Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Russell und Booth

Über einen rückblickend als "Missgriff" zu wertende Entscheidung Russell's berichtet der englische "Zions Watchtower" in seiner Ausgabe vom 15. 2. 1907.

Offenbar hatte Russell Besuch von einem Afrika-Missionar namens Joseph Booth erhalten. Der war zwar davor schon für einige andere religiöse Organisationen tätig. Nun aber glaubte er, zumindest zeitweilig, auch mit Russell ins Geschäft kommen zu können. Das Interesse war offenbar beiderseitig. Russell witterte die Chance, über Booth einen Fuß auf den afrikanischen Kontinent setzen zu können. Und so werden denn die Leser in der genannten Ausgabe des englischen ZWT darüber informiert, dass nunmehr Booth im Auftrag und mit finanzieller Unterstützung der Wachtturmgesellschaft, weiter in Afrika missionarisch tätig sein werde.

In einem rückblickenden WTG-Geschichtsbericht kommt allerdings die Ernüchterung zum Vorschein, wenn dort Booth als eine Art "religiöser Anhalter" bezeichnet wurde, der just zu jener Zeit auch bei Russell Station machte. Dazu äußert jener WTG-Bericht:

"Gegen Ende 1906 las Booth, der sich gerade in Schottland aufhielt, einige Bücher von Bruder Russell. Bald war er unterwegs nach den Vereinigten Staaten. Booth traf mit Bruder Russell zusammen, und es ergab sich eine sehr interessante und entscheidende Unterhaltung. Bruder Russell wußte sehr wenig über Booths Vergangenheit und über sein Hauptziel, Afrika den Afrikanern wiederzugeben. Er konnte auch nicht wissen, daß Booth von den Behörden und den Weißen in Njassaland als unerwünscht betrachtet wurde und daß er bereits einige Religionsgemeinschaften gebraucht hatte, um seine eigenen Pläne zu verfolgen. Außerdem war Bruder Russell daran gelegen, jemand zu finden, der ein neues weites Feld erschließen würde."

An anderer Stelle bescheinigt ihm die WTG:

"In Wirklichkeit hatten weder Booth noch Kamwana Babylon die Große, die falsche Religion, wirklich verlassen, sie wurden nie Bibelforscher oder christliche Zeugen Jehovas. Ihre Beziehungen zur Watch Tower Society waren von kurzer Dauer und nur oberflächlich."

Immerhin trat eine Folgewirkung dergestalt ein, dass eine von der WTG unabhängige "Wachtower-Bewegung" (auch Kitawala genannt) in Afrika entstand, die dort noch jahrzehntelang dominierte, bevor die WTG das "Feld" wieder für sich rekrutieren konnte. Und der Beginn alles dessen war um die Jahreswende 1906/07.

Exkurs Booth.

Im Zeitspiegel

„Möchte es ihnen gelingen, auch das, was jene „Erntearbeiter" in Afrika niedergerissen haben, von neuem zu sammeln, zu stärken und in kirchlich geordnete Bahnen zu lenken."

Mit diesen Worten endet in der „Allgemeinen Evangelisch-lutherischen Kirchenzeitung" vom 25. 8. 1913 ein mehrteiliger Artikel unter der Überschrift „Die kirchlichen Separationen unter den Missionschristen Südafrikas", verfasst von einem Pastor namens Hentsch.
Herr Hentsch meint, die Russelliten würden in jener Gegend als sogenannte „Kirche des lebendigen Gottes" bekannt sein. Die wiederum sei identisch mit dem, was eben in Deutschland als „Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher" dahersegle.
Einleitend sucht er erst mal seinem Publikum darzustellen, wie besagte Bibelforscher sich aus kirchlicher Sicht in Deutschland darstellen würden.

Die Russelllehre beschreibt er auch mit den Sätzen, nachdem er noch hervorgehoben hat, außer zustimmende Leserbriefe, und Russellartikel gäbe es im „Wachtturm" keine anderen Meinungsäußerungen. Dann ist seine nächste Feststellung:

„Den letzten 7000-Jahrtag läßt Russell mit der Erschaffung Adams beginnen und mir der „Wiederbringung aller Dinge" nach Apg. 3,21 enden.
Die letzten 1000 Jahre davon stellen das Zeitalter der Herrschaft Christi dar.
Sie haben nach Russells biblischer Zeitrechnung 1874/75 begonnen.
Seit der Zeit besteht analog der 40 Jahre von 30 bis 70 nach Christo, die die jüdische Erntezeit darstellen, für die Christenheit eine gleichlange Erntezeit, die 1914/15 zu Ende geht.. Bis dahin müsse der „Weizen", d. h. die wahren Christen, von der Spreu, d. h. die Namenchristen geschieden sein, um mit Christo zur himmlischen Herrlichkeit erhoben zu werden."

Dann leitet er als nächstes nach Afrika über:

„Das zweifelhafte Verdienst, diese Idee den afrikanischen Missionschristen gebracht zu haben, hat ein früherer schottischer Missionar Namens Booth.
Schottische Freunde hätten ihm im Jahre 1906 während seines Heimaturlaubs das Russellsche Werk geschenkt. Er las es und glaubte schließlich, nun das allein Richtige gefunden zu haben. Die Russellschen Anschauungen begeisterten ihn so, daß er sich entschloß, das ihm übertragene kirchliche Missionsamt niederzulegen, nach Allegheny zu Russell zu reisen und ihm seine Dienste anzubieten."

Weiter geht es mit dem Bericht:

„Schon im Januar 1907 trat er, von Russell ausgestattet seine Ausreise nach Afrika an."

Dort aber, hatte er anfänglich keinen sonderlichen Erfolg. Das wiederum sollte sich alsbald dergestalt ändern:

„Russell sandte ihm nun einen farbigen Helfer nach, und schon im April 1908 konnte er von 35 gewonnenen Auserwählten ... berichten.
1909 meldete er, daß der größte Erfolg in und um Pretoria zu verzeichnen sei, ja daß einer seiner neugewonnenen Mitarbeiter, Mr. Elliott Kamwane, bereits bis zum Nyassaland vorgedrungen sei. Dort habe er bis Ende 1908 schon 9126 Erwachsene, einmal 300 an einem Tage, nach Russellschen Ritus taufen können.
An einem Orte sollten sich 700 Auserwählte, an 30 anderen zusammen 3000 befinden, die die Russellsche Bibellehre ... vorgezogen haben.
Weitere 6000 sollten dafür interessiert sein."
Selbst ein König namens Lenaika „600 Meilen nördlich von den Pretoria-Fällen, soll an Russells Vertreter sogar eine Abordnung mit der Bitte um Zusendung der sechs Bände Schriftstudien „Millenium-Tages-Anbruch" gesandt haben, wünschend, daß die neue Botschaft nicht nur von seinen Kapitänen, sondern auch von seinem ganzen Volke angenommen werden möchte."

Weiter Hentsch kommentierend:

Das Resultat der Tatsache, daß sich überall dort, wo Russells Sendboten hinkamen, die glaubensjungen Christen in Scharen für die neue Erkenntnis begeistern ließen, war ein für die Kirchenmissionare recht empfindlicher Verlust ...
Durch die Verbreitung der Russellschen Ansicht, daß die kirchlichen Pastoren die Pharisäer seien, die ihren Gemeinden den Schlüssel der wahren Erkenntnis weggenommen haben bzw. vorenthalten, verloren die Missionare endlich auch noch allen Respekt und alle Achtung auf Seiten der Gemeindeglieder."

Schien der Erfolg der Russelbewegung einstweilen ungebrochen, sollte alsbald doch noch eine empfindliche Delle eintreten dergestalt, dass der bereits genannte Mr. Booth beschloss, die Endstation seiner Weltanschauungsreise, könnte der Russellismus noch nicht gewesen sein.
Booth trat nämlich nach diesem Bericht, als nächstes zu den Siebenten-Tags-Adventisten über.
Der Bericht geht dann mit den Angaben weiter:

„Mit Booth hatte Russell seine damals stärkste Stütze in Afrika verloren. Er sandte deshalb einen Wm. Johnston zur Untersuchung und Neuordnung der Dinge dorthin.
Auch Johnston fand viel Willigkeit zum Hören, aber noch viel mehr zu ordnen. Die Separatisten, die sich seinerzeit unter Booth und Kamwana von der Mission losgesagt hatten, wiesen auf die von ihnen mit hinübergenommenen, inzwischen teils verfallenen Kirchen und Schulen hin und forderten ordentliche Bestallung und Beihilfe für ihre Prediger, wie sie das von den Kirchenmissionaren gewohnt waren. Ebensowenig als Russell bis dahin für diese Zwecke etwas übrig gehabt hatte, ebensowenig konnte ihnen Johnston irgendwelche Aussicht auf Erfüllung ihrer Wünsche machen.
Ihnen schließlich noch, wie die Kirchenmissionare, in wirtschaftliche Beziehung mit Rat und Tat beizustehen, war ihm erst recht nicht gegeben.
Dazu hatte er weder Geld noch irgendwelchen Grad von Verständnis für die Frage, o
b die in der modernen Kultur noch jungen Afrikaner wieder nackend umhergehen oder aber mit ihrer Christianisierung auch nach außen hin fortschreiten sollen."

Zu dem mit erwähnten Joseph Booth dessen eher „Endphase" bereits beschrieben wurde, gälte es noch etwas über seine „Frühphase" zu erwähnen.

en.wikipedia.org/wiki/Joseph_Booth_(missionary)

Eine programmatische Schrift letzteren („Afrika den Afrikanern"; nur Englischsprachig erschienen.

http://books.google.de/books?id=_OLLyPCZ38MC&printsec=frontcover&dq=Joseph+Booth&hl=de&sa=X&ei=bJ0KUodfytCyBuqfgQg&ved=0CDcQ6AEwAA#v=onepage&q=Joseph%20Booth&f=false

Besagtes Buch hört sich vom Titel her erst mal Antikapitalistisch an. Ob es indes dieses auch tatsächlich ist, erweist sich wohl als eine anders gelagerte Frage.

Regional spielten wesentliche Vorgänge sich dabei in jener Region ab, welche heute als Malawi bekannt ist (davor als Nyassaland).
Schon vor Booth gab es dort christliche Missionare. Namentlich die Schottische Staatskirche, hatte traditionell dort einen „Fuß in der Tür"
Indem nun Booth mit missionarischem Impetus, auch in jener Region auftauchte, muss das im Sinne der Konkurrenz, aber kaum im Sinne einer nicht vorhandenen Kooperation unter den christlichen Missionsgesellschaften angesehen werden.

Ein herausragendes Stichwort in diesem Kontext ist die „Zambesi-Industrial-Mission".
Booth entdeckte, einige weltliche Pflanzer hätten mit dem Kaffeeanbau, dort das „große Geld" gemacht. Besagtes „große Geld" wollte auch er letztendlich machen. Aber im Gegensatz zu den weltlichen Pflanzern dann mit einem frömmelnden Anstrich, und auch in Konkurrenz zur dort bereits etablierten Mission der Schotttischen Nationalkirche.
In den Jahren 1894 und 1897, kam dann auch die Deutschsprachige „Allgemeine Missions-Zeitschrift" verschiedentlich auf die Ambitionen des Joseph Booth zu sprechen. Unter Verzicht auf die konkreten Seitenangaben, in den beiden genannten Jahrgängen des vorgenannten Blattes, sei aus dessen zeitgenössische Berichterstattung einiges nachfolgend zitiert.
Vorgenanntes Blatt notierte:

„Ein Herr Joseph Booth in Natal (Durban) ... hat mit 3 anderen gebildeten Schwarzen, unter denen sich auch der Nataler Dr. med. Nembula befindet und mit 4 amerikanischen schwarzen Herren ein Komitee gebildet, welches einen Aufruf erlassen hat zur Bildung einer „Afrikanisch-christlichen Vereinigung" (African Christian Union). Diese hat den Zweck, die afrikanische Rasse zu einen zu Gebet und Arbeit, daß Afrikas Volk ein christliches Volk werde. Angestrebt wird Gleichberechtigung mit den Europäern, Afrika soll seiner Rasse erhalten werden, „Afrika für die Afrikaner" ist die Losung."

Aber so geht der Bericht weiter:

„Aber die Mittel, welche Booth und Genossen zur Erreichung des gesteckten Ziels anwenden wollen, sind so abenteuerlich, ja so ungeheuerlich, daß man nur Mitleiden mit allen haben kann, die sich durch solche Pläne berücken lassen."

Als Details werden genannt:

„Zunächst soll Amerika veranlaßt werden, jedem Neger, der nach Afrika zurückkehren will, 2000 Mark zu zahlen als Entgeld für die früher geleisteten Sklavendienste. Die Kolonialregierungen sollen angegangen werden um Schenkungen von Land, oder es soll solches käuflich erworben werden. Industrie-Centren sind anzulegen, an denen Europäer als Angestellte (Servants) die Eingeborenen in medizinischer Wissenschaft, in Plantagenbau, Astronomie, Nautik usw. unterrichten, und die Kosten dafür sollen die Afrikaner selbst aufbringen."

Zur Finanzierung des gesamten Unternehmens heisst es dann:

„Zunächst soll mit dem Aufwande von 1.400.000 Mk. eine Niederlassung auf dem Schirehochland gegründet und dazu sollen alle auf dem Schire und dem unteren Sambesi laufenden Dampfer und Frachtboote aufgekauft werden."

Dazu kann der Berichterstatter in der „Allgemeinen Missions Zeitschrift" sich doch nicht ganz den Kommentar versagen;

„Es ist nicht nötig, den Kindlichen, um nicht zu sagen kindischen Optimismus zu beleuchten, der in diesen Vorschlägen sich ausspricht."

Nun trat der Umstand ein. Die theoretischen Thesen hört man wohl, was indes ist zu ihrer praktischen Umsetzung zu sagen?
Dazu gibt es dann die Angabe:

„Booth begann damit, der Blantyre-Mission ihre begabtesten Schüler wegzufangen, um sie gegen hohen Lohn in seinen Dienst zu nehmen. Die Missionsleitung in Edinburgh beschwerte sich indessen so nachdrücklich bei der Oberleitung der „Zambesi-Industrial-Mission", daß diese Booth fallen ließ."

Damit drohten dessen Pläne zu Makulatur zu werden.
Es könne aber nicht sein, was nicht sein soll befand Booth dieserhalb. Und über seinen nächsten Schritt vernimmt man:

„Nicht zufrieden; begab er sich nach Schottland, um dort für ein neues, unter seiner Leitung stehendes Konkurrenzunternehmen Geld zu sammeln. Er ging dabei so rücksichtslos vor, daß sich der Missionsvorstand der schottischen Staatskirche bei dem Vorstande der schottischen Baptisten über ihn beschwerte, und auch die schottischen Baptisten ließen ihn offiziell fallen."

Weiter im Bericht:

„Das hat aber Booth nicht verhindert, eine „schottisch-baptistische Industrie-Mission" (Baptist Industrial-Mission of Scotland) ins Leben zu rufen, die 1896 gleichfalls in der Nähe von Blantyre ihre erste Kaffeeplantage Gowa gegründet hat."

Ergo ein Konkurrenzunternehmen, mittlerweile auch in Konkurrenz zu einem solchen, das er früher selbst mit begründet hatte.
Vielleicht hat Herr Booth darauf spekuliert: „viel Feind, viel Ehr". Bei dieser Spekulation indes, blieben dann wohl letztendlich nur die Feinde übrig!
Bis jetzt wurde aus der Berichterstattung des Jahres 1897 zitiert. Nun noch ein Zitat aus der davor liegenden Berichterstattung des Jahres 1894:

„Er brachte Samen mit für ½ Million Kaffeepflanzen, erwarb 100.000 Acker Land, suchte sich in England 26 „auserwählte Mitarbeiter" und sammelte ein Kapital von 400.000 M.- nach seinen eignen Angaben. Im nächsten Jahre schon soll jede Acker einen Reinertrag von 600 M. liefern - also zusammen die ungeheure Summe von 60 Millionen M. In immer 3 Jahren will der kühne Rechner die Pflanzung verdoppeln und so viel Geld herausschlagen, daß in 33 Jahren die ganze Welt evangelisiert werden kann. Alles nach seinen eignen Worten.
Jetzt ist er wieder auf dem Heimwege, um noch 200.000 M. Anlagekapital zu holen."

Noch ein Zitat aus dem 1894er Bericht:

„Und bei rechter Plazierung eines jeden nach seinem besten Geschick (tact) ist er gewiß, daß die ganze Maschine von selbst korrekt arbeiten wird. Keiner bekommt Gehalt, der ganze Gewinn wird angewendet um immer mehr Land zu kaufen und das Geschäft auszudehnen."
Das ist ganz genug. Der Berichterstatter ist ganz entzückt von diesem Projekt, welches er wiederholt versichert, mit den eigenen Worte des Herrn Booth beschrieben zu haben. Und er nennt es ein „Mostglapiouswerk!"
Daß wir uns erlauben, andrer Meinung zu sein, brauchen wir wohl kaum hinzuzufügen."

Für weitere Details zu diesem Thema siehe auch:

CVTower

19362Kitawala

1907er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

ZurIndexseite