Der Fall: Hope Slipachuk

Es war schon ein „gefundenes Fressen", jenes ominöse Schreiben aus Kanada, dass im Jahre 1936 an das vormalige deutsche WTG-Zweigbüro in Magdeburg adressiert war und da letzteres nicht mehr existent war, der Gestapo als „Rechtsnachfolger" ausgehändigt wurde. Es wurde schnell allzu deutlich, dass dieses Schreiben gierig von faschistischen und katholischen Kreisen in bezeichnender Interessengleichheit aufgenommen und breit vermarktet wurde. Auch und nicht zuletzt, bis in die Schweiz hinein wurden Ausläufer dieser darauf aufbauenden Kampagne sichtbar. Anfang 1938 nahm das vormalige „Goldene Zeitalter", dass sich ab 1938 in „Trost" umbenannte, auf diesen Vorgang relativ ausführlich Bezug. Auslöser war, dass auch eine Schweizer Nazigazette, dieses Thema wieder aufkochte. Über letztere vermerkt das „Trost":

„Ein solcher Artikel wurde dann u. a. von dem 'Volksbund, Kampfblatt der Nationalsozialistischen Schweizerischen Arbeiterpartei' aus deutscher Quelle übernommen und in der Ausgabe vom 15. Juni 1937 veröffentlicht. Auf dem Kopf dieser Zeitung ist bekanntlich das deutsche Hakenkreuz ersichtlich, womit die 'echt schweizerische Einstellung' des Kampfblattes gekennzeichnet werden will."

Circa einen Monat später erstellte das Schweizer Zweigbüro der Zeugen Jehovas, gerichtliche Strafanzeige gegen diese Nazipostille. In ihr wurde ausgeführt:

„Herr Anton Felder veröffentlichte in der Ausgabe vom 15. Juni 1937 des 'Volksbund' einen Artikel betitelt: 'Die unpolitischen Ernsten Bibelforscher', welcher wegen seines unwahren und tendenziösen Inhalts eine bewusste Verleumdung und Ehrverletzung für jeden aufrichtigen Zeugen Jehovas (früher Bibelforscher genannt) bedeutet. Der Artikel hat folgenden Wortlaut:

'Die 'unpolitischen' Ernsten Bibelforscher.

Vor einiger Zeit fand bei dem Sondergericht in Düsseldorf ein Strafprozess gegen mehrere Ernste Bibelforscher (Zeugen Jehovas) wegen verbotener Tätigkeit statt. Um die Umtriebe dieser amerikanischen Gesellschaft zu demonstrieren verlas der Staatsanwalt den ersten Satz aus einem Briefe, den der Ernste Bibelforscher Hope Slipachuk in Winnipeg in Kanada am 26. August 1936 an die Wachtturmgesellschaft in Magdeburg geschrieben hatte, wo der Brief am 5. September 1936 einlangte. Der Brief lautet:

'Liebe Kameraden!

Die gegenwärtigen bösen Regierungen haben nun ihr Ende erreicht, und bald wird eine ehrliche rechtmäßige Regierung auf dem Erdball errichtet werden zugunsten der Menschheit unter der Oberaufsicht des großen Messias, unseres Heiligen Vaters Joseph Stalin von Neu-Rußland - Union der Sowjet-Republiken.

Wir müssen uns alle der sozialistischen oder kommunistischen Arbeiter-Organisation anschließen, indem wir eine starke Vereinigung bilden um unsere Freiheit in der Welt zu gewinnen.

Internationale. Auf! Ihr Gefangenen der Hungers,

Auf! Ihr Nichtswürdigen der Erde,

Denn die Gerechtigkeit donnert Verdammnis,

Eine bessere Welt wird geboren.

Keine Ketten der Überlieferung uns mehr binden,

Auf! Ihr Sklaven, nicht mehr versklavt,

Die Erde wird auf neue Grundlagen gestellt.

Nichts sind wir gewesen, alles werden wir sein.

(Chor):

Es ist der letzte Kampf,

Jeder muss an seinem Platz steh'n,

Die Internationalen Sowjets

werden die menschliche Rasse sein.

Jehovas Rächer. Hope. (Photokopie des Briefes liegt hier vor).'

Mit der Veröffentlichung des Briefes der Frl. Hope wird bezweckt, Jehovas Zeugen in den Augen der Behörden und des Volkes herabzuwürdigen, als religiös getarnte Kommunisten hinzustellen und sie dem öffentlichen Hasse und der allgemeinen Missachtung und Verfolgung auszusetzen.

Eine von der Zentralleitung der Zeugen Jehovas in Bern angestrengte Untersuchung der Briefangelegenheit aus Winnipeg, Mantitoba R. R. Nr. 1 ergab, dass der fragliche Brief tatsächlich geschrieben worden ist, aber nicht von einem Zeugen Jehovas (Bibelforscher), sondern von der Kommunistin Hope-Slipachuk, wohnhaft in Winnipeg, Manitoba, R. R. Nr. 1.

Diese Person hat gemäß eigener, unter Zeugen gemachten Aussagen, den fraglichen Brief angeblich an verschiedene Büros der Watch Tower Bible and Tract Society gesandt, so scheinbar auch an das seit 1933 geschlossene Büro in Magdeburg, Deutschland.

Dieser letzte Brief scheint demzufolge von der deutschen Gestapo in Empfang genommen und in böswilliger Art und Weise als ein gesuchtes und willkommenes Mittel zu den schlimmsten Verfolgungen gegen treue Zeugen Gottes in Deutschland verwendet worden zu sein.

Beweismittel:

Vom Notar und dem schweizerischen Konsulat in Winnipeg (Kanada) beglaubigte Dokumente, von denen wir nachstehend einige Erklärungen nach dem genauen Wortlaut und auszugsweise wiedergeben:

'Ich bin ein Kommunist, eine Kirche und eine Tochter Gottes, des Vaters, Joseph Stalins. Aus der gelesenen Literatur der Sozialisten habe ich selbst den Schluss gezogen, dass Vater Stalin die Macht über die anderen Nationen außer Russland übernehmen wird.

Ferner behaupte ich, dass ich zu dieser Schlussfolgerung nicht durch das Lesen irgendwelcher von Jehovas Zeugen veröffentlichten Bücher gekommen bin, denn obwohl diese lehren, dass Erlösung und Befreiung durch den Herrn Jesus Christus kommen werde, hoffe ich als wahrer Sozialist, trotzdem, dass Vater Stalin ein Werk zu verrichten haben wird. Ich kenne keinen der Zeugen Jehovas persönlich, obwohl ich aufrichtig glaube, dass in dem was sie lehren, viel Gutes enthalten ist. Ich gebe nicht vor, ein Glied der Zeugen Jehovas zu sein.' sig. Hope (Pseudonym).

Es folgt nun die Beantwortung einiger Fragen durch Nelli Slipachuk, alias Hope:

'Wäre es Ihnen verständlich, wie wohl einer dieser Briefe in die Hände jemandes gefallen sein könnte, der davon einen unrechten Gebrauch machen möchte?'

'Nein'.

'Ist es Ihnen nicht klar, dass viel Schaden daraus entstehen könnte, wenn die Wahrheiten, für welche Jehovas Volk einsteht, mit diesen aus dem Kommunismus hervorgebrachten Ideen in Verbindung gebracht werden, obwohl diese mit dem Kommunismus nichts zu tun haben?'

'Ich wünsche niemand zu schädigen.'

'Bedenken sie nicht, dass jemand, der das Volk des Herrn zu schädigen wünscht, einen solchen Brief dazu benutzen könnte, um Schaden anzurichten?'

'Daran habe ich niemals gedacht.'"

Im Anschluss daran veröffentlichte das "Trost" eine Erklärung des 23jährigen Bruders der Nelli Slipachuk, sowie ihres Vaters, die auch erklären, dass sie nichts mit den Zeugen Jehovas und dem fraglichen Brief zu tun hätten.

Über das sich daran anschließende schweizerische Gerichtsurteil vermerkt "Trost":

"Das Bezirksgericht Zürich gelangte … am 24. August 1937 … zu folgender Verfügung:

'Die Anklage wird nicht zugelassen. Die Kosten werden dem Ankläger je zur Hälfte auferlegt unter Solidarhaft für das Ganze.' Auszug aus der Begründung:

'Ob das Blatt 'Weltdienst' Anspruch darauf erheben kann, dass auf seine Artikel abgestellt werden dürfe, braucht nicht untersucht zu werden. Die Tatsache, dass die Hope Slipachuk jenen Brief wirklich geschrieben hat und das der Staatsanwalt und das Sondergericht in Düsseldorf auf diesen Brief abgestellt haben, lassen, ohne das eine weitere Untersuchung durchgeführt wird, als wahrscheinlich erscheinen, dass der Angeklagte für wahr gehalten hat, dass Ernste Bibelforscher kommunistische Ziele verfolgen. Es wäre daher offenbar der Angeklagte freizusprechen und aus diesem Grunde ist die Anklage nicht zuzulassen."

Die Zeugen Jehovas beantragten darauf hin Revision dieses Urteilsspruches. Nunmehr wurde zwar ihre Klage als solche zugelassen, ihnen aber in der Sache gleichfalls eine Absage erteilt. In der diesbezüglichen Gerichtsbegründung wurde ausgeführt:

"Wie aus dem Tatbestand der Anklage ersichtlich ist, wird gegen die Internationale Vereinigung der Bibelforscher, deren Bestandteil die Vereinigung Jehovas Zeugen der Schweiz offenbar ist, der Vorwurf erhoben, sie sei eine getarnte kommunistische Bewegung. Es handelt sich um eine Kollektivbeleidigung, die nach zürcherischem Rechte nicht strafbar ist. … Die Möglichkeit der Beleidigung einzelner unter einer Kollektivbezeichnung ist nur dann gegeben, wenn daraus eine erkennbare Beziehung auf eine bestimmte Person abgeleitet werden kann. Dies trifft aber im vorliegenden Fall, wo der Angriff gegen die Internationale Bibelforschervereinigung als solche geht, in Bezug auf den Ankläger … nicht zu."

Ergänzend angemerkt sei noch, dass WTG-Dementi die"Hope's" aus Kanada hätten mit den Zeugen Jehovas nichts zu tun, erweist sich als löchrig. Der deutsche "Wachtturm" veröffentlichte im Jahre 1916 (S. 31) einen Leserbrief der wörtlich unterzeichnet war mit:

"Deine Schwester in dem Gesalbten. Hope Tate-Kanada."

So "unübersehbar" viele Bibelforscher gab es im Jahre 1916 noch nicht. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht gering, dass jene kanadische Familie aus dem Jahre 1916 und jene aus dem Jahre 1936 personengleich ist. Denkbar wäre auch, dass es sich z. B. um die Kinder jener Familie aus dem Jahre 1916 handeln könnte.

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1938er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte