Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Ein bedrückender Bericht

Vermutlich ein oder zwei Wochen später (nach der Verhaftung Fritz Winklers) wurde der mittlerweile für den vergrößerten Bezirk Ost- und Westpreußen, Pommern und Mecklenburg zuständige Bezirksdiener Georg Rabe verhaftet. Am 4. März (1937) folgte die Festnahme des bayerischen Bezirksdieners und wohl etwa zur gleichen Zeit auch die der beiden für Ostschlesien sowie für Berlin und die Mark Brandenburg zuständigen Bezirksdiener. Der unter dem Tarnnamen „Meindl" reisende Reichsdiener Erich Frost fiel der Gestapo am 21. März in die Hände."

So stellt sich in der Sicht von Detlef Garbe die Verhaftungschronologie führender deutscher WTG-Untergrundfunktionäre in der Nazizeit dar.

Folgt man dem von der WTG bekanntlich nicht „geschätzten" Uraniabuch, so war es die erpresste Aussage von Rabe, die wiederum insbesondere die Festnahme des Erich Frost ermöglichte.

Rabe hatte schon vor seiner Bibelforscherzeit eine beachtliche Karriere hinter sich. So führte ihn sein Weg von der „Landeskirchlichen Gemeinschaft", über die damals gerade neu aufgekommene „Pfingstbewegung", schließlich zu den Bibelforscher. Und dort, wie vorstehend gelesen nahm er eine beachtliche Position in deren Hierarchie ein.

Siehe dazu auch: 19172Rabe

In einer der WTG gefährlichen Krisensituation der 1920er Jahre in Halle/S. lag er stramm auf WTG-Linie, wie der diesbezüglich vorliegende Bericht es auch verdeutlicht:

In Halle verließen im Zusammenhang mit dem falschen Endzeittermin von 1925 die Mehrzahl aller (102 von 150) seinerzeit die WTG. In der entscheidenden Zusammenkunft stimmten 102 für den damaligen Hallenser Altesten Br. Karl Berke und gegen den damaligen Leiter des Bibelhauses und WTG-Vertreter Paul Balzereit, Magdeburg. WTG-Präsident Rutherford erhielt in Halle überhaupt keine Stimme. Er hatte als Hauptverantwortlicher völlig das Vertrauen verloren. Pilgerbruder Georg Rabe damals:

"Da sieht man doch, daß die Versammlung nicht in Harmonie ist mit dem Werke des Herrn. Die Persönlichkeit erkennt ihr nicht an, sonst würdet ihr sie gewählt haben. Im Gegensatz zu den Persönlichkeiten stehen heißt im Gegensatz zum Werke stehen. Wenn ihr zu den Persönlichkeiten kein Vertrauen habt, habt ihr auch zum Werke keins. Br. Rutherford keine Stimme, Br. Binkele (Zentraleurop. WTG- Büro Bern) nur eine, Br. Balzereit nur 60, wie könnt ihr da inHarmonie mit dem Werke sein?"

Um nochmals das der WTG total verhasste Uraniabuch zu bemühen. Letzteres meint Rabe vorhalten zu können:

„Rabe war demnach 1944 nicht in einem Konzentrationslager wie die anderen verhafteten WTG-Bezirksdiener, sondern in Freiheit im Memelland. Er wohnte dort in Heidekrug. In seinem Bericht verschweigt er natürlich, wie das zu jener Zeit möglich war. Es gab indes nur eine Möglichkeit für WTG-Funktionäre, nach ihrer Gefängnishaft nicht in ein Konzentrationslager gebracht zu werden: Sie mussten sich ihre Freiheit durch unterschriftliche Verpflichtungen bei der Gestapo erkaufen. Erst recht betraf dies die höchsten WTG-Funktionäre, zu denen Rabe zählte."

Der Fall Rabe ist jedoch auch deshalb exemplarisch, weil er nicht nur die Schattenseiten des Naziregimes, sondern eben auch die der Sowjetunion, am eigenen Leibe erfuhr. Bestand zwischen dem Naziregime und der Sowjetunion in der Behandlung der Zeugen Jehovas ein wesentlicher Unterschied? Wohl kaum. Beide steckten die ihnen Mißliebigen in Konzentrationslager oder eben in Gulag-Lager im Falle der Sowjetunion.

Im „Wachtturm" vom 15. Mai 1956 ist ein Bericht überliefert, der diesem Georg Rabe zugeschrieben wird. Betitelt: „Ich lebte als Verbannter in Sibirien". Ihm zufolge, hatte sich Rabe (und das hatte ja die DDR prompt „aufgespießt") nicht der Fluchtbewegung in Richtung Westen angeschlossen, als das Kriegsglück die Nazis zu verlassen begann.

Wie immer man zu Rabe's unterstelltem oder tatsächlichen Versagen auch stehen mag. Es ist ein bedrückender Bericht.

Er sei deshalb auch an dieser Stelle kommentarlos im nachfolgendem zitiert:

Als deutscher Staatsangehöriger konnte ich im November 1955 nach 4 ½ jähriger Verbannung in Síbirien in mein Geburtsland zurückkehren. Doch viele Zeugen Jehovas aus dem Memelllande, aus Litauen, Lettland, Bessarabien und der Ukraine wie auch aus anderen Teilen Rußlands, die nichtdeutsche Staatsangehörige sind, befinden sich immer noch in diesem kalten Lande.

Während verschiedene Teile Deutschlands von den russischen Streitkräften besetzt wurden, befand ich mich in Ostpreußen (im Memelland). Unter dem Hitler-Regime hatte ich als Zeuge bereits über sechs Jahre in verschiedenen Gefängnissen und anderen Einrichtungen gelitten. Als das Memelland (jetzt Klaipeda genannt) auf Befehl Hitlers geräumt werden mußte, flüchteten die meisten Bewohner dieses Gebietes nach dem Innern Deutschlands. An dieser Flucht nahm ich nicht teil, denn ich konnte es mit meiner Auffassung nicht vereinbaren, unter dem Hitler-Regime Zuflucht zu suchen, das Jehovas Zeugen so unsagbares Leid zugefügt hatte.

Auch dachte ich, daß die Kommunisten den Zeugen Jehovas, die unter dem Regime Hitlers so sehr gelitten hatten, ein wenig Entgegenkommen erzeigen würden."

Offenbar stand Rabe mit dieser Hoffnung gar nicht mal so allein dar.

Dazu kann man auch vergleichen: 19402Also

Weiter geht es in seinem Bericht:

„Weit gefehlt. … Was die Verfolgung der Zeugen Jehovas betrifft, offenbarte sich die kommunistische Regierungsform als treue Nachfolgerin Hitlers und seiner nationalen Partei. Als die Russen kamen, flohen Geistliche und Prediger … Viele Zeugen Jehovas, die diese Menschen in Bedrängnis sahen, hatten Gelegenheit, ihnen Gottes Königreich zu verkündigen. Diese Gelegenheiten nahmen sie wahr. Die Folge war, daß in diesem Teil des Landes eine Anzahl neuer Versammlungen entstand.

Der russischen Sicherheitspolizei blieb alles dies nicht verborgen. Wiederholt wurden wir abgeholt und nach langen Vernehmungen über die Lehren und die Organisation der Zeugen Jehovas wieder freigelassen. Wir wußten, daß die Geheimpolizei Spione in die Versammlungen sandte, um auszukundschaften, was gesprochen wurde. … Noch im Jahre 1949 konnte ich zu fast 300 Personen sprechen, die bei einer einzigen Zusammenkunft zugegen waren.

Einen Tag später wurde ich auf offener Straße verhaftet. Ich verbrachte zwei Tage im Polizeigebäude und wurde dann nach mehreren langen Vernehmungen wieder auf freien Fuß gesetzt. Doch einige Tage später mußte ich wieder vor der Sicherheitspolizei erscheinen. Da erhielt ich den Auftrag, einen wahrheitsgetreuen Bericht über die Organisation der Zeugen Jehovas niederzuschreiben.

Ein Bericht wurde … auch über viele … zeitgemäße Wahrheiten abgefaßt. Auch wurde mitgeteilt, daß Jehovas Zeugen unter dem Regime Hitlers in grauenhafter Weise verfolgt worden waren, und daß am 7. Oktober 1934 von den Versammlungen der Zeugen Jehovas aus vielen Ländern Telegramme an die Reichskanzlei in Berlin gesandt wurden, die alle den gleichen Wortlaut hatten, nämlich: 'Ihre schlachte Behandlung der Zeugen Jehovas empört alle guten Menschen und entehrt Gottes Namen. Hören Sie auf, Jehovas Zeugen weiterhin zu verfolgen, sonst wird Gott Sie und Ihre nationale Partei vernichten.'

Ich bin überzeugt, daß dieser Bericht an die Zentrale der Sicherheitspolizei in Moskau gesandt wurde.

Der erste schwere Schlag gegen Jehovas Zeugen in diesem Teile Rußlands kam im September 1950. Eines Nachts wurden alle arbeitsfähigen Brüder und auch verschiedene Schwestern von der Sicherheitspolizei geholt und in die Gefängnisse des Sicherheitsministeriums in Wilna gebracht. Nach halbjähriger Untersuchungshaft wurden die meisten von Moskau aus zu 10jähriger Zuchthausstrafe verurteilt. Nach sechs Monaten nervenaufreibender Vernehmungen und Verfolgungen zeigte es sich, daß die Nerven vieler Verurteilten durch die Drangsalierung sehr gelitten hatten. Einige von ihnen wurden dann aus der Strafanstalt weggeholt und in verschiedene Arbeitslager gebracht. Viele mußten unter der Erde in Kohlengruben arbeiten. Einige wurden selbst bis in das hoch oben im Norden gelegene, berüchtigte Lager gesandt, das als Workuta bekannt ist. Eine Anzahl unserer Brüder arbeitet immer noch dort. Es ist dort sehr kalt. Jede Vegetation fehlt, und nach dem langen Winter folgt nur ein kurzer Sommer. Durch das grausame kommunistische Regime sind mehrere Brüder zufolge übermenschlicher Anstrengungen zu arbeitsunfähigen Invaliden geworden. Einige von diesen wurden dann zu ihren Familien in Sibirien gesandt.

Ende März 1951 kam die zweite Verhaftungswelle. Die noch nicht Verhafteten - ältere Männer, Frauen, Kinder und Säuglinge und andere, die noch nicht zusammengetrieben worden waren - wurden in russischen Gewahrsam gebracht. Niemand wurde verschont, sondern alle schaffte man in Lastautos zu den Transportzügen, die für Sibirien bereitstanden. Nur wenige Habseligkeiten durften mitgenommen werden.

Nach 13 Tagen erreichten alle Zeugen Jehovas ihren Bestimmungsort, nachdem sie Tag und Nacht in Viehwagen gereist waren. Dann erging an sie die Meldung:

'Als Staatsfeinde seid ihr lebenslänglich nach Sibirien verbannt. Gebt jede Hoffnung auf, noch einmal in eure Heimat zurückkehren zu können.'

Jehovas Zeugen wurden jetzt von Tomsk bis Irkutsk und einige noch darüber hinaus als Arbeitssklaven auf verschiedene Kolchosen verteilt. … In diesen Gefangenenlagern und auch außerhalb, überall in Rußland, nehmen russische Leute in wachsender Zahl die Wahrheit an."

1956er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

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