Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Franz Zürcher's "Kreuzzug gegen das Christentum"

Man wundert sich eigentlich. Bis heute haben es die Zeugen Jehovas, oder ihnen nahestehende Privatkreise nicht geschafft, eine Reprint-Ausgabe des Buches aus dem Jahre 1938 von Franz Zürcher "Kreuzzug gegen das Christentum" anzubieten. Auch nicht im Internet. Einige wenige magere Seiten daraus, werden zwar auf einer offiziellen Webseite der Zeugen Jehovas vorgestellt. Indes einen Gesamtüberblick dessen, was Zürcher da zeitgenössisch ausführte, kann man daraus nicht gewinnen.

Dies ist auch unter dem Gesichtspunkt verwunderlich. Registriert man die Auktionsplattform ebay, so kann man feststellen, wenn dieses Buch dort mal (äußerst selten) angeboten wurde, dass dabei geradezu schwindelerregende Höchstpreise für dessen Erwerb geboten wurden. Also kann man eine gewisse Marktsituation dafür durchaus erkennen.

Das Buch des Marley Cole, letztendlich auch eine Art Propagandaschrift, haben schon mal den Zeugen Jehovas zuzuordnende Privatkreise in einer Neuedition angeboten. Und dies obwohl es zum fraglichen Zeitpunkt auch als Internetangebot verfügbar war. Die kommerzielle Seite des Cole-Buchprojektes war wohl kaum als übermäßig "rosig" einzuschätzen. Indes an ihrem Kronzeugen die NS-Zeit betreffend (Zürcher) hat sich bis heute keiner der dafür in Frage kommenden, wirklich herangewagt. Ein gewisser Hans Krause bietet zwar im Internet auch ein paar kommentierte Auszüge daraus an. Letztendlich hat man auch ihm zu bescheinigen. Nichts halbes und nichts ganzes. Einen Komplettüberblick über das Zürcher-Buch gewinnt man auch dort nicht.

Zu berücksichtigen hat man auch, dass selbst in der Schweiz, die Verbreitung dieses Buches eingeschränkt war. Schon ab Anfang der 1940-er Jahre, durfte es auch dort, aufgrund der Angst der Schweizer Behörden vor Konflikten mit dem Naziregime, nicht mehr vertrieben werden. Erst als der "deutsche Hitler-Stern" endgültig und unwiderruflich gesunken war, wurde das Vertriebsverbot wieder aufgehoben. Indes unmittelbar nach 1945 interessierten sich nicht allzu viele aktiv, für diesen Geschichtsaspekt. So das auch dadurch die Verbreitung weiter eingeschränkt blieb.

Eine Komplett-Edition kann auch hier nicht geboten werden. Da wären dann auch noch die Urheberrechtsfragen abzuklären. Was indes einmal getan werden soll ist, die Grundkonzeption des Zürcher-Buches etwas näher vorzustellen.

Der Titel verdeutlicht es schon. Man sieht sich in der Rolle des verfolgten Christentums und man belegt dies auch durch Wiedergabe unter anderem diverser zerstreuter zeitgenössischer Presseberichte. Und vor allem: Man wähnt diese in der Tat wenig erfreulichen zeitgenössischen Geschehnisse in einen festen geistesgesichtlichen Rahmen hineinstellen zu können. Symptomatisch wird dies auch am Schluss des Buches deutlich. Da berichtet der Autor, das Jehovas Zeugen wieder einmal eine Resolution angenommen hätten, anlässlich eines Kongresses in Columbus, Ohio, USA. Und das diese "Resolution" auch in der Rutherford-Broschüre "Sicherheit" veröffentlicht worden sei, und worauf Rutherford besonders stolz war, auch über einige amerikanische Rundfunksender am 16. 9. 1937 Verbreitung fand. Wörtlich findet sich darin auch der von Zürcher zitierte Satz:

"Die große Weltkrise ist gekommen; und Gottes Prophezeiungen, die jetzt in Erfüllung gehen, zeugen, daß die Schlacht von Harmagedon - die größte Drangsal aller Zeiten - nahe bevorsteht, und daß alle, die diese Drangsal überleben wollen und leben werden, in Gottes Königreichsorganisation unter Christi Herrschaft Zuflucht nehmen müssen und dort Schutz finden" (S. 214).

Das sind faktisch die Schlussworte des Zürcher-Buches. Sie verdeutlichen den einen Hauptpfeiler der Zeugen Jehovas. Die akute Endzeit-Naherwartung. Je schlimmer die tatsächlichen Verhältnisse um so näher das Ersehnte, gemäß dieser Logik.

Noch ein zweiter Hauptpfeiler der Zeugen Jehovas wird auch in diesem Buch durchaus deutlich beim Namen genannt. So schreibt Zürcher auch noch:

"Die eigentlichen Gegner in diesem gigantischen Kampf sind also Gott und Satan (Luzifer); der Kriegsschauplatz ist Himmel und Erde, und die Streitfrage betrifft die Oberherrschaft Gottes" (S. 14).

"Die Anweisung des Apostels in Römer 13 richtet sich aber nicht an die Menschen im allgemeinen, sondern wie Paulus eingangs der Epistel schreibt, an die 'Geliebten Gottes', also an gottergebene Christen" (S. 21).

"Es ist klar, daß die Worte des Apostels falsch ausgelegt worden sind, und es ist vernünftig anzunehmen, daß sie sich nicht auf die weltlichen Obrigkeiten beziehen, sondern ausschließlich auf die Autorität und Gewalt Gottes … Die Antwort der drei mutigen Hebräer, als sie sich verantworten mußten wegen ihrer scheinbaren Staatsfeindlichkeit, ist ein Beispiel für alle aufrichtigen Diener Gottes" (S. 22, 23).

"Wenn der Staat keine höhere Autorität über sich anerkennt, so sagt er damit: 'Es ist kein Gott', oder er macht sich selbst zum Gott und zwingt seine Bürger, sich auch in Glaubens- und Gewissenssachen dem Diktat des Staates zu unterwerfen. So werden zwangsläufig Christen, die lieber sterben als Gott verleugnen, zu Verbrechern und zu Staatsfeinden gestempelt" (S. 27).

Damit hatte Zürcher die zwei entscheidenden Hauptpfeiler der Zeugen Jehovas benannt; und deren zweiter war und ist, die nur bedingte Anerkennung weltlicher Obrigkeiten. Krass gesprochen. Das Staat im Staate sein wollen. Weltliche Regime, die das nicht akzeptieren können und wollen, offenbaren letztendlich nur eines. Ihre eigene innere Schwäche. Lassen sie sich dazu verleiten, wie auch im Falle des Hitlerregimes, dennoch ihre Ansprüche mit Gewalt durchsetzen zu wollen, ist die perfekte Konfliktsituation da. Und da gibt es nicht zu beschönigen, die war im Naziregime besonders ausgeprägt.

Auch Jehovas Zeugen war und ist das taktieren nicht fremd. So etwa wird in dem Zürcher-Buch das Jonak-Buch aus dem Jahre 1936 als eine "Hetzschrift" bezeichnet. War sie das? Eine Tendenzschrift war sie sicher. Auch als Gegnerschrift kann man sie abstrichslos bezeichnen. Indes die Vokabel "Hetzschrift" geht einen Schritt weiter. Zu weit. Auch die zeitgenössischen Zeugen Jehovas erwiesen sich als unfähig, den sachlichen Kern der zeitgenössischen Jonak-Schrift zu reflektieren. Wie das hypnotisierte Kaninchen auf die Schlange starrt, so meint auch Zürcher beim lesen des Jonak zu registrieren, dass da die alte Parole, Juden und Freimaurer würden Bibelforscher finanzieren bzw. hinter ihnen stehen, wiederholt würde?

Was ist dazu zu sagen? Vor allem dies: Jonak hat diesbezüglich lediglich eine Chronistenpflicht wahrgenommen. Er berichtet detailliert, was z. B. schon Thema des St. Galler Bibelforscherprozess aus dem Jahre 1925 gewesen. Grundsätzlich "neu" ist das, was Jonak da auftischt nicht. Lediglich noch einmal konzentriert zusammengefasst. Wenn Zürcher dieser Aspekt besonders ins Auge fiel (die einfachen Zeugen Jehovas dürften den Jonak ohnehin nicht gelesen haben). Wenn also Zürcher, diesen Aspekt besonders im Auge habend, als Antwort darauf von einer "Hetzschrift" redet, dann macht er es sich (bewusst) zu einfach.

Vorstehender Aspekt ist keineswegs die Hauptthese von Jonak. Jonak's Hauptthese ist sehr wohl auch das anprangern des Staat im Staate sein wollens der Zeugen Jehovas. Genau zu diesem Hauptvorwurf auch des Jonak äußert sich Zürcher in seinem Buch nicht.

Nochmal das Wort aufnehmend Jehovas Zeugen als Taktierer. Auch dafür findet man ein Beispiel bei Zürcher. Bekanntlich versuchten auch die Nazis, in Abwehr der Zeugen Jehovas, selbige in die kommunistische Ecke zu stellen. Dazu sei aus diesem Buch mal etwas ausführlicher zitiert. Auf den Seite 82-84 liest man:

"Wie bereits erwähnt, wurde am 24. Juni 1933 ein neues Verbot verhängt; am 28. Juni wurden die Gebäude wiederum von dreißig SA.-Leuten besetzt und die Hakenkreuzfahne auf dem Gebäude der Watch-Tower-Gesellschaft gehißt. Der große Druckereibetrieb wurde stillgelegt … Die Angestellten der Gesellschaft wurden rücksichtslos auf die Straße gesetzt. Die Telephonverbindung wurde abgeschnitten, die Räumlichkeiten geschlossen, die Druckmaschinen versiegelt und die Bankguthaben gesperrt. Auf Grund neuer Intervention der amerikanischen Regierung, insbesondere des amerikanischen Konsuls Geist, wurde die Beschlagnahme teilweise aufgehoben, und die Maschinen durften ins Ausland verbracht werden. Die Liquidierung der Gesellschaft in Deutschland brachte ihr natürlich große Verluste; und obwohl man das materielle Vermögen freigeben mußte, bereitete man den Vertretern der Gesellschaft Schwierigkeiten aller Art. Man verhaftete nicht nur die deutschen Vertreter der Gesellschaft, sondern auch den amerikanischen Vertreter (Zürcher), als er sich am 18. Juli in Berlin befand und bereits am darauffolgenden Tag eine Konferenz mit dem Staatssekretär Dr. Grauert haben sollte. Schließlich sah sich die Gesellschaft gezwungen, eine Schadensersatzklage bei dem Verwaltungsgericht in Magdeburg einzureichen. In Verbindung damit wurde in einem eingereichten

Affidavit

unter anderem erklärt:

'1.) Nachstehendes Affidavit gebe ich als Leiter des Magdeburger Rechtsbüros der 'Watch Tower Bible and Tract Society', Brooklyn, N. Y., German Branch. Gleichzeitig erkläre ich hinsichtlich der in diesem Affidavit niedergelegten Sache folgendes: Anfangs Juni 1933 bekam ich einen Sonderauftrag von Herrn Paul Balzereit, Magdeburg, zum Zwecke des Gebrauchs und der Vorlage bei den Behörden, die Ortsgruppen der 'Internationalen Bibelforschervereinigung' in ganz Deutschland zur Abgabe einer 'eidesstaatlichen Versicherung' aufzufordern, die eingehenden Erklärungen in Empfang zu nehmen und sorgfältig zu sammeln. …

2.) Diese gesammelten und zu einem Band zusammengebundenen Originale dieser 'eidesstattlichen Versicherungen' habe ich am Sonnabend, den 17. November 1933 dem Urkundsbeamten des Amerikanischen Generalkonsulats in Berlin vorgelegt und dadurch deren Existenz nachgewiesen. …

3.) Ich erkläre ferner, daß meine sorgfältige Zählung der Unterschriften ergeben hat, daß 1900 (neunzehnhundert) Personen, die Leiter der Bibelforschergruppen sind, die 'eidesstaatliche Versicherung' abgegeben haben und diese vorliegen.

Berlin, den 19. November 1933

gez.: Hans Dollinger.'

Es folgen Beglaubigungen und Unterschriften des Amerikanischen General-Konsulates.

Muster einer solchen 'Eidesstaatlichen Versicherung';

'Land: Preußen

Regierungsbezirk: Schleswig

Polizeibehörde: Warken

Eidesstattliche Versicherung

Unter Berufung auf die Tatsache, daß mir die strafrechtlichen Folgen einer falschen oder unrichtigen eidesstattlichen Versicherung bekannt sind, erkläre ich das was folgt an Eidesstatt:

I. Ich war bis jetzt Angehöriger der Intern. Bibelforscher-Vereinigung und auf Grund meines besonderen Tätigkeitskreises mit allen Vorgängen innerhalb der hiesigen und der benachbarten Ortsgruppen auf das Beste und Umfassendste vertraut.

II. Ich erkläre, daß weder jetzt noch früher Mitglieder der kommunistischen noch irgendeiner anderen politischen Partei in den genannten Ortsgruppen Aufnahme gefunden haben, d. h. Insbesondere niemals weder kleinere noch größere Gruppen einer aufgelösten oder anderen politischen Partei aufgenommen worden sind. Jede dieser Tatsachen entgegengesetzte Darstellung uns feindlich gesinnter Kreise ist unzutreffend. Ich erkläre, daß auch niemals irgendwelche Verbindungen mit politischen Parteien oder Ideen irgendwelcher Art bestanden haben, und daß sämtliche Angehörige meiner Ortsgruppe und ich selbst völlig unpolitisch sind.

III. Schließlich erkläre ich noch, daß bei allen Zusammenkünften unserer Ortsgruppe nur der Inhalt der Heiligen Schrift erforscht, gesungen und gebetet wurde und wird, weil wir keine politischen Ziele verfolgen, sondern nur Gott und Jesus Christus, der sein Blut für uns dahingab, durch unser Leben und unsere Tätigkeit verherrlichen wollen.

IV. Wir erklären feierlichst, daß wir glauben an den wahrhaftigen Gott und Schöpfer von Himmel und Erde, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, und überzeugt sind, daß er in seinem Reiche alles Volk der Erde glücklich machen und Tod und Krankheit, Sünde und Unglauben hinwegtun wird. Und nur zu einem Zeugnis für alle Menschen (siehe Matth. 24:14) verkündigen wir dies. Darum sind wir Jehovas Zeugen (Jes. 43:10).

Dies erkläre ich an Eidesstatt.

gez.: Herm. Alt, Nienbüttel DI. od. VP.

Vorstehender eidesstaatlicher Erklärung schließen wir uns an, indem wir die Richtigkeit von deren Inhalt eidesstattlich erklären:

Gez: Adolf Holm, Worken

R. Friedrich, Holsteiendorf

Marie Voss, Warken

Warken, d. 21. Juni 1933."

Mit dem Rücken an der Wand stehend, suchte die WTG Schützenhilfe auch in kirchlichen Kreisen. Bekannt war auch der WTG, dass in Hitlerdeutschland die sogenannte "Bekennende Kirche" auch so ihre Probleme mit diesem Regime hatte. Nachdem er einige diesbezügliche Beispiele selbst nennt, kommentiert Zürcher dazu:

"Die Verwirrung in der deutschen Bekenntniskirche rührt ohne Zweifel auch daher, daß manche Pfarrer Kompromisse geschlossen haben, und daß vielen das rechte Verständnis dafür fehlt, daß die in Römer 13 erwähnten Obrigkeiten nicht der weltliche Staat, sondern Gottes und Christi Autorität sind" (S. 29).

Einer der maßgeblichen Wegbereiter der "Bekennenden Kirche" in Deutschland, war der Theologieprofessor Karl Barth. Er musste auch seinen persönlichen Preis dafür bezahlen, indem er seine Professur an der Universität Bonn verlor und in die Schweiz zurückkehren musste. Ausgerechnet jenen Karl Barth bemüht nun auch die WTG als eine Art Kronzeugen. Von ihm lässt sie sich eine Art "Unbedenklichkeitsbescheinigung" ausstellen, und befindet dieses Dokument als so bedeutsam, um es eigens in Faksimile im Zürcher-Buch mit abzudrucken. Was gibt Barth nun für die Zeugen Jehovas zu Protokoll? Liest man seinen vom 1. 2. 1937 datierten Text unvoreingenommen, wird man sagen können, es war eine Art unterkühlter Entlastung für die Zeugen Jehovas. Von Euphorie keine Spur. Barth verlautbart sich darin mit den Worten:

"Auf Ihrem Wunsch bestätige ich Ihnen gerne schriftlich:

Die 'Zeugen Jehovas' (Ernste Bibelforscher) sind mir bekannt. … Die Beschuldigung, dass die 'Zeugen Jehovas' mit den Kommunisten zusammenhängen, kann nur auf einem unfreiwilligen oder auch absichtlichen Missverständnis beruhen."

Wie eben zu lesen war, wurde Barth um diese Stellungnahme seitens der Zeugen Jehovas ausdrücklich gebeten. Er bescheinigt ihnen lediglich die Binsenweisheit. Das sind keine Kommunisten. Ansonsten bescheinigt er ihnen gar nichts. Er sagt nicht: Ihre Interpretation von Römer 13 sei die "rechte". Er sagt nicht, die sich auf dem Staatsverständnis der Zeugen Jehovas aufbauende Wut der Nazis auf selbige, sei ein unabwendbar, biblisch legitimiertes Schicksal. Keine diesbezügliche Silbe bei Barth.

 

Ulbrichts berühmt-berüchtigter Satz: "Es muss alles demokratisch aussehen - aber wir müssen alles fest in der Hand haben", hatte Anfang der 1950-er Jahre auch zu handfesten Konfliktsituationen mit der Evangelischen Kirche geführt. Der DDR-Staat (vor dem 17. Juni 53) ging immer mehr auf Konfrontation aus. Eines seiner Opfer der Hallenser Studentenpfarrer Johannes Hamel. Den hatte nun der DDR-Staatssicherheitsdienst mit als eines der ersten Opfer aus dem Bereich der evangelischen Kirche inhaftiert. Und was tat nun der Schweizer Karl Barth? Nun er tat dies. Er schrieb von sich aus, unaufgefordert, einen Protestbrief datiert vom 2. 3. 1953 an den damaligen DDR-Staatssicherheitsminister Zaisser. In ihm finden sich auch die Sätze:

Die Tatsache, daß die Kirche im Bereich der DDR bis jetzt die Freiheit hatte, innerhalb des sozialistischen Staatswesens ihr eigenes Leben zu leben … gehört bis heute zu den Punkten, auf die man in der westlichen Welt inmitten des allgemeinen Sturmes von Entrüstung über die ungewöhnlichen Maßnahmen und Verhaltensweisen der sozialistischen Regierungen der Ost-Staaten mit gutem Gewissen in positivem Sinne hinweisen konnte.

Es scheint sich dann etwas vom Schlimmsten, was die ausgesprochenen Gegner der östlichen Staats- und Regierungsform im ganzen Westen behauptet haben, zu bewahrheiten: es könne in dem Machtbereich der DDR (wie einst im Machtbereich des Hitlerstaates) nur eine der offiziellen Kulturdoktrin gleichgeschaltete, also unfreie, also notwendig unchristliche Kirche legitimen Bestand haben, es werde sich eine Kirche, die sich als christliche Kirche erhalten wolle, in irgendwelche 'Katakomben' zurückziehen müssen."

Fand Barth auch im Falle der Zeugen Jehovas ähnlich deutliche Worte? Das wird man wohl kaum sagen können.

Stärke der Ausführungen von Zürcher, ist ohne Zweifel die umfassende Dokumentation des nazistischen Terrors, veranschaulicht an diversen Einzelbeispielen. Aber auch da wird zugleich immer ein "Pferdefuß" mit gekoppelt. Er äußert sich etwa in der Bemerkung:

"Katholizismus und Faschismus gehen in Italien Hand in Hand. Der Vatikanstaat ist durch Mussolinis Lateranvertrag überhaupt erst wieder zu einer offiziellen weltlichen Macht geworden; und diese 'Aussöhnung' hat dem italienischen Staat schon als 'Angeld' 1750 Millionen Lire gekostet, die in den päpstlichen Staatssäckel geflossen sind" (S. 39).

"Der Vatikan hat den Ruf zum gemeinsamen Kampf gegen den Bolschewismus zuerst erhoben" (S. 43).

"Auch in Spanien führt Rom diesen Kampf unter der Devise 'Nieder mit dem Bolschewismus'" (S. 45).

Dann kommt Zürcher auch auf den dubiosen Brief mit der Floskel "Unserer Heiliger Vater Joseph Stalin von Neu-Rußland der Sowjetrepubliken" zu sprechen (S. 64). Was er dazu zu sagen weiss ist mal sehr mager. "Lügenmeldung". Damit ist für ihn der Fall abgetan. Das es ein Fall des "gefundenen Fressens" für die Nazis war und wie die wirkliche Sachlage aussah, darüber erfährt man bei Zürcher nichts. Zu den diesbezüglichen Details siehe auch Der Fall Hope Slipachuk .

Von den vielen zitierten Berichten bzw. Presseberichten sei vielleicht der eine noch zitiert wo der Berichtschreiber sich darüber beklagt:

"Wurde mir das Entlassungszeugnis geschrieben: 'Führung schlecht'. Im Lager war allgemein bekannt, daß die ZJ die arbeitsamsten, gewissenhaftesten und ehrlichsten Menschen waren. Der Kommandant und die übrigen Chargen ließen sich deshalb auch von einem 'ZJ' rasieren, weil sie glaubten, daß ein ZJ nicht fähig sei, ihnen bei einer solchen Gelegenheit den Hals durchzuschneiden. Sie wußten auch, daß ihre Sicherheit durch JZ nicht gefährdet war, deshalb wurden JZ auch dort verwendet wo Fluchtgefahr und Unsicherheit bestand" (S. 105).

Nach 1945 rühmten sich die Zeugen ihrer "theokratischen Kriegslist". Die gab es im Prinzip schon vor 1945, vielleicht unter anderem Namen. Etwa der Parole "Beraubung der Ägypter". Wie soll man in diesem Kontext eigentlich einen ihrer konflikt- und leidensreichsten Grundsätze bewerten. Das nicht-wählen und die Verweigerung des Nazigrußes. Wurden Diktaturen durch die Wahlverweigerung von Zeugen Jehovas schon jemals wirklich aus den Angeln gehoben? Wohl kaum. Eines aber bewirkte es mit Sicherheit. Geradezu magisch zogen sie den Hass der Diktaturen damit auf sich. Mehr noch sie boten geradezu eine Zielscheibe, auf die der Hass der Diktaturen sich gezielt entladen konnte. Auch von Beispielen dieser Art ist das Zürcher-Buch voll.

Etwa wenn man liest:

"Als wir so ruhig des Weges gingen, wurde ich plötzlich rücklings von einem SA-Mann angehalten und zur Rede gestellt, warum ich die Fahne nicht grüße. … Ich erwiderte dem SA Mann, daß, weil ich ein Zeuge Jehovas bin, ich solches aus biblischer Glaubensüberzeugung nicht machen kann, und ich zweitens behindert bin, meinen Arm zu heben, weil ich Muskelschwund habe im Arm (eine Art Lähmung). Dann erwähnte ich auch einige Bibelstellen. … kamen schnell noch zwei SA-Männer von dem Trupp gelaufen und faßten mich, schleiften mich in roher und unmenschlicher Weise, mehrmals auf dem Boden liegend und von den über mich herstolpernden SA-Männern Fußtritte empfangend, etwa 40 Meter bis zu dem stehenden Trupp. Als ich der Aufforderung, die Hand zu erheben, nicht nachkam, wurde mir die Hand gewaltsam hochgerissen" (S. 112).

"Vor der Wahl im November 1933 kam der politische Leiter und damalige zweite Bürgermeister meines Wohnortes zu mir in mein Sattler- und Tapeziergeschäft und forderte mich auf, zur Wahl zu gehen, andernfalls würde ich mein Haus, mein Geschäft, meine Ehre und mein Recht verlieren … Der Wahlsonntag brachte dann um 11 Uhr nachts vollständig zertrümmerte Fenster. Es flogen Kiloschwere Steine in meine Behausung, sodaß meine Frau und ich, namentlich aber die Kinder in großer Lebensgefahr waren. Hernach wurde mein Anwesen mit einer sechs bis acht Meter langen und einen halben Meter hohen Inschrift versehen: 'Hier wohnt der Volksverräter … Hier ist kein Zutritt'. Wer dann noch zu mir ins Geschäft kam, wurde teils von SA, SS und der Polizei angehalten, was er in diesem Geschäft gekauft hätte. Somit wurde mein früher sehr gutgehendes und beliebtes Geschäft vollständig stillgelegt, und der Ruin war die selbstverständliche Folge" (S. 117).

Ein Pressebericht aus dem "Heidelberger Tageblatt" vom 23. 7. 1934 wird mit den Worten zitiert:

"Eine bedeutsame arbeitsgerichtliche Entscheidung wird jetzt von der Deutschen Arbeitsfront bekanntgegeben. Darin wird die Entlassungsmöglichkeit bejaht für den Fall, daß sich Betriebsangehörige von den Betriebsfeierlichkeiten am 1. Mai fernhalten. In dem vorliegenden Fall war Mitgliedern der Bibelforscher-Vereinigung, die der Aufforderung, zu den üblichen Betriebsfeierlichkeiten am 1. Mai zu erscheinen, nicht gefolgt waren, das Arbeitsverhältnis gekündigt worden. Vor Gericht beriefen sie sich darauf, daß sie auf Grund ihrer christlichen Überzeugung an der Maifeier nicht hätten teilnehmen können, weil ihnen die Schrift gebiete, Gott allein die Ehre zu geben. Es sei ihnen deshalb unmöglich, die führenden Staatsmänner, trotz Anerkennung ihrer Verdienste, mit einer Ehre zu bedenken, die nur Gott allein gebühre. Das Arbeitsgericht wies die Begründung zurück und bestätigte die Entlassung. In der Urteilsbegründung heißt es, daß die Gekündigten durch ihr Fernbleiben von den Betriebsfeiern am 1. Mai eine schwere Verletzung der im Arbeitsvertrag begründeten Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber den Anordnungen des Betriebsführers begangen hätten, da der Betriebsführer, ausdrücklich zum erscheinen aufgefordert habe" (S. 133).

Ein weiterer Pressebericht aus der "Pfälzischen Presse" vom 29. 4. 1936:

"In der gestrigen Sitzung des Arbeitsgerichts kam u. a. auch ein Fall zur Entscheidung, dessen Ausgang allgemein interessieren dürfte. Ein bei einer Firma in Kaiserslautern angestellter junger Mann namens Lichtenhagen war wegen staatsverneinenden Verhaltens von seiner Firma fristlos entlassen worden. Beim Arbeitsgericht klagte der Angestellte auf Wiedereinstellung. Lichtenhagen gehörte der Sekte der Ernsten Bibelforscher an. In der Verhandlung wurde festgestellt, daß der Kläger allen Wahlen in den letzten Jahren ferngeblieben war mit der Begründung, daß ihm auf Grund seiner Weltanschauung das Wählen nicht erlaubt sei. Bereits im November 1933 war er dieserhalb entlassen, später aber wieder eingestellt worden. Zwei Tage vor der Wahl im März 1936 erklärte der Angestellte auf Befragen, daß er auch diesmal nicht wählen werde. Daraufhin wurde ihm von dem Vertreter der Firma erklärt, daß er sich dann ab Montag als fristlos entlassen zu betrachten habe. Auch eine Besprechung mit dem Ortsgruppenleiter der NSDAP, hatte keinen Erfolg. Tatsächlich ging der Kläger nicht wählen, weshalb es am Abend des Wahltages vor seiner Wohnung zu Demonstrationen kam. Die Firma stellte sich nun auf dem Standpunkt, daß es ihr und der Belegschaft nicht zugemutet werden könne, einen solchen Angestellten weiter im Geschäft zu behalten, da dies ohne Zweifel eine Schädigung der Firma im Gefolge haben könnte.

Das Gericht stellte sich auf dem gleichen Standpunkt und wies die Klage ab. Der Kläger habe damit, daß er nicht zur Wahl gegangen sei, gegen die Anschauung der meisten Arbeitskameraden und auch der Bevölkerung gehandelt und habe die religiösen Belange über die nationalen gestellt. Er sei deshalb für die Firma nicht tragbar. Der Firma könne eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht mehr zugemutet werden" (S. 134).

Ein weiterer Tragödienpunkt über den Zürcher auch berichtet, ist das Auseinanderreißen der Familien. Zitat:

"Amerika hat seine 'Kidnapper', private Kinderräuber. In Deutschland wird das jetzt amtlich besorgt" (S. 155).

"Der nationalsozialistische Staat kann nur Menschen gebrauchen, die auf dem Boden seiner Anschauungen stehen, und kann es nicht zulassen, daß Menschen, die auf einem ihm feindlichen Boden stehen, deutsche Kinder erziehen, und zwar auch dann nicht, wenn es die eigenen sind" (S. 156).

"Im Gehorsam gegen Gottes Wort unterrichtete ich meine Kinder, daß über das Heilrufen geschrieben steht: 'Es ist in keinem anderen das Heil, denn auch kein anderer Name ist unter dem Himmel den Menschen gegeben, in welchem sie errettet werden müssen, als in dem Namen Jesus Christus' (Apg. 4:12) … Meine 13jährige weigerte sich kürzlich, die Fahne zu grüßen und Heil zu rufen. Das veranlaßte den Leiter der Schule … ihr dermaßen ins Gesicht zu schlagen, daß sie auf ihre Mitschülerinnen stürzte; außerdem ist sie jetzt von der Schule verwiesen worden, und es wird mir gedroht, sie von mir wegzunehmen und unter Vormundschaft zu stellen …" (S. 159).

Ein Gerichtsurteil wird mit den Worten zitiert:

"Die Eltern gehörten früher der Vereinigung der Ernsten Bibelforscher an … Sie weigerte sich aus religiösen Gründen, mit den Worten 'Heil Hitler' zu grüßen und durch Erheben der rechten Hand den Deutschen Gruß zu erweisen. Abgesehen von dieser Verweigerung des Deutschen Grußes, wird ihre Führung in der Schule als tadellos bezeichnet …

Nach einem Erlaß des Kultusministeriums dürfen jedoch derartige Schüler wegen Gefährdung der Schulzucht und der Volksgemeinschaft nicht mehr in der Schule belassen werden, wenn sie und ihre Eltern hartnäckig dabei bleiben, den Deutschen Gruß zu verweigern. Dies ist bei der … Wie bei ihrer Mutter der Fall. Alle Bemühungen, auch des Gerichts, sie davon zu überzeugen, daß ihre Stellungnahme unsinnig ist und sich in keiner Weise auf Grund der von ihnen angeführten Bibelsprüche rechtfertigen läßt, waren völlig erfolglos.

Das Kultusministerium hat in diesen Fällen angeordnet, daß Fürsorgeerziehung beantragt werden soll … so daß heute nach Ansicht des Gerichts die Auffassung vertreten ist, daß ein Kind, das den heutigen Staat in einem solchem Maße ablehnt, daß es ihm die äußere Anerkennung versagt, in der Regel trotz seiner moralischen Qualität als verwahrlost bezeichnet werden muß, und daß die Erziehung, welche ein Kind in einem solchen Verhalten noch bestärkt, als unzulänglich zu bezeichnen ist.

Es wird in dieser Richtung auf den ausführlichen Beschluß des Gerichts vom 14. 6. 1937 verwiesen. In diesem Fall hat das Gericht bei einem Bibelforscherkind, das allgemein moralisch völlig einwandfrei ist, die Fürsorgeerziehung angeordnet. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch um einen besonderen Ausnahmefall … Der Amtsarzt hat wie das Gericht die Überzeugung gewonnen, daß es sich bei der … nicht um auswendig gelernte Redensarten handelt, welche sie gegen Erweisung des Deutschen Grußes vorbringt, sondern um eine feste, innere Überzeugung. Dabei wahrt sie durchaus die Grenzen der Wohlerzogenheit und Bescheidenheit und wird nicht überheblich, wenn sie auf dieses Gebiet zu sprechen kommt. Das Kind zeigt eben eine geistige Reife, die erheblich über dem Durchschnitt der Kinder dieses Alters steht. Der Amtsarzt hält es vielleicht noch für möglich, daß durch eine Unterbringung in einer geeigneten Familie eine Änderung hervorgerufen werden könnte, immerhin ist das Gutachten auch in dieser Richtung sehr skeptisch …

Nachdem das Kind an der Spitze seiner Klasse steht und bereits 7 volle Schuljahre hinter sich hat … kann es ohne Not auch ohne weitere Schulausbildung bleiben" (S. 160-162).

Hitlerzeit

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