Kitawala
Die Watch-Tower- Bewegung in Zentralafrika
Christliche Verantwortung (Gera) Nr. 27 Oktober 1969


In ihrem Bericht über Nordrhodesien (Zambia) bemerkte die Wachtturmgesellschaft in dem Jahrbuch für 1964 (S. 217), dass die neu Hinzugekommenen längst nicht alle ersetzen, die die Organisation verlassen haben.

Auch in den nachfolgenden Jahrbüchern finden wir in den Berichten über Malawi und Zambia des öfteren Bemerkungen über Gewalttätigkeiten und Verbotsandrohungen gegen die Zeugen Jehovas in diesen jungen afrikanischen Nationalstaaten.

Im Oktober 1967 war es dann soweit, Jehovas Zeugen wurden in Malawi wegen der asozialen Grundeinstellung der WTG als staatsgefährdend verboten, wobei allerdings auch zu bemerken ist, dass einige leitende Brüder in Malawi (Zweig-, Sonder- und Kreisdiener) ihre gegenwärtige soziale Verantwortung erkannten und als Konsequenz daraus eine freie christliche Gemeinschaft für ganz Zentralafrika gründeten, die sich der dortigen Zeugen Jehovas annimmt. …

Kitawala.

In mittelbarem Zusammenhang mit diesen Geschehnissen in Zentralafrika sind auch einige Jahrbuchberichte über den Kongo (Leopoldville) interessant, die uns auf eine bemerkenswerte religiöse Bewegung aufmerksam machen, die schon seit den ersten Anfängen der WTG in Afrika von der Brooklyner Leitung unabhängig ist und auch besser verständlich macht, weshalb die Zahl der neu Hinzugekommenen in bestimmten Situationen längst nicht alle jene ersetzen, die die Organisation verlassen haben.

Im Jahrbuch 1964 (S. 185) wird z. B. berichtet:

"Im Jahre 1932 versuchte die Gesellschaft, einige Zeugen in den Kongo zu senden, der damals eine belgische Kolonie war, jedoch erwiesen sich diese Bemühungen als nicht erfolgreich. Die belgische Regierung hielt die Zeugen für die einheimische, politisch-religiöse Gruppe, de sich ,Kitawala' nannte. Diese dort ansässige Religion ist eine Verschmelzung . . . auch der Lehren von Jehovas Zeugen."

Und im Jahrbuch 1966 (S. 102) wird weiter dazu berichtet.

"Vom Zweig wurde eine eingehende Studie zur 'Kitawala'-Frage ausgearbeitet (dabei geht es um Gruppen, die diesen Namen angenommen haben und ihre Versammlungsstätten Kitawala, Watch Tower, International Bible Students Association und Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania nennen)."

Aus diesen Bemerkungen der WTG ist also ersichtlich, dass in Zentralafrika eine nicht unbedeutende Gruppe existiert, die sich in den dortigen Bantusprachen "Kitawala" nennt, was sinngemäß übersetzt soviel wie "Wachtturm-Bewegung" bedeutet, die zwar einige Elemente der Wachtturmlehren enthält genau genommen jedoch eine afrikanisierte Form der Wachtturmreligion darstellt und mit den Zeugen Jehovas nicht mehr identisch ist.

Geschichtliche Anfänge.

Interessant ist dabei besonders, dass die "Kitawala" kein Produkt der Neuzeit sind, sondern ihren Ursprung schon in den ersten Missionsbemühungen der WTG in Afrika haben!

Als Grundlage für die nachfolgende Darstellung dient uns eine 1967 im Elwert Verlag/Marburg erschienene Dissertation (Doktorarbeit) von Hans Jürgen Greschat über die "Kitawala", der sein Quellenmaterial dafür unter anderem auch von den WTG-Büros in Brooklyn/New York, Leopoldville/Kongo und aus London erhielt.

Joseph Booth.

Die geschichtlichen Anfänge der Wachtturmbewegung in Afrika sind in der Hauptsache mit zwei Namen verbunden; Joseph Booth und Elliot Kenan Kamwana.

Joseph Booth, 1851 in Derby/England geboren, später in Australien ansässig, war einer jener Menschen, die es mit Fleiss und Ausdauer zu einigem Reichtum gebracht hatten, der sich jedoch besonders seit 1891 von Gott erleuchtet und zum Missionar berufen fühlte. Sein wohl erstes missionarisches Wirken für die Baptisten in Nyassaland, dem heutigen Malawi, währte bis 1896, woraufhin er mit ihnen brach und Missionar für die Siebten Tags Adventisten, ebenfalls in Nyassaland, wurde.

Besonders verdienstvoll war sein offenes Eintreten für die Gleichberechtigung der von den Weißen unterdrückten einheimischen Bevölkerung, wodurch er sich allerdings den Hass der Kolonialbeamten zuzog und Nyassaland für immer verlassen musste. Er zog dann nach Südafrika.

Im Jahre 1906, Booth war auf der Suche nach "neuer Wahrheit" und neuen Geldgebern für seine missionarischen Ziele, besuchte er auch C. T. Russell, den er mit der Versicherung überraschte, es gebe in Süd- und Zentralafrika "viele Schwarze mit gerade dem rechten Herzen für die fröhliche Milleniums-Botschaft von der Aufrichtung der Herrschaft des Gerechten", so das Russell seine Bitte um Unterstützung erfüllte und ihn als offiziellen Beauftragten der WTG nach Südafrika zurücksandte!

Jedoch um die Jahreswende 1909/10 trennte sich Booth wieder von den Russelliten, indem er in Amerika eine Organisation der Siebten Tags Baptisten, die "American Sabbath Tract Society" in Plainfield, New Jersey, um weitere Unterstützung für seine Missionspläne bat.

Elliott Kenan Kamwana.

Einer seiner Schüler während seiner adventistischen Zeit war E. K. Kamwana, der wohl auch von J. Booth getauft wurde.

Nachdem Joseph Booth dann zwangsweise nach Südafrika kam, erfuhr er so um das Jahr 1907 herum, dass sein ehemaliger Schüler jetzt in Johannisburg/Südafrika in einem Hospital arbeitete, woraufhin beide, wieder brieflich und persönlichen Kontakt aufnahmen, in dessen Ergebnis Kamwana auch mit den Lehren Russells in Berührung kam.

Kamwanas missionarisches Wirken.

Im Juli oder August 1908 teilte E. Kamwana in einem Brief an einen Freund mit, er sei von Booth als Missionar in seine Heimat Nyassaland zurückgesandt worden.

Im Dezember 1908 begann er dort mit einem öffentlichen Predigtfeldzug, den er dann im März 1909 abbrechen musste und indem er rund zehntausend Personen taufte; nach eigenen Angaben genau 9126, die so in die neue "Society Church" aufgenommen wurden, wodurch er alle missionarischen Bemühungen der anderen Kirchen weit in den Schatten stellte.

Sein großer Erfolg beruhte darauf, dass er wie Russell lehrte, im Jahre 1914 werde das Millenium Christi aufgerichtet, was er allerdings so ausdeutete, dass in jenem Jahr alle weißen Verwaltungsbeamten Afrika verlassen müssten und dann ein Leben ohne bedrückende Lasten, ohne Steuern, ohne Schulgeld, in einem freien afrikanischen Land unter afrikanischer Führung beginnen würde.

Seine Anhängerschaft vermehrte sich auf Grund dieser materiellen Zielstellung überdurchschnittlich schnell, wobei die anderen Kirchen auf Grund ihrer überwiegend ,jenseitigen' Verkündigung, allerdings das Nachsehen hatten. Bemerkenswert ist es auch, das Kamwana sich als rechtmäßiger Repräsentant der Brooklyner Wachtturmgesellschaft betrachtete und von dieser auch als solcher zu jener Zeit anerkannt wurde.

Ein Abgesandter Russells, W. Johnston, der im Jahre 1910 die neugegründeten Gemeinden in Zentralafrika besuchte, musste sich allerdings dann in seinem Bericht bitter darüber beklagen, dass ein "Geist der Habgier und Selbstsucht" jene Gemeinden erfüllt habe.

Ihm erschien es so, dass viele glaubten, er sei mit geldgefüllten Taschen gekommen um alle Pastoren und Lehrer zuu beschenken und ihnen im Namen der Society gewinnbringende Positionen anzubieten.

Drei Hauptgedanken waren für Kamwanas Verkündigung charakteristisch:

Die verheißene Befreiung von weißer Herrschaft, die jedem gewährte seligmachende Taufe,

der materielle Reichtum, den sie im tausendjährigen Reich und schon vorher aus Amerika erwarteten.

Besonders jedoch die verheißene Befreiung von europäischer Bevormundung, bewirkte, dass Kamwana am 18. März 1909 vom britischen Gouverneur Sir Alfred Sharpe verhaftet und des Landes verwiesen wurde, worauf er wieder zu Booth nach Kapstadt zurückkehrte und später nach neuen Missionsversuchen im Jahre 1915 für 28 Jahre nach Mauritius verbannt wurde.

Von Seiten der WTG wurde offizieller Protest gegen die Ausweisung bei der Protektorats-Verwaltung eingelegt und auch der amerikanische Konsul wurde um Beistand gebeten, wenn auch ohne den gewünschten Erfolg.

William W. Johnston.

Im September 1910 wurde William Johnston aus Glasgow/England im Auftrage der WTG nach Südafrika gesandt, mit dem Auftrag, die von Kamwana verlassenen Gemeinden aufzusuchen und zu reorganisieren.

Die afrikanische Wachtturmbewegung macht sich selbständig.

Als Johnston bei den Eingeborenen, den Tongas - genannt so nach dem gewaltigen Tongasee im heutigen Malawi, dem drittgrößten See Afrikas - eintraf, wurde er mit Geschenken fast überschüttet, man gab ihm eine besondere Hütte und stritt um das Vorrecht, ihn in der Machila, einer Hängematte tragen zu dürfen.

Plötzlich jedoch schlugen die Ehrungen in ihr Gegenteil um. Johnston blieb ohne Nahrungsmittel und Obdach und musste schon nach zehn Tagen Anwesenheit seine Rückreise antreten, wobei er von den am Ufer scharenweise stehenden Kamwanaiten verspottet und verhöhnt wurde.

Die Ursache für diesen Misserfolg sah er in der Enttäuschung, die er ihnen durch seine Erklärung bereitete, die Society könne und wolle nicht für freien Unterricht, für freie Lehrbücher und Lehrer sorgen, wodurch die WTG praktisch gesehen den Einfluss auf die einstmals in ihrem Namen gegründeten Gemeinden für alle Zeiten verlor! Als Kamwana 1937 aus seinem Exil wieder nach Nyassaland zurückkehrte, blieb er den weißen Zeugen Jehovas gegenüber ein unversöhnlicher Widersacher, der wieder mit der während seiner Abwesenheit sich weiter entwickelten Kitawala-Bewegung zusammenarbeitete, deren besonderes Merkmal ein politisch aggressiver Charakter ist!

Kitawala - Heute.

Bemerkenswert ist es auch, dass trotz der zeitweiligen staatlichen Verbote oder wenn man will auch gerade deswegen, sich die Kitawala-Bewegung immer mehr ausdehnte, so dass sie heute speziell im Kongo, ferner in Malawi und Zambia anzutreffen ist, wobei noch zu bemerken ist, dass der ursprüngliche WTG-Einfluss immer mehr durch speziell afrikanische Elemente umgeformt wurde, so dass Kitawala heute eine spezifisch afrikanische, religiöspolitische Los-von-den-Weißen-Bewegung ist, die sich des Watch Tower Namens bedient und ebenfalls wie die Zeugen Jehovas in einer ständigen Naherwartung von Harmagedon lebt, das als Entscheidungsschlacht zwischen Weiß und Schwarz verstanden wird.

Zur Veranschaulichung dieses Gedankens zitierten einige Kitawala-Prediger besonders oft den Bibelvers:

"Und siehe es sind Letzte, die werden Erste sein, und es sind Erste, die werden Letzte sein." (Luk. 13:30)

Wer mehr darüber erfahren wollte, bekam dann vom Prediger mitgeteilt, dass die Weißen die Letzten und die Schwarzen die Ersten sein würden.

Was die gegenwärtige Situation der Kitawala betrifft, so ist festzustellen, dass durch das Ausbleiben ihrer Naherwartungen krisenhafte Merkmale sie kennzeichnen, während andererseits einige Tendenzen zu verzeichnen sind, die auf einen Zusammenschluss mit einer anderen kongolesischen Bewegung, der von Simon Kimbangu hinzielen, die wohl einige ideelle Gemeinsamkeiten mit Kitawala hat, und beispielsweise im Gebiet von Stanleyville auf 56 000 geschätzt wird. Inwieweit diese Bewegung mit den seit 1967 tätigen ehemaligen WTG-Angehörigen in Malawi zusammenarbeiten wird, ist natürlich schwer zu beurteilen, vielleicht wird uns die Zukunft mehr Informationen darüber vermitteln.

(Zeitschrift) Christliche Verantwortung
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