Abschrift zu G I.1724.G II

N i e d e r s c h r i f t

über die am 9. Juni 1933 in Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung abgehaltene Besprechung wegen der „Ernsten Bibelforscher'', des „Tannenbergbundes" und des „Deutschen Freidenkerverbandes e.V.".

Zu der Besprechung waren die aus der anliegenden Liefe ersichtlichen Teilnehmer erschienen.

Es wurde zunächst die Frage der Behandlung der

I. Ernsten Bibelforscher

erörtert.

Nach einleitenden Bemerkungen von Ministerialdirektor Dr. Trendelenburg und einem kurzen Referat des Unterzeichneten äußerten sich hierzu die Erschienenen wie folgt:

Ministerialrat Fischer (Pr. Min. d. Innern) befürwortete dringend ein Verbot der „Ernsten Bibelforscher" aus staatspolitischen Gründen. Er erklärte, daß ihn hierbei vor allem auch die starke Anlehnung der „Ernsten Bibelforscher" an das Gedankengut des Judentums und an dessen Zukunftshoffnuugen wesentlich erscheine.

Ass. Dr. Ganeke (Geh. Staatspolizei) teilte mit, daß die dem Staatspolizeiamt vorliegenden Berichte vorwiegend kirchlichen Ursprungs seien und daß in ihnen vor allem die kirchenfeindliche Tendenz der „Ernsten Bibelforscher" gerügt werde. Das Material reiche nach seiner Meinung nicht ganz aus, ein Verbot au rechtfertigen, insbesondere sei eine Staatsgegnerschaft der „Ernsten Bibelforscher" kaum klar nachzuweisen.

Demgegenüber betonten MinRat Fischer und ORR Diels daß sie abweichend von dieser Auffassung ein Verbot für erforderlich hielten.

Domkapitular Piontek-Breslau berichtete im einzelnen von der zersetzenden Tätigkeit der „Ernsten Bibelforscher" in der Erzdiözese Breslau. Schon im vorigen Jahre habe der Erzbischof ihrem verderblichen Treiben auf die Klagen der Pfarrerschaft hin mit einer oberhirtlichen Mahnung entgegentreten müssen. Bloße Mahnungen seien jedoch gegenüber der fanatischen und gehässigen Propaganda der „Ernsten Bibelforscher" nicht ausreichend. Die Unruhe und Zersetzung innerhalb der christlichen Bevölkerung, die durch das Vorgehen der „Ernsten Bibelforscher" herbeigeführt worden sei, müsse fortschreiten, wenn nicht bald strenge staatliche Maßnahmen ergriffen wurden. Ein staatliches Verbot der „Ernsten Bibelforscher" sei unter diesen Umständen dankbar zu begrüßen.

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ORR. Diels gab alsdann eine Übersicht über die zahlenmäßige Verbreitung der „Ernsten Bibelforscher" und ihre Propagandatätigkeit durch Schriftenvertrieb und dergl. Er betonte ferner, daß abgesehen von ihrer religiösen Betätigung auch die unverkennbar vorhandenen politischen, und zwar staatsfeindlichen Tendenzen der „Ernsten Bibelforscher" starke Bedenken erregten. In diesem Zusammenhang sei die Feststellung von Interesse, daß vielfach ein enger Zweckverband zwischen den „Ernsten Bibelforschern" und den sozialistischen Freidenkern bestanden habe.

Gegen ein Verbot der „Ernsten Bibelforscher" seien allerdings gewisse außenpolitische Bedenken vorgetragen worden. So habe der Generalkonsul der USA wiederholt sich für Schonung der „Ernsten Bibelforscher" ausgesprochen und auf die finanziellen Interessen amerikanischer Geldgeber hingewiesen, die bei den Unternehmungen der „Ernsten Bibelforscher" beteiligt seien. Er, Diels, glaube indessen, daß diese Schwierigkeiten auf die eine oder andere Weise ausgeräumt werden könnten, z. B. indem man von einer Vermögensbeschlagnahme Abstand nehme und den „Ernsten Bibelforschern" die Möglichkeit lasse, ihre Wirtschaftsbetriebe, wie schon beabsichtigt, ins Ausland (Prag) zu verlegen.

Oberkonsistorialrat D. Fischer (Evangl. Oberkirchenrat) bemerkte, daß die Evangelische Kirche nach seiner Ansicht um ein Verbot der „Ernsten Bibelforscher" nicht zu bitten brauche, daß sie vielmehr der von den „Ernsten Bibelforschern" drohenden Gefahr für das kirchliche Leben mit ihren eigenen Mitteln entgegentreten müsse. Die Tätigkeit der „Ernsten Bibelforscher" bedeute aber daneben noch eine große Gefahr für daß deutsche Volkstum. Von hier aus sei nach seiner Ansicht ein Verbot zu begrüßen.

Herr v. Bülow-Schwante (Ausw. Amt) erklärte, daß er vom Auswärtigen Amt aus keine Bedenken gegen ein Verbot der „Ernsten Bibelforscher" sehe, sofern bei dem Verbot deutlich zum Ausdruck gebracht werde, daß bei den „Ernsten Bibelforschern" ein starker kommunistischer Einschlag bestehe.

Zusammenfassend wurde festgestellt, daß nach übereinstimmender Ansicht der Beteiligten ein Verbot der „Ernsten Bibelforscher" kaum abwendbar erscheine. Oberregierungsrat Erbe (Reichsministerium des Innern) regte hierzu an, dafür Sorge zu tragen, daß das Verbot möglichst in allen Ländern gleichzeitig erlassen würde.

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II. Tannenbergbund.

Oberkonsistorialrat D. Fischer bemerkte hierzu, daß innerhalb der Kirche Auseinandersetzungen mit den Anhängern des Tannenbergbundes nicht beständen, da diese satzungsgemäß aus der Kirche austreten müßten. Der Tannenbergbund weiße eine eigentümliche Mischung von abständigem Rationalismus und Elementen des gegenwärtig lebendigen völkischen Wollens auf, das das Christentum als etwas Artfremdes und von außen an das Deutsche Volk Herangetragenes ansehe. Der Name Ludendorff sei besonders auf dem Lande und hier wiederum vor allem unter der ländlichen Bevölkerung Norddeutsohlands in hohem Maße werbend. Indessen sei festzustellen, daß der Einfluß des Tannenbergbundes nicht bodenständig sei, sondern daß er stoßweise vordränge und wieder abflaue. Er, Fischer, halte nicht viel von der Dauerhaftigkeit der Bewegung und sei auch von ihrer Gefährlichkeit nicht überzeugt. Die Kirche könne jedenfalls nach seiner Ansicht nicht den Wunsch haben, daß der Staat mit einem Verbot eingreife, wenn sich auch für die Kirche aus einem solchen Verbot Erleichterungen ergeben würden. Er könne danach ein Verbot des Tannenbergbundes nicht befürworten.

Herr Schiller (Apologetische Zentrale) bemerkte, daß, wo der Tannenbergbund zurückgehe, der Nationalsozialismus vorschreite. Überhaupt lasse sich beim Tannenbergbund das Politische nicht von dem eigentlichen religiösen Anliegen trennen. Ludendorff gehe aus von Mächten, die politisch wie kirchlich überwunden werden mußten. Das Denken dieser Bewegung sei durch einen lediglich vom Ich ausgehenden Rationalismus bestimmt; ihre Grundtendenz sei, jede Autorität, und zwar die des Staates wie die der Kirche, zu Gunsten des Wollens des Einzelnen zu vernichten. Hierin liege das eigentlich Zersetzende des Tannenbergbundes.

Die Methoden des Bundes seien im übrigen wesentlich die gleichen wie die der Freidenkerbewegung. Im Vordergrund stehe die Absicht, die vorhandene Geistesmacht zu vernichten. Das vom Tannenbergbund gepflegte Schrifttum decke sich vielfach mit dem des Freidenkertums. Beide Bewegungen hätten häufig die gleiche auf Zersetzung der Autorität gerichtete Literatur empfohlen und verbreitet. Es sei auch hervorzuheben, daß sich in letzter Zeit in Berlin die Zahl der Geschäftsstellen des Bundes stark vermehrt habe.

Domkapitular Heufers kennzeichnete den Tannenbergbund als gemeinschafts- und staatszerstörend. Er sei ungemein aggressiv und rufe schon dadurch stärkste Unruhe in den Gemeinden hervor. Sein

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maßlos heftiger Kampf gegen die Katholische Kirche, der sich rücksichtslos Verleumdungen und Verzerrungen zu eigen mache, sei bekannt. Seine starke Verwandtschaft mit den Vorgehen der Religionslosen sei nicht zu leugnen. Er, Heufers, halte ein Verbot für gerechtfertigt.

Oberregierungsrat Diels wies darauf hin, daß schon bisher einige Publikationen des Tannenbergbundes hätten verboten werden müssen.

Ludendorffs „Volkswarte" könne allerdings wieder erscheinen. Im ganzen werde der Ludendorff-Bund immer mehr zu einer staatspolitischen Gefahr. Unter ihm sammelten sich in zunehmenden Maße die mit den bestehenden politischen Zuständen Unzufriedenen. So entwickle sich der Ludendorff-Bund zu einem Sammelpunkt für schärfste Kritik an der bestehenden staatlichen Ordnung. Auch zahlenmäßig habe er sich in letzter Zeit stark vermehrt. Er, Diels, gelange auf Grund des vorliegenden Materials, zu dem Ergebnis, daß die Voraussetzungen für ein Verbot gegeben seien. Indessen sei vielleicht zunächst mit Rücksicht auf die Person Ludendorffs eine Verwarnung am Platze, bevor man schärfere Maßnahmen ergreife.

Ministerialdirektor Dr. Trendelenburg stellt sodann die Frage, ob nicht zunächst bestimmte Einzelmaßnahmen einem generellen Verbot vorzuziehen seien, wobei er insbesondere daran denke die Verbreitung der verhetzenden Traktat-Literatur des Tannenbergbundes zu unterbinden. Ein Verbot der ganzen Bewegung könne er schon deshalb nicht befürworten, weil möglicherweise nur der entgegengesetzte Effekt erzeugt würde.

Ministerialrat Fischer (M.d.J.) bezeichnete es als gewiß notwendig, die Reden und Veröffentlichungen des Tannenbergbundes scharf unter die Lupe zu nehmen und im Einzelfall nachdrücklich einzuschreiten. Er möchte indessen nicht vorschlagen, ein Verbot gegen den ganzen Bund auszusprechen. Dies erscheine ihm einmal aus Rücksicht auf den verdienten Feldherrn und zum anderen deshalb nicht angebracht, weil nach seinem Eindruck die Anhänger des Tannenbergbundes zum Teil ehrenwerte Männer seien, die nur durch eine kleine Verwirrung auf die falsche Bahn geraten seien. Er halte es für zweckmäßig, vor weiterem persönlich mit General Ludendorff ins Benehmen zu treten, um auf diese Weise eine Behebung der eingetretenen Mißstände zu erreichen.

Oberregierungsrat Erbe teilte hierzu mit, daß der Herr Reichsminister des Innern schon vor einiger Zeit die schriftliche Frage an Ludendorff gestellt habe, wie er sich zur nationalen Revolution stelle. Hierauf habe Ludendorff eine ausweichende Antwort erteilt. Der Erfolg eines persönlichen Inverbindung treten mit Ludendorff erscheine

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ihm hiernach und auch nach anderen Erfahrungen zweifelhaft. Andererseits sei nicht zu verkennen, daß die rechtlichen Grundlagen für ein Verbot des Tannenbergbundes vielleicht nicht völlig ausreichten.

Ministerialdirektor Dr. Trendelenburg stellt hierauf zusammenfassend als überwiegende Meinung fest, daß ein Verbot des Tannenbergbundes zunächst noch nicht ausgesprochen werden solle und man vielmehr vorerst mit schwächeren Mitteln versuchen solle, die bedenkliche Betätigung des Bundes einzuschränken.

III. Freidenkerverband e.V.

Hier wurde die Frage erörtert, wieweit die wirtschaftlichen, insbesondere die versicherungsmäßigen Einrichtungen des Freidenkerverbandes e.V. trotz des ergangenen allgemeinen Betätigungsverbots fortgeführt werden sollten und wieweit der frühere Mißstand beseitigt werden könne, daß bei Veranstaltung kirchlicher Beerdigungsfeiern die Versicherungsleistungen vorenthalten worden seien.

Oberregierungsrat Diels erklärte dazu: Es sei beabsichtigt, den Verband hinsichtlich seiner Tätigkeit auf dem Gebiete der Bestattungshilfe fortzuführen. Man stehe dabei gegenwärtig mitten in der Neuordnung und Umorganisation. Der Geschäftsbetrieb wurde schon jetzt unter der Leitung eines Kommissare weitergeführt. Man hoffe bei dem Deutschen Freidenkerverband e.V. zu einer glatten Bereinigung der angeschnittenen Fragen zu gelangen, während allerdings die proletarischen (ehemals kommunistischen) Bestattungsvereine kürzlich gänzlich hätten aufgelöst werden müssen, da der Versuche auch sie in ihren wirtschaftlichen Zweigen neutral fortzuführen, fehlgeschlagen sei.

Berlin, den 30. Juni 1933

gez. Dr. Weber

Die Krise

Hitlerzeit

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