Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Ein "schwarzer Rabe"

Der Gestapo gelang es nach der Verhaftung des Fritz Winkler, als erstem Reichsleiter der illegalen Organisation nach 1933, einen Dominoeffekt zu erzielen. Winkler "sang" und die Gestapo konnte weiter verhaften. Unter den Verhafteten befand sich auch ein gewisser Georg Rabe, seines Zeichens Bezirksdienstleiter für Ostpreußen in der Bibelforscherorganisation. Rabe seinerseits "sang" auch. Einen interessanten Namen konnte die Gestapo aus seinem "Gesang" herauskristallisieren, und zwar den Namen Erich Frost. Es verstand sich für die Gestapo von selbst, dass sie nunmehr auch den Frost mit einer Verhaftung "beehrte". Weitere Details zum Fall Frost sind an anderer Stelle schon ausgeführt und sollen hier nicht wiederholt werden.

Nun ist es ohne Zweifel so, dass diese vor der Gestapo gemachten Aussagen in der Regel als erpresst bewertet werden müssen. Keiner von den höheren Funktionären, die da verhaftet wurden, hatte die übermenschliche Kraft schweigen zu können. Jedenfalls keiner von denen, die das Naziregime überlebt haben. Winkler, Frost und Rabe haben auch überlebt. Ihre erzwungenen Aussagen sollen nicht überbewertet, aber auch nicht unter den Teppich gekehrt werden.

Sicherlich ist es auch interessant die Biographie einiger dieser mal zu verfolgen. Von Rabe liegt in der "Wachtturm"ausgabe vom Juni 1917 (S. 112) ein Leserbrief vor, der nachstehend einmal zitiert werden soll:

"Geliebter Bruder im Herrn!

Meinem Versprechen gemäß will ich Ihnen heute kurz mitteilen, auf welche weise ich mit den Erntewahrheiten bekannt wurde, die meine bisherigen religiösen Ansichten über den Haufen warfen und mir dafür eine Fülle von Licht für diese Zeit gaben.

(Ich) war seit einer Reihe von Jahren Reichsgottesarbeiter. Auch in Russland hielt ich einige Jahre in verschiedenen Städten Evangelisationsversammlungen, welche wegen des herrschenden Wahrheitshungers gut besucht waren, da meine Vorstellungen über den Liebesplan unseres Gottes zu dieser Zeit noch sehr mangelhaft und zum Teil auch falsch waren, bestand meine Wortverkündigung aus Sündenvergebung und Heiligung auf gesetzlichem Wege.

Im Jahre 1912 wurde mir von der russischen Regierung das Weiterarbeiten in diesem Reiche verboten. Nach Deutschland zurückgekehrt, schloss ich mich der Pfingstbewegung an. Die Leitung einiger Gemeinschaften Ostpreußens wurde mir übertragen.

Etwa ein Jahr vor Ausbruch des Krieges traf ich in der Eisenbahn mit einem Kolporteur der 'Vereinigung Ernster Bibelforscher' zusammen, kaufte und las den ersten Band der Schriftstudien, worauf ich mir dann auch die übrigen kommen ließ."

Einen interessanten Nachtrag gibt es noch zum Fall Rabe zu machen. Bibelforscher und sogenannte "Landeskirchliche Gemeinschaften" waren vielfach aus "einem" Holz (bzw. ähnlichem) geschnitzt. Der wesentliche Unterschied zwischen ihnen bestand in der Hauptsache darin, daß die "Landeskirchlichen Gemeinschaften", die auch etliche Kritik an den "verweltlichten Kirchen" übten, dennoch die Nabelschnur zu ihnen nicht kappten. Krass formuliert. Sie blieben Sekten innerhalb der Großkirchen, ließen sich aber in Fragen der Vertretung nach außen, von ihnen repräsentieren. Die Bibelforscher und andere hingegen hatten die Verbindungen zu den Großkirchen gekappt. Aber in ihrem Rekrutierungspotential schöpften die Bibelforscher, namentlich in den ersten Jahren, in höchstem Maße aus dem Kreis der "Landeskirchlichen Gemeinschaften". Schon verständlich, dass letztere auf diese neue Konkurrenz nicht sonderlich gut zu sprechen waren.

Zweite Zusatzbemerkung. Da gab es den Fall Walter Küppers (alias "Johannes Walther"). Bei ihm spiegelt sich schon die Gratwanderung Bibelforscher-Landeskirchliche Gemeinschaften ab. In meinem Buch habe ich ihm ein eigenes Kapitel gewidmet.

Küppers auch von Russell inspiriert, machte nun besonders durch seine 1912-Verkündigung Furore. Er erntete damit auch Kritik aus den Reihen der "Landeskirchlichen Gemeinschaften". Eine solche Stellungnahme sei einmal aus deren Zeitschrift "Deutsches Gemeinschaftsblatt" vom April 1911 zitiert:

"In weiten Kreisen der Gläubigen fängt man wieder an, Tag und Stunde der Zukunft des Herrn zu berechnen. Wir bitten die teuren Geschwister, wohl täglich und stündlich mit der Zukunft des Herrn zu rechnen jedoch nicht sie zu berechnen. Es treten ja immer neue 'Rechner' auf den Plan; jetzt erregen die Arbeiten des Schriftstellers Johannes Walther (er ist altkatholischer Pfarrer in Königsberg und heißt Dr. Küppers) die Aufmerksamkeit vieler Gläubigen. Wir möchten jedoch die Geschwister herzlich warnen, sich nicht das Ziel verrücken zu lassen …

Wir sehen hier, wie sehr diese Berechnungen dem Reiten eines Steckenpferdes gleichen, wobei es nicht sowohl auf das Pferd selbst, als auf den Reiter und seine Ansicht ankommt. Solche Berechungen stimmen bezüglich der Anfangs- und Endpunkte wichtiger Perioden kaum bei zweien dieser Rechenkünstler überein, und selbst bei einem und demselben Rechner (wie Joh. Walther) herrscht über diese Anfangs- und Endpunkte absolute Unsicherheit und Schwanken. Ebenso über die Frage: ob Sonnen- oder Mondjahre, oder ob prophetische Jahre gemeint sind. Man wählt bald das eine, bald das andere, je nach Bedarf, damit es stimmt. Ist unter Menschen schon Mathematik eine von den 'exakten' Wissenschaften, ja wohl die exakteste Wissenschaft, so ist Gottes, des größten Mathematikers Mathematik gewiß kein solches Probieren und grundsatzloses umhertasten. Das Spielen mit Steckenpferden ist gefährlich. Es hindert den lauf der Wahrheit Gottes, es bringt Ärgernis für die Welt, es verwirrt die Gläubigen. Darum, liebe Brüder, lasset uns aufräumen mit den Steckenpferden!"

Trotz dieser Stellungnahme, blieben die Küppers und Co. davon unbeeindruckt. Ein Beleg dafür ist eine weitere im "Deutschen Gemeinschaftsblatt" (16. 6. 1912) abgedruckte Erklärung gegen sie zu der es hieß:

"Vorstehende Erklärung ist auch den Brüdern Küppers und Voigt vorgelegt worden. Dieselben haben indes erklärt, daß sie noch immer nicht das innere Zeugnis haben, daß ihr Weg nicht ein Weg Gottes war. Sie nehmen vorläufig auf Grund von Matth. 24, 45-15,13 an, daß sie den Auftrag hatten, einen zu diesem besonderen Dienst bestimmten Teil der Hochzeitsgesellschaft … auf eine festgesetzte Stunde am Abend zu bestellen."

Jene zweite Erklärung gegen Küppers ist besonders im Hinblick auf einen ihrer Mitunterzeichner interessant. Und das war Georg Rabe (in seiner Zeit bei den "Landeskirchlichen Gemeinschaften"). Sie sei daher nachstehend noch zitiert:

"Erklärung. Indem endesunterzeichnende Brüder dem Volke Gottes mitteilen, daß sie nach ihrer jetzigen Erkenntnis durch Verkündigung des 21. März nicht dem Worte Gottes entsprechend gehandelt haben (Matth. 25, 13), konstatieren sie zugleich die Tatsache, daß sie dadurch manchem Kinde Gottes und der Welt Anstoß gegeben haben. Vor allem ist durch diesen Ungehorsam dem Worte Gottes gegenüber der Name unseres hochgelobten Herrn und Meisters verunehrt worden. Solches ist uns ein tiefer Schmerz, und bitten wir daher das Volk Gottes herzlich um Verzeihung, wie uns auch Gott um Jesu willen verziehen hat, nachdem wir uns vor Ihm gedemütigt haben. Nach unserer jetzigen Erkenntnis passen derartige Offenbarungen überhaupt nicht in dies Zeitalters des Glaubens hinein. Wir glauben, daß der Herr sehr nahe ist, und bitten Ihn, durch Seinen Heiligen Geist das Wort Jesu Joh. 17,20-23 in Erfüllung gehen zu lassen.

Riga, den 29. April 1912. Heinrich Rabe, Georg Rabe."

Dann noch einige Auszüge aus dem Vernehmungsprotokoll des Georg Rabe vom 19. 4. 1937. Grundsätzlich kann man sagen. Es "strotzt" nur so vor genannten Namen. Einen sich im Protokoll wiederfindenden Passus, etwa der Art, der Beschuldigte habe erst nach Widerständigem Verhalten ausgesagt, sucht man darin vergebens. Nicht so sehr die von Rabe genannten Namen (die unfraglich als erpresst eingeschätzt werden müssen), sollen hier interessieren. Sie werden übersprungen. Interessieren soll nachstehend nur dass, was man außerhalb der Namens-Nennungen darin noch lesen kann. Natürlich wollten die Vernehmer zu allererst Namen, (als Ausgangsbasis für weitere Ermittlungen) wissen. Aber auch darüber hinaus gehört Neugierde wohl zu ihren Berufseigenschaften. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren. Nach Dienstschluss gingen die Vernehmer mit dem beruhigenden Gefühl nach Hause; wieder einmal gründliche Arbeit getan zu haben:

In einem zusammenfassenden Protokoll der Gestapo (Bericht) vom 16. 4. 1937 findet sich auch der Satz:

„Der festgenommene Bezirksdiener Nawroth (aus Breslau) weigert sich bisher hartnäckig, irgendwelche Angaben über seinen Bezirk zu machen, so dass über diesen Bezirk bisher von hier aus nicht berichtet werden kann"

Laut gleichem Protokoll sei Nawroth Bezirksdiener für Ostschlesien und Grenzmark.

Dasgleiche Protokoll notiert zu Rabe (wörtliches Zitat).

„Durch die Festnahme von S i e b e n e i c h l e r und R a b e ist die Aufrollung ihrer Bezirke (Bayern und Ostpreußen) möglich geworden. Desgleichen trifft dies für den Bezirk D a u t (Berlin und Umgebung) zu. Daut hat in seiner Vernehmung vom 13. 4. 37 alle seine Gruppendiener genannt, mit deren Inschutzhaftnahme durch die Stapoleitstelle Berlin in nächster Zeit zu rechnen ist."

Auch diese Aussage bestätigt vorgenannten Eindruck.

Noch ein Exkurs in Sachen Georg Rabe.

Im Bestand der Deutschen Bücherei (Leipzig) vorfindlich, beginnend mit der Nummer 20 vom 15. Oktober 1913, und sich (lückenhaft) fortsetzend bis zur Nr. 8 des 6. Jahrganges vom 15. April 1914, gibt es eine Zeitschrift mit dem Titel
"Fels des Heils. Werbeblatt für entschiedenes Christentum".

Erscheinungsort: Riga.

Nun ist grundsätzlich zu beachten, Sammlungsbeginn der Deutschen Bücherei ist ohnehin erst ab 1913. Indem jedoch mitten im Jahrgang, die Ausgabe vom 15. 4. 1914, sich als die letzte erweist, die in vorgenannten Bestand vorfindlich ist, gibt das Anlass zur Rückfragen. Normalweise hätte die Deutsche Bücherei über diesen Zeitraum hinaus gesammelt, hätte sie weitere Hefte davon zugestellt bekommen, was offenbar aber aus nicht näher erläuterten Gründen nicht der Fall war.

Weitaus bemerkenswerter indes ist im Impressum der Name des Herausgebers jener Zeitschrift:

Georg Rabe, Riga, Romanowstraße 32, Postfach 611.

Ein verbindlicher Nachweis, dass es sich hierbei um jenen Georg Rabe handelte, welcher auch aus der Zeugen Jehovas-Geschichte bekannt ist, besteht zwar nicht. Indes die Wahrscheinlichkeit, das es so sein könnte, dürfte als nicht gering zu veranschlagen sein!

 

Der Fall Walter Küppers

A Black Raven

1917er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

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