"Obskure Persönlichkeit"

Einen Niederschlag dieser Sachlage findet man auch in der Nazi-Zeitung "Deutsche Allgemeine Zeitung" (11. 7. 1935). Dieser Artikel ist auch insofern beachtlich, als er in der Substanz auf einen Journalistenbericht aus den USA Bezug nimmt. Also nicht nur im "eigenen Saft" des Naziregimes schmorte. Er enthält auch Fehlinterpretationen. Das kann aber kein Hinderungsgrund sein, um ihn als zeitgenössisches Dokument nicht zur Kenntnis zu nehmen. Übrigens, hielt die Zeitschrift der Apologetischen Centrale ihn gleichfalls für so bedeutsam, um in zeitgenössisch nachzudrucken (Man vergleiche "Wort und Tat" 1935 S. 244). Man konnte in ihm lesen:

"Alle Druckschriften des Amerikaners J. F. Rutherford sind für Deutschland bis auf weiteres verboten worden. Bekanntlich wurde von der politischen Polizei in Danzig vor kurzem der Kommunist Rudolf Wegener verhaftet, der die Organisation der sogenannten 'Internationalen Bibelforschervereinigung' leitete. In seinem Besitz befanden sich zahlreiche Schriften Rutherfords. Über die Rolle Rutherfords, der sich wahrscheinlich ohne Berechtigung 'Richter' Rutherford nennt, berichtet unser New Yorker Mitarbeiter wie folgt:

e. e. New York, Anfang Juli.

Rutherford ist eine obskure Persönlichkeit und hat als Führer der 'Zeugen Jehovas' durch lärmende Propaganda in letzter Zeit ein gewisses Aufsehen erregt. Er behauptet mit seinen Anhängern, unter denen sich viele tausend Neger befinden, einen Kampf gegen den Papst, Hitler, Mussolini, Roosevelt und dessen Politik zu führen. Wenn dieses eigenartige Programm auch nicht genügen würde, ihn aus der großen Zahl von Fanatikern dieser oder jener Art herauszuheben, die von jeher die amerikanische Oeffentlichkeit mit ihren grotesken Vorschlägen unterhalten, so ist doch eine Besonderheit bei diesem Mann bemerkenswert: Er scheint über große Geldmengen zu verfügen, deren Herkunft noch nicht aufgeklärt ist.

Die 'Zeugen Jehovas' gibt es schon seit etwa zehn Jahren. Ursprünglich beschränkten sie sich auf den Kampf gegen die katholische Kirche. Rutherford soll ein getaufter Jude sein. In Washington wurde man erst kürzlich auf ihn aufmerksam, als große Plakate überall seine Ankunft ankündigten. Auch die Zeitungen druckten große und teure Inserate von ihm; schließlich fuhren sogar Lautsprecherwagen durch die Straßen, die dann an verschiedenen Stellen der Stadt aufgestellt wurden, um eine öffentliche Rede Rutherfords zu verbreiten.

Die Versammlung für diese Rede, die im größten Saal der Stadt gehalten wurde, war vornehmlich von Negern und Neugierigen besucht. Es kam zu Zusammenstößen zwischen Anhängern der 'Zeugen Jehovas' und der Polizei. In seiner Rede kündigte Rutherford mit zahlreichen Zitaten aus dem Alten Testament an, der von den hebräischen Propheten verkündete Endkampf zwischen dem Jehova Israels und Beelzebub käme nunmehr zum Austrag. Unter den feindlichen Feldherren Gog und Magog ständen Roosevelt, Hitler, Mussolini und der Papst.

Rutherford zeigte den Briefwechsel mit einer Zeitung vor, der er vergebens 1371 Dollar angeboten hatte, wenn sie eines seiner Inserate drucken würde. Er hatte sich außerdem erboten, ihr 10 000 Exemplare abzukaufen. Die Polizeistrafen, die seine Anhänger auf der Straße erhalten hatten, bezahlte er anstandslos aus der eigenen Tasche und sorgte obendrein dafür, dass in allen Häusern der Stadt seine Broschüre gratis verteilt wurden. Es fehlt ihm also keineswegs an barem Geld."

Man vergleiche dazu auch den zeitgenössischen Bericht von Herbert H. Stroup, in:

1945er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte Auch:

1942er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte Dort den Abschnitt: "Zäsur".

Die Ära Rutherford

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1935er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte