistik trotzt der hohen Sterbequote im KZ 'nur' höchstens 2000 tote ZJ verzeichnen. Und das bei einer seit 1934 eingekerkerten Gruppe! Die Überlebensquote der Juden ist wesentlich kleiner. Und dabei wurde deren Verfolgung erst mit der 'Kristallnacht' akut. Die unendlichen Leiden der ZJ im KZ sollen durch diese Feststellung nicht bestritten werden".

Über die Strategie von Rutherford & Co bemerkt der Verfasser:

"Fast immer waren es innere Schwierigkeiten, die in Rutherfords Augen eine gesteigerte Polemik erforderlich machten. Demnach ist die literarische Aggression ein bewusst eingesetztes Kampfmittel Rutherfords gewesen. Seine Anwendung bzw. Nichtanwendung war erkennbar abhängig von sekteninternen Voraussetzungen. Wenn die Leitung der ZJ eine Vertrauenskrise ihrer Mitglieder befürchten musste, hat sie die aufgestauten Aggressionen auf andere, außerhalb der Sekte liegende Ziele abgelenkt. Der Krieg mit dem Feind von draußen bewirkte zwangsläufig den Burgfrieden im Inneren und vermied einen Vertrauensschwund der Leitung. So haben Rutherford & Co immer wieder mit bestem Erfolg das Innenleben ihrer Mitarbeiter manipuliert. Der ZJ ist seitdem der Prototyp des manipulierten und stimulierten Frommen".

Eine Feststellung, die sicherlich noch nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat. Man vergegenwärtige sich nur, mit welcher allegorischen Willkür, die WTG z. B. Ihre Nord- und Südkönig Auslegung betreibt. Sie scheut sich dabei nicht, religiös verbrämt, handfeste, gezielte politische Aussagen und Orientierung für ihre Anhängerschaft zu verbreiten, wie z. B. Ihre provokatorische These: "Wenn der Teufel in seiner Rolle als Gog von Magog vom äußersten Norden her zu seinem letzten Angriff übergeht, wobei er alle seine Kräfte aufbietet, wird bestimmt der kommunistische König des Nordens zu seinen Angriffsstreitkräften gehören" (Vgl. die "Dokumentation über die WTG", Urania-Verlag 1970, S. 26).

Hier wird also den Zeugen Jehovas eingeredet, dass der Kommunismus eine "teuflische Macht" sei, der zu "seinem letzten Angriff übergeht" und was dergleichen Behauptungen mehr sind. Kein Wort wird jemals seitens der WTG über das soziale Anliegen des Kommunismus verloren, kein Wort darüber, dass die Alternative dazu heißt kapitalistisches Wolfsgesetz. Zu sehr ist die WTG sich der Tatsache bewusst, dass ihre Religion des Schwarzmalens der menschlichen Zukunft, nur auf dem Morast möglichst gravierender Ungerechtigkeit am besten gedeiht. Das gegen ein so verstandenes "Christentum" eine deutliche Sprache gesprochen werden muss, dass dabei die Frage ob der einzelne Gläubige dabei seinen bisherigen kritiklosen Glauben "unbeschadet" weiter behalten kann oder nicht, ist dabei die andere Seite, die die WTG selbst zu verantworten hat,

In der vorstehend besprochenen Arbeit von Dietrich Hellmund ist diesen gesellschaftspolitischen Aspekten, die die WTG in ihre Konfliktsituation in den sozialistischen Ländern hineinmanövrieret hat, nur beiläufig "Beachtung" geschenkt. Statt dessen werden "Empfehlungen" gegeben, die zweitrangige Fragen in den Vordergrund stellen.

Eine solche Betrachtungsweise ist für die Situation in der DDR unrealistisch und daher nicht übertragbar!

Ich war eine Zeugin Jehovas

Gespräche und Kommentare der Studiengruppe Christliche Verantwortung (Berlin)

Nr. 15 (1974)

1966 veröffentlichte die Schweizerin Josy Doyon ihr Buch "Hirten ohne Erbarmen". In romanhafter Fülle schilderte sie darin ihren Entwicklungsweg bei den Zeugen Jehovas, der zehn Jahre ihres Lebens in Anspruch nahm. Die Grundtendenz veranschaulicht, wie Jehovas Zeugen durch die verantwortlichen Köpfe der "Wachtturmgesellschaft" in gnadenloser Hetzjagd für ihre ehrgeizigen Ziele ausgebeutet werden. Charakteristisch wird das auch durch folgende Episode veranschaulicht, die auf den WTG-Kongress Nürnberg 1955 Bezug nimmt. J. Doyon schreibt:

"Für mich kam auch bald die Gelegenheit, mich heftig zu schämen, weil ich mich derart gesträubt hatte, an dem Kongress teilzunehmen. Da wurde nämlich laut verkündet, dass fünf Zeuginnen in Nürnberg während des Kongresses ihre Babys zur Welt gebracht hätten. Diese Zeuginnen hätten die wahre Wertschätzung für den wunderbaren Kongress 'triumphierendes Königreich' bekundet, denn sie hätten in ihrem Zustand die Mühen einer weiten Reise nicht gescheut". - "Hirten ohne Erbarmen" S. 91, Zürich-Stuttgart 1966 …

Zu solchen Auswüchsen führte also der krampfhafte Versuch der WTG, ihre Organisation relativ kleiner Größenordnung, durch Superkongresse ihrer Umwelt "groß und bedeutungsvoll" erscheinen zu lassen. Solcherart massiver "Abrechnung" auch in westlichen Ländern, neben der einschlägigen, sich besonders in der DDR publizistisch artikulierenden Kritik, konnte der WTG natürlich nicht "völlig gleichgültig" sein, so das sich WTG-Präsident Knorr in einem internen Brief an seine Untergebenen zu dem indirekten Eingeständnis veranlasst sah:

Leistungsterror

"Viele unserer Kreis- und Bezirksdiener haben die Darlegungen im 'Königreichsdienst' als Vorschriften betrachtet und haben versucht, sie anzuwenden. So sind sie nicht nur in Vorschriften und Anordnungen 'untergegangen', sondern sie haben wahrscheinlich auch eine Anzahl Versammlungsglieder so weit gebracht, dass sie glaubten, sie wären mit Arbeit überladen." Das genannte Buch der Schweizerin J. Doyon lieferte für diese "theoretische" Feststellung eine von mehreren praktischen Veranschaulichungen, die auch einen größeren Öffentlichkeitsradius erreichen konnte.

Wenn sich N. H. Knorr durch den amerikanischen Reporter M. Cole bescheinigen lässt: "Seine Mitarbeiter sprechen von ihm nicht als einem Antreibertyp, sondern als von einem Mann, der Tüchtigkeit zu schätzen weiß" (welch feiner Unterschied! - M. G.) (Cole "Jehovas Zeugen", S. 222). Dann verdeutlicht indes J. Doyons Bericht für die Alltagspraxis, welch raffgieriger Freizeitberaubung und Leistungsterror zum Proselytenmachen Jehovas Zeugen durch die WTG ausgesetzt sind, dort, wo sie ungehindert wirken kann.

Wenn Historiker zu der Feststellung gelangten, dass kleinere Religionsgemeinschaften US-amerikanischen Ursprungs, oftmals das kapitalistische Elite und Konkurrenzdenken in besonders starkem Maße widerspiegeln, dann sind die ZJ, über jeden Zweifel erhaben, dafür das "klassische Beispiel".

Da dicke Bücher in unserer heutigen Zeit, bei "Otto Normalverbraucher" Gefahr laufen manchmal nicht mehr gelesen zu werden, ist es durchaus begrüßenswert, wenn der "Siebenstern-Taschenbuch-Verlag" (Hamburg, BRD), im Jahre 1971 eine gekürzte zweite Auflage dieses Erlebnisberichtes als "Ich war eine Zeugin Jehovas" vorlegte. Aus 332 wurden 155 Seiten! Als bedauerlich würde ich es jedoch bewerten, dass auch die nachfolgenden Passagen aus "Hirten ohne Erbarmen" dem Rotstift mit zum Opfer gefallen sind.

Illusionen

Gerade in diesen Aussagen ist ein wesentliches Element der "Wachtturm-Religion" eingefangen; so z. B. in der Feststellung:

"Es waren besonders ältere Geschwister, die bereits viele Jahre für die Wachtturmgesellschaft gearbeitet und geschwitzt hatten, die auch ihre sämtlichen früheren Freunde und Verwandte durch die Gesellschaft verloren hatten, welche am meisten und sehnlichsten Harmagedon herbeiwünschten. Man hatte ihnen vor vielen Jahren schon durch gewaltige Schlagzeilen versprochen: 'Millionen heute lebender werden nie sterben'. Sie glaubten es und opferten ihre besten Jahre dem Werk. Sie nahmen jedes Ungemach und sogar Verfolgung auf sich. Nun wollten sie auch den versprochenen Lohn erhalten: ein ewiges Leben ohne vorher noch ins Gras beißen zu müssen. Aber der größte Teil dieser Betrogenen liegt längst unter der Erde. Die neu hinzugekommenen aber werden von der Gesellschaft unentwegt mit neuen Schlagern und Schlagzeilen auf ein schreckliches Harmagedon und ein wunderbares Leben auf der nachher folgenden paradiesischen Erde vertröstet". - "Hirten ohne Erbarmen" S. 160.

"In der Versammlung durfte man natürlich solche Zweifel nicht äußern. Dort wurde anhand von Demonstrationen ja auch gezeigt, dass ein Zeuge keine Lebensversicherung abschließen solle, da das im Angesicht Harmagedons überflüssig sei. Auch Sparbücher für die Kinder müsse man nicht anlegen, diese würden sie ja gar nicht mehr brauchen. Überhaupt solle ein rechter Zeuge sein Geld nicht auf die Bank legen, sondern damit die Königreichs-Interessen fördern, da ihm das Lohn in der neuen Welt einbringe. Es gäbe Zeugen, die tatsächlich ihre Häuser verkauften, nur um an einem Weltkongress teilnehmen zu können. Das sei die richtige Wertschätzung. Andere kündigten ihre Stellen, weil sie zur Zeit eines Kongresses keine Ferien bekommen könnten. Das sei wahres Gottvertrauen. Es wurde von Zeugen berichtet, die jede Woche viele Stunden marschierten, gefährliche Flüsse, in denen Krokodile hausten, samt ihren Kindern durchschwammen, nur um die Versammlung besuchen zu können. Angesichts solcher Wertschätzung müsse man jedoch zugeben, dass es für einen Zeugen überhaupt keinen stichhaltigen Grund gebe, auch nur eine Versammlung zu versäumen." - Ebenda S. 161, 162.

"Von dieser Beweisführung war ich nie vollständig zu überzeugen. Besonders am Anfang fand ich es eher lächerlich, dass nun im Jahre 1914 alle Reiche der Welt hätten auf Jehovas Zeugen hören sollen. Wem hätten sie wohl ihre Herrschaft so plötzlich abtreten sollen? Von Jesus war ja doch weitherum nichts zu sehen, also hätten sie ihre Herrschaft nur der Wachtturmgesellschaft zu Füßen legen können. Ob das gut herausgekommen wäre? Ob man dabei nicht vom Regen in die Traufe gekommen wäre?" - Ebenda

Zeitgeschichtliches Dokument

Da die Zeugen Jehovas in der BRD (in den siebziger Jahren) mittlerweile an die 100 000 Marke herangekommen sind, dürfte ein solches Buch das veranschaulicht, wie diese Organisation unter Aufbietung aller physischen und psychischen Hilfsmittel, noch mit Gewalt einen Namen im Konkurrenzkampf am "religiösen Himmel" sich zu erringen sucht (obwohl die Zeichen der Zeit schon längst in andere zukunftsträchtige Regionen weisen); als zeitgeschichtliches Dokument der Knorr-Ära, ähnlich wie W. J. Schnells Buch "Dreißig Jahre Sklave des 'Wachtturms'" für die Rutherford-Ära, auch zu späteren Zeitpunkten noch seine Bedeutung haben.

Man sollte indes von diesem Doyon-Bericht allerdings nicht zu viel erwarten. Er ist nur eine subjektive Erlebnisschilderung, ohne Wertung und Erkenntnis der tieferen Ursachen dieses Irrweges. Überdies liegen solche persönlichen Erlebnisschilderungen von Zeugen Jehovas auch an anderer Stelle reichlich vor, wenn auch nicht immer wie hier, in geschlossener Buchform.

 

Journalistenreport

Gespräche und Kommentare der Studiengruppe Christliche Verantwortung (Berlin)

Nr. 20 (1976)

In der "Weltbühne" (4/71 S. 111-114 und 5/71 S. 137-140) berichtete Tankred Koch über das Buch des BRD-Journalisten Horst Knaut mit dem Titel "Rückkehr aus der Zukunft" (München 1970), dass sich mit dem Thema "Dschungel des Aberglaubens" und "Okkultismus als Gewerbe" beschäftigte. Einleitend bemerkt der Rezensent, dass Knaut's Arbeit "ohne die Vorarbeit solch unermüdlicher Forscher wie Johann Kruse, ohne die aufklärenden Werke Professor Prokops, Herbert Schäfers, Auhofers, Haack und vielen anderen nicht möglich gewesen wäre."

1975 hat Horst Knaut nun einen neuen Report erstellt, diesmal über Jehovas Zeugen mit dem Titel "Propheten der Angst". Sein persönliches Miterleben der WTG-Missionstätigkeit fasst er in die Worte: "Die Missionskampfparole Nr. 1 der 'Zeugen Jehovas' kann daher nur heissen: 'Wirb oder stirb!' -wirb für die theokratische Wachtturmorganisation und komm bei 'Harmagedon' mit dem Leben davon und anschliessend in das Tausendjärige Reich oder verrecke jämmerlich" (S. 43).

An anderer Stelle gibt er folgenden Eindruck von seinem Erleben der Zeugenverkündigung:

"Eine uralte Psychologie bewährt sich bei den 'Zeugen Jehovas' Tag für Tag aufs Neue: Je einfältiger und unaufgeklärter der Mensch, desto besser ist er für neue Lehren zu gewinnen, noch dazu, wenn sie gleichzeitig mit einem Heilversprechen verbunden sind" (S. 101, 102).

Ob man aber einen "psychopathologischen Knacks", wie er sich ausdrückt, verallgemeinern kann, ist sehr fraglich.

Eine gewisse Schwäche des Werkes, was ist schon vollkommen, zeigt sich im Literaturverzeichnis. Man wünscht sich u. a. einen Hinweis auf Alan Rogersons Buch "Viele von uns werden niemals sterben - Geschichte und Geheimnis der Zeugen Jehovas." ... Selbst alle Sachkenner westlicher Länder sind einhellig der Meinung, dass dies eines der wichtigsten Werke der letzten Jahre ist.

Besonders bemerkenswert ist, wie Knaut die politische Bedeutung der WTG angeht, die er natürlich auch sieht. "Ein Nutzniesser der Wachtturm-Gesellschaft ist die bürgerliche Gesellschaftsordnung, für die sich die Zeugen Jehovas in etlichen entscheidenden Bereichen als systemerhaltende Stützen erweisen, indem sie Menschen, die von ihrer sozialen Struktur normalerweise in überwältigender Mehrheit zur Arbeiterklasse gehören, durch ihre Lehren faktisch dahingehend beeinflusst, dass die Privilegierten der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung ihreVorrechte weiter ausbauen können" (S. 178, 179). Knaut nennt diese Feststellungen "Gossenrede" und "Politdümmelei", obwohl sehr leicht zu sehen ist, wie die WTG tatsächlich jede Hand lähmt, die sich gegen jene Privilegierten und ihre Interessen erhebt. Jeder objektive Beobachter der WTG-Entwicklung sieht, wie sich die WTG jetzt mit ihrer Endzeittheorie wieder überlebt hat. Will oder soll Knaut dabei helfen, die dadurch desillusionierten Zeugen nicht aus der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung ausbrechen zu lassen? Als sie Zeugen wurden, war es für viele tatsächlich die grosse Frage, wohin in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung mit ihren anscheinend unlösbaren Problemen und Ungerechtigkeiten. Keinen Ausweg sehend wurden sie Zeugen. Nun überlebt sich das und zerbricht.

Fragen muss man auch nach dem Sinn und Zweck der lobenden Erwähnung der politischen Resignation und Abdankung der bekannten ehemaligen Zeugin Jehovas Josy Doyon aus der Schweiz. Sie verfasste über die WTG das Buch "Hirten ohne Erbarmen". Nach ihren Erfahrungen in Östereich, England, in der BRD und der Schweiz mit "den Kirchen, in der Wirtschaft und in der Politik" und dann auch in diesen westlichen Ländern unter den Zeugen Jehovas und mit der WTG schrieb sie:

"Ich denke so für mich, die grossen Konfessionen müssten etwas ehrlicher werden, wenn sie den Sekten den Wind aus den Segeln nehmen möchten. Aber das wird wohl auch fast unmöglich sein, denn es gehört zu unseren heutigen Gesellschaftsstrukturen, dass mehr oder wenig überall diplomatisch gelogen wird, in den Kirchen, in der Wirtschaft und in der Politik. Und alle diese diplomatischen Lügen sind der Wind in den Segeln derer, die es sich dann leisten können, fastdick zu lügen. Da wird dem einzelnen nichts anderes übrig bleiben, als entweder brav mitzulügen, oder wenn er das verschmäht, so ziemlich allein auf weiter Flur zu bleiben. Und dann sind noch die vielen Glücklichen, die es garnicht merken, dass sie angelogen werden. Summa summarum sind wir Menschen ein ziemlich unehrliches Pack, und das wird wohl davon kommen, weil wir so egoistisch sind und vom Leben immer mehr fordern, als wir im Grunde nötig hätten."

Josy Doyon hat in ihrem mutigen Buch erstmals als Frau die Unglaubwürdigkeit der WTG-Hirtentätigkeit öffentlich aufgezeigt. Objektiv ist dieses mutige Buch wohl kaum Resignation und Abdankung, denn es wirkt und wirkt. Es ist eher ein grosses Engagement vor der Öffentlichkeit. Der subjektive Rückzug, um "so ziemlich allein auf weiter Flur zu bleiben", ist dies jedoch. Will oder soll Knaut dies zur Alternative zur WTG erheben, damit die sich von ihr Abwendenden dennoch weiter passiv bleiben?

Die beiden Aspekte der Verneinung einer WTG-Beeinflussung zugunsten der Privilegierten und des lobenden Zitierens jener Resignation ragen merkwürdig hervor. Man fragt sich, wohin Knaut die nur zu recht über die WTG desillusionierten Zeugen führen will. Wir finden auch die Klage des Autors, dass er sich als "Nur-Journalist" nicht genügend von den "Experten" unterstützt fühlte (S. 189, 190).

Die antikommunistische und sonstige Politik der WTG beurteilt der Autor jedoch wie folgt:

"Vor einigen Jahren noch kamen aus den Watchtower-Wolkenkratzern Anti-Ost-Meldungen, die regelrechten Kampagnen glichen.In den Ländern, in denen man nach den geltenden Gesetzen öffentlich und legal die Brooklyn-Lehren verkündigen darf, wollte man sich Liebkind machen und wenigstens nicht politisch anecken, denn andere Glaubensinhalte und Glaubenspraktiken der 'Zeugen Jehovas' boten in den für sie freien Ländern ja schon Reibungsflächen zur Genüge. Der Blick zurück auf die Watchtowerpolitik zu Beginn des Hitlerreiches in Deutschland zum Beispiel zeigt, wie man um des eigenen Vorteils willen bestrebt ist, sich jeweiligen politischen Verhältnissen zunächst einmal anzuschmiegen. Das klappt nicht immer. Das eine christliche Sorge um die Einzelschicksale der Brüder und Schwestern in den jeweiligen Ländern, in denen die 'Zeugen Jehovas' unter Druck stehen, zugrunde liegt, muß in Zweifel gestellt werden. Die Ausdehnung der Watchtower-Macht im großen war immer das vorrangige Anliegen. Statt sich auf ihre Theologie und die immer wieder betonte politische Neutraltät zu beschränken, haben die Watchtower-Gewaltigen mit ihren politischen Kundgebungen in Wort und Schrift ganzen Heeren von kleinen Predigern nämlich mehr geschadet als geholfen. Aus diesen Verhaltensweisen der Brooklyner Kommandozentrale lassen sich nicht nur Widersprüche und Skrupellosigkeit, sondern auch politische Dummheit herauslesen, die der im Lehrgestrüpp von Brooklyn hypnotisierte kleine Prediger nicht erkennt" (S. 170, 171).

Kitawala

Die Watch-Tower- Bewegung in Zentralafrika

Christliche Verantwortung (Gera) Nr. 27 Oktober 1969

In ihrem Bericht über Nordrhodesien (Zambia) bemerkte die Wachtturmgesellschaft in dem Jahrbuch für 1964 (S. 217), dass die neu Hinzugekommenen längst nicht alle ersetzen, die die Organisation verlassen haben.

Auch in den nachfolgenden Jahrbüchern finden wir in den Berichten über Malawi und Zambia des öfteren Bemerkungen über Gewalttätigkeiten und Verbotsandrohungen gegen die Zeugen Jehovas in diesen jungen afrikanischen Nationalstaaten.

Im Oktober 1967 war es dann soweit, Jehovas Zeugen wurden in Malawi wegen der asozialen Grundeinstellung der WTG als staatsgefährdend verboten, wobei allerdings auch zu bemerken ist, dass einige leitende Brüder in Malawi (Zweig-, Sonder- und Kreisdiener) ihre gegenwärtige soziale Verantwortung erkannten und als Konsequenz daraus eine freie christliche Gemeinschaft für ganz Zentralafrika gründeten, die sich der dortigen Zeugen Jehovas annimmt. …

Kitawala.

In mittelbarem Zusammenhang mit diesen Geschehnissen in Zentralafrika sind auch einige Jahrbuchberichte über den Kongo (Leopoldville) interessant, die uns auf eine bemerkenswerte religiöse Bewegung aufmerksam machen, die schon seit den ersten Anfängen der WTG in Afrika von der Brooklyner Leitung unabhängig ist und auch besser verständlich macht, weshalb die Zahl der neu Hinzugekommenen in bestimmten Situationen längst nicht alle jene ersetzen, die die Organisation verlassen haben.

Im Jahrbuch 1964 (S. 185) wird z. B. berichtet:

"Im Jahre 1932 versuchte die Gesellschaft, einige Zeugen in den Kongo zu senden, der damals eine belgische Kolonie war, jedoch erwiesen sich diese Bemühungen als nicht erfolgreich. Die belgische Regierung hielt die Zeugen für die einheimische, politisch-religiöse Gruppe, de sich ,Kitawala' nannte. Diese dort ansässige Religion ist eine Verschmelzung . . . auch der Lehren von Jehovas Zeugen."

Und im Jahrbuch 1966 (S. 102) wird weiter dazu berichtet.

"Vom Zweig wurde eine eingehende Studie zur 'Kitawala'-Frage ausgearbeitet (dabei geht es um Gruppen, die diesen Namen angenommen haben und ihre Versammlungsstätten Kitawala, Watch Tower, International Bible Students Association und Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania nennen)."

Aus diesen Bemerkungen der WTG ist also ersichtlich, dass in Zentralafrika eine nicht unbedeutende Gruppe existiert, die sich in den dortigen Bantusprachen "Kitawala" nennt, was sinngemäß übersetzt soviel wie "Wachtturm-Bewegung" bedeutet, die zwar einige Elemente der Wachtturmlehren enthält genau genommen jedoch eine afrikanisierte Form der Wachtturmreligion darstellt und mit den Zeugen Jehovas nicht mehr identisch ist.

Geschichtliche Anfänge.

Interessant ist dabei besonders, dass die "Kitawala" kein Produkt der Neuzeit sind, sondern ihren Ursprung schon in den ersten Missionsbemühungen der WTG in Afrika haben!

Als Grundlage für die nachfolgende Darstellung dient uns eine 1967 im Elwert Verlag/Marburg erschienene Dissertation (Doktorarbeit) von Hans Jürgen Greschat über die "Kitawala", der sein Quellenmaterial dafür unter anderem auch von den WTG-Büros in Brooklyn/New York, Leopoldville/Kongo und aus London erhielt.

Joseph Booth.

Die geschichtlichen Anfänge der Wachtturmbewegung in Afrika sind in der Hauptsache mit zwei Namen verbunden; Joseph Booth und Elliot Kenan Kamwana.

Joseph Booth, 1851 in Derby/England geboren, später in Australien ansässig, war einer jener Menschen, die es mit Fleiss und Ausdauer zu einigem Reichtum gebracht hatten, der sich jedoch besonders seit 1891 von Gott erleuchtet und zum Missionar berufen fühlte. Sein wohl erstes missionarisches Wirken für die Baptisten in Nyassaland, dem heutigen Malawi, währte bis 1896, woraufhin er mit ihnen brach und Missionar für die Siebten Tags Adventisten, ebenfalls in Nyassaland, wurde. Besonders verdienstvoll war sein offenes Eintreten für die Gleichberechtigung der von den Weißen unterdrückten einheimischen Bevölkerung, wodurch er sich allerdings den Hass der Kolonialbeamten zuzog und Nyassaland für immer verlassen musste. Er zog dann nach Südafrika. Im Jahre 1906, Booth war auf der Suche nach "neuer Wahrheit" und neuen Geldgebern für seine missionarischen Ziele, besuchte er auch C. T. Russell, den er mit der Versicherung überraschte, es gebe in Süd- und Zentralafrika "viele Schwarze mit gerade dem rechten Herzen für die fröhliche Milleniums-Botschaft von der Aufrichtung der Herrschaft des Gerechten", so das Russell seine Bitte um Unterstützung erfüllte und ihn als offiziellen Beauftragten der WTG nach Südafrika zurücksandte! Jedoch um die Jahreswende 1909/10 trennte sich Booth wieder von den Russelliten, indem er in Amerika eine Organisation der Siebten Tags Baptisten, die "American Sabbath Tract Society" in Plainfield, New Jersey, um weitere Unterstützung für seine Missionspläne bat.

Elliott Kenan Kamwana.

Einer seiner Schüler während seiner adventistischen Zeit war E. K. Kamwana, der wohl auch von J. Booth getauft wurde.

Nachdem Joseph Booth dann zwangsweise nach Südafrika kam, erfuhr er so um das Jahr 1907 herum, dass sein ehemaliger Schüler jetzt in Johannisburg/Südafrika in einem Hospital arbeitete, woraufhin beide, wieder brieflich und persönlichen Kontakt aufnahmen, in dessen Ergebnis Kamwana auch mit den Lehren Russells in Berührung kam.

Kamwanas missionarisches Wirken.

Im Juli oder August 1908 teilte E. Kamwana in einem Brief an einen Freund mit, er sei von Booth als Missionar in seine Heimat Nyassaland zurückgesandt worden.

Im Dezember 1908 begann er dort mit einem öffentlichen Predigtfeldzug, den er dann im März 1909 abbrechen musste und indem er rund zehntausend Personen taufte; nach eigenen Angaben genau 9126, die so in die neue "Society Church" aufgenommen wurden, wodurch er alle missionarischen Bemühungen der anderen Kirchen weit in den Schatten stellte.

Sein großer Erfolg beruhte darauf, dass er wie Russell lehrte, im Jahre 1914 werde das Millenium Christi aufgerichtet, was er allerdings so ausdeutete, dass in jenem Jahr alle weißen Verwaltungsbeamten Afrika verlassen müssten und dann ein Leben ohne bedrückende Lasten, ohne Steuern, ohne Schulgeld, in einem freien afrikanischen Land unter afrikanischer Führung beginnen würde. Seine Anhängerschaft vermehrte sich auf Grund dieser materiellen Zielstellung überdurchschnittlich schnell, wobei die anderen Kirchen auf Grund ihrer überwiegend ,jenseitigen' Verkündigung, allerdings das Nachsehen hatten. Bemerkenswert ist es auch, das Kamwana sich als rechtmäßiger Repräsentant der Brooklyner Wachtturmgesellschaft betrachtete und von dieser auch als solcher zu jener Zeit anerkannt wurde.

Ein Abgesandter Russells, W. Johnston, der im Jahre 1910 die neugegründeten Gemeinden in Zentralafrika besuchte, musste sich allerdings dann in seinem Bericht bitter darüber beklagen, dass ein "Geist der Habgier und Selbstsucht" jene Gemeinden erfüllt habe.

Ihm erschien es so, dass viele glaubten, er sei mit geldgefüllten Taschen gekommen um alle Pastoren und Lehrer zuu beschenken und ihnen im Namen der Society gewinnbringende Positionen anzubieten.

Drei Hauptgedanken waren für Kamwanas Verkündigung charakteristisch:

Die verheißene Befreiung von weißer Herrschaft, die jedem gewährte seligmachende Taufe,

der materielle Reichtum, den sie im tausendjährigen Reich und schon vorher aus Amerika erwarteten.

Besonders jedoch die verheißene Befreiung von europäischer Bevormundung, bewirkte, dass Kamwana am 18. März 1909 vom britischen Gouverneur Sir Alfred Sharpe verhaftet und des Landes verwiesen wurde, worauf er wieder zu Booth nach Kapstadt zurückkehrte und später nach neuen Missionsversuchen im Jahre 1915 für 28 Jahre nach Mauritius verbannt wurde.

Von Seiten der WTG wurde offizieller Protest gegen die Ausweisung bei der Protektorats-Verwaltung eingelegt und auch der amerikanische Konsul wurde um Beistand gebeten, wenn auch ohne den gewünschten Erfolg.

William W. Johnston.

Im September 1910 wurde William Johnston aus Glasgow/England im Auftrage der WTG nach Südafrika gesandt, mit dem Auftrag, die von Kamwana verlassenen Gemeinden aufzusuchen und zu reorganisieren.

Die afrikanische Wachtturmbewegung macht sich selbständig.

Als Johnston bei den Eingeborenen, den Tongas - genannt so nach dem gewaltigen Tongasee im heutigen Malawi, dem drittgrößten See Afrikas - eintraf, wurde er mit Geschenken fast überschüttet, man gab ihm eine besondere Hütte und stritt um das Vorrecht, ihn in der Machila, einer Hängematte tragen zu dürfen.

Plötzlich jedoch schlugen die Ehrungen in ihr Gegenteil um. Johnston blieb ohne Nahrungsmittel und Obdach und musste schon nach zehn Tagen Anwesenheit seine Rückreise antreten, wobei er von den am Ufer scharenweise stehenden Kamwanaiten verspottet und verhöhnt wurde. Die Ursache für diesen Misserfolg sah er in der Enttäuschung, die er ihnen durch seine Erklärung bereitete, die Society könne und wolle nicht für freien Unterricht, für freie Lehrbücher und Lehrer sorgen, wodurch die WTG praktisch gesehen den Einfluss auf die einstmals in ihrem Namen gegründeten Gemeinden für alle Zeiten verlor! Als Kamwana 1937 aus seinem Exil wieder nach Nyassaland zurückkehrte, blieb er den weißen Zeugen Jehovas gegenüber ein unversöhnlicher Widersacher, der wieder mit der während seiner Abwesenheit sich weiter entwickelten Kitawala-Bewegung zusammenarbeitete, deren besonderes Merkmal ein politisch aggressiver Charakter ist!

Kitawala - Heute.

Bemerkenswert ist es auch, dass trotz der zeitweiligen staatlichen Verbote oder wenn man will auch gerade deswegen, sich die Kitawala-Bewegung immer mehr ausdehnte, so dass sie heute speziell im Kongo, ferner in Malawi und Zambia anzutreffen ist, wobei noch zu bemerken ist, dass der ursprüngliche WTG-Einfluss immer mehr durch speziell afrikanische Elemente umgeformt wurde, so dass Kitawala heute eine spezifisch afrikanische, religiöspolitische Los-von-den-Weißen-Bewegung ist, die sich des Watch Tower Namens bedient und ebenfalls wie die Zeugen Jehovas in einer ständigen Naherwartung von Harmagedon lebt, das als Entscheidungsschlacht zwischen Weiß und Schwarz verstanden wird.

Zur Veranschaulichung dieses Gedankens zitierten einige Kitawala-Prediger besonders oft den Bibelvers:

"Und siehe es sind Letzte, die werden Erste sein, und es sind Erste, die werden Letzte sein." (Luk. 13:30)

Wer mehr darüber erfahren wollte, bekam dann vom Prediger mitgeteilt, dass die Weißen die Letzten und die Schwarzen die Ersten sein würden.

Was die gegenwärtige Situation der Kitawala betrifft, so ist festzustellen, dass durch das Ausbleiben ihrer Naherwartungen krisenhafte Merkmale sie kennzeichnen, während andererseits einige Tendenzen zu verzeichnen sind, die auf einen Zusammenschluss mit einer anderen kongolesischen Bewegung, der von Simon Kimbangu hinzielen, die wohl einige ideelle Gemeinsamkeiten mit Kitawala hat, und beispielsweise im Gebiet von Stanleyville auf 56 000 geschätzt wird. Inwieweit diese Bewegung mit den seit 1967 tätigen ehemaligen WTG-Angehörigen in Malawi zusammenarbeiten wird, ist natürlich schwer zu beurteilen, vielleicht wird uns die Zukunft mehr Informationen darüber vermitteln.

Siehe auch: (Zeitschrift) Christliche Verantwortung

ProjektCV

Kommentar zu den eingescannten CV-Ausgaben

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